JudikaturJustiz4Ob155/20b

4Ob155/20b – OGH Entscheidung

Entscheidung
20. Oktober 2020

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon. Prof. Dr. Brenn, Hon. Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** Aktiengesellschaft, *****, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. W***** K*****, vertreten durch Dr. Walter Fleissner, Rechtsanwalt in Wien, wegen 170.669,27 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 29. Juni 2020, GZ 12 R 43/19k-27, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin gewährte der Beklagten im Dezember 2001 zwei endfällige Fremdwährungskredite. Im Rahmen eines gemeinsamen Finanzierungskonzepts schloss die Beklagte zur gleichen Zeit eine fondsgebundene Lebensversicherung ab, dies zur Besicherung und als Tilgungsträger der Kredite. Im Rahmen der Beratungsgespräche wurde der Beklagten von der Klägerin versichert, eine derart schlechte Performance des Tilgungsträgers, dass die vierteljährigen Auszahlungen geringer als die für die Fremdwährungskredite zu zahlenden Zinsen seien, „ ist überhaupt nicht denkbar und ausgeschlossen ,“ bzw dass „diese Konstellation nicht eintreten kann “. Tatsächlich reduzierte sich der Wertzuwachs aus der Versicherung laufend. Die vierteljährigen Auszahlungen von zunächst 5.000 EUR wurden wegen der schlechten Performance ab Juli 2004 auf 1.815 EUR reduziert und ab Jänner 2006 überhaupt eingestellt. Ab diesem Zeitpunkt musste die Beklagte daher die Kreditzinsen zur Gänze aus eigenen Mitteln zahlen. 2012 löste sie die Lebensversicherung auf, das Realisat wurde dem Kreditkonto gutgeschrieben.

[2] Die Klägerin stellte 2017 den Kreditbetrag wegen unterlassener Ratenzahlung fällig und begehrte mit der gegenständlichen Klage den der Höhe nach unstrittigen aushaftenden Kreditbetrag von 170.669,27 EUR.

[3] Die Beklagte hielt der Klageforderung eine Gegenforderung von 163.444,68 EUR entgegen und brachte vor, dass sie die verbleibende Differenz bezahlt habe. Die Gegenforderung stützte sie auf einen Schadenersatzanspruch wegen fehlerhafter Beratung durch die Klägerin zum Gesamtfinanzierungskonzept. Sie hätte niemals einen Kredit aufgenommen, wenn ihr nicht von der Klägerin die völlige Risikolosigkeit des gesamten Finanzierungskonzepts zugesichert worden wäre.

[4] Die Vorinstanzen stellten die Klagsforderung als zu Recht bestehend und die Gegenforderung (wegen Verjährung) als nicht zu Recht bestehend fest und gaben dem Klagebegehren statt, wobei das Berufungsgericht den nur das Zinsenmehrbegehren betreffenden klagsabweisenden Teil des Ersturteils dahin abänderte, dass es der Klage zur Gänze stattgab. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zu.

Rechtliche Beurteilung

[5] In ihrer außerordentlichen Revision macht die Beklagte vor allem Fragen zur Verjährung des Schadenersatzanspruchs bei Fremdwährungskrediten mit Tilgungsträgern (insbesondere zum Verjährungsbeginn) geltend. Dabei zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[6] 1.1 Nach der gesicherten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs liegt der Primärschaden im Fall einer fehlerhaften Anlageberatung bereits darin, dass sich das Vermögen des Anlegers wegen einer Fehlinformation des Schädigers anders zusammensetzt, als es bei pflichtgemäßem Verhalten des Beraters der Fall wäre. Ein (realer) Schaden aus einer fehlerhaften Anlageberatung tritt also schon durch den Erwerb des in Wahrheit nicht gewollten Finanzprodukts ein (RS0022537 [T22, T24]; RS0129706 [T3]). Die dreijährige Verjährungsfrist nach § 1489 ABGB beginnt grundsätzlich mit Kenntnis des Primärschadens, auch wenn der Geschädigte die Höhe des Schadens noch nicht beziffern kann, ihm nicht alle Schadensfolgen bekannt oder diese noch nicht zur Gänze eingetreten sind. Der drohenden Verjährung muss der Geschädigte mit einer Feststellungsklage begegnen (RS0087615; RS0097976 [T5]), sofern er nicht ohnehin einen – vereinfacht als „Naturalrestitution“ bezeichneten – Anspruch auf Ersatz des Kaufpreises Zug um Zug gegen einen Bereicherungsausgleich durch Übertragung des noch vorhandenen Finanzprodukts an den Schädiger (RS0120784 [T22], RS0129706 [T2]) begehren kann (1 Ob 50/19p) .

[7] 1.2 Nach mittlerweile gefestigter Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist für die Frage der Verjährung von Ansprüchen aus Beratungsfehlern bei Veranlagungs- und/oder Finanzierungskonzepten, die eine Kombination von Fremdwährungskrediten mit Tilgungsträgern vorsehen, entscheidend, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt, dass das Gesamtkonzept entgegen den Zusicherungen nicht oder nicht im zugesagten Ausmaß risikolos ist (RS0034951 [T38]; RS0087615 [T9, T10, T11]; RS0097976 [T8, T9]). Maßgeblich für den Verjährungsbeginn ist also die Kenntnis der Risikoträchtigkeit des gesamten Modells. Die spezifischen Gefahren , die diese Risikoträchtigkeit bedingen (Wechselkurs, Zinsentwicklung, Entwicklung des Tilgungsträgers), stehen nach der Interessenlage des durchschnittlichen Anlegers in einem derart engen Zusammenhang, dass die unterbliebene oder fehlerhafte Aufklärung über einzelne Teilaspekte verjährungsrechtlich jeweils als unselbständiger Bestandteil eines einheitlichen Beratungsfehlers zu qualifizieren ist (vgl RS0034951 [T39]). Zu welchem Zeitpunkt der Anleger konkret Kenntnis vom Primärschaden erlangte, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl RS0113916 [T1]).

[8] 1.3 Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die dreijährige Verjährungsfrist bereits Anfang 2006 zu laufen begonnen hat, als jegliche Auszahlungen aus dem Tilgungsträger gestoppt wurden und die Beklagte dadurch erkannte, dass das Gesamtkonzept nicht den Mitteilungen im Rahmen des Beratungsgesprächs entsprach, folgt der Rechtsprechung. Es bedarf daher keiner Korrektur, wenn die angefochtene Entscheidung den Beginn der Verjährungszeit zu jenem Zeitpunkt ansetzte, als die von der Beklagten angenommene Risikolosigkeit des Finanzierungskonzepts widerlegt wurde. Dem kann die Beklagte auch nicht entgegenhalten, dass die Einstellung der Zahlungen aus dem Tilgungsträger angeblich keine relevante Position für die Vermögensentwicklung sei, weil es für den Beginn der Verjährungszeit darauf ankommt, zu welchem Zeitpunkt der Geschädigte erkennt, dass das Gesamtkonzept den Zusagen nicht entspricht.

[9] 2. Auch die Ausführungen zur Aufrechnung können die Zu lässigkeit des Rechtsmittels nicht stützen.

[10] 2.1 Die Beklagte erklärte die Aufrechnung mit ihrer – verjährten – Schadenersatzforderung gegen die Kreditforderung der Klägerin. Eine gültige Aufrechnungserklärung wirkt auf den Zeitpunkt zurück, in welchem sich Forderung und Gegenforderung zum ersten Mal aufrechenbar gegenübergestanden sind („Aufrechnungslage“; RS0033973 , RS0033904 ). Daher schadet es dem Aufrechnenden grundsätzlich nicht, wenn seine Forderung im Zeitpunkt seiner Aufrechnungserklärung bereits verjährt war, sofern die Verjährung nicht bereits vor dem Zeitpunkt der Aufrechnungslage eingetreten war ( RS0034016 [insb T3, T5 und T6] ).

[11] 2.2 Vom Obersten Gerichtshof wurde zur Aufrechnung mit einer auf fehlerhafte Anlageberatung gestützten Schadenersatzforderung gegen eine Darlehensforderung bereits geklärt, dass die Schadenersatzforderung – vor Eintritt ihrer Verjährung – der Darlehensforderung der Beklagten fällig gegenüberstehen musste, wobei eine solche Schadenersatzforderung erst dann fällig wird, wenn der Geschädigte den Schaden (zahlenmäßig bestimmt) eingemahnt hat ( 7 Ob 9/13v ; 10 Ob 51/16x ; 1 Ob 190/16x ; RS0023392 [T8] ).

[12] 2.3 Die Beklagte bezifferte ihre Schadenersatzforderung erst im Mai 2013, somit lange nach dem Eintritt der Verjährung im Jahr 2009. Wenn das Berufungsgericht daher davon ausgeht, dass mangels Fälligkeit vor Eintritt der Verjährung dieser Forderung keine Aufrechnungslage verwirklicht war, entspricht das der Judikatur.

[13] 3.1 Die nach den Umständen des Einzelfalls vorgenommene Auslegung des Parteienvorbringens durch das Berufungsgericht, wonach der Vorwurf der Beklagten eines Beratungsfehlers der Klägerin nur darin liege, dass der Beklagten im Vorfeld des Vertragsabschlusses das Finanzierungsmodell zu Unrecht als risikolos erklärt wurde, ist jedenfalls vertretbar und wirft keine erheblichen Rechtsfragen auf (RS0042828 [T31]).

[14] 3.2 Insoweit die Beklagte dem unter Hinweis auf den Inhalt einer Urkunde entgegentritt, aus der sich ergeben soll, dass sie der Klägerin in Wahrheit mehrere Beratungsfehler vorwerfe (die jeweils ein spezifisches Risiko verwirklichen), sodass der Beginn der Verjährungsfrist getrennt zu beurteilen sei, übersieht sie, dass Urkunden ein erforderliches notwendiges Vorbringen nicht ersetzen können ( RS0037915 ).

[15] 4. Schließlich werfen auch die Ausführungen der Beklagten im Zusammenhang mit den weiteren an eine KEG eingeräumten Kredite keine erhebliche Rechtsfrage auf.

[16] 4.1 Die Beklagte geht davon aus, dass auch die Kredite der KEG zur Beurteilung der „Gesamtheitlichkeit des Finanzierungskonzepts“ zu beachten seien. Abgesehen davon, dass unklar bleibt, inwieweit die Einbeziehung der anderen Kredite die Verjährungsfrage des von ihr eingewandten Schadenersatzanspruchs beeinflussen kann, hat die Beklagte im Verfahren erster Instanz gar nicht vorgebracht, dass sie (auch) Kreditnehmerin der anderen (an die KEG gewährten) Kredite sei. Vielmehr brachte sie vor, dass sie (nur) als Vertreterin der KEG agierte.

[17] 4.2 Insoweit das Rechtsmittel releviert, dass die Beklagte im Schreiben vom 13. Mai 2013 auch mit Schadenersatzansprüchen der KEG aufgerechnet habe, hat das Berufungsgericht diese Urkunde jedenfalls vertretbar dahin ausgelegt, dass darin keine (materiell rechtliche) Aufrechnung mit Forderungen der KEG erfolgt sei. Davon abgesehen kommt eine Aufrechnung mit einer fremden Forderung nicht in Betracht (§ 1438 ABGB, RS0011468).