JudikaturJustiz6Ob158/05m

6Ob158/05m – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. August 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach der am 17. August 2002 verstorbenen Melitta T*****, über den Revisionsrekurs des Lukas Siegfried S***** als Obsorgeberechtigter des minderjährigen erblasserischen Erben Jürgen U*****, vertreten durch DDr. Jörg Christian Horwath, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 30. März 2005, GZ 1 R 32/05h, 34/05b, 58/05g, 59/05d, 60/05a 44, womit die Rekurse des Revisionsrekurswerbers gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 7. Oktober 2004, GZ 4 A 358/02m 27, 28, 29, 30 und 32, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die Entscheidung über den Rekurs des für den minderjährigen Erben obsorgeberechtigten Vaters unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Erblasserin ist ohne Hinterlassung einer letztwilligen Verfügung verstorben. Sie hinterlässt drei Söhne, Herbert, Franz und den am 29. 10. 1987 geborenen minderjährigen Jürgen, der schwer behindert ist. Die Erblasserin war Eigentümerin einer Liegenschaft in T***** mit einem darauf befindlichen Wohnhaus. Sie hatte mit Dienstbarkeitsvertrag vom 5. 3. 2001 ihrem Lebensgefährten Lukas Siegfried S***** ein Wohnrecht am Keller und im Erdgeschoss dieses Hauses eingeräumt. Der Wert der Nachlassaktiva beträgt insgesamt 56.219,48 EUR, jener der Nachlasspassiva 42.539,40 EUR. Die vom Lebensgefährten im Verlassenschaftsverfahren angemeldete Forderung von 50.251,38 EUR wurde nicht anerkannt.

Der Lebensgefährte der Erblasserin ist Vater des jüngsten Sohnes Jürgen; ihm wurde mit Beschluss des Pflegschaftsgerichts vom 22. 10. 2002 die Obsorge übertragen. Mit rechtskräftigen Beschluss vom 23. 1. 2003 bestellte das Verlassenschaftsgericht eine Kollisionskuratorin für den minderjährigen Jürgen. Am 5. 4. 2004 legte der Gerichtskommissär dem Verlassenschaftsgericht den undatierten Entwurf eines „Erbrechtskaufvertrages" vor zur „Beurteilung mit dem Ersuchen abzusprechen, ob ... dem Abschluss des Erbrechtskaufvertrages in vorliegender Form ... zugestimmt werden würde". Dieser Vertragsentwurf sah vor, dass der minderjährige erblasserische Sohn Jürgen sein Erbrecht nach der Mutter dem ältesten Bruder Herbert um 4.560 EUR verkaufen und unter anderem auf seine Unterhaltsansprüche gegen die Verlassenschaft verzichten sollte. Das Verlassenschaftsgericht übermittelte den Schriftsatz des Gerichtskommissärs samt Vertragsentwurf iSd § 27 letzter Satz AußStrG an das Pflegschaftsgericht. Dieses genehmigte mit Beschluss vom 11. 6. 2004, 3 P 107/97v 10, den Vertragsentwurf pflegschaftsbehördlich und sprach aus, dass die Kollisionskuratorin berechtigt sei, den Erbrechtskaufvertrag namens des Minderjährigen zu unterfertigen. Dieser Beschluss wurde dem obsorgeberechtigten Vater des Minderjährigen am 2. 7. 2004 zugestellt und zunächst von ihm nicht bekämpft.

Am 9. 8. 2004 unterfertigten die Kollisionskuratorin und der erblasserische Sohn Herbert den Erbrechtskaufvertrag in Form eines Notariatsaktes und reichten diesen beim Pflegschaftsgericht ein. Eine Genehmigung des Vertrags unterblieb. Der Pflegschaftsrichter verfasste lediglich einen Aktenvermerk, wonach „eine weitere Genehmigung" nicht erforderlich sei, weil der Vertrag dem ursprünglich vorgelegten Entwurf entspreche. Das mit der Genehmigungsstampiglie versehene Original des Notariatsaktes übermittelte der Pflegschaftsrichter den Gerichtskommissär.

Der obsorgeberechtigte Vater des Minderjährigen erhob gegen den Genehmigungsbeschluss vom 11. 6. 2004 am 29. 10. 2004 Rekurs; dieser wurde vom Rekursgericht als verspätet zurückgewiesen. Den daraufhin „in eventu erhobenen Wiedereinsetzungsantrag gegen die allfällige Versäumung einer Einwendung gegen den Abschluss des Erbrechtskaufvertrages" wies das Pflegschaftsgericht mit Beschluss vom 22. 4. 2004 (3 P 107/97v 20) ab. Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des obsorgeberechtigten Vaters nicht Folge (Beschluss vom 8. 7. 2005, 4 R 230/05y).

Auch der erblasserische Sohn Franz hatte sein Erbrecht nach der Erblasserin an den älteren Bruder Herbert verkauft. Der Erbrechtskaufvertrag in Form eines Notariatsaktes wurde am 9. 8. 2004 abgeschlossen, als Kaufpreis waren 10.000 EUR vereinbart.

Nach Abschluss der beiden Erbrechtskaufverträge gab der erblasserische Sohn Herbert bedingte Erbserklärung aufgrund des Gesetzes zum gesamten Nachlass ab.

Das Erstgericht hat mit seinen Beschlüssen je von 7. 10. 2004

die Bevollmächtigung des Dr. Gerd M***** durch den erblasserischen Sohn Franz zur Kenntnis genommen (1.), die vom erblasserischen Sohn Herbert „unter Bedachtnahme auf die mit ... Franz und dem minderjährigen ... Jürgen, vertreten durch die Kollisionskuratorin ..., abgeschlossenen Erbrechtskaufverträge jeweils vom 9. 8. 2004, für den minderjährigen erblasserischen Sohn Jürgen pflegschaftsbehördlich genehmigt am 31. 8. 2004", zum gesamten Nachlass aus dem Berufungsgrund des Gesetzes abgegebene bedingte Erbserklärung angenommen und sein Erbrecht als ausgewiesen erachtet (2.), das durchgeführte Verlassenschaftsverfahren verlassbehördlich bestätigt und diesem das am 9. 8. 2004 gestellte Hauptinventar zugrundegelegt (3.), den Lebensgefährten der Erblasserin mit seinen Forderungen auf den Rechtsweg verwiesen (4.), die Zumittlung der erforderlichen Urkunden an das Finanzamt in Aussicht genommen (5.), die Kollisionskuratorin mit rechtskräftiger Beendigung des Verlassenschaftsverfahrens enthoben (6.) und die Gebühren des Gerichtskommissärs betragsmäßig bestimmt sowie deren Bezahlung dem erblasserischen Sohn Herbert aufgetragen (7.) (= Beschluss ON 27);

zwei Banken von der alleinigen Verfügungsberechtigung des erblasserischen Sohnes Herbert verständigt (Beschlüsse ON 28 und 29);

eine Amtsbestätigung über die alleinige Verfügungsberechtigung des erblasserischen Sohnes Herbert über einen PKW ausgestellt (Beschluss ON 30);

die Gebühren der beigezogenen Sachverständigen bestimmt (Beschluss ON 31) und

dem erblasserischen Sohn Herbert den gesamten Nachlass „unter Bedachtnahme auf die mit dem erblasserischen Sohn Franz ... und dem minderjährigen erblasserischen Sohn Jürgen ... abgeschlossenen Erbrechtskaufverträge je vom 9. 8. 2004, für den minderjährigen erblasserischen Sohn Jürgen ..., pflegschaftsbehördlich genehmigt am 31. 8. 2004", eingeantwortet, das Verlassenschaftsverfahren für beendet erklärt und die Einverleibung des Eigentumsrechts für den erblasserischen Sohn Herbert ... angekündigt (Einantwortungsurkunde ON 32).

Das Rekursgericht wies die Rekurse des für den minderjährigen erblasserischen Sohn Jürgen obsorgeberechtigten Vaters zurück. Die vom Vater im Zusammenhang mit dem Erbschaftskauf zur Wahrung des Wohles seines Sohnes ins Treffen geführten Gründe seien nicht geeignet, ein Rechtsschutzinteresse an einer Aufhebung der bekämpften Beschlüsse des Verlassenschaftsgerichts zu begründen. Das Verlassenschaftsgericht habe auf Grundlage der vom Pflegschaftsgericht rechtskräftig erteilten Genehmigung des Erbschaftskaufvertrags entschieden. Im Verlassenschaftsverfahren werde der minderjährige erblasserische Sohn ausschließlich von der Kollisionskuratorin vertreten. Dass diese die Interessen des Kindes nicht ausreichend gewahrt hätte, habe der Rekurswerber nicht dargetan. Seinem Rechtsmittel fehle daher eine Beschwer.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob der obsorgeberechtigte Vater zur Bekämpfung abhandlungsbehördlicher Verfügungen legitimiert sei, die auf Grundlage eines vom Pflegschaftsgericht genehmigten Erbschaftskaufvertrags getroffen worden sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des für den minderjährigen Erben obsorgeberechtigten Vaters ist zulässig und berechtigt.

Das Rechtsmittel wurde der Kollisionskuratorin und den übrigen Erben zugestellt, eine Rechtsmittelbeantwortung ist nicht eingelangt.

Der Rechtsmittelwerber macht geltend, er sei als obsorgeberechtigter Vater des minderjährigen Erben berechtigt, Rechtsmittel gegen für den Minderjährigen nachteilige Beschlüsse einzubringen. Im Übrigen sei der Erbschaftskaufvertrag (den das Erstgericht seiner Beschlussfassung zugrundegelegt habe) nicht pflegschaftsbehördlich genehmigt. Das Pflegschaftsgericht habe nämlich in seinen Beschluss vom 11. 6. 2004 lediglich angekündigt, es werde einem Erbschaftskauf in der beabsichtigten Form zustimmen. Eine Genehmigung sei danach aber nicht erfolgt. Die bekämpften Beschlüsse des Verlassenschaftsgerichts seien daher rechtswidrig.

1. Zur Rechtsmittellegitimation:

Nach nunmehr ständiger jüngerer Rechtsprechung steht den nächsten Verwandten eines Minderjährigen zur Wahrung des Kindeswohls ein Rekursrecht auch in - nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb iSd § 154 Abs 3 ABGB gehörenden - Vermögensangelegenheiten zu. Die Rekurslegitimation naher Angehöriger wurde etwa bejaht in Fällen, in denen es um die pflegschaftsbehördliche Genehmigung von Verträgen (7 Ob 615/93 mwN; 7 Ob 501/94), so auch um die Genehmigung von Erbübereinkommen im Verlassenschaftsverfahren (6 Ob 2156/96v) ging. Voraussetzung ist jeweils, dass das Wohl des Kindes anders nicht gewahrt werden kann (6 Ob 2156/96v mwN = RIS Justiz RS0105269; RS0006433 und RS0006454).

Nach diesen Grundsätzen muss es dem obsorgeberechtigten Vater als nahem Angehörigen auch möglich sein, im Verlassenschaftsverfahren zum Wohl des erblasserischen Kindes geltend zu machen, dass eine für die Fortführung des Verlassenschaftsverfahrens erforderliche pflegschaftsbehördliche Genehmigung nicht erteilt wurde, das Verlassenschaftsgericht zu Unrecht von der Wirksamkeit einer (den Minderjährigen benachteiligenden) Genehmigung ausgegangen ist und bei Berücksichtigung des nicht genehmigten Vertrags für den minderjährigen Erben ein Schaden droht.

Nach dem Inhalt des von der Kollisionskuratorin geschlossenen Erbrechtskaufvertrags erhält der minderjährige Erbe als Abgeltung seines gesetzlichen Erbrechts (von einem Drittel der Verlassenschaft) 4.560 EUR; er verzichtet zugleich auf Unterhaltsansprüche gegenüber der Verlassenschaft, die ihm nach § 142 ABGB zustehen könnten. Demgegenüber verpflichtet sich der Erbrechtskäufer in einem am selben Tag mit dem (erwachsenen) Bruder geschlossenen weiteren Erbrechtskaufvertrag, in Abgeltung der Erbrechte dieses Bruders (auch er hat Anspruch auf ein Drittel der Verlassenschaft) 10.000 EUR zu bezahlen. Dass diese Vertragsgestaltung in Ansehung des Minderjährigen nachteilig sein kann und nicht ohne Weiteres genehmigt werden dürfte, liegt auf der Hand. Diese Nachteiligkeit verschafft dem Vater - auch wenn er die Details der Vertragsgestaltung noch nicht kennt und nur die Befürchtung der Nachteiligkeit zum Ausdruck bringt - die Rechtsmittelbefugnis.

Das Kindeswohl könnte anders als durch den Rekurs des Vaters auch nicht gewahrt werden, weil die Kollisionskuratorin und die übrigen Erben durch die antragsgemäß erfolgte Beschlussfassung des Verlassenschaftsgerichts nicht beschwert sind.

Das Rekursgericht wird sich daher im fortzusetzenden Verfahren mit den Einwänden des Vaters auseinanderzusetzen haben.

2. Pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Erbschaftskaufvertrags:

Zum Einwand des Vaters, der Erbrechtskaufvertrag sei pflegschaftsbehördlich nicht genehmigt, wird schon jetzt darauf hingewiesen, dass die pflegschaftsbehördliche Genehmigung eines Vertrags nach ständiger Rechtsprechung ausdrücklich und in der vom Gesetz vorgesehenen (Beschluss )Form erfolgen muss (stRsp RIS Justiz RS0049204). Im vorliegenden Fall hat das für den minderjährigen Erben zuständige Pflegschaftsgericht zwar einen undatierten Entwurf des Erbrechtskaufvertrags mit Beschluss vom 11. 6. 2004 genehmigt und ausgesprochen, dass die Kollisionskuratorin berechtigt sei, den Erbrechtskaufvertrag namens des Minderjährigen zu unterfertigen. Diese Vorausgenehmigung bedeutet aber nicht, dass der Pflegschaftsrichter bei Vorlage des abgeschlossenen und zu genehmigenden Vertrags nicht neuerlich prüfen müsste, ob die Voraussetzungen der Genehmigung nach wie vor vorliegen, um danach die Genehmigung zu erteilen oder zu versagen. Diese Prüfung hat der Pflegschaftsrichter im vorliegenden Fall aber ebenso unterlassen wie eine ausdrückliche Genehmigung (oder Nichtgenehmigung) des abgeschlossenen Vertrags, obwohl sich die Sachlage seit dem Entwurfsstadium insofern geändert hatte, als der mit einem weiteren (erwachsenen) Miterben geschlossene Erbrechtskaufvertrag aus Sicht des Verkäufers wesentlich günstigere Bestimmungen enthielt als jener, den die Kollisionskuratorin namens des Minderjährigen abgeschlossen hatte.

Der Aktenvermerk des Pflegschaftsrichters, es bedürfe keiner Genehmigung, kann die für die Weiterführung des Verlassenschaftsverfahrens erforderliche pflegschaftsbehördliche Genehmigung des Erbrechtskaufvertrags nicht ersetzen. Die fehlende Genehmigung hindert eine Berücksichtigung des Vertrags im Verlassenschaftsverfahren. Sie wird im fortzusetzenden Verfahren - nach einer entsprechenden Überprüfung der Grundlagen aus der Sicht des Kindeswohls - nachzuholen oder gegebenenfalls zu verweigern sein.

In Stattgebung des Revisionsrekurses wird die angefochtene Entscheidung des Rekursgerichts aufgehoben und dem Rekursgericht die Entscheidung über das Rechtsmittel des Vaters unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Rechtssätze
9