JudikaturJustiz1Ob123/07f

1Ob123/07f – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. September 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Univ. Doz. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen Nadine H*****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Rosmarie V*****, vertreten durch Dr. Johann Schilchegger, Rechtsanwalt in St. Johann im Pongau, gegen den Beschluss des Landesgerichts Salzburg als Rekursgericht vom 21. Februar 2007, GZ 21 R 692/06w-S-56, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichts St. Johann im Pongau vom 8. September 2006, GZ 10 P 213/05y-44, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

§ 176 ABGB idF KindRÄG 2001 setzt für die Entziehung des Vertretungsrechtes der Eltern voraus, dass das konkrete Verhalten der Eltern das Wohl des minderjährigen Kindes gefährdet. Es muss sich um eine konkrete Gefährdung handeln, die eine Maßnahme des Pflegschaftsgerichts dringend geboten erscheinen lässt (RIS-Justiz RS0118189). Die Entziehung ist nur gerechtfertigt, wenn die Eltern die Erziehung vernachlässigen, aber nicht schon dann, wenn die Erziehung bei einer dritten Person besser wäre als die an sich ordnungsgemäße Erziehung bei den Eltern (RIS-Justiz RS0048704). Das Kindeswohl ist gefährdet, wenn die elterlichen Pflichten objektiv nicht erfüllt oder subjektiv gröblich vernachlässigt worden sind. Die Eltern können auch durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RIS-Justiz RS0048633). Die Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als äußerste Notmaßnahme unter Anlegung eines strengen Maßstabs angeordnet werden und bedarf besonders wichtiger Gründe, die im Interesse des Kindes eine so einschneidende Maßnahme dringend geboten erscheinen lassen, weil andernfalls das Wohl des pflegebefohlenen Kindes gefährdet wäre (10 Ob 25/00z mwN). Entscheidend ist ausschließlich das Wohl des Kindes (RIS-Justiz RS0048632). Die Entscheidung hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab. Ihr kommt grundsätzlich keine erhebliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu (RIS-Justiz RS0007101, RS0115719). Ausgehend von den Feststellungen der Vorinstanzen sowie vom gesamten Akteninhalt ist die Rechtsansicht des Rekursgerichts, die Erziehungsfähigkeit fehle der Mutter in einem das Kindeswohl gefährdenden Ausmaß, nicht zu beanstanden und hält sich im Rahmen der dargelegten Judikatur.

Der Oberste Gerichtshof ist auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz (RIS-Justiz RS0007236). Eine absolute Unbrauchbarkeit des Sachverständigengutachtens ergibt sich weder aus dem Akteninhalt noch aus dem Revisionsrekurs.

Im außerstreitigen Verfahren besteht im erstinstanzlichen Verfahren keine, im Rekursverfahren relative und im Revisionsrekursverfahren absolute Vertretungspflicht (Fucik/Kloiber, AußStrG § 6 Rz 1). Die Mutter stellte im erstinstanzlichen Verfahren einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung eines Rekurses gegen den erstinstanzlichen Beschluss. Gleichzeitig erhob sie Rekurs und führte diesen auch über sieben Seiten inhaltlich aus. Über den Verfahrenshilfeantrag wurde von den Vorinstanzen kein förmlicher Beschluss gefasst. Das Erstgericht legte den Rekurs der Mutter dem Rekursgericht vor und dieses entschied darüber.

Im Hinblick auf die relative Vertretungspflicht konnte die Mutter selbst wirksam Rekurs erheben. Im Rekurs legte die Mutter klar dar, aus welchen Gründen sie die Entscheidung bekämpft und welche andere Entscheidung sie anstrebt. Der Rekurs war geeignet, die Rechte der Mutter zu wahren (vgl § 7 Abs 1 AußStrG iVm § 64 Abs 1 Z 3 ZPO), sodass er wirksam war. Er wurde 2 Tage vor dem Verfahrenshilfeantrag verfasst, sodass sich auch daraus ergibt, dass die Mutter den Rekurs zunächst selbst ausführen wollte (vgl 3 Ob 125/03h). Jeder Partei steht aber nur eine einzige Rechtsmittelschrift zu (RIS-Justiz RS0041666). Der Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels gilt auch im außerstreitigen Verfahren (RIS-Justiz RS0007007). Diesen einzig zulässigen Rechtsmittelschriftsatz hatte die Mutter bereits durch das Erheben ihres Rekurses eingebracht, womit sie ihr Rekursrecht in Anspruch genommen und verbraucht hatte. Dass über ihren Verfahrenshilfeantrag, mit dem sie die Erhebung eines (weiteren) Rekurses durch einen Rechtsanwalt anstrebte, nicht entschieden wurde, schadet daher nicht. Ein Verfahrenshelfer hätte keine zweite Rechtsmittelschrift einbringen dürfen. Das Rechtsmittel der Mutter litt an keinem formalen oder inhaltlichen Mangel, der einer Sachentscheidung entgegengestanden wäre, sodass keine Verbesserungen hätten vorgenommen werden dürfen (vgl 8 Ob 198/00a; Zechner in Fasching/Konecny2, § 505 ZPO Rz 6 mwN). Inwiefern eine Verbesserung durch einen rechtskundigen Vertreter hätte vorgenommen werden sollen, wird im Revisionsrekurs gar nicht ausgeführt. Aus dem Protokoll über die Tagsatzung vom 4. 9. 2006 geht nicht hervor, dass die Mutter nicht prozessfähig gewesen wäre; dies wird auch im Rechtsmittel nicht dargelegt. Es wird nur begründungslos behauptet, sie sei „stressbedingt vorübergehend nicht wirklich handlungs- und prozessfähig" gewesen. Die in dieser Tagsatzung gar nicht beantragte Beigebung eines Rechtsvertreters hätte am Beweisverfahren grundsätzlich nichts geändert. Die Mutter wäre jedenfalls zu einer persönlichen Stellungnahme aufgefordert worden, ob sie sich zutraue, die primäre Bezugsperson des Kindes werden zu können. Sie verneinte dies ausdrücklich. Ihre Stellungnahme wäre auch im Falle einer anwaltlichen Vertretung als Ergebnis des Beweisverfahrens in die Entscheidung eingeflossen. Der Revisionsrekurs lässt offen, welche Beweisanträge die Mutter hätte stellen wollen, die sie nicht ohnehin gestellt hatte. Das Rekursgericht hat eine mündliche Rekursverhandlung durchzuführen, wenn es eine solche für erforderlich erachtet (§ 52 Abs 1 AußStrG). Das Rekursgericht muss eine mündliche Verhandlung selbst dann nicht durchführen, wenn eine solche in erster Instanz zwingend vorgeschrieben, aber im Rekursverfahren nicht nötig ist (Fucik/Kloiber aaO, § 52 Rz 2). Selbst bei einem ausdrücklichen Antrag einer Partei ist eine mündliche Rekursverhandlung nicht zwingend vorzunehmen. Die Entscheidung darüber fällt in das pflichtgemäße Ermessen des Rekursgerichts (RIS-Justiz RS0120357). Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Rechtssätze
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