16R97/25i – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichtes Mag. Elhenicky und Mag. Ingemarsson in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) A* B* , **, und 2.) C* B* , **, beide vertreten durch Rechtsanwaltspartnerschaft Kolarz Augustin Mayer in Stockerau, wider die beklagten Parteien 1.) D* E*, **, 2.) F* E* , ** und 3.) G*, **, alle vertreten durch Sattleger, Dorninger, Steiner Partner Rechtsanwaltssocietät in Wien, wegen EUR 32.000, sA, infolge der Berufung der klagenden Parteien (Berufungsinteresse: Erstkläger: EUR 14.400,--; Zweitkläger: EUR 15.100,--) gegen das Urteil des Landesgerichtes Korneuburg vom 28.3.2025, GZ ** 50, nach nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagenden Parteien sind je zur Hälfte schuldig, den beklagten Parteien die mit insgesamt EUR 3.765,12 (darin enthalten EUR 627,52 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die Revision ist hinsichtlich beider klagenden Parteien jeweils nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Am 16.11.2022 ereignete sich gegen 17:20 Uhr im Ortsgebiet von ** auf der L14 auf Höhe der Trafik auf dem Schutzweg ein Verkehrsunfall, an dem der Vater der Kläger, H* B*, als Fußgänger und der Erstbeklagte als Lenker des von der Zweibeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten zum Unfallzeitpunkt haftpflichtversicherten Fahrzeuges ** mit dem behördlichen Kennzeichen ** („Beklagtenfahrzeug“) beteiligt waren.
Das Alleinverschulden am Zustandekommen des Verkehrsunfalles trifft den Erstbeklagten.
Die Kläger sind die erwachsenen Söhne von H* B*. Es bestand und besteht jeweils eine gute, vertrauensvolle Vater-Sohn Beziehung mit regelmäßigen wöchentlichen persönlichen Kontakten.
Der Erstkläger, der kurz nach dem Unfall an die Unfallstelle kam, war vom Anblick seines blutenden auf der Straße liegenden Vaters schockiert und dachte, dass sein Vater innerlich verletzt sei. Er informierte den Zweitkläger, der auch geschockt war. Am Folgetag erfuhren die Kläger vom Krankenhaus, dass ihr Vater Rippenbrüche, eine Knieverletzung, eine Knöchelverletzung habe und operiert werden müsse. Kurz danach musste H* B* aufgrund von Atemproblemen intubiert werden. Ein Arzt sagte dem Erstkläger, dass es schlecht aussehe und er von seinem Vater Abschied nehmen solle, der Vater werde das wahrscheinlich nicht überleben. Der Erstkläger informierte den Zweitkläger von dieser Nachricht.
Der Erstkläger weinte, fühlte sich sehr belastet und hatte Angst, sein Vater würde sterben. Er machte sich Sorgen um seine Mutter und deren Existenz. Er erlitt infolge des Unfalls eine Anpassungsstörung, die schließlich nach der Rehabilitation des Vaters vollständig abklang. Zusammengefasst litt der Erstkläger ausgelöst durch die Unfallsnachricht, wonach sein Vater körperlich verletzt wurde und der Meinung, dieser sei in Lebensgefahr, zwei Tage mittelgradige Schmerzen und neun Tage leichte Schmerzen.
Der Zweitkläger hatte Schlafstörungen und sorgte sich um das Überleben seines Vaters. Die Anpassungsstörung des Zweitklägers klang ebenso wie beim Erstkläger im Verlaufe der Rehabilitation des Vaters sukzessive ab. Ausgelöst durch die Unfallnachricht erlitt der Zweitkläger zusammengefasst 1 Tag mittelgradige und 5 Tage leichte Schmerzen.
Erste Anzeichen, dass der Vater den Unfall überleben würde, erhielten die Kläger im Jänner 2023, als sich der Zustand nach einer Lungenpunktation besserte.
H* B* erlitt infolge des Unfalls vom 16.11.2022 zusammengefasst mehrere Brüche der Rippen sowie an den Beinen und eine Lungenprellung. Aufgrund der unfallkausal erlittenen Verletzungen in Zusammenschau mit dem deutlich reduzierten Allgemeinzustand des Vaters bestand ab initio eine konkrete Gefahr einer dauerhaften Pflegebedürftigkeit. H* B* ist unfallkausal zu 60% berufsunfähig.
II. Die Kläger begehrten jeweils EUR 16.000,-- Trauerschmerzengeld für den von ihnen erlittenen Schock- und Trauerschaden.
Dazu brachten sie vor, dass der Erstbeklagte den Unfall grob fahrlässig verursacht habe. Er sei vom nahe gelegenen Parkplatz des Supermarktes I* ausgefahren. Schon mindestens 100 bis 150 m vor der Unfallstelle sei der Schutzweg erkennbar gewesen. Zudem sei der Erstbeklagte ortskundig, und die Unfallstelle sei übersichtlich und im Unfallzeitpunkt mit Straßenlaternen beleuchtet gewesen. Der Erstbeklagte hätte daher bei gehöriger Aufmerksamkeit und Einhaltung der gebotenen Sorgfalt den den Schutzweg querenden Vater der Kläger zeitgerecht erkennen können; er verantworte einen groben Aufmerksamkeitsfehler.
Der Erstbeklagte habe eine absolut überhöhte, zumindest eine im Hinblick auf die Straßen- und Sichtverhältnisse relativ überhöhte Geschwindigkeit eingehalten. Unter Berücksichtigung der schlechten Witterung und der schlechten Sichtverhältnisse wäre die Einhaltung einer maximalen Höchstgeschwindigkeit von unter 10 km/h angezeigt gewesen, wohingegen der Erstbeklagte zumindest mit 30 km/h kollidiert sei. Der Erstbeklagte habe daher die angemessene Geschwindigkeit um mehr als das Dreifache überschritten. Dies stelle vor allem im Hinblick auf seine Ortskundigkeit und seinem Wissen über den Schutzweg eine grob fahrlässige Vorgangsweise dar.
Zudem verantworte der Erstbeklagte eine wesentliche Reaktionsverspätung, weil er in Annäherung an den Schutzweg damit hätte rechnen müssen, dass Fußgänger den Schutzweg benützen würden. Es sei bei der Annäherungssituation durch den Erstbeklagten ein Fahrzeug im Gegenverkehr vor dem Schutzweg gestanden. Dies hätte schon deshalb auffällig gewesen sein müssen, weil die einzige Erklärung für das Stehenbleiben des Gegenverkehrs ein Fußgänger hätte sein können.
Ihr Vater sei bei diesem Verkehrsunfall lebensgefährlich verletzt worden und mit dem Rettungshubschrauber in das J* gebracht worden. Der Erstkläger sei beim gegenständlichen Verkehrsunfall vor Ort gewesen, er habe gedacht, dass der Vater den Transport nicht überleben werde. Auch in weiterer Folge habe aufgrund des langen Aufenthalts auf der Intensivstation eine große Unsicherheit und akute Lebensgefahr bestanden, und man habe den Klägern und anderen Angehörigen mitgeteilt, dass H* B* den Verkehrsunfall nicht überleben werde.
Zwischen dem Vater und den Klägern habe eine intensive Gefühlsgemeinschaft bestanden und bestehe auch derzeit, die über eine typische, zwischen Angehörigen bestehende Gefühlsgemeinschaft hinausgehe; sie hätten einander familiär und beruflich regelmäßig und wiederkehrend unterstützt. Die Kläger seien daher vom Vorfall in erhebliche Unruhe versetzt, geschockt und traumatisiert gewesen und hätten krankheitswertige psychische Beeinträchtigungen bzw. Alterationen erlitten. Trauerschmerzengeld stehe – wie hier – auch in jenen Fällen zu, in denen ein naher Angehöriger „fast getötet“ worden sei bzw. „über Monate hin in Todesgefahr geschwebt sei“.
Die Beklagten bestritten und beantragten Klagsabweisung. Sie wandten ein, dass dem Erstkläger kein grobes Verschulden zur Last zu legen sei. So sei es zum Unfallzeitpunkt angesichts der Jahreszeit bereits dunkel und eine Straßenbeleuchtung nur spärlich vorhanden gewesen. Ferner habe es geregnet, was die Sicht weiter verschlechtert habe. Der Erstbeklagte habe eine deutlich unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit gelegene Geschwindigkeit eingehalten und das Abblendlicht sowie die Scheibenwischer eingeschalten gehabt. Dass er in dieser Situation den dunkel gekleideten Vater der Kläger schlichtweg übersehen habe, begründe keine grobe Fahrlässigkeit; davon sei auch im Strafverfahren ausgegangen worden.
Der Umstand, dass sich ein Gegenverkehr genähert habe, habe für den Erstbeklagten nicht zwangsläufig bedeuten müssen, dass ein Fußgänger den Schutzweg in seine Fahrtrichtung (von links nach rechts) überquere, sondern gäbe es eine Vielzahl anderer Gründe, weshalb ein Pkw im Gegenverkehr gestanden sein könne. Beispielsweise könnte ein Fußgänger in Fahrtrichtung des Erstbeklagten gesehen, den Schutzweg von rechts nach links überquert und sich dabei längst nicht mehr im Gefahrenbereich des Erstbeklagten befunden haben. Darüber hinaus würden an der Unfallörtlichkeit aufgrund der im Nahebereich befindlichen Bank, Trafik und Bäckerei ständig Pkws anhalten, um Personen aus- und einsteigen zu lassen. Der Umstand alleine, dass im Gegenverkehrsbereich ein Pkw gestanden sei, habe somit noch keine erhöhte Sorgfalt des Beklagten erfordert, zumal dies noch nicht zwangsläufig eine Gefahr für seine Richtung bedeutet habe.
Weiters liege keine absolute, sondern bloß eine relativ überhöhte Geschwindigkeit vor, die keine grobe Sorgfaltswidrigkeit zu begründen vermöge.
Es stehe den Klägern kein Trauerschmerzengeld zu. Sie hätten bei Erhalt der Unfallsnachricht gefasst reagiert; krankheitswertige Schmerzen seien nicht gegeben gewesen. Eine erhebliche Besorgnis sei nicht pathologisch, zudem habe H* B* den Verkehrsunfall überlebt. Im Unfallszeitpunkt seien der Erstkläger 34 Jahre und der Zweitkläger 29 Jahre alt gewesen, sie hätten eigene Familien begründet und nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihrem Vater gelebt.
Mit dem angefochtenen Urteil verpflichtete das Erstgericht die Beklagten unbekämpft zur Zahlung von EUR 1.600, an den Erstkläger und zur Zahlung von EUR 900, sA an den Zweitkläger schuldig und wies die jeweiligen Mehrbegehren ab.
Es stellte folgenden, teilweise bekämpften Sachverhalt fest:
„Im Bereich der Unfallstelle verläuft die mit Bitumenmischgut ausgelegte Fahrbahn vor dem Schutzweg annähernd geradlinig und horizontal, und es gilt die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Der Schutzweg selbst ist durch eine Verkehrstafel 35 Meter vor dem Schutzweg angekündigt. Der Schutzweg selbst ist nicht ampelgeregelt. Im Unfallzeitpunkt war es dunkel, es nieselte, und die Fahrbahn war nass.
Am Unfalltag war der Erstbeklagte mit K* als Beifahrerin in ** unterwegs. Der Erstbeklagte kennt die Örtlichkeit und den Schutzweg. Er hat die Erfahrung gemacht, dass öfters Autos im Bereich des Schutzweges kurz anhalten, um Passagiere ein- und aussteigen zu lassen. Zunächst fuhr er vom Parkplatz des nahe gelegenen Supermarktes I* heraus, hatte den Scheibenwischer auf Stufe 2 eingeschalten und näherte sich dem Schutzweg an. In Annäherung an den Schutzweg betrug seine Geschwindigkeit ca. 30 bis 35 km/h, der Erstbeklagte hatte den 3. Gang eingelegt, auf den Parkplätzen rechts und links von der Fahrbahn parkten Autos.
Der Erstkläger, A* B*, betreibt seine KFZ-Werkstätte in **. Am 16.11.2022 besuchte ihn sein Vater, H* B*. Sie tranken Kaffee, dann wollte H* B* nach Hause fahren. H* B* hatte sein Fahrzeug in der Nähe des Schutzweges abgestellt. Er war mit einer mittelblauen Arbeitsjacke und einer hellgrauen, mit schwarzen Streifen versehenen Latzhose bekleidet. Er ging zum Schutzweg, um ihn zu überqueren. Er schaute nach links und sah ein Auto kommen. Das von links kommende Fahrzeug blieb vor dem Schutzweg stehen. Danach begann H* B* in mittiger Position (Querungslinie) mit normaler Schrittgeschwindigkeit den Schutzweg zu überqueren.
Der Erstbeklagte hatte in Annäherung den Schutzweg im Blick und sah auch die Lichter des Gegenverkehrs. Erst als er schon relativ nah beim Schutzweg war, sah er, dass das Auto im Gegenverkehr nicht mehr in Bewegung war, sondern vor dem Schutzweg stand.
Die Silhouette von H* B* war für den Erstbeklagten aufgrund der Blendung des Abblendlichtes des vor dem Schutzweg haltenden Fahrzeugs im Gegenverkehr nicht auffällig. Für den Erstbeklagten war die Silhouette von H* B* bei diesen Wetter- und Sichtverhältnissen erst wahrnehmbar, als dieser aus dem Lichtraumprofil des angehaltenen Fahrzeuges heraustrat. Ab dem Heraustreten aus dem Lichtraumprofil legte H* B* noch eine Wegstrecke von rund 2,2 Meter zurück. H* B* sah das Fahrzeug des Erstbeklagten erst, als er sich am Schutzweg bereits auf dem Fahrstreifen, auf dem der Erstbeklagte fuhr, befand. Unmittelbar danach kam es zur Kollision.
Der Erstbeklagte nahm H* B* erst anlässlich der Kollision wahr, danach absolvierte er eine Vollbremsung; die Airbags lösten nicht aus.
Die Kollision zwischen H* B* als Fußgänger und dem Erstbeklagten erfolgte mittig im Fahrstreifen des Beklagtenfahrzeugs, die Kollisionsgeschwindigkeit betrug ca. 30 km/h.
Im Hinblick auf die Sicht- und Witterungsbedingungen war eine maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von jedenfalls unter 10 km/h angebracht. Die Kollision erfolgte aufgrund der Einhaltung einer relativ überhöhten Fahrgeschwindigkeit des Erstbeklagten im Hinblick auf die Sicht- und Witterungsbedingungen. Der Erstbeklagte fuhr jedoch nicht mit absolut überhöhter Geschwindigkeit; ihm unterlief auch kein Aufmerksamkeitsfehler und keine Reaktionsverspätung (F1).“
Rechtlich schloss das Erstgericht, dass die Einhaltung einer absolut überhöhten Geschwindigkeit des Erstbeklagten sowie ein ihm unterlaufender Aufmerksamkeitsfehler oder eine Reaktionsverspätung nicht nachgewiesen werden hätten können. Der Erstbeklagte habe lediglich eine relativ überhöhte Geschwindigkeitsübertretung aufgrund der schlechten Sicht- und Witterungsverhältnisse zu verantworten. Die Kollisionsgeschwindigkeit habe 30 km/h betragen, demgegenüber wäre bei den vorherrschenden Sicht und Witterungsbedingungen eine Geschwindigkeit von jedenfalls unter 10 km/h angezeigt gewesen. Eine ungewöhnliche und auffallende Sorglosigkeit des Erstbeklagten, die einem ordentlichen Menschen keinesfalls unterlaufen würde, sei nicht gegeben gewesen. Öfters stünden Autos im Bereich des Schutzweges. Der Erstbeklagte habe erst relativ nah beim Schutzweg gesehen, dass das Auto im Gegenverkehr nicht in Bewegung gewesen sei. Die Silhouette von H* B* sei erst, nachdem er aus dem Lichtraumprofil herausgetreten war, auffällig gewesen. Das Verhalten des Erstbeklagten sei nicht grob fahrlässig gewesen.
Die Kläger hätten Anspruch auf den mit EUR 1.600,-- und EUR 900,-- zu bemessenden Schockschaden. Ein von den Klägern allenfalls erlittener Trauerschaden sei aufgrund der mangelnden groben Fahrlässigkeit nicht abzugelten.
Gegen die Abweisung der Mehrbegehren richtet sich die Berufung der Kläger aus den Gründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung infolge unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil dahingehend abzuändern, dass den Klagebegehren zur Gänze stattgegeben werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagten beantragen, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsmittelentscheidung:
Die Berufung ist nicht berechtigt :
Zur Tatsachenrüge :
1. Die Kläger bekämpfen F1 und begehren stattdessen:
„… ;ihm unterlief zwar keine Reaktionsverspätung jedoch ein Aufmerksamkeitsfehler, zumal dem Erstbeklagten ca. 20m vor dem Schutzweg die Silhouette des H* B*, wenn auch nur gering, auffällig war.“
1.1. Das Erstgericht stellte unbekämpft fest, dass die Silhouette von H* B* für den Erstbeklagten bei diesen Wetter- und Sichtverhältnissen erst wahrnehmbar war, als dieser aus dem Lichtraumprofil des angehaltenen Fahrzeuges heraustrat. Dies lässt sich sehr gut durch Einsicht in die angefertigten Lichtbilder bei ähnlichen Licht- und Witterungsbedingungen im Sachverständigenbefund ON 19 nachvollziehen. Nach dem Heraustreten aus dem Lichtraumprofil legte H* B* noch etwa 2,2 m zurück. Die Zeit, die H* B* dafür benötigte, betrug etwa 2 sec. Bei einer verbleibenden Zeit von etwa 2 sec und einer Fahrtgeschwindigkeit von rund 30 km/h war dem Erstbeklagten ein unfallvermeidendes Anhalten nicht mehr möglich. Dafür hätte er eine Geschwindigkeit von 10 km/h einhalten müssen, was ihm auch als rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten im Rahmen der rechtlichen Beurteilung angelastet werden wird.
1.2. Die Kläger wünschen keine Feststellung, dass dem Erstbeklagten eine Reaktionsverspätung bei Wahrnehmbarkeit der Silhouette von H* B* vorzuwerfen wäre. Sie begehren die Feststellung eines „Aufmerksamkeitsfehlers“, den sie jedoch nicht näher definieren. Unter Verweis auf die Witterungsbedingungen und Sichtverhältnisse argumentieren sie, dass es dem Erstbeklagten an der gehörigen Aufmerksamkeit gefehlt habe. Welche Aufmerksamkeit der Erstbeklagte abgesehen von der indizierten Geschwindigkeitsreduktion vermissen ließ, geht aus der Beweisrüge nicht hervor.
Das Berufungsgericht übernimmt daher den festgestellten Sachverhalt und legt ihn seiner weiteren Entscheidung gemäß § 498 ZPO zugrunde:
Rechtsrüge:
1. Ein Fahrzeuglenker hat einem Fußgänger, der sich auf einem Schutzweg befindet, das ungehinderte und ungefährliche Überqueren der Fahrbahn gemäß § 9 Abs 2 StVO zu ermöglichen. Dazu hat sich der Lenker dem Schutzweg nur mit einer solchen Geschwindigkeit zu nähern, die ein Anhalten des Fahrzeuges vor dem Schutzweg ermöglicht. Diese Bestimmung verfolgt den Zweck, Fußgängern das ungehinderte Überqueren der Fahrbahn auf dem Schutzweg zu ermöglichen und legt nicht nur eine Geschwindigkeitsbeschränkung für die Annäherung von Fahrzeugen an Schutzwege, sondern auch den Vorrang des sich bereits auf dem Schutzweg befindlichen Fußgängers fest.
1.1.Hier konnte der Erstbeklagte nicht rechtzeitig erkennen, dass sich der Vater der Kläger auf dem Schutzweg befand, sodass zu prüfen ist, welche Maßnahmen vorausschauend für den Erstbeklagten geboten waren (RS0058216).
Die Sichtbehinderung durch das blendende Licht des Gegenverkehrs und die generell schlechten Sicht- und Witterungsverhältnisse verpflichteten den Erstbeklagten zur besonderen Vorsicht. Er hätte sich dem Schutzweg angesichts der vorgeherrschten Bedingungen mit höchstens 10 km/h nähern dürfen. Hätte er eine Geschwindigkeit von 10 km/h statt der festgestellten 30-35 km/h eingehalten, hätte er rechtzeitig reagieren und vor dem Schutzweg zum Stillstand kommen können.
2.Angehörigen eines Getöteten oder Schwerstverletzten gebührt für den ihnen verursachten "Schockschaden“ mit Krankheitswert Schadenersatz, weil diese "Dritten“ durch das Erleiden eines Nervenschadens in ihrem absolut geschützten Recht auf körperliche Unversehrtheit beeinträchtigt und als unmittelbar Geschädigte anzusehen sind (2 Ob 202/18x; 2 Ob 189/16g mwN; RS0116865).
Die Kläger erhielten unbekämpft eine an die Feststellung von Schmerzperioden (als Orientierungshilfe) anknüpfende, aber nicht darauf beschränkte Abgeltung ihres Schockschadens (vgl 2 Ob 143/15sa; 2 Ob 99/08k; RS0122794; RS0118172).
Auch für den Seelenschmerz über den Verlust naher Angehöriger, der zu keiner eigenen Gesundheitsschädigung iSd § 1325 ABGB geführt hat, kann Schmerzengeld gebühren. Ein Ersatz dieses "bloßen Trauerschadens“ ohne Krankheitswert kommt jedoch nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers in Betracht (RS0115189).
2.1.Treffen seelische Schmerzen mit Krankheitswert mit ersatzfähigen seelischen Schmerzen wegen "bloßer“ Trauer ohne Krankheitswert zusammen (1 Ob 114/16w; 2 Ob 143/15s; 2 Ob 212/04x), ist das Schmerzengeld global zu bemessen. In einem solchen Fall wirkt sich das Zusammentreffen erhöhend auf den Schmerzengeldanspruch aus. Gesonderte Zusprüche haben - trotz Hinzutreten eines weiteren Zurechnungsgrundes - nicht zu erfolgen (1 Ob 114/16w; 2 Ob 143/15s).
2.2.Voraussetzung für diese "erhöhende Wirkung“ ist allerdings, dass sowohl die Anspruchsvoraussetzungen für den Ersatz von krankheitswertigen psychischen Beeinträchtigungen als auch jene für den Ersatz des "bloßen Trauerschadens“ vorliegen, also insbesondere eine unfallkausale psychische Beeinträchtigung des Angehörigen mit Krankheitswert und das qualifizierte Verschulden des Schädigers am Tod oder der schweren Verletzung des nahen Angehörigen (vgl 1 Ob 114/16w; 2 Ob 143/15s; 2 Ob 212/04x).
2.3.Für die Zuerkennung von Schmerzengeld an Dritte müssen unfallkausal der Tod oder schwerste Verletzungen eingetreten sein, aufgrund derer akute Lebensgefahr oder die konkrete Gefahr dauernder Pflegebedürftigkeit besteht. Die Nachricht eines Arztes über das Bestehen von Lebensgefahr rechtfertigt den Zuspruch von Schmerzengeld noch nicht. Die auf den Unfall zurückzuführenden schwersten Verletzungen müssen objektiv vorliegen (RS0127926; 2 Ob 136/11f).
2.4. Die vom Erstgericht festgestellten, durch den Unfall unmittelbar herbeigeführten Verletzungsfolgen in Form von Knochen- und Rippenbrüchen sind an sich nicht als „schwerste“ Verletzungen anzusehen. Zu einer allenfalls dadurch eingetretenen Pflegebedürftigkeit, die eine konkrete zukünftige Versorgungssituation durch die Kläger begründen würde, wurde kein Vorbringen erstattet.
2.5.Die etwa 2 Monate andauernde, behandlungsbedürftige Lungeninsuffizienz (Intubation, Tracheostoma) könnte jedoch objektiv als lebensgefährlich angesehen und (auch als Anlageschaden) adäquat auf den Unfall zurückgeführt werden. Der erste Satz des § 1311 ABGB („Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet“) enthält das allgemeine Prinzip (den Risikotragungsgrundsatz, wonach dem Geschädigten für einen durch (bloßen) Zufall entstandenen Schaden kein Schadenersatzanspruch zusteht (RS0027328). Kein von § 1311 ABGB angesprochener „Zufall“ liegt jedoch – wie hier - in der Person des Geschädigten selbst (also seiner physischen und psychischen Ausstattung, seinem Alter, seiner Gebrechlichkeit, seiner Prädisposition für bestimmte Krankheiten und Krankheitsverläufe oder einer „unterdurchschnittlich“ verlaufenden Heilung und/oder Regeneration), sofern ein haftungsbegründendes Verhalten eines Dritten eine (dadurch begünstigte) Schädigung herbeiführt. Grundsätzlich hat der Schädiger den Geschädigten nämlich so zu nehmen, wie er ist; eine besondere Schadensanfälligkeit des Geschädigten kann ihn daher im Allgemeinen nicht entlasten (2 Ob 48/14v; RS0022684; RS0022746 [T8, T9]; 4 Ob 204/13y = RS0022562). Die mögliche Lebensgefahr durch die Ateminsuffizienz und eine damit ausgelöste „Trauer“, die eine Erhöhung des Schmerzengeldes rechtfertigen könnte, wurde im Jänner 2023 relativiert, als die Kläger erste Anzeichen, dass ihr Vater den Unfall überleben werde, erhielten.
2.6.Der Oberste Gerichtshof anerkennt grundsätzlich eine mögliche Erhöhung eines wegen Schockschadens zuerkannten Schmerzengeldanspruches um einen Trauerschadenschmerzengeldanspruch bei Vorliegen schwerster Verletzungen mit zukünftiger belastender Pflegebedürftigkeit für die Angehörigen (2 Ob 77/09a). Ob die Verletzung von H* B* im vorliegenden Fall dieses qualifizierte Ausmaß einer „schwersten Verletzungsfolge“ erreicht, kann hier jedoch aus folgendem Grund offen bleiben:
3. Eine Erhöhung des bereits zuerkannten Schmerzengeldes käme bei den Klägern als nahe Angehörige nur dann in Betracht, wenn der Erstbeklagte grob fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt hätte.
Ein grob fahrlässiges Verhalten des Erstbeklagten wäre dann anzunehmen, wenn ihm ein objektiv besonders schwerer Sorgfaltsverstoß bei Würdigung aller Umstände des konkreten Falls auch subjektiv schwerstens vorzuwerfen (RS0030272) und der Eintritt des Schadens als wahrscheinlich und nicht bloß als möglich voraussehbar wäre (vgl RS0030644; RS0030477).
3.1.Die Überschreitung der (absolut oder relativ) zulässigen Geschwindigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung nur bei Hinzutreten weiterer Umstände als grob fahrlässig zu beurteilen (RS0080484 [T3]; RS0030417 [T9] = 2 Ob 195/09d). Die Umstände, die für die Einhaltung einer Geschwindigkeit von 10 km/h in Annäherung an den bekannten Schutzweg und der Anhaltesituation von PKWs in diesem Bereich statt der vom Erstbeklagten gewählten, reduzierten Geschwindigkeit von 30 km/h sprachen (blendendes Abblendlicht des Gegenverkehrs, schlechte Witterungsbedingungen) begründen jedoch keinen weiteren Sorgfaltsverstoß des Erstbeklagten. Sie begründeten erst die Einhaltung der vom Erstbeklagten letztlich missachteten, aber gebotenen Annäherungsgeschwindigkeit von 10 km/h.
3.2. Die Einhaltung der relativ überhöhten Geschwindigkeit ist als Verstoß gegen § 9 Abs 2 StVO und entgegen den Berufungsausführungen nicht auch als Verstoß gegen die allgemeine Bestimmung zum Fahren auf Sicht gemäß § 20 Abs 1 StVO zu werten ( Pürstl , StVO 16§ 20 E 23). Die in § 9 Abs 2 StVO statuierte Hauptpflicht des Fahrzeuglenkers, Fußgängern eine ungehinderte und ungefährdete Überquerung zu ermöglichen, umfasst bereits die Pflicht zur richtigen Wahl der Annäherungsgeschwindigkeit (RS0127167). Die Missachtung des § 9 Abs 2 StVO stellt für sich allein aber noch kein schweres Verschulden dar (RS0120481).
Der Berufung war daher der Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 41 und § 46 Abs 1 iVm § 50 ZPO. Die Kläger haften für die Kosten der Berufungsbeantwortung als formelle Streitgenossen nur nach dem Verhältnis ihrer Beteiligung am Rechtsstreit (RS0125635 [T1]), der im vorliegenden Fall etwa die Hälfte beträgt.
Da eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zu lösen war, war die Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO jeweils nicht zuzulassen.