JudikaturJustiz1Ob31/17s

1Ob31/17s – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. März 2017

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache des Antragstellers Anton S*, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die Antragsgegnerin Stadtgemeinde M*, vertreten durch die Huter Schwarzmayr Rechtsanwälte Partnerschaft, Mittersill, wegen Festsetzung einer Entschädigung gemäß § 117 Abs 4 WRG, über die Revisionsrekurse des Antragstellers und der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom 18. November 2016, GZ 6 R 173/16b 134, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom 25. Juli 2016, GZ 10 Nc 1/07g 127, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Kosten seines Revisionsrekurses selbst zu tragen. Die Antragsgegnerin ist schuldig, dem Antragsteller die mit 1.411,20 EUR (darin 235,20 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

Mit Bescheid einer Bezirkshauptmannschaft vom 10. 11. 2006 wurde der Antragsgegnerin – einer Stadtgemeinde – die wasserrechtliche Bewilligung zur Durchführung eines Hochwasserschutzprojekts in ihrem Gemeindegebiet erteilt. Zugleich wurde der Antragsteller durch Begründung einer Dienstbarkeit (Duldungsverpflichtung für veränderte Abfluss und Einstauverhältnisse) auf seinen Grundstücken verpflichtet, auf diesen im Hochwasserfall eines bestimmten Flusses vorübergehend veränderte Abfluss und Einstauverhältnisse zu dulden. Weiters wurde der Antragsgegnerin die Zahlung einer Entschädigungsleistung von 24.633 EUR an den Antragsteller für die eingeräumte Duldungsverpflichtung aufgetragen.

Der Antragsteller begehrte die gerichtliche Festsetzung dieser Enteignungsentschädigung gemäß § 117 Abs 4 WRG in der Höhe von 1.757.700 EUR.

Das Erstgericht verpflichtete die Antragsgegnerin, dem Antragsteller als Entschädigung für die an seinen Grundstücken zwangsweise eingeräumte Dienstbarkeit fristgebunden 57.700 EUR zu leisten.

Das Rekursgericht bestätigte über die Rekurse beider Parteien den erstinstanzlichen Beschluss in der Hauptsache und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für zulässig, „weil zur Zulässigkeit eines Leistungsbefehls bei der Festsetzung eines Entschädigungsbetrags nach § 117 Abs 4 WRG keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vorgefunden werden konnte“.

Rechtliche Beurteilung

Die von beiden Parteien erhobenen Revisionsrekurse sind entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Rekursgerichts (§ 71 Abs 1 AußStrG iVm § 117 Abs 6 Satz 2 WRG und § 24 Abs 1 EisbEG) nicht zulässig.

1. Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass die Vorinstanzen den Bund, der sich dem Verfahren als „mitbeteiligte Partei“ angeschlossen hatte, als „Nebenberechtigten“ behandelten. Das Verfahren nach § 117 Abs 4 WRG ist ein Außerstreitverfahren. Die Zulässigkeit der Streitverkündigung und der Nebenintervention nach dem Allgemeinen Teil des AußStrG 2005 wurde vom Gesetzgeber ausdrücklich abgelehnt (10 Ob 29/06x = FamZ 2006, 174 [zust Deixler Hübner ] ua; RIS Justiz RS0120721). Nach den Gesetzesmaterialien (ErläutRV 224 BlgNR XXII. GP 23) bestehen für die Einführung des Instituts der Nebenintervention – zumindest im Allgemeinen Teil – keine „überzeugenden Bedürfnisse“, da derjenige, dessen rechtliche Interessen durch das Verfahren nicht geschützt sind, im Allgemeinen keine Rechtsstellung im Verfahren haben soll (vgl dazu 1 Ob 147/07k mwN [Wasserrechtsverfahren nach § 117 WRG; Passivlegitimation der Gemeinde und nicht des Bundes zur Leistung einer Entschädigung für die Einräumung eines Zwangsrechts nach dem WRG]; G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG [2013] § 2 Rz 274 ff).

2. Die Revisionsrekurswerber gehen in ihren Rechtsmitteln auf die vom Rekursgericht als erheblich erachtete Rechtsfrage nicht ein. Selbst wenn dieses daher die Zulässigkeit des Revisionsrekurses zu Recht ausgesprochen haben sollte, sind die Rechtsmittel nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zurückzuweisen, wenn darin nur solche Rechtsfragen geltend gemacht werden, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RIS Justiz RS0102059 [besonders T1, T15, T17]). Das ist hier der Fall:

3. Zum Revisionsrekurs des Antragstellers:

3.1. Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz (RIS Justiz RS0007236 [T2]), weshalb die vom Antragsteller erörterten Fragen der Beweiswürdigung nicht revisibel sind (RIS Justiz RS0007236 [T4]).

3.2. Wenn der Antragsteller bestreitet, dass seine Liegenschaften bereits zuvor in den Jahren 1901 und 2005 vom Hochwasser betroffen waren und nach dem (vorangegangenen) schutzwasserwirtschaftlichen Grund-satzkonzept von 1995 ein Großteil seiner Flächen in die Überflutungsflächen HQ 100 und HQ 30 fielen, und entgegen den getroffenen Feststellungen davon ausgeht, dass ihm zukünftig die Bewirtschaftung im Rahmen der biologischen Landwirtschaft gänzlich unmöglich gemacht werde und seine Liegenschaften ohne das Hochwasserschutzprojekt in Gewerbegebiet umgewidmet worden wären, entfernt er sich vom festgestellten Sachverhalt, sodass die Rechtsrüge nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (vgl RIS Justiz RS0043312 [T14]).

4. Zum Revisionsrekurs der Antragsgegnerin:

4.1. Die Rekursentscheidung wurde der Antragsgegnerin gemäß § 89d Abs 2 GOG am 5. 12. 2016 zugestellt. Den Revisionsrekurs erhob sie am 29. 12. 2016. Auf das Verfahren betreffend die Pflicht zur Leistung von Entschädigungen, Ersätzen und Beiträgen ist gemäß § 117 Abs 6 Satz 2 WRG das EisbEG sinngemäß anzuwenden. Gemäß § 24 Abs 1 EisbEG richtet sich das gerichtliche Verfahren nach den allgemeinen Bestimmungen des Außerstreitgesetzes, soweit in diesem Bundesgesetz nicht etwas anderes bestimmt ist. Gemäß § 30 Abs 3 EisbEG beträgt die Frist für Rechtsmittel gegen den Beschluss über die Entschädigung und für deren Beantwortung vier Wochen. Diese Bestimmung sieht für Rekurse und Revisionsrekurse gegen die gerichtliche Festsetzung der Entschädigung sowie für die Rekurs und Revisionsrekursbeantwortung gegen derartige Rechtsmittel eine Frist von vier Wochen vor. Diese Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen des Rechtsmittelverfahrens begründet der Gesetzgeber mit den besonderen Schwierigkeiten, die Enteignungs-entschädigungssachen sowohl in tatsächlicher Sicht als auch aus rechtlichen Gründen vielfach bereiten können (ErläutRV 225 BlgNr XXII. GP 22 [zum AußStr BegleitG, BGBl I 2003/112]). Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist daher das Rechtsmittel der Antragsgegerin nicht verspätet.

4.2. Die Antragsgegnerin hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht behauptet, dass sie den mit Bescheid festgesetzten Entschädigungsbetrag bereits an den Antragsteller geleistet hätte. Eine Bescheinigung über die erfolgte Zahlung ist nicht aktenkundig. Die Begründung des Rekursgerichts, dass ihre diesbezüglich erstmals im Rekurs aufgestellte Behauptung gemäß § 49 Abs 2 AußStrG eine unzulässige Neuerung sei und die nicht bescheinigte Zahlung bei der Fassung des Leistungsbefehls außer Betracht zu bleiben habe, ist daher nicht zu beanstanden. Wenn sie im Revisionsrekurs in diesem Zusammenhang einen im Rekurs nicht geltend gemachten Mangel des Verfahrens erster Instanz, welchen das Rekursgericht nicht von Amts wegen aufgreifen musste, rügt, kann dieser nicht mehr erfolgreich geltend gemacht werden (RIS Justiz RS0030748 [T8]).

4.3. Nach der Rechtsprechung sind im Rahmen der Enteignungsentschädigung auch Vermögensfolgeschäden zu ersetzen, wenn sie nicht schon im Verkehrswert der entzogenen bzw mit einem Zwangsrecht belasteten Liegenschaft berücksichtigt wurden, wenn sie also durch den Ersatz der Wertminderung des entzogenen Objekts bzw der belasteten Liegenschaften allein noch nicht abgegolten sind (RIS Justiz RS0010844 [T13, T14]). Von dieser Judikatur geht die Antragsgegnerin auch aus.

Nach den getroffenen Feststellungen beträgt der Wertverlust durch die Begründung der Zwangsdienstbarkeit an den Grundflächen des Antragstellers (Einschränkung der Disposition; Erfüllung der Wasserrückhaltefunktion) 36.600 EUR. Zukünftige hochwasserbedingte Schäden sind die Räumung von Treibgut und Steinen, der Umbruch und die Neueinsaat/Nachsaat, die Sanierung der Entwässerungsgräben, Ernteverluste, der Ersatzzukauf von Futtermitteln zur Aufrechterhaltung des Viehbestands und der Leistungsfähigkeit des Betriebs, Schäden an Gebäuden und Inventar, Schäden an Weidezäunen und Förderungsverluste für Überflutungsflächen, woraus sich ein Schadensbetrag von 21.094,77 EUR errechnet.

Wenn die Antragsgegnerin davon ausgeht, dass die Vermögensfolgeschäden bereits mit der Wertminderung der Liegenschaften abgegolten sind, geht sie nicht von den getroffenen Feststellungen aus. Die Feststellung der enteignungsbedingten Nachteile im Sinn des § 4 Abs 1 EisbEG hat konkret unter Berücksichtigung der individuellen Verhältnisse des Enteigneten unter Heranziehung eines objektiven Maßstabs bei der Wertermittlung zu erfolgen (RIS Justiz RS0053657). Die Festsetzung des Entschädigungsbetrags (hier nach dem WRG) hängt von der konkreten Verwendung der betroffenen Grundstücke unmittelbar vor dem Eingriff ab (RIS Justiz RS0053657 [T9]). Zweck der Entschädigung ist der Ausgleich der Differenz zwischen dem hypothetischen Vermögen des Enteigneten ohne Enteignung und dem tatsächlich vorhandenen Vermögen. Daher sind die konkreten Auswirkungen der Enteignung auf das Vermögen des Betroffenen Gegenstand der Entschädigung (1 Ob 59/15f mwN). Von diesen Grundsätzen sind die Vorinstanzen ausgegangen.

4.4. Die Ermittlung des Verkehrswerts gehört grundsätzlich dem Tatsachenbereich an (RIS Justiz RS0043704 [T1, T2, T5]; RS0043122 [T4, T6, T8, T11]; vgl auch RS0109006 [T2, T3, T5, T6]), der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbar ist. Die Anwendung der von einem Sachverständigen zur Gewinnung des maßgeblichen Sachverhalts herangezogenen Erfahrungsgrundsätze betrifft die rechtliche Beurteilung nur insoweit, als dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze und zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen ist (RIS Justiz RS0043122). Derartiges zeigt die Antragsgegnerin nicht auf.

5. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

6. Für seinen nicht zulässigen Revisionsrekurs stehen dem Antragsteller im Sinn des § 44 Abs 2 Satz 1 EisbEG iVm § 117 Abs 6 Satz 2 WRG keine Kosten zu (1 Ob 85/13a; vgl 1 Ob 230/99a = RIS Justiz RS0058155 [T3]). Hingegen gebührt ihm nach diesen Bestimmungen der Ersatz der Kosten für seine Revisionsrekursbeantwortung, in der er auf die mangelnde Zulässigkeit des Rechtsmittels der Antragsgegnerin hinwies.

Rechtssätze
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