JudikaturJustiz2Ob173/14a

2Ob173/14a – OGH Entscheidung

Entscheidung
09. April 2015

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé und den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** W*****, vertreten durch Dr. Helmut Atzl ua, Rechtsanwälte in Kufstein, gegen die beklagte Partei Dr. C***** L*****, vertreten durch Dr. Kurt Bayr, Dr. Marco Rovagnati, Rechtsanwälte in Innsbruck, wegen 8.020 EUR sA, über den „Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs) der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. Juli 2014, GZ 2 R 119/14k 47, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Rattenberg vom 25. Februar 2014, GZ 3 C 121/10a 43, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Beklagte führte bei der Klägerin am 17. 8. 2007 und am 6. 6. 2008 zwei Operationen (Liposuction) an beiden Oberschenkelaußenseiten zur größtmöglichen Korrektur der bei der Klägerin vorliegenden „Reithosendeformität“ durch. Beide Eingriffe erfolgten lege artis. Konturunregelmäßigkeiten und Einsenkungen sind mit einem Auftreten bei 20 % aller behandelten Fälle keine seltene Komplikation bei derartigen Eingriffen und können auch bei fehlerfreier Behandlung eintreten. Es konnte nicht festgestellt werden, ob der Beklagte die Klägerin mündlich darüber aufklärte, dass bei ihr auch aufgrund ihres Alters und Gewichts ein erhöhtes Risiko nicht nur für Dellenbildungen, sondern auch für ausgeprägte Einsenkungen oder Vorwölbungen bestand und daher insgesamt sogar eine Verschlechterung des optischen Erscheinungsbildes eintreten könnte.

Die Klägerin erhielt erstmals im Zuge eines in einem Vorprozess (3 C 74/10i des Erstgerichts) eingeholten plastisch chirurgischen Sachverständigengutachtens Kenntnis vom Ausmaß des Komplikationsrisikos und der Tatsache, dass die Operationen grundsätzlich lege artis durchgeführt wurden. Ob die Klägerin die Operationen bei entsprechender Aufklärung über die aufgezeigten Risiken hätte durchführen lassen, konnten die Vorinstanzen nicht feststellen.

Die Klägerin begehrt nunmehr, ursprünglich gestützt auf Gewährleistung, später (auch) auf Schadenersatz, den Klagsbetrag und bringt dazu vor, dass durch die Operationen tiefe unansehnliche Dellen entstanden seien. Über dieses Risiko sei die Klägerin nicht aufgeklärt worden, der Beklagte hafte daher für die Kosten einer notwendigen durchzuführenden Folgebehandlung. Die Ansprüche seien nicht verjährt, weil die Klägerin erst aufgrund des Sachverständigengutachtens im Vorverfahren Kenntnis von diesen haftungsbegründenden Umständen erhalten habe.

Der Beklagte wandte eine „eklatante Überhöhung“ des Klagebegehrens ein. Es sei lediglich die Korrektur einer einzigen Delle mit einem maximalen Aufwand von 500 EUR notwendig. Im Übrigen sei der Anspruch der Klägerin verjährt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Die Klägerin sei nicht hinreichend über die möglichen Folgen der Operationen aufgeklärt worden und daher ihre Zustimmung zum Eingriff nicht gültig erfolgt. Der Beklagte sei demzufolge für die Verschlechterung des Gesundheitszustands der Klägerin haftbar. Die Klägerin habe Anspruch auf Ersatz der Heilungskosten. Dieser Anspruch sei nicht verjährt und auch der Höhe nach berechtigt.

Das vom Beklagten angerufene Berufungsgericht hob die Entscheidung nach Verwerfung der Mängel und der Feststellungsrüge aus rechtlichen Erwägungen auf. Die Korrekturoperation sei noch nicht erfolgt. Nach der Entscheidung des verstärkten Senats 2 Ob 82/97s könnten künftige Heilbehandlungskosten nicht schlechthin und unabhängig von der tatsächlichen Durchführung gefordert werden. Es könne vom Schädiger lediglich ein zweckgebundener, verrechenbarer und bei Zweckverfehlung rückforderbarer Vorschuss verlangt werden. Die Klägerin habe bisher nicht vorgebracht, dass sie den Klagsbetrag nur als Vorschuss verlange; auch fehlten Feststellungen darüber, ob die Klägerin tatsächlich vorhabe, eine derartige Korrekturoperation vornehmen zu lassen, was im zweiten Rechtsgang abzuklären sein werde.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde zugelassen, weil keine Judikatur zur Frage bestehe, ob die Einklagung der Kosten für eine erst durchzuführende Operation gegenüber dem Begehren auf bloße Vorschussleistung ein Aliud oder ein Minus darstelle.

Dagegen richtet sich der „Revisionsrekurs“ (richtig: Rekurs: § 519 Abs 1 Z 2 ZPO) der beklagten Partei an den Obersten Gerichtshof wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Abänderungsantrag, das Klagebegehren zur Gänze abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Der Rekurs ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig . Er ist aber nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurswerber meint, die Klägerin habe nie behauptet, den Klagsbetrag lediglich als Vorschuss zu begehren. Sie habe keinerlei Vorbringen erstattet, dass sie die Absicht habe, die Operation auch tatsächlich durchführen zu lassen. Im Übrigen verweist der Rekurswerber „der Vollständigkeit halber“ darauf, dass es unerlässlich gewesen wäre, im Zusammenhang mit der völlig übertriebenen Kostenschätzung der Klägerin ein weiteres Sachverständigengutachten von einem unabhängigen Sachverständigen einzuholen.

Beim Vorschuss für beabsichtigte Heil und Behandlungskosten handle es sich um ein Aliud gegenüber den begehrten Heilbehandlungskosten, weil der Vorschuss „durchaus im Gegensatz zum Schadenersatzbetrag zweckgebunden verrechenbar und bei Zweckverfehlung rückforderbar“ sei. Die Klägerin habe sich ursprünglich nur auf Gewährleistung und erst später auf Schadenersatz gestützt. An diese Qualifikation sei das Erstgericht gebunden gewesen und hätte aus diesem Grund das Klagebegehren wegen Unschlüssigkeit abweisen müssen. Ein Schaden liege noch gar nicht vor, weil er erst bei einer Verpflichtung der Geschädigten zur Bezahlung von Heilungskosten entstehe. Im Übrigen habe die beklagte Partei ausdrücklich Verjährung eingewendet.

Hiezu hat der Oberste Gerichtshof Folgendes erwogen:

1. Unstrittig sind die Vorinstanzen von der Anwendung österreichischen Rechts ausgegangen; dies wird auch im vorliegenden Rechtsmittelverfahren von keiner der Parteien thematisiert; darauf braucht daher nicht mehr weiter eingegangen zu werden (7 Ob 148/03w = SZ 2003/87; 2 Ob 215/07t).

2. Den Einwand der Verjährung hat die beklagte Partei in der Berufung ON 44 nicht mehr geltend gemacht. Die insoweit versäumte Rechtsrüge und in der Berufung nicht mehr relevierte Rechtsfrage kann daher nicht mehr nachgetragen werden und damit Gegenstand des Revisionsverfahrens sein (RIS Justiz RS0043480; RS0043338 [T11 und T15]).

3. Soweit der Beklagte die unterlassene Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens moniert, ist dies eine Frage der Beweiswürdigung und daher nicht revisibel (RIS Justiz RS0043320).

4. Voranzustellen ist, dass die Klägerin ihr Begehren in erster Instanz nicht wie im Rechtsmittel behauptet „später ausschließlich“, sondern vielmehr „auch“ auf Schadenersatz gestützt hat (Schriftsatz ON 17).

4.1 Gemäß § 405 ZPO ist das Gericht nicht befugt, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist. Ob ein solches Aliud vorliegt, ergibt sich aus dem Vergleich zwischen dem gestellten Begehren und dem Urteilsspruch unter Berücksichtigung der rechtserzeugenden Tatsachen ( Fucik in Fasching/Konecny ² III § 405 ZPO Rz 22; RIS Justiz RS0041023). Ein Aliud liegt dann vor, wenn die zugesprochene Rechtsfolge eine andere ist als die begehrte, dabei sind auch die zur Begründung der Rechtsfolge vorgetragenen und zur Entscheidung herangezogenen Tatsachen miteinander zu vergleichen (RIS Justiz RS0041027). Für die Beantwortung der Frage, ob das Gericht in seinem Urteilsspruch über die in § 405 ZPO gezogenen Schranken hinausgegangen ist, ist nicht allein das Klagebegehren, sondern auch der übrige Inhalt der Klage maßgebend (RIS Justiz RS0041078).

Ein Aliud liegt auch dann vor, wenn der verlangte und jener Leistungsgegenstand, der gegebenenfalls zugesprochen werden könnte, zwar gleichartig sind, aber aus verschiedenen Sachverhalten abgeleitet werden (1 Ob 210/97g = wobl 1998/124 [ Oberhammer ]). Maßgebend für den Entscheidungsspielraum des Gerichts sind daher der vorgetragene Sachverhalt und die hiefür angegebenen Tatsachen (1 Ob 198/02b = SZ 2002/126). Eine unrichtige rechtliche Qualifikation des Klagegrundes durch den Kläger gereicht ihm dann nicht zum Nachteil, wenn er alle anspruchsbegründenden Tatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt hat (vgl 3 Ob 133/13z = wobl 2014/70).

4.2 In diesem Sinne wurde bereits ausgesprochen, dass die Verurteilung zum Erlag statt zur Zahlung ebenso ein zulässiges Minus ist wie die Verurteilung zu Ratenzahlungen statt zur sofortigen Zahlung des gesamten Betrags ( Fucik in Fasching/Konecny ² III § 405 ZPO Rz 44 mwN).

Ebenso wurde im exekutionsrechtlichen Kontext ausgesprochen, dass das Begehren (nach § 224 Abs 1 EO) auf Berichtigung durch sofortige Barzahlung gegenüber jenem auf Zuweisung eines entsprechenden Barbetrags, welcher gemäß § 224 Abs 2 EO (als Deckungskapital) gerichtlich zu erlegen ist, nicht ein Aliud im Sinne des § 405 ZPO, sondern ein Mehrbegehren darstellt (RIS Justiz RS0003715).

Auch die Verurteilung Zug um Zug ist nach ständiger Rechtsprechung kein Aliud, sondern ein Minus (RIS Justiz RS0041067).

5.1 Im vorliegenden Fall begehrt die Klägerin die Leistung eines bestimmten Betrags zur Abdeckung von erst (ohne dies freilich bisher im erstinstanzlichen Verfahren explizit behauptet zu haben) zukünftig fällig werdenden Heilbehandlungskosten. Seit der Entscheidung des verstärkten Senats 2 Ob 82/97s (SZ 70/220) judiziert der Oberste Gerichtshof hiezu, dass die Kosten einer künftigen Heilbehandlung vom Geschädigten, der die Heilbehandlung ernstlich beabsichtigt, nur vorschussweise begehrt werden können (RIS Justiz RS0108906). Dieser Grundsatz gilt auch im Gewährleistungsrecht bei Anwendung des § 933a ABGB (5 Ob 94/13d). Der begehrte Betrag ist auch nicht einem Feststellungsbegehren für künftige Ansprüche zuzuordnen, sondern dem Geschädigten, der nicht verpflichtet ist eigenes Kapital einzusetzen (RIS Justiz RS0030571), als Vorschuss zuzusprechen (2 Ob 117/09h) und muss dem Geschädigten angemessene Zeit vor dessen Einsatz zur Verfügung stehen (2 Ob 48/14v = ZVR 2015/47 [ Ch. Huber ]).

Entgegen dem Rekursvorbringen kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Betrag noch gar nicht fällig wäre.

5.2 Zukünftige Heilungskosten als Vorschuss gegen Verrechnung sind daher gegenüber dem Begehren auf Zuspruch des Betrags ohne diese Einschränkung ein Minus und kein Aliud.

5.3 Wenn das Berufungsgericht der Ansicht ist, dass der Sachverhalt in dieser aufgezeigten Richtung noch nicht genügend geklärt ist, dann kann dem der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, nicht entgegentreten (RIS Justiz RS004219).

6. Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 zweiter Satz ZPO.

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