Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser und die Hofräte Dr. Fasching und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des L, vertreten durch Mag. Clemens Lahner, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Wien vom 12. September 2023, Zl. VGW 102/100/6097/20236, betreffend Zurückweisung einer Maßnahmenbeschwerde nach dem SPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Revisionswerber hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Mit Schriftsatz vom 8. Mai 2023 brachte der nunmehrige Revisionswerbervertreter (in der Folge: Vertreter) beim Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) für eine namentlich nicht genannte, mit „N. N. (von 27.03.2023 bis 28.03.2023 im PAZ Roßauer Lände zur Zl F10/4 angehaltener Häftling)“ bezeichnete Person eine gegen näher genannte Amtshandlungen der Organe der belangten Behörde gerichtete Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 BVG iVm § 88 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) ein.
2 In der Beschwerde wurde dazu ausgeführt, dass „N. N.“, im Zuge seiner erfolgten Festnahme und Anhaltung im Arrestantenwagen gegenüber den Sicherheitsorganen die Aussage verweigert und auch gegenüber der belangten Behörde seine Identität nicht preisgegeben habe, weil er befürchte, andernfalls (verwaltungs )strafrechtlich verfolgt zu werden. Die gegenständliche Beschwerde sei auch ohne Bekanntgabe der Identität des Beschwerdeführers zulässig; die Mitwirkung am Verfahren vor dem Verwaltungsgericht sei durch die Bevollmächtigung des ausgewiesenen Vertreters, der auch als Zustellbevollmächtigter agiere, sichergestellt.
3Mit Anordnung vom 16. Mai 2023 erließ das Verwaltungsgericht einen an „Häftling F10/4 N. N.“ gerichteten und zu Handen des Vertreters zugestellten „Verbesserungsauftrag sowie Auftrag zum Nachweis der Bevollmächtigung“ mit der Aufforderung, innerhalb von zwei Wochen die beschwerdeführende Partei namentlich zu bezeichnen (§ 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 3 AVG), sowie die entsprechende, auf den Vertreter ausgestellte Vollmacht zur Vertretung im gegenständlichen Beschwerdeverfahren unter Angabe des konkreten Vollmachtgebers (§ 10 Abs. 2 iVm § 13 Abs. 3 AVG) vorzulegen; bei Nichtbefolgung dieser Aufträge werde das durch den Vertreter eingebrachte Anbringen zurückgewiesen.
4 Der Vertreter übermittelte dem Verwaltungsgericht daraufhin wiederum in Vertretung von „N. N.“ eine Stellungnahme samt anonymisiertem Vollmachtsformular. Der Name bzw. die Identität des Beschwerdeführers wurden abermals nicht bekannt gegeben.
5Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht die Maßnahmenbeschwerde gemäß § 28 Abs. 6 und § 31 Abs. 3 VwGVG als unzulässig zurück und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG unzulässig ist. Der (nunmehrige) Revisionswerber wird in diesem Beschluss durchgehend mit „N. N.“ bezeichnet.
6 In der Zustellverfügung wurde die Zustellung des Beschlusses an „N. N.“, zu Handen des Vertreters, sowie weiters unmittelbar an den Vertreter (und zudem an die belangte Behörde) angeordnet.
7 Gegen diesen Beschluss erhob der Revisionswerber (nunmehr unter Angabe seines Namens und seiner Adresse) durch den Vertreter zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH). Mit Beschluss vom 26. Februar 2024, E 3571/2023 7, lehnte der VfGH die Behandlung der Beschwerde ab und wies die unter einem vom Vertreter im eigenem Namen gegen den Beschluss erhobene Beschwerde als unzulässig zurück.
8 Zur Ablehnung der Behandlung der vom Revisionswerber erhobenen Beschwerde führte der VfGH begründend aus, dass die gerügten Rechtsverletzungen hinsichtlich des Revisionswerbers keine spezifisch verfassungsrechtlichen Fragen aufwerfen würden.
9 Mit weiterem Beschluss vom 25. März 2024, E 3571/2023 9, trat der VfGH über nachträglichen Antrag die Behandlung der Beschwerde des Revisionswerbers gemäß Art. 144 Abs. 3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
10 Sodann erhob der Revisionswerber (unter Angabe seines Namens und Geburtsdatums) die vorliegende außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof, in der er vorbringt, die in der Maßnahmenbeschwerde bzw. im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht als „N. N.“ bezeichnete Person zu sein.
11 In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren erstattete die belangte Behörde eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurück , in eventu Abweisung der Revision sowie auf Erstattung des Schriftsatzaufwandes.
12 Die Revision ist nicht zulässig.
13Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 BVG u.a. die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sinngemäß anzuwenden. Dies gilt auch für das Verfahren über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 BVG (vgl. etwa VwGH 17.2.2015, Ra 2015/01/0022; 12.11.2019, Ra 2019/17/0014).
14Gemäß § 10 Abs. 2 AVG richten sich Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis nach den Bestimmungen der Vollmacht; hierüber auftauchende Zweifel sind nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen. Die Behörde hat die Behebung etwaiger Mängel unter sinngemäßer Anwendung des § 13 Abs. 3 leg. cit. von Amts wegen zu veranlassen.
Gemäß § 13 Abs. 3 AVG ermächtigen Mängel schriftlicher Anbringen die Behörde nicht zur Zurückweisung. Die Behörde hat vielmehr von Amts wegen unverzüglich deren Behebung zu veranlassen und kann dem Einschreiter die Behebung des Mangels innerhalb einer angemessenen Frist mit der Wirkung auftragen, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf dieser Frist zurückgewiesen wird. Wird der Mangel rechtzeitig behoben, so gilt das Anbringen als ursprünglich richtig eingebracht.
Gemäß § 13 Abs. 4 AVG gilt bei Zweifeln über die Identität des Einschreiters oder die Authentizität eines Anbringens Abs. 3 mit der Maßgabe sinngemäß, dass das Anbringen nach fruchtlosem Ablauf der Frist als zurückgezogen gilt.
15Gemäß § 9 VwGVG hat die Beschwerde zu enthalten:
1. die Bezeichnung des angefochtenen Bescheides oder der angefochtenen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls und Zwangsgewalt,
2. die Bezeichnung der belangten Behörde,
3. die Gründe, auf die sich die Behauptung der Rechtswidrigkeit stützt,
4. das Begehren und
5. die Angaben, die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob die Beschwerde rechtzeitig eingebracht ist.
Gemäß § 28 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen des Verwaltungsgerichts, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, durch Beschluss.
Bezeichnung der beschwerdeführenden Partei nach VwGVG
16Zwar enthält das VwGVG keine ausdrückliche Anordnung dahingehend, dass ein Beschwerdeschriftsatz die beschwerdeführende Partei namentlich zu bezeichnen hat. Dass daraus die Identität der beschwerdeführenden Partei in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise hervorzugehen hat, ergibt sich aber schon aus allgemeinen verfahrensrechtlichen Grundsätzen bzw. aus der Notwendigkeit, die (Prozessvoraussetzung der) Legitimation des Beschwerdeführers zu prüfen (vgl. Leeb in Hengstschläger/Leeb[Hrsg], AVG Ergänzungsband [2017], Rz 69 zu § 9 VwGVG).
17 Im Übrigen ist aus der im (Maßnahmen)Beschwerdeverfahren vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 17 VwGVG sinngemäß anwendbaren Bestimmung des § 13 Abs. 4 AVG das Erfordernis der zweifelsfrei feststehenden Identität des Einschreiters ableitbar.
18 Ein Recht auf „anonyme“ Beschwerdeerhebung vor den Verwaltungsgerichten besteht nach den dargelegten Grundsätzen nicht (vgl. demgegenüber etwa zur Anonymität nach dem HinweisgeberInnenschutzgesetz dessen § 6 Abs. 3).
19Die Beschwerde hat also neben den in § 9 VwGVG geforderten Angaben auch die Bezeichnung der die Beschwerde erhebenden Person(en) in einer Art zu enthalten, dass die Individualität des oder der Beschwerdeführer(s) bestimmbar ist (vgl. abermals Leeb, aaO, unter Hinweis auf VwGH 25.1.1994, 93/04/0172, zur Berufung nach AVG).
20 Diesem Erfordernis wurde im vorliegenden Fall weder durch die Bezeichnung „N. N.“ noch durch die Angabe der „Häftlingsnummer“ des Revisionswerbers entsprochen, zumal der Revisionswerber auch gegenüber der belangten Behörde bzw. den Sicherheitsorganen seine Identität nicht preisgegeben hatte.
Anwendung auf den Revisionsfall
21 Im vorliegenden Fall bestanden für das Verwaltungsgericht zunächst infolge der unterlassenen Angabe des Namens des Beschwerdeführers in der (Maßnahmen )Beschwerde und in der vom Vertreter vorgelegten Vollmacht nicht nur Zweifel bzw. Unkenntnis über die Identität des Beschwerdeführers, sondern auch Zweifel hinsichtlich des Vorliegens einer wirksamen Bevollmächtigung des Vertreters.
22 Es hat daher zu Recht die Behebung dieser beiden Mängel mit den genannten Verbesserungsaufträgen vom 16. Mai 2023 (vgl. Rn. 3) angeordnet.
23Dass dem auf die Bekanntgabe der Identität des Beschwerdeführers gerichteten Verbesserungsauftrag nicht entsprochen wurde, hatte zur Folge, dass das Verwaltungsgericht berechtigt war, die Maßnahmenbeschwerde gemäß § 13 Abs. 3 AVG iVm § 17 VwGVG nach fruchtlosem Ablauf der Mängelbehebungsfrist zurückzuweisen.
24Dahingestellt bleiben kann dabei, dass das Verwaltungsgericht in der vorliegenden Konstellation gemäß § 13 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG auch berechtigt gewesen wäre, die gegenständliche Maßnahmenbeschwerde als zurückgezogen anzusehen und das Verfahren einzustellen (vgl. zu § 13 Abs. 4 AVG iVm § 17 VwGVG VwGH 7.6.2022, Ra 2020/18/0435, Rn. 13, mwN). Der Revisionswerber selbst erklärt nämlich in der Revision, dass er die Maßnahmenbeschwerde erhoben habe; zudem ist er durch den Zurückweisungsbeschluss rechtlich nicht schlechter gestellt, als wenn das Verwaltungsgericht die Beschwerdewie in § 13 Abs. 4 AVG vorgesehenals zurückgezogen angesehen hätte (vgl. VwGH 27.6.2007, 2005/03/0238, zur vormaligen Berufung nach § 63 Abs. 3 AVG).
25 Entscheidend ist, dass dem Revisionswerber im gegenständlichen Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht mangels Nachweises der Bevollmächtigung des Vertreters (infolge der Nichtbefolgung des zweiten Verbesserungsauftrags vom 16. Mai 2023) auch keine Parteistellung zukam.
26Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist nämlich eine Eingabe bis zum Nachweis der Bevollmächtigung nicht dem (behaupteten) Machtgeber, sondern dem einschreitenden Vertreter zuzurechnen, sofern dieser eine für die Bevollmächtigung bzw. Vertretung geeignete Person ist (was im vorliegenden Fall angesichts des Umstandes, dass es sich beim Vertreter um einen Rechtsanwalt handelt, nicht in Zweifel stand). Der (behauptetermaßen) Vertretene hingegen ist diesfalls dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht nicht als Partei beizuziehen (vgl. VwGH 29.9.2016, Ra 2016/02/0198, mwN).
27Der Revisionswerber kann somit durch den angefochtenen Beschluss nicht in seinen Rechten verletzt sein, sodass die Revision schon aus diesem Grund mangels Berechtigung zu ihrer Erhebung gemäß § 34 Abs. 1 iVm Abs. 3 VwGG zurückzuweisen war.
28Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 14. August 2025