Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Sasshofer, über die Revision der N C S in W, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7 11/15, gegen das am 17. Mai 2022 mündlich verkündete und am 16. August 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W251 2251478 11/9E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenausspruch (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Die Revisionswerberin, eine Staatsangehörige Serbiens, ist seit dem 3. November 2014 mit Wohnsitz in Österreich gemeldet. Sie erhielt am 23. Februar 2015 einen Aufenthaltstitel Studierende.
2 Die Revisionswerberin stellte jedoch keinen Verlängerungsantrag, sondern am 3. November 2016 einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung einer Aufenthaltskarte für Angehörige von EWR Bürgern, weil sie am 25. Juni 2016 einen ungarischen Staatsangehörigen geheiratet habe.
3 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. Mai 2020 wurde das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren aufgrund des Antrags der Revisionswerberin vom 3. November 2016 von Amts wegen wiederaufgenommen (Spruchpunkt I.) und dieser Antrag wurde zurückgewiesen, „da [die Revisionswerberin] nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts“ falle (Spruchpunkt II.).
4Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16. Dezember 2021 wurde der Revisionswerberin ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der Revisionswerberin nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.).
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) die dagegen erhobene Beschwerde ab (Spruchpunkt A) und erklärte die Revision für nicht zulässig (Spruchpunkt B).
6 Disloziert im Rahmen der Beweiswürdigung stellte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen fest, dass es vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe ausgehe, was sich (u.a.) aus dem rechtskräftigen Bescheid des Amtes der Wiener Landesregierung vom 26. Mai 2020 ergebe, „sodass auch von einer Bindungswirkung auszugehen“ sei. Die Revisionswerberin sei daher eine Aufenthaltsehe eingegangen, „um sich ihren Aufenthalt in Österreich zu erschleichen“.
7 In rechtlicher Hinsicht würdigte das Verwaltungsgericht diesen Sachverhalt u.a. dahingehend, dass nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes die fremdenpolizeiliche Feststellung, eine Ehe sei nur zum Schein geschlossen worden, nicht voraussetze, dass die Ehe für nichtig erklärt worden sei (Verweis auf VwGH 23.3.2010, 2010/18/0034).
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
11Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12In der gesonderten Zulässigkeitsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 3.6.2024, Ra 2024/17/0065, mwN).
13Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 3.6.2024, Ra 2023/17/0022, mwN).
Die Revisionswerberin bekämpft in ihrem Zulässigkeitsvorbringen dazu pauschal und ohne jegliche Bezugnahme auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Erkenntnis. Sie gesteht jedoch zugleich zu, nach wie vor „mit einem EU Bürger verheiratet zu sein“, aber aktuell „kein gemeinsames Privat und Familienleben“ zu führen. Worin die Revisionswerberin daher in dieser entscheidungswesentlichen Frage eine unrichtige Tatsachenfeststellung sieht, erschließt sich dem Verwaltungsgerichtshof nicht.
14Soweit die Revision im Zusammenhang mit der Rückkehrentscheidung auf § 66 FPG und das Vorliegen einer damit im Zusammenhang stehenden (Dauer)Aufenthaltskarte behauptet, übersieht sie, dass das diesbezügliche Verfahren mit rechtskräftigem Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 26. Mai 2020 wiederaufgenommen und zudem gemäß § 54 Abs. 7 NAG festgestellt wurde, dass die Revisionswerberin nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt (vgl. VwGH 7.6.2023, Ra 2021/21/0255, mwN). Zudem entfernt sie sich damit vom festgestellten Sachverhalt, wonach die Revisionswerberin die Ehe ausschließlich geschlossen habe, damit sie eine Aufenthaltsberechtigung für Österreich behalte, und sie nunmehr über keinen Aufenthaltstitel im Zusammenhang mit dieser Ehe mehr verfüge (vgl. zum Nichtvorliegen einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung, wenn sich das Zulässigkeitsvorbringen vom festgestellten Sachverhalt entfernt, etwa VwGH 20.9.2023, Ra 2021/17/0151, mwN), wogegen sich die Revisionswerberin in ihren Ausführungen zur Zulässigkeit seiner Revision auch nicht ausdrücklich wendet.
15Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurdenicht erfolgreich mit Revision bekämpft werden (vgl. VwGH 14.8.2024, Ra 2022/17/0015, mwN).
16Entgegen dem Revisionsvorbringen berücksichtigte das Verwaltungsgericht den langjährigen Aufenthalt der Revisionswerberin in Österreich sowie (u.a.), dass sie im Bachelorstudium seit März 2018 (erst) zwei Prüfungen bestanden habe, sie über zwei Arbeitsverhältnisse verfüge sowie sozial integriert sei, und es führte eine auf die im Revisionsfall maßgeblichen Umstände Bezug nehmende Interessenabwägung im Sinn von Art. 8 EMRK unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien durch. Es berücksichtigte insbesondere auch, dass die von der Revisionswerberin gesetzten Integrationsschritte durch die festgestellte Aufenthaltsehe als maßgeblich relativiert anzusehen seien.
17 Die im Wesentlichen auf Basis dieser Feststellungen durchgeführte Interessenabwägung des Verwaltungsgerichts erweist sich unter diesen Umständen als vertretbar. Zutreffend erachtete das Verwaltungsgericht nämlich die fast achtjährige Aufenthaltsdauer (und die sich daraus ergebenden persönlichen Interessen der Revisionswerberin an einem Verbleib in Österreich) insofern als maßgeblich relativiert, als diese insbesondere auch auf das Eingehen einer Aufenthaltsehe zurückzuführen ist. Die für die Revisionswerberin sprechenden Umstände durfte das Verwaltungsgericht somit im Hinblick auf die bereits im Jahr 2016 geschlossene Aufenthaltsehe, auf die sich die Revisionswerberin gegenüber der Niederlassungsbehörde im Zweckänderungsantrag vom 3. November 2016 rechtsmissbräuchlich berufen hatte, im Sinn der Z 7 des § 9 Abs. 2 BFAVG wegen des Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere gegen das Fremdenpolizeirecht, und wegen des deshalb unsicheren Aufenthaltsstatus als maßgeblich relativiert erachten (vgl. VwGH 1.8.2023, Ra 2023/17/0097 [ebenfalls zu einer Aufenthaltsehe], mwN).
18 Der Revision gelingt es somit nicht, eine Unvertretbarkeit der auch unter Verwertung des in der mündlichen Verhandlung von der Revisionswerberin gewonnenen persönlichen Eindrucks erfolgten Interessenabwägung aufzuzeigen.
19Ob die einzelfallbezogene Abwägung zur Rückkehrentscheidung, die zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt ist, in jeder Hinsicht zutrifft, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage dar (vgl. erneut VwGH 14.8.2024, Ra 2022/17/0015, mwN).
20 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 16. Dezember 2024