JudikaturVwGH

Ra 2024/18/0133 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. Juni 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Nedwed und den Hofrat Mag. Tolar als Richter sowie die Hofrätin Dr. Kronegger als Richterin, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des M Z, vertreten durch Mag. Hans Georg Popp, Rechtsanwalt in 8112 Gratwein Straßengel, Bahnhofstraße 9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. Februar 2024, W156 2280257 1/7E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der arabischen Volksgruppe, stellte am 4. Januar 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen mit seiner Ablehnung der Verrichtung des syrischen Wehrdienstes begründete, da er dem syrischen Regime negativ gegenüberstehe und Angst vor „diesen Terroristen“ habe.

2 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies diesen Antrag mit Bescheid vom 22. September 2023 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die gegen die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Herkunftsort des Revisionswerbers, die Stadt A, stehe unter Kontrolle der syrischen Regierung. Der Revisionswerber sei im wehrdienstpflichtigen Alter und habe seinen Wehrdienst in der syrischen Armee noch nicht abgeleistet. Der Revisionswerber halte sich seit dem Jahr 2013 und damit seit seinem 15. Lebensjahr nicht mehr in Syrien auf und besitze keine syrischen Dokumente. Er habe sich weder in Syrien noch in einem anderen Land oppositionell betätigt und schließe es explizit aus, im Ausland „gegen Syrien“ zu demonstrieren. Es sei unwahrscheinlich, dass der Revisionswerber wie von ihm erstmals in der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG vorgebracht worden sei vom syrischen Geheimdienst gesucht werde, da er bereits mit 14 Jahren aus Syrien ausgereist sei. Der Revisionswerber habe keine Verfolgung aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) genannten Gründe geltend machen können, die sich aufgrund seiner Ausreise im Jahr 2013 oder aufgrund der Teilnahme an Demonstrationen zu Beginn des syrischen Bürgerkrieges ergeben hätte. Weiters drohe ihm in Syrien nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgung im Sinne der GFK im Zusammenhang mit dem nicht abgeleisteten Wehrdienst, weil er weder eine oppositionelle Gesinnung aufweise, noch ihm eine solche unterstellt werde; überdies stehe ihm die Möglichkeit der Zahlung einer Gebühr zur Befreiung vom Wehrdienst offen.

5 Dagegen wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zu ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es nicht gewürdigt habe, dass der Revisionswerber nicht bereit sei, menschen und völkerrechtswidrige Handlungen, Militäraktionen und Bürgerkriegsaktivitäten zu unterstützen. Er habe als Minderjähriger in Syrien an Demonstrationen gegen Baschar al Assad und dessen Sicherheitsdienste teilgenommen, weshalb die reale Gefahr bestehe, dass er den Behörden bekannt sei. Es fehle überdies an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Zumutbarkeit der Bezahlung einer Gebühr für die Befreiung vom syrischen Wehrdienst, insbesondere zur Frage, ob die Zahlung dieser Gebühr, welche dem syrischen Militärbudget zufließe, eine geeignete Alternative zum Wehrdienst darstelle, wenn der Wehrpflichtige aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigere. Das BVwG habe Verfahrensvorschriften verletzt, weil es weder festgestellt habe, wie hoch eine etwaige Befreiungsgebühr sei, noch ausreichend geprüft habe, ob sich der Revisionswerber die Zahlung einer Befreiungsgebühr leisten könne.

6 Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

7 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

9 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10 Die Revision hebt in ihrer Zulassungsbegründung hervor, dass auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe für die Verweigerung des Wehrdienstes unter dem Gesichtspunkt des Zwangs zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen, die mit dem Wehrdienst verbunden wären, eine (asylrelevante) Verfolgung sein könne.

11 Dies trifft zwar zu; selbst bei Bejahung von Verfolgungshandlungen im asylrechtlichen Sinne erübrigt es sich aber nicht, das Bestehen einer Verknüpfung zwischen diesen und einem der in Art. 10 Statusrichtlinie bzw. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Verfolgungsgründe individuell zu prüfen.

12 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung unter Bezugnahme auf Judikatur des EuGH bereits ausgeführt, dass die Verweigerung des Militärdienstes in vielen Fällen Ausdruck politischer Überzeugungen (sei es, dass sie in der Ablehnung jeglicher Anwendung militärischer Gewalt oder in der Opposition zur Politik oder den Methoden der Behörden des Herkunftslandes bestehen) oder religiöser Überzeugungen sein bzw. ihren Grund in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe haben kann. In diesen Konstellationen können die Verfolgungshandlungen aufgrund der Verweigerung des Wehrdienstes den einschlägigen Verfolgungsgründen zugeordnet werden.

13 Die Verweigerung des Militärdienstes kann allerdings auch aus Gründen erfolgen, die in den Verfolgungsgründen von Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK bzw. Art. 10 Statusrichtlinie keine Deckung finden. In diesem Sinne hat auch der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die (bloße) Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes bzw. der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrelevante Verfolgung darstellt, sondern nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes Asyl rechtfertigen kann.

14 Neben Fällen, in denen die Wehrdienstverweigerung des oder der Betroffenen auf einem Verfolgungsgrund, wie etwa politischer Gesinnung oder religiöser Überzeugung, beruht, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einer Wehrdienstverweigerung bei entsprechenden Verfolgungshandlungen auch dann Asylrelevanz zukommen, wenn dem Betroffenen wegen seines Verhaltens vom Verfolger eine oppositionelle (politische oder religiöse) Gesinnung unterstellt wird (vgl. zum Ganzen etwa VwGH 4.7.2023, Ra 2023/18/0108; VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619).

15 Im vorliegenden Fall argumentiert die Revision, der Revisionswerber sei nicht bereit, menschen und völkerrechtswidrige Handlungen und Militäraktionen zu unterstützen. Die syrische Regierung betrachte seine Wehrdienstverweigerung als Ausdruck von politischem Dissens. Die Revision stützt sich damit sowohl auf behauptete persönliche politische bzw. ethische Überzeugungen des Revisionswerbers für die Ablehnung des Militärdienstes als auch (offenbar hilfsweise) auf eine ihm unterstellte oppositionelle politische Gesinnung.

16 Beides hat das BVwG in der angefochtenen Entscheidung als nicht glaubhaft erachtet. Es hat näher begründet dargelegt, dass der Revisionswerber weder eine oppositionelle Gesinnung in Bezug auf das syrische Regime hat, noch ihm eine solche von den syrischen Behörden unterstellt werden würde. Dem hält die Revision in der Zulassungsbegründung nichts Stichhaltiges entgegen. Insbesondere lässt sich der pauschale Hinweis der Revision, das syrische Regime betrachte eine Wehrdienstverweigerung generell als Ausdruck eines politischen Dissens, mit den im angefochtenen Erkenntnis verwerteten Länderberichten nicht in Einklang bringen, weil sich aus diesen Länderfeststellungen ein differenziertes Bild der Haltung des Regimes gegenüber Wehrdienstverweigerern ergibt und allein daraus nicht mit der maßgeblichen Wahrscheinlichkeit abgeleitet werden kann, dass dem Revisionswerber eine oppositionelle Haltung unterstellt werden würde (vgl. in diesem Sinne bereits VwGH 21.12.2023, Ra 2023/18/0077; VwGH 28.2.2024, Ra 2023/20/0619).

17 Der Revision gelingt es daher schon deshalb nicht, eine dem Revisionswerber aus einem Konventionsgrund drohende Verfolgung wegen der behaupteten Wehrdienstverweigerung darzutun, die Asyl rechtfertigen würde. Ausgehend davon braucht auf die in der Revision aufgeworfene Frage, ob es dem Revisionswerber möglich und zumutbar wäre, sich vom Wehrdienst freizukaufen, nicht näher eingegangen zu werden.

18 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 4. Juni 2024

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