JudikaturVwGH

Ra 2023/17/0174 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
23. Oktober 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision 1. der K P, 2. der S B, und 3. des N B, alle vertreten durch Mag. Michael Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Mai 2023, L515 2162063 2/4E, L515 2162061 2/4E und L515 21620582/4E, betreffend Zurückweisung von Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 und weitere Aussprüche (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1.1. Die Revisionswerber sind armenische Staatsangehörige. Die Erstrevisionswerberin ist die Mutter der (im Jahr 1995 geborenen) Zweitrevisionswerberin und des (im Jahr 1998 geborenen) Drittrevisionswerbers.

1.2. Die Revisionswerber stellten nach illegaler Einreise in Österreich am 16. September 2015 Anträge auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Behörde) wies diese Anträge mit Bescheiden vom 30. Mai 2017 ab und sprach unter einem aus, dass den Revisionswerbern jeweils ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde, gegen sie eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Armenien festgestellt werde und eine 14 tägige Frist für ihre freiwillige Ausreise eingeräumt werde.

Das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: Verwaltungsgericht) wies die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden der Revisionswerber mit Erkenntnis vom 21. Jänner 2022 als unbegründet ab.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 18. März 2022 die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerber ab. Mit Beschluss vom 5. April 2022 trat der Verfassungsgerichtshof die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Der Verwaltungsgerichtshof wies die in der Folge erhobenen außerordentlichen Revisionen der Revisionswerber mit Beschluss vom 21. Juni 2022, Ra 2022/20/0140 bis 0142, zurück.

1.3. Die Revisionswerber verblieben unrechtmäßig im Bundesgebiet.

2.1. Am 30. September 2022 stellten die Revisionswerber jeweils einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005. Der Drittrevisionswerber stellte zudem einen Heilungsantrag gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG DV.

Die Behörde wies mit Bescheiden vom 29. März 2023 diese Anträge der Erstund der Zweitrevisionswerberin gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 sowie des Drittrevisionswerbers gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurück, weiters wies es den Heilungsantrag des Drittrevisionswerbers ab. Unter einem sprach die Behörde aus, dass gegen die Revisionswerber jeweils eine Rückkehrentscheidung erlassen werde, die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Armenien festgestellt werde, keine Frist für ihre freiwillige Ausreise eingeräumt werde und einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt werde.

2.2. Die Revisionswerber erhoben gegen diese Bescheide jeweils Beschwerde.

3.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Beschwerden der Erstund der Zweitrevisionswerberin gegen die Zurückweisung ihrer Anträge nicht Folge. Im Übrigen gab es den Beschwerden der beiden Folge und behob alle weiteren (sie betreffenden) Aussprüche. Der Beschwerde des Drittrevisionswerbers gab das Verwaltungsgericht in Bezug auf die Abweisung des Heilungsantrags mit der Maßgabe nicht Folge, dass es die Zurückweisung dieses Antrags aussprach. Weiters gab es der Beschwerde des Drittrevisionswerbers gegen die Zurückweisung seines Antrags gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 mit der Maßgabe nicht Folge, dass es die Zurückweisung dieses Antrags gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 aussprach. Im Übrigen gab es der Beschwerde Folge und behob alle weiteren (ihn betreffenden) Aussprüche.

Unter einem wies das Verwaltungsgericht den Antrag der Revisionswerber, ihrer Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, als unzulässig zurück.

3.2. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4.1. Gegen dieses Erkenntnis (der Sache nach freilich nur insoweit, als den Beschwerden gegen die behördlichen Bescheide nicht stattgegeben wurde) erhoben die Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 19. September 2023, E 1874 1876/2023 8, ablehnte und sie unter einem dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

4.2. In der Folge erhoben die Revisionswerber die hier gegenständliche außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachstehend näher erörterten Punkten behauptet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

5. Nach der soeben genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts die Revision (nur) dann zulässig, wenn diese von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

An den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

6.1. Unter diesem Gesichtspunkt machen die Revisionswerber zunächst geltend, das Verwaltungsgericht habe den Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision lediglich mit der sinngemäßen Wiedergabe des Art. 133 Abs. 4 B VG begründet. Eine solche Begründung werde jedoch den Anforderungen nicht gerecht, da sie nicht so kurz und inhaltsleer sein dürfe, dass die Parteien die Erfolgsaussichten einer Revision nicht beurteilen könnten.

6.2. Mit diesem Vorbringen gelingt es der Revision nicht, eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen. Einerseits beschränken sich die diesbezüglichen Ausführungen des Verwaltungsgerichts keineswegs bloß auf die sinngemäße Wiedergabe des Art. 133 Abs. 4 B VG.

Andererseits könnte selbst das Fehlen einer näheren Begründung des Ausspruchs gemäß § 25a Abs. 1 VwGG für sich betrachtet nicht dazu führen, dass die Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 BVG allein deshalb gegeben wären. Der Verwaltungsgerichtshof ist nämlich gemäß § 34 Abs. 1a VwGG an den nach § 25a Abs. 1 VwGG getätigten Ausspruch des Verwaltungsgerichts nicht gebunden, sondern überprüft die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision anhand der gemäß § 28 Abs. 3 VwGG dazu gesondert vorgebrachten Gründe (vgl. etwa VwGH 14.4.2021, Ra 2020/22/0257, Pkt. 3.2., mwN).

7.1. Die Revisionswerber relevieren weiters, die „belangte Behörde“ (offenbar gemeint: das Verwaltungsgericht) habe in Verkennung der maßgeblichen Bestimmungen der §§ 37 ff AVG das Ermittlungsverfahren mangelhaft geführt.

7.2. Soweit die Revisionswerber das Unterlassen einer entsprechenden Ermittlungstätigkeit als wesentlichen Verfahrensmangel monieren, ist darauf hinzuweisen, dass bereits in der Zulässigkeitsbegründung der Revision (auch) die Relevanz eines behaupteten Mangels für den Verfahrensausgang darzulegen ist (vgl. etwa VwGH 16.1.2018, Ra 2017/22/0212, Rn. 8, mwN).

Die Revisionswerber hätten daher konkret dartun müssen, welche weiteren tatsächlichen Ermittlungen das Verwaltungsgericht im Fall eines mängelfreien Verfahrens hätte durchführen müssen und inwiefern sich daraus eine für sie günstigere Sachverhaltsgrundlage hätte ergeben können. Eine wie hierim Rahmen der gesonderten Darstellung der Zulässigkeitsgründe nicht weiter konkretisierte und substanziierte Behauptung eines Verfahrensmangels reicht nicht aus, um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufzuzeigen (vgl. etwa VwGH 6.8.2019, Ra 2017/22/0020, Pkt. 4.2., mwN).

7.3. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob auf Basis eines konkret vorliegenden Stands der Ermittlungen ein ausreichend erhobener Sachverhalt vorliegt, oder ob noch weitere Beweisaufnahmen erforderlich sind, in der Regel sofern nicht von einem krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden Fehler auszugehen istkeine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, sondern eine jeweils einzelfallbezogen vorzunehmende Beurteilung darstellt (vgl. etwa VwGH 25.3.2024, Ra 2021/17/0014, Pkt. 6.2., mwN).

Vorliegend zeigen die Revisionswerber freilich nicht auf, inwiefern das Unterlassen einer weitergehenden Ermittlungstätigkeit nach Lage des Falls einen krassen, die Rechtssicherheit beeinträchtigenden und daher eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG aufwerfenden Fehler darstellen könnte.

8.1. Die Revisionswerber rügen ferner, die „belangte Behörde“ (offenbar gemeint: das Verwaltungsgericht) habe die beantragte Durchführung einer mündlichen Verhandlung um ihnen die Darlegung sämtlicher Gründe für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels im Beschwerdeverfahren zu ermöglichen unterlassen.

8.2. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt im Zusammenhang mit einer Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ausgesprochen, dass die Frage nach dem zulässigen Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG zu beurteilen ist. Demnach kann eine Verhandlung (unter anderem) dann entfallen, wenn der das vorangehende Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat ebenso bereits klargestellt, dass es in den Fällen des § 24 Abs. 2 VwGVG im Ermessen des Verwaltungsgerichts liegt, trotz Antrags eine Verhandlung nicht durchzuführen (vgl. etwa VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, Pkt. 7.2., mwN).

8.3. Vorliegend war das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung durch § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG gedeckt, zumal der das Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen war. Es ist nicht ersichtlich und wird auch in der Revision nicht dargetan, auf Grund welcher Umstände die Durchführung einer Verhandlung trotz Erfüllung des Tatbestands des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG in Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens des Verwaltungsgerichts dennoch geboten gewesen wäre (vgl. etwa auch VwGH 19.12.2019, Ra 2019/21/0341, Rn. 19, mwN; VwGH 29.3.2021, Ra 2017/22/0196, Pkt. 10.3.).

Soweit die Revisionswerber argumentieren, die Verhandlung hätte die Darlegung sämtlicher erkennbar gemeint: auch weiterer (bisher nicht vorgebrachter)Gründe für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels im Beschwerdeverfahren ermöglichen können, übersehen sie, dass es auf ein solches erst im Beschwerdeverfahren erstattetes Vorbringen fallbezogen nicht (mehr) ankommt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der von der Behörde unter dem Gesichtspunkt „entschiedene Sache“ vorgenommenen Antragszurückweisung ist nämlich gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 jener der Erlassung des behördlichen Bescheids (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, Pkt. 6.2., mwN, wonach für die betreffende Prüfung jene Umstände maßgeblich sind, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind). Auch ergibt sich schon aus dem Wortlaut des § 58 Abs. 10 AsylG 2005, dass Beurteilungsgrundlage für die Behörde nur das „Antragsvorbringen“ ist und das Verwaltungsgericht bloß die Richtigkeit der von der Behörde auf dieser Basis ausgesprochenen Zurückweisung zu prüfen hat (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, Pkt. 6.4., mwN; zum Ganzen etwa VwGH 22.1.2021, Ra 2020/21/0520, Rn. 15, mwN).

9.1. Die Revisionswerber machen schließlich geltend, der „belangten Behörde“ (offenbar gemeint: dem Verwaltungsgericht) sei zudem eine antizipierende Beweiswürdigung anzulasten.

9.2. Eine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung liegt dann vor, wenn ein vermutetes Ergebnis noch nicht aufgenommener Beweise vorweggenommen und die Beweisaufnahme deshalb abgelehnt wird (vgl. etwa VwGH 22.9.2022, Ra 2022/22/0117, Pkt. 5.2., mwN).

9.3. Vorliegend ist zunächst festzuhalten, dass die Revisionswerber eine antizipierende Beweiswürdigung nur ganz allgemein bzw. pauschal behaupten, ohne konkret darzulegen, inwiefern eine Vorwegnahme noch nicht erhobener Beweise im Sinn des Vorgesagten stattgefunden hätte.

Sollten die Revisionswerber eine antizipierende Beweiswürdigung in der Nichtdurchführung einer Verhandlung (zwecks Ermöglichung der Darlegung sämtlicher Gründe für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels) erblicken, ist ihnen entgegenzuhalten, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs das Unterlassen einer Verhandlung den erhobenen Vorwurf einer antizipierenden Beweiswürdigung nicht zu begründen vermag (vgl. etwa VwGH 14.4.2021, Ra 2020/22/0257, Pkt. 4.3., mwN).

Zudem kommt es fallbezogen wie schon gesagt (vgl. oben Pkt. 8.3.) auf weitere erst im Beschwerdeverfahren (in einer mündlichen Verhandlung) geltend gemachte Gründe für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht an und kann daher eine insofern allenfalls unterlassene Beweisaufnahme schon deshalb auch keine unzulässige antizipierende Beweiswürdigung begründen.

10. Insgesamt werden somit in derfür die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision allein maßgeblichen gesonderten Zulässigkeitsbegründung (vgl. etwa VwGH 14.4.2021, Ra 2020/22/0257, Pkt. 7., mwN) keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 23. Oktober 2024