JudikaturJustiz23Rs4/24w

23Rs4/24w – OLG Innsbruck Entscheidung

Entscheidung
27. Februar 2024

Kopf

Im Namen der Republik

Das Oberlandesgericht Innsbruck hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Kohlegger als Vorsitzenden und die Richterin des Oberlandesgerichts Dr. Pirchmoser und den Richter des Oberlandesgerichts MMag. Dr. Dobler sowie die fachkundigen Laienrichter:innen Mag. Stefan Wanner (aus dem Kreis der Arbeitgeber:innen) und Mag. a Dr. in Silvia Zangerle-Leberer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer:innen) als weitere Mitglieder des Senats in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geb am **, Küchenchef in **, ****, vertreten durch Mag. German Bertsch, Rechtsanwalt in 6800 Feldkirch, gegen die beklagte Partei C* , D* E*, ** E*, ****, vertreten durch ihren Mitarbeiter Mag. F*, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei (ON 34) gegen das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 4.10.2023, 33 Cgs 20/22a 32, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird k e i n e Folge gegeben.

Der Kostenersatzantrag des Klägers im Rechtsmittelverfahren wird abgewiesen .

Ein Kostenersatz nach Billigkeit findet im Berufungsverfahren nicht statt.

Die (ordentliche) Revision ist n i c h t zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 19.1.2022 sprach die Beklagte aus, dass das (Brand)Ereignis vom 26.4.2020 nicht als Arbeitsunfall gemäß den §§ 175, 176 ASVG anerkannt werde und kein Anspruch des Klägers auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

Diesen Bescheid bekämpft der Kläger mit seiner fristgerecht beim Erstgericht eingebrachten Bescheidklage mit dem Begehren auf Feststellung der Anerkennung des Ereignisses vom 26.4.2020 als Arbeitsunfall und auf Gewährung einer Versehrtenrente im Ausmaß von 20 vH der Vollrente aufgrund dieses Ereignisses. Er brachte dazu zusammengefasst vor, er habe zum Zeitpunkt des Brandgeschehens vom 26.4.2020 kurz vor 22:50 Uhr als Küchenchef in der Pizzeria G* in H* gearbeitet. Seine Betriebswohnung sei im Haus des Gastronomiebetriebs gelegen. Der Pizzeria-Betreiber habe zu diesem Zeitpunkt ein Brandgeschehen im Bereich der Abluftanlage in der Küche bemerkt und die Feuerwehr alarmiert. Das Feuer habe in weiterer Folge im Dachbodenbereich bei dem dort vorhandenen Lüfter auf die Dachkonstruktion übergegriffen und den Dachstuhl in Brand gesetzt. Durch das Feuer seien der Dachstuhl, der Dachboden sowie angrenzende Gebäudeteile und die Betriebswohnung des Klägers stark beschädigt worden. Er habe Hab und Gut verloren. Bei vorheriger unauffälliger psychischer Gesundheit habe sich dieses Brandereignis als eine posttraumatische Belastungsstörung infolge Extrembelastung durch Feuer beim Kläger manifestiert. Der Kläger leide seitdem und nach wie vor an dieser posttraumatischen Belastungsstörung. Aufgrund der lebensbedrohlichen Traumatisierung leide der Kläger weiterhin an situationsbedingten Ängsten, depressiven Verstimmungen, Intrusionen und Schlafstörungen im Sinne einer massiven posttraumatischen Belastungsstörung.

Die Beklagte bestreitet, beantragt Klagsabweisung und wendet zusammengefasst ein, gemäß fachärztlicher Beurteilung sei die vom Kläger geltend gemachte Gesundheitsstörung nicht auf ein Unfallereignis zurückzuführen. Es fehle der Hinweis für das Vorliegen einer psychiatrischen Erkrankung mit dem Krankheitswert einer schweren depressiven Episode bzw mit psychotischen Symptomen. Wenn der Kläger annehme, dass sowohl der örtliche, zeitliche als auch ursächliche Zusammenhang des Brandvorfalls mit seinen Beschwerden gegeben sei, so treffe dies nicht zu, weil der ursächliche Zusammenhang fehle. Es mangle insbesondere an der medizinischen, aber auch an der rechtlichen Komponente dafür.

Mit dem bekämpften Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab und sprach aus, dass ein Kostenersatz nicht stattfindet. Diesem Erkenntnis legte das Erstgericht folgende für das Verständnis der Berufungsentscheidung wesentliche Feststellungen zugrunde, die – soweit in der Berufung bekämpft – kursiv gesetzt sind:

Der Kläger war als Küchenchef in der Pizzeria G* in H* beschäftigt, als sich am 26.4.2020 ein Brand in der Pizzeria ereignete.

„Der Kläger leidet an einer Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Angststörung, wobei nicht festgestellt werden kann, ob diese durch das Brandgeschehen herbeigeführt wurden.“

In rechtlicher Beurteilung vertrat das Erstgericht die Auffassung, dass dem Kläger der von § 175 Abs 1 ASVG geforderte Nachweis eines örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhangs eines von ihm erlittenen Arbeitsunfalls mit der versicherten Beschäftigung nicht gelungen sei. Das Klagebegehren müsse daher abgewiesen werden.

Gegen diese Entscheidung wendet sich nunmehr die (fristgerechte) Berufung des Klägers aus den Rechtsmittelgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinn einer vollständigen Klagsstattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt. In eventu wird die Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz der Verfahrenskosten erster und zweiter Instanz des Klägers verlangt (ON 34 S 5 f).

In ihrer (fristgerechten) Berufungsbeantwortung beantragt die Beklagte , dem gegnerischen Rechtsmittel den Erfolg zu versagen (ON 36 S 3).

Nach Art und Inhalt der geltend gemachten Anfechtungsgründe war die Anberaumung einer öffentlichen, mündlichen Berufungsverhandlung entbehrlich. Über die Berufung war daher in nichtöffentlicher Sitzung zu befinden (§§ 2 Abs 1 ASGG, 480 Abs 1 ZPO). Dabei erwies sie sich aus nachstehenden Erwägungen als unberechtigt:

Rechtliche Beurteilung

A. Zur Mängelrüge:

1.: In der Mängelrüge des Rechtsmittels wird zunächst geltend gemacht, das Erstgericht habe zu Unrecht von einer Einvernahme des Klägers als Partei unter anderem zu seinen subjektiven Einschätzungen über die Verursachung der ihn nun belastenden Leiden (Stichwort: schwere psychische Erschütterung und reaktive Depression) durch das Brandereignis abgesehen (ua ON 34 S 3). Diesem Standpunkt kann aber nicht gefolgt werden:

1.1.: Die Aussage einer Partei ist zur Klärung von Fragen, die einer besonderen Sachkunde eines Sachverständigen bedürfen und daher der Beurteilung von Sachverständigen vorbehalten sind (17 Ob 21/10b), wie etwa die Fragen des Gesundheitszustands des Klägers oder hier der Verursachung seiner beschriebenen Leiden durch das Brandereignis, grundsätzlich ungeeignet (OLG Graz 4.5.2021, 6 Rs 4/21m; OLG Wien 16.7.2008, 7 Rs 96/08d, ARD 5968/8/2009; OLG Linz 24.7.2014, 11 Rs 70/14i; 3.12.1991, 12 Rs 113/91, SVSlg 41.534; OLG Innsbruck 30.5.2023, 23 Rs 10/23a ErwGr B. 3.3. in anderem Zusammenhang veröffentlicht zB in RI0100161; OLG Innsbruck 11.7.2007, 23 Rs 39/07, SVSlg 54.790). Zu solchen fachspezifischen medizinischen Fragen kann nämlich ein medizinischer Laie wie etwa der betroffene Versicherte nichts beitragen, weil er nur seine subjektive Befindlichkeit darlegen kann (ebenso zB OLG Linz 25.9.2023, 11 Rs 58/23p; OLG Wien 16.7.2008, 7 Rs 96/08d, ARD 5968/8/2009). Schon deshalb bedurfte es keiner Vernehmung des Klägers als Partei, weil die hier interessierende medizinische Fachfrage, ob das vom Kläger als psychisches Trauma empfundene Brandereignis Ursache für die von ihm behauptete schwere psychische Erschütterung oder reaktive Depression war (ON 34 S 3 zweiter Absatz) nicht durch förmliche Parteienvernehmung geklärt werden könnte. Es kommt im vorliegenden Verfahren betreffend eine Versehrtenrente eben nicht allein auf das Vorliegen (die „Existenz“) der vom Kläger beschriebenen Leiden, sondern auf deren Zusammenhang mit dem Brandvorfall (die „Kausalität“) an (OLG Graz 22.3.2018, 6 Rs 19/18p).

1.2.: Das Unterbleiben der förmlichen Parteienvernehmung zu solchen medizinischen Fachfragen stellt daher keinen Verfahrensmangel dar, sofern der Partei Gelegenheit dazu geboten wurde, die maßgeblichen Umstände ihres Leidens im weitesten Sinne auf andere Weise in aller Regel im Zug der sog Anamnese mit dem Sachverständigen in das Verfahren einzubringen (OLG Graz 22.3.2018, 6 Rs 19/18p; OLG Linz 24.7.2014, 11 Rs 70/14i; 20.10.2009, 12 Rs 154/09, SVSlg 59.683; OLG Innsbruck 27.7.2023, 23 Rs 15/23m ErwGr 7., RIS Justiz RI0100177; 5.6.2019, 23 Rs 20/19s ErwGr A. 2.7.; Neumayr in ZellKomm³ II [2018] § 75 ASGG Rz 8 und Rz 11 je mwH).

1.3.: Auch das (Sozial)Gericht ist mangels eigener Fachkunde nicht dazu in der Lage, zielgerichtete Fragen zum Gesundheitszustand oder zum Zusammenhang der beschriebenen Leiden mit einem behaupteten Unfall/Vorfall zu stellen. Dazu müsste es einen medizinischen Sachverständigen zur Unterstützung der Fragestellung beiziehen. Deshalb gewährleistet die anamnestische Befragung der Partei durch den mit der Gutachtenserstellung gerichtlich betrauten Sachverständigen in bestmöglicher Weise die vollständige Schilderung der Leidenszustände. Sie ermöglicht schon bei der Befundaufnahme die genaue Abklärung der Beschwerdebilder durch – unter Verwertung der ihm zugänglichen Vorbefunde – gezielte Nachfrage des Gutachters (OLG Linz 25.9.2023, 11 Rs 58/23p). Allfällige Unklarheiten können bei der mündlichen Gutachtenserörterung beseitigt werden (§§ 367, 341 Abs 1, 289 Abs 1 ZPO).

1.4.: In diesem Verfahren wurde die Anamnese durch den neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen am 14.9.2022 mit Unterstützung einer Dolmetscherin durchgeführt (ON 8 S 1). Dabei hatte der Kläger ausreichend Möglichkeit, im Sinne der zitierten Judikatur seinen Leidenszustand, seine Befindlichkeiten und seine subjektive Einschätzung über die Ursächlichkeit des für ihn dramatisch empfundenen Brandgeschehens für seine nun geschilderten Leidenszustände darzulegen. Der Kläger machte davon auch Gebrauch, wie dem Hauptgutachten des Sachverständigen zu entnehmen ist (ON 16 S 2 f). Dass und aus welchen Gründen der Kläger im Rahmen der dolmetscherunterstützten Befundung durch den Sachverständigen konkret gehindert gewesen wäre, sämtliche Aspekte seiner Beschwerden und seiner Ursacheneinschätzung – wie dem Hauptgutachten zu entnehmen – ausführlich darzulegen, wird in der Berufung mit keinem Wort behauptet (ON 34 S 2). Der vom Berufungswerber im Rechtsmittel erwähnte Befundbericht Dr. I* vom 19.10.2020 Beilage C mit Ableitungen (der als ärztliches Attest hier einem Privatgutachten gleichkommt: OLG Graz 17.6.2021, 7 Rs 35/21b) – und übrigens auch weitere Befundberichte dieses Vertrauensarzts des Klägers (ON 16 S 5 f) – lagen dem Sachverständigen bereits bei Verfassung des Hauptgutachtens vor und wurden von diesem in seine Beurteilung miteinbezogen (ON 16 S 4). Welche konkreten Sachaspekte dieses Befundberichts tatsächlich unerörtert geblieben wären, vermag die Berufung nicht darzustellen (ON 34 S 2 f).

1.5.: Im Punkt der gerügten, unterbliebenen Parteienvernehmung des Klägers wird der Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Übrigen nicht judikaturkonform ausgeführt: Denn für eine erfolgreiche Mängelrüge müsste die abstrakte Erheblichkeit der unterbliebenen Parteienvernehmung richtig dargestellt werden: Der Rechtsmittelwerber muss wohl nicht die konkrete Nachteiligkeit des Mangels für seinen Prozessstandpunkt nachweisen; er muss aber - wenn dies nicht ausnahmsweise offenkundig ist - aufzeigen, dass der gerügte Verfahrensmangel abstrakt erheblich und damit geeignet war, das ihn belastende Ergebnis auch konkret verursacht zu haben (RIS Justiz RS0043027 [T1, T6, T10]). Der Berufungswerber ist daher dazu aufgerufen, in seiner Verfahrensrüge nachvollziehbar auszuführen, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (1 Ob 61/18d ErwGr 4.; 2 Ob 110/17s ErwGr 2.) bzw wenn er die Tatsachenfeststellung des Erstgerichts angreifen wollte, nachvollziehbar darzulegen, in welcher Hinsicht sich bei Unterbleiben des Mangels eine abweichende Sachverhaltsgrundlage ergeben hätte (7 Ob 213/18a ErwGr 2.; 1 Ob 61/18d ErwGr 4.; Lovrek in Fasching/Konecny ZPO³ IV/1 [2019] § 503 ZPO Rz 45). Denn andernfalls kann die Eignung des Mangels zur Behinderung der erschöpfenden Erörterung und gründlichen Beurteilung der Streitsache vom Rechtsmittelgericht - letztlich im Sinn eines Vergleichs zwischen dem tatsächlichen und dem im Rechtsmittel abstrakt zu behauptenden hypothetischen Verfahrensablauf - nicht beurteilt werden ( Lovrek § 503 ZPO Rz 45; vgl Kodek in Rechberger/Klicka [Hrsg] ZPO 5 [2019] § 471 Rz 11). Der Rechtsmittelwerber muss also darlegen, welchen Verlauf das Verfahren genommen hätte, wenn der gerügte Fehler unterblieben wäre (1 Ob 204/07t VersE 2198 = RdW 2008/209, 262). Die Mängelrüge bleibt jedoch die Frage, welche für den Kläger günstigeren Verfahrensergebnisse oder für ihn vorteilhaftere abweichende Sachverhaltsgrundlage das Verfahren ergeben hätte, wenn der Kläger förmlich als Partei einvernommen worden wäre, darzulegen schuldig. Die Berufung spricht hier nur zu unkonkret davon, „aufgrund dieser Beweisergebnisse“ (die die Einvernahme des Klägers ergeben hätte) wäre die Unschlüssigkeit des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens offenbar geworden (ON 34 S 3 zweiter Absatz).

2.: Entgegen dem Standpunkt der Berufung (ON 34 S 3) bedurfte es auch nicht der Einholung eines weiteren neurologisch-psychiatrischen Gutachtens:

2.1.: Nach stRsp stellt sowohl die Beurteilung der Schlüssigkeit und Vollständigkeit sowie hinreichenden Begründetheit eines Gutachtens eines Gerichtssachverständigen als auch die Beantwortung der Frage, ob der Sachverständige alle verfahrensrelevanten medizinischen Fragen abschließend beantwortet hat oder ob außer dem/den bereits vorliegenden Gutachten noch weitere Gutachten aus demselben oder einem anderen Fachgebiet einzuholen gewesen wären im Allgemeinen einen Akt der richterlichen Beweiswürdigung dar, der somit nicht zum Gegenstand einer Mängelrüge, vielmehr nur einer Beweisrüge gemacht werden kann (10 ObS 90/13b; 10 Obs 54/13f; 10 Obs 83/01f; 10 ObS 352/00p; RIS Justiz RS0043275; RS0043320; RS0043163; RS0113643; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 360 362 Rz 6). Die Beweisrüge der Berufung wird unten zu B. noch behandelt und erweist sich ebenfalls als unbegründet.

2.2.: In der Nichteinholung eines weiteren Gutachtens könnte nur ausnahmsweise, und zwar dann ein Stoffsammlungsmangel gelegen sein, wenn ein Anwendungsfall des § 362 Abs 2 ZPO (hier iVm § 2 Abs 1 ZPO) vorliegt. Nach dieser Bestimmung ist das Gericht nur dann auf Antrag oder von Amts wegen dazu verhalten, eine neuerliche Begutachtung durch einen Sachverständigen anzuordnen, wenn das bereits abgegebene Gutachten ungenügend ist oder nicht vervollständigbar erscheint, vom Sachverständigen verschiedene (widersprüchlich verbliebene) Ansichten geäußert wurden oder dieser nach Abgabe des Gutachtens mit Erfolg abgelehnt wurde. (Nur) insoweit kann die Nichteinholung eines weiteren Gutachtens einen Verfahrensmangel abgeben (RIS Justiz RS0040597; RS0113643; OLG Innsbruck zB 20.10.2023, 23 Rs 51/23f ErwGr 5.2.; 19.6.2019, 25 Rs 38/19b ErwGr 2.1.; Pochmarski/Tanczos/Kober, Berufung in der ZPO 4 [2022] 148 f; Pochmarski/Lichtenberg/Tanczos/Kober, Die Berufung in der ZPO³ [2014] 123 f; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 360 362 Rz 6).

2.3.: Nach der Rechtsprechung kommt die neuerliche Begutachtung durch denselben oder einen anderen Sachverständigen nur dann in Betracht, wenn dies zur Behebung von Mängeln in einem Gutachten, bei Unklarheit oder Unschlüssigkeit des Gutachtens oder wegen besonderer Schwierigkeiten des Falls notwendig ist. Nicht einmal bei Vorliegen zweier vom Gericht eingeholter, einander widersprechender Gutachten ist das Gericht verpflichtet, ein drittes Gutachten einzuholen, sondern es kann sich einem der beiden Gutachten anschließen. Die Beurteilung, zu welcher das Gericht aufgrund eines Gutachtens gelangt, liegt dann, außer bei Verstößen gegen Denkgesetze, gegen die Grundlagen des Fachgebiets, in dem der Sachverständige beeidet und zertifiziert ist oder bei Außerachtlassung wesentlichen Verhandlungsstoffs, auf dem Gebiet der Beweiswürdigung und kann nur als solche angefochten werden (OLG Wien 15.3.2011, 10 Rs 167/10, SVSlg 59.498 ; LGZ Wien 17.4.2001, 40 R 103/01w, MietSlg 53.743; OLG Innsbruck 20.3.2014, 25 Rs 12/14x, SVSlg 64.751). Eine neue Begutachtung ist nicht schon deshalb anzuordnen, weil die Erörterung nicht das von einer Partei gewünschte Ergebnis gebracht hat (OLG Wien 26.8.2015, 8 Rs 50/15d, SVSlg 64.767; 27.11.2014, 7 Rs 107/14b, SVSlg 64.758; OLG Innsbruck 20.3.2014, 25 Rs 14/14s, SVSlg 64.752). Schon aus Kostengründen ist von der neuerlichen Begutachtung sparsam Gebrauch zu machen (OLG Graz 20.11.2013, 7 Rs 71/13k, SVSlg 64.745). Das Gericht ist immer befugt, dem Gutachten zu folgen, wenn ihm die Darlegungen schlüssig und überzeugend erscheinen durften. Nur dann, wenn das Gutachten unschlüssig, widersprüchlich oder unvollständig ist, besteht die Verpflichtung, einen weiteren Sachverständigen beizuziehen (LG Salzburg 9.7.2009, 21 R 45/09b, EFSlg 124.919; OLG Wien 27.11.2014, 7 Rs 134/14y, SVSlg 64.759).

2.4.: Einen Verstoß gegen Denkgesetze, gegen die Grundlagen des Fachgebiets, in dem der neurologisch-psychiatrische Sachverständige beeidet und zertifiziert ist oder eine Außerachtlassung wesentlich aktenkundiger Verfahrensergebnisse stellt die Berufung aber nicht dar. In Wahrheit liegt auch die behauptete Unschlüssigkeit betreffend die weitere stationäre Abklärung des Zustands des Klägers (ON 34 S 3 Mitte) nicht vor: Das Zitat aus dem Hauptgutachten des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen in ON 34 S 3 Mitte ist aus dem Zusammenhang gerissen: Tatsächlich hat der Sachverständige in seinem Gutachten nachvollziehbar begründet, dass eine posttraumatische Belastungsstörung, wie sie der Kläger aufgrund des Brandereignisses schildert, mit der Zeit abklingen hätte müssen und daher zum Begutachtungszeitpunkt nicht mehr bestehen dürfte. Damit stünde aber die Befundlage aufgrund der Anamnese und der in den Befunden des behandelnden Vertrauensarzts zum Ausdruck kommenden nach wie vor bestehenden psychosozialen Belastungsfaktoren nicht in Einklang, weil sich danach die Situation gegenüber dem Zustand zum Zeitpunkt des Brandgeschehens zunehmend verschlechtert habe. Insoweit sei eine Minderung der Erwerbsfähigkeit aufgrund des Brandereignisses nicht mit ausreichender Sicherheit ableitbar. Eine weitere Klärung der Situation könne eine stationäre Abklärung und Begutachtung an einer psychiatrischen Abteilung zB in ** erbringen (ON 8 S 13 f). In der in Gegenwart des Klägers und seiner rechtsfreundlichen Vertretung durchgeführten mündlichen Gutachtenserörterung hat der Sachverständige elfeinhalb Monate nach dem Gutachten ON 8 (über ein Jahr nach der Befundung) bekräftigt, dass bei üblichem Verlauf eine solche Belastungsstörung bereits abgeklungen sein müsste (ON 26 S 2). Die Belastungsfaktoren, die die Erkrankung des Klägers offensichtlich hervorgerufen haben, müssen daher nach Ausführung des Sachverständigen noch vorliegen. Deshalb könne auch ohne stationäre Abklärung gefolgert werden, dass das Brandgeschehen nicht in kausalem Zusammenhang mit den nunmehr bestehenden depressiven Reaktionen und Angststörungen sowie der Anpassungsstörung des Klägers liege (ON 26 S 3 insb dritter Absatz). Ausgehend von diesem Inhalt der mündlichen Gutachtenserörterung ist das Gutachten insgesamt schlüssig. Der seinerzeit angeregten stationären Abklärung und Begutachtung bedurfte es daher nicht, weil die mündliche Gutachtenserörterung auch unter Einbeziehung dieser seinerzeitigen Anregung (ON 26 S 2), die sich aber als zwischenzeitig überflüssig darstellt, schlüssig und überzeugend ist.

2.5.: Es wäre daher an dem im Zug der Gutachtenserörterung rechtsfreundlich vertretenen Kläger gelegen, eine stationäre Abklärung zu beantragen. Dies ist nicht geschehen. Ebenso wenig hat der Kläger – wie in der Berufungsbeantwortung zutreffend ausgeführt – weitere Fragen an den Sachverständigen gestellt, obwohl der Kläger und seine rechtsfreundliche Vertretung bei der Gutachtenserörterung anwesend war, und es somit unterlassen, den Sachverhalt in dieser Richtung weiter zu Gunsten des Klägers aufzuklären. Hat es eine rechtsanwaltlich vertretene Partei unterlassen, im Zug einer Gutachtenserörterung an den Sachverständigen in einer ganz bestimmten, nun in der Berufung aufgeworfenen Richtung weitergehende Teilfragen zu stellen (§§ 367, 341 Abs 1, 289 Abs 1 ZPO), bedeutet dies ein der berufungswerbenden Partei zuzurechnendes (§ 39 ZPO) Versäumnis: Wenn die rechtsfreundliche Vertretung des Berufungswerbers die Gelegenheit verstreichen ließ, selbst solche ergänzenden Fragen zu stellen, kann das Unterbleiben weiterer Klarstellungen weder als Verfahrensmangel noch als Mangel des Beweisverfahrens erfolgreich geltend gemacht werden (OLG Innsbruck 30.8.2023, 23 Rs 25/23g ErwGr B. 3.1. in anderem Zusammenhang veröffentlicht in RIS Justiz RI0100191; 14.5.2014, 23 Rs 15/14y ErwGr A. 1.2. je zum Sachverständigenbeweis; 28.11.2023, 13 Ra 30/23v, RIS Justiz RI0100196 zu Personalbeweismitteln insbesondere Parteienvernehmung; siehe auch 10 ObS 401/97m).

3.: Den in der Mängelrüge unterbreiteten Argumenten kann daher kein Erfolg beschieden sein.

B. Zur Beweisrüge:

1.: Anstelle der oben hervorgehobenen Urteilsfeststellung begehrt der Kläger folgende Ersatzfeststellung:

„Aufgrund des vorgelegten Befundes vom 19.10.2022 (Beilage ./C) manifestierte sich beim Kläger erstmalig eine posttraumatische Belastungsstörung infolge Extrembelastung durch Feuer. Der Kläger leidet nach wie vor an engsten und depressiven Verstimmungen, an paroxysmalen Ängsten, an Intrusionen und an Ein- und Durchschlafstörungen. Dr. J* diagnostiziert beim Kläger eine Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Angststörung, wobei Symptome einer Depression und Ängste bestehen, diese aber nur zu einem Teil direkt auf das gegenständliche Ereignis zurückgeführt werden können. Die Befundlage ist gemäß Gutachten von Dr. J* vom 18.11.2022 nicht konklusiv. Dem Kläger steht jedenfalls Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß zu und ist jedenfalls das Ereignis vom 26.4.2020 als Arbeitsunfall anzuerkennen.“

2.: Zur Begründung dieser Feststellung stützt sich der Kläger auf das Hauptgutachten des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen vom 18.11.2006 ON 16 und den als Privatgutachten zu wertenden (OLG Graz 17.6.2021, 7 Rs 35/21b) Befundbericht Dr. I* vom 19.10.2020 Beilage C. Damit kann der Kläger aber keine für ihn günstigere Urteilsannahme erreichen:

2.1.: In § 272 ZPO ist das Prinzip der freien richterlichen Beweiswürdigung verankert. Diese besteht darin, aus den – wie so oft auch hier – unterschiedlichen Verfahrensergebnissen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die verfahrensrelevanten tatsächlichen Ereignisse zu ziehen. Der persönliche Eindruck des Gerichts, seine Kenntnisse der Lebensvorgänge, seine Erfahrungen in der menschlichen Gemeinschaft und seine Menschenkenntnis werden zur entscheidenden Grundlage für die Wahrheitsermittlung. Bei der Bildung seiner Überzeugung, ob die für die Feststellung einer Tatsache notwendige (hohe) Wahrscheinlichkeit vorliegt, ist der Richter im Grunde – und nur im gewissen Umfang durch Beweiserleichterungen wie etwa den Anscheinsbeweis, durch Zugeständnisse der Parteien wie prozessuale Geständnisse oder Einengungen der Tatsachengrundlagen zB in Säumnisfällen eingeschränkt – frei: Das Gericht ist nach der Zivilprozessordnung an keine festen Beweisregeln, dh an keine generell-abstrakten Regeln, wann ein bestimmter Beweis als erbracht anzusehen ist, gebunden, sondern nur an seine persönliche, unmittelbare und objektivierbare, also im Instanzenzug nachprüfbare Überzeugung von der Wahrheit und von der Richtigkeit der Beweisergebnisse. Es hat daher anhand der dargestellten Instrumente zu überprüfen, ob mit den vorliegenden Beweisergebnissen jener Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht wird, der es rechtfertigt, die fraglichen Tatsachen nach dem anwendbaren Beweismaß für wahr zu halten. Bei dieser Überzeugungsbildung ist das Gericht nicht auf die aufgenommenen Beweise beschränkt, sondern kann auch das (vorprozessuale oder prozessuale) Verhalten der Prozessbeteiligten, sowie die Vorkommnisse in der gesamten Verhandlung berücksichtigen und miteinbeziehen (RIS Justiz RS0040127; OLG Innsbruck RIS Justiz RI0100103; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 272 ZPO Rz 1; Klauser/Kodek JN ZPO 18 [2018] § 272 ZPO E 24 ff; OLG Innsbruck zB 3 R 88/22y ErwGr I.A.1.1.).

2.2.: Anlässlich der Behandlung einer Beweisrüge einer Berufung ist folglich nur zu überprüfen, ob das Erstgericht die ihm vorliegenden Beweisergebnisse nach der Aktenlage schlüssig gewürdigt hat, jedoch nicht, ob seine Feststellungen mit der objektiven Wirklichkeit tatsächlich übereinstimmen (3 Ob 2004/96v; OLG Innsbruck 25 Rs 135/12g, SVSlg 62.419; 3 R 73/22t ErwGr A.1.1.; 13 Ra 6/22p ErwGr A.2.; A. Kodek in Rechberger/Klicka ZPO 5 [2019] § 482 Rz 6 aE; Petschek/Stagel Der österreichische Zivilprozess [1963] 367). Gemäß § 272 ZPO obliegt die Beweiswürdigung primär dem erkennenden Gericht. Dieses hat wie dargelegt nach sorgfältiger Überzeugung unter Berücksichtigung der Ergebnisse des gesamten Verfahrens zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzusehen ist oder nicht. Der bloße Umstand, dass nach den Beweisergebnissen allenfalls auch andere Feststellungen möglich gewesen wären, oder dass in den Akten einzelne Beweisergebnisse existieren, die für den Prozessstandpunkt des Berufungswerbers sprechen, reicht im Allgemeinen noch nicht aus, eine unrichtige oder bedenkliche Beweiswürdigung mit dem Ergebnis aufzuzeigen, dass die erstinstanzlichen Feststellungen abgeändert werden müssen (OLG Wien 133 R 80/18i ErwGr 2.1. [veröffentlicht unter RIS Justiz RW0000815]; 34 R 47/16f ErwGr 3.5. [Veröffentlichung in RIS Justiz RW0000784]; 34 R 125/15z ErwGr I.2. [Veröffentlichung unter RIS Justiz RW0000847, RW0000846]; LG Eisenstadt 13 R 93/03d, RIS Justiz RES0000012; OLG Innsbruck wie vor). Die Beweisrüge muss also überzeugend darlegen, dass die getroffenen Feststellungen entweder überhaupt zwingend unrichtig sind (OLG Wien 8 Rs 47/12b, SVSlg 62.416; 7 Ra 80/11b ZAS Judikatur 2012/95; LG Feldkirch 3 R 11/17s; 2 R 99/13v) oder wenigstens bedeutend überzeugendere Beweisergebnisse für andere Feststellungen vorliegen (OLG Wien wie vor; LGZ Wien 38 R 161/14d, MietSlg 66.718; LG Feldkirch wie vor; vgl auch LG Linz 15 R 201/09y, EFSlg 124.958; OLG Innsbruck RIS Justiz RI0100099; 13 Ra 24/20g ErwGr A.2.). Auch das Berufungsgericht ist im Rahmen der Überprüfung der vom Erstgericht getroffenen Sachverhaltsfeststellungen nicht dazu verpflichtet, sich mit jedem einzelnen Beweisergebnis und/oder mit jedem einzelnen Argument des Berufungswerbers auseinanderzusetzen (RIS Justiz RS0043162; OLG Innsbruck zB 2 R 72/18g ErwGr II.1.2.). Solche zumindest bedeutend überzeugendere Beweisergebnisse für die allenfalls in der Berufung erkennbaren Alternativfeststellungen vermag die Berufung aber aus nachstehenden Erwägungen nicht aufzuzeigen:

3.: Dass der neurologisch-psychiatrische Sachverständige seine vom Kläger für seinen Rechtsstandpunkt ins Treffen geführte Auffassung in ON 16 S 13 f mittlerweile in der mündlichen Gutachtensergänzung schlüssig und nachvollziehbar revidiert hat (ON 26 S 2 f), wurde oben in Erwiderung zur Mängelrüge des Klägers bereits festgehalten. Zur Vermeidung von Wiederholungen darf auf diese Ausführungen hingewiesen werden. Aus der vom Sachverständigen nicht in die überzeugende Gutachtenserörterung übernommenen Passagen des schriftlichen Gutachtens ON 16 ist daher für die Beweisrüge und die Beweiswürdigung nichts zu gewinnen.

4.: Wie ebenfalls bereits oben bei der Behandlung der Mängelrüge der Berufung angesprochen, hat der vom Erstgericht bestellte neurologisch-psychiatrische Sachverständige den Befundbericht des Vertrauensarzts des Klägers Beilage C, der wie ein Privatgutachten zu werten ist, bereits als Sachverhaltsgrundlage in sein Hauptgutachten und insoweit ohne Änderungen in die mündliche Gutachtenserörterung übernommen. Die vom Erstgericht zu Recht als überzeugend eingestufte Äußerung des Sachverständigen, es könne nicht mit hinreichender Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die vom Kläger nun beklagten Beschwerden ursächlich auf das Brandgeschehen zurückgeführt werden können, baut daher auch auf der Einbeziehung der in der Berufung erwähnten Beilage C auf. Mit diesem Beweismittel ist daher das Gutachten des Sachverständigen nicht zu erschüttern.

5.: Anzumerken ist in diesem Zusammenhang noch, dass nach zahlreichen älteren Entscheidungen Privatgutachten überhaupt nicht zu berücksichtigen waren (RIS Justiz RS0058636; RS0058054). Nach mittlerweile herrschender Auffassung kommt einem Privatgutachten jedoch der Rang einer Privaturkunde zu (6 Ob 193/16z; OLG Wien 25.10.2023, 7 Rs 84/23h ErwGr 1.; OLG Graz 28.9.2023, 7 Ra 21/23x ErwGr 1.2.; OLG Linz 29.3.2023, 1 R 28/23b ErwGr 2.5.; OLG Innsbruck 14.12.2023, 3 R 114/23y ErwGr 4.3.). Ein solches erbringt den Beweis, dass der Inhalt des Privatgutachtens/der Privaturkunde der Ansicht des jeweiligen Gutachtensverfassers entspricht (8 Ob 75/11d; RIS Justiz RS0040363 [T1]; OLG Graz 28.9.2023, 7 Ra 21/23x ErwGr 1.2.; OLG Linz 29.3.2023, 1 R 28/23b ErwGr 2.5.; OLG Innsbruck 14.12.2023, 3 R 114/23y ErwGr 4.3.). Dem Privatgutachten wird damit wegen der fehlenden gesetzlichen Garantien der Unparteilichkeit ein geringerer Beweiswert beigemessen als dem Gutachten eines im konkreten Verfahren gerichtlich bestellten Sachverständigen (vgl RIS Justiz RS0040592 [T2]; OLG Wien 25.10.2023, 7 Rs 84/23h ErwGr 1.). Privatgutachten sind daher nicht als gerichtliche Sachverständigengutachten im Sinn der §§ 351 ff ZPO anzusehen (RIS Justiz RS0040636; RS0058636; OLG Wien 25.10.2023, 7 Rs 84/23h ErwGr 1.; OLG Graz 28.9.2023, 7 Ra 21/23x ErwGr 1.2.). Nach ständiger Rechtsprechung ist das Gericht daher nicht dazu verpflichtet, allfällige Widersprüche zwischen einem Privatgutachten und dem Gutachten eines von ihm zur Erstattung eines Gerichtsgutachtens in einer bestimmten Rechtssache herangezogenen Sachverständigen aufzuklären. Es kann sich vielmehr beweiswürdigend mit entsprechenden Argumenten dem ihm als verlässlich erscheinenden Gutachten anschließen (6 Ob 193/16z; RIS Justiz RS0040592; OLG Wien 25.10.2023, 7 Rs 84/23h ErwGr 1.; OLG Graz 28.9.2023, 7 Ra 21/23x ErwGr 1.4. aE; OLG Linz 29.3.2023, 1 R 28/23b ErwGr 2.5.). Selbst dann, wenn Widersprüche zwischen einem Privatgutachten eines generell gerichtlich beeideten Sachverständigen und dem Gutachten eines vom Gericht in einer bestimmten Rechtssache bestellten Sachverständigen bestehen, ergibt sich nur die oben zu A. erwähnte – vom Erstgericht und dem neurologisch-psychiatrischen Gutachter bezogen auf Beilage C erfüllte – Verpflichtung, das Gutachten durch den Gerichtssachverständigen prüfen zu lassen, nicht aber die Notwendigkeit, zwingend einen weiteren Sachverständigen zu bestellen, wenn das Gutachten nicht in der oben zu A. näher beschriebenen Weise mangelhaft ist, was hier wie an der zitierten Stelle bereits dargelegt nicht zutrifft (RIS Justiz RS0040592 [insb T5, T6]; OLG Wien 25.10.2023, 7 Rs 84/23h ErwGr 1.; OLG Graz 28.9.2023, 7 Rs 21/23x ErwGr 1.2.; OLG Linz 29.3.2023, 1 R 28/23b ErwGr 2.5.). Legt der Versicherte dem Sozialgericht private Befunde oder Gutachten von Ärzten, die ihn behandeln vor, dürfen diese nicht übergangen werden, sondern sind dem gerichtlich bestellten Sachverständigen, in dessen Fachgebiet sie fallen, zur Einsicht (und Berücksichtigung) vorzulegen, der sie nachvollziehbar in seine Ausführungen einbeziehen muss (OLG Linz 7.11.2018, 12 Rs 105/18z, SVSlg 67.406; OLG Graz 23.9.2019, 7 Rs 40719k ErwGr 2.; OLG Wien 26.2.2018, 9 Rs 3/18d; 20.12.2017, 7 Rs 103/17v, SVSlg 65.711; OLG Innsbruck 25.1.2023, 23 Rs 55/23v ErwGr 3.3.; vgl 10 ObS 25/23h Rn 64). In der gerichtlichen Praxis geschieht dies bis zum Vorliegen des schriftlichen Gutachtens durch Übermittlung zur Einbeziehung in die gutachterlichen Ausführungen, (wie hier) danach etwa durch Übersendung oder insbesondere in einer mündlichen Verhandlung durch Vorlage an den Sachverständigen zur Stellungnahme. Die fehlende Verpflichtung, bestehende Widersprüche zwischen dem gerichtlichen Gutachten (hier des neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen) und dem Privatgutachten (hier Beilage C) nicht durch Erörterung/Begutachtung des Gerichtssachverständigen aufklären zu müssen, widerspräche der auch im sozialversicherungsrechtlichen Verfahren immanenten Forderung nach einer erschöpfenden Erörterung des Sachvorbringens der Parteien und kann gerade im sozialgerichtlichen Verfahren, das in weiten Bereichen ein Sachverständigenverfahren darstellt, in dem die Partei ihren Tatsachen- und Rechtsstandpunkt in der gerichtlichen Praxis nur im Rahmen der Anamnese, der Vorlage von Privatgutachten zB Befunden von Vertrauensärzten und der mündlichen Gutachtenserörterung einbringen kann, einen Stoffsammlungsmangel bewirken, ohne dass geklärt werden muss, ob darin auch eine Verletzung des Gebots des „fair trial“ (Art 6 EMRK) verwirklicht ist (vgl zum Anwendungsbereich der EMRK zumindest in einem Teil der sozialgerichtlichen Verfahren 10 ObS 125/15b, 10 ObS 359/02w; vgl auch 10 ObS 76/10i und 10 ObS 128/10m). Mit dem bloßen Hinweis auf das einer Einbeziehung in sein Gutachten durch den gerichtlichen neurologisch-psychiatrischen Sachverständigen zugeführten Beilage C als Privatgutachten und ihrem teilweisen Widerspruch mit dem Gerichtsgutachten, den das Erstgericht in Abstützung auf die überzeugende mündliche Gutachtenserörterung nicht als gegeben angenommen hat, vermag die Beweisrüge daher keine unrichtige Beweiswürdigung des Erstgerichts darzutun. Die in der Berufung gewünschten Ersatzfeststellungen – die teilweise zB im letzten Satz ohnehin nur rechtliche Beurteilungen darstellen, die keiner Sachverhaltsfeststellung zugänglich sind – erweisen sich daher als nicht berechtigt.

C. Zur Rechtsrüge:

1.: Nach ständiger Rechtsprechung muss die Rechtsrüge der Berufung vom durch das Erstgericht festgestellten Urteilssachverhalt und nicht einem davon abweichenden Wunschsachverhalt ausgehen (RIS Justiz RS0043312 [T4, T14]; RS0043480 [T21]; RS0043603 [T2], T8]; RS0042663 [T1]).

2.: Die Rechtsrüge der Berufung des Klägers gründet ihre rechtliche Beurteilung zu § 175 Abs 1 ASVG (und dazu bestehender Lehre und Rechtsprechung) einerseits auf einzelne Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 18.11.2022 ON 8 und andererseits auf daraus abgeleitete Schlussfolgerungen (ON 34 S 5), nicht aber die – wie oben dargestellt – erfolglos bekämpfte Negativfeststellung des Erstgerichts, wonach nicht festgestellt werden kann, ob die Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Angststörung, an der der Kläger leidet, durch das Brandgeschehen vom 26.4.2020 herbeigeführt wurde (ON 32 S 3 zweiter und dritter Absatz).

3.: Nur der Vollständigkeit halber ist festzuhalten, dass die Frage, ob bestehende Beschwerden in medizinischer Hinsicht Folgen eines Unfalls sind, also die Feststellung der sog „natürlichen Kausalität“, und die weitere Frage, inwieweit die Erwerbstätigkeit des Versicherten aus medizinischer Sicht gemindert ist, dem Tatsachenbereich zugeordnet wird und keine Rechtsfrage darstellt. Erst wenn die Frage des natürlichen Kausalzusammenhangs – einer Verletzungsfolge aus dem behaupteten Unfallereignis – durch die Tatsacheninstanz bejaht wurde, ist die Frage des juristischen Kausalzusammenhangs zB im Sinn der Theorie der „wesentlichen Bedingung“ als Rechtsfrage zu beantworten (10 ObS 52/18x; 10 ObS 215/00s; RIS Justiz RS0043534; OLG Graz 27.4.2022, 7 Rs 13/22v; OLG Innsbruck 30.8.2023, 23 Rs 23/23p ErwGr 2.2.1.; 30.8.2023, 23 Rs 22/23s ErwGr 3.). Da das Erstgericht schon die sog natürliche Kausalität des Brandvorfalls mit der Anpassungsstörung mit depressiver Reaktion und Angststörung des Klägers offen ließ, ist daher auf die juristische Kausalität nicht weiter einzugehen. Abgesehen von den in der Sonderbestimmung des § 87 Abs 4 ASGG geregelten Fällen – die hier nicht vorliegen – gelten auch in Sozialrechtssachen die allgemeinen Grundsätze für die Beweislastverteilung (RIS Justiz RS0086050; OLG Wien 26.1.2023, 10 Rs 105/22t ErwGr 2.2.3.). Die objektive Beweislast dafür, dass ein Leiden mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ursächlich auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen ist, obliegt daher dem Versicherten; eine Umkehr der Beweislast erfolgt nicht (RIS Justiz RS0043249 [T2]; OLG Wien 26.1.2023, 10 Rs 105/22t ErwGr 2.2.3.; 11.8.2022, 10 Rs 32/22g). Durch eine Negativfeststellung erfüllt der Kläger diese Beweislast nicht (OLG Wien wie vor). Durch die vergeblich bekämpfte bereits zitierte Negativfeststellung in ON 32 S 3 könnte daher auch einer judikaturkonform vom festgestellten Sachverhalt ausgehenden Rechtsrüge kein Erfolg zukommen.

4.: Die Rechtsrüge erweist sich daher als unbegründet.

D. Verfahrensrechtliches:

1.: Der Kläger ist auch im Rechtsmittelverfahren unterlegen, sodass er keinen Anspruch auf die verzeichneten Kosten hat (§§ 2 Abs 1 ASGG, 50, 40 ZPO). Somit ist nur mehr ein Kostenzuspruch aus Billigkeit im Sinn des § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG in Betracht zu ziehen. Nach dem Wortlaut dieser Bestimmung setzt ein Kostenersatz nach Billigkeit voraus, dass sowohl tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten des Verfahrens vorliegen als auch die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Versicherten einen Kostenersatz nahelegen. Es ist Sache des Versicherten Umstände, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen können, vor Schluss der der Entscheidung über den Kostenersatz unmittelbar vorangehenden Verhandlung geltend zu machen, es sei denn, sie ergeben sich aus dem Akteninhalt ( Neumayr in ZellKomm³ II [2018] § 77 ASGG Rz 13; Sonntag in Köck/Sonntag ASGG [2020] § 77 Rz 21 und 22). Der Kläger wäre sohin hier spätestens in der Rechtsmittelschrift gehalten gewesen, die Umstände, die einen Kostenersatz aus Billigkeit nahelegen, darzulegen. Da er dies insbesondere hinsichtlich seiner Vermögensverhältnisse unterlassen hat, kommt ein Kostenersatzanspruch nach dieser Bestimmung schon aus diesem Grund nicht in Betracht.

2.: Das Berufungsgericht konnte sich – soweit revisible Rechtsfragen betroffen sind – auf eine einheitliche Rechtsprechung des Höchstgerichts stützen, von der es nicht abgewichen ist. Eine Rechtsfrage von der in den §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 und Abs 5 Z 4 ZPO geforderten Qualität war daher im vorliegenden Berufungsverfahren nicht zu prüfen. Der weitere Rechtszug an das Höchstgericht erweist sich daher als nicht zulässig, worüber im Tenor gesondert abzusprechen war (§§ 2 Abs 1 ASGG, 500 Abs 2 Z 3 ZPO).

Rechtssätze
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  • RI0100103OLG Innsbruck Rechtssatz

    27. Februar 2024·3 Entscheidungen

    In § 272 ZPO ist das Prinzip der freien richterlichen Beweiswürdigung verankert. Diese besteht darin, aus den unterschiedlichen Verfahrens­ergebnissen Schlussfolgerungen im Hinblick auf die verfahrensrelevanten tatsächlichen Ereignisse zu ziehen. Der persönliche Eindruck des Gerichts, seine Kenntnisse der Lebensvorgänge, seine Erfahrungen in der menschlichen Gemeinschaft und seine Menschenkenntnis werden zur entscheidenden Grundlage für die Wahrheitsermittlung. Bei der Bildung seiner Überzeugung, ob die für die Feststellung einer Tatsache notwendige (hohe) Wahrscheinlichkeit vorliegt, ist der Richter im Grunde - und nur im gewissen Umfang durch Beweiserleichterungen wie etwa den Anscheinsbeweis, durch Zugeständnisse der Parteien wie prozessuale Geständnisse oder Einengungen der Tatsachengrundlagen zB in Säumnisfällen eingeschränkt - frei: Das Gericht ist nach der Zivilprozessordnung an keine festen Beweisregeln, d.h. an keine generell-abstrakten Regeln, wann ein bestimmter Beweis als erbracht anzusehen ist, gebunden, sondern nur an seine persönliche, unmittelbare und objektivierbare, also im Instanzenzug nachprüfbare Überzeugung von der Wahrheit und von der Richtigkeit der Beweiseregebnisse. Es hat daher anhand der dargestellten Instrumente zu überprüfen, ob mit den vorliegenden Beweisergebnissen jener Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht wird, der es rechtfertigt, die fraglichen Tatsachen nach dem anwendbaren Beweismaß für wahr zu halten. Bei dieser Überzeugungsbildung ist das Gericht nicht auf die aufgenommenen Beweise beschränkt, sondern kann auch das (vorprozessuale oder prozessuale) Verhalten der Prozessbeteiligten, sowie die Vorkommnisse in der gesamten Verhandlung berücksichtigen und miteinbeziehen.