JudikaturJustiz8ObA193/02v

8ObA193/02v – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. März 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Schenk und Mag. Gabriele Jarosch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mohammed Abdul H*****, vertreten durch Dr. Siegfried Kommar, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Mag. Petra Diwok, Rechtsanwältin, 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 34, als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen der B*****, wegen Feststellung (Feststellungsinteresse EUR 11.860,21 brutto und EUR 396,56 netto sA), infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Juni 2002, GZ 7 Ra 168/02f-32, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 22. Februar 2002, GZ 10 Cga 182/99b-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Auf Grund der am 9. 9. 1999 beim Erstgericht eingelangten Klage führte dieses am 20. 10. 1999 eine erste Tagsatzung durch, in der der anwaltlich vertretenen Beklagten aufgetragen wurde, bis zum 10. 11. 1999 mittels Schriftsatzes eine Sachverhaltsdarstellung und einen Beweismittelantrag "vorzunehmen". Ein derartiger Schriftsatz langte nicht ein. In der weiteren Tagsatzung vom 29. 11. 1999 erhielt die nunmehr von einem anderen Rechtsanwalt vertretene Beklagte neuerlich den Auftrag, bis 20. 12. 1999 mittels Schriftsatzes eine Sachverhaltsdarstellung und ein Beweismittelanbot "vorzunehmen". Auch in dieser Tagsatzung bestritt die Beklagte das Klagebegehren nicht, es wurde allerdings beschlussmäßig ihre Bezeichnung berichtigt und erörtert, dass für die Vernehmung des Klägers die Beiziehung eines Dolmetschers unumgänglich sein werde. Zur nächsten Tagsatzung wäre, "sofern das Streitverfahren durchgeführt wird", ein Dolmetscher für Bengali beizuziehen. Nach Vollmachtskündigung durch den Beklagtenvertreter erschien zur Tagsatzung vom 2. 3. 2002 für die Beklagte trotz ausgewiesener Zustellung niemand. Auf Antrag des Klagevertreters fällte daraufhin das Erstgericht ein Versäumungsurteil im klagsstattgebenden Sinn. Dieses Urteil wurde der Beklagten am 8. 3. 2000 durch Hinterlegung zugestellt. Nachdem der Kläger bekanntgegeben hatte, dass über das Vermögen der Beklagten mit Beschluss vom 8. 3. 2000 der Konkurs eröffnet worden sei, verfügte das Erstgericht die Zustellung des Versäumungsurteils und einer Gleichschrift des Fortsetzungsantrages des Klägers an die Masseverwalterin, welche Zustellung mit 26. 7. 2000 bewirkt wurde. Gegen das Versäumungsurteil erhob die Masseverwalterin fristgerecht einerseits Widerspruch und andererseits Berufung, in welch letzterer sie den Standpunkt vertrat, es sei das rechtliche Gehör nicht gewahrt worden und werde durch das angefochtene Urteil die Eröffnung des Konkurses über das Vermögen der Beklagten ignoriert. Das Berufungsgericht verwarf die gegen das Versäumungsurteil gerichtete Berufung der Masseverwalterin, soweit sie Nichtigkeit geltend machte und gab ihr im Übrigen nicht Folge. Es bestätigte das angefochtene Urteil mit der Maßgabe, dass festgestellt wurde, dem Kläger stehe die Klagsforderung sowie eine Prozesskostenforderung als Konkursforderung gegenüber der Beklagten zu. Der erkennende Senat gab mit seiner Entscheidung 8 ObA 104/01d (ON 22) der dagegen erhobenen Revision der Masseverwalterin nicht Folge.

Mit Schriftsatz ON 24 begehrte der Kläger daraufhin, den Widerspruch der Beklagten gegen das Versäumungsurteil mangels Zulässigkeit zurückzuweisen. Im gegenständlichen Fall liege ein sogenanntes "unechtes" Versäumungsurteil im Sinn des § 399 ZPO vor, gegen das Widerspruch nicht erhoben werden könne.

Mit Beschluss ON 26 wies das Erstgericht den Antrag des Klägers, den von der Beklagten gegen das Versäumungsurteil erhobenen Widerspruch mangels Zulässigkeit zurückzuweisen, ab. Es liege ein Versäumungsurteil im Sinn der §§ 396, 398 ZPO vor, weil das Verfahren mangels substanziellen Vorbringens zur Sache noch nicht kontradiktorisch geworden sei. Gegen derartige Versäumungsurteile stehe gemäß § 397a Abs 1 ZPO der Widerspruch zu.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluss mit der angefochtenen Entscheidung. Es sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Da die Beklagte in den Tagsatzungen vom 29. 11. und 20. 12. 1999, welche als eine Einheit aufzufassen seien, keine Urteilsgegenanträge gestellt habe, sei das Verfahren nicht kontradiktorisch geworden. Das am 2. 3. 2000 verkündete Versäumungsurteil sei daher als "echtes" Versäumungsurteil anzusehen, gegen welches Widerspruch erhoben werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Dem dagegen erhobenen Revisionsrekurs des Klägers kommt keine Berechtigung zu.

Nach ständiger Rechtsprechung bezieht sich der Rechtsmittelausschluss des § 397a Abs 3 letzter Satz ZPO nur auf die Bekämpfung des Beschlusses, mit dem das Versäumungsurteil aufgehoben wird. Hingegen gilt dieser Rechtsmittelausschluss nicht für Beschlüsse, mit denen die Zurückweisung des Widerspruchs abgelehnt wurde (RIS-Justiz RS0040948; RS0040885; 9 ObA 203/00v).

Gemäß § 59 Abs 1 Z 4 ASGG sind in Arbeitsrechtssachen die Bestimmungen über Versäumungsurteile und die Widersprüche gegen diese (§§ 442, 442a ZPO) anzuwenden. Gemäß § 442 Abs 1 ZPO ist gegen den Beklagten unter anderem dann ein Versäumungsurteil gemäß § 396 ZPO zu fällen, wenn er von der ersten zur Vornahme der mündlichen Streitverhandlung bestimmten Tagsatzung nach vorausgegangener erster Tagsatzung ausbleibt. Gemäß § 442a Abs 1 ZPO kann gegen Versäumungsurteile nach § 442 Abs 1 ZPO Widerspruch nach § 397a ZPO erhoben werden.

Die Besonderheit des Falles liegt nun darin, dass hier die Beklagte zwar bei der ersten Tagsatzung und der folgenden Streitverhandlung vertreten war, jedoch dort das Begehren weder bestritt noch ein Sachvorbringen erstattete und dass der Kläger erst in der dritten Verhandlung, zu der die Beklagte nicht mehr erschien, den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils stellte, dem das Erstgericht stattgab. Dass es sich bei diesem Versäumungsurteil nach Inhalt und Form um ein solches gemäß § 396 ZPO handelte, kann nicht fraglich sein, wäre doch anderenfalls, somit bei einem beabsichtigten Vorgehen nach § 399 ZPO, ein kontradiktorisches (Versäumungs )Urteil nach Durchführung eines Beweisverfahrens auszufertigen und nicht ein bloßer Urteilsvermerk zu erlassen gewesen (1 Ob 576/91; 7 Ob 291/00w; Rechberger in Rechberger ZPO2 § 399 Rz 1). Das Erstgericht ging dabei offensichtlich von der auch in der Entscheidung über den Antrag auf Zurückweisung des Widerspruchs artikulierten Rechtsauffassung aus, dass ein Fall des § 442 Abs 1 ZPO vorliege, weil das Verfahren noch nicht kontradiktorisch geworden sei. Dieser Rechtsansicht steht die in ihrem relevanten Teil bereits wiedergegebene Formulierung des § 442 Abs 1 ZPO nur scheinbar entgegen:

Der im Sinne des § 442 Abs 1 ZPO ausgebliebenen Partei ist jene gleichzusetzen, die zwar erschienen ist, aber ungeachtet richterlicher Aufforderung nicht verhandelt (§ 133 Abs 2 ZPO; 5 Ob 516/87). In einem derartigen Fall wäre über Antrag des Klägers gemäß §§ 396, 442 Abs 1 ZPO ein Versäumungsurteil zu fällen. Das Unterlassen eines derartigen Antrags bewirkte Ruhen des Verfahrens, wenn die erschienene Partei trotz richterlicher Aufforderung untätig bleibt (RIS-Justiz RS0037064; SZ 56/174). In der Tagsatzung vom 29. 11. 1999 hat weder die Beklagte in der Sache selbst verhandelt noch der Kläger einen Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils gestellt. Mangels richterlicher Aufforderung ist Ruhen des Verfahrens nicht eingetreten. Gerade in einem vom Gesetzgeber zweifelsohne nicht vorhergesehenen Fall ist es erforderlich, über die bloße Wortinterpretation hinaus nach dem Sinn des Gesetzes zu fragen. Dieser ist bei § 442 Abs 1 ZPO zweifelsohne darin zu sehen, dass das Versäumungsurteil gemäß § 396 ZPO solange möglich ist, als der Beklagte noch kein Sachvorbringen erstattet hat (siehe auch Klicka, Wann ist ein "echtes" und wann ein "unechtes" Versäumungsurteil zu fällen?, JBl 1990, 434). Ist eine erste Tagsatzung abgehalten worden, die gemäß § 239 ZPO nicht dem Vorbringen in der Sache selbst dient, besteht, da im Verfahren vor den Bezirksgerichten (und gemäß § 59 Abs 1 Z 2 ASGG in Arbeitsrechtssachen) gemäß § 440 Abs 2 ZPO eine schriftliche Klagebeantwortung nicht stattfindet, die erste Möglichkeit zu Sachvorbringen in der ersten zur Vornahme der mündlichen Streitverhandlung bestimmten Tagsatzung. Wird dort allerdings kein Vorbringen in der Hauptsache erstattet und auch kein Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils gestellt, bleibt die Möglichkeit, ein Versäumungsurteil nach § 396 ZPO zu beantragen, weiter aufrecht bestehen, weil die Voraussetzungen eines kontradiktorischen Urteils im Sinne des § 399 ZPO weiterhin nicht gegeben sind. Ein dann gefälltes Versäumungsurteil ist ein "echtes", gegen das der Widerspruch gemäß §§ 442a, 397a ZPO zulässig ist. Dem Revisionsrekurs ist ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet auf §§ 50, 40 ZPO.

Rechtssätze
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