JudikaturOLG Innsbruck

2R15/25k – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
Schadenersatzrecht
06. März 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Innsbruck als Berufungsgericht hat durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Dr. Berchtold als Vorsitzende sowie die Richterin des Oberlandesgerichts Mag. Dr. Tangl und den Richter des Oberlandesgerichts Mag. Ortner als weitere Mitglieder des Senats in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. A* , und 2. B* , ebendort, beide vertreten durch Dr. Matthias Lüth, Mag. Michael Mikuz, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, wider die beklagte Partei C* , vertreten durch MMag. Christian Mertens, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wegen (ausgedehnt) EUR 28.354,35 s.A. und Feststellung (Interesse EUR 3.000,--; Gesamtstreitwert daher EUR 31.354,35 s.A.), über die Berufung der beklagten Partei (Berufungsinteresse EUR 31.354,35 s.A.) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 13.12.2024, **-79, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird k e i n e Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien zu Handen ihrer Vertreter binnen 14 Tagen die mit EUR 3.595,83 (darin EUR 599,30 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.

Der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich der zweitklagenden Partei übersteigt EUR 5.000,--, nicht jedoch EUR 30.000,--.

Die Revision der erstklagenden Partei ist n i c h t zulässig.

Die Revision der zweitklagende Partei ist (ebenfalls) n i c h t zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Die (verheirateten) Kläger leben in der Nachbarschaft des Beklagten. Sie sind Halter einer 7kg schweren Malteserhündin namens „D*“, welche für sie wie ein eigenes Kind ist. Der Beklagte hat eine reinrassige deutsche Schäferhündin mit dem Namen „E*“. Er erwarb das – am 4.5.2020 geworfene – Haustier mit Kaufvertrag vom 4.10.2021 von einer ** Züchterin um EUR 1.200,-- samt Rasseechtheits-zertifikat des österreichischen Vereins für deutsche Schäferhunde. Vor dem Verkauf an den Beklagten war die Hündin E* bereits von einem anderen Hundebesitzer gehalten worden, der mit ihr eine Hundeschule besucht hatte. Der Beklagte hatte vor dem Kauf von E* bereits eine – zwischenzeitlich verstorbene – Schäferhündin namens „F*“ gehalten. Ein Jahr vor dem klagsgegenständlichen Vorfall war es bereits zu einer Verletzung von D* durch F* gekommen. Bei diesem Vorfall, der sich am 5.2.2021 ereignet hatte, war D* von F* beim (jeweils) unangeleinten gemeinsamen Spielen plötzlich ein Auge herausgebissen worden. Die Hälfte der in diesem Zusammenhang entstandenen Kosten wurden damals von der Versicherung des Beklagten übernommen; die andere Hälfte bezahlte der Beklagte aus eigener Tasche. Am 5.2.2022, als sich der klagsgegenständliche Vorfall ereignete, war D* daher bereits einäugig.

Seit dem oa ersten Vorfall hielten die Kläger Abstand vom Grundstück des Beklagten und benutzten – so auch am Vorfallstag – beim Spazierengehen stets die gegenüber-liegende Straßenseite. Sie waren am 5.2.2022 um ca 15.20 Uhr mit D* in diesem Bereich zu Fuß unterwegs, als ihnen – ca 150 bis 200 m von ihrer Wohnadresse entfernt – die Schäferhündin des Beklagten nachrannte und D* von hinten kommend und ohne jede Vorwarnung attackierte. E* bellte dabei nicht, sondern sprang von hinten auf die Malteserhündin und biss zu. Der Zweitkläger trat mehrfach auf E* ein, um sie zu verjagen, doch die Schäferhündin E* biss immer wieder zu. Dabei biss sie auch dem Zweitkläger und der Erstklägerin in den Daumen. Schlussendlich gelang es dem Zweitkläger, E* zu vertreiben. D* erlitt bei dem Vorfall fünf offene Bissverletzungen mit Durchbiss der Bauchwand und offenem Abdomen. Bei diesem Beißgeschehen handelt es sich um eine Jagdaggression, die lautlos erfolgt und (meist) mit tödlichen Verletzungen des Opfers einhergeht. Deswegen müssen Hunde, die in ihrer Rassengeschichte eine jagdliche Verwendung aufweisen, besonders gut verwahrt werden.

Der Beklagte, der in seinem eigenen, gegenüber seinem Wohnhaus liegenden Gasthaus **, hatte die Hündin im privaten Garten gehalten. Wenn der Beklagte seiner Tätigkeit als ** nachgeht, darf sie dort frei herumlaufen. In der nahen Umgebung halten sich oft Menschen – auch Kinder – auf, weil sich dort neben dem Gashaus auch ein Spielplatz befindet. Am 5.2.2022 war der Garten des Beklagten mit einem Holzzaun umgeben, der an seinem höchsten Punkt lediglich eine Höhe von 1,14 m aufwies. Dieser Zaun stellte vor allem bei Schneelage kein Hindernis für einen Hund in der Größe von E* dar; er konnte von der Schäferhündin bequem und ohne Aufwand überwunden werden. Der Beklagte selbst war beim gegenständlichen Vorfall nicht zugegen. Er wurde erst darauf aufmerksam, als der Zweitkläger ihn nach dem Geschehen aufsuchte.

E* war seit 11.10.2021 bei Bedarf in der Praxis des Dorftierarztes in Behandlung. Sie zeigte in der Tierarztpraxis ein normales, altersgemäßes Verhalten. Vom Tierarzt wurde nach dem Vorfall bezogen auf E* Folgendes bestätigt:

„Der Hund … ist mir seit 1.10.2021 bekannt und bei Bedarf in Behandlung. Er zeigte bei mir immer ein altersgemäßes normales Verhalten und ausreichend Gehorsam. Niemals hatte ich den Hund als ungeschult oder nicht ausreichend trainiert, äußerst aggressiv oder mit mangelnder Beißhemmung erlebt. Auf meine Verhaltensuntersuchung vom 14.03.2022 ( Anmerkung: nach dem gegenständlichen Vorfall) in Anwesenheit von 3 Hunden und den dabei erhobenen unauffälligen Verhaltensbefund möchte ich nochmals hinweisen“ .

Die vom Vorfall in Kenntnis gesetzte Amtstierärztin gab nachstehende Stellungnahme über die Hundehaltung des Beklagten ab:

Es darf mitgeteilt werden, dass die Hündin „E*" ... am 01.03.2022 im Rahmen einer Tierschutzkontrolle dem Amtstierarzt … vorgeführt wurde. Die Hundehaltung ... [des Beklagten] erfüllt die gesetzlichen Mindestanforderungen an die Haltung von Hunden gemäß Anlage 1 der 2. Tierhaltungsverordnung, BGBl. II Nr. 486/2004. Es konnten zum Zeitpunkt der amtstierärztlichen Tierschutzkontrolle keine Mängel festgestellt werden. Es ist jedoch anzumerken, dass die Höhe des Gartenzauns von … 1,0 - 1,20 m für einen Hund der Rasse „Deutscher Schäferhund" zu niedrig bemessen ist und bei entsprechenden externen Reizen überwunden werden könnte. Am Tag der Kontrolle fiel zudem auf, dass trotz der Schneelage der Zaun auf der Innen- und Außenseite nicht freigefräst wurde, was die Überwindung des Zauns durch einen Hund wie „E*“ begünstigen könnte.

Die Hündin „E*“ zeigte bei der Untersuchung am 1.3.2022 kein offensiv aggressives Verhalten gegenüber dem Menschen. Allerdings konnten Anzeichen für ein grobes Spielverhalten sowie leichte Unterforderung beobachtet werden. [Der Beklagte] gab in Anwesenheit des Amtstierarztes an, dass er die „Beißhemmung“ mit seiner Hündin bislang nur inkonsequent trainieren würde. Die Grundkommandos werden von der og. Hündin beherrscht. Da die Interaktion mit Artgenossen sowie das agonistische Verhalten der Hündin „E*“ im Zuge der Tierschutzerhebung am 1.3.2022 nicht beurteilbar waren, wird dem Bürgermeister empfohlen eine Vorführung der Hündin bescheidmäßig gem. § 6a (4) Landes-Polizeigesetz, LGBL Nr. 60/1976 idgF LGBL Nr. 161/2020, vorzuschreiben. Überdies hinaus wird gegenüber dem Bürgermeister die Empfehlung ausgesprochen eine ordnungsgemäße Verwahrung der og. Hündin in Form einer mindestens 1 ,80 m hohen Umzäunung anzuordnen. Dem Tierhalter wurde empfohlen in den nächsten drei Monaten regelmäßig eine Hundeschule zu besuchen. Auf den § 6a des Landes-Polizeigesetz, LGBL Nr. 60/1976 idgF LGBL Nr. 161/2020, wurde am 1.3.2022 mündlich verwiesen“ .

Vor dem gegenständlichen Vorfall hatte der Beklagte mit E* keine Hundeschule besucht. Nach dem Vorfall erhöhte er den Holzzaun und brachte zudem einen Maschendrahtzaun an. Mittlerweile ist der Garten des Beklagten mit einem Holzzaun in der Höhe von ca 1,20 m und (zusätzlich) einem ca 2,5 m hohen Maschendrahtzaun umgeben, wobei die Holzzaunhöhe bei Schneelage ca 80 bis 90 cm beträgt.

Nach dem Vorfall besuchte der Beklagte mit E* ab März 2022 eine Hundeschule. Von der Leiterin wurde ihm amt 6.2.2023 folgende Bestätigung ausgestellt:

[Der Beklagte] besuchte mit seiner Deutschen Schäferhündin E* im März 2022 bei mir in … die Hundeschule. Die zwei nahmen an einigen Kursstunden teil, bei mir in der Hundeschule dürfen die Hunde immer vor der Stunde frei zusammen spielen, auch E* war da mit Eifer involviert. Die Hündin zeigte sich dabei nicht aggressiv andern Hunden gegenüber, egal ob groß oder klein. Das einzige was man bei ihr beachten muss, dass sie mit der Zeit beim Spielen nicht zu wild und stürmisch wird. Aber an sonst eine liebe Hündin auch mit fremden Menschen ganz unkompliziert….“

Das gegen den Beklagten nach § 88 Abs 1 StGB geführte, strafrechliche Ermittlungs-verfahren wurde mit der Begründung eingestellt, dass dem Beschuldigten „ aufgrund der umfassenden polizeilichen Ermittlungen … nicht nachzuweisen [sei], dass es mit dem Hund E* bereits früher ähnlich gelagerte Vorfälle gab, sodass das Verhalten des Hundes im konkreten Fall für ihn nicht vorherzusehen war; dies vor allem vor dem Hintergrund, dass Personen aus der Nachbarschaft das Tier zwar als häufig bellend, jedoch nicht als aggressiv beschrieben bzw. [angaben] man würde sogar mit dem Hund regelmäßig spielen …“ .

Eine gute Verwahrung der Schäferhündin wäre dann gegeben gewesen, wenn der Zaun für den Hund nicht hätte überwunden werden können. Bis auf die zu geringe Höhe der Barriere (des Zauns) kann die Haltung des Hundes als artgerecht bezeichnet werden. E* ist zwar kein Jagdhund; aufgrund ihrer Intelligenz kann sie aber vielseitig verwendet werden. Alle Hunde stammen vom Wolf – einem Jagdtier –ab. Durch die Zuchtauslese wurden Hunderassen für verschiedene Verwendungen speziell gezüchtet. Das bedeutet aber nicht, dass der Jagdtrieb nicht mehr vorhanden ist. Der Weltrekord bei der Überwindung eines Zauns liegt beim Schäferhund bei 3 m Sprunghöhe.

Der Sachverhalt ist im Berufungsverfahren nicht strittig. Berufungsgegenständlich ist ausschließlich die Frage der Haftung des Beklagten dem Grunde nach; hinsichtlich des die Höhe der Klagsforderung betreffenden wechselseitigen Vorbringens und der diesbezüglich getroffenen Feststellungen kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf das Ersturteil verwiesen werden (§ 500a ZPO).

Mit der am 26.1.2023 beim Landesgericht Innsbruck eingebrachten Klage begehrten die Kläger zuletzt (nach Klagseinschränkung und -ausdehnungen in ON 8, ON 18 und ON 62) EUR 28.354,35 s.A. an Schadenersatz und schlüsselten das Leistungs-begehren auf wie folgt:

Schmerzengeld Erstklägerin EUR 5.800,00

Schmerzengeld Zweitkläger EUR 10.000,00

Kosten Ergotherapie, soweit nicht gedeckt EUR 700,00

Kosten Medikamente/Apotheke EUR 87,80

zerstörte Jacke der Erstklägerin EUR 599,00

beschädigtes Hundegeschirr EUR 22,18

diverse Tierarztkosten EUR 6.127,58

Kilometergeld EUR 907,20

Arbeitsunfähigkeit Zweitkläger EUR 4.110,59

insgesamt sohin EUR 28.354,35

Ferner begehrten sie (gemeint: der Zweitkläger) die Feststellung der Haftung des Beklagten für sämtliche künftigen Schäden des Zweitklägers aus dem Vorfall vom 5.2.2022.

Zum Anspruchsgrund brachten sie zusammengefasst vor, dass der Beklagte seine Schäferhündin nicht ordnungsgemäß verwahrt habe. Aus der im Strafverfahren eingeholten amtstierärztlichen Stellungnahme gehe hervor, dass die Höhe seines Gartenzauns am 5.2.2022 für einen Schäferhund (deutlich) zu niedrig bemessen gewesen sei, weil der Zaun bei entsprechenden externen Reizen vom Hund leicht habe überwunden werden können. Von einer ordnungsgemäßen Verwahrung des Tiers könne daher keine Rede sein. Hinzu komme, dass der Zaun am Vorfalltag auf der Innen- und Außenseite nicht vom Schnee freigefräst gewesen sei, was die Überwindung des Zauns durch den Hund noch begünstigt habe. Aus der amtstierärztlichen Stellungnahme sei abzuleiten, dass bei E* ein grobes Spielverhalten und eine leichte Unterforderung habe beobachtet werden können. Der Beklagte habe in Anwesenheit der Tierärztin auch eingeräumt, dass er die Beißhemmung mit seiner Hündin bislang nur inkonsequent trainiert habe. Insgesamt sei ihm daher der Freibeweis nach § 1320 ABGB nicht gelungen. Nach der ständigen Rechtsprechung stelle ein auf der Straße mit öffentlichem Verkehr frei herumlaufender Hund eine erhebliche Gefahrenquelle dar. Zu berücksichtigen sei auch, dass sich das Haus des Beklagten nahe eines Spazierwegs befinde und der Beklagte daher damit habe rechnen müssen, dass bei einem Vorbeilaufen eines anderen Tieres der Jagdtrieb seiner Hündin geweckt werde. Dass selbst ein an sich gutmütiger Schäferhund in der Lage sei, einen nur etwa 1 m hohen Zaun zu überwinden, sei offenkundig. Der Beklagte habe daher den Klägern für sämtliche vorfallskausalen Schäden einzustehen.

Der Beklagte bestritt und beantragte Klagsabweisung. Er wendete zusammengefasst ein, dass er sich zum Vorfallszeitpunkt nicht mit der Hündin im Garten aufgehalten habe. Er sei erst auf das Geschehen aufmerksam geworden, als der Erstkläger E* zu ihm zurückgebracht habe. Die Schäferhündin sei kastriert, folgsam und gutmütig. Gleiche oder ähnliche Vorfälle wie der gegenständliche seien dem Beklagten nicht bekannt. Er habe das Tier nach dem Vorfall amtstierärztlich untersuchen lassen. Dabei habe es kein offensichtlich aggressives Verhalten gegenüber Menschen an den Tag gelegt. Vielmehr sei tierärztlich bestätigt worden, dass E* ein altersgemäßes normales Verhalten und ausreichend Gehorsam zeige. Auch von Seiten der Tierarztpraxis sei dem Beklagten bestätigt worden, dass eine Verhaltensuntersuchung vom 14.3.2022 in Anwesenheit von drei Hunden unauffällig verlaufen sei. Nach einem Besuch der Hundeschule im März 2022 habe ihm schließlich auch die Leiterin dieser Einrichtung schriftlich bestätigt, dass sich E* beim Spielen mit anderen Hunden nicht aggressiv zeige. Bei der Prüfung der Frage, ob die Verwahrungspflicht vom Hundehalter verletzt worden sei, sei insbesondere auf erkennbare Eigenschaften des Hundes und seine Eigenarten sowie das bisherige Tierverhalten abzustellen. Die Haltung eines bislang nicht als gefährlich bekannten Hundes im eigenen Haus und Garten sei nach der Rechtsprechung zulässig. Die Anforderungen an die Verwahrung und Beaufsichtigung eines Hundes dürften nicht überspannt werden. Somit fehle es an zentralen Voraussetzungen für eine Haftung nach § 1320 ABGB.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren in der Hauptsache zur Gänze und im Zinsenbegehren teilweise statt. Das Zinsenmehr-begehren von 4 % Zinsen aus EUR 28.354,35 von 18.8.2022 bis 2.2.2023 wies es ab. Es legte dieser Entscheidung den in US 9 bis US 17 festgestellten Sachverhalt zugrunde, welcher – soweit er den Grund des Anspruchs betrifft – eingangs der Berufungsentscheidung zusammengefasst wiedergegeben wurde.

Rechtlich gelangte das Erstgericht nach umfangreicher und zutreffender Darstellung der von der Rechtsprechung im Kontext des § 1320 ABGB entwickelten Grundsätze zu dem Schluss, dass der Beklagte als Tierhalter nicht für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung seiner Schäferhündin E* gesorgt habe. Dabei verwies es insbesondere auf die Bestimmung des § 6a Abs 2 Tiroler Landespolizei-gesetz (T-LPG), wonach jeder Hundehalter dafür zu sorgen hat, dass der Hund das Leben und die Gesundheit von Menschen oder Tieren nicht gefährdet und insbesondere dafür zu sorgen hat, dass er das Grundstück, das Gebäude oder den Zwinger nicht gegen den Willen des Halters oder sein Wissen verlassen kann. Der Beklagte habe als Tierhalter damit rechnen müssen, dass seine unbeaufsichtigte Schäferhündin den nur 1 bis 1,14 m hohen Holzzaun problemlos überwinden könne; dies auch ohne vorgelagerten Schnee. Nicht zuletzt deshalb, weil sich sowohl sein Gasthaus als auch ein Spielplatz in der Nähe seines Grundstücks befänden und der Hund dort oft unbeaufsichtigt im Garten umherlaufe, sei von einer nicht ordnungs-gemäßen Verwahrung im Sinn des § 1320 ABGB auszugehen. Es wäre ihm durchaus zuzumuten gewesen, den Gartenzaun – so wie er dies nach dem klagsgegenständ-lichen Vorfall auch veranlasst habe – in einer Höhe zu errichten, die ein Überspringen durch den Hund verunmöglicht hätte.

Der Beklagte bekämpft den klagsstattgebenden Teil der Entscheidung mit einer fristgerechten Berufung , in der er ausschließlich eine Rechtsrüge geltend macht. Er beantragt die Abänderung des Urteils in eine vollinhaltliche Klagsabweisung; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Kläger begehren in ihrer ebenfalls fristgerechten Berufungsbeantwortung, dem Rechtsmittel des Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

Der Berufungswerber moniert, das Erstgericht habe die gutachterlichen Ausführungen des Tiersachverständigen in ON 37 zu wenig berücksichtigt. Der Sachverständige habe nach Durchführung eines Wesenstests und Beobachtung der Reaktion der Hündin auf die Umwelt sowie auf andere Hunde und Menschen dargelegt, dass E* bei der Präsentation von vier verschiedenen Hunden unterschiedlichen Geschlechts und Rassen beim kurzen Vorbeiführen keine Aggressionen gezeigt habe. Auch beim Vorbeifahren mit dem Fahrrad, Klingeln und Bewerfen mit Dosen habe der Hund nur freundliches Interesse und keine Aggressionen gezeigt; ebenso im Straßenverkehr sowie auf verschiedene Umweltreize. Dass das Erstgericht diese gutachterlichen Ausführungen dem Sachverhalt nicht zugrunde gelegt habe, werde als sekundärer Feststellungsmangel gerügt. In diesem Zusammenhang begehrt der Berufungswerber eine Sachverhaltsergänzung durch folgende weitere Feststellungen:

„Bei einem Test durch den Sachverständigen wurden die Reaktionen des Hundes auf die Umwelt, auf andere Hunde und auf dem Menschen beobachtet. Bei der Präsentation von vier verschiedenen Hunden unterschiedlichen Geschlechts und Rassen wurden beim kurzen Vorbeiführen keine Aggressionen beobachtet. Bei verschiedenen weiteren Tests – wie „Fahrrad dicht vorbeifahren“, Klingeln, mit Dosen Bewerfen, Vorbeifahren mit Tretroller, knappes Vorbeigehen mit Ansprache – zeigte der Hund nur freundliches Interesse und keine Aggressionen. Es wurde der Hund auch im Straßenverkehr bewegt und seine Reaktion auf verschiedene Umweltreize beobachtet. Auch hier machte der Hund E* einen entspannten Eindruck und er folgte auch den Befehlen seines Besitzers. Der Hund zeigte keine Anzeichen von Aggression.“

Das Maß der aufzuwendenden Sorgfalt bei der Hundehaltung sei nach der Recht-sprechung in elastischer Weise zu bestimmen; dabei seien insbesondere die erkennbaren Eigenschaften des Tieres und seine Eigenarten sowie sein bisheriges Verhalten von Bedeutung. Nach der ständigen Judikatur dürften insgesamt nur Maßnahmen verlangt werden, die vernünftiger Weise nach der Verkehrsauffassung auch erwartbar seien. Die Anforderungen an die Beaufsichtigung zur Wahrung eines Tieres dürfe insbesondere bei einem nicht bösartigen Tier – wie E* – nicht überspannt werden. Da bis zum klagsgegenständlichen Vorfall keine gefährlichen Eigenschaften des Tiers bekannt gewesen seien, könne es dem Beklagten nicht als Verwahrungspflichtverletzung angelastet werden, dass er seine Hündin im eigenen Garten frei habe herumlaufen lassen.

Dazu ist auszuführen:

1. Wird jemand durch ein Tier beschädigt, so ist gemäß § 1320 ABGB derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist – so der Gesetzestext – „verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.“ Die Bestimmung sieht zwar keine reine Gefährdungshaftung des Tierhalters vor; der Tierhalter hat aber, um der Haftung zu entgehen, zu beweisen, dass er sich nicht rechtswidrig verhielt. Misslingt ihm dieser Beweis (dass er seinen objektiven Sorgfalts-pflichten nachkam), haftet er für sein rechtswidriges Verhalten auch dann, wenn ihn daran kein Verschulden trifft (RS0105089; RS0030291 [T13]; vgl Koziol , Österrei-chisches Haftpflichtrecht II 3 B-2 Rz 88 ff). Allfällige Unklarheiten im Zusammenhang mit der Frage der Sorgfaltsverletzung gehen stets zu Lasten des Halters ( Reischauer in Rummel , ABGB 3 § 1320 Rz 22). Die von einem Tier geschädigten Personen müssen somit nur die Schädigung durch das Tier und die Haltereigenschaft des Gegners nachweisen, während sich der Tierhalter seiner Haftung nur dann befreien kann, wenn er nachweist, dass er die notwendigen Vorkehrungen für eine sach-gerechte Verwahrung oder Betreuung geschaffen hat ( Huber in Schwimann/Neumayr, ABGB 6 § 1320 ABGB Rz 28).

Dass der Hund des Beklagten sowohl die Kläger als auch deren Malteserhündin biss und verletzte, war im Verfahren nicht strittig. Es geht hier – wie bereits vorangestellt wurde – nur um die Frage, ob der Beklagte seinen Pflichten nach § 1320 ABGB ausreichend nachkam. Der Hundehalter hat im Verfahren auch die Charaktereigenschaften (Gutmütigkeit etc) seines Tiers, welche das Maß der erforderlichen Sorgfalt bestimmen, unter Beweis zu stellen. Selbst eine erwiesene Gutmütigkeit des Hundes befreit ihn dabei nicht von seinen Verwahrungs- und Beauf-sichtigungspflichten, weil eine Bösartigkeit des Tieres keine Voraussetzung für das Entstehen von Verwahrungspflichten ist (RS0030512, RS0030175 [T4]). Der Schutz-zweck des § 1320 ABGB erstreckt sich deshalb auch auf die aus dem Verhalten von gutmütigen, unbeaufsichtigt umherlaufenden Tieren drohenden Gefahren (1 Ob 609/94), weil auch ein an sich gutmütiges Tier – beispielsweise weil es jung, unberechenbar, nervös oder unfolgsam ist – eine Gefahrenquelle darstellen kann (RS0030175 [T3]).

2. Das Erfordernis einer ordnungsgemäßen Verwahrung darf nicht überspannt werden. Es müssen grundsätzlich jene Vorkehrungen als genügend angesehen werden, die vom Tierhalter unter Berücksichtigung des bisherigen Tierverhaltens billigerweise erwartet werden können; es sind jene Maßnahmen zu setzen, die nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise geboten sind (RS0030365). Nicht jede Möglichkeit einer Schädigung muss ausgeschlossen werden können ( Reischauer , aaO Rz 12 zu § 1320). Es kommt also nicht bloß darauf an, welche Verwahrung oder Beaufsichtigung eines Tiers in Anbetracht der Gattung, Eigenschaften sowie dem bisherigen Verhalten und auch der Umgebung, in der das Tier gehalten wird, geboten ist (RS0030058), sondern auch darauf, welche Verwahrungsmaßnahmen im Einzelfall zumutbar sind (vgl RS0030157).

2.1. In dem der Entscheidung 8 Ob 61/84 zugrunde liegenden Fall hatte sich der Oberste Gerichtshof mit einem von einem Hund ausgelösten Motorradunfall zu befassen. Das Tier war vom Grundstück des dortigen Beklagten ausgebrochen und auf die Straße gelangt, wo es zur Kollision mit dem (dortigen) Kläger kam. Das gesamte Grundstück war von einem 1,5 m hohen Drahtmaschenzaun umgeben, der keine Schäden aufwies. Bis zum Unfall war es noch nie vorgekommen, dass der Hund vom Grundstück entwichen war, obwohl er sich fast täglich, auch wenn der Beklagte das Grundstück für kurze Zeit verließ, im Vorgarten aufhielt. Alle in Frage kommenden Türen waren zur Unfallszeit versperrt. Der beklagte Hundebesitzer hatte das Haus verlassen, um in einem 150 m entfernten Rasthaus zu Mittag zu essen. Das Erstgericht war die Ansicht, der Beklagte habe darauf vertrauen dürfen, dass der Hund nicht dazu neige, den Zaun zu überspringen und dass die Art der Umzäunung hinreichend gewesen sei. Das Berufungsgericht vertrat den Standpunkt, dass die vom Beklagten gewählte Sicherung in Form einer nur 1,5 m hohen Einzäunung nicht ausreichend gewesen sei, um einer Gefährdung des Straßenverkehrs durch das von ihm gehaltene Tier zu begegnen. Die Unberechenbarkeit des Verhaltens eines Hundes, insbesondere bei Abwesenheit seines Herrn infolge des Triebs, diesem zu folgen, sei gerichtsbekannt. Schon bei durchschnittlicher Sorgfalt hätte der Beklagte erkennen müssen, dass der Zaun zu niedrig sei und das freie Herumlaufen des Hundes in dieser Umfriedung in der Nähe der stark befahrenen Bundesstraße keine genügende Verwahrung des Tieres darstelle. Der OGH wies die Revision zurück.

2.2. Dem Judikat 1 Ob 2351/96h lag die Klage einer Hundezüchterin zugrunde, deren läufige Hündin vom Rüden der (dortigen) Beklagten gedeckt wurde. Die Züchterin hatte ihren Hundezwinger mit einem 1,8 m hohen Baustahlgitterzaun mit Maschen-drahtverstärkung geschützt, den der Rüde der Beklagten überwand. Der OGH erachtete die vom Berufungsgericht vorgenommene gleichteilige Verschuldensteilung nicht als korrekturbedürftig und begründete das Mitverschulden der Klägerin damit, dass es ihr als Züchterin habe geläufig sein müssen, dass läufige Hündinnen von Rüden rücksichtslos verfolgt würden und es für diese nahezu kein Hindernis gebe, um zu den Hündinnen vorzudringen. Sie hätte die Hündinnen daher unter völligen Verschluss nehmen müssen, weil sich in der Praxis herausgestellt habe, dass Rüden nur so der Zugang verwehrt werden könne. Der 1,8 m hohe Baustahlgitter- bzw Maschendrahtzaun habe vom Rüden der Beklagten ohne Schwierigkeiten überwunden werden können. Die Klägerin habe somit ein Mitverschulden von 50 % zu verantworten.

2.3. Das OLG Innsbruck befasste sich zu 1 R 262/11f mit dem Unfall einer Radfahrerin, die zu Sturz kam, weil der vierjährige, ausgewachsene und gutmütige Curly-Retriever der Beklagten in ihr Fahrrad gerannt und sie dadurch zu Sturz gebracht hatte. Der 28 kg schwere Hund mit einer Widerristhöhe von 55 cm hatte einen Holzzaun überwunden, ohne diesen zu überspringen, um zu seiner auf der gegenüberliegenden Straßenseite und in seiner Sicht- und Riechweite befindlichen Besitzerin zu gelangen. Der Holzzaun war im Durchschnitt 86 cm hoch und bestand aus Holzpflöcken, an denen drei waagrechte Reihen von jeweils 10cm breiten Zaunlatten befestigt waren. Zwischen den Latten bestanden jeweils Zwischenräume, welche mit waagrecht gespannten Stahlseilen jeweils auf halber Höhe unterteilt waren. Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass der Beklagten der Freibeweis des § 1320 ABGB nicht gelungen sei, weil sie angesichts der besonderen Eigenschaften des Tieres und dessen Drangs, seinen Bezugs-personen nahe zu sein, damit habe rechnen müssen, dass das Tier versuchen werde, den Zaun zu überwinden, um zum Beklagten zu gelangen.

3. Wendet man die oben dargestellten Überlegungen auf den vorliegenden Fall an, ist die vom Erstgericht vertretene Rechtsauffassung, dass der Beklagte seine Hündin nicht ausreichend verwahrt habe, nicht zu beanstanden. Völlig zutreffend hob es im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hervor, dass ein Holzzaun mit einer Höhe von max. 1,14 m für eine Schäferhündin wie E* auch ohne vorgelagerten Schnee leicht überwunden werden könne. Ebenso ist dem Erstgericht darin beizutreten, dass es dem Halter einer Schäferhündin zuzumuten ist, einen Garten, in dem sich das Tier regelmäßig unbeaufsichtigt auffällt, mit einem höheren Zaun zu umgeben. Dies im vorliegenden Fall nicht zuletzt auch deshalb, weil sich unweit des Grundstücks des Beklagten sowohl das von ihm betriebene Gasthaus als auch ein Spielplatz befinden. Vor diesem Hintergrund musste er damit rechnen, dass der öffentliche Bereich nahe seines Hauses und Gartens sowohl von Kindern als auch von anderen Haustieren frequentiert würde. Dass auch gutmütige, folgsame und nicht aggressive Hunde von Trieben und Instinkten geleitet werden können, wird im Ersturteil ebenfalls zutreffend aufgezeigt. Dem Beklagten musste auch bekannt sein, dass Hunde oftmals instinktive und unerwartete Reaktionen setzen und dabei Menschen und andere Tiere gefährden können; dies umso mehr als seine zwischenzeitlich verstorbene Schäferhündin F* der Malteserhündin D* beim Spielen eine Auge herausgebissen hatte.

Insgesamt ist den – alle rechtlichen Aspekte beleuchtenden – Erwägungen des Erstgerichts nichts weiter hinzuzufügen (§ 500a ZPO).

4. Die gerügte sekundäre Mangelhaftigkeit des Ersturteils liegt nicht vor. Ein sekundärer Feststellungsmangel wäre nur dann zu bejahen, wenn rechtserhebliche Feststellungen fehlen und die Rechtssache somit nicht abschließend beurteilbar ist ( Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 § 496 ZPO Rz 10; RS0053317). Dies ist hier nicht der Fall. Zum einen wurde der Inhalt der amtstierärztlichen Stellungnahme vom 7.3.2022 im Sachverhalt ohnedies wiedergegeben (und könnte der Inhalt dieser unstrittigen Urkunde aus dem elektronisch verketteten Strafakt **, welcher in erster Instanz dargetan wurde [ON 10, S 2] ohne Durchführung einer Beru-fungsverhandlung ergänzend berücksichtigt werden; vgl RS0121557 [T5, T9] und RS0040083 [T1]); zum anderen muss auch bei gutmütigen und nicht aggressiven Hunden – wie oben dargelegt – mit von Trieben und Instinkten gelenkten Verhaltensweisen gerechnet werden; dies insbesondere dann, wenn der Tierhalter nicht zugegen ist. Die vom Berufungswerber gewünschte Sachverhaltsergänzung würde daher am rechtlichen Ergebnis nichts ändern.

Insgesamt war der Berufung somit keine Folge zu geben.

Verfahrensrechtliches

1. Die Kostenentscheidung stützt sich auf §§ 50, 40 und 41 Abs 1 ZPO. Der Beklagte ist auf dieser Grundlage verpflichtet, den im Rechtsmittelverfahren obsiegenden Klägern die rechtzeitig und richtig mit EUR 3.595,83 (darin EUR 599,30 USt) verzeichneten Kosten ihrer Berufungsbeantwortung zu ersetzen.

2. Ansprüche von Streitgenossen im Sinne des § 11 Z 2 ZPO sind nicht zusammen-zurechnen (RS0035615). Da der Entscheidungsgegenstand hinsichtlich des Zweit-klägers, der auch ein Feststellungsbegehren geltend machte, nicht ausschließlich in einem Geldbetrag besteht, war diesbezüglich ein Bewertungsausspruch nach § 500 Abs 2 ZPO vorzunehmen. Dabei bestand kein Anlass, von der in der Klage vorgenommenen Bewertung des Feststellungsbegehrens mit EUR 3.000,-- abzugehen. Da ein Schmerzengeld von EUR 5.800,-- sowie die Kosten der zerstörten Jacke von EUR 599,-- auf die Erstklägerin entfallen, war auszusprechen, dass der den Zweitkläger betreffende Wert des Entscheidungsgegenstands EUR 5.000,--, nicht jedoch EUR 30.000,-- übersteigt.

3. Welche Verwahrung und Beaufsichtigung durch einen Tierhalter im Einzelfall erforderlich ist, hängt stets von den Umständen des jeweiligen Falls ab (RS0030157). Die Voraussetzungen für die Zulassung der ordentlichen Revision nach § 502 Abs 1 ZPO liegen daher hinsichtlich beider Kläger (jeweils) nicht vor.