JudikaturJustiz4Ob62/17x

4Ob62/17x – OGH Entscheidung

Entscheidung
03. Mai 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Markenschutzsache der Antragstellerin E***** GmbH Co KG, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch die Ruggenthaler, Rest Borsky Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Eintragung einer Wortmarke, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 1. März 2017, AZ 133 R 10/17v, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG (§ 38 MSchG, § 140 Abs 2 PatG) zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Nach § 4 Abs 1 Z 7 MSchG sind Zeichen von der Registrierung ausgeschlossen, die gegen die öffentliche Ordnung oder gegen die guten Sitten verstoßen.

Unter den guten Sitten ist der Inbegriff jener Rechtsnormen zu verstehen, die im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen sind, die sich aber aus der richtigen Betrachtung der rechtlichen Interessen ergeben. Die guten Sitten werden mit dem ungeschriebenen Recht gleichgesetzt, zu dem neben den allgemeinen Rechtsgrundsätzen auch die allgemein anerkannten Normen der Moral gehören (RIS Justiz RS0022866). Gegen die guten Sitten verstößt, was dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft (aller billig und gerecht Denkenden) widerspricht (RIS-Justiz RS0022920). Falls ein gesetzliches Verbot fehlt, kann Sittenwidrigkeit im Sinne des § 879 ABGB angenommen werden, wenn eine Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen oder bei Interessenkollision ein grobes Missverhältnis zwischen den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten Interessen ergibt (RIS Justiz RS0045886).

Bei der Markenprüfung ist generell unter umfassender Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auf den Gesamteindruck abzustellen, den die Marken im Bild, im Klang oder in der Bedeutung hervorrufen. Es ist auf die Aufmerksamkeit, Urteilsfähigkeit und Fachkenntnis der im Einzelfall beteiligten Verkehrskreise abzustellen; maßgeblich ist der Gesamteindruck, den ein nicht ganz unbeträchtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise bei flüchtiger Wahrnehmung empfängt (RIS-Justiz RS0078944 [insb T18, T23, T24]).

Ob Sittenwidrigkeit vorliegt, ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042881 [T1, T3, T5, T6, T8]).

Mit dem – die Entscheidung des Patentamts bestätigenden – Beschluss, dass § 4 Abs 1 Z 7 MSchG der Eintragung der Wortmarke „FICKEN“ für Waren der Klassen 25 (Bekleidungsstücke; Kopfbedeckungen), 32 (Biere; Mineralwässer und kohlensäurehältige Wässer und andere alkoholfreie Getränke; Fruchtgetränke und Fruchtsäfte, Sirupe und andere Präparate für die Zubereitung von Getränken) und 33 (alkoholische Getränke [ausgenommen Biere]) entgegensteht, hat das Rekursgericht die Grenzen des ihm eingeräumten Ermessensspielraums (vgl RIS Justiz RS0111880) nicht überschritten und die von der Judikatur entwickelten Grundsätze zur Frage der Sittenwidrigkeit – zudem im Einklang mit Rechtsprechung des EuG (vgl RIS Justiz RS0117100) – beachtet.

Insbesondere die Ansicht der Vorinstanzen, dass dem Begriff „Ficken“ primär eine sexuelle Bedeutung beizumessen sei, und dass die beantragten Waren von jedermann – ungeachtet des Alters und der Lebenseinstellung – gekauft und konsumiert werden könnten, der angesprochene Verkehrskreis somit die Gesamtbevölkerung sei, ist nicht korrekturbedürftig. Keine erhebliche Rechtsfrage stellt sich auch angesichts der Einschätzung, es wäre auch in die Beurteilung einzubeziehen, dass Kinder und Jugendliche das Zeichen sehen (und seinen Bedeutungsgehalt erkennen) und dass das allgemeine Publikum, aber auch die Teile des Verkehrs, die für die Erziehung von Kindern und Jugendlichen verantwortlich sind, diesen Umstand als anstößig ansähen. Diese Überlegungen stehen ebenso im Einklang mit der Rechtsprechung sowohl des Gerichts der Europäischen Union als auch des Bundesgerichtshofs wie auch der Gedanke, dass eine behauptete Liberalisierung von Sprachgewohnheiten und eine sich nur in Ansätzen abzeichnende, aber noch nicht eingetretene Banalisierung in der Sichtweise anstößiger Ausdrücke bei der Auslegung des Begriffs „gute Sitten“ nicht schon vorweggenommen werden darf (BGH 2. 10. 2012, I ZB 89/11 – READY TO FUCK , insb Rn 9, 19 f; EuG 14. 11. 2013, T-52/13 – FICKEN , Rn 21 ff; EuG 14. 11. 2013, T-54/13 – FICKEN LIQUORS , Rn 21 ff).

Dass die Eintragung des beantragten Zeichens in Deutschland nicht präjudiziell ist, hat schon das Rekursgericht zutreffend dargelegt: Die Schutzgewährung in anderen Staaten ist nicht bindend (vgl 4 Ob 11/14t; 17 Ob 24/09t; RIS Justiz RS0125405).

Rechtssätze
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