Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident MMag. Maislinger sowie die Hofräte Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. in Schimpfhuber, über die Revision des A C, vertreten durch Mag. a Carolin Seifriedsberger, Rechtsanwältin in Wien, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Oktober 2023, I411 2012850 3/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem Asylgesetz 2005 und dem Fremdenpolizeigesetz 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Nigerias, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte erstmals am 15. März 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz, der im Instanzenzug mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (Verwaltungsgericht) vom 27. Juni 2014 als unbegründet abgewiesen wurde.
2 Am 5. Oktober 2016 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, der ebenfalls im Instanzenzug mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 31. Mai 2017 als unbegründet abgewiesen wurde.
3Am 1. September 2022 stellte der Revisionswerber den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Zusätzlich beantragte der Revisionswerber die Heilung des Mangels der Nichtvorlage eines Reisepasses mit der Begründung, er besitze keinen Reisepass und die nigerianische Botschaft könne auch keinen solchen ausstellen. Weiters verwies der Revisionswerber zur Begründung des Heilungsantrags auf seine Integrationsleistungen.
4Mit Bescheid vom 21. April 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.). Zugleich erließ es gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt III.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.). Weiters wurde der Antrag des Revisionswerbers auf Mängelheilung abgewiesen (Spruchpunkt V.).
5 In der dagegen erhobenen Beschwerde bekämpfte der Revisionswerber u.a. die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen ihn, verwies auf seinen beinahe zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und er beantragte weiters die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung.
6 Mit dem nun angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung die Beschwerde als unbegründet ab (Spruchpunkt A) und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
7 Begründend stellte das Verwaltungsgericht u.a. fest, der volljährige Revisionswerber leide an keinen schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen und sei arbeitsfähig. In Nigeria habe er die Grundschule besucht und sich anschließend seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Tomaten verdient. Seine Mutter, sein Bruder und seine Schwester würden nach wie vor in Nigeria leben und er stehe mit ihnen in Kontakt. Bis dato sei der Revisionswerber seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen, sondern im Bundesgebiet verblieben. Trotz eines Verbesserungsauftrags des BFA habe er bislang kein gültiges Reisedokument vorgelegt. Bereits seit längerem werde versucht, für den Revisionswerber ein Heimreisezertifikat auszustellen. An zwei näher genannten Terminen sei er jeweils mit Bescheid zu einem Interviewtermin zu einer Delegation von Nigeria geladen gewesen. Beiden Terminen sei er entschuldigt ferngeblieben. Der Revisionswerber sei zu keinem Zeitpunkt in Österreich einer der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit nachgegangen und beziehe „aktuell Leistungen von der staatlichen Grundversorgung“.
8 In rechtlicher Hinsicht erwog das Verwaltungsgericht soweit für das Revisionsverfahren wesentlichdie Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses, der für die Ausstellung des beantragten Aufenthaltstitels notwendig gewesen wäre, stelle eine Verletzung der Mitwirkungspflicht dar und rechtfertige eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte zurückweisende Entscheidung. Der Revisionswerber führe in Österreich kein Familienleben. Die Erlassung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung stelle somit keinen Eingriff in das Recht des Revisionswerbers auf Achtung des Familienlebens dar. Zu prüfen sei daher ein etwaiger Eingriff in sein Privatleben. Der Revisionswerber vermöge zwar eine lange Aufenthaltsdauer von etwa 9,5 Jahren ins Treffen zu führen, der inländische Aufenthalt sei jedoch durch eine illegale Einreise begründet worden und sei entweder ausschließlich auf seine unbegründeten zwei Anträge auf internationalen Schutz gestützt oder unrechtmäßig gewesen, weshalb er zu keinem Zeitpunkt über ein Aufenthaltsrecht, abgesehen vom vorübergehenden Aufenthaltsrecht aufgrund seiner Asylanträge, verfügt habe. Er habe sich von Anfang an seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein müssen und habe nicht annehmen dürfen, in Österreich bleiben zu können. Bei einer Gesamtbetrachtung fließe „mithinein“, dass kein tiefgreifender und umfassender Grad an Integration vorliege.
9Gegenständlich sei der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zurückzuweisen gewesen. Die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung habe sohin gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben können.
10 Der Revisionswerber erhob gegen dieses Erkenntnis zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Beschluss vom 10. Juni 2024, E 1637/2024 5, deren Behandlung ablehnte und die Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
11 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
12 Die Revision rügt in den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit (u.a.) das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
13 Bereits mit diesem Zulässigkeitsvorbringen erweist sich die Revision als zulässig; sie ist auch begründet.
14Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung wiederholt darauf hingewiesen, dass bei der Erlassung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen der Verschaffung eines persönlichen Eindrucks im Rahmen einer mündlichen Verhandlung besondere Bedeutung zukommt, und zwar sowohl in Bezug auf die Gefährdungsprognose als auch in Bezug auf die für die Abwägung nach Art. 8 EMRK (sonst) relevanten Umstände. Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der genannten Bestimmung kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis für ihn zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht einen positiven persönlichen Eindruck von ihm verschafft (vgl. etwa VwGH 13.11.2024, Ra 2022/17/0135 bis 0137, mwN).
15Im Zusammenhang mit einer Zurückweisung eines Antrages ist die Frage nach dem zulässigen Unterbleiben einer Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu beurteilen. Demnach kann eine Verhandlung (u.a.) dann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist. Dabei hat der Verwaltungsgerichtshof jedoch bereits klargestellt, dass es in den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG im pflichtgemäßen Ermessen des Verwaltungsgerichts liegt, selbst ohne Antrageine mündliche Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, mwN).
16Ein eindeutiger Fall lag hier jedoch nicht vor, zumal der Revisionswerber auch bereits in seiner Beschwerde auf substantiierte Weise seine Integration (insbesondere seinen langen Aufenthalt im Bundesgebiet, erworbene Sprachkenntnisse, eine Einstellungszusage, seine Unbescholtenheit) behauptet und die Durchführung einer Beschwerdeverhandlung beantragt hatte. Die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber wäre daher geboten gewesen (vgl. etwa VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214; 19.3.2025, Ra 2023/17/0070, 0071). Die Relevanz des gegenständlichen Verfahrensfehlers wird in der Revision auch dargelegt (zur erforderlichen Relevanzdarstellung außerhalb des Anwendungsbereiches des Art. 6 EMRK sowie des Art. 47 GRC vgl. etwa VwGH 15.3.2023, Ra 2022/22/0179, mwN).
17Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18 Die Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG unterbleiben.
19Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 29. August 2025