JudikaturVwGH

Ra 2022/19/0028 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
20. April 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Funk-Leisch und den Hofrat Dr. Eisner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Seiler, über die Revision 1. der M K, 2. des A K, 3. des I K, und 4. des J K, alle vertreten durch Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Dezember 2021, 1. W196 2213198 1/20E, 2. W196 2213191 1/22E, 3. W196 2213194 1/16E und 4. W196 2213195 1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl):

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten und des Status der subsidiär Schutzberechtigten sowie der Nichterteilung von Aufenthaltstiteln gemäß § 57 Asylgesetz 2005 wendet, zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird, soweit damit die Beschwerde gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in die Russische Föderation und die Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen wurde, hinsichtlich des Zweit- und des Drittrevisionswerbers wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie hinsichtlich der Erstrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat den Revisionswerbern Aufwendungen in der Höhe von jeweils € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 Die Revisionswerber sind Staatsangehörige der Russischen Föderation und gehören der tschetschenischen Volksgruppe an. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der minderjährigen Zweit- bis Viertrevisionswerber. Die Erstrevisionswerberin stellte für sich und die Zweit- bis Viertrevisionswerber am 23. Jänner 2018 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstrevisionswerberin begründete ihren Antrag im Wesentlichen damit, dass ihr Ehemann bzw. der Vater der Zweit- bis Viertrevisionswerber in Tschetschenien ermordet worden sei, weil er mit dem ehemaligen tschetschenischen Präsidenten Dudaev befreundet gewesen sei und mit diesem für die Befreiung Tschetscheniens gekämpft habe. Die tschetschenischen Behörden hätten die Erstrevisionswerberin daher, um Informationen über ihren Ehemann zu erlangen, eingesperrt, mit Waffen bedroht und vergewaltigt. Die Fluchtgründe der Zweit bis Viertrevisionswerber würden sich auf jene der Erstrevisionswerberin beziehen.

2 Mit Bescheiden vom 6. Dezember 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der Revisionswerber zur Gänze ab, erteilte ihnen keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen sie Rückkehrentscheidungen, stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobenen Beschwerden der Revisionswerber nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4 Das BVwG führte hinsichtlich des Fluchtvorbringens der Erstrevisionswerberin aus, dass sie dieses zwar im Kern gleichbleibend vorgetragen habe, ihre Fluchtgeschichte im Detail dennoch von Widersprüchen gezeichnet sei, weshalb ihr kein Glauben geschenkt worden sei. Alternativ stünde den Revisionswerbern eine innerstaatliche Fluchtalternative in Moskau offen und diese sei auch zumutbar. Zum subsidiären Schutz führte das BVwG aus, die Revisionswerber könnten ohne Gefährdung ihrer durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte in den Herkunftsstaat zurückkehren. Hinsichtlich der Rückkehrentscheidungen ging das BVwG davon aus, dass die Integration der Erstrevisionswerberin in Österreich nicht außergewöhnlich sei, weshalb kein unzulässiger Eingriff in ihr Recht auf Privatleben nach Art. 8 EMRK stattfinde. Auch unter Berücksichtigung des Kindeswohles hinsichtlich der Zweit- bis Viertrevisionswerber würden die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegen.

5 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene außerordentliche Revision nach Einleitung des Vorverfahrens eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 In der Zulässigkeitsbegründung wenden sich die Revisionswerber gegen die vom BVwG vorgenommene Beweiswürdigung und bringen vor, das BVwG habe entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die psychischen Erkrankungen der Erstrevisionswerberin bei der Würdigung ihres Fluchtvorbringens nicht berücksichtigt.

7 Die Revision wendet sich des Weiteren gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidungen und bringt dazu zusammengefasst vor, das BVwG sei von näher zitierter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es auf die Auswirkungen der Rückkehrentscheidungen auf das Kindeswohl nicht Bedacht genommen habe. Das angefochtene Erkenntnis lasse insbesondere eine Miteinbeziehung der festgestellten psychischen Erkrankungen und die Behandlungsbedürftigkeit des Zweit- und des Drittrevisionswerbers vermissen. Die unter psychischen Erkrankungen leidende Erstrevisionswerberin wäre aufgrund des Fehlens eines familiären Netzwerkes in der Betreuung der Zweit- bis Viertrevisionswerber auf sich alleine gestellt. Hinsichtlich der dem Zweitrevisionswerber angelasteten Gewalttätigkeit habe das BVwG es verabsäumt, sich mit den fallbezogenen Umständen zu befassen und sich lediglich auf eine Verdachtslage gestützt.

Ad. I.:

8 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 12.12.2022, Ra 2022/19/0228, mwN).

9 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung darauf hingewiesen, dass psychische Erkrankungen im Hinblick auf konstatierte Unstimmigkeiten im Aussageverhalten zu berücksichtigen sind (vgl. VwGH 26.4.2021, Ra 2021/20/0006, mwN).

10 Zum Einwand des beeinträchtigten Aussageverhaltens der Erstrevisionswerberin ist vorauszuschicken, dass die Erstrevisionswerberin am Beginn der Verhandlung bejaht hatte, dass sie physisch und psychisch in der Lage sei, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Gegenteiliges wurde auch während der Verhandlung nicht behauptet und die erkennende Richterin stellte keine Auffälligkeiten im Aussageverhalten der Erstrevisionswerberin fest. Inwieweit die psychischen Erkrankungen der Erstrevisionswerberin ihr Aussageverhalten tatsächlich beeinträchtigt hätten, legt die Revision nicht konkret dar.

11 Das BVwG setzte sich nach Durchführung der mündlichen Verhandlung mit den von der Erstrevisionswerberin geschilderten Vorfällen mit den tschetschenischen Behörden auseinander und kam anhand näher dargelegter, nicht als unschlüssig anzusehender Überlegungen beweiswürdigend zu dem Schluss, dem Fluchtvorbringen keinen Glauben zu schenken. Das BVwG stellte auch fest, dass die Erstrevisionswerberin an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depression und rezidivierenden Angstzuständen begleitet von Schwäche bis hin zu Synkopen leide.

12 Dem Revisionsvorbringen, wonach das BVwG insbesondere in Details zu zeitlichen Abläufen Widersprüche angenommen habe, ist zu entgegnen, dass sich das BVwG in seiner Beweiswürdigung nicht allein auf solche Widersprüche, sondern auch auf weitere, für sich betrachtet tragfähige Erwägungen stützte.

13 Den Revisionswerbern gelingt es somit nicht, aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung des BVwG zum Fluchtvorbringen in seiner Gesamtheit fallbezogen unvertretbar wäre.

14 Soweit in der Revision gerügt wird, das BVwG hätte, sofern es Zweifel am vorgelegten Schreiben des Ministerpräsidenten der tschetschenischen Exilregierung der das Fluchtvorbringen bestätigt habe hege, diesen „jedenfalls zu kontaktieren und gegebenenfalls zeugenschaftlich zu befragen gehabt“, macht sie Ermittlungsmängel geltend.

15 Werden Verfahrensmängel wie hier Ermittlungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei deren Vermeidung in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 17.5.2022, Ra 2022/19/0095, mwN).

Eine solche Relevanzdarstellung gelingt der Revision mit ihrem allgemein gehaltenen Vorbringen, wonach der Inhalt des Schreibens das Vorliegen einer Verfolgungsgefahr indiziere, nicht.

16 Die Revision bekämpft zwar das Erkenntnis seinem ganzen Umfang nach, wendet sich in ihrer gemäß § 34 Abs. 1a VwGG maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung aber nicht gegen die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten sowie der Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005.

17 Die Revision war daher insoweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der Asylberechtigten bzw. der subsidiär Schutzberechtigten, sowie die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 richtet, mangels Rechtsfrage im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.

Ad II.:

18 Zulässig und begründet ist die Revision mit ihrem Vorbringen zu den Rückkehrentscheidungen.

19 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 19.6.2020, Ra 2019/19/0475, mwN).

20 In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt die Notwendigkeit der Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme auf das Kindeswohl bei der nach § 9 BFA VG vorzunehmenden Interessenabwägung betont (vgl. erneut VwGH Ra 2019/19/0475, mwN). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind bei einer Rückkehrentscheidung, von welcher Kinder bzw. Minderjährige betroffen sind, die besten Interessen und das Wohlergehen dieser Kinder, insbesondere das Maß an Schwierigkeiten, denen sie im Heimatstaat begegnen, sowie die sozialen, kulturellen und familiären Bindungen sowohl zum Aufenthaltsstaat, als auch zum Heimatstaat zu berücksichtigen. Maßgebliche Bedeutung kommt hinsichtlich der Beurteilung des Kriteriums der Bindungen zum Heimatstaat nach § 9 Abs. 2 Z 5 BFA VG dabei den Fragen zu, wo die Kinder geboren wurden, in welchem Land und in welchem kulturellen und sprachlichen Umfeld sie gelebt haben, wo sie ihre Schulbildung absolviert haben, ob sie die Sprache des Heimatstaats sprechen, und insbesondere, ob sie sich in einem anpassungsfähigen Alter befinden (vgl. VwGH 21.11.2022, Ra 2021/19/0457, mwN).

21 Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Begründungspflicht hinsichtlich der Erkenntnisse der Verwaltungsgerichte gemäß § 29 VwGVG festgehalten, dass die Begründung jenen Anforderungen zu entsprechen hat, die in der Rechtsprechung zu den §§ 58 und 60 AVG entwickelt wurden. Dies erfordert in einem ersten Schritt die eindeutige, eine Rechtsverfolgung durch die Partei ermöglichende und einer nachprüfenden Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugängliche konkrete Feststellung des der Entscheidung zugrunde gelegten Sachverhaltes, in einem zweiten Schritt die Angabe jener Gründe, welche die Behörde im Falle des Vorliegens widerstreitender Beweisergebnisse in Ausübung der freien Beweiswürdigung dazu bewogen haben, gerade jenen Sachverhalt festzustellen, und in einem dritten Schritt die Darstellung der rechtlichen Erwägungen, deren Ergebnisse zum Spruch des Bescheides geführt haben. Diesen Erfordernissen werden die Verwaltungsgerichte dann gerecht, wenn sich die ihre Entscheidung tragenden Überlegungen zum maßgeblichen Sachverhalt, zur Beweiswürdigung sowie zur rechtlichen Beurteilung aus der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung selbst ergeben (vgl. etwa VwGH 11.1.2023, Ra 2020/19/0363, mwN).

22 Das BVwG stellte in dem angefochtenen Erkenntnis zum Gesundheitszustand des Zweit- und des Drittrevisionswerbers fest, dass sich diese in regelmäßiger Behandlung im Ambulatorium für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen aufgrund traumatisierender Erlebnisse befänden. Beim Zweitrevisionswerber bestehe eine erhöhte emotionale Instabilität und eine weitere psychotherapeutische Behandlung sei indiziert. Der Drittrevisionswerber habe eine allgemein erhöhte Angstbereitschaft und befinde sich weiterhin im Zustand einer posttraumatischen Belastungsstörung.

23 Es ist dem angefochtenen Erkenntnis wie die Revision zutreffend aufzeigt jedoch nicht zu entnehmen, aus welchem Grund das BVwG davon ausging, dass die nach den Feststellungen des BVwG an einer posttraumatischen Belastungsstörung, Depressionen und rezidivierenden Angststörungen leidende Erstrevisionswerberin, die für eine angemessene Unterkunft, sowie die Verpflegung der Zweit- bis Viertrevisionswerber durch eine Erwerbstätigkeit aufzukommen habe, die gesundheitliche Versorgung des Zweit- und Drittrevisionswerbers werde sicherstellen können und ob es im Hinblick auf die psychischen Beeinträchtigungen des Zweit- und des Drittrevisionswerbers Behandlungsmöglichkeiten in der Russischen Föderation gäbe. Insofern ließ das BVwG bei seiner Interessenabwägung gemäß § 9 BFA VG das Maß an Schwierigkeiten außer Acht, denen die Zweit- bis Viertrevisionswerber im Heimatstaat begegnen würden.

24 Die Revision bringt des Weiteren zutreffend vor, das BVwG habe dem Zweitrevisionswerber zu Unrecht wiederholtes gewalttätiges Verhalten zur Last gelegt, obwohl er strafrechtlich nie verurteilt worden sei.

25 Sowohl bei der im Rahmen der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem FPG vorzunehmenden Gefährdungsprognose als auch der Interessenabwägung nach § 9 BFA VG darf zwar auch ein vom Strafgericht allenfalls: noch nicht geahndetes Fehlverhalten berücksichtigt werden. Dafür bedarf es jedoch entsprechender, in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren getroffener Feststellungen zum Fehlverhalten und nicht bloß zu einer allfällig bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage (vgl. etwa VwGH 15.12.2021, Ra 2021/20/0328, mwN).

26 Das BVwG stellte fest, dass der Zweitrevisionswerber bereits (wiederholt) gewalttätig in Erscheinung getreten sei. Zwar sei ein gegen ihn gerichtetes Ermittlungsverfahren wegen versuchter schwerer Körperverletzung letztlich eingestellt, er aber erst kürzlich wegen des Verdachts der Begehung eines Raubes angezeigt worden. Auch wenn (noch) keine strafgerichtliche Verurteilung vorliege, trübe sein Verhalten dennoch seine positive Integration in Österreich.

27 Das BVwG traf zu den Tatvorwürfen keine Feststellungen und stützte sich demnach lediglich auf eine nicht weiter verifizierte Verdachtslage. Es hätte aber weiterer Ermittlungen etwa der Befragung des Zweitrevisionswerbers und konkreter Feststellungen bedurft, um von einem gewalttätigen Verhalten, das die vom BVwG festgestellte positive Integration des Zweitrevisionswerbers bei einer Gesamtbetrachtung beeinträchtigen könnte, ausgehen zu können.

28 Da das BVwG im Fall eines mängelfreien Verfahrens zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können, war das angefochtene Erkenntnis hinsichtlich des Zweit- und des Drittrevisionswerbers, soweit damit über die Erlassung von Rückkehrentscheidungen abgesprochen wurde und rechtlich davon abhängende Aussprüche getätigt wurden, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

29 Der Umstand, dass ein Erkenntnis eines Familienangehörigen aufgehoben wird, schlägt im Familienverfahren gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 auch auf die übrigen Familienmitglieder durch und führt zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit der sie betreffenden Entscheidungen (vgl. VwGH 15.6.2021, Ra 2020/19/0344, mwN). Eine etwaige dauerhafte Unzulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung betreffend den Zweit-, und den Drittrevisionswerber würde im Familienverfahren somit auch zu einer dauerhaften Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidungen betreffend die Erstrevisionswerberin und den Viertrevisionswerber führen.

30 Das angefochtene Erkenntnis war daher hinsichtlich der Erstrevisionswerberin und des Viertrevisionswerbers im spruchgemäßen Umfang wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

31 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47ff VwGG, insbesondere auf § 52 VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 20. April 2023

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