Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des N R, vertreten durch Mag. Petra Trauntschnig, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Schubertring 6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Juli 2021, W159 2243059 1/7E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der 1977 geborene Revisionswerber, ein serbischer Staatsangehöriger, ist seit August 2015 im österreichischen Bundesgebiet mit Hauptwohnsitz gemeldet und stellte am 28. August 2015 unter Berufung auf seine im Jänner 2015 in Rumänien geschlossene Ehe mit einer rumänischen Staatsangehörigen, die zumindest von Mai bis November 2015 ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich ausübte, einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte für Angehörige eines EWR Bürgers, dem die Niederlassungsbehörde im September 2015 entsprach.
2 Nach Scheidung dieser Ehe im Dezember 2017 stellte der Revisionswerber im Jänner 2018 einen (Zweckänderungs )Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“, dem die Niederlassungsbehörde ebenfalls (Gültigkeit bis 13. April 2019) entsprach, nachdem sie gemäß § 55 Abs. 3 NAG infolge der Scheidung der Ehe das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) befasst und dieses mitgeteilt hatte, kein Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen gegen den Revisionswerber einzuleiten. Am 14. März 2019 beantragte der Revisionswerber die Verlängerung seines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“.
3 Nachdem die Landespolizeidirektion Wien wegen des Verdachts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe Ermittlungen durchgeführt hatte, nahm der Landeshauptmann von Wien mit Bescheid vom 2. Oktober 2019 sowohl das Verfahren über den im August 2015 gestellten Antrag des Revisionswerbers auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (Spruchpunkt 1.a.) als auch das Verfahren über seinen Antrag vom Jänner 2018 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“ (Spruchpunkt 1.b.) von Amts wegen wieder auf und wies des Weiteren beide genannten Anträge sowie den Verlängerungsantrag vom März 2019 ab (Spruchpunkte 2.a. und 2.b.).
4 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem nach mündlicher Verhandlung am 6. Februar 2020 verkündeten und mit 27. Februar 2020 ausgefertigten Erkenntnis insofern statt, als es Spruchpunkt 1.a. (Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich der Ausstellung einer Aufenthaltskarte) und die Spruchpunkte 2.a. und 2.b. (Abweisung der drei Anträge) ersatzlos behob. Hinsichtlich der Wiederaufnahme des Verfahrens über den Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“ (Spruchpunkt 1.b.) wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde jedoch mit einer hier nicht weiter relevanten Maßgabe als unbegründet ab.
5 Das (neuerlich) gemäß § 55 Abs. 3 NAG, nunmehr auch vom Verwaltungsgericht Wien aufgrund des Verdachts des Bestehens einer Aufenthaltsehe, befasste BFA sprach daraufhin mit Bescheid vom 29. April 2021 aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (von Amts wegen) nicht erteilt werde, und es erließ gegen ihn gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG. Unter einem stellte das BFA gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien zulässig sei, und es erließ gegen ihn gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 8 FPG wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.
6 Der dagegen erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 15. Juli 2021 insofern statt, als es die Dauer des Einreiseverbots auf zwei Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die unter verschiedenen Gesichtspunkten die Unzulässigkeit der Rückkehrentscheidung und des damit verbundenen Einreiseverbots geltend machende vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, erwogen hat:
8 Die Revision erweist sich wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig und im Ergebnis auch als berechtigt.
9 Im vorliegenden Fall hatte der Revisionswerber, der sowohl in der Beschwerde als auch in der Revision der Annahme des Vorliegens einer Aufenthaltsehe entgegentrat bzw. entgegentritt, geltend gemacht, aufgrund seiner Ehe mit einer EWR Bürgerin begünstigter Drittstaatsangehöriger zu sein, und dem entsprechend wurde ihm auf Basis des in Rn. 4 erwähnten Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts Wien rechtskräftig eine Aufenthaltskarte erteilt. Im Zuge des (nach rechtskräftiger Wiederaufnahme nunmehr wieder) offenen Verfahrens über den Zweckänderungsantrag vom Jänner 2018 und über den diesbezüglichen, noch unerledigten Verlängerungsantrag vom März 2019, die auf dem durch die Aufenthaltskarte dokumentierten Aufenthaltsrecht aufbauen, wurde das BFA gemäß § 55 Abs. 3 NAG wegen des (schon ursprünglichen) Nichtbestehens eines von seiner Ehefrau abgeleiteten unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts des Revisionswerbers nach § 52 NAG hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst.
10 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Drittstaatsangehöriger, der mit einem sein Freizügigkeitsrecht in Österreich ausübenden EWR Bürger eine Ehe eingegangen war, auch dann, wenn diese Ehe als Aufenthaltsehe zu qualifizieren ist, als „begünstigter Drittstaatsangehöriger“ im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 11 FPG zu behandeln und demzufolge gegen ihn eine Ausweisung (und keine Rückkehrentscheidung) bzw. ein Aufenthaltsverbot (und kein Einreiseverbot) zu erlassen; und zwar jedenfalls solange keine rechtskräftige Feststellung im Sinne des § 54 Abs. 7 NAG vorliegt (vgl. etwa VwGH 30.3.2023, Ra 2021/21/0234, Rn. 15, mit Hinweis auf VwGH 7.10.2021, Ra 2021/21/0143, Rn. 13 bis 15, und auf VwGH 16.4.2021, Ra 2020/21/0462, Rn. 8 ff, mwN).
11 In Ermangelung eines rechtskräftig gewordenen Ausspruchs nach § 54 Abs. 7 NAG hätte das BVwG den Bescheid des BFA vom 29. April 2021 jedenfalls ersatzlos zu beheben gehabt. Eine Abänderung der vom BFA erlassenen Rückkehrentscheidung in eine Ausweisung (bzw. ein Aufenthaltsverbot) wäre nämlich von vornherein nicht in Betracht gekommen. Denn angesichts des unterschiedlichen normativen Gehalts von Rückkehrentscheidung (bzw. Einreiseverbot) einerseits und Ausweisung (bzw. Aufenthaltsverbot) andererseits kann nicht von „Sachidentität“ dieser Maßnahmen ausgegangen werden, sodass sie auch nicht „austauschbar“ sind (siehe VwGH 30.3.2023, Ra 2020/21/0080, Rn. 14, mit dem Hinweis auf VwGH 16.4.2021, Ra 2020/21/0462, Rn. 14 und Rn. 16, und VwGH 2.9.2021, Ra 2021/21/0087, Rn. 14/15).
12 Da das BVwG dies verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
13 Die Entscheidung über den Kostenersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 7. Juni 2023