JudikaturJustiz5Ob11/23p

5Ob11/23p – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. März 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi, die Hofrätin Dr. Weixelbraun Mohr und den Hofrat Dr. Kikinger als weitere Richter in der wohnrechtlichen Außerstreitsache der Antragsteller 1. H*, vertreten durch Dr. Bernhard Birek, Rechtsanwalt in Schlüßlberg, 2. Y*, vertreten durch Mag. Ronald Geppl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die Antragsgegner 1. H* GmbH, 2. R* GmbH, beide *, 3. M*, sowie 4. die Eigentümergemeinschaft der EZ * KG *, alle vertreten durch Dr. Walter Müller, Rechtsanwalt in Linz, wegen § 3 MRG, Festsetzung einer Entschädigung nach § 8 Abs 3 MRG und Rückzahlung von Betriebskosten, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Erstantragstellers gegen den Beschluss des Landesgerichts Linz als Rekursgericht vom 15. Dezember 2022, GZ 14 R 64/22p-72, mit dem der Rekurs der Antragsteller gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Urfahr vom 8. März 2022, GZ 17 MSch 2/20t-58, als verspätet zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird, soweit darin die Zurückweisung des Rekurses gegenüber dem Erstantrags teller ausgesprochen wird, aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über das Rechtsmittel des Erstantrag stellers unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

[1] Bis 31. 12. 2019 war der Erstantragsteller Mieter eines Geschäftslokals; seit dem 1. 1. 2020 ist die Zweitantragstellerin dessen Mieterin. Als Alleineigentümerin trat d ie Erstantragsgegnerin im Jahr 2012 auf Vermieterseite in das Mietverhältnis ein. Im Jahr 2017 wurde Wohnungseigentum begründet; die Drittantragsgegnerin erwarb einzelne Wohnungseigentumsobjekte im Haus . Das hier gegenständliche Geschäftslokal befand sich kurze Zeit nach Begründung von Wohnungseigentum im Wohnungseigentum der Erstantragsgegnerin, wurde jedoch noch im selben Jahr an die Zweitantragsgegnerin verkauft.

[2] Im Jahr 2016 hatten Umbauarbeiten stattgefunden, bei denen das Bestandobjekt der Antragsteller in Mitleidenschaft gezogen worden war . D er Erstantragsteller begehrte vor der Schlichtungsstelle von der Erstantragsgegnerin eine Entschädigung im Sinn des § 8 Abs 3 MRG. Mit Eingabe vom 28. 6. 2019 beantragte er die Beseitigung schwerer Schäden am Bestandobjekt (verursacht durch Wassereintritte und Dachlawinen auf das Portal), die Überprüfung und Korrektur der zulässigen Betriebskosten und des Hauptmietzinses sowie der Nutzflächen des gesamten Gebäudes nach Neuerrichtung und Durchführung eines Um- und Anbaus.

[3] Das Erstgericht wies einen Antrag der Zweitantragstellerin, der Zweit- und Drittantragsgegnerin mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, unverzüglich die Dichtheit der Fassade im Bereich der Schaufenster herzustellen und Schneefänge am Dach zu errichten, ab und die Begehren der Antragsteller auf Rückzahlung der in den Jahren 2016 bis einschließlich 2019 zu viel bezahlten Betriebskosten, auf Entschädigung gemäß § 8 Abs 3 MRG sowie auf angemessene Entschädigung infolge von Wassereintritten beim Schaufenster des Geschäftslokals und wegen Dachlawinenabgängen zurück. Mit Sachbeschluss trug es den Zweit- und Viertantragsgegnern (zusammengefasst) auf, im Bereich beider Auslagenfenster des Geschäftslokals Undichtheiten zu lokalisieren und fachgerecht zu beseitigen und auf dem Dach unterhalb der Dachflächenfenster fachgerecht Schnee- und Eisfangeinrichtungen anzubringen.

[4] Das Rekursgericht wies das Rechtsmittel der Antragsteller als verspätet zurück (und gab den Rechtsmitteln der Zweit- und Viertantragsgegner nicht Folge). Zwar komme, weil unterschiedliche Entscheidungen in die Ausfertigung aufgenommen worden seien, die längste der zur Verfügung stehenden Rechtsmittelfristen zum Tragen. Die Entscheidung des Erstgerichts sei der Zweitantragstellerin am 22. 3. 2022 und dem Erstantragsteller am 23. 3. 2022 zugestellt worden, sodass die Rekursfrist jedenfalls am 20. 4. 2022 geendet habe . Seinen Rekurs habe der Erstantragsteller beim Landesgericht Linz am 21. 4. 2022 eingebracht; beim Erstgericht, wo das Rechtsmittel einzubringen gewesen wäre, sei er erst am 26. 4. 2022 eingelangt, sodass es verspätet sei.

[5] Dagegen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Erstantragstellers, in dem er zusammengefasst geltend macht, dass an der Anschrift, an der die Entscheidung des Erstgerichts zugestellt worden sei, keine Abgabestelle mehr bestanden habe. Darüber hinaus habe er sein Rechtsmittel ohnedies rechtzeitig erhoben.

Rechtliche Beurteilung

[6] Das Rechtsmittel ist zulässig und berechtigt.

[7] 1. Nach § 68 AußStrG ist eine Revisionsrekursbeantwortung nur bei Beschlüssen vorgesehen, mit denen „über die Sache“ oder über die Kosten entschieden wurde. Unter „Beschluss über die Sache“ wird jede Entscheidung über den eigentlichen Verfahrensgegenstand, sei diese meritorisch oder zurückweisend, verstanden (RIS Justiz RS0120860). Eine solche Entscheidung liegt nicht vor, wenn das Rekursgericht nur über die prozessuale Frage der Rechtzeitigkeit des Rekurses entschieden hat; das Revisionsrekursverfahren gegen die Zurückweisung des Rekurses ist daher regelmäßig einseitig (RS0120614; RS0132250).

[8] 2. Weist das Gericht zweiter Instanz „im Rahmen des Rekursverfahrens“ den Rekurs gegen die erstinstanzliche Sachentscheidung wegen Verspätung zurück, ist (auch) dieser Beschluss nur unter den Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG anfechtbar (RS0120565 [T3, T14]). Die Anfechtbarkeit des Zurückweisungsbeschlusses setzt da mit voraus, dass die Entscheidung von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG abhäng t.

[9] 3. Eine dem Rekursgericht unterlaufene Aktenwidrigkeit ist als zur Wahrung der Rechtssicherheit erhebliche Rechtsfrage aufzugreifen , wenn sie für die Entscheidung wesentlich ist (vgl RS0042762 [T3, T5]). Das ist hier der Fall.

[10] 3.1 Die Entscheidung des Erstgerichts stammt vom 8. 3. 2022. Ihre Zustellung unter anderem an den Erstantragsteller wurde nach der Aktenlage am 11. 3. 2022 verfügt; der Beschluss wurde am 18. 3. 2022 abgefertigt. Laut Rückschein erfolgte die Zustellung an den Erstantragsteller am 23. 3. 2022.

[11] 3.2 Beim Erstgericht langte bereits am 24. 3. 2022 (ON 61) ein Schriftsatz des Erstantrags tellers vom 18. 3. 2022 ein, den das Erstgericht zur Verbesserung unter anderem durch Bekanntgabe, ob er als Rekurs gegen seine Entscheidung vom 8. 3. 2022 aufzufassen sei, zurückstellte und dabei eine Frist von 14 Tagen setzte. Dieser Beschluss wurde nach dem Zustellschein am 4. 4. 2022 an den Erstantragsteller zugestellt . Daraufhin langte am 26. 4. 2022 beim Erstgericht das als „Rekurs-Eingabe“ bezeichnete Schreiben des Erstantragstellers ein, das dieses de n Antragsgegnern zur allfälligen Rekursbeantwortung zustellte und nach Ablauf der hierfür eingeräumten Frist dem Rekursgericht zur Entscheidung vorlegte.

[12] 4. Damit steht die Ansicht des Rekursgerichts, das am 26. 4. 2022 beim Erstgericht eingelangte Rechtsmittel sei verspätet, im Widerspruch zur Aktenlage:

[13] 4.1 Gegen einen Beschluss kann bereits vor dessen Zustellung wirksam Rekurs erhoben werden, sofern nur das Gericht selbst schon an seine Entscheidung gebunden ist (RS0041748 [T4, T9]).

[14] 4.2 Dass der Erstantragsteller ein allfälliges Rechtsmittel bereits vor der Zustellung des angefochtenen Beschlusses erhoben hat, schadet daher nicht. Zur Klarstellung, ob der Erstantragsteller mit seinem Schreiben vom 18. 3. 2022 tatsächlich die Entscheidung vom 8. 3. 2022 bekämpfen wollte, hat das Erstgericht ein Verbesserungsverfahren eingeleitet. Innerhalb der ihm eingeräumten Verbesserungsfrist hat der Erstantragsteller einen Schriftsatz eingebracht, den sowohl das Erstgericht als auch das Rekursgericht als Rechtsmittel gegen den Beschluss vom 8. 3. 2022 aufgefasst haben. Ein innerhalb der Verbesserungsfrist eingebrachtes Anliegen (hier der Rekurs) ist so zu behandeln, als wäre es im Zeitpunkt des mangelhaften Anbringens eingebracht worden (vgl allgemein § 10 Abs 5 AußStrG).

[15] 4.3 Damit erweist sich die Ansicht des Rekursgerichts, das Rechtsmittel sei verspätet, als unzutreffend. Bei dieser Aktenlage ist es auch unerheblich, ob dem Erstantragsteller tatsächlich, wie das Rekursgericht meint, die Frist für ein Rechtsmittel gegen einen Sachbeschluss gemäß § 37 Abs 3 Z 15 MRG offenstand. Ob ihm der Beschluss vom 8. 3. 2022 ordnungsgemäß zugestellt wurde, weil – wie der Erstantrags teller geltend macht – an der Zustellanschrift tatsächlich keine Abgabestelle im S inn des Gesetzes mehr bestanden habe, muss bei dieser Sachlage ebenfalls nicht mehr geprüft werden. Anzumerken ist jedoch, dass er bereits bei seiner Vernehmung in der Tagsatzung vom 14. 2. 2022 eine von der erfassten Anschrift abweichende Wohnadresse nannte, die er auch in allen folgenden Eingaben wiederholte.

[16] 5. Dem Revisionsrekurs ist damit Folge zu geben, wobei aus Anlass des außerordentlichen Revisionsrekurses ausschließlich die vom Rekursgericht verneinte Frage der Rechtzeitigkeit zu beurteilen war.