JudikaturJustiz8Ob59/13d

8Ob59/13d – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Juni 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie den Hofrat Hon. Prof. Dr. Kuras, die Hofrätin Dr. Tarmann Prentner und die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj P***** O*****, geboren am *****, wohnhaft bei ihrer Mutter I***** O*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Niederösterreich als Jugendwohlfahrtsträger (Bezirkshauptmannschaft Tulln, Fachgebiet Jugendwohlfahrt), wegen Unterhalt, über den Revisionsrekurs des Kindes gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 20. März 2013, GZ 23 R 120/13i 37, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Tulln vom 30. Jänner 2013, GZ 16 PU 148/12y 30, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Das Kind lebt im Haushalt seiner Mutter. Der Vater, K***** B*****, geboren am *****, ist aufgrund der Unterhaltsvereinbarung vom 2. 2. 2009 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags von 412 EUR verpflichtet. Dieser Vereinbarung wurde eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von 2.340 EUR netto inklusive Sonderzahlungen zugrunde gelegt. Den Vater treffen keine weiteren Sorgepflichten. Bis Juni 2011 war er als Lagerarbeiter beschäftigt. In der Folge bezog er Kranken und Arbeitslosengeld. Anlässlich seines Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis erhielt er eine Abfertigung von 48.729,98 EUR ausbezahlt. Seit 1. 7. 2012 betreibt der Vater ein Hotel. In dieser Hinsicht verweist er auf wirtschaftliche Anfangsschwierigkeiten.

Am 31. 8. 2012 stellte der Vater den Antrag auf Herabsetzung seines Unterhaltsbeitrags ab 1. 9. 2012 auf monatlich 200 EUR. Das Hotel sei nach vorheriger Ablegung der Konzessionsprüfung am 1. 7. 2012 eröffnet worden. Seinen früheren Beruf habe er aufgrund gesundheitlicher Probleme nicht mehr ausüben können. Derzeit verfüge er über kein Einkommen.

Das Kind sprach sich gegen den Herabsetzungsantrag aus. Die Entscheidungsfreiheit des Vater in Bezug auf die Berufswahl könne nicht zu Lasten des unterhaltsberechtigten Kindes gehen. Im Sommer 2011 habe er seinen Anteil an einem Mehrparteienhaus in Wien verkauft und zudem eine Abfertigung bezogen. Die Abfertigung sei in die Bemessungsgrundlage aliquot einzubeziehen.

Das Erstgericht wies den Herabsetzungsantrag des Vaters ab. Die Abfertigung sei in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen, wobei die Aufteilung nach den Umständen und Lebensverhältnissen angemessen vorzunehmen sei. Höhere Abfertigungsbeträge seien derart aufzuteilen, dass sie dem Unterhaltspflichtigen möglichst lange jene Einkünfte sicherten, die er vor dem Bezug der Abfertigung erhalten habe. Diese Rechtsprechung sei hier maßgebend. Die Abfertigung sei daher zur Erreichung einer Bemessungsgrundlage von rund 2.250 EUR monatlich aufzuteilen. Auf diese Weise sei der bisherige Unterhaltsbeitrag bis etwa Jänner 2014 leistbar. Dies decke sich mit der Anlaufphase, die dem Vater zur Erreichung eines zumindest gleich hohen Einkommens durch seine nunmehrige unselbständige Erwerbstätigkeit zuzugestehen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters Folge und hob den Beschluss des Erstgerichts auf.

Im Anlassfall sei zu berücksichtigen, dass der Vater neben dem Verkaufserlös für seinen Anteil an einem Mehrparteienhaus auch die gesamte Abfertigung in die Schaffung einer neuen Existenz durch Ankauf eines Hotelbetriebs investiert habe. In einem solchen Fall sei die Einbeziehung der Abfertigungssumme in die Bemessungsgrundlage nur dann gerechtfertigt, wenn es sich um die Investition in ein Projekt ohne realistische Aussicht auf einen wirtschaftlichen Erfolg handle. Es sei daher zu prüfen, inwieweit die Schaffung der neuen Existenz wirtschaftlich sinnvoll gewesen sei und in absehbarer Zeit mit einem Gewinn aus dem Hotelbetrieb gerechnet werden könne. Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil zur unterhaltsrechtlichen Berücksichtigung einer Abfertigung, die in die Gründung einer neuen Existenz des Unterhaltsschuldners investiert worden sei, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Kindes, der auf eine Wiederherstellung des Beschlusses des Erstgerichts abzielt.

Der Vater hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Kindes ist im Sinn des § 64 AußStrG aus den vom Rekursgericht angeführten Gründen zulässig. Er ist aber nicht berechtigt.

1. Das Kind steht auf dem Standpunkt, dass der Herabsetzungsantrag des Vaters abzuweisen sei, weil er freiwillig die Selbständigkeit gewählt und ein Hotel erworben habe. Dadurch könne er den Unterhaltsanspruch nicht schmälern. Er müsse zumindest ein gleich hohes Einkommen wie bisher erzielen. Aus diesem Grund müsse während der Anlaufphase die Abfertigung aliquot in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden.

Diesen Ausführungen ist in dieser Allgemeinheit nicht zuzustimmen.

2. Nach herrschender Auffassung ist die dem Unterhaltsschuldner ausgezahlte Abfertigung grundsätzlich in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einzubeziehen. Dabei ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass Abfertigungen je nach deren Höhe und den sonstigen Umständen des Einzelfalls, insbesondere der jeweiligen Lebensverhältnisse, auf die Zeiträume nach deren Bezug aufzuteilen sind (7 Ob 186/08s; 1 Ob 88/09m). Handelt es sich bei der Abfertigung um eine Überbrückungshilfe bis zur Erlangung eines neuen Arbeitsplatzes, so wird diese in der Regel auf so viele Monatsbezüge aufgeteilt, als sie Monatsentgelten entspricht (RIS Justiz RS0050466; 8 Ob 31/10g). Je höher die Abfertigung ist, desto mehr verliert der Überbrückungscharakter aber an Bedeutung, weshalb die angemessene Verteilung auf einen längeren Zeitraum zu erfolgen hat, um dem tatsächlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen gerecht zu werden. In solchen Fällen wird die Abfertigung grundsätzlich auf so viele Monate aufgeteilt, dass sie zusammen mit den weiteren laufend vom Unterhaltspflichtigen bezogenen Einkünften in etwa der Höhe des zuletzt bezogenen Arbeitseinkommens entspricht (vgl Schwimann/Kolmasch , Unterhaltsrecht 5 14 mwN). Eine Aufteilung auf die statistische Lebenserwartung bzw bis zur Erreichung des Pensionsalters wird dann vorgenommen, wenn zwar das gesetzliche Pensionsalter noch nicht erreicht, aber angesichts des Alters und des beruflichen Werdegangs sowie der Kenntnisse und Fähigkeiten des Unterhaltspflichtigen dieser auf dem Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar ist (1 Ob 224/98t; 7 Ob 186/08s).

3.1 Hat der Unterhaltspflichtige die erhaltene Abfertigung für eigene Zwecke investiert, so kommt allerdings nur eine fiktive Anrechnung auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage zu Gunsten des Unterhaltsberechtigten in Betracht. Diese Überlegungen weisen wertungsmäßig eine deutliche Nähe zum Anspannungsgrundsatz (siehe dazu RIS Justiz RS0047686; RS0113751) auf. Maßstab für die Heranziehung des Anspannungsgrundsatzes ist immer das Verhalten eines pflichtbewussten Elternteils. Dieser Grundsatz dient als eine Art Missbrauchsvorbehalt, wenn schuldhaft die zumutbare Erzielung von Einkünften versäumt wird, sodass der angemessene Unterhalt des Berechtigten nicht mehr gesichert ist. Die Anspannungsbeurteilung hat immer die realen Erwerbschancen auszuloten. Sie darf sich nicht in unbegründeten Fiktionen erschöpfen. Die Anspannung auf ein tatsächlich nicht erzieltes Einkommen oder auf tatsächlich nicht mehr verfügbare Entgeltbestandteile darf somit nur dann erfolgen, wenn den Unterhaltsschuldner ein Verschuldensvorwurf trifft.

3.2 Im Anlassfall ist von Bedeutung, dass der Vater die Abfertigung für den Ankauf eines Hotelbetriebs und damit für den Wechsel von einer unselbständigen zu einer selbständigen Erwerbstätigkeit verwendet hat. Auch die unterhaltsrechtliche Zulässigkeit eines Berufswechsels ist am Anspannungsgrundsatz zu messen ( Schwimann/Kolmasch 65). Dementsprechend ermöglicht das Recht auf freie Berufswahl einem bislang unselbständig erwerbstätigen unterhaltspflichtigen Elternteil grundsätzlich auch den Wechsel in eine selbständige Tätigkeit. Dabei ist die vom Unterhaltspflichtigen tatsächlich getroffene Entscheidung über die Berufswahl danach zu beurteilen, ob die Entscheidung nach der subjektiven Kenntnis und Einsicht des Unterhaltspflichtigen nach dem Maßstab eines pflichtbewussten Elternteils im Zeitpunkt der jeweiligen Entscheidung zu billigen war. Ist dies der Fall, so muss vom Unterhaltsberechtigten während einer angemessenen Übergangsfrist auch eine vorübergehende Unterhaltsreduktion in Kauf genommen werden. Bei berechtigter Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit wird dem Unterhaltspflichtigen somit eine gewisse Anlaufphase eingeräumt, in der sich das Unternehmen konsolidieren soll. Die Länge der Anlaufphase ist jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalls, vor allem von der Art des Betriebs, abhängig (RIS Justiz RS0047528; RS0087653).

Nach diesen Überlegungen sind Einkommenseinbußen vom Unterhaltsberechtigten nur dann hinzunehmen, wenn es sich um die Begründung einer realistischen Einkommensquelle handelt und in angemessener Zeit mit einem vergleichbaren oder sogar höheren Einkommen als bisher gerechnet werden kann ( Schwimann/Kolmasch 66). Sind in absehbarer Zeit aber keine entsprechenden Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit zu erwarten, so muss der Unterhaltspflichtige eine unselbständige Erwerbstätigkeit annehmen (RIS Justiz RS0087653; 9 Ob 5/13w mwN).

3.3 Für die Frage, ob der Unterhaltsschuldner eine Abfertigung berechtigterweise für einen Berufswechsel verwenden durfte, kommt es demnach darauf an, ob der Berufswechsel nach Maßgabe des Anspannungsgrundsatzes unterhaltsrechtlich als zulässig anzusehen ist, und ob die Investition der Abfertigung zur Schaffung der neuen Existenzgrundlage (Existenzsicherung) aus wirtschaftlicher Sicht notwendig war. Sind diese Voraussetzungen gegeben, so kann der Unterhaltsschuldner die Heranziehung der Abfertigung als Eigenkapital, das für eine wirtschaftlich vernünftige Unternehmensgründung in einem bestimmten Mindestausmaß vorhanden sein muss, nicht zum Verschuldensvorwurf gemacht werden.

4. Aufgrund ähnlicher Überlegungen wurde in der Rechtsprechung auch schon anerkannt, dass es der ordnungsgemäßen und verantwortungsvollen Gebarung eines pflichtbewussten Elternteils entspricht, wenn eine angefallene Abfertigung zur Tilgung von Krediten verwendet wird, sofern die Kreditraten bemessungsmindernd sind, also zur Finanzierung existenznotwendiger Ausgaben aufgewendet wurden (RIS Justiz RS0007202; vgl Gitschthaler , Unterhaltsrecht 2 Rz 104). Dazu zählen vor allem Ausgaben zur Erhaltung der Erwerbsfähigkeit bzw Schulden zur Erhaltung oder Verbesserung der existenzsichernden Ertragskraft eines Unternehmens (RIS Justiz RS0007202 [T12]; RS0047491 [T9]).

Dadurch wird das oben erzielte Ergebnis bestätigt. Wenn die Abfertigung vom Unterhaltsschuldner ganz oder teilweise zur Abdeckung existenznotwendiger Ausgaben herangezogen werden darf, muss dies bei sachlicher Betrachtung auch für Investitionen gelten, die der Schuldner zur Existenzsicherung benötigt (vgl 5 Ob 24/06z).

5.1 Aus den dargestellten Grundsätzen folgt zusammenfassend, dass die Anrechnung der Abfertigung auf die Unterhaltsbemessungsgrundlage jedenfalls dann nicht gerechtfertigt ist, wenn der Unterhaltsschuldner damit unterhaltsrechtlich berücksichtigungswürdige (existenz-notwendige) Schulden tilgt, oder er den Betrag investiert, um nach dem Anspannungsgrundsatz nicht vorwerfbar eine selbständige Erwerbstätigkeit zur Schaffung einer Existenzgrundlage aufzunehmen (so auch Schwimann/Kolmasch 14).

5.2 Das Rekursgericht ist bei seiner Entscheidung von zutreffenden Grundsätzen ausgegangen. Ist die dem Aufhebungsbeschluss zugrunde liegende Rechtsansicht nicht zu beanstanden, so kann der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht überprüfen, ob sich die vom Rechtsmittelgericht angeordnete Ergänzung des Verfahrens oder der Feststellungen tatsächlich als notwendig erweist (vgl RIS Justiz RS0042179).

Neben den vom Rekursgericht aufgeworfenen Fragen, insbesondere zu den realistischen Chancen auf Erzielung eines regelmäßigen Einkommens in vergleichbarer Höhe wie bisher, ist im fortgesetzten Verfahren auch noch zu prüfen, ob die vom Vater bezogene Abfertigung als Eigenkapital in das neugegründete Unternehmen eingeflossen ist und ob dieser Eigenkapitalbestandteil zur Gänze oder mit einem bestimmten anderen Betrag für die (allenfalls günstige) wirtschaftliche Prognose notwendig war.

Dem Rekurs des Kindes war insgesamt somit der Erfolg zu versagen.

Rechtssätze
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