JudikaturVwGH

Ra 2020/21/0175 6 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz

Rechtssatz
05. März 2021

Da das Unionsrecht die konkreten Modalitäten des in Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungs-RL) vorgesehenen Rechtsbehelfs mit kraft Gesetzes aufschiebender Wirkung, der gegen die Rückkehrentscheidung eröffnet sein müsse, nicht genau festlege, verfügten die Mitgliedstaaten insoweit über einen gewissen Spielraum. Daher könne ein Mitgliedstaat im Rahmen der Regelung der Rechtsbehelfsverfahren gegen eine Rückkehrentscheidung hierfür einen spezifischen Rechtsbehelf zusätzlich zu einer Aufhebungsklage, der keine aufschiebende Wirkung zukomme und die ebenfalls gegen diese Entscheidung erhoben werden könne, vorsehen, sofern die anwendbaren nationalen Verfahrensregeln hinreichend genau, klar und vorhersehbar seien, damit der Rechtssuchende genau seine Rechte kennen könne (vgl. EuGH 30.9.2020, CPAS de Liège, C-233/19). Als derartiger spezifischer Rechtsbehelf kann im österreichischen Recht die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung angesehen werden. Sie muss aber in gleicher Weise wie eine der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung ex lege zukommende aufschiebende Wirkung sicherstellen, dass die sich insbesondere aus Art. 47 der Grundrechtecharta und dem Grundsatz der Nichtzurückweisung ergebenden Anforderungen erfüllt sind. Das setzt voraus, dass vor einer Durchführung der Rückkehrentscheidung die Rechtsmittelfrist und außerdem nicht nur die einwöchige Frist nach § 16 Abs. 4 BFA-VG 2014, sondern auch die (allenfalls verspätete) gerichtliche Entscheidung über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung abgewartet werden (vgl. VwGH 13.12.2018, Ro 2018/18/0008). Während sich die Wartepflicht bis zur gerichtlichen Entscheidung bei einer im asylrechtlichen Kontext ergangenen Rückkehrentscheidung insbesondere aus Art. 46 Abs. 6 und 8 der Verfahrens-RL ergibt, folgt sie hinsichtlich Rückkehrentscheidungen ohne Zusammenhang mit dem Anwendungsbereich der Verfahrens-RL aus dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes nach Art. 47 der GRC und (insbesondere) Art. 9 iVm Art. 13 der Rückführungs-RL, was ein Recht zum vorübergehenden Aufenthalt im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats bis zur Prüfung des Rechtsbehelfs durch die zuständige Behörde (hier: das VwG) beinhaltet. Dass diese Prüfung in einer förmlichen außenwirksamen Entscheidung zum Ausdruck kommen muss, folgt ebenfalls aus dem Gebot eines effektiven Rechtsschutzes, das nach der Rechtsprechung des EuGH entweder eine gesetzliche aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung oder einen einer solchen gleichkommenden Rechtsbehelf erfordert.

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