JudikaturVwGH

Ra 2023/21/0004 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätinnen Dr. Wiesinger und Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des D C M, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. Jänner 2023, W171 2264739 1/14E, betreffend Schubhaft, den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der 1974 geborene Revisionswerber, ein nigerianischer Staatsangehöriger, hielt sich zuletzt unangemeldet im Bundesgebiet auf. Er wurde am 23. Oktober 2022 bei der Begehung von Straftaten aufgegriffen, festgenommen und in der Folge in Untersuchungshaft genommen. Daraufhin erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) am 25. Oktober 2022 einen Festnahmeauftrag nach § 34 Abs. 3 Z 1 BFA VG.

2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 18. November 2022 wurde der bereits zweimal (2012 und 2016) wegen der Begehung von Suchtgiftdelikten vorbestrafte Revisionswerber sodann neuerlich wegen zwei Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz zu einer teilweise bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von acht Monaten (unbedingter Strafteil: zwei Monate) verurteilt, die er unter Anrechnung der Vorhaft bis zu seiner Entlassung am 23. Dezember 2022 verbüßte.

3Mit Bezug auf dieses strafbare Verhalten sprach das BFA mit Bescheid vom 29. November 2022 aus, dem Revisionswerber werde (von Amts wegen) kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 erteilt, es erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers (gemeint: nach Nigeria) zulässig sei. Außerdem erließ es gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein Einreiseverbot in der Dauer von fünf Jahren, erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFAVG die aufschiebende Wirkung ab und gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise. Dieser Bescheid wurde dem Revisionswerber am 7. Dezember 2022 in der Strafhaft zugestellt. Die dagegen mit Schriftsatz vom 27. Dezember 2022 erhobene Beschwerde wurde vom Rechtsvertreter des Revisionswerbers Anfang Jänner 2023 wieder zurückgezogen und der Revisionswerber am 14. Jänner 2023 nach Nigeria abgeschoben.

4 Am 23. Dezember 2022 war der Revisionswerber wie erwähnt aus der Strafhaft entlassen und umgehend auf Basis des Festnahmeauftrages vom 25. Oktober 2022 in Verwaltungsverwahrungshaft genommen worden.

5Mit Bescheid des BFA (ebenfalls) vom 23. Dezember 2022 wurde gegen den Revisionswerber nach dessen Einvernahme gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG die Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme sowie zur Sicherung der Abschiebung angeordnet und sofort in Vollzug gesetzt.

6Die dagegen erhobene Beschwerde vom 28. Dezember 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 3. Jänner 2023 als unbegründet ab und stellte fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen. Es traf diesem Verfahrensergebnis entsprechende Kostenentscheidungen. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG schließlich aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

7 Gegen dieses Erkenntnis des BVwG richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

8 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

10Unter diesem Aspekt macht die Revision zunächst geltend, es sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen worden, wonach das BFA seine Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten habe, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben könne (Hinweis auf VwGH 11.11.2021, Ra 2019/21/0266). Der Revisionswerber verfüge über einen Reisepass, sodass die Behörde verpflichtet gewesen wäre, seine Ausreise so zu organisieren, dass er „möglichst überhaupt nicht“ in Schubhaft hätte genommen werden müssen.

11 Ein derartiges Organisationsverschulden des BFA ist in keiner Weise zu erkennen, hat es doch dem Revisionswerber bereits kurz nach der strafgerichtlichen Verurteilung mit Schreiben vom 23. November 2022 Parteiengehör zur beabsichtigten Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Einreiseverbot eingeräumt, ihn dazu am 29. November 2022 vernommen, am selben Tag den diesbezüglichen Bescheid ausgefertigt und dem Revisionswerber noch während der Anhaltung in Strafhaft am 7. Dezember 2022 zugestellt.

12 Des Weiteren wird in der Zulässigkeitsbegründung ins Treffen geführt, die als Titel für die Abschiebung herangezogene Rückkehrentscheidung vom 29. November 2022 sei entgegen der Meinung des BVwG am 23. Dezember 2022 noch nicht „durchsetzbar“ gewesen, weshalb die an diesem Tag erfolgte Anordnung der Schubhaft rechtswidrig gewesen sei.

13 Diesem Vorbringen ist entgegen zu halten, dass die Rückkehrentscheidung im Hinblick auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde sehr wohl durchsetzbar war und deshalb wie schon an dieser Stelle anzumerken istauch zu Recht vom Vorliegen des Tatbestandes nach der Z 3 des § 76 Abs. 3 FPG ausgegangen wurde. Die noch nicht gegebene Durchführbarkeit der Rückkehrentscheidung (siehe dazu VwGH 5.3.2021, Ra 2020/21/0175, Rn. 17) zog aber nicht die Rechtswidrigkeit der gegen den Revisionswerber angeordneten und anschließend vollzogenen Schubhaft nach sich, weil sie primär zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme angeordnet wurde und somit jedenfalls ein ausreichender Schubhaftzweck gegeben war.

14 In der Zulässigkeitsbegründung der Revision bemängelt der Revisionswerber überdies nur, das BVwG habe bei Beurteilung der Fluchtgefahr und des Ausreichens eines gelinderen Mittels außer Acht gelassen, dass er durch seine ehemalige Lebensgefährtin und seine minderjährige Tochter „intensive Bindungen“ in Österreich aufweise und außerdem ausreisewillig sei. In diesem Zusammenhang rügt der Revisionswerber auch das Unterbleiben einer mündlichen Beschwerdeverhandlung.

15Die Frage, ob konkret von einem Sicherungsbedarf bzw. von Fluchtgefahr auszugehen ist, der nur durch Schubhaft und nicht auch durch gelindere Mittel begegnet werden könne, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes stets eine solche des Einzelfalles, die daher als einzelfallbezogene Beurteilung grundsätzlich nicht revisibel ist, wenn diese Beurteilung auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage in vertretbarer Weise vorgenommen wurde. Das gilt auch für die Frage der Verhältnismäßigkeit (vgl. dazu etwa VwGH 21.12.2021, Ra 2019/21/0411, Rn. 11, mwN).

16Das ist hier der Fall, wobei das BVwG bei seiner diesbezüglichen Beurteilung den in der Revision ins Treffen geführten Aspekt der (familiären) Bindungen des Revisionswerbers zu seiner minderjährigen Tochter und seiner ehemaligen Lebensgefährtin ohnehin ausreichend berücksichtigte und auch von einer im Fall der Enthaftung bei ihnen gegebenen Wohnmöglichkeit des Revisionswerbers ausging. Trotzdem durfte das BVwG im Hinblick auf das Fehlen sonstiger sozialer Kontakte, einer beruflichen Tätigkeit und ausreichender finanzieller Mittel zur Sicherung seines Unterhalts sowie angesichts des vom Revisionswerber zuletzt unangemeldeten Aufenthalts ohne festen Wohnsitz in Österreich vertretbar vom Vorliegen des Fluchtgefahrtatbestands nach der Z 9 des § 76 Abs. 3 FPG ausgehen. Dazu kommt, dass sich der Revisionswerber nach seinen Angaben regelmäßig in Ungarn, Spanien und Nigeria aufhält, also internationale Mobilität gezeigt hat. Auch das durfte vom BVwG bei der Beurteilung der Größe der Fluchtgefahr einbezogen werden. Nicht unvertretbar war auch die Annahme des BVwG zu einer mangelnden, für die Anwendung gelinderer Mittel aber grundsätzlich erforderlichen Vertrauenswürdigkeit des Revisionswerbers, weil er jahrelang falsche Identitätsangaben gemacht hatte und das BVwG insofern ein „Muster“ in seinem Verhalten erkannte, als er sich schon im Jahr 2016 nach Österreich begeben hatte, hier ohne Meldung aufgehalten hatte und Suchtgiftdelikte beging. Das wird in der Revision auch nicht konkret bestritten. Wegen der vom Revisionswerber neuerlich im einschlägigen Rückfall begangenen Straftaten im Bereich des besonders verpönten Suchtgifthandels (hier mit Kokain) durfte das BVwG im Sinne des § 76 Abs. 2a FPG auch das deshalb bestehende große öffentliche Interesse an einer baldigen Effektuierung einer Abschiebung des Revisionswerbers berücksichtigen und in Anbetracht der im Entscheidungszeitpunkt außerdem erst kurzen Dauer der Schubhaft von elf Tagen seine Anhaltung für verhältnismäßig erachten.

17Im Übrigen bedarf es nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umso weniger einer Begründung für die Nichtanwendung gelinderer Mittel je mehr das Erfordernis, die Effektivität der Abschiebung (hier zunächst: das Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen) zu sichern, auf der Hand liegt. Umgekehrt ist das Begründungserfordernis aber größer, wenn die Anordnung gelinderer Mittel naheliegt (vgl. etwa VwGH 31.8.2023, Ra 2023/21/0044, Rn. 25, mwN). In diesem Zusammenhang berücksichtigte das BVwG auch zu Recht, dass eine kurzfristige Abschiebung des Revisionswerbers möglich sei, zumal was in der Revision unbestritten bleibtdamals monatlich Abschiebungen im Luftweg nach Nigeria durchgeführt wurden und in diesem (wegen Vorliegens einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung) fortgeschrittenen Verfahrensstadium auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitlung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs durch Schubhaft reichen (vgl. dazu etwa VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0302, Rn. 14, mwN). In der Folge wurde der Revisionswerber wie erwähnt dann auch bereits am 14. Jänner 2023 in seinen Herkunftsstaat abgeschoben.

18 Es bestehen entgegen der Revisionfallbezogen auch keine Bedenken dagegen, dass das BVwG von der in der Beschwerde beantragten Einvernahme des Revisionswerbers sowie der ehemaligen Lebensgefährtin absah. Denn was die Möglichkeit der Wohnsitznahme bei seiner ehemaligen Lebensgefährtin und die Intensität der Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Tochter betrifft, hat das BVwG seinen Feststellungen ohnehin das Vorbringen bzw. die diesbezüglichen Angaben des Revisionswerbers zugrunde gelegt (dazu, dass bei Wahrunterstellung des Vorbringens insoweit von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, vgl. etwa VwGH 25.5.2023, Ra 2023/21/0037, Rn. 11, mwN).

19 Hinsichtlich der in der Revision an mehreren Stellen ins Treffen geführten Ausreisewilligkeit des Revisionswerbers durfte das BVwG jedoch der Sache nach davon ausgehen, dass dies im Sinne der zweiten Alternative des § 21 Abs. 7 BFA VG offenkundig nicht den Tatsachen entspricht. Diese Annahme des BVwG bestätigte sich schon dadurch, dass der Revisionswerber anlässlich des am 2. Jänner 2023, somit vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses geführten Rückkehrberatungsgesprächs nach dem Inhalt des diesbezüglichen Protokolls ausdrücklich angegeben hat, wegen des Bestehens eines Privat und Familienlebens in Österreich nicht rückkehrwillig zu sein. Im Übrigen tritt die Revision der in diesem Zusammenhang angestellten Überlegung des BVwG, gegen die behauptete Ausreisewilligkeit spreche eindeutig, dass der Revisionswerber keinen Antrag auf unterstützte freiwillige Ausreise nach Nigeria gestellt habe, nicht entgegen.

20 Insgesamt werden in der Revision somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG nach Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, mit Beschluss zurückzuweisen.

Wien, am 18. Dezember 2024