JudikaturVwGH

Ra 2023/22/0011 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Mai 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Zettl, über die Revision des J O, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 24. Oktober 2022, LVwG 752767/6/BP/CK, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Aufenthaltskarte und Feststellung gemäß § 54 Abs. 7 NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1.1. Der Revisionswerber, ein im Jahr 1987 geborener nigerianischer Staatsangehöriger, stellte erstmals im Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz; als Fluchtgrund gab er an, dass ihm aufgrund seiner Homosexualität im Herkunftsstaat Verfolgung drohe.

Dieser Antrag wurde im Juli 2017 im Instanzenzug vom Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen; gegen den Revisionswerber wurde (unter anderem) eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt.

Der Revisionswerber blieb unrechtmäßig in Österreich.

1.2. Im August 2017 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag auf internationalen Schutz; als Fluchtgrund führte er neuerlich an, dass ihm aufgrund seiner Homosexualität im Heimatstaat Verfolgung drohe.

Nur wenige Wochen später (im Oktober 2017) schloss der Revisionswerber die Ehe mit K B, einer im Jahr 1966 geborenen österreichischen Staatsbürgerin.

Der Asylfolgeantrag wurde letztlich im März 2019 im zweiten Rechtsgang vom Bundesverwaltungsgericht rechtskräftig abgewiesen; gegen den Revisionswerber wurde (unter anderem) eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Nigeria festgestellt.

Der Revisionswerber verließ daraufhin (laut Meldedaten im Mai 2019) das Bundesgebiet und hielt sich fortan in Spanien auf. K B blieb in Österreich, besuchte jedoch den Revisionswerber wiederholt in Spanien und nahm dort (im Jahr 2021) für mehrere Monate ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch.

2.1. Nach der Rückkehr nach Österreich (laut Meldedaten im August 2021) stellte der Revisionswerber schließlich am 16. September 2021 beim Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz (im Folgenden: Behörde) unter Berufung auf seine Ehe mit K B den hier gegenständlichen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR Bürgers gemäß § 54 Abs. 1 NAG.

2.2. Diesen Antrag wies die Behörde unter anderem nach niederschriftlicher Vernehmung des Revisionswerbers und der K B am 2. Februar 2022 sowie nach Erstattung einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme durch den Revisionswerber am 10. Juni 2022 zunächst mit Bescheid vom 7. Juli 2022 gemäß § 10 Abs. 1 NAG zurück.

Der dagegen erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers gab die Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom 24. August 2022 dahingehend Folge, dass sie den Antrag wegen Vorliegens einer Aufenthaltsehe gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurückwies und feststellte, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle.

3.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 24. Oktober 2022 wies das (mit Vorlageantrag angerufene) Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (im Folgenden: Verwaltungsgericht) die Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und bestätigte die Beschwerdevorentscheidung vom 24. August 2022.

3.2. Das Verwaltungsgericht traf (bereits oben in Pkt. 1. und 2. wiedergegebene) Feststellungen zu den erfolglos gebliebenen Asylverfahren und zum Verlauf des hier gegenständlichen Verfahrens. Ferner stellte es soweit im Revisionsverfahren von Bedeutung fest, der Revisionswerber und K B führten keine durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägte Beziehung, es liege insbesondere keine Sexual und (durchgehende) Wohngemeinschaft vor, auch eine Wirtschaftsgemeinschaft könne nicht als gegeben angenommen werden.

3.3. Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen, gemäß § 54 Abs. 7 NAG sei ein Antrag nach Abs. 1 bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe zurückzuweisen und mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. Von einer Aufenthaltsehe sei gemäß § 30 Abs. 1 NAG auszugehen, wenn im Entscheidungszeitpunkt ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht (mehr) geführt werde.

Gegenständlich bestehe zwischen dem Revisionswerber und K B keine Geschlechts , Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft. Die beiden verbinde ein bloß formales Band der Ehe, ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK werde nicht geführt, die Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft sei auch zu keinem Zeitpunkt intendiert gewesen. Die Ehe in Verbindung mit der Inanspruchnahme der Freizügigkeit durch K B in Spanien habe lediglich dazu gedient, dem Revisionswerber ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht zu verschaffen. In Anbetracht dessen könne er sich für die Erteilung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 NAG nicht auf die Ehe mit K B berufen. Der betreffende Antrag sei daher gemäß § 54 Abs. 7 NAG wegen Vorliegens einer Aufenthaltsehe zurückzuweisen und festzustellen gewesen, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle.

3.4. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

4. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie Rechtswidrigkeit des Inhalts geltend machende außerordentliche Revision, in der ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs in den nachstehend näher erörterten Punkten behauptet wird.

Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG wird jedoch nicht aufgezeigt.

5. Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichts die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird.

An den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichts die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

6.1. Der Revisionswerber macht zunächst geltend, er sei von der Behörde (am 2. Februar 2022) ohne Dolmetscher auf Deutsch einvernommen worden. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 10. Juni 2022 habe er seine Angaben zwar erläutert und richtiggestellt, das Verwaltungsgericht habe dies aber nicht entsprechend berücksichtigt. Seine mangelhaften Angaben im Zuge der behördlichen Vernehmung hätten daher der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Wäre er von der Behörde (wie vom Verwaltungsgericht) zumindest auf Englisch befragt worden, wären Widersprüche zur Aussage der K B nicht aufgetreten.

6.2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs kann ein Verfahrensmangel nur dann zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung führen, wenn er sich auf diese auswirken konnte und daher wesentlich ist. Voraussetzung ist somit, dass das Verwaltungsgericht bei der Vermeidung des Mangels zu einer anderen für den Revisionswerber günstigeren Entscheidung hätte gelangen können. Die Mängelrüge bedarf einer diesbezüglichen konkreten Relevanzdarstellung, die auch eine Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revision ist (vgl. etwa VwGH 8.2.2021, Ra 2020/22/0251, Pkt. 4.1., mwN).

6.3. Dem wird das (oben wiedergegebene) Zulässigkeitsvorbringen nicht gerecht, beschränkt es sich doch darauf, zur Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels bloß ganz allgemein bzw. pauschal auszuführen, dass bei Unterbleiben des Mangels Widersprüche zur Aussage der K B nicht aufgetreten wären. Zu welchen unrichtigen Feststellungen der behauptete Mangel im Einzelnen geführt habe, welche anderen Feststellungen bei Unterbleiben des Mangels aufgrund welcher Angaben des Revisionswerbers vom Verwaltungsgericht hätten getroffen werden können und inwieweit dies letztlich zu einer anderen für den Revisionswerber günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. etwa auch VwGH 5.4.1995, 93/18/0353, Pkt. 3.2.), wird indessen nicht konkret und substanziiert dargetan und ist auch nicht ohne Weiteres zu sehen.

Demnach lässt die Mängelrüge bereits die erforderliche Relevanzdarstellung vermissen und ist die Anfechtung insofern nicht gesetzmäßig ausgeführt.

6.4. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass der Argumentation des Revisionswerbers, bei Vermeidung des Mangels wären Widersprüche zur Aussage der K B nicht aufgetreten, auch deshalb nicht gefolgt werden kann, weil der Revisionswerber zwar in der schriftlichen Stellungnahme vom 10. Juni 2022 seine Angaben bei der vorangehenden Vernehmung erläutert und richtiggestellt haben will. Allerdings blieb seine Darstellung weiterhin in zahlreichen Punkten mit Widersprüchen und Unstimmigkeiten (vor allem auch in Bezug auf die Angaben der K B) behaftet und traten im fortgesetzten Verfahren noch weitere Widersprüche bzw. Ungereimtheiten hinzu.

7.1. Der Revisionswerber bemängelt weiters, das Verwaltungsgericht habe die Aussage seiner Stieftochter, wonach ein liebevoller Umgang zwischen ihm und K B bestehe und keine Aufenthaltsehe vorliege, nicht zu seinen Gunsten gewürdigt, sondern begründungslos und unrichtig „als schwer nachvollziehbar eingestuft“. Das Verwaltungsgericht sei offenbar von Beginn an von einer Aufenthaltsehe ausgegangen und habe das Familienleben zwischen ihm und K B nicht entsprechend berücksichtigt.

7.2. Mit diesem Vorbringen wendet sich der Revisionswerber gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts.

Der Verwaltungsgerichtshof ist jedoch zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Die Beweiswürdigung ist einer Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nur insofern zugänglich, als es um die Beurteilung geht, ob die Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt wurden und ob die angestellten Erwägungen schlüssig im Sinn ihrer Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut sind. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG läge nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte (vgl. etwa VwGH 24.3.2023, Ra 2022/22/0050, Pkt. 6.2., mwN).

7.3. Vorliegend hält die Beweiswürdigung einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof nach den soeben dargestellten Kriterien stand.

Das Verwaltungsgericht traf die Feststellungen nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung auf Basis der abgelegten Beweisaussagen und der sonstigen Beweisergebnisse. Es setzte sich dabei mit den Beweisergebnissen eingehend auseinander und nahm unter Berücksichtigung des gewonnenen persönlichen Eindrucks von den Beweispersonen eine ausführliche Beweiswürdigung vor. Demnach gelangte es vor allem aufgrund der zahlreichen Widersprüche und Unstimmigkeiten in den Aussagen des Revisionswerbers und der K B zur Überzeugung, dass die Angaben der beiden über die Entfaltung eines Familienlebens und das Vorliegen einer (echten) Ehe als nicht zuverlässig und nicht glaubwürdig zu erachten seien.

Entgegen der Argumentation des Revisionswerbers setzte sich das Verwaltungsgericht auch mit der Aussage seiner Stieftochter auseinander und kam dabei mit Blick auf deren teils vage, teils gegenüber der Darstellung des Revisionswerbers und der K B widersprüchliche Angaben (etwa betreffend die Aufenthaltsdauer der K B in Spanien und die dortige Berufsausübung des Revisionswerbers bzw. der K B) zum Ergebnis, dass ihre Aussage ebenso nicht so zuverlässig sei, um daraus auf das Vorliegen einer (echten) Ehe schließen zu können.

7.4. Nach dem Vorgesagten stellte das Verwaltungsgericht die für die Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen nachvollziehbar dar, wobei nicht davon ausgegangen werden kann, dass diese Würdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre. Vielmehr ist die Schlüssigkeit der Erwägungen im Sinn ihrer Übereinstimmung mit den Denkgesetzen und der menschlichen Erfahrung gegeben und wurden die Beweisergebnisse auch in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt.

8.1. Der Revisionswerber releviert des Weiteren, er habe zwar (zunächst) auch in Österreich Beziehungen mit Männern gehabt, in der Folge aber K B kennen und lieben gelernt, worüber er mit Blick auf seine Familie in Nigeria, die ihn nunmehr von der Homosexualität geheilt erachte, sehr froh sei. Eine Aufenthaltsehe liege auch in Anbetracht dessen nicht vor. Das Verwaltungsgericht begründe wenn es davon ausgehe, dass er „wegen der zufriedengestellten Familie und daher aus anderen Motiven geheiratet“ habe nicht das von § 54 Abs. 7 NAG vorausgesetzte Vorliegen einer Aufenthaltsehe.

8.2. Soweit sich der Revisionswerber auch mit diesem Vorbringen der Sache nach gegen die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts wendet, kann auf die obigen Ausführungen (vgl. bereits Pkt. 7.) verwiesen werden, wonach gegen die Beweiswürdigung keine Bedenken bestehen, da die angestellten Erwägungen wobei diese auch auf die behauptete Homosexualität hinreichend Bezug nehmen jedenfalls nicht unschlüssig sind und die Beweise auch in einem ordnungsgemäßen Verfahren aufgenommen wurden.

8.3. Der ferner erhobene Vorwurf einer unzulänglichen Begründung in Bezug auf das Vorliegen einer Aufenthaltsehe kann ebenso nicht nachvollzogen werden. Nach den vom Verwaltungsgericht getroffenen Feststellungen führten der Revisionswerber und K B keine durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägte eheliche Beziehung und liege insbesondere keine Sexual und (durchgängige) Wohn und Wirtschaftsgemeinschaft vor. Im Hinblick darauf kam aber das Verwaltungsgericht ohne Rechtsirrtum zum Ergebnis, dass vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe auszugehen sei und daher der gegenständliche Antrag gemäß § 54 Abs. 7 NAG zurückzuweisen sowie festzustellen sei, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle.

9.1. Der Revisionswerber macht schließlich geltend, der erkennende Richter des Verwaltungsgerichts erwecke aufgrund seiner Mitarbeit in der „erzkonservativ“ katholischen Fokolar Bewegung im Bereich sexueller Gewalt bzw. sexueller Beziehungen in Verbindung mit seiner Wortwahl im „zynisch und beleidigend argumentierenden“ Erkenntnis den Anschein einer negativen Einstellung und damit Befangenheit gegenüber homosexuellen Menschen. Er hätte sich daher einer Entscheidung in der gegenständlichen Sache enthalten müssen.

9.2. Gemäß § 6 VwGVG haben sich die Mitglieder der Verwaltungsgerichte im Fall ihrer Befangenheit der Ausübung ihres Amtes zu enthalten. Dies bei sonstiger Mangelhaftigkeit des Verfahrens (vgl. etwa VwGH 20.4.2022, Ra 2020/14/0407, Rn. 24).

Befangenheit ist gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 AVG (die anderen Tatbestände des § 7 Abs. 1 AVG kommen fallbezogen nicht in Betracht) gegeben, wenn (sonstige) wichtige Gründe vorliegen, die geeignet sind, die volle Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs genügt es, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss auch wenn der Entscheidungsträger tatsächlich unbefangen sein sollte oder dass bei objektiver Betrachtung auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte. Für die Beurteilung, ob Befangenheit vorliegt, ist maßgebend, ob ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller konkreten Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit und objektiven Einstellung des Entscheidungsträgers zu zweifeln (vgl. etwa VwGH 25.6.2019, Ra 2018/19/0676, Rn. 13, mwN).

Der Vorwurf einer Befangenheit hat stets konkrete Umstände aufzuzeigen, die die Objektivität in Frage stellen oder zumindest den Anschein erwecken können, dass eine parteiische Entscheidung möglich ist (vgl. VwGH 6.9.2023, Ra 2022/09/0144, Rn. 31, mwN).

9.3. Vorliegend beruft sich der Revisionswerber zur Begründung der behaupteten Befangenheit des erkennenden Richters in erster Linie auf dessen Mitarbeit in der (behauptetermaßen) „erzkonservativ“ katholischen Fokolar Bewegung im Bereich sexueller Gewalt bzw. sexueller Beziehungen. Die diesbezügliche offenbar ehrenamtliche Tätigkeit stellt jedoch für sich genommen keinen Umstand dar, der Zweifel an der vollen Unbefangenheit begründen könnte. Der Revisionswerber scheint der Ansicht zu sein, die Unvoreingenommenheit des Richters sei allein schon deshalb zu bezweifeln, weil dieser in einer eher traditionell ausgerichteten kirchlichen Organisation im Bereich sexueller Gewalt bzw. sexueller Beziehungen mitarbeite. Einer solchen Auffassung kann nicht gefolgt werden, ist doch weder die Mitarbeit in der betreffenden Bewegung an sich, noch die konkrete Art der Betätigung (offenbar Unterstützung Hilfesuchender im Bereich sexueller Gewalt bzw. sexueller Beziehungen) bei objektiver Betrachtung und vernünftiger Würdigung aller Umstände auch nur im Ansatz geeignet, den Anschein einer Befangenheit insbesondere gegenüber homosexuellen Menschen zu begründen.

9.4. Der Revisionswerber will ferner in der Wortwahl des Richters im (vermeintlich) „zynisch und beleidigend argumentierenden“ Erkenntnis Hinweise auf eine Befangenheit erblicken. Er lässt in dem Zusammenhang jedoch ein konkretes Vorbringen vermissen, welche Äußerungen seiner Ansicht nach eine zynische und beleidigende Argumentation darstellen sollten, die die Objektivität des Richters in Frage stellen bzw. den Anschein seiner Parteilichkeit begründen könnte. Für seinen Standpunkt ist auch daraus nichts zu gewinnen, dass er (erstmals in den Revisionsgründen) beklagt, der Richter habe die Angaben der K B über ihre behauptete sexuelle Beziehung mit dem Revisionswerber als „obszön“ bezeichnet. Auch darin ist eher keine unangemessene Äußerung im Sinn einer gravierenden verbalen Entgleisung (vgl. zu solchen beispielsweise VwGH 18.2.2015, Ra 2014/03/0057, Pkt. IV.1.; neuerlich Ra 2018/19/0676, Rn. 17) zu erblicken, die bei objektiver Betrachtung und vernünftiger Würdigung aller Umstände das Fehlen der vollen Unvoreingenommenheit und Objektivität in Zweifel ziehen könnte.

9.5. Schließlich ist auch noch darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob ein Richter in einem Verfahren als befangen anzusehen ist, grundsätzlich bloß eine einzelfallbezogene Rechtsfrage darstellt, die die Zulässigkeit der Revision nur dann zu begründen vermag, wenn die Entscheidung des betreffenden Richters die Rechtssicherheit beeinträchtigen würde (vgl. VwGH 23.4.2021, Ra 2020/12/0014, Rn. 56).

Dass vorliegend das angefochtene Erkenntnis des vom Revisionswerber als befangen angesehenen Richters die Rechtssicherheit im Sinn des Vorgesagten beeinträchtigen würde, wird vom Revisionswerber nicht aufgezeigt.

10. Insgesamt wird daher in der maßgeblichen Zulässigkeitsbegründung (vgl. etwa VwGH 21.3.2017, Ra 2015/22/0147, Pkt. 3.1., mwN) keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

Die Revision war deshalb zurückzuweisen.

Wien, am 29. Mai 2024

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