JudikaturJustiz8Ob52/23i

8Ob52/23i – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann-Prentner und die Hofräte MMag. Matzka, Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L* GmbH, *, vertreten durch Dr. Alexander Haas, Rechtsanwalt in Seiersberg-Pirka, gegen die beklagten Parteien 1. G* H*, 2. C* H*, beide *, beide vertreten durch Dr. Hermann Kienast, Rechtsanwalt in Graz, wegen 17.957,61 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 10. Februar 2023, GZ 2 R 181/22p 64, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 31. August 2022, GZ 49 Cg 15/19g 59, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil zu lauten hat:

„Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei 17.957,61 EUR zuzüglich Zinsen nach dem Basiszinssatz, höchstens 4 % p.a., seit 19. 2. 2019 binnen 14 Tagen zu bezahlen und die mit 23.605,18 EUR (darin 8.694,60 EUR Barauslagen und 2.485,10 EUR USt) bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.“

Die beklagten Parteien sind weiters schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 4.972,16 EUR (darin 1.678,60 EUR Barauslagen und 548,93 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft im Grazer Stadtgebiet, auf der bis Frühjahr 2004 noch ein Haus stand. Mit Bescheid vom 23. 3. 2004 trug die Baupolizei der Stadt Graz der Klägerin auf, das Gebäude abzutragen und ordnete an, die „vermutlich gemeinsame Gebäudewand zum südseitigen Nachbargebäude zu erhalten und gegebenenfalls standfest abzusichern“. Die Klägerin kam diesem behördlichen Auftrag nach. Die stehen gebliebene Wand, die sich unstrittig auf dem Grundstück der Klägerin befand, wurde von ihr mit Holzbalken abgestützt.

[2] Die Beklagten erwarben im Jahr 2013 das südseitige Nachbargrundstück mit dem darauf errichteten, bereits damals in sanierungsbedürftigem Zustand befindlichen Gebäude. Seine Deckenbalken trugen ihre Last in die klagsgegenständliche Mauer ab. Nach dem Abriss des Nachbargebäudes war die stehengebliebene Mauer der Witterung ausgesetzt. Die Stütze durch die Holzpfosten verlor sukzessive ihre Funktion. Die Standfestigkeit des Beklagtengebäudes war dadurch gefährdet.

[3] Das Haus der Beklagten ist nicht mehr bewohnt, verwahrlost und baufällig. Es wurde am 14. 12. 2015 ein Abbruchbescheid dafür erlassen, der aber im April 2018 im Instanzenzug aufgehoben wurde. Das Verfahren ist noch nicht rechtskräftig entschieden.

[4] Unmittelbar nach Erhalt der aufhebenden Entscheidung forderten die Beklagten die Klägerin auf, Instandsetzungsarbeiten an der gegenständlichen Mauer zu ergreifen, wobei ihr die Wahl der Maßnahmen freistehe.

[5] Die Holzstützen waren zu dieser Zeit nicht mehr tragfähig, die Mauer hatte sich um ca 8 cm nach Norden geneigt und eine Ecke war von einem Baum durchwachsen. Die Klägerin entschloss sich nach längerer Korrespondenz der Streitteile für den Abbruch und die Neuerrichtung in Form einer Schalsteinmauer. Eine Alternative gab es nicht. Die mit der Errichtung beauftragte Baufirma verrechnete für ihre Arbeit den Klagsbetrag.

[6] Bautechnisch ist die neuerrichtete Mauer nicht fachgerecht, weil sie unverputzt geblieben ist und Unregelmäßigkeiten mit einem nicht witterungsbeständigen Schaum ausgefüllt wurden. Ob die Mauer standfest errichtet wurde, konnte nicht festgestellt werden.

[7] Zwischen der neuen Mauer und dem Beklagtengebäude besteht ein Spalt, teilweise wurde die Fuge mit Mörtel ausgefüllt. Das Gebäude selbst weist Senkungen und einen Riss auf und ist teilweise nach oben hin offen. Es besteht kein Verbund zwischen der östlichen und der neuen nördlichen Außenwand, wobei aber nicht feststellbar war, ob ein solcher in einer früheren baulichen Konfiguration vorhanden war.

[8] Die Klägerin begehrt von den Beklagten den Ersatz der Errichtungskosten für die Mauer.

[9] Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Das Gebäude der Beklagten habe durch den Abbruch des Nachbarhauses die erforderliche Stütze verloren, weshalb die Klägerin zur Wiederherstellung verpflichtet gewesen sei und diesen Aufwand selbst zu tragen habe.

[10] Das Berufungsgericht schloss sich der Rechtsansicht, dass ein A nwendungsfall des § 364b ABGB vorliege, nicht an, gab dem Rechtsmittel der Klägerin im Ergebnis aber keine Folge.

[11] Die Erbauer des Hauses der Beklagten hätten sich die Errichtung einer eigenen Außenmauer erspart und direkt an die vorbestehende Mauer des Nachbarhauses angebaut. Es sei damit eine Dienstbarkeit begründet worden, die den Eigentümer des belasteten Grundstücks lediglich zur Duldung des Gebrauchs verpflichte. Die im Abbruchbescheid der Klägerin erteilte Auflage, die Mauer zu erhalten, begründe keine privatrechtliche Verpflichtung gegenüber den Beklagten. Die Neuerrichtung der Mauer stelle sich daher grundsätzlich als Anwendungsfall des § 1037 ABGB dar. Ein Ersatzanspruch der Klägerin sei aber deswegen zu verneinen, weil die neue Mauer nicht zum klaren und überwiegenden Vorteil der Beklagten diene. Sie könne den Verfall ihres Hauses nicht aufhalten und habe den Wert ihrer Liegenschaft nicht erhöht.

[12] Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision nach § 508 ZPO nachträglich für zulässig, weil es eine erhebliche Rechtsfrage darstellen könne, ob die im behördlichen Abbruchbescheid angeordnete Auflage, die Gebäudewand zu erhalten, einen privatrechtlichen Erhaltungsanspruch der Beklagten gegen Kostenersatz begründet.

Rechtliche Beurteilung

[13] Die Revision der Klägerin ist zur Verdeutlichung der Rechtslage iSd § 502 Abs 1 ZPO zulässig. Die Revision ist – wenn auch nur im Ergebnis – auch berechtigt.

[14] 1. Im Rahmen der Behandlung einer ordentlichen Revision ist die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts in jeder Hinsicht zu überprüfen (vgl RIS Justiz RS0048272). Der Oberste Gerichtshof ist nicht an die Begründung des Zulassungsausspruchs der zweiten Instanz beschränkt. Die Revision macht insoweit eine erhebliche Rechtsfrage geltend, als sie auf das vom Berufungsgericht außer Acht gelassene Verlangen der Beklagten, eine Sanierung durchzuführen, und auf die Verpflichtung der Klägerin als Grundeigentümerin, an der notwendigen baubehördlichen Bewilligung mitzuwirken, hinweist.

[15] 2. Nach § 472 ABGB ist von einer Dienstbarkeit auszugehen, wenn ein Eigentümer verbunden ist, zum Vorteil eines anderen in Rücksicht seiner Sache etwas zu dulden oder zu unterlassen. Das Gesetz unterscheidet dabei zwischen Feldservituten (§ 477 ABGB) und Hausservituten. Zu den Letzteren zählen etwa die Rechte, eine Last eines Gebäudes auf ein fremdes Gebäude zu setzen, Balken oder Sparren in eine fremde Wand einzufügen, den Luftraum des Nachbarn zu überbauen oder die Dachtraufe auf seinen Grund zu leiten (§ 475 ABGB).

[16] Die streitgegenständliche Mauer befand (und befindet sich auch nach der Neuerrichtung) auf dem Grundstück der Kläger. Das Berufungsgericht ist daher rechtlich zutreffend davon ausgegangen, dass durch den Anbau des Nachbargebäudes, bei dem unter anderem dessen Deckenbalken in die fremde Wand eingefügt wurden, zugunsten der jeweiligen Eigentümer des Beklagtengrundstücks eine Servitut iSd § 475 Abs 1 Z 1 und 2 ABGB begründet wurde.

[17] 3. Richtig hat das Berufungsgericht auch ausgeführt, dass eine Servitut den Eigentümer der dienenden Sache nicht zu einem bestimmten Tun verpflichtet, sondern er nur die Ausübung des Rechts des Berechtigten gestatten und Maßnahmen zu unterlassen hat, die diesen in seinem Gebrauch stören (§ 482 ABGB; RS0105768; RS0011544).

[18] Die Kosten, die mit Herstellung und Erhaltung der zur Dienstbarkeit bestimmten Sache verbunden sind, hat grundsätzlich der Servitutsberechtigte zu tragen. Nur wenn die dienstbare Sache auch vom Verpflichteten oder weiteren Berechtigten benützt wird, haben alle Nutzer entsprechend dem quantitativ und qualitativ zu bemessenden Anteil ihrer Benützung den dazu nötigen Aufwand mitzutragen (§ 483 ABGB; RS0011750; Koch in KBB 7 § 483 Rz 1; Bittner in Fenyves/Kerschner/Vonkilch ABGB³ § 483 Rz 4).

[19] Maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem der zu ersetzende Aufwand getätigt wurde (RS0117679).

[20] Eine von den Grundsätzen des § 483 ABGB abweichende Vereinbarung wurde im Verfahren nicht behauptet.

[21] 4. Nach den Feststellungen diente die gegenständliche Wand auf dem Beklagtengrundstück bis zum Abriss des klägerischen Hauses beiden Nachbarn als Außenwand ihres Gebäudes. Seither hatte sie für die Klägerin, die das Grundstück bisher nicht neu bebaut hat, keinerlei Nutzen mehr. Sie war aber verpflichtet, die Wand stehen zu lassen, und zwar nicht nur aufgrund des öffentlich-rechtlichen baubehördlichen Auftrags, die Wand zu erhalten (= nicht mit dem übrigen Gebäude abzubrechen), sondern zivilrechtlich aufgrund des Verbots, die Ausübung der Dienstbarkeit durch den Nachbarn zu stören.

[22] 5. Nach den Grundsätzen der Kostentragung nach § 483 ABGB folgt daraus, dass es danach Sache der Beklagten und ihrer Rechtsvorgänger war, die jetzt ausschließlich nur mehr ihren Zwecken dienende Wand instandzuhalten. Die Klägerin war nur verpflichtet, allfällige dafür erforderliche Bau- und Sanierungsmaßnahmen zu dulden.

[23] Die Beklagten waren entgegen den Revisionsausführungen als Servitutsberechtigte – im Rahmen schonender Ausübung der Dienstbarkeit – grundsätzlich auch zu den erforderlichen Baumaßnahmen auf dem fremden Grundstück berechtigt. Der Grundeigentümer darf die Durchführung notwendiger Herstellungs- und Instandsetzungsarbeiten an der dienenden Sache nicht verbieten und hat, soweit dafür erforderlich, über die Duldungspflicht hinaus auch an behördlichen Bewilligungsverfahren mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht kann auch klageweise durchgesetzt werden (RS0107735 [T2, T3]; 1 Ob 157/22b).

[24] 6. Nach den Feststellungen haben sich die Beklagten und deren Vorgänger zunächst um die Erhaltung der Mauer nicht gekümmert, sodass sie die im Sachverhalt beschriebenen nachteiligen Einwirkungen auf ihr Gebäude selbst zu vertreten hatten. Im Jahr 2018 haben sie aber die Klägerin zur Instandsetzung aufgefordert und ihr die dafür anzuwendenden Maßnahmen freigestellt. Die Klägerin hat, indem sie der Aufforderung der Beklagten nachkam, einen Aufwand getätigt, der ihnen als Servitutsberechtigten selbst oblegen wäre. Es steht zudem fest, dass die von der Klägerin gewählte Methode der Neuerrichtung der Mauer alternativlos war.

[25] 7. Hat ein Dienstbarkeitsbelasteter den Aufwand, der nach den Grundsätzen des § 483 ABGB dem Berechtigten obliegt, allein getragen, kann er nach ständiger Rechtsprechung dafür nach § 1042 ABGB Ersatz fordern (RS0011750; RS0028060 [insb T5]). Da die Mauer für die Klägerin selbst keinen Nutzen mehr hatte, war sie nicht verhalten, sich an den Kosten der Neuerrichtung zu beteiligen.

[26] Die vom Berufungsgericht für iSd § 502 Abs 1 ZPO wesentlich erachtete Frage der Rechtsfolgen des an die Klägerin ergangenen baubehördlichen Auftrags zur „Erhaltung“ der Mauer ist für die Ersatzpflicht der Servitutsberechtigten nicht einschlägig. Auch wenn die Klägerin nicht allein über Aufforderung der Beklagten, sondern (auch) aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift einen Aufwand getätigt hätte, war dieser hier letztlich nach § 483 ABGB allein von den Servitutsberechtigten zu ersetzen (vgl 7 Ob 2427/96d).

[27] 8. Die Höhe der von der Klägerin aufgewendeten Kosten für die Errichtung der Mauer ist unstrittig. Da die Beklagten die Sanierung verlangt haben, ihr die Wahl der von ihnen verlangten Sanierungsmaßnahme freigestellt haben und die gewählte Neuerrichtung alternativlos war, haben sie die Kosten zu ersetzen.

[28] Ob die Mauer in der vorliegenden Form schon geeignet ist, den von den Beklagten zu vertretenden weiteren Verfall ihres Hauses hintanzuhalten, ist entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts für die Ersatzpflicht ohne Relevanz. Ebenso wenig kommt es hier darauf an, ob die Mauer derzeit unvollständig an das Nachbargebäude angeschlossen ist, teilweise mit nicht witterungsbeständigem Bauschaum ausgebessert wurde und kein Verputz angebracht ist. Alle zusätzlichen Maßnahmen zur baulichen Einbindung und Stabilisierung ihres Gebäudes und zum allfälligen Schutz der Mauer vor Verwitterung wären ihrerseits Angelegenheit der Erhaltungspflicht der Beklagten. Dass die getätigten Aufwendungen nutzlos wären, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen.

[29] 9. Im Ergebnis war daher in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen der Revision der Klägerin Folge zu geben.

[30] Der Zinsenzuspruch gründet sich auf das Klagebegehren. Der Klagsforderung liegt kein unternehmensbezogenes Geschäft iSd § 456 UGB zugrunde. Die Klägerin hat jedoch nur Zinsen nach „Basiszins“ begehrt, der seit Fälligkeit der Klagsforderung jeweils unter 4 % (§ 1000 ABGB) gelegen ist.

[31] Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO. Für die Berufung im zweiten Rechtsgang war keine Pauschalgebühr zu entrichten.

Rechtssätze
7