Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des S M M (alias S A B) in G, vertreten durch Mag. Dr. Sebastian Siudak, Rechtsanwalt in 4040 Linz, Blütenstraße 15/5/5.13, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2022, L519 2196013 2/3E, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 56 AsylG 2005 und Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen sowie eines Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl),
I. den Beschluss gefasst:
Die Revision wird, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18. August 2022, 1088437610 210941824, (Erlassung eines befristeten Einreiseverbotes) richtet, als gegenstandslos geworden erklärt und das diesbezügliche Verfahren eingestellt.
II. zu Recht erkannt:
Spruch
Im Übrigen wird das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis V. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18. August 2022, 1088437610 210941824, abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte nach rechtswidriger Einreise nach Österreich am 23. September 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 1. Juni 2021 rechtskräftig abgewiesen wurde, wobei ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt wurde, eine Rückkehrentscheidung erging und festgestellt wurde, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, sowie eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gewährt wurde.
2 Am 13. Juli 2021 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 56 Abs. 1 AsylG 2005.
3 Mit Verbesserungsauftrag vom 11. Jänner 2022 forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) den Revisionsweber auf, u.a. ein gültiges Reisedokument vorzulegen.
4 Mit Schreiben vom 26. April 2022 beantragte der Revisionswerber die Heilung des Mangels der Vorlage eines Reisepasses bzw. eines Ersatzreisedokumentes.
5 Mit Bescheid vom 18. August 2022 wies das BFA den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 als unzulässig zurück (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag auf Mängelheilung gemäß § 4 Abs. 1 Z 3 iVm § 8 AsylG DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.). Unter einem erließ das BFA gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gegen den Revisionswerber (Spruchpunkt III.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt IV.), setzte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest (Spruchpunkt V.) und erließ gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG ein auf die Dauer von 18 Monaten befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VI.).
6 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab. Es sprach weiters aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
7 Das BVwG stellte soweit für das Revisionsverfahren relevant fest, der Revisionswerber habe bislang kein gültiges Reisedokument vorgelegt und nicht versucht, ein Heimreisedokument oder einen Notpass zu erlangen, sondern einen „Antrag auf Heilung des Mangels“ gestellt. Der Revisionswerber habe dazu ein Schreiben der irakischen Botschaft vorgelegt, in dem nur festgehalten worden sei, dass die Ausstellung eines Reisepasses nicht möglich sei. Die Erlangung eines gültigen Reisedokumentes, wozu auch ein Heimreisezertifikat oder ein Notpass zähle, wäre mit ausreichender Mitwirkung des Revisionswerbers sehr wohl möglich gewesen. Von der irakischen Botschaft in Wien würden nach wie vor entsprechende Freiwilligkeit vorausgesetzt Heimreisezertifikate ausgestellt. Letztlich ergebe sich für das BVwG aus dem Verhalten des Revisionswerbers, dass dieser einfach nicht gewillt sei, sich der österreichischen Rechtsordnung zu unterwerfen. Die Beschwerde sei daher abzuweisen gewesen.
8 Eine mündliche Verhandlung habe nach § 21 Abs. 7 BFA VG und § 24 VwGVG entfallen können.
9 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der mit Erkenntnis vom 15. März 2023, E 265/2023 13, den Spruchteil des angefochtenen Erkenntnisses betreffend die Erlassung eines auf 18 Monate befristeten Einreiseverbotes (Spruchpunkt VI. des Bescheides des BFA vom18. August 2022, 1088437610 210941824) wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes aufhob. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
10 In der Folge erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision, die sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung gegen die Beweiswürdigung des BVwG sowie gegen das Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung wendet und Feststellungsmängel vorbringt.
11 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.
Zu Spruchpunkt I:
12 Mit Erkenntnis vom 15. März 2023, E 265/2023 13, hob der Verfassungsgerichtshof den Spruchteil des angefochtenen Erkenntnisses betreffend die Erlassung eines auf 18 Monate befristeten Einreiseverbotes wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes auf. Im Übrigen wurde die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
13 Gemäß § 33 Abs. 1 erster Satz VwGG ist, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach seiner Anhörung die Revision mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen. Ein solcher Fall der formellen Klaglosstellung liegt (u.a.) dann vor, wenn die angefochtene Entscheidung wie hier der in Revision gezogene Spruchteil des angefochtenen Erkenntnisses durch den Verfassungsgerichtshof aus dem Rechtsbestand beseitigt wurde (vgl. VwGH 31.1.2023, Ra 2022/20/0122, mwN).
14 Es war daher die Revision nach Anhörung des Revisionswerbers, der gegenüber dem Verwaltungsgerichtshof erklärte, dass im Hinblick auf den Revisionsteil, der sich gegen die Abweisung der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des Bescheides des BFA vom 18. August 2022 richtet, kein rechtliches Interesse mehr bestehe in Bezug auf das befristete Einreiseverbot gemäß § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen (Spruchpunkt I).
Zu Spruchpunkt II.
15 Im Übrigen, soweit mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis V. des Bescheides des BFA vom 18. August 2022 abgewiesen wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
16 Die Revision erweist sich im Hinblick auf das Zulässigkeitsvorbringen als zulässig und begründet.
17 Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 13.7.2022, Ra 2022/17/0035, mwN).
18 Das BVwG begründete die Abweisung des Antrages auf Mängelheilung im Wesentlichen mit einer Verletzung der Mitwirkungspflicht durch den Revisionswerber, weil er kein gültiges Reisedokument vorgelegt und auch die Unmöglichkeit bzw. Unzumutbarkeit der Beschaffung dieses Dokuments nicht habe nachweisen können. Der Revisionswerber habe zwar eine Bestätigung der irakischen Botschaft, wonach die Ausstellung eines Reisepasses nicht möglich sei, vorgelegt; allerdings würden von der irakischen Botschaft in Wien nach wie vor Heimreisezertifikate bzw. Notpässe ausgestellt.
19 Dagegen bringt die Revision vor, dass das BVwG nicht auf die vorgebrachten Bemühungen des Revisionswerbers, ein Reisedokument zu erlangen, eingegangen sei. Vielmehr gehe das BVwG davon aus, dass die irakische Botschaft in Wien Heimreisezertifikate oder Notreisepässe ausstelle, wobei dem Revisionswerber keine Möglichkeit gegeben worden sei, sich zu dieser Annahme zu äußern. Der Revisionswerber hätte dem BVwG im Rahmen einer mündlichen Verhandlung erklären können, was er unternommen habe, um ein Reisedokument zu erhalten.
20 Weder aufgrund der beweiswürdigenden Ausführungen des BVwG noch aufgrund des Inhalts des Verwaltungsaktes lässt sich nachvollziehbar entnehmen, dass die irakische Botschaft dem Revisionswerber bei entsprechender Freiwilligkeit ein Reisedokument ausgestellt hätte. Das BVwG setzte sich nicht mit dem Vorbringen des Revisionswerbers, wonach er bereits mehrmals wegen der Ausstellung eines Reisedokumentes bei der irakischen Botschaft in Wien gewesen sei, auseinander, sondern verwies auf eine „fehlende Freiwilligkeit“ des Revisionswerbers, die nicht weiter begründet wurde. Aus diesen Gründen liegt demnach keine schlüssige Beweiswürdigung vor (vgl. etwa VwGH 21.12.2021, Ra 2020/21/0136, mwN).
21 Außerdem durfte das BVwG angesichts der vom Revisionswerber vorgelegten Bestätigung der irakischen Botschaft, die zu den Feststellungen des BVwG im Widerspruch steht, nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen und von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung absehen. Denn diese Voraussetzungen lagen im Hinblick des Beschwerdevorbringens des Revisionswerbers betreffend seine Bemühungen zur Erlangung eines Reisedokuments und den erfolglosen Versuchen seines Rechtsvertreters nicht vor. Da die Nichtvorlage eines gültigen Reisepasses grundsätzlich nur dann eine auf § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 gestützte Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 56 AsylG 2005 rechtfertigt, wenn es nicht zu einer Heilung nach § 4 AsylG DV 2005 zu kommen hat (vgl. VwGH 4.3.2020, Ra 2019/21/0214, mwN), hätte das BVwG im Hinblick auf die strittige Frage der Möglichkeit und Zumutbarkeit der Beschaffung dieses Dokuments somit jedenfalls die in der Beschwerde beantragte mündliche Verhandlung abhalten müssen.
22 Da dies nicht erfolgt ist, war das angefochtene Erkenntnis sowohl hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf Mängelheilung (Spruchpunkt II.) und die darauf gegründete Zurückweisung des Antrages nach § 56 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) als auch bezüglich der darauf aufbauenden Aussprüche (Spruchpunkte III. bis V.) gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
23 Die Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 und 5 VwGG unterbleiben.
24 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 3. Juni 2024