JudikaturJustiz1Ob237/20i

1Ob237/20i – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. März 2021

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ. Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer Zeni Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E*****, vertreten durch Mag. Stephan Zinterhof, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Michael Nocker, Rechtsanwalt in Wien, wegen 120.000 EUR sA, aus Anlass der außerordentlichen Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 3. November 2020, GZ 15 R 128/20h 27, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. August 2020, GZ 42 Cg 105/18h 23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass der Revision der klagenden Partei wird das Urteil des Berufungsgerichts als nichtig aufgehoben.

Die Berufung der klagenden Partei wird als verspätet zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 2.423,70 EUR (darin 403,95 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Das Erstgericht wies die Klage mit Urteil vom 11. 8. 2020 ab. Dieses Urteil wurde dem Prozessvertreter des Klägers am 13. 8. 2020 zugestellt. Die von ihm dagegen erhobene (mit 14. 9. 2020 datierte) Berufung wurde im elektronischen Rechtsverkehr (ERV) am 15. 9. 2020 eingebracht.

[2] Das Berufungsgericht behandelte die Berufung (ohne Ausführungen dazu) als rechtzeitig und gab ihr nicht Folge.

[3] Gegen das ihm am 16. 11. 2020 zugestellte Berufungsurteil erhob der Kläger – fristgerecht binnen vier Wochen – im ERV am 14. 12. 2020 Revision.

[4] Aus Anlass der einer (auch außerordentlichen) Revision ist die (im Verstoß gegen die Rechtskraft liegende) Nichtigkeit des Berufungsurteils (RIS Justiz RS0039826) von Amts wegen aufzugreifen (RS0042973 [T4]; RS0041942 [T20]), wobei der Wahrnehmung der Nichtigkeit nicht entgegensteht, dass sie sich zum Nachteil des Revisionswerbers auswirkt (3 Ob 569/87 = RS0041942 [T10]; vgl auch 9 Ob 22/16z; 17 Ob 10/19y).

[5] Die Berufungsfrist ist eine Notfrist und beträgt vier Wochen (§ 464 Abs 1 erster Halbsatz ZPO). Sie beginnt für jede Partei mit der erfolgten Zustellung der schriftlichen Ausfertigung des Urteils an sie (§ 464 Abs 2 erster Halbsatz ZPO).

[6] Zwischen dem 15. 7. und 17. 8. sowie dem 24. 12. und 6. 1. werden die Notfristen im Berufungs- und Revisionsverfahren sowie im Rekurs- und Revisionsrekursverfahren aber gemäß § 222 Abs 1 ZPO idF des Budgetbegleitgesetzes 2011 (BGBl I 2010/111) gehemmt. Fällt der Anfang einer dieser Zeiträume in den Lauf einer solchen Notfrist oder der Beginn einer solchen Notfrist in diesen Zeitraum, so wird die Notfrist um die ganze Dauer oder um den bei ihrem Beginn noch übrigen Teil dieses Zeitraums verlängert. Für die Berechnung der Frist ist daher so vorzugehen, als wäre die Zustellung am letzten Tag des Fristenhemmungszeitraums erfolgt (RS0036496 [T7]; RS0036272; 1 Ob 122/14v).

[7] Die vierwöchige Berufungsfrist (§ 464 Abs 1 ZPO) begann somit am 17. 8. um 0:00 Uhr zu laufen und endete am 14. 9. um 24:00 Uhr. Die erst am Dienstag, dem 15. 9., eingebrachte Berufung war daher verspätet und das Ersturteil bei Einbringung der Berufung bereits in Rechtskraft erwachsen. Die sachliche Erledigung der verspäteten Berufung verstieß gegen diese bereits eingetretene Rechtskraft des erstgerichtlichen Urteils, weswegen das Berufungsurteil als nichtig aufzuheben ist.

[8] Der Kläger hat die Nichtigkeit des Berufungsverfahrens durch die verspätete Einbringung der Berufung verschuldet, die Beklagte aber ihrerseits auf die Verspätung der Berufung und die damit bereits eingetretene Rechtskraft des Ersturteils in der Berufungsbeantwortung nicht hingewiesen. Beide Seiten t rifft daher ein Verschulden an der Nichtigkeit des Berufungsverfahrens und des Berufungsurteils, weswegen die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 51 Abs 2 ZPO „gegenseitig aufzuheben“ sind, jede Partei ihre Kosten also selbst zu tragen hat ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny , Zivilprozessgesetze 3 § 51 ZPO Rz 10; Fucik in Rechberger , ZPO 5 § 51 Rz 4; vgl RS0122082).

[9] Für die Revisionsbeantwortung steht der Beklagten hingegen gemäß § 51 Abs 1 ZPO Kostenersatz zu, zumal sie darin die Verspätung der Berufung und die daraus resultierende Nichtigkeit des Berufungsurteils rügte. Die Rechtsmittelgegenschrift ist demnach als eine zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderliche Maßnahme im Verfahren dritter Instanz anzusehen.