JudikaturJustiz7Ob21/07z

7Ob21/07z – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ingo Z*****, vertreten durch Dr. Elfriede Kropiunig und Dr. Michael Kropiunig, Rechtsanwälte in Leoben, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, ***** vertreten durch Dr. Klaus Rainer, Rechtsanwalt in Graz, wegen EUR 166.099,57 sA, Rentenzahlung und Feststellung, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 30. November 2006, GZ 3 R 192/06i-129, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht hat im ersten Rechtsgang eine bestimmte Frage - nämlich ob dem behandelnden Arzt eine Aufklärungspflichtverletzung anzulasten ist - für das Erstgericht bindend entschieden. Es ist offensichtlich, dass sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht von den diese Frage betreffenden Feststellungen als Entscheidungsgrundlage im zweiten Rechtsgang ausgingen, auch wenn das Erstgericht in der angefochtenen Entscheidung diese Feststellungen nicht mehr wiederholte, obwohl die Anrufung des Obersten Gerichtshofes mangels Rechtskraftvorbehaltes noch ausstand. Der Vorgang dient zwar nicht der Übersichtlichkeit, bewirkt aber keinen vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Mangel (vgl 1 Ob 238/05i). Die Beklagte übergeht die ausdrückliche Feststellung, dass der Kläger der Operation bei ordnungsgemäßer Aufklärung im vollen Umfang nicht zugestimmt hätte. Damit erübrigt sich eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Patient zumindest einen Entscheidungskonflikt beweisen müsste, der durch eine vollständige Aufklärung entstanden wäre. Feststellungen können naturgemäß nur nach Eintritt des Schadensfalles in einem Gerichtsurteil getroffen werden, beziehen sich aber dennoch auf die Entscheidung des Klägers im Zeitpunkt der unterlassenen Aufklärung.

Wenn die Revision damit argumentiert, es habe für den Kläger die bevorstehende Gefahr des Wurzeltodes und damit der dauernden Lähmung bestanden, der Kläger sei wegen seiner Schmerzen berufsunfähig gewesen und man habe ihm wegen seiner ängstlichen Persönlichkeit und der Notwendigkeit der Operation nicht alle Operationsrisken nennen können, entfernt sie sich von den Feststellungen. Es konnte nämlich nicht festgestellt werden, ob der Kläger als Folge seiner Bandscheibenbeschwerden ohne Operation nicht mehr arbeitsfähig geworden wäre und dass bei Unterlassen der Operation irreversible Lähmungserscheinungen aufgetreten wären. Vielmehr steht fest, dass es beim Krankheitsbild des Klägers vor der Operation auch passieren hätte können, dass sich die Bandscheibenvorfälle im Laufe der Zeit komplett rückbilden oder sich örtlich verlagern, sodass keine Nervenwurzeln mehr maßgeblich tangiert worden wären. Nach ständiger Rechtsprechung umfasst die Verpflichtung des Arztes aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht, den Patienten über die Art und Schwere sowie die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen einer Behandlung zu unterrichten (RIS-Justiz RS0038176). Für die nachteiligen Folgen einer ohne Einwilligung oder ausreichenden Aufklärung vorgenommenen Behandlung des Patienten haftet der Arzt selbst dann, wenn dem Arzt bei der Behandlung kein Kunstfehler unterlaufen ist, es sei denn, dass der Arzt beweist, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung in die Behandlung eingewilligt hätte (RIS-Justiz RS0038485). Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage der Beweislast nicht, da eine positive Feststellung dahin getroffen werden konnte, dass der Kläger der Operation bei vollständiger Aufklärung nicht zugestimmt hätte.

Die ärztliche Aufklärung soll den einwilligenden Patienten in die Lage versetzen, die Tragweite seiner Einwilligung zu überschauen (7 Ob 15/04p; RIS-Justiz RS0026413). Der Patient kann nur dann wirksam seine Einwilligung geben, wenn er über die Bedeutung des vorgesehenen Eingriffes und seine möglichen Folgen hinreichend aufgeklärt wurde (RIS-Justiz RS0026499). Nach ständiger Judikatur reicht die ärztliche Aufklärungspflicht umso weiter, je weniger der Eingriff aus der Sicht eines vernünftigen Patienten vordringlich oder gar geboten ist. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig (RIS-Justiz RS0026772). Dann ist die ärztliche Aufklärungspflicht im Einzelfall selbst dann zu bejahen, wenn erhebliche nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind (RIS-Justiz RS0026313).

Die Frage, in welchem Umfang der Arzt den Patienten aufklären muss, ist keine feststellungsfähige Tatfrage, sondern eine Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0026763), die nach den Umständen des Einzelfalls zu beantworten ist (RIS-Justiz RS0026529). Grundsätzlich muss der Arzt nicht auf alle nur denkbaren Folgen einer Behandlung hinweisen (RIS-Justiz RS0026529). Die ärztliche Aufklärungspflicht ist aber beim Vorliegen sogenannter typischer Gefahren verschärft. Die Typizität ergibt sich nicht aus der Komplikationshäufigkeit, sondern daraus, dass das Risiko speziell dem geplanten Eingriff anhaftet und auch bei Anwendung aller größter Sorgfalt und fehlerfreier Durchführung nicht sicher zu vermeiden ist und den nichtinformierten Patienten überrascht, weil er nicht damit rechnete (4 Ob 132/06z; RIS-Justiz RS0026340). Diese typischen Risken müssen erhebliche Risken sein, die geeignet sind, die Entscheidung des Patienten zu beeinflussen, ohne dass dabei nur auf die Häufigkeit der Verwirklichung dieses Risikos abzustellen wäre (RIS-Justiz RS0026581). Die ärztliche Aufklärungspflicht ist selbst dann zu bejahen, wenn erheblich nachteilige Folgen wenig wahrscheinlich sind. Es ist auch auf seltene - aber gravierende - Zwischenfälle hinzuweisen (RIS-Justiz RS0026313, RS0026375).

Die Entscheidung des Berufungsgerichtes hält sich im Rahmen der dargelegten Judikatur. Die Operation war nicht dringend geboten, sodass über die typischen Gefahren der Operation aufzuklären gewesen wäre. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Berufungsgericht die Verletzung der Aufklärungspflicht des Arztes bejaht, wenn er nicht über die möglichen Operationsrisken, nämlich nicht mehr heilbare Harn- und Stuhlinkontinenz, Lähmung der Blase, Reiterhosensyndrom, Lähmung einer Zehe, Lähmung des Hüftbandes und Impotenz hingewiesen wurde, selbst wenn diese Risken nur im Falle einer körperlichen Anomalie eintreten und die Anomalie weder präoperativ noch während der Operation rechtzeitig erkannt werden kann. Aus den Feststellungen ist nicht abzuleiten, dass der Kläger aus psychischen Gründen nicht hätte umfassend aufgeklärt werden können.

Es werden insgesamt keine erheblichen Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend gemacht. Die Entscheidung bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

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