JudikaturJustiz8Ob121/19f

8Ob121/19f – OGH Entscheidung

Entscheidung
19. Dezember 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Tarmann Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. W*****, Rechtsanwalt, *****, als Insolvenzverwalter im Schuldenregulierungsverfahren über das Vermögen des A*****, gegen die beklagte Partei Dr. M*****, vertreten durch Mag. Markus Dutzler, Rechtsanwalt in Linz, wegen 26.761,98 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 20. August 2019, GZ 6 R 86/19p 24, mit dem das Urteil des Landesgerichts Linz vom 7. März 2019, GZ 11 Cg 38/18d 13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

I. Das Verfahren wird über Antrag der klagenden Partei fortgesetzt und die Bezeichnung der klagenden Partei wie im Kopf der Entscheidung ersichtlich berichtigt.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Es wird festgestellt, dass die Forderung der beklagten Partei an Kosten des Revisionsverfahrens mit 1.725,84 EUR (darin 287,64 EUR USt) zu Recht besteht.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

I. Ist die Unterbrechung des Verfahrens gemäß § 7 Abs 1 IO im Revisionsstadium eingetreten, dann ist der Oberste Gerichtshof zur Entscheidung über den Aufnahmeantrag und die Berichtigung der Bezeichnung der Partei, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, berufen (§ 165 Abs 1 ZPO; RIS Justiz RS0097353). Aufgrund des Fortsetzungsantrags des Klägers war daher die Fortsetzung zu beschließen und die Parteienbezeichnung auf den Insolvenzverwalter zu berichtigen.

II. Der Beklagte schritt in einem Vorprozess nach einem Vertreterwechsel als bevollmächtigter anwaltlicher Vertreter des Klägers ein. Der Kläger unterlag in diesem Vorprozess mit einem Teil seines Klagebegehrens von 11.040 EUR sA, den das dortige Berufungsgericht wegen Unschlüssigkeit abwies.

Der Kläger begehrte vom Beklagten nunmehr aufgrund von Schlechtvertretung die Zahlung eines Schadenersatzes von insgesamt 26.761,98 EUR sA. Der Beklagte habe es entgegen gerichtlicher Aufforderung nicht vermocht, das Klagebegehren im Vorprozess schlüssig zu stellen.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab.

Die ordentliche Revision wurde vom Berufungsgericht für zulässig erklärt, weil keine oberstgerichtliche Anwaltshaftungsjudikatur zur misslungenen Schlüssigstellung eines Begehrens – zumal in einem vom Rechtsanwalt erst in einem späten Stadium übernommenen Aktivprozess – habe aufgefunden werden können. Dies gelte insbesondere für die Frage, wie viel Tatsachensubstrat eine Anwaltshaftungsklage wegen misslungener Schlüssigstellung enthalten müsse, um ihrerseits schlüssig zu sein.

Die vom Beklagten beantwortete Revision des Klägers ist entgegen dem – nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO):

1. Die Schlüssigkeit einer Klage kann nur anhand der konkreten Behauptungen im Einzelfall geprüft werden. Ob eine Klage schlüssig ist, sich also der Anspruch aus dem behaupteten Sachverhalt ergibt, kann daher grundsätzlich keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO sein (RS0116144; RS0037780). Anderes gilt nur, wenn die Annahme der Unschlüssigkeit einer Klage auf einem erheblichen Rechtsirrtum beruht bzw eine auffallende Fehlbeurteilung der Schlüssigkeit durch das Berufungsgericht vorliegt (RS0037780 [T3; T5]). Derartiges zeigt der Revisionswerber hier aber nicht auf.

2.1 Der Kläger ist für die Behauptung beweispflichtig, dass der geltend gemachte Schaden bei einem bestimmten und möglichen pflichtmäßigen Handeln des Rechtsanwalts nicht eingetreten wäre (RS0022700); er hat die Pflichtverletzung und den Kausalzusammenhang zwischen pflichtwidrigem Verhalten und schadensbegründendem Prozessverlust zu beweisen (RS0022700 [T13]). Dazu ist der mutmaßliche Erfolg der pflichtwidrig unterlassenen Schritte zu ermitteln. Bei einem solchen sogenannten hypothetischen Inzidentprozess hat das mit dem Schadenersatzanspruch befasste Gericht den Vorprozess hypothetisch nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie das Verfahren mit überwiegender Wahrscheinlichkeit geendet hätte (RS0022706 [T6]). Das Regressgericht hat seiner Entscheidung den Sachverhalt zu Grunde zu legen, der dem Gericht des Vorverfahrens bei pflichtgemäßem Verhalten des Rechtsanwalts unterbreitet und von ihm aufgeklärt worden wäre (RS0127136). Das Regressgericht hat diesen Sachverhalt allerdings nicht von Amts wegen aufzuklären, sondern es obliegt den Parteien, diesen vorzutragen und die notwendigen Beweise dazu anzutreten (RS0127136 [T1]).

2.2 Vor diesem Hintergrund ist das Berufungsgericht – wie schon das Erstgericht – zur Auffassung gelangt, der Kläger hätte hier ein Vorbringen erstatten müssen, welche Tatsachen der Beklagte im Vorprozess hätte vorbringen können und müssen, um die dortige Klage schlüssig zu stellen, weil nur auf dieser Grundlage eine Hypothese über den Verlauf und den Ausgang des Vorverfahrens möglich sei. Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass die Regressklage mangels eines derartigen Vorbringens unschlüssig geblieben sei, bewegt sich damit im Rahmen der von der Judikatur aufgestellten Grundsätze zur Anwaltshaftung. Entgegen der Meinung des Revisionswerbers hat ihm das Berufungsgericht nicht auferlegt, „sämtliche im Vorprozess vom Beklagten noch (hypothetisch) zu setzenden Schritte auszuführen und darzulegen“, sondern schlicht aufzuzeigen, welches konkrete Vorbringen der Beklagte (schon in erster Instanz) im Vorprozess pflichtwidrig zu erstatten unterlassen hat.

3.1 Auch sonst macht der Revisionswerber keine erhebliche Rechtsfrage geltend: Angebliche Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht verneint wurde, können nach ständiger Rechtsprechung nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963). Dieser Grundsatz, dass Mängel des Verfahrens erster Instanz, die das Berufungsgericht nicht als gegeben erachtete, im Revisionsverfahren nicht neuerlich gerügt werden können, ist nur unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge einer unrichtigen Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen hat; hier liegt bereits ein Mangel des Berufungsverfahrens selbst vor, der gemäß § 503 Z 2 ZPO bekämpfbar ist (RS0043086).

3.2 Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RS0043049). Diese abstrakte Eignung des Verfahrensmangels hat der Rechtsmittelwerber darzutun, wenn die Erheblichkeit des Mangels nicht offenkundig ist (RS0043049 [T6]). Der Rechtsmittelwerber muss in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar ausführen, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre; andernfalls ist der Rechtsmittelgrund nicht gesetzmäßig ausgeführt (RS0043039 [T4]).

3.3 In seiner Verfahrensrüge releviert der Kläger, dass das Erstgericht gegen die Manuduktionspflicht gemäß § 432 ZPO und das Verbot der Überraschungsentscheidung nach § 182a ZPO verstoßen habe, weil es ihn nach der [hier gemäß § 36 ZPO allerdings nur im Innenverhältnis wirksamen] Vollmachtsauflösung durch seinen Rechtsanwalt auf die (drohende) Postulationsunfähigkeit in der [weder von ihm noch von seinem Rechtsanwalt besuchten] Tagsatzung vom 12. 2. 2019 hätte hinweisen und die mangelnde Schlüssigkeit des Klagebegehrens mit ihm hätte erörtern müssen. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dies stelle keine gesetzmäßige Ausführung des geltend gemachten Rechtsmittelgrundes dar, weil der Kläger nicht ausgeführt hat, welches Vorbringen er erstattet hätte, wenn ihn das Erstgericht trotz seiner Säumigkeit (§ 133 ZPO) neuerlich geladen und die Unvollständigkeit seines Vorbringens mit ihm erörtert hätte, hält sich im Rahmen der oben dargestellten oberstgerichtlichen Rechtsprechung.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Der Beklagte hat auf die Unzulässigkeit der Revision des Klägers in seiner Revisionsbeantwortung hingewiesen (RS0035979 [T16]; vgl auch 8 ObA 146/01f).

Rechtssätze
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