JudikaturJustiz6Ob136/16t

6Ob136/16t – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. August 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Dr. Nowotny und Dr. Hargassner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Werner Piplits und Mag. Marko MacKinnon, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Thurnher Wittwer Pfefferkorn Rechtsanwälte GmbH in Dornbirn, wegen 8.265,12 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Berufungsgericht vom 19. April 2016, GZ 2 R 89/16b 14, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Dornbirn vom 27. Jänner 2016, GZ 33 C 338/15b 10, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit 833,88 EUR (darin 138,98 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind im Bereich der Unternehmensgastronomie tätig und stehen in einem Wettbewerbsverhältnis zueinander. Die Beklagte betreute bis Ende April 2003 den Gastronomiebetrieb der I***** in W*****. Ab Mai 2003 übernahm die Klägerin den Betrieb. Vertragspartner der I***** als Verpächterin war bis zum Betriebsübergang die Beklagte, danach die Klägerin. Der Betriebsübergang erfolgte somit indirekt im dreipersonalen Verhältnis, also ohne vertragliche Beziehung zwischen Klägerin und Beklagter. Aus Wettbewerbsgründen wurden zwischen den Parteien weder im Vorfeld noch nach Betriebsübergang Informationen ausgetauscht.

Die Klägerin übernahm sämtliche im Betrieb beschäftigen Dienstnehmer, wobei auf diese Dienstverhältnisse der Kollektivvertrag für Arbeiter im Gastgewerbe anwendbar ist. Im Jahr 2014 zahlte die Klägerin an eine der übernommenen Arbeitnehmerinnen die gesetzliche Abfertigung und an einen Arbeitnehmer sowie eine weitere Arbeitnehmerin jeweils das aufgrund 25jähriger Betriebszugehörigkeit kollektivvertraglich zustehende Jubiläumsgeld aus. Bezogen auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs beliefen sich diese Zahlungen auf insgesamt 8.265,12 EUR an fiktiver Abfertigung bzw aliquotem Jubiläumsgeld.

Die Klägerin begehrt diesen Betrag von der Beklagten aus dem Titel des Regresses. Die zeitliche Beschränkung nach § 6 AVRAG komme nur gegenüber den Dienstnehmern zum Tragen.

Die Beklagte wandte im Hinblick auf § 6 Abs 2 AVRAG Verjährung ein.

Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren übereinstimmend ab. Das Berufungsgericht sprach darüber hinaus aus, dass die ordentliche Revision zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob bei indirektem Betriebsübergang im dreipersonalen Verhältnis für Abfertigungen und Jubiläumsgelder die Haftungsregelung des § 6 Abs 2 AVRAG, insbesondere die zeitliche Beschränkung der Veräußererhaftung (Fünfjahresgrenze), nur im Verhältnis zwischen Veräußerer und Erwerber einerseits und Dienstnehmer andererseits gelte oder auch im Innenverhältnis zwischen Erwerber und Veräußerer.

In der Sache selbst führte das Berufungsgericht aus, § 6 Abs 1 AVRAG ordne zum Schutz des Arbeitnehmers eine solidarische Haftung des früheren und des neuen Betriebsinhabers an, wobei allerdings im Jahr 2002 für bestimmte (auch hier zu beurteilende) Ansprüche die Haftung des früheren Betriebsinhabers zeitlich beschränkt wurde. Die Intention des Gesetzgebers, durch diese Befristung eine unverhältnismäßige Beschränkung des Eigentums zu vermeiden, würde jedoch verfehlt, wenn der Veräußerer nach Ablauf der Fünfjahresfrist für vor dem Betriebsübergang begründete, aber erst danach entstandene Ansprüche im Wege des Regresses in Anspruch genommen werden könnte. Im Übrigen käme ein Regress außerhalb der Fünfjahresfrist mangels solidarischer Haftung der beiden Betriebsinhaber gar nicht in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

1. § 6 Abs 1 AVRAG bestimmt zum Schutz der Arbeitnehmer, dass für Verpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis zum Veräußerer, die vor dem Zeitpunkt eines Betriebsübergangs begründet wurden, der Veräußerer und der Erwerber zur ungeteilten Hand haften. § 6 Abs 2 AVRAG ordnet darüber hinaus an, dass für Abfertigungsansprüche, die nach dem Betriebsübergang entstehen, der Veräußerer (nur) fünf Jahre nach dem Betriebsübergang und nur mit jenem Betrag, der dem fiktiven Abfertigungsanspruch im Zeitpunkt des Betriebsübergangs entspricht, haftet.

§ 6 AVRAG regelt somit im Wesentlichen, gegen wen ein Arbeitnehmer im Fall eines Betriebsübergangs seine Ansprüche richten kann. Über die Möglichkeit eines Regresses des Erwerbers gegen den Veräußerer für den Fall, dass der Erwerber seinen Verpflichtungen zur Befriedigung von Arbeitnehmeransprüchen nachgekommen ist, für die auch der Veräußerer nach § 6 Abs 1 und 2 AVRAG haftet, sagen diese Bestimmungen jedoch nichts aus.

2. Die Lösung des Regressproblems ist nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Bestimmungen vorzunehmen. Sind zwei oder mehrere Personen, wenn auch aus verschiedenem Rechtsgrund, zur selben Leistung verpflichtet und sind die Verbindlichkeiten auf dasselbe Gläubigerinteresse gerichtet, so entsteht eine Gesamtschuld (RIS-Justiz RS0118661); dies führt zur Anwendbarkeit des § 896 ABGB, wenn der Erwerber die Schuld zur Gänze abgetragen hat (5 Ob 114/03f [zu Ansprüchen nach dem AVRAG]; vgl auch RIS-Justiz RS0118660, ähnlich RS0120011). Der im Innenverhältnis regressberechtigte Solidarschuldner kann gegenüber dem anderen Solidarschuldner dabei erst dann Regress nehmen, wenn er selbst bezahlt hat (RIS Justiz RS0017558); die Zahlungen leistete die Klägerin hier erst im Jahr 2014, somit außerhalb der Fünfjahresfrist des § 6 Abs 2 AVRAG und daher nach Beendigung der Solidarhaftung.

3. § 896 ABGB spricht im Zusammenhang mit dem Regress davon, dass ein „Mitschuldner zur ungeteilten Hand“ unter Umständen berechtigt ist, von den übrigen Mitschuldnern Ersatz zu fordern. Es entspricht auch ständiger Rechtsprechung, dass die Anwendung der Bestimmungen über die Gesamtschuld eine gemeinschaftliche Schuld voraussetzt (RIS-Justiz RS0017315). Nach der Entscheidung 6 Ob 159/15y betrifft § 896 ABGB „nur das Verhältnis zwischen mehreren solidarisch Haftenden“.

Die Literatur geht auch zu § 6 AVRAG davon aus, dass ein Regress grundsätzlich eine solidarische Haftung der beiden Betriebsinhaber voraussetzt. So meint etwa Gahleitner (in ZellKomm² [2011] § 6 AVRAG Rz 11), „aufgrund der solidarischen Haftung ... muss … ein Regress … möglich sein“. Jöst (in Mazal/Risak , Arbeitsrecht – System und Praxiskommentar: Die Rechtsfolgen des AVRAG [2015] Rz 68a) führt aus, „haftet auch der Alt-Inhaber solidarisch, stellt sich die Frage des Regresses ...“. Nach Rauch (Regress bei Betriebsübergang an einen neuen Pächter, ASoK 2004, 119) besteht ein „Regressanspruch für jene Arbeitnehmeransprüche, für die eine Solidarhaftung gegeben ist“. Und Wratzfeld (Betriebsübergang und Rückgriff auf den Vorpächter, ecolex 2004, 195) befürwortet einen Regress „ausgehend von der solidarischen Haftung“.

Auch in den von der Klägerin in ihrer Revision zitierten Entscheidungen – aus denen schon allein deshalb nichts für den Standpunkt der Klägerin zu gewinnen ist, weil ein Überschreiten der Fünfjahresgrenze dort nicht zu beurteilen war – führte der Oberste Gerichtshof aus, der Regress betreffe „den Fall, dass der Erwerber seinen Verpflichtungen zur Befriedigung von Dienstnehmeransprüchen nachgekommen ist, für die auch der Veräußerer nach § 6 Abs 1 und 2 AVRAG haftet“ (5 Ob 114/03f; RIS Justiz RS0118660), beziehungsweise stelle sich dann, wenn „nach § 6 AVRAG Veräußerer und Erwerber zur ungeteilten Hand [ haften ], die – nicht im AVRAG geregelte – Frage des Regresses zwischen ihnen nach Inanspruchnahme durch den Arbeitnehmer“ (2 Ob 16/09f).

4. Diesen Überlegungen, die im Ergebnis dazu führen, dass nach Ablauf der Fünfjahresfrist des § 6 Abs 2 AVRAG mangels Solidarhaftung der beiden Betriebsinhaber gegenüber dem Arbeitnehmer eine Solidarhaftung für die Abfertigung nicht mehr besteht, schließt sich der erkennende Senat an. Nach den Materialien (ErläutRV 951 BlgNR 21. GP) entsprach es den Intentionen des Gesetzgebers bei Neufassung des § 6 Abs 2 AVRAG (BGBl 2002/52), aufgrund verfassungsrechtlicher Bedenken gegen die bis dahin geltende „Endloshaftung“ des Veräußerers dessen Entlastung anzustreben. Würde man nun aber den Veräußerer lediglich bloß von der Außenhaftung gegenüber dem Arbeitnehmer, nicht jedoch von der Haftung gegenüber dem Erwerber befreien, wäre der Zweck der Novelle verfehlt. Ob die ursprüngliche „Endloshaftung“ des Erwerbers tatsächlich verfassungsrechtlich bedenklich war oder nicht (wie die Klägerin meint), bedarf angesichts der vom Gesetzgeber vorgenommenen Änderungen keiner Erörterung mehr. Dies gilt auch für die Überlegungen der Revision zu möglichen faktischen Verhaltensweisen von Betriebsübernehmern.

Im Übrigen besteht auch bei der Haftung des Veräußerers eines Unternehmens nach § 38 UGB eine Haftungsbegrenzung dahin, dass der Veräußerer nur für jene Ansprüche haftet, die innerhalb von fünf Jahren fällig werden (§ 39 UGB); danach ist er „haftungsfrei“, ganz unabhängig davon, welche Anwartschaften zuvor begründet wurden und welcher Nutzen ihm durch das Rechtsverhältnis verschafft wurde (vgl RIS-Justiz RS0118144).

5. Zum Jubiläumsgeld ist vorweg festzuhalten, dass die Revision insoweit nicht gesondert ausgeführt wird. § 6 Abs 1 AVRAG normiert eine Haftung des Veräußerers für Verpflichtungen aus einem Arbeitsverhältnis, die vor dem Zeitpunkt des Übergangs begründet wurden. Über die damit eindeutig festgelegte Haftung für jene Verbindlichkeiten, die bereits vor dem Übergang fällig waren, hinaus geht die ständige Rechtsprechung davon aus, dass auch erst nach dem Übergang fällig werdende Verbindlichkeiten erfasst sind, wenn sie schon sukzessive mit der Dienstleistung entstanden sind (RIS-Justiz RS0118663). Auch der Regress zwischen Übernehmer und Veräußerer hat sich nach diesen Kriterien zu richten, weil dies im Wesentlichen dem Nutzen, den der betroffene Arbeitgeber aus der Leistung des Arbeitnehmers gezogen hat, entspricht (RIS-Justiz RS0118663). Ausgehend davon wurde sowohl die Haftung für nach dem Übergang fällig werdende Sonderzahlungen als auch für Urlaubsentgelte und Gutstunden bejaht (RIS-Justiz RS0118665). Dabei handelt es sich aber um Ansprüche, die typischerweise innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums nach einem Betriebsübergang auch fällig werden und nicht erst viele Jahre später. Insoweit hat sich der Gesetzgeber in § 6 Abs 1 AVRAG offensichtlich auch nicht veranlasst gesehen, eine Fünfjahresfrist, wie sie in Abs 2 dieser Bestimmung für die Abfertigungen und Betriebspensionen – die oft erst lange nach einem Betriebsübergang schlagend werden – vorgesehen ist, festzulegen.

Jubiläumsgelder werden aber typischerweise ebenfalls in viel größeren Abständen fällig. Es ist schon fraglich, ob überhaupt davon ausgegangen werden kann, dass sie trotz der Bindung an die Stichtage (Jubiläum) mit der Dienstleistung noch so im Zusammenhang stehen, dass sie sukzessive im Sinne der dargestellten Rechtsprechung „entstehen“ (vgl auch RIS-Justiz RS0051848; zur Abgrenzung von insolvenzrechtlicher und arbeitsrechtlicher Beurteilung, aber auch jener nach dem IESG 8 ObS 1/10w [1.2.]). Jedenfalls ist aber davon auszugehen, dass auf diese aus einem bestimmten Anlass in größerem zeitlichem Abstand gewährten Leistungen die Frist des § 6 Abs 2 AVRAG analog anzuwenden ist.

Auch insoweit ist also eine aufrechte Haftung des Veräußerers zu verneinen, womit die Grundlage für den Regressanspruch entfällt.

6. Damit haben aber die Vorinstanzen das Klagebegehren zutreffend abgewiesen, weshalb der Revision der Klägerin ein Erfolg zu versagen war.

Rechtssätze
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