Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des G E, vertreten durch Mag. a Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Burggasse 116/17 19, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. August 2022, W215 2255536 1/7E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1988 geborene, ledige und kinderlose, unbescholtene Revisionswerber, ein mongolischer Staatsangehöriger, hielt sich ab Mitte 2015 auf Basis von Aufenthaltsbewilligungen als Studierender in Österreich auf. Zuletzt wurde ihm eine solche Aufenthaltsbewilligung mit Gültigkeit bis zum 17. August 2021 erteilt. Sein am 6. Juli 2021 eingebrachter Verlängerungsantrag wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 3. Dezember 2021 mit der Begründung abgewiesen, dass der Revisionswerber keinen Studienerfolg erbracht habe.
2 Daraufhin leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein Verfahren zur Erlassung einer Rückkehrentscheidung ein und sprach mit Bescheid vom 25. April 2022 aus, dass dem Revisionswerber von Amts wegen kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 erteilt werde (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers „nach“ Mongolei zulässig sei (Spruchpunkt III.), und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV.).
3 Die ausschließlich gegen die Spruchpunkte II. bis IV. dieses Bescheids erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. August 2022 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach es aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende nach Ablehnung einer an den Verfassungsgerichtshof erhobenen Beschwerde (VfGH 29.11.2022, E 2708/2022 8) und deren Abtretung (VfGH 23.1.2023, E 2708/2022 10) fristgerecht ausgeführte außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
5 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
6 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
7 In dieser Hinsicht wendet sich der Revisionswerber in der Zulässigkeitsbegründung der Revision gegen die vom BVwG gemäß § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung. Diesbezüglich wird vor allem bemängelt, das BVwG habe die Bindungen des Revisionswerbers zu seiner Mutter, seiner Schwester und seinem Stiefvater, mit denen er in einem gemeinsamen Haushalt lebe, wobei er von seiner Mutter und seinem Stiefvater neben Naturalunterhalt auch monatliche Geldleistungen erhalte, zu Unrecht bloß als „Privatleben“, nicht jedoch als „Familienleben“ im Sinne des Art. 8 EMRK qualifiziert.
8 Diesen Ausführungen ist zu erwidern, dass es darauf nicht entscheidungswesentlich ankommt, weil bei der vorzunehmenden Gesamtabwägung im Ergebnis die tatsächlich bestehenden Verhältnisse maßgebend sind, sodass es fallbezogen nur von untergeordneter Bedeutung ist, ob die beschriebenen Beziehungen als „Familienleben“ im Sinne der Z 2 oder als „Privatleben“ im Sinne der Z 3 des § 9 Abs. 2 BFA VG zu qualifizieren sind. Entscheidend ist somit nur, ob die vom BVwG nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung im Ergebnis vertretbar war und keinen maßgeblichen Begründungsmangel erkennen lässt; trifft dies zu, so liegt nämlich nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG vor (vgl. VwGH 30.4.2021, Ra 2021/21/0112, Rn. 8/9, mwN; zur Maßgeblichkeit des Vertretbarkeitskalküls siehe etwa auch VwGH 30.3.2023, Ra 2021/21/0028, Rn. 13, mwN). Ein solcher Fall liegt hier vor.
9 Das BVwG berücksichtigte nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verwertung des persönlichen Eindruckes vom Revisionswerber bei der Interessenabwägung nämlich ausreichend die Beziehung des Revisionswerbers zu seiner Mutter und zu seiner (volljährigen) Schwester, die sich bereits seit 2004 im Bundesgebiet befinden, und zu seinem österreichischen Stiefvater, mit denen er im gemeinsamen Haushalt lebt, sowie zu zwei weiteren in Österreich lebenden Verwandten (Tante und Cousine). Diesbezüglich stellte es auch fest, dass der Revisionswerber von der Mutter und dem Stiefvater finanziell unterstützt werde, zu ihnen jedoch kein (emotionales) Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Das BVwG stellte diesen familiären Bindungen und der rund siebenjährigen Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers in Österreich aber zu Recht gegenüber, dass er erst im Alter von 27 Jahren eingereist sei, somit den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat verbracht habe und im Fall der Rückkehr aufgrund seiner (in der Revision nicht bestrittenen) dort absolvierten universitären Ausbildung und der bereits dort gemachten Berufserfahrungen seinen Lebensunterhalt eigenständig erwirtschaften könne. Es durfte in die Abwägung auch relativierend einbeziehen, dass sich der Revisionswerber von Anfang an seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. So beruhte sein rechtmäßiger Aufenthalt zunächst auf bloß befristeten Aufenthaltsbewilligungen zu Ausbildungszwecken und er war seit rechtskräftiger Abweisung des letzten Verlängerungsantrages ab Anfang Dezember 2021 unrechtmäßig, wobei sich der Revisionswerber weigere, der deshalb bestehenden Ausreiseverpflichtung nachzukommen. Überdies so die unbekämpften Feststellungen des BVwG konnte der Revisionswerber schon seit der Ablegung der letzten positiven Prüfung im März 2020 keinen Studienerfolg mehr nachweisen und war danach auch nicht länger an der Universität inskribiert, sodass er nicht von der Zulässigkeit eines weiteren Aufenthalts (als Studierender) in Österreich ausgehen konnte. Weiters führte das BVwG die sehr guten Deutschkenntnisse des Revisionswerbers (zumindest auf dem Niveau B1) ohnehin zu seinen Gunsten ins Treffen, berücksichtigte zu Recht aber auch seinen mangelnden Studienerfolg und die mangelnde Selbsterhaltungsfähigkeit als gegen eine starke Integration sprechende Aspekte. Dass die vom BVwG festgestellte zeitweise Erwerbstätigkeit des Revisionswerbers als „Shopmitarbeiter“ und Küchenhilfe während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ausreichend gewesen sei, um seine Selbsterhaltungsfähigkeit zu gewährleisten, wird in der Revision auch nicht in Frage gestellt.
10 Soweit der Revisionswerber im Zusammenhang mit einer zur Darstellung eines „Familienlebens“ im Sinne des Art. 8 EMRK behaupteten Abhängigkeit von seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen auch die Beweiswürdigung des BVwG bemängelt, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (siehe erneut VwGH 30.3.2023, Ra 2021/21/0028, nunmehr Rn. 15, mit Hinweis auf VwGH 16.5.2019, Ra 2019/21/0056, Rn. 12, mwN). Dass die Beweiswürdigung in diesem Sinne unvertretbar wäre, ist nicht ersichtlich. Insbesondere folgte das BVwG ohnehin den Angaben des Revisionswerbers in der mündlichen Beschwerdeverhandlung, wonach er mit seinen Familienangehörigen im selben Haushalt lebe, von der Mutter und dem Stiefvater finanziell unterstützt werde, aber sonst keine (emotionale) Abhängigkeit bestehe und er sein eigenes Leben führen wolle. Angesichts der vom BVwG getroffenen Feststellungen ist auch nicht erkennbar, dass vom Revisionswerber diesbezüglich vorgelegte Schreiben seiner Familienangehörigen nicht ausreichend gewürdigt worden seien. Die in der Revision wiederholt ins Treffen geführte finanzielle Abhängigkeit von seiner Mutter und seinem Stiefvater liegt aber schon deshalb nicht vor, weil der Revisionswerber nach den unbekämpften Feststellungen des BVwG bei einer Rückkehr in die Mongolei (wie auch vor seiner Ausreise) „problemlos“ seinen Lebensunterhalt bestreiten könne.
11 Es ist fallbezogen auch nicht zu beanstanden, dass das BVwG von der in der Beschwerde beantragten Einvernahme der Mutter, des Stiefvaters und der Schwester des Revisionswerbers als Zeugen absah. Denn was die Intensität der Beziehung des Revisionswerbers zu diesen Familienangehörigen betrifft, hat das BVwG seinen Feststellungen, wie bereits ausgeführt, im Ergebnis ohnehin das Vorbringen bzw. die diesbezüglichen Angaben des Revisionswerbers zugrunde gelegt (dazu, dass bei Wahrunterstellung des Vorbringens von der Durchführung des Zeugenbeweises abgesehen werden kann, vgl. etwa VwGH 2.3.2023, Ra 2020/21/0018, Rn. 14, mwN).
12 Im Hinblick auf die Qualifikation des vorgelegten Arbeitsvorvertrages als bloßes Gefälligkeitsschreiben wird in der Revision ebenfalls keine gravierende Mangelhaftigkeit der Beweiswürdigung des BVwG im Sinne des in Rn. 10 genannten Maßstabes dargetan. Das BVwG stützte sich dabei nämlich in nachvollziehbarer Weise auf näher genannte Unstimmigkeiten im vorgelegten Schreiben.
13 Insgesamt gelangte das BVwG somit auf dem Boden seiner auf Grundlage einer nicht unschlüssigen Beweiswürdigung getroffenen Feststellungen unter Bedachtnahme auf alle wesentlichen Umstände des vorliegenden Falles nach gewichtender Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen individuellen Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung auf vertretbare Weise zum Ergebnis, dass die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber verhältnismäßig sei.
14 Die Revision war daher mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 25. Mai 2023