JudikaturJustiz5Ob22/02z

5Ob22/02z – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Februar 2002

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Klinger als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Floßmann, Dr. Baumann und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofes Dr. Hurch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Heinz F*****, vertreten durch Dr. Gerhard Ebner und Dr. Joachim Tschütscher, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, gegen die beklagte Partei Ö***** AG, *****, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann und Dr. Stefan Geiler, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, unter Beteiligung der auf Seite der beklagten Partei dem Verfahren beigetretenen Nebenintervenienten 1.) Dr. Wilhelm G*****, vertreten durch Dr. Manfred Steininger, Rechtsanwalt in 1010 Wien, und 2.) Christine L*****, vertreten durch Dr. Friedrich Hohenauer, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, wegen S 255.264,-- sA über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht vom 25. September 2001, GZ 4 R 220/01m-44, mit dem das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 7. Mai 2001, GZ 40 Cg 205/99d-39, abgeändert wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden im Umfang der Anfechtung (S 239.710,58 sA = EUR 17.420,45 sA) aufgehoben.

Die Rechtssache wird insoweit zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Gericht erster Instanz zurückverwiesen. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind als weitere Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung:

Der Kläger hat am 9. 10. 1997 in dem nach seiner verstorbenen Gattin Ingeborg F***** durchgeführten Abhandlungsverfahren vor dem Nebenintervenienten Dr. G***** als Gerichtskommissär eine unbedingte Erbserklärung zu zwei Dritteln des Nachlasses abgegeben. In diesem Umfang wurde ihm auch der Nachlass rechtskräftig eingeantwortet. Am 12. 11. 1997 überwies der Gerichtskommissär das dem Erbteil des Klägers entsprechende Verlassenschaftsrealisat von S 264.869,24 auf das vom Kläger bei der Beklagten errichtete Girokonto Nr 74.368.840. Am 20. 11., 4. 12., 23. 12. und 30. 12. 1997 behob der Kläger von diesem Konto S 30.000,--, S 50.000,--, S 15.000,-- und S 160.264,--, insgesamt sohin S 255.264,--.

Am 4. 8. 1997 regte der Schwager des Klägers Walter S***** beim Bezirksgericht Innsbruck die Bestellung eines Sachwalters für den Kläger an. Mit Beschluss des genannten Gerichtes vom 7. 4. 1999 wurde gemäß § 273 Abs 2 Z 2 ABGB Mag. L***** zum Sachwalter des Klägers bestellt, und zwar mit dem Wirkungskreis "Einkommens- und Vermögensverwaltung, Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten". Der Kläger begehrt von der Beklagten die Zahlung von S 255.264 sA. Er brachte dazu im Wesentlichen vor, dass die genannten vier Barbehebungen nach Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens erfolgt seien. Bereits damals sei er geschäftsunfähig gewesen. Die behobenen Bargeldbeträge seien nicht mehr vorhanden und auch nicht zu seinem Vorteil verwendet worden. Ungeachtet der allfälligen Kenntnis der Beklagten von der Geschäftsunfähigkeit habe diese dem Kläger nach § 1424 zweiter Satz ABGB den Klagsbetrag nochmals zu leisten. Auf Punkt 30 der Allgemeinen Kreditbedingungen der Beklagten könne sie sich deshalb nicht gültig berufen, weil es sich hiebei um eine die Bankkunden gröblich benachteiligende und damit sittenwidrige Klausel handle.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete zusammengefasst ein, dass zur Zeit der Barbehebungen noch kein Sachwalter für den Kläger bestellt gewesen sei. Ihr sei die Einleitung des Sachwalterschaftsverfahrens nicht bekannt gewesen. Auch sei eine allfällige Geschäftsunfähigkeit des Klägers jedenfalls nicht in einer für Dritte erkennbaren Weise vorgelegen. Andernfalls wäre die Geschäftsunfähigkeit bereits zum Zeitpunkt der Eröffnung des Girokontos (25. 9. 1997) und auch im Zeitpunkt der Abgabe der Erbserklärung gegeben gewesen. Damit hätte der Kläger weder gültig erben noch rechtswirksam ein Girokonto bei der Beklagten eröffnen können.

Es werde bestritten, dass die dem Kläger ausgezahlten Bargeldbeträge nicht mehr vorhanden bzw nicht zu seinem Nutzen verwendet worden seien. Gemäß Punkt 30 der Allgemeinen Kreditbedingungen habe der Kläger seinen Schaden selbst zu tragen. Einer allenfalls dennoch zu Recht bestehenden Klagsforderung würden die den Klagsbetrag jedenfalls übersteigenden "Kontoabdeckungsansprüche" der Beklagten aufrechnungsweise entgegengehalten.

Der Nebenintervenient Dr. G***** brachte vor, dass der Kläger listigerweise vorgegeben habe, dass er Verträge zu schließen fähig sei. Er sei daher insbesondere nach § 866 ABGB zur Genugtuung verpflichtet. Im Übrigen würde der Beklagten eine gleich hohe Gegenforderung zustehen. Weiters treffe den Kläger das Allein- bzw weitaus überwiegende Mitverschulden am Zustandekommen eines Schadens in Höhe der Klagsforderung. Selbst wenn der Kläger deliktsunfähig gewesen sein sollte, hafte er nach § 1310 ABGB.

Die Nebenintervenientin Christine L***** brachte vor, dass sie vom Kläger lediglich S 40.000,-- erhalten und diesen Betrag zur Gänze wieder auf ein Konto des Klägers bei der Tiroler Sparkasse zurückgezahlt habe. Es hätten viele Leute die Gelegenheit gehabt, das offen in der Wohnung des Klägers herumliegende Geld an sich zu nehmen.

Das Erstgericht erkannte mit dem angefochtenen Urteil die Beklagte schuldig, dem Kläger S 239.710,58 sA zu zahlen, während es das Mehrbegehren von S 15.553,42 sA abwies. Dabei ging es vom eingangs wiedergegebenen Sachverhalt und den nachfolgend zusammengefasst dargestellten Feststellungen aus:

Auf Grund langjährigen Alkoholmissbrauchs wurde ua das zentrale Nervensystem des Klägers ausgeprägt und sein peripheres Nervensystem mittelgradig geschädigt. In psychiatrischer Hinsicht bedingte die massive chronische Alkoholzufuhr ein dementielles Zustandsbild. Auf Grund der insgesamt schweren erworbenen Störung der geistigen Funktionen, vornehmlich hervorgerufen durch die deutlichen hirnorganischen Veränderungen, war der Kläger betreffend den Zeitraum 20. 11. 1997 bis 30. 12. 1997 (und fortlaufend) in seiner Willensfreiheit massiv eingeschränkt. Insbesondere konnte er anlässlich der in diesem Zeitraum getätigten, obbeschriebenen vier Barabhebungen nicht abschätzen;

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn ihres Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Vorauszuschicken ist, dass der vom Kläger auf § 1424 Satz 2 ABGB gestützte Anspruch, ihm sein Bankguthaben "ein zweites Mal" auszuzahlen, seine volle Geschäftsunfähigkeit bei den vier Barabhebungen im November und Dezember 1997 voraussetzt. Ihm muss also die Fähigkeit zu einem vernünftigen Willensentschluss gänzlich oder zumindest insoweit gefehlt haben, dass er auf Grund seines beeinträchtigten Geisteszustandes die Bedeutung seines rechtsgeschäftlichen Handelns nicht erkennen konnte (vgl Iro, Verfügungen über Girokonten nicht voll Geschäftsfähiger, 503 ff [511]; Dullinger zu RdA 1996/18). Die Feststellung, dass er - bedingt durch seinen Alkoholmissbrauch und dadurch verursachte schwere Funktionsstörungen des Gehirns - im fraglichen Zeitraum in seiner Willensfreiheit massiv eingeschränkt war und den Wert der behobenen Geldbeträge nicht abschätzen konnte, lässt einen solchen Schluss zu. Die von den Vorinstanzen angenommene partielle Geschäftsunfähigkeit des Klägers wird von der beklagten Partei und ihren Nebenintervenienten auch gar nicht mehr ernsthaft in Frage gestellt. Da von den behobenen Geldbeträgen nichts mehr vorhanden ist, hat sich demnach die beklagte Partei durch die festgestellten Zahlungen nur insoweit von ihrer Schuld aus dem Einlagegeschäft befreit, als das Geld zum Nutzen des Klägers verwendet wurde (Iro aaO; Dullinger, Die Geschäftsfähigkeit Minderjähriger, ÖJZ 1987, 33 ff [40 ff]). Es ist dies die einzige noch offene Frage. Alle sonst von der beklagten Partei und ihren Nebenintervenienten gegen den Klagsanspruch erhobenen Einwendungen wurden nämlich schon vom Berufungsgericht mit überzeugenden Argumenten ausgeräumt. Das trifft auch auf die einzige im Revisionsverfahren noch relevierte Einwendung zu, die beklagte Partei habe dem Kläger gar nichts geschuldet, weil schon der Girovertrag - mangels Geschäftsfähigkeit des Klägers - gar nicht wirksam zustande gekommen sei. Bei dieser Argumentation entfernt sich nämlich die beklagte Partei vom festgestellten Sachverhalt; die in diesem Zusammenhang schon dem Berufungsgericht vorgetragene und von diesem abschlägig beschiedene Rüge von Verfahrensmängeln kann in dritter Instanz nicht wiederholt werden (Stohanzl JN-ZPO15, E 36 zu § 503 ZPO).

Über die Verwendung der behobenen Geldbeträge wurden mit Ausnahme der Tatsache, dass der Kläger bündelweise Fünftausend-Schilling-Scheine (insgesamt rund S 75.000,--) frei herumliegen und sich Lebensmittel und Getränke in die Wohnung bringen ließ, nur Negativfeststellungen getroffen. Es sei nicht feststellbar, wie der Kläger das Geld ausgegeben hat; für größere Anschaffungen zu seinen Gunsten oder für die Tilgung ins Gewicht fallender Verbindlichkeiten (etwa von Mietzinsrückständen) hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben. Daran knüpfte sich die zur gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens führende Überlegung des Berufungsgerichtes, dass der Kläger den ihm obliegenden Nachweis schuldig geblieben sei, das Geld sei nicht zu seinem Vorteil verwendet worden, während das Erstgericht - von einer Beweislast der beklagten Partei ausgehend - zu einer (weitgehenden) Klagsstattgebung gelangt war.

An sich stellt auch der Kläger nicht mehr in Frage, dass er nachzuweisen hat, die behobenen Geldbeträge seien nicht zu seinem Nutzen verwendet worden. Das entspricht der Judikatur zur analogen Anwendung des § 1424 Satz 2 ABGB bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus der Rückabwicklung von Rechtsgeschäften, die wegen Geschäftsunfähigkeit eines Teils nicht wirksam zustandegekommen sind (SZ 60/119; siehe im Übrigen RIS-Justiz RS0048088), und hat folglich auch in Fällen zu gelten, in denen § 1424 Satz 2 ABGB unmittelbar gilt (vgl Mader in Schwimann2, Rz 2 zu § 1424 ABGB; Rummel in Rummel2, Rz 9 zu § 1434 ABGB). Ein überzeugendes Argument für diese Lösung ist auch die größere Nähe des Geldempfängers zum Beweis. Außerdem stellt die Regelung des § 1424 Satz 2 ABGB eine Ausnahme vom Grundsatz dar, dass im Bereicherungsrecht der spätere Wegfall des Nutzens unerheblich ist (vgl SZ 58/105; Apathy in Schwimann2, Rz 16 und 17 zu § 877 ABGB; Welser in Koziol/Welser II12, 279). Es sprechen daher gewichtige Argumente für die vom Berufungsgericht angenommene Beweislastverteilung.

Der Kläger meint allerdings, diese Beweislast dürfe nicht überspannt werden. Wegen der oft unüberwindlichen Schwierigkeit, die Erfüllung einer negativen Tatbestandsvoraussetzung zu beweisen, müsse es genügen, den Richter von der Wahrscheinlichkeit des Gegenteils zu überzeugen. So gesehen sei ihm der Nachweis, die behobenen Geldbeträge seien nicht zu seinem Nutzen verwendet worden, geglückt; da feststehe, dass er keine großen Anschaffungen tätigte oder Verbindlichkeiten tilgte, sei nicht zu erkennen, welche für den Kläger nutzbringende Verwendung des Geldes sonst noch in Frage käme. Dieser Argumentation ist insofern beizupflichten, als von einem Geschäftsunfähigen nicht verlangt werden kann, im Detail nachzuweisen, wie er einen ihm zugekommenen Geldbetrag verwendete. Das wäre lebensfremd und widerspräche auch dem Schutzzweck des § 1424 Satz 2 ABGB, einen Geschäftsunfähigen vor Nachteilen zu bewahren, die ihm aus der Aushändigung eines Geldbetrages drohen, über den er nicht vernünftig disponieren kann. Er hat sich als Nutzen das anrechnen zu lassen, was seine Vermögenssituation nachhaltig verbesserte, indem er Anschaffungen von bleibendem Wert tätigte, richtige und fällige Schulden tilgte (§ 1421 ABGB; vgl SZ 60/119) oder sich einen Aufwand ersparte, der ihm unter seinen Lebensumständen auch sonst erwachsen wäre. Alle Ausgaben, die sich den geringfügigen Angelegenheiten des täglichen Lebens iSd § 273a Abs 2 ABGB unterstellen lassen, sind demnach zum Nutzen des Geschäftsunfähigen verwendet, darüber hinaus aber auch solche, die er nicht zurückfordern könnte, hätte ihm das Gericht bereits einen Sachwalter bestellt und ihm gemäß § 273a Abs 1 ABGB unter Berücksichtigung seiner Situation Teile seines Einkommens oder Vermögens zur freien Verfügung überlassen. Im Zweifel kann Maß an einer vernünftigen Lebensgebarung genommen werden, wie also ein voll Geschäftsfähiger in einer vergleichbaren Situation disponiert hätte.

Die bereits angesprochene Schwierigkeit, die Erfüllung negativer Tatbestandsvoraussetzungen nachzuweisen, verbietet es, vom Geschäftsunfähigen bei der Geltendmachung eines Anspruchs nach § 1424 Satz 2 ABGB den strikten Nachweis zu fordern, was vom Empfangenen nicht zu seinem Nutzen verwendet wurde. Es genügt die Widerlegung jener Umstände, die für die Erzielung eines Nutzens iSd § 1424 Satz 2 ABGB sprechen (vgl Rechberger in Rechberger2, Rz 11 vor § 266 ZPO). So könnte etwa der Beweispflicht dadurch genügt werden, dass ein großer Geldbetrag innerhalb eines kurzen Zeitraums ausgegeben wurde, ohne sich in Vermögenswerten oder einer erkennbaren Verbesserung der Lebensumstände des Betroffenen niedergeschlagen zu haben. Es kommt auch die analoge Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO, also die Festsetzung nach richterlichem Ermessen in Betracht, wie das bereits zum Verwendungsanspruch nach § 1041 ABGB judiziert wurde (SZ 55/37; ecolex 1993, 239).

Im gegenständlichen Fall ist eine ausreichende Erörterung des dargestellten Beweisproblems unterblieben, weil das Erstgericht unrichtiger Weise von einer Beweispflicht der beklagten Partei ausging und das Berufungsgericht die den Kläger treffende Beweispflicht zu streng auslegte. Zu Recht hat dies der Kläger als (sekundären) Mangel des Berufungsverfahrens gerügt, der jedoch eine Verfahrensergänzung durch das Erstgericht angezeigt erscheinen lässt, weil zur Frage, inwieweit die dem Kläger von der beklagten Partei ausgefolgten Geldbeträge zu seinem Nutzen verwendet wurde, neue Beweisaufnahmen erforderlich werden könnten.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
7