JudikaturJustiz1Ob718/79

1Ob718/79 – OGH Entscheidung

Entscheidung
30. Oktober 1979

Kopf

SZ 52/156

Spruch

Eine bereits angefallene Erbschaft kann auch schon vor Erwerb des unbeschränkten Eigentums durch Einantwortung des Nachlasses ohne die Beschränkung des § 944 Satz 2 ABGB auf die Hälfte verschenkt werden

OGH 30. Oktober 1979, 1 Ob 718/79 (OLG Wien 11 R 34/79; KG St. Pölten 28 Cg 12/78)

Text

Anna M, die Ehegattin des damals 84jährigen Klägers und Tante des Erstbeklagten, dessen Ehegattin die Zweitbeklagte ist, starb überraschend am Vormittag des 27. Jänner 1975. Über Bitte des Klägers kümmerte sich der Erstbeklagte um die Bestattung, den Totenschmaus und die Verlassenschaftsabhandlung. Die Verlassenschaftsverhandlung am 31. Jänner 1975 führte der Notariatskandidat Dr. Helmut S in der Kanzlei des Notars Dr. Franz A in T durch. Er ergänzte die Todfallsaufnahme und nahm die unbedingte Erbserklärung des Klägers zum gesamten Nachlaß zu Protokoll. Unmittelbar darauf erklärte der Kläger, er wolle über sein Vermögen zugunsten des Erstbeklagten verfügen. Mit Dr. Helmut S wurden verschiedene Möglichkeiten erörtert; der Kläger wünschte eine Form, die am billigsten sei und am besten "halte", worauf eine Schenkung auf den Todesfall vereinbart wurde. Bei der Besprechung war der Kläger ruhig und gefaßt und stellte auch sachgerechte Zwischenfragen. Auf Wunsch des Erstbeklagten war der Kläger damit einverstanden, daß die Zweitbeklagte die Hälfte der zu verschenkenden Liegenschaften erhalten sollte. Es wurde sodann ein Notariatsakt verfaßt, in dem festgehalten wurde, daß der Kläger auf Grund seines Vorbesitzes und der Ergebnisse der - allerdings tatsächlich noch nicht beendeten - Verlassenschaftsabhandlung nach Anna M Alleineigentümer der Liegenschaften EZ 30 und 227 KG B und EZ 1029 KG T sowie Alleineigentümer der Liegenschaften EZ 365 KG B und EZ 58 KG W sei; der Kläger schenkte und übergab diese Liegenschaften auf den Todesfall an die Beklagten, die diese Schenkung annahmen. Die Beklagten übernahmen verschiedene Gegenleistungen für den Kläger wie die Verpflichtung zu dessen Betreuung und Pflege, die Besorgung von Behördenangelegenheiten usw.: Am Nachmittag des 31. Jänner 1975 begaben sich der Kläger und die Beklagten wieder in die Notariatskanzlei, wo ihnen von Notar Dr. Franz A in Gegenwart des Dr. Helmut S der Notariatsakt vorgelesen und inhaltlich, insbesondere dem Kläger, neuerlich erläutert wurde. Danach wurde die Urkunde unterfertigt.

In dem zu L 49/78 des Bezirksgerichtes Tulln eingeleiteten Entmündigungsverfahren wurde für den Kläger ein vorläufiger Beistand bestellt, der ihn auch in diesem Rechtsstreit vertritt. Der Kläger begehrt das Urteil, der zwischen den Streitteilen am 31. Jänner 1975 in Form eines Notariatsaktes vor Notar Dr. Franz A abgeschlossene Schenkungsvertrag auf den Todesfall sei nichtig und rechtsunwirksam, da er am 31. Jänner 1975 voll geschäftsunfähig gewesen sei. Dem Kläger sei auch noch nicht die Verfügung über den Hälfteanteil seiner Frau zugestanden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab und stellte im wesentlichen fest: Bei der Verlesung und Erörterung des Notariatsaktes am 31. Jänner 1975 sei der Kläger orientiert sowie geistig und körperlich in der Lage gewesen, dem Geschehen zu folgen. Auf Grund der Rechtsbelehrung sei ihm klar gewesen, daß es sich um einen unwiderruflichen Schenkungsvertrag auf den Todesfall über seinen gesamten Liegenschaftsbesitz einschließlich der ererbten Anteile gehandelt habe. Bei Errichtung des Notariatsaktes seien beim Kläger allerdings bereits Erscheinungen von Demenz vorhanden gewesen; der Kläger sei aber trotzdem durchaus in der Lage gewesen, die Tragweite des abgeschlossenen Vertrages zu erfassen; die Vereinbarung mit dem Beklagten sei ihm in seiner damaligen Situation nach dem plötzlichen Tod seiner Frau auch durchaus vernünftig und zweckmäßig erschienen; er sei keinem psychischen Druck ausgesetzt gewesen. Über die noch nicht in seinem Eigentum stehenden Liegenschaftsanteile habe der Kläger verfügen können. Die erbrechtliche Situation sei vollkommen klar gewesen; die Abwicklung des Verlassenschaftsverfahrens habe dem Kläger als bloße Formsache erscheinen müssen.

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes 60 000 S übersteige. Zu dem in der Berufungsverhandlung vorgetragenen Einwand des Klägers, er hätte gemäß § 944 zweiter Satz ABGB nur das halbe künftige Vermögen verschenken dürfen, erwiderte das Berufungsgericht, daß die genannte Bestimmung nicht die Schenkung bestimmter Sachen verbiete. Die Schenkung habe auch nicht künftiges unbestimmtes Vermögen, sondern ererbte Eigentumsanteile an genau bezeichneten Liegenschaften betroffen. Der Kläger habe bei Vertragsabschluß bereits eine unbedingte Erbserklärung abgegeben gehabt und sei dann auch durch Einantwortung Eigentümer geworden. Es könne unter diesen Umständen von einer Verschenkung künftigen Vermögens überhaupt nicht gesprochen werden.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Klägers nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In rechtlicher Hinsicht behauptet die Revision nur mehr, der Notariatsakt vom 31. Jänner 1975 habe insofern gegen die Schutzbestimmung des § 944 zweiter Satz ABGB, wonach künftiges Vermögen nur zur Hälfte verschenkt werden dürfe, verstoßen, als die unbedingte Erbserklärung des Klägers zum Nachlaß seiner verstorbenen Ehegattin in deren Hälfteeigentum ein Teil der an die Beklagten verschenkten Liegenschaften gestanden sei, erst am 14. Feber 1975 vom Verlassenschaftsgericht angenommen worden und erst an diesem Tag die Einantwortung des Nachlasses erfolgt sei. Dem Berufungsgericht ist aber darin beizupflichten, daß der Kläger auch insoweit nicht über künftiges Vermögen verfügte, als es sich um Vermögenswerte handelte, deren Eigentümer er erst mit der Einantwortung der Verlassenschaft wurde. Unter dem Vermögen einer bestimmten Person versteht man die Summe aller ihr zustehenden Vermögenswerte, Rechte und Verbindlichkeiten (Koziol - Welser[5] II, 14; Ehrenzweig[2] I/2, 393; JBl. 1971.259; JBl. 1960, 257 u. a.). Das Erbrecht tritt mit dem Tode des Erblassers ein (§ 536 ABGB); hat der Erbe diesen Zeitpunkt überlebt, geht das Erbrecht auch vor Übernahme der Erbschaft wie andere frei vererbliche Rechte auf ihn über (§ 537 ABGB). Das Erbrecht wird also schon vor Einantwortung der Verlassenschaft, mit welchem Zeitpunkt nach herrschender Auffassung der Eigentumserwerb des Erben eintritt, ein für den Erben vermögenswertes Recht und damit Teil seines Vermögens, über das er unbeschränkt, auch durch Schenkung (SZ 30/64), verfügen kann (Stanzl in Klang[2] IV/1, 594). Nur eine Erbschaftsschenkung ist ausschließlich bis zur Einantwortung möglich, weil nach diesem Zeitpunkt kein Erbrecht, sondern nur noch ein Recht an den geerbten Sachen existiert (Koziol - Welser[5] II, 325). Da die geerbten Sachen dem Erben aber schon vorher bekannt sind, besteht für ihn kein Hindernis, auch schon vor der Einantwortung über diese zu verfügen, auch wenn er noch nicht unbeschränkter Eigentümer im Sinne des § 944 erster Satz ABGB ist. Die beiden Regelungen des ersten und des zweiten Satzes des § 944 ABGB sind also nicht dahin zu verstehen, daß immer dann, wenn noch nicht Eigentum besteht, eine Verfügung über künftiges Vermögen im Sinne des zweiten Satzes des § 944 ABGB geschieht; es kommt vielmehr allein darauf an, ob über etwas verfügt wird, auf das bereits ein sicherer Anspruch als Teil des schon vorhandenen Vermögens besteht oder nicht. Zum gegenwärtigen Vermögen zählen also insbesondere Rechtsansprüche wie solche auf Einantwortung einer Verlassenschaft. Unter § 944 zweiter Satz ABGB fallen hingegen nur Vermögenswerte, die erst in Zukunft erworben werden sollen; der Veräußerer des künftigen Vermögens soll in der Freiheit der Erwerbung geschützt werden; es soll sich nicht jemand gewissermaßen seiner Erwerbsfähigkeit begeben können und allen Antrieb zum Erwerb verlieren (Ehrenzweig[2] II/1, 368; in diesem Sinne auch Koziol - Welser[4] I, 274; Stanzl a. a. O., 617). Die Schenkung auf den Todesfall wird nur in anderer Weise durch § 944 Satz 2 ABGB eingeschränkt: Ein Erblasser kann höchstens die Hälfte seines nach der Schenkung erworbenen Vermögens im voraus verschenken; verschenkt er also ausdrücklich den ganzen Nachlaß, so bleibt dem Erben doch die Hälfte des nach der Schenkung erworbenen Vermögens vorbehalten (Ehrenzweig[2] II/2, 565). Der Kläger verschenkte aber nicht seinen Nachlaß, sondern einen Teil des Nachlasses, der ihm als Erben nach seiner Ehegattin zugefallen war. Der Kläger wußte, daß er als Alleinerbe neben seinem bisherigen Hälfteanteil an den Liegenschaften durch Einantwortung das Alleineigentum daran erlangen würde. Dieses Vermögen war bereits erworben und mußte daher nicht mehr geschützt werden, jedenfalls nicht im Sinne des § 944 zweiter Satz ABGB. Wie weit eine Verfügung über eine Erbschaft unzulässig zu sein hat, ergibt sich vielmehr allein aus § 879 Abs. 2 Z. 3 ABGB: Eine von einer dritten Person erhoffte Erbschaft darf zu deren Lebzeiten nicht veräußert und damit auch nicht verschenkt werden, nach ihrem Tod ist die Verfügung aber frei (Gschnitzer in Klang[2] IV/1, 192), auch über einzelne Sachen (Gschnitzer a. a. O., 193).

Rechtssätze
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