JudikaturJustiz6Ob230/01v

6Ob230/01v – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden sowie den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Julia P*****, geboren am 18. Februar 1987, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses des Vaters Josef P*****, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. März 2001, GZ 44 R 541/00k-116, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 19. Juli 2001, AZ 44 R 541/00k, womit der Beschluss des Bezirksgerichtes Döbling vom 20. September 2000, GZ 19 P 297/97a-110, teils bestätigt und teils abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss wird aufgehoben, die Rechtssache an das Rekursgericht zurückverwiesen und diesem eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Eltern der jetzt bei ihrer Mutter lebenden, 14jährigen Minderjährigen (im Folgenden nur Kind) leben seit 13. Oktober 1997 getrennt, ihre Ehe ist bereits geschieden.

Am 11. November 1997 stellte das durch seine (anwaltlich vertretene) Mutter vertretene Kind den Antrag, den Vater - der monatlich 28.500 S netto verdiene und seiner Naturalunterhaltsleistungspflicht nicht nachkomme - ab 1. Dezember 1994 zu einem monatlichen Unterhaltsbeitrag von "zumindest" 6.000 S zu verpflichten. Der Vater sprach sich gegen den Unterhaltsfestsetzungsantrag aus. Im zweiten Rechtsgang ist Gegenstand des vom Vater erhobenen Revisionsrekurses nur mehr das vom Erstgericht abgelehnte Unterhaltsbegehren des Kindes für die Vergangenheit (1. Dezember 1994 bis 31. Oktober 1997), dem das Rekursgericht teilweise stattgab. Das Erstgericht gelangte zur gänzlichen Antragsabweisung, weil der Vater seiner Naturalunterhaltsleistungspflicht im strittigen Zeitraum zur Gänze nachgekommen sei. Dabei ging es von folgendem Durchschnittseinkommen des Vaters (als Unterhaltsbemessungsgrundlage), jeweils monatlich netto, in den nachgenannten Zeiträumen aus: 12/1994-12/1995 37.500 S, 1/1996-12/1996 rund 42.200 S, 1/1997-10/1997 rund 40.200 S, und demnach von folgendem (fiktiven) Geldunterhaltsanspruch des Kindes:

12/1994-12/1995 6.750 S (18 %), 1/1996-12/1996 7.600 S (18 %), 1/1997 bis 2/1997 7.200 S (18 %), 3/1997-10/1997 8.000 S (aufgrund eines Alterssprungs nun 20 %). Die dem Kind entweder zur Gänze oder anteilig zugute gekommenen monatlichen Leistungen des Vaters für das Kind betrugen - einschließlich des Drittelanteils des Kindes an den vom Vater bezahlten Mietkosten - 1994 10.093,33 S (incl. 6.720 S für vom Vater erbrachte "Betreuungsleistungen" durch Beaufsichtigung des Kindes während der Nacht- und Wochenenddienste der Mutter als Ärztin unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 100 S), 1995 10.373,33 S (incl. 7.000 S für Betreuungsleistungen), 1996 10.721,78 S (incl. 5.180 S für Betreuungsleistungen) und 1997 4.836,66 S. Das Erstgericht folgerte, für den Zeitraum 12/1994-12/1996 fänden diese Beträge bereits in den von der Mutter zugestandenen Leistungen des Vaters Deckung. 1997 seien noch weitere Leistungen des Vaters anzunehmen, weil die Mutter nach eigenen Angaben monatliche Ausgaben von rund 14.000 S bei einem monatlichen eigenen Einkommen von 11.169,67 S (vor Steuern) getätigt und 1997 auch drei Urlaube (Kitzsteinhorn, Tirol und Jesolo) allein finanziert habe. Das Rekursgericht sprach dem Kind teilweise Unterhaltsbeträge für die Vergangenheit zu (monatlich 4.500 S für den Zeitraum 1. Dezember 1994 bis 31. Dezember 1995, 2.300 S für den Zeitraum Jänner bis Dezember 1996 und 4.000 S für den Zeitraum Jänner bis einschließlich Oktober 1997). Es erachtete, die vom Vater erbrachten Betreuungsleistungen durch Beaufsichtigung des Kindes während der Nachtdienste der Mutter als Ärztin im Umfang von rund 21 Stunden pro Monat könnten bei Klärung der Frage, ob der Vater seine Naturalunterhaltsleistungspflicht verletzt habe, nicht in Geld umgerechnet werden, weil dies zu absurden Ergebnissen führen würde, wenn etwa eine tägliche Betreuungszeit von 12 Stunden zugrunde gelegt werde, ergäbe dies doch einen anrechenbaren Betrag von 48.000 S monatlich. Die Rechtfertigung der Nichtberücksichtigung ergebe sich vor allem aber daraus, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit eines Kindes bei durchschnittlichen Verhältnissen bei Erreichen eines Einkommens in der Höhe des Richtsatzes für die Ausgleichszulage angenommen werde. Bei einem Einkommen eines Kindes in dieser Höhe erlösche die Geldunterhaltspflicht, obwohl eine Betreuungs- und insbesondere Beaufsichtigungsnotwendigkeit bestehen bleiben könne. Die eigentliche Betreuungsleistung, die in der Anwesenheit eines Elternteiles bestehe, sei nicht in Geld umzurechnen. Der vom Kind begehrte monatliche Unterhaltsbeitrag von 6.000 S finde in dem dem Vater auferlegbaren monatlichen Geldunterhaltsbeitrag Deckung. Von diesem seien die als Leistung von Naturalunterhalt anzuerkennenden Beträge abzuziehen. Dazu gehörten aber nicht die Betreuungsleistungen und - was bei allseitiger rechtlicher Prüfung von Amts wegen aufzugreifen ist - auch nicht die Mietzahlungen des Vaters, wohl aber dessen anteiligen Wohnungsnutzungskosten und Sachleistungen. Da rückwirkend Unterhalt begehrt werde, führe die (bloß teilweise) Verletzung der Naturalunterhaltspflicht nicht zur gänzlichen Umwandlung in einen Geldunterhaltsanspruch, weil der Vater die Naturalunterhaltsleistungen in Erwartung der Anrechnung auf seine Unterhaltspflicht erbracht habe. Es seien daher nur die durch bereits erbrachte Unterhaltsleistungen nicht gedeckten Unterhaltsanspruchsteile des Kindes entsprechend der üblichen Bemessung in gerundeten Beträgen zuzusprechen.

Rechtliche Beurteilung

Der vom Rekursgericht im Verfahren nach § 14a AußStrG nachträglich zugelassene Protokollar-Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

a) Da der Oberste Gerichtshof nicht Tatsacheninstanz ist, entzieht sich das "rechtliche Interesse des Vaters an einer richtigen Beweiswürdigung" einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof.

b) Seit der Entscheidung des verstärkten Senates 6 Ob 544/87 = SZ 61/143 entspricht es stRsp, dass Unterhaltsansprüche innerhalb der Verjährungsfrist des § 1480 ABGB grundsätzlich auch für die Vergangenheit gestellt werden können. Im vorliegenden Fall geht es nicht darum, ob Naturalleistungen auf den - bereits festgesetzten - Geldunterhaltsanspruch angerechnet werden dürfen, sondern inwieweit erbrachte Naturalleistungen von Einfluß auf die erstmalige Festsetzung des Geldunterhaltsanspruches sind. Bei einem Begehren auf rückwirkende Unterhaltserhöhung sind die in der Vergangenheit erbrachten, den Geldtitel übersteigenden Naturalleistungen mit Unterhaltscharakter unterhaltsmindernd anzurechnen, und zwar unabhängig von einer Zustimmung des anderen Elternteils (5 Ob 544/91 = EFSlg 66.369; 6 Ob 2362/96p = ÖA 1998, 23 mwN u.a.). Nichts anderes gilt für die erstmalige Unterhaltsfestsetzung, wenn auch dabei für die Vergangenheit Unterhalt begehrt wird. Auch hier käme es zu einer nicht zu rechtfertigenden Doppelleistung des Unterhaltspflichtigen, wenn seine Naturalleistungen unberücksichtigt blieben (6 Ob 2362/96p).

Nach herrschender Auffassung ist bei aufrechter Haushaltsgemeinschaft des berechtigten Kindes Naturalunterhalt, bei Haushaltstrennung (getrennter Haushaltsführung) oder der - nicht zu vernachlässigenden - auch bloß teilweisen Verletzung (RZ 1992/66) der Unterhaltspflicht (stRsp, SZ 55/174 uva, zuletzt 1 Ob 154/00d; RIS-Justiz RS0034807) - aus Gründen der Durchsetzbarkeit des Anspruchsschutzes - oder zumindest bei der Gefahr, dass sich der Unterhaltsschuldner in Zukunft seiner Pflicht entzieht, zur Gänze Geldunterhalt zu leisten. Naturalunterhalt ist die unmittelbare Befriedigung der angemessenen Kindesbedürfnisse durch Sach- oder Dienstleistungen, die der Unterhaltspflichtige selbst erbringt oder deren Erbringung durch Dritte er bezahlt. Die Bezahlung von Wohnungsbenützungskosten (Betriebskosten, Reparaturen, Gas, Elektrizitäts-, Telefon- und Fernsehgebühren etc.) stellt den Naturalunterhalt der Unterkunftsgewährung an das Kind dar (Schwimann, Unterhaltsrecht2 90 mwN in FN 1049); auch durch Übergabe von Wirtschaftsgeld an die haushaltsführende Person wird Naturalunterhalt für das Kind geleistet (Schwimann aaO mwN in FN 1051). Zum Naturalunterhalt gehört aber auch ein dem Kindesalter und den elterlichen Lebensverhältnissen angemessenes Taschengeld für die individuelle Befriedigung höchstpersönlicher Bedürfnisse wie etwa Konsumationen außer Haus oder von kulturellen, sportlichen oder gesellschaftlichen Freizeitbedürfnissen (Schwimann aaO mwN in FN 1052). Im vorliegenden Fall ist unbestritten die Mutter mit dem Kind am 13. Oktober 1997 aus der Ehewohnung ausgezogen. Für den hier strittigen Zeitraum bestand somit nur ein Anspruch des Kindes auf Naturalunterhalt. Daher muss für den begehrten Geldunterhaltsanspruch eine Unterhaltsverletzung behauptet und festgestellt worden sein. Da unbestritten die Eltern des Kindes betreffend die Tragung der Kosten der Lebensführung vereinbart hatten, dass der Vater die gesamte Miete bezahlt und die Zahlungen für Betriebskosten (Gas, Strom, Heizung), Telefon, Telekabel, Rundfunk, Bedienerin von beiden Elternteilen je zur Hälfte getragen werden, dies so gehandhabt wurde und im hier relevanten Zeitraum Dezember 1994 bis Oktober 1997 auch so funktionierte, stellt sich nur die Frage nach einer etwaigen Minderleistung von Naturalunterhalt durch den Vater. Dabei sind die monatlichen Naturalleistungen zu ermitteln und mit der Höhe des nach den allgemeinen Methoden (hier: Prozentmethode) bemessenen angemessenen (oder allenfalls des höheren vereinbarten) fiktiven Geldunterhaltes zu vergleichen. Nur wenn der Wert der tatsächlichen Unterhaltsleistungen den errechneten Geldunterhaltsbetrag eindeutig unterschreitet, ist von einer Unterhaltsverletzung auszugehen, die den Geldunterhaltsanspruch des Kindes begründet (Schwimann aaO 92 f). Zu billigen ist die rechtliche Beurteilung der zweiten Instanz, dass im Regelfall jedenfalls bei aufrechter Haushaltsgemeinschaft "Betreuungsleistungen", die ja mit keinem zusätzlichen Geldaufwand verbunden sind, iS einer Beaufsichtigung des Kindes (hier: während der Nacht- und Wochenenddienste der Mutter als Ärztin) keinen geldwerten Naturalunterhalt darstellen und deshalb nicht in Geld umzurechnen und bei der Frage einer Verletzung der Naturalunterhaltsverpflichtung nicht zu berücksichtigen sind (vgl dazu 4 Ob 388/97f = SZ 71/9). Mit dem Ausdruck "Betreuung" in § 140 Abs 2 ABGB wird im Übrigen auf die Obsorge abgestellt, die ein Kind im Rahmen eines Haushaltes im allgemeinen erfährt; hiezu zählen insbesondere die Zubereitung der Nahrung, die Instandhaltung und Reinigung der Kleidung und Wäsche sowie die Pflege im Krankheitsfall. Die Art der Betreuung richtet sich naturgemäß nach dem Alter des Kindes. Je älter das Kind wird, desto weniger bedarf es der körperlichen Pflege und Beaufsichtigung und die Erziehungsarbeit tritt in den Vordergrund (RZ 1992/5 = EFSlg 27/8). Die bloße Anwesenheit in der Wohnung gemeinsam mit dem Kind verbunden mit einer gewissen Beaufsichtigung und Erziehung ist selbstverständliche Elternpflicht, führt im Regelfall - dass dies hier anders gewesen wäre, wird nicht behauptet - zu keiner zusätzlichen finanziellen Belastung des Unterhaltspflichtigen und hat demnach bei der Bewertung der vom Unterhaltspflichtigen erbrachten Leistungen in Geld, um die Frage einer Verletzung seiner Pflichten zur Reichung von Naturalunterhalt beurteilen zu können, regelmäßig außer Betracht zu bleiben.

c) Im Ergebnis stellt der Rechtsmittelwerber das Operat der zweiten

Instanz auch rechnerisch in Frage. Dieses erweist sich als nicht

nachvollziehbar, weil nicht ersichtlich ist, von welchen konkreten,

in Geld messbaren monatlichen Leistungen des Vaters das Rekursgericht

ausging, abgesehen davon, dass es die Betreuungsleistungen als nicht

zu berücksichtigen erachtete; vor allem, welcher monatliche

Mietzinsaufwand des Vaters aus seinen anrechenbaren

Naturalunterhaltsleistungen eliminiert wurde, blieb unklar. Nach

stRsp sind Mietzinszahlungen, anders als Wohnungsbenützungskosten,

kein Naturalunterhaltsbeitrag, der auf den Kindesunterhalt

anzurechnen wäre (RZ 1992/66 uva.; RIS-Justiz RS0009551; aM Schwimann

aaO 90; kritisch auch Deixler-Hübner, Zur Anrechnung von Geld- und

Naturalunterhalt, ecolex 2001, 110). Begründet wird dies in der Rsp

damit, dass Mietzinszahlungen das familienrechtliche Verhältnis der

Eltern nach § 97 ABGB betreffen. Bevor feststeht, ob und in welcher

Höhe das Rekursgericht Mietzinszahlungen des Vaters nicht

berücksichtigte, kann zur Frage der Anrechenbarkeit nicht

abschließend Stellung genommen werden. Abgesehen davon hat das

Erstgericht auch ausgeführt, für den hier relevanten Zeitraum werde

den glaubhaften Ausführungen des Vaters gefolgt, dass er ausreichende

Zahlungen für die Familie geleistet habe, weshalb bis zur

Haushaltstrennung keine Verletzung des (Natural)Unterhaltes

vorgelegen sei. Damit konnte im Zusammenhang mit den übrigen

Argumenten, im Besonderen zur Beweiswürdigung nur gemeint sein, dass

der Vater über die im einzelnen festgestellten und oben

wiedergegebenen Zahlungen weitere Zahlungen für das Kind geleistet

habe (S 12 der Beschlussausfertigung unten: ... sporadisch

Geldbeträge bis max. 1.000 S zur gemeinsamen Lebensführung übergeben

sowie Urlaubsbeiträge von 61.580 S [AS 209] geleistet; S 13 der

Beschlussausfertigung oben: ... Piano gekauft, hin und wieder bessere

Schuhe, ab und zu 1.000 S für Haushalt, ... Restaurantrechnungen

beglichen, Beteiligung an Kosten und Anschaffungen für die Familie, Unternehmungen mit Kind ..., Aquarellmalen beigebracht und finanziert ...). Das Rekursgericht wird sich mit diesen Feststellungen, auf die erkennbar das Erstgericht seine Erwägungen mit gründete, der Vater habe seine Naturalunterhaltspflicht nicht verletzt, auseinanderzusetzen haben. Dass diese im Rekurs an die zweite Instanz gar nicht bekämpften Feststellungen nicht übernommen würden, ist dem angefochtenen Beschluss nicht zu entnehmen.

Das erstmals im Rechtsmittel erstattete Vorbringen, im Aufteilungsverfahren AZ 7 F 314/00z des Bezirksgerichtes Döbling sei in der Verhandlung vom 4. April 2001 zwischen den Eltern ein Vergleich geschlossen worden sei, nach dessen Inhalt der Vater der Mutter die Ehewohnung überlasse und sie ihn in Ansehung des rückständigen Unterhaltes von 55.000 S schad- und klagslos halte, ist bei Beurteilung einer Unterhaltsverletzung des Vaters ohne Relevanz. Demnach ist spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtssätze
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