Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des N P, vertreten durch Mag. Robert Bitsche, Rechtsanwalt in 1050 Wien, Nikolsdorfergasse 7 11/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. April 2023, W285 2259202 1/6E, betreffend Nichterteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und Einreiseverbot (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Dem Revisionswerber, einem serbischen Staatsangehörigen, wurde aufgrund seiner Ehe mit einer österreichischen Staatsangehörigen am 14. Mai 2014 ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ erteilt und mehrmals zuletzt aufgrund seines Verlängerungsantrages vom 16. Mai 2019 verlängert.
2 Mit Bescheid des Landeshauptmanns von Wien vom 21. November 2019 wurden die Verfahren hinsichtlich des Erstantrages und der Verlängerungsanträge gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen und alle Anträge abgewiesen. Ihre Entscheidung begründete die Behörde damit, dass es sich bei der 2. April 2013 geschlossenen Ehe um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 27. Oktober 2020 abgewiesen.
4 Am 7. Dezember 2020 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005.
5 Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 29. Juli 2022 abgewiesen. Unter einem erließ das BFA gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Serbien zulässig sei und gewährte ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen; zudem erließ es gegen ihn ein auf die Dauer von fünf Jahren befristetes Einreiseverbot.
6 Der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung insoweit Folge, als es die Dauer des Einreiseverbotes auf zwei Jahre herabsetzte; im Übrigen wies das BVwG die Beschwerde als unbegründet ab. Weiters sprach es aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
11 In der gesonderten Zulässigkeitsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 9.3.2023, Ra 2023/17/0035, mwN).
12 Die Revision wendet sich zunächst gegen die Beweiswürdigung. Dazu ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen ist. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 3.1.2023, Ra 2022/17/0198, mwN).
13 Eine derartige Unvertretbarkeit der gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung zeigt die Revision nicht auf, zumal das BVwG sämtliche auch in der Revision geltend gemachten Umstände ohnehin feststellte.
14 Der Revisionswerber bestreitet nicht das Eingehen einer im März 2022 geschiedenen Aufenthaltsehe, sondern verweist darauf, dass sein „Fehlverhalten“ vor mehr als zehn Jahren gesetzt worden sei und er sich „in der Zwischenzeit vollkommen wohl verhalten“ habe; dies sei im Zuge der Interessenabwägung zu Gunsten des Revisionswerbers zu beurteilen. Zudem habe der Revisionswerber über Aufenthaltstitel verfügt und sei auch seit Jahren beim gleichen Unternehmen beschäftigt.
15 Dazu ist zunächst auszuführen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 19.4.2023, Ra 2022/17/0232, mwN). Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbotes (vgl. dazu etwa VwGH 27.4.2023, Ra 2022/21/0138, mwN).
16 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. nochmals VwGH 19.4.2023, Ra 2022/17/0232, mwN).
17 Gemäß den Feststellungen des BVwG hält sich der Revisionswerber seit Mai 2014 in Österreich auf und hat im Bundesgebiet keine familiären Beziehungen. Zwei volljährige Söhne des Revisionswerbers lebten in Deutschland. Ein weiterer volljähriger Sohn und eine minderjährige Tochter des Revisionswerbers lebten bei der Kindesmutter in Serbien. Eine weitere volljährige Tochter sei verheiratet und habe „eine eigene Familie“. Der Revisionswerber sei unbescholten, beherrsche Deutsch auf dem Niveau A2 und gehe seit 2015 mit zahlreichen (auch mehrmonatigen Unterbrechungen in denen er auch Arbeitslosengeld bezogen habe) einer Erwerbstätigkeit als Arbeiter nach.
18 Die auf Basis dieser Feststellungen durchgeführte Interessenabwägung des BVwG erweist sich jedenfalls als vertretbar. Zutreffend erachtete das BVwG nämlich die knapp neunjährige Aufenthaltsdauer und sich daraus ergebenden persönlichen Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich insofern für maßgeblich relativiert, als diese auf das Eingehen einer Aufenthaltsehe zurückzuführen ist. Die für den Revisionswerber sprechenden Umstände durfte das BVwG somit im Hinblick auf die wenn auch bereits im Jahr 2013 geschlossene, allerdings bis März 2022 nicht geschiedene Aufenthaltsehe, auf die sich der Revisionswerber gegenüber der Niederlassungsbehörde sowohl bei seiner Erstantragstellung als auch in mehreren Verlängerungsverfahren rechtsmissbräuchlich berufen hatte, im Sinn der Z 7 des § 9 Abs. 2 BFA VG wegen des Verstoßes gegen das Einwanderungsrecht und dessen Z 8 wegen des deshalb unsicheren Aufenthaltsstatus als maßgeblich relativiert erachten (vgl. VwGH 1.6.2021, Ra 2021/21/0133, mwN). Das BVwG bezog auch zu Recht die Bindungen des Revisionswerbers zu seinem Heimatstaat in die Beurteilung (im Sinn der Z 5 des § 9 Abs. 2 BFA VG) ein, „zumal er dort bis zum Alter von etwa 41 Jahren gelebt hat“.
19 Vor diesem Hintergrund kann die vom BVwG gemäß § 9 BFA VG nach mündlicher Verhandlung auch unter Verwertung des persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber vorgenommene Interessenabwägung nicht als unvertretbar angesehen werden.
20 Entgegen den Ausführungen in der Revision hat das BVwG auch eine ausreichende Gefährdungsprognose vorgenommen, indem es davon ausging, aufgrund des Eingehens und Aufrechterhaltens einer Aufenthaltsehe nur zu dem Zweck, dem Revisionswerber ein Aufenthaltsrecht in Österreich zu verschaffen (vgl. § 53 Abs. 2 Z 8 FPG), sei anzunehmen, dass er neuerlich ein Verhalten setzen könnte, um die Regelungen über eine legale Niederlassung im Bundesgebiet zu umgehen. Dass diese im Einzelfall vorgenommene Gefährdungsprognose des BVwG unvertretbar erfolgt wäre, vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen, weil er in Anbetracht des wiederholten Berufens (im Zuge mehrerer Antragstellungen) auf die tatsächlich nicht bestehende Ehe sowie durch das rechtsmissbräuchliche Eingehen und jahrelange Aufrechterhalten der Ehe eine massive Störung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens bewirkt hat (vgl. VwGH 4.4.2023, Ra 2019/22/0140). Im Übrigen wurde dem Interesse des Revisionswerbers durch die Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbotes Rechnung getragen.
21 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 1. August 2023