Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger und die Hofräte Mag. Berger und Dr. Hammerl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Schimpfhuber, über die Revision des M K, vertreten durch Mag. Theresia Koller, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2024, I405 21685572/4E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Gambias, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 3. Jänner 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztendlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. August 2022 als unbegründet abgewiesen. Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 9. Dezember 2022, Ra 2022/19/0245, zurückgewiesen.
2Mit Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 21. September 2022 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung gemäß § 107 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von drei Monaten rechtskräftig verurteilt.
3Am 20. März 2023 stellte der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Am 27. März 2023 stellte der Revisionswerber den Zusatzantrag auf Heilung des Mangels der fehlenden Vorlage eines Reisepasses bzw. einer Geburtsurkunde gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 und 3 AsylG DV.
4 Am 22. Juni 2023 fand eine Einvernahme des Revisionswerbers durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl statt. In dieser änderte er unter Anleitung des Behördenvertreters seinen Mängelheilungsantrag dahingehend ab, dass sich dieser nunmehr auf § 4 Abs. 1 Z 2 AsylG DV stützte. In dieser Einvernahme wurde durch die Rechtsvertreterin des Revisionswerbers auch auf einen aufschiebend bedingten Dienstvertrag vom 2. Februar 2023 hingewiesen.
5Mit Bescheid vom 19. März 2024 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Mängelheilungsantrag ab (Spruchpunkt I.) und den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück (Spruchpunkt II.). Zugleich erließ es gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt III.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Gambia zulässig sei (Spruchpunkt IV.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt V.).
6 In der dagegen erhobenen Beschwerde beantragte der Revisionswerber die Behebung des angefochtenen Bescheides und beantragte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
7 Mit dem nun angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
8 Das Bundesverwaltungsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen dahingehend, der Revisionswerber habe sich nach eigenem Vorbringen bis dato nicht darum bemüht, die erforderlichen Unterlagen zu beschaffen, er sei zum Zeitpunkt der Antragstellung auch kein unbegleiteter Minderjähriger gewesen und die Mängelheilung sei auch nicht zur Aufrechterhaltung des Privatund Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK erforderlich.
9 Das Ergebnis seiner Interessenabwägung gemäß § 9 Abs. 2 BFA VG stützte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen auf den Umstand, dass der Revisionswerber seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei und sich daher seither unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhalte, sowie auf seine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung. Weiters führe er keine Lebensgemeinschaft oder eine „familienähnliche“ Beziehung in Österreich und es fehlten auch alle Sachverhaltselemente für die Existenz gewisser Bindungen, die sich in einem Zeitraum eines rund achtjährigen Aufenthalts hätten ergeben können. Beispielhaft führte des Bundesverwaltungsgericht hierbei die Teilnahme am Erwerbsleben und am sozialen Leben, die Selbsterhaltungsfähigkeit und den Erwerb von nachweisbaren und weiterführenden Deutschkenntnissen an. Daran könne auch die Mitgliedschaft in einem Fußballverein, sein einjähriger Schulbesuch 2016/2017 und sein Deutschzertifikat A2 sowie die vorgelegte Einstellungszusage nichts ändern.
10 Das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung sei gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig, weil der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheine und in der Beschwerde auch keinerlei sachverhaltsbezogenes Vorbringen erstattet werde.
11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Diese rügt in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit (u.a.) das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung.
12Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat über die Revision, zu der keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen:
13 Bereits mit diesem Zulässigkeitsvorbringen erweist sich die Revision als zulässig. Sie ist auch begründet.
14Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der genannten Bestimmung kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis für ihn zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht einen positiven persönlichen Eindruck von ihm verschafft (vgl. etwa VwGH 29.8.2025, Ra 2023/17/0172, mwN).
15Im Zusammenhang mit einer Zurückweisung eines Antrages ist die Frage nach dem zulässigen Unterbleiben einer Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu beurteilen. Demnach kann eine Verhandlung (u.a.) dann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch bereits klargestellt, dass es in den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts liegt, selbst ohne Antrageine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. etwa neuerlich VwGH 29.8.2025, Ra 2023/17/0172, mwN).
16 Allerdings lag hier ein eindeutiger Fall nicht vor. Der Revisionswerber hat in seiner Beschwerde auf substantiierte Weise seine Integration behauptet und die Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung beantragt. Dabei führte er insbesondere seinen aufschiebend bedingten Dienstvertragauf den im Verwaltungsverfahren nicht weiter eingegangen wurde, obwohl einer Einstellungszusage unter gewissen Gesichtspunkten Bedeutung zukommen kann (vgl. VwGH 30.6.2016, Ra 2016/21/0165) sowie seine guten Deutschkenntnisse an, die selbst im angefochtenen Bescheid seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl hervorgehoben wurden. Dagegen ist das Bundeverwaltungsgericht in seiner Interessenabwägung davon ausgegangen, dass nachweisbare und weiterführende Deutschkenntnisse fehlten.
17Schon dies zeigt, dass die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung, in der sich das Bundesverwaltungsgericht einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber hätte verschaffen können, geboten gewesen wäre (vgl. etwa wiederum VwGH 29.8.2025, Ra 2023/17/0172; 4.3.2020, Ra 2019/21/0214). Die Relevanz des gegenständlichen Verfahrensfehlers wird in der Revision auch dargelegt (zur erforderlichen Relevanzdarstellung außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 6 EMRK sowie des Art. 47 GRC vgl. etwa VwGH 15.3.2023, Ra 2022/22/0179, mwN).
18Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
19 Die Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG unterbleiben.
20Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Oktober 2025
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