JudikaturJustiz4Ob116/10b

4Ob116/10b – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Juli 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Prof. Dr. K***** K*****, vertreten durch Mag. Ulrich Salburg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1. E***** AG, *****, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, 2. A***** Ltd (Bermudas), *****, vertreten durch Hausmaninger Kletter Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 34.933,38 EUR sA, im Verfahren über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 12. April 2010, GZ 5 R 19/10s 9, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 9. Dezember 2009, GZ 26 Cg 145/09k 4, bestätigt wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Revisionsrekurses werden die Beschlüsse der Vorinstanzen als nichtig aufgehoben.

Die Rechtssache wird an das Erstgericht zurückverwiesen, das über die von der zweitbeklagten Partei erhobene Einrede der fehlenden örtlichen und internationalen Zuständigkeit nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 261 Abs 1 ZPO) neuerlich zu entscheiden haben wird.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung:

Mit Klage vom 5. 10. 2009 nimmt der Kläger die Erstbeklagte (eine inländische Bank) und die Zweitbeklagte (eine Gesellschaft mit Sitz auf den Bermudas) zur ungeteilten Hand auf Ersatz jenes Schadens in Anspruch, der ihm als Anleger im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben eines Prospekts entstanden sein soll. Haftpflichtig sei die Erstbeklagte als Prospektkontrollorin und die Zweitbeklagte als Emittentin nach § 26 Abs 2 Z 4 InvFG iVm § 11 KMG. Der Kläger habe über eine dritte Bank im September 2008 stimmrechtslose Aktien der Zweitbeklagten um den eingeklagten Betrag gekauft. Diese Veranlagung habe sich im Dezember 2008 als verloren herausgestellt, da sich das Investment als Teil des Pyramidenspiels von Bernhard M***** erwiesen habe. Der von der Zweitbeklagten als Kapitalanlagegesellschaft und der Erstbeklagten als deren inländische Repräsentantin vertriebene Fonds, an dem sich der Kläger beteiligt habe, habe entgegen den Prospektangaben keine eigene Fondstätigkeiten durchgeführt, sondern die Kundengelder zur Gänze M***** und dessen Fonds zur Verfügung gestellt. Die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts stütze sich hinsichtlich der Zweitbeklagten auf § 29 InvFG, weil für Klagen gegen eine ausländische Kapitalanlagegesellschaft auch das für den Repräsentanten örtlich zuständige Gericht zuständig sei.

Die Zweitbeklagte erstattete fristgerecht Klagebeantwortung und erhob zugleich die Einrede der örtlichen und internationalen Unzuständigkeit. Als ausländischer Investmentfonds mit Sitz auf den Bermudas unterliege sie dem dortigen Recht. Sie sei von der Bermuda Monetary Authority als Investmentfonds konzessioniert und verfüge über eine aufrechte Konzession. Sie habe bei der FMA um Zulassung zum öffentlichen Vertrieb in Österreich ersucht, jedoch die Anteile stets ausschließlich privat platziert und zu keiner Zeit einen öffentlichen Vertrieb durchgeführt. Schon aus diesem Grund finde auf ihre Tätigkeit im Inland der zweite Abschnitt des InvFG, sohin auch die Zuständigkeitsnorm des § 29 Abs 2 InvFG, keine Anwendung. Die Repräsentantenstellung der Erstbeklagten sei mit Wirkung vom 16. 6. 2009 (also noch vor Klagseinbringung) beendet worden; dies sei auch im Amtsblatt der Wiener Zeitung bekanntgegeben worden. Damit bestehe seit diesem Zeitpunkt auch kein Anknüpfungspunkt für einen auf § 29 InvFG gestützten Gerichtsstand.

Das Erstgericht wies die Klage gegen die Zweitbeklagte entgegen § 261 Abs 1 ZPO ohne vorhergehende mündliche Verhandlung - wegen fehlender inländischer Gerichtsbarkeit zurück. Die Erstbeklagte habe am 19. 6. 2009 die Beendigung ihrer Repräsentantenstellung für die Zweitbeklagte gemäß § 29 Abs 3 InvFG bestimmungsgemäß im Amtsblatt der Wiener Zeitung kundgemacht. Der Gerichtsstand der Zweitbeklagten bestimme sich daher nicht mehr nach dem Gerichtsstand der Erstbeklagten, ihrer ehemaligen Repräsentantin. Die Zweitbeklagte habe ihren Sitz auf den Bermudas, weshalb für sie keine inländische Gerichtsbarkeit vorliege.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den hier im Zusammenhang mit § 29 Abs 2 InvFG aufgeworfenen Fragen zulässig sei. Die Repräsentantenstellung der Erstbeklagten sei schon vor Anhängigmachung der Klage bei Gericht dem Anlegerpublikum gegenüber rechtswirksam beendet worden und habe keine Nachwirkungen über den Beendigungszeitpunkt hinaus. Damit sei auch der sich aus § 29 Abs 2 InvFG ergebende Gerichtsstand erloschen. Mangels inländischen Gerichtsstands bestehe auch keine inländische Gerichtsbarkeit.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht jedenfalls unzulässig: Gemäß § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls (absolut) unzulässig, wenn der angefochtene erstrichterliche Beschluss zur Gänze bestätigt worden ist, sofern der Ausnahmefall dieser Gesetzesstelle (Zurückweisung einer Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen) nicht vorliegt (RIS Justiz RS0112314 [T1]; vgl RS0044536). Der Ausnahmetatbestand für Klagszurückweisungen liegt hier vor. Der Revisionsrekurs ist auch zulässig, weil Rechtsprechung zu einem vergleichbaren Sachverhalt fehlt.

Aus Anlass des zulässigen Rechtsmittels ist die in der Entscheidung über die Prozesseinrede ohne mündliche Verhandlung liegende Nichtigkeit wahrzunehmen.

1. Vom Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO betroffen ist der Ausschluss der Partei von der Verhandlung. Überall dort, wo das Gesetz eine mündliche Verhandlung zwingend vorschreibt, bedeutet die gesetzwidrige Hinderung einer Partei, daran teilzunehmen, den Nichtigkeitsgrund. Nach § 261 Abs 1 ZPO hat das Gericht über die dort aufgezählten Einreden, unter welche auch jene der fehlenden internationalen Zuständigkeit fällt, nach vorgängiger mündlicher Verhandlung zu entscheiden. Die Wahrung der Verhandlungsform steht unter Nichtigkeitssanktion, weil das Gesetz hier zwingend eine mündliche Verhandlung vorschreibt (4 Ob 193/01p mwN; RIS Justiz RS0115767).

2. Der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 4 ZPO ist von Amts wegen wahrzunehmen; auch das Rekursgericht wäre daher verpflichtet gewesen, die Nichtigkeit des erstgerichtlichen Beschlusses - auch ohne diesbezügliche Parteienrüge - von Amts wegen wahrzunehmen und diesen aus Anlass des Rekurses der Klägerin als nichtig aufzuheben (4 Ob 193/01p mwN). Die der erstgerichtlichen Entscheidung anhaftende Nichtigkeit führt demnach nicht nur zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Rekursgerichts, sondern auch zur Aufhebung des erstgerichtlichen Beschlusses. Dem Erstgericht ist aufzutragen, über die Prozesseinrede der Beklagten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung iSd § 261 Abs 1 ZPO neuerlich zu entscheiden.

3.1. Ergänzend ist zu bemerken, dass der Kläger nicht gehalten ist, Zuständigkeitstatbestände in ihrer rechtlichen Konfiguration zu benennen, er muss aber jedenfalls das dafür erforderliche Tatsachensubstrat vorbringen (vgl RIS Justiz RS0046236 [T3]). Wird ein anderer als der allgemeine Gerichtsstand in Anspruch genommen, so hat der Kläger schon in der Klage ausdrücklich und konkret jene Tatsachen zu behaupten, die den besonderen Gerichtsstand begründen ( Mayr in Fasching / Konecny ² III § 230 ZPO Rz 15 mwN; RIS Justiz RS0115860 [T1], RS0039812 [T1], RS0046236 [T4]).

3.2. Der Kläger hat zwar in der Klage zur Zuständigkeit hinsichtlich der Zweitbeklagten ausdrücklich nur den Gerichtsstand des § 29 InvFG genannt, es kam aber durch sein Vorbringen nicht hervor, dass er die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ausschließlich auf diesen Gerichtsstand stützen wolle und nicht auf alle, die sich aus den Klagsangaben ableiten lassen.

3.3. Nach den Klagsangaben nimmt der Kläger die Beklagten zur ungeteilten Hand in Anspruch. Er begehrt den Ersatz jenes Schadens, der ihm als Anleger im Vertrauen auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Angaben eines Prospekts entstanden sein soll, für den die Erstbeklagte als Prospektkontrollorin und die Zweitbeklagte als Emittentin nach § 26 Abs 2 Z 4 InvFG iVm § 11 KMG haften sollen. Damit ist zwanglos und zweifelsfrei genügend Tatachensubstrat vorgebracht worden, das sofern es sich als richtig herausstellt und die genannten Normen Anwendung finden - den Wahlgerichtsstand nach § 93 Abs 1 JN begründen könnte.

3.4. Eine materielle Streitgenossenschaft liegt nach § 11 Z 1 ZPO nämlich ua vor, wenn die gemeinschaftlich geklagten Personen in Ansehung des Streitgegenstands solidarisch verpflichtet sind. Die Rechtsgrundlage der Solidarhaftung (hier: § 11 Abs 3 KMG) ist gleichgültig (RIS Justiz RS0107710 [T1]). Dem Gerichtsstand der Streitgenossenschaft unterliegen auch solche Personen, die ihren Wohnsitz in einem Land haben, das kein Vertragsstaat der Europäischen Gemeinschaft ist (vgl RIS Justiz RS0045425, Mayr in Rechberger ³, § 93 JN Rz 4).

3.4. Sollte das Erstgericht daher im fortgesetzten Verfahren über die Prozesseinrede der Unzuständigkeit den Gerichtsstand nach § 29 Abs 2 InvFG weiterhin als nicht gegeben erachten, wird es zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des Gerichtsstands der Streitgenossenschaft vorliegen.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO. Ein Verschulden einer der Parteien an der Nichtigkeit liegt nicht vor.

Rechtssätze
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