JudikaturJustiz4Ob221/14z

4Ob221/14z – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. April 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr.

Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H***** P*****, vertreten durch Dr. Leonhard Ogris, Rechtsanwalt in Deutschlandsberg, gegen die beklagten Parteien 1. F***** KG, 2. A***** F*****, vertreten durch Dr. Paul Fuchs, Rechtsanwalt in Wels, wegen 23.350,26 EUR sA, über den Revisionsrekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Rekurs und Berufungsgericht vom 11. September 2014, GZ 2 R 89/14x 33, womit das vom Rekurs und Berufungsgericht als Beschluss behandelte Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 18. März 2014, GZ 27 Cg 152/12g 29, dahin abgeändert wurde, dass die sich darauf beziehende Prozesseinrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache verworfen wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Die Streitteile standen in laufender Geschäftsbeziehung. Der Kläger lieferte an die Erstbeklagte Junghennen (Rechnungsbetrag 135.539,71 EUR) und die Erstbeklagte deren persönlich haftende Gesellschafterin die Zweitbeklagte ist lieferte an den Kläger Hühnereier (Rechnungsbetrag 121.320,39 EUR, Saldo zugunsten des Klägers 14.219,32 EUR).

Die Erstbeklagte hatte mehrere Monate vor dem gegenständlichen Verfahren gegen den Kläger eine Mahnklage über 9.130,94 EUR eingebracht, womit sie neben dem obigen Rechnungsbetrag eine Schadenersatzforderung wegen mangelhaften Lieferungen des Klägers in Höhe von 18.104,09 EUR und Verzugszinsen von 5.246,17 EUR geltend machte; aufgrund erfolgter Aufrechnung sei der (hier) Erstbeklagten eine Restforderung von 9.130,94 EUR zugestanden. Darüber erging ein Zahlungsbefehl, der rechtskräftig und vollstreckbar wurde.

Im gegenständlichen Verfahren begehrt der Kläger von den Beklagten den Saldo aus der Geschäftsbeziehung von 14.219,32 EUR und dehnte in der Folge das Klagebegehren um 9.130,94 EUR aus, welchen Betrag er aufgrund des Zahlungsbefehls bezahlt habe.

Die Beklagten wendeten ein, der zugunsten der (hier) Erstbeklagten erlassene rechtskräftige Zahlungsbefehl stehe der nunmehr geltend gemachten Forderung entgegen. Mit dem Zahlungsbefehl sei über das hier gestellte Klagebegehren rechtskräftig abgesprochen worden. Hilfsweise stehe den Beklagten eine Gegenforderung von 9.130,94 EUR zu.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und die Gegenforderung der Beklagten (unangefochten) zurück. Der Zahlungsbefehl entfalte aufgrund seiner Rechtskraft Bindungswirkung für dieses Verfahren, sodass die Klagsforderung von 14.219,32 EUR getilgt worden sei. Sie sei durch die von der Erstbeklagten im Mahnverfahren vorgenommene Aufrechnung erloschen. Die Ausdehnung des Klagebegehrens um 9.130,94 EUR sei nicht nachvollziehbar. Eine Umwandlung des Exekutionstitels durch den Kläger als Titelschuldner sei unzulässig. Der Gegenforderung der Beklagten stehe ebenfalls die Rechtskraft des Zahlungsbefehls entgegen.

Das Gericht zweiter Instanz deutete die Entscheidung des Erstgerichts hinsichtlich der Erstbeklagten als Zurückweisung der Klage und nahm daher an, dass es sich bei der Berufung des Klägers hinsichtlich der Erstbeklagten um einen Rekurs handle, gab diesem Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, „dass die sich darauf beziehende Prozesseinrede der rechtskräftig entschiedenen Streitsache verworfen“ wurde. In der Mahnklage habe die (hier) Erstbeklagte insgesamt drei Forderungen in der Gesamthöhe von 144.670,65 EUR geltend gemacht und erklärt, eine Aufrechnung mit der Forderung des (hier) Klägers von 135.539,71 EUR vorgenommen zu haben, sodass ihr eine restliche Forderung von 9.130,94 EUR zustehe. In welcher Art und Weise sie die Aufrechnung erklärt habe, sei allerdings nicht vorgebracht worden, sodass ihr Vorbringen unschlüssig gewesen sei. Bei fehlender oder zweifelhafter Widmungserklärung greife die gesetzliche Tilgungsfolge des § 1416 ABGB. Mangels jeglicher näherer Behauptung zur Aufrechnungserklärung könne nicht beurteilt werden, aus welcher der drei behaupteten Forderungen die Judikatschuld aus dem Zahlungsbefehl bestehe. Im Übrigen erwachse eine in einer Entscheidung enthaltene Beurteilung von bedingenden Rechtsverhältnissen (Vorfragen) nicht in Rechtskraft. Rechtskräftig sei nur der Zuspruch von 9.130,94 EUR geworden. Da also in Ansehung der Erstbeklagten kein Prozesshindernis bestehe, sei die inhaltlich erhobene Prozesseinrede der Beklagten zu verwerfen. Der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig. Hinsichtlich der Abweisung von 14.219,32 EUR sA gegenüber der Zweitbeklagten sei das Urteil aufzuheben, weil ihre Haftung vom Bestehen einer Schuld der Erstbeklagten abhänge. Hingegen sei die Abweisung von 9.130,94 EUR berechtigt, weil die Erfüllung einer Judikatschuld nicht zurückgefordert werden könne. Das der Klagsausdehnung zugrunde liegende Vorbringen sei unschlüssig. Das Rekurs und Berufungsgericht bestätigte die Abweisung daher insoweit mit (unangefochtenem) Teilurteil.

Beide Beklagten stellten Abänderungsanträge nach §§ 508 bzw 528 ZPO; die Erstbeklagte verband damit einen ordentlichen Revisionsrekurs gegen den aufhebenden Teil der Entscheidung zweiter Instanz, die Zweitbeklagte die „ordentliche Revision“ gegen den Aufhebungsbeschluss hinsichtlich des Begehrens von 14.219,32 EUR.

Das Rekurs und Berufungsgericht ließ den Revisionsrekurs der Erstbeklagten nachträglich zur Klarstellung der Rechtswirkung eines rechtskräftigen Zahlungsbefehls aufgrund unschlüssiger Mahnklage zu. Den Abänderungsantrag der Zweitbeklagten samt der „ordentlichen Revision“ wies es zurück, weil der Aufhebungsbeschluss ohne Setzen eines Rechtskraftvorbehalts gefasst worden sei.

Die Erstbeklagte macht in ihrem Revisionsrekurs geltend, ihre Mahnklage sei schon deshalb schlüssig gewesen, weil das Gericht keinen Verbesserungsauftrag erteilt habe. Im Übrigen habe sich der eingeklagte Betrag schlüssig aus der Gegenüberstellung von Forderung und Gegenforderung ergeben. Mit dem rechtskräftigen Zuspruch des Saldo an die Erstbeklagte sei „aus logischen Folgerungen zwingend“ auch die anerkannte Gegenforderung des nunmehrigen Klägers in Höhe von 135.539,71 EUR erloschen. Aufgrund der aus der materiellen Rechtskraft folgenden Bindungswirkung sei das Gericht an das Urteil im Vorprozess gebunden; die Klagszurückweisung sei daher zutreffend erfolgt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs zurückzuweisen bzw ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig , aber nicht berechtigt .

1.1. Um zu verhindern, dass über einen bereits entschiedenen Gegenstand ein neuerlicher Rechtsstreit geführt werden kann und der durchgeführte erste Prozess und sein Urteil die Aufgabe der endgültigen Klärung des eingeklagten Anspruchs nicht erfüllen, äußert ein formell rechtskräftiges Urteil die Wirkung, dass über einen bereits entschiedenen Anspruch kein weiteres Verfahren mehr durchgeführt werden darf (Einmaligkeitswirkung, ne bis in idem; Fasching/Klicka in Fasching/Konecny 2 , § 411 ZPO Rz 40). Der gleiche Streitgegenstand liegt nur vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl hinsichtlich des Begehrens als auch des rechtserzeugenden Sachverhalts, also des Klagsgrundes, ident ist mit jenem des Vorprozesses (RIS Justiz RS0039347). Die Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft des Vorprozesses schließt damit die neuerliche Entscheidung über das gleiche Begehren aufgrund derselben Sachlage samt Geltendmachung des gleichen Betrags aus (RIS Justiz RS0039843 [T16]). Auch der Zahlungsbefehl im Mahnverfahren wird der materiellen Rechtskraft teilhaftig (RIS Justiz RS0041463).

1.2. Im vorliegenden Fall liegt kein identer Streitgegenstand zwischen der Mahnklage der Erstbeklagten und dem gegenständlichen Anspruch des Klägers vor. In einem Fall (Zahlungsbefehl) wurden Forderungen für Eierlieferungen, eine Schadenersatzforderung und Verzugszinsen geltend gemacht, im anderen Fall (hier) Forderungen für Hühnerlieferungen. Der rechtskräftige Zahlungsbefehl zugunsten der (hier) Erstbeklagten entfaltet daher keine Einmaligkeitswirkung im Verhältnis zum hier geltend gemachten Anspruch.

2.1. Wo die rechtskräftige Entscheidung des Vorprozesses nicht das Hauptsachbegehren des Folgeprozesses entschieden hat, sondern nur präjudiziell ist, weil sie über eine Vorfrage für den zweiten Prozess rechtskräftig abgesprochen hat, etwa über eine aufrechnungsweise eingewendete Gegenforderung, ist das Gericht im zweiten Prozess bei der Beurteilung einer Vorfrage an die zwischen den Parteien ergangene rechtskräftige Entscheidung gebunden, mit der darüber als Hauptsache entschieden wurde (RIS Justiz RS0041356). Bei der Bindungswirkung handelt es sich nicht um eine neben der Rechtskraft bestehende Urteilswirkung, sondern ebenso wie bei der Einmaligkeitswirkung um einen Aspekt der materiellen Rechtskraft (RIS Justiz RS0102102). Die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Entscheidung äußert sich dahin, dass das Gericht zwar über das zweite Begehren mit Sachentscheidung abzusprechen, dabei aber die rechtskräftige Entscheidung zugrundezulegen hat (RIS Justiz RS0041205).

2.2 Im vorliegenden Fall wurde über keine prozessuale Aufrechnungseinrede entschieden, sondern die dort klagende (und hier erstbeklagte) Partei hat in der Klage eine Aufrechnung mit einer Forderung des (hier) Klägers vorgenommen und ihre Klagsforderung entsprechend reduziert. Die Bindungswirkung des im Vorprozess ergangenen Zahlungsbefehls ist daher zu verneinen.

3.1. Bei Abzug der Gegenforderung in der Berechnung der Klageforderung liegt eine durch den Kläger erklärte Schuldtilgung vor (RIS Justiz RS0102344 [T1]). Es handelt sich dabei um eine außergerichtliche Aufrechnungshandlung, die dem materiellen Recht unterliegt (vgl RIS Justiz RS0033888). Nur richtige Forderungen können Gegenstand der Aufrechnung sein, wobei nur die Gegenforderung richtig sein muss, zumal der Besitzer der richtigen Forderung, der bei Geltendmachung einer unrichtigen Forderung gegen ihn auf sein Recht, deren Richtigkeit zu bestreiten, verzichten und sich auf die Aufrechnung beschränken kann (1 Ob 55/98i).

3.2. Die Erstbeklagte hat in ihrer Mahnklage eine Aufrechnung mit Forderungen des (hier) Klägers in Höhe von 135.539,71 EUR vorgenommen und den zu ihren Gunsten errechneten Saldo von 9.130,94 EUR eingeklagt. Von einer Unschlüssigkeit der Mahnklage kann keine Rede sein, zumal die Forderungs- und Abzugspositionen nachvollziehbar und rechnerisch richtig dargestellt wurden.

4. Zusammengefasst ergibt sich Folgendes: Der rechtskräftige Zahlungsbefehl des Vorprozesses entfaltet über den zugesprochenen Betrag von 9.130,94 EUR hinaus -weder Einmaligkeits noch Bindungswirkung im Hinblick auf das gegenständliche Klagebegehren. Die Erstbeklagte hat im Vorprozess eine Aufrechnung mit einer Forderung des (hier) Klägers vorgenommen, die nach materiellem Recht zu beurteilen ist.

5. Dem Revisionsrekurs der Erstbeklagten, der im Kern die Klagszurückweisung wegen rechtskräftig entschiedener Streitsache anstrebt, ist daher nicht Folge zu geben. Das Erstgericht wird im weiteren Verfahren die Aufrechnung der Erstbeklagten im Vorprozess materiell zu prüfen haben und, falls es zum Ergebnis kommt, dass damit eine gegenseitige Schuldtilgung eingetreten ist, die Klage gegen beide Beklagte (neuerlich) abzuweisen haben.

7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
8