Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Salama, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Juli 2024, W172 2260520 1/9E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M A in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Der Mitbeteiligte, ein syrischer Staatsangehöriger, stellte am 17. November 2021 einen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, in Syrien den Wehrdienst leisten zu müssen. Er lehne es jedoch ab, eine Waffe zu tragen und befürchte, bei einer Rückkehr vom syrische Regime rekrutiert zu werden.
2 Mit Bescheid vom 5. September 2022 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Mitbeteiligten hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigen ab, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigen zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.
3 Der gegen die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, erkannte dem Mitbeteiligten den Status des Asylberechtigten zu, stellte fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme, und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. B VG für nicht zulässig.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte soweit für das Revisionsverfahren relevant fest, in Syrien bestehe keine Möglichkeit einer legalen oder gefahrlosen Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung. Der Mitbeteiligte verfüge nicht über die notwendigen Mittel, um sich vom Wehrdienst „freizukaufen“. Im Falle der Rückkehr bestehe für ihn die Gefahr, zum Militärdienst bei der syrischen Armee eingezogen zu werden, was er ablehne. Bei Weigerung drohe ihm eine Gefängnisstrafe, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre.
5 Beweiswürdigend führte das Bundesverwaltungsgericht mit Bezug auf die Länderberichte soweit hier relevant aus, das Vorbringen des Mitbeteiligten zu den Verfolgungsursachen, den wesentlichen Umständen sowie bezüglich der Beweggründe für die Weigerung, den Militärdienst in der syrischen Armee abzuleisten, sei konkret, detailliert und stimmig gewesen. Der Mitbeteiligte habe angegeben, er wolle nicht am Krieg teilnehmen, keine unschuldigen Menschen töten oder selbst getötet werden und dem syrischen Regime auch keine finanziellen Mittel zur Verfügung stellen. Im Falle einer Rekrutierung liefe er auch Gefahr, als Mitglied der syrischen Armee an der Begehung von Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu werden. Bei Weigerung drohe ihm eine Gefängnisstrafe, die mit der Anwendung von Folter verbunden wäre. Das syrische Regime betrachte Wehrdienstverweigerung als Ausdruck von politischem Dissens und auch die Ausreise des Mitbeteiligten und die dadurch bewirkte Entziehung von der Ableistung des Wehrdienstes werde vom syrischen Regime als Ausdruck einer oppositionellen Gesinnung gesehen.
6 Rechtlich folgerte das Bundesverwaltungsgericht daraus, es sei glaubhaft, dass die vehemente Ablehnung des Dienstes in der syrischen Armee und die Ausreise des Mitbeteiligten als oppositionelle Haltung gewertet werde. Er würde sich diesem auch bei einer Rückkehr entziehen und sohin als politischer Gegner des syrischen Regimes angesehen werden. Er falle damit in eine von UNHCR angeführte Risikogruppe, nämlich jene der „Personen, die tatsächlich oder vermeintlich in Opposition zur Regierung stehen“. Der Beschwerde des Mitbeteiligten sei daher stattzugeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, die zu ihrer Zulässigkeit und in der Sache soweit hier wesentlich geltend macht, das Bundesverwaltungsgericht sei von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht von Entscheidungen abgewichen, weil eine Begründung, weshalb der Prozess der Befreiungsgebühr aus asylrechtlicher Sicht für den Mitbeteiligten nicht in Betracht komme, dem Erkenntnis nicht entnommen werden könne. Ebenso fehle eine schlüssige Würdigung der gegenteiligen Länderberichte. Es sei folglich auch nicht genau darauf eingegangen worden, ob die Gewissensgründe, die für die Wehrdienstverweigerung bzw. Ablehnung des Ersatzdienstes des Mitbeteiligten einschlägig seien, einen Ursprung in einem Konventionsgrund hätten.
8 Der Mitbeteiligte erstattete im vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 VwGG, soweit nicht Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes oder infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften vorliegt, das angefochtene Erkenntnis oder den angefochtenen Beschluss auf Grund des vom Verwaltungsgericht angenommenen Sachverhalts im Rahmen der geltend gemachten Revisionspunkte bzw. der Erklärung über den Umfang der Anfechtung zu überprüfen hat. Somit sind Änderungen der Sach- und Rechtslage, die sich nach Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ereignet haben und daher vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt werden konnten, einer Prüfung im gegenständlichen Revisionsverfahren entzogen (vgl. VwGH 12.12.2024, Ra 2024/19/0239).
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Die Asylgewährung an Wehrdienstverweigerer erfordert neben der Prüfung, ob die schutzsuchende Person bei Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich „Verfolgung“ im asylrechtlichen Sinne zu gewärtigen hätte, auch den Konnex dieser Verfolgungshandlung mit einem der fünf in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Konventionsgründe („Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“), die in Art. 10 Statusrichtlinie näher umschrieben werden. In den Worten des Art. 9 Abs. 3 Statusrichtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den in Art. 10 genannten Gründen und den Verfolgungshandlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen (vgl. VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108, mwN).
13 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung unter Bezugnahme auf Judikatur des EuGH bereits ausgeführt, dass die Verweigerung des Militärdienstes in vielen Fällen Ausdruck politischer Überzeugungen (sei es, dass sie in der Ablehnung jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen) oder religiöser Überzeugungen sein bzw. ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe haben kann. In diesen Konstellationen können die Verfolgungshandlungen aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes den einschlägigen Verfolgungsgründen zugeordnet werden. Die Verweigerung des Militärdienstes kann allerdings auch aus Gründen erfolgen, die in den Verfolgungsgründen von Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 10 Statusrichtlinie keine Deckung finden. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann. Neben Fällen, in denen die Wehrdienstverweigerung des oder der Betroffenen auf einem Verfolgungsgrund, wie etwa politischer Gesinnung oder religiöser Überzeugung, beruht, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer Wehrdienstverweigerung bei entsprechenden Verfolgungshandlungen auch dann Asylrelevanz zukommen, wenn dem Betroffenen wegen seines Verhaltens vom Verfolger eine oppositionelle (politische oder religiöse) Gesinnung unterstellt wird (vgl. erneut VwGH Ra 2023/18/0108).
14 Das Bundesverwaltungsgericht ging unter Bezugnahme auf die im angefochtenen Erkenntnis zitierten Länderberichte davon aus, dass die syrische Regierung Wehrdienstverweigerung nicht nur als eine strafrechtlich zu verfolgende Handlung, sondern auch als Ausdruck von politischem Dissens betrachte, woraus zu schließen sei, dass dem Mitbeteiligten, der den Wehrdienst verweigern wolle, eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werden würde. Diese (isolierte) Sichtweise lässt sich ohne das Hinzutreten weiterer Aspekte jedoch mit den im angefochtenen Erkenntnis selbst verwerteten (weiteren) Länderberichten nicht in Einklang bringen, weil sich aus diesen Länderfeststellungen ein differenziertes Bild der Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und allein daraus nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass dem Mitbeteiligten eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde (vgl. etwa VwGH 4.6.2024, Ra 2024/18/0133; 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN).
15 Nach dieser auch im Revisionsfall maßgeblichen Berichtslage lässt sich gerade kein Automatismus dahingehend als gegeben annehmen, dass jedem im Ausland lebenden Syrer, der seinen Wehrdienst nicht abgeleistet hat, im Herkunftsstaat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und deswegen eine unverhältnismäßige Bestrafung drohen würde (vgl. VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN; VwGH 8.11.2023, Ra 2023/20/0520).
16 Mit seiner Begründung, dem Mitbeteiligten drohe im Falle der Rückkehr asylrelevante Verfolgung, weil ihm vom syrischen Regime aufgrund der Wehrdienstverweigerung und der Ausreise aus Syrien eine oppositionelle Gesinnung unterstellt werde, hat sich das Bundesverwaltungsgericht über diese Vorgaben der hg. Judikatur hinweggesetzt. Ohne unter Einbeziehung der konkreten Umstände des Einzelfalls darzulegen, warum dem Mitbeteiligten aufgrund der Wehrdienstverweigerung aus asylrechtlich relevanten Gesichtspunkten Verfolgung drohe, hat das Bundesverwaltungsgericht aus den Länderberichten generell abgeleitet, „dass die syrische Regierung [...] Wehrdienstverweigerung [...] auch als Ausdruck von politischem Dissens“ betrachte, weswegen die Haltung des Revisionswerbers „als oppositionelle Haltung von Seiten des Syrien Regimes gewertet“ würde. Diese entfernte und die Umstände des Einzelfalls außer Acht lassende Möglichkeit einer Verfolgung genügt jedoch nicht für die Gewährung von Asyl (vgl. etwa VwGH 6.3.2025, Ra 2024/18/0214; 28.2.2024, Ra 2023/20/0619, mwN).
17 Bei diesem Ergebnis erübrigt es sich, auf die in der Revision aufgeworfenen Fragen zum Freikauf vom Wehrdienst einzugehen (vgl. nochmals VwGH Ra 2024/18/0133).
18 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am 30. Juni 2025