JudikaturJustiz8Ob52/22p

8Ob52/22p – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. Mai 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn und die Hofräte Dr. Stefula und Dr. Thunhart als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. M* und 2. M*, beide vertreten durch die Riedl-Ludwig-Penzl Rechtsanwälte GmbH in Haag, gegen die beklagten Parteien 1. R* und 2. M*, beide vertreten durch Mag. Harald Wiesmayr, Rechtsanwalt in Grein, wegen Feststellung und Einverleibung einer Dienstbarkeit, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 22. Dezember 2021, GZ 21 R 197/21k 23, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Amstetten vom 29. Juli 2021, GZ 20 C 631/19h 19, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, den klagenden Parteien die mit 717,60 EUR (darin 119,60 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] Die Kläger sind Wohnungseigentümer einer (herrschenden) Liegenschaft, auf dem sich ein G ebäude mit drei Wohneinheiten befindet. Die Abwässer dieses Gebäudes werden seit sein er Errichtung in d en 70er Jahren in die auf der benachbarten Liegenschaft gelegene Senkgrube abgeleitet, die im Eigentum der Beklagten steht.

[2] Ursprünglich standen beide Liegenschaften im Eigentum der Eltern der Zweitklägerin und des Erstbeklagten. Im Jahr 2006 schenkten sie eine der im Gebäude befindlichen Wohnungen der Zweitbeklagten und im Jahr 2008 dem Erstbeklagten die benachbarte (dienende) Liegenschaft. Dem Erstbeklagten war damals bereits bekannt, dass die Abwässer des Gebäudes auf seine Liegenschaft geleitet werden. Im Jahr 2010 übergaben die Eltern den Klägern die restlichen Wohnungseigentumsanteile, sodass diese nunmehr Eigentümer der gesamten Liegenschaft sind. Im Jahr 2012 schenkte der Erstbeklagte das Hälfteeigentum an seiner Liegenschaft der Zweitbeklagten.

[3] Die Kläger begehren die Feststellung und Einverleibung der Dienstbarkeit der Ableitung der Abwässer dreier Wohneinheiten in die auf der Liegenschaft der Beklagten befindliche Senkgrube.

[4] Die Beklagten bestritten und wendeten unter anderem ein, dass bis zum Jahr 2006 nur fünf Personen im Gebäude wohnten und eine eigenmächtige Ausdehnung der Dienstbarkeit unzulässig sei.

[5] Das Erstgericht gab der Klage im Sinne einer uneingeschränkten Dienstbarkeit statt. Da sowohl die Zweitklägerin als auch der Erstbeklagte wussten, dass die Abwässer des Gebäudes auf die benachbarte Liegenschaft geleitet werden, sei durch die Übertragung eines Wohnungseigentumsanteils an die Zweitklägerin eine außerbücherliche Dienstbarkeit entstanden. Dass mittlerweile acht Personen im Gebäude wohnen würden, sei mit keiner erheblichen Mehrbelastung verbunden, weshalb keine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit vorliege.

[6] Das Berufungsgericht gab der Klage ebenfalls statt, beschränkte die Dienstbarkeit der Ableitung der Abwässer aber – dem Klagebegehren entsprechend – auf drei Wohneinheiten, wie sie im bestehenden Gebäude vorhanden sind. Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige, und ließ die Revision im Hinblick auf die Frage der Zulässigkeit von Dienstbarkeiten zu Gunsten eines Wohnungseigentumsanteils sowie des Umfangs der Dienstbarkeit zu.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[8] 1. Bei Übereignung einer von zwei Liegenschaften desselben Eigentümers, von denen eine offenkundig der anderen dient und weiterhin dienen soll, entsteht nach ständiger Rechtsprechung auch ohne spezifische Vereinbarung unmittelbar durch den Übertragungsakt eine (außerbücherliche) Dienstbarkeit (RIS Justiz RS0011618; RS0131628). Im Zweifel ist nämlich anzunehmen, dass ein bestehender Zustand aufrecht bleiben und die Eigentümerbefugnis demnach als Grunddienstbarkeit fortbestehen soll (RS0011618 [T13]). Hatte der Erwerber – wie dies auf den Erstbeklagten zutrifft – Kenntnis von der faktisch bestehenden Dienstbarkeit, kommt es auf die Offenkundigkeit der Dienstbarkeit nicht mehr an (RS0011618 [T8, T10, T19]).

[9] 2. Die von den Beklagten relevierte Rechtsfrage, ob ein Wohnungseigentumsanteil angesichts des Grundsatzes der Unteilbarkeit von Dienstbarkeiten „herrschendes Gut“ sein kann, stellt sich im gegenständlichen Fall gar nicht, weil sich die von den Vorinstanzen festgestellte Dienstbarkeit ohnehin auf die gesamte Liegenschaft der Kläger bezieht. Entgegen der Ansicht der Beklagten schadet es auch nicht, dass die Eltern im Jahr 2008 noch neben der Zweitklägerin Wohnungseigentümer waren. Nur solange zwei Liegenschaften im Eigentum der selben Person stehen, kann zwischen ihnen keine Dienstbarkeit begründet werden (RS0122304). Demgegenüber steht das Miteigentum an einer Liegenschaft der Begründung einer Dienstbarkeit zu Gunsten des Miteigentümers nach ständiger Rechtsprechung nicht entgegen (RS0011528). Dies gilt naturgemäß auch für das Wohnungseigentum (5 Ob 157/08m = RS0011528 [T9]).

[10] 3. Die Beklagten streben eine Einschränkung der Dienstbarkeit auf fünf, höchstens aber sechs Personen an, wie sie im Jahr 2006 bzw 2008 im Gebäude der Kläger wohnhaft waren. Richtig ist, dass Dienstbarkeiten nach § 484 ABGB nicht erweitert werden dürfen. Nach ständiger Rechtsprechung muss der Umfang auch bei einer gemessenen Dienstbarkeit aber nicht exakt bestimmt sein, sondern kann sich auch aus der Bezugnahme auf eine bestimmte Bauweise eines Bauwerks auf der herrschenden Liegenschaft ergeben, die dann die Grundlage für das Benutzungsrecht bildet (RS0105550 [T4]; RS0116523 [T3]). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach die Dienstbarkeit die Ableitung der Abwässer dreier Wohneinheiten umfasst, wie sie im Gebäude der Kläger schon im Jahr 2006 vorhanden waren, hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Im Übrigen ist die Auslegung des Umfangs der Dienstbarkeit stets von den Umständen des Einzelfalls abhängig und stellt daher keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung dar (RS0011720 [T7]; RS0105550 [T5]).

[11] 4. Die Revision der Beklagten war daher zurückzuweisen.

[12] 5. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Kläger haben in ihrer Rechtsmittelbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.