JudikaturJustiz16Ok2/11

16Ok2/11 – OGH Entscheidung

Entscheidung
05. Dezember 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch die Präsidentin des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel und Univ. Prof. Dr. Kodek sowie die fachkundigen Laienrichter Kommerzialräte Dr. Bauer und Dr. Ertl als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, Wien 2, Praterstraße 31, wider die Antragsgegnerin D***** AG, *****, vertreten durch Wolf Theiss Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Verhängung einer Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a iVm § 17 KartG, über den Rekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht vom 19. Jänner 2011, GZ 24 Kt 35/10-6, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben .

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und die Rechtssache an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Antragsgegnerin hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Die D***** AG (in der Folge: Antragsgegnerin), ein Unternehmen im Konzern der D***** AG, hält sämtliche Anteile an der S***** AG, Essen, die ihrerseits sämtliche Anteile an der S***** Co AG, Wien (in der Folge: mittelbares Tochterunternehmen) hält.

2000 wurde die M***** („M*****-S*****“), 2004 die M***** („M*****-R*****“), beides Gesellschaften nach ungarischem Recht, gegründet (beide in der Folge: Zielunternehmen). Die Gesellschaftsanteile an den Zielunternehmen hielten eine ungarische Gesellschaft (74,9 %) und das mittelbare Tochterunternehmen (25,1 %).

2007 wurden die Gesellschaftsanteile des mittelbaren Tochterunternehmens an den Zielunternehmen von jeweils 25,1 % auf 50 % erhöht. Dieses Zusammenschlussvorhaben wurde damals (nur) bei der ungarischen Wettbewerbsbehörde angemeldet, die die Zusammenschlüsse mit Beschluss vom 20. 3. 2007 (für M*****-S*****) und 26. 7. 2007 (für M*****-R*****) freigab. Die beteiligten Unternehmen erzielten 2006 folgende Umsätze:

In Österreich wurde dieses Zusammenschlussvorhaben trotz gesetzlicher Anmeldepflicht (§ 9 Abs 1 Z 3 KartG) nicht angemeldet, obwohl sich S***** in diesem Zusammenhang anwaltlich beraten ließ; Gründe für die Unterlassung hat das Erstgericht nicht festgestellt. Die Zielunternehmen haben 2006 gemessen an ihren weltweiten Gesamtumsätzen nur sehr geringe Umsätze außerhalb Ungarns erwirtschaftet, in Österreich etwa 0,03 % bzw 2 %.

Die Antragsgegnerin zeigte am 8. 6. 2010 bei der Bundeswettbewerbsbehörde als Zusammenschlussvorhaben an, dass sie beabsichtige, durch indirekten weiteren Anteilserwerb jeweils sämtliche Anteile an den Zielunternehmen zu erwerben. Die Amtsparteien haben in diesem Zusammenschlussverfahren (BWB/Z-1191) keinen Prüfungsantrag gestellt. Das Vollzugsverbot ist mit Wirkung vom 7. 7. 2010 weggefallen. Im Konzern der Antragsgegnerin und in ihrem mittelbaren Tochterunternehmen gibt es ein kartellrechtliches Compliance-Programm.

Die Bundeswettbewerbsbehörde stellte am 1. 10. 2010 beim Kartellgericht den nicht auf ihrer Homepage veröffentlichten Antrag, über die Antragsgegnerin wegen verbotener Durchführung eines Zusammenschlusses eine Geldbuße gemäß § 29 Z 1 lit a iVm § 17 KartG zu verhängen. Das mittelbare Tochterunternehmen habe mit der Anteilserhöhung auf jeweils 50 % im Jahr 2007 gemeinsame Kontrolle an den Zielunternehmen erworben. Die Anteilsaufstockungen seien trotz inländischer Anmeldepflicht ohne Anmeldung durchgeführt worden. Es handle sich jeweils um einen Anteils- und Kontrollerwerb iSd § 7 Abs 1 Z 3 und Z 5 KartG, bei dem die Umsatzschwellen des § 9 KartG 2006 erreicht worden seien. Die Inlandsumsätze der Zielunternehmen 2006 und in den Folgejahren hätten zu Inlandsauswirkungen der Erwerbsvorgänge geführt. Die verbotene Durchführung der Zusammenschlüsse verwirkliche den Geldbußentatbestand des § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG. Das Bestehen eines Compliance-Programms in einem Unternehmen rechtfertige noch nicht, von der Verhängung einer Geldbuße mangels spezialpräventiver Gründe abzusehen. Dass der verfahrenseinleitende Antrag von der Antragstellerin nicht im Internet veröffentlicht worden sei, schließe das Vorliegen generalpräventiver Gründe nicht aus. Bei der Bemessung des Bußgeldes sei zu berücksichtigen, dass die nachfolgenden Transaktionen, die zu einem Wechsel von gemeinsamer zu alleiniger Kontrolle geführt hätten, angemeldet worden seien und die Amtsparteien keine Prüfungsanträge gestellt hätten; auch habe die Antragsgegnerin zur vollständigen Aufklärung des Sachverhalts beigetragen.

Die Antragsgegnerin beantragte, aufgrund der besonderen Umstände des Falles von der Verhängung einer Geldbuße abzusehen, hilfsweise, nur eine angemessen geringe, allenfalls nur symbolische Geldbuße zu verhängen. Sie habe 2010 den Erwerb von Anteilen an den Zielunternehmen durch ein ungarisches Tochterunternehmen als indirekten Erwerb der alleinigen Kontrolle über die Zielunternehmen bei der Antragstellerin angemeldet. Der Erwerb von Anteilen im Jahr 2007 über ihr mittelbares Tochterunternehmen sei in dieser Anmeldung ausführlich dargestellt worden. Auf Ersuchen der Antragstellerin sei sodann überprüft worden, ob nicht schon die Erwerbsvorgänge 2007 in Österreich anmeldebedürftig gewesen wären. Eine Überprüfung der Archive habe ergeben, dass auch 2007 eine Anwaltskanzlei mit der kartellrechtlichen Beurteilung des Anteilserwerbs beauftragt gewesen sei und diesen Vorgang in Ungarn angemeldet habe, wie dies auch der Unternehmenskultur der Antragsgegnerin entspreche. Im Zuge dieser länger dauernden Recherchen (verursacht durch die im Transportwesen komplexe geografische Zuordnung von Umsätzen) habe sich sodann ergeben, dass schon 2007 eine Anmeldung des Anteilserwerbs nach dem österreichischen Zusammenschlussrecht erforderlich gewesen wäre, was der Antragstellerin samt Hintergrundinformation und Umsatzzahlen mit Schreiben vom 12. 7. 2010 bekannt gegeben worden sei. Es habe nicht gänzlich geklärt werden können, warum 2007 trotz Rechtsberatung nicht auch eine Anmeldung in Österreich erwogen worden sei. Die Antragsgegnerin und ihr mittelbares Tochterunternehmen hätten die Anmeldepflicht nicht bewusst umgehen wollen, habe man sich doch externer Rechtsberater bedient, den Erwerbsvorgang 2007 in Ungarn angemeldet und den weiteren Anteilserwerb 2010 in Ungarn und in Österreich angemeldet. Vermutlich sei 2007 eine Anmeldung in Österreich deshalb nicht weiter erwogen worden, weil die Zielunternehmen damals noch verhältnismäßig jung gewesen seien und ihre Geschäftstätigkeit überwiegend in Ungarn entfaltet hätten; gemessen an den weltweiten Gesamtumsätzen der Zielunternehmen hätten sie nur sehr marginale „Nebenumsätze“ außerhalb von Ungarn erwirtschaftet. Vor diesem Hintergrund seien die Inlandsauswirkungen des Anteilserwerbs 2007 damals wie heute äußerst gering. Von der Verhängung einer Geldbuße sei mangels spezialpräventiver Gründe abzusehen: Das Verschulden der Antragsgegnerin sei gering, und die Verletzung der Anmeldepflicht aufgrund der geringen Inlandsumsätze und -marktanteile habe keine nachteiligen Folgen für die Wettbewerbsstruktur in Österreich gehabt. Aus spezialpräventiven Gründen erübrige sich eine Bestrafung auch deshalb, weil die Antragsgegnerin und ihr mittelbares Tochterunternehmen um kartellrechtliche Compliance besonders bemüht seien. Der Verstoß gegen das Durchführungsverbot sei nicht allgemein bekannt gemacht worden, eine Bereicherung sei nicht eingetreten.

Das Erstgericht verhängte über die Antragsgegnerin gemäß § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG eine Geldbuße von 4.500 EUR. Es stellte fest, dass der Konzern der Antragsgegnerin 2009 einen Umsatz von 29.335 Mio EUR weltweit, davon 468 Mio EUR in Österreich, erzielt hat. In rechtlicher Hinsicht ging das Erstgericht davon aus, dass die Anteilsaufstockung 2007 auf 50 % ein Anteilserwerb iSd § 7 Abs 1 Z 3 KartG sei, da sowohl die Antragsgegnerin als auch die Zielunternehmen Unternehmer im Sinne dieser Bestimmung seien und die Antragsgegnerin durch die Anteilsaufstockung ihre mittelbare Beteiligung an den Zielunternehmen auf jeweils 50 % erhöht habe. Die Umsatzschwellen des § 9 Abs 1 KartG 2005 im letzten Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss (weltweit mehr als 300 Mio EUR, im Inland insgesamt mehr als 30 Mio EUR, mindestens zwei Unternehmen weltweit jeweils mehr als fünf Mio EUR) seien 2006 von den beteiligten Unternehmen überschritten worden. Die Inlandsauswirkung sei trotz geringer Umsätze der Zielunternehmen gegeben. Dass der Zusammenschluss 2007 durch die ungarischen Behörden genehmigt worden sei und wohl auch in Österreich keinem Prüfungsverfahren zu unterziehen gewesen wäre, ändere nichts an der inländischen Anmeldepflicht. Deren Verletzung erfülle den mit Geldbuße sanktionierten Tatbestand der verbotenen Durchführung zweier Zusammenschlüsse (§ 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG 2005). Der Beginn des Zuwiderhandelns sei mit den Freigabebeschlüssen der ungarischen Wettbewerbsbehörde (März bzw Juli 2007) anzusetzen und habe am 7. 7. 2010 (Anteilsaufstockung auf 100 %) geendet; somit erstrecke sich der Verstoß über rund drei Jahre.

Die Geldbuße sei nach ihrem Zweck und ihrer Wirkung eine Sanktion mit strafähnlichem Charakter (§ 29 Abs 1 KartG). Bei der Bemessung sei insbesondere auf die Schwere und die Dauer der Rechtsverletzung, auf die durch die Rechtsverletzung erzielte Bereicherung, auf den Grad des Verschuldens und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Bedacht zu nehmen (§ 30 KartG). Im Fall geringer Schuld und unbedeutender Folgen sei von einer Strafe abzusehen, wenn weder spezial- noch generalpräventive Gründe eine Bestrafung erforderlich machten. Die Antragsgegnerin habe die Zusammenschlussvorhaben 2007 in Ungarn angemeldet, den weiteren Anteilserwerb 2010 auch in Österreich. Eine Anmeldung in Österreich 2007 sei nicht vorsätzlich, sondern versehentlich unterblieben. Die Antragsgegnerin habe an der Aufklärung von Anfang an mitgewirkt. Es liege ein geringes Verschulden vor, weil die Anmeldepflicht aufgrund der sehr geringen Umsätze der beiden Zielunternehmen schwer erkennbar gewesen sei. Auch hätte eine Anmeldung 2007 in Österreich zu keinem Prüfungsverfahren geführt, wie aus dem Anmeldeverfahren 2010 zu schließen sei. Die Zusammenschlüsse seien 2007 in Ungarn angemeldet und genehmigt worden; aufgrund der sehr geringen österreichischen Umsätze der beteiligten ungarischen Unternehmen 2006 müssten ihre österreichischen Marktanteile damals verschwindend klein gewesen sein. Damit seien die Folgen der Verletzung der Anmeldepflicht unbedeutend. Das Bestehen eines Compliance-Programms in einem Unternehmen schließe Verschulden an einem Kartellrechtsverstoß nicht automatisch aus. Zur Minderung des Verschuldens trage aber bei, dass sich die Antragsgegnerin um die Einhaltung der Vorschriften ersichtlich bemüht habe, wie die Anmeldung 2007 in Ungarn und 2010 in Ungarn und Österreich zeige. Gemäß § 10b Abs 3 WettbG sei die Antragstellerin verpflichtet, über Entscheidungen des Kartellgerichts zu informieren; dies geschehe auf ihrer Homepage in Form einer kurzen Wiedergabe des Spruchs, manchmal auch der Entscheidungsgründe, ohne dabei die beteiligten Unternehmen zu nennen. Auch wenn eine solche Veröffentlichung unterbleibe, führe dies nicht dazu, dass deshalb keine generalpräventiven Gründe für die Verhängung einer Geldbuße sprächen. Im Anlassfall könne aus spezial- und generalpräventiven Gründen von der Verhängung einer Geldbuße nicht gänzlich abgesehen werden. Der Verstoß gegen das Durchführungsverbot habe sich über rund drei Jahre erstreckt; auch müsse aus generalpräventiven Gründen verhindert werden, dass Zusammenschlüsse erst nach ihrer Durchführung mit jahrelanger Verspätung angemeldet werden. Der Antragsgegnerin komme aber zugute, dass ihr Verschulden sehr gering sei: Die Anmeldepflicht sei weniger leicht erkennbar gewesen als bei einem reinen Inlandssachverhalt, die verspätete Anmeldung habe keine negativen Folgen gehabt, dass dadurch eine Bereicherung eingetreten sei, werde nicht einmal von der Antragstellerin behauptet. Der Zusammenschluss habe letztlich keine kartellrechtlichen Bedenken hervorgerufen, und die Antragsgegnerin habe von sich aus den Sachverhalt aufgeklärt. Damit habe mit der Verhängung einer Geldbuße von 4.500 EUR das Auslangen gefunden werden können, die sich am Dreifachen der Anmeldegebühr orientiere. Die Anmeldegebühr hätte die Antragsgegnerin bei vorschriftsmäßiger Anmeldung jedenfalls zu entrichten gehabt, sie sei insofern bereichert.

Die Antragstellerin bekämpft diesen Beschluss zur Gänze wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die unangemessen niedrige Geldbuße auf 4.996.300 EUR zu erhöhen; hilfsweise wird beantragt, den Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach ergänzender Verhandlung aufzutragen.

Die Rekurswerberin macht geltend, die Antragsgegnerin sei als 100 %ige Tochter der D***** AG mit dieser iSd § 7 KartG verbunden. Für die Berechnung des Höchstbetrags der Geldbuße sei deshalb der weltweit erwirtschaftete Umsatz des gesamten Konzerns maßgeblich, der 29.335 Mio EUR betrage. Eine Zuwiderhandlung gegen das Durchführungsverbot sei ein schwerer Verstoß. Der betroffene Markt umfasse das gesamte Staatsgebiet, die betroffenen Unternehmen besäßen auf den relevanten Märkten mit 12 bis 16 % einen nicht unerheblichen Marktanteil und hätten 2009 im Inland knapp 300 Mio EUR Umsatz erwirtschaftet, der Verstoß habe drei Jahre gedauert. Der Antragsgegnerin als international tätigem Großunternehmen habe bewusst sein müssen, dass Erwerbsvorgänge verschiedenen Jurisdiktionen unterliegen können, sie sei mit der österreichischen Fusionskontrolle wie mehrfache Zusammenschlussanmeldungen im Inland bewiesen bereits vertraut gewesen, ihr stünden beträchtliche Mittel zur Prüfung der Rechtsfragen zur Verfügung, weshalb nicht bloß ein „sehr geringes“ Verschulden vorliege. Die Anmeldebedürftigkeit sei leicht zu erkennen gewesen. Durch die unterlassene Anmeldung habe sich die Antragsgegnerin nicht nur zumindest die Pauschalgebühr von 1.500 EUR, sondern wohl auch Beraterhonorare von 10.000 bis 15.000 EUR erspart. Die Antragsgegnerin habe auch keine Selbstanzeige erstattet, sondern erst nach einem Hinweis der Antragstellerin kooperiert. Ausgehend von der bisherigen Judikatur sei ein Bußgeld von 0,17 % des Höchstbetrags, also 4.996.300 EUR, angemessen.

Die Antragsgegnerin beantragt, den Rekurs kostenersatzpflichtig zurück-, hilfsweise abzuweisen bzw von der Verhängung einer Geldbuße wegen der besonderen Umstände abzusehen, allenfalls nur eine angemessen geringe, symbolische Geldbuße zu verhängen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt im Sinne seines Aufhebungsantrags.

1. Zutreffend stellen alle Verfahrensbeteiligten nicht in Frage, dass die 2007 durchgeführte Aufstockung der Gesellschaftsanteile des mittelbaren Tochterunternehmens an den Zielunternehmen von jeweils 25,1 % auf 50 % der gesetzlichen Anmeldepflicht des § 9 Abs 1 KartG unterlag, weshalb die - mangels Anmeldung verbotene Durchführung der Zusammenschlüsse durch die Antragsgegnerin, ein am Zusammenschluss beteiligtes Unternehmen, den Geldbußentatbestand nach § 29 Z 1 lit a iVm § 17 Abs 1 KartG verwirklicht.

2. § 29 KartG stellt klar, dass Geldbußen nur bei Verschulden zu verhängen sind; der Unternehmer muss den Tatbestand vorsätzlich oder fahrlässig herbeigeführt haben. Gleiches gilt im Unionsrecht (Art 23 VO 1/2003; ebenso schon zuvor Art 15 VO 17/62), welche Bestimmung der inländischen Norm wohl auch als Vorbild gedient haben dürfte (vgl Zeder , Die österreichischen Kartellbußen am Maßstab des Kriminalrechts, JBl 2007, 477, 486).

3. Der Grad des Verschuldens ist ein wichtiger Bemessungsfaktor für die Höhe der Geldbuße. Voraussetzungen für die Verhängung einer Geldbuße in nur symbolischer Höhe sind beispielsweise eine unklare Rechtslage infolge Neuartigkeit des Falles oder bloß fahrlässiges Verhalten (RIS-Justiz RS0126268 = 16 Ok 5/10). Bei geringem Verschulden und unbedeutenden Folgen kommt in Ausnahmefällen auch ein gänzliches Absehen von der Geldbuße in Betracht (vgl Brugger , Die Geldbußenbemessung nach § 30 KartG 2005 Teil II, ÖZK 2009, 207, 211).

4. Vorsätzliches Unterlassen wirft die Antragstellerin der Antragsgegnerin nicht vor; dafür fehlt hier auch jeder Anhaltspunkt. Es bleibt daher zu prüfen, ob den für das Unternehmen der Antragsgegnerin zurechenbar handelnden Personen Fahrlässigkeit im Zusammmenhang mit dem Unterbleiben der inländischen Anmeldung der Anteilsaufstockungen ihres mittelbaren Tochterunternehmens an den Zielunternehmen im Jahr 2007 vorzuwerfen ist.

5.1. Das KartG definiert nicht näher, was unter Vorsatz und Fahrlässigkeit zu verstehen ist. Einschlägige Definitionen enthalten aber die strafrechtlichen Bestimmungen der §§ 5 f StGB und § 3 VbVG.

5.2. Danach handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, das er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht (§ 6 Abs 1 StGB). Fahrlässig handelt auch, wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 6 Abs 2 StGB).

5.3. Neben diesem für das Individualstrafrecht entwickelten Fahrlässigkeitsbegriff, der auch die Komponente der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit umfasst, besteht mit § 3 Abs 3 VbVG eine besondere Zurechnungsnorm im Zusammenhang mit der Verantwortlichkeit von Unternehmen für das Verhalten von Mitarbeitern. Nach dieser Bestimmung ist der Verband für fahrlässige Straftaten von Mitarbeitern nur verantwortlich, wenn diese die nach den Umständen gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen haben und die Begehung der Tat dadurch ermöglicht oder wesentlich erleichtert wurde, dass Entscheidungsträger die nach den Umständen gebotene und zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben, insbesondere indem sie wesentliche technische, organisatorische oder personelle Maßnahmen zur Verhinderung solcher Taten unterlassen haben.

5.4. Für das kartellrechtliche Geldbußenverfahren gegen juristische Personen ist die im KartG bestehende Gesetzeslücke zur Frage, wann Fahrlässigkeit vorliegt, wegen des gleichen Regelungszwecks durch analoge Anwendung von § 3 Abs 3 VbVG zu schließen und damit der Maßstab einer objektiven Sorgfaltswidrigkeit anzulegen. Fahrlässigkeit ist dann anzunehmen, wenn die für das Unternehmen zurechenbar handelnde Person die jeweilige Zuwiderhandlung bei Aufwendung einer nach den Umständen gebotenen und zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen können (ähnlich auch im Unionsrecht; vgl Zeder , JBl 2007, 486 mwN in FN 70).

6. Die Antragsgegnerin hat sich schon in ihrer Stellungnahme vor dem Kartellgericht darauf berufen, die Anmeldepflicht nicht bewusst umgangen zu haben, was sich an dem Umstand zeige, externe Rechtsberater zugezogen zu haben. In der Rekursbeantwortung wird dazu ergänzend ausgeführt, das mittelbare Tochterunternehmen habe eine „renommierte internationale und auf Kartellrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mit Büros ua in Österreich und Ungarn beigezogen und mit der Prüfung der Anmeldepflichten beauftragt“; mehr könne von einem Rechtsunterworfenen nicht verlangt werden. Angesprochen ist damit der Rechtfertigungsgrund eines nicht vorwerfbaren schuldausschließenden Verbotsirrtums, der die Festsetzung eines Bußgelds ausschließt.

7.1. Der Irrtum über das Verbotensein eines Verhaltens wird von den Gemeinschaftsorganen im Unionsrecht im Zusammenhang mit Verletzungen des Kartell- und Missbrauchsverbots - regelmäßig als vermeidbar und damit unbeachtlich gesehen (vgl EuGH Rs 19/77, Miller Int. Schallplatten GmbH/Kommission , Rn 18, wonach die Berufung auf die Äußerung eines Rechtsberaters nicht entschuldigt). Es wird für ausreichend erachtet, dass sich das Unternehmen nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, dass das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte oder bewirkte (EuG T-62/98, Volkswagen/Kommission , Rn 334). Nur in Einzelfällen finden sich Ansätze in der Kommissionspraxis und Rechtsprechung, aus denen sich auf eine Erheblichkeit von unvermeidbaren Verbotsirrtümern schließen lässt ( Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker , Wettbewerbsrecht II 4 VO 1/2003 Rz 193 mwN; Nowak in Loewenheim/Meessen/Riesenkampff , Kartellrecht Art 23 VerfO Rn 20 mwN).

7.2. Dieser grundsätzlich restriktiven Handhabung des „Irrtumsprivilegs“ lag die Rechtslage nach der VO 17/62 zugrunde, wonach eine präventive kartellbehördliche Überprüfung kartellrechtlich bedenklichen Verhaltens in Form einer Einzelfreistellung den Unternehmen die Möglichkeit gab, etwaige Zweifel über die Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens überprüfen zu lassen ( Dreher/Thomas , Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1/2003, WuW 2004, 8, 10).

7.3. Mit Einführung des Legalausnahmesystems und dem Fortfall der Negativatteste durch die VO 1/2003 ist diese Möglichkeit weggefallen. Im Schrifttum wird deshalb mit guten Gründen vertreten, dass ein Unternehmen nach Unionsrecht dann nicht mehr mit einem Bußgeld belegt werden könne, wenn es in eigener Verantwortung die relevanten Tatsachen und rechtlichen Aspekte des Falls mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln umfassend geprüft und infolgedessen im guten Glauben an die Rechtmäßigkeit seines Verhaltens gehandelt habe. Der Irrtum sei in diesem Falle unvermeidlich gewesen und könne den für die Bußgeldverhängung erforderlichen Schuldvorwurf ausräumen ( Dreher/Thomas , Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1/2003, WuW 2004, 8, 12; dem folgend Brugger , Verbotsirrtum und Kartellrecht, ecolex 2010, 1166, 1168; Dannecker/Biermann in Immenga/Mestmäcker , Wettbewerbsrecht II 4 VO 1/2003 Rz 187; ähnlich Bechtold/Bosch/Brinker/Hirsbrunner , EG-Kartellrecht² Art 1 VO 1/2003 Rz 39). Die Bestätigung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme durch einen im Kartellrecht erfahrenen Rechtsberater auf gesicherter Tatsachengrundlage müsse grundsätzlich zur Bußgeldimmunität führen, sofern ein Fehler bei der Rechtsberatung nicht offensichtlich gewesen sei und durch Vergleich mit den Rechtsquellen ohne weiteres hätte erkannt werden können ( Dreher/Thomas , Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1/2003, WuW 2004, 8, 13; zur Stellungnahme von Rechtsanwälten vgl auch Wiedemann in FS Bechtold, 627, 642).

8. Diesen Grundsätzen entspricht auch die Entscheidungspraxis des BGH im Zusammenhang mit der Verhängung von Bußgeldern wegen Verstößen nach dem GWB. Danach liegt ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor, wenn sich ein juristisch nicht vorgebildeter Betroffener vor Anordnung einer Liefersperre juristischen Rat über die Rechtslage bei einem im Kartellrecht besonders erfahrenen (unternehmensexternen) Anwalt eingeholt und nach mehreren Gesprächen, in denen ihm die Rechtslage anhand dazu ergangener Gerichtsentscheidungen erläutert worden ist, den anwaltlichen Rat befolgt hat (BGH KRB 1/81 = WuW/E BGH 1891 Ölbrenner II unter Hinweis auf BGH KRB 1/66 = WuW/E BGH 858 Konkurrenzfiliale; zur deutschen Rsp vgl Bechtold , Kartellgesetz 6 § 81 Rz 21).

9.1. Für den österreichischen Rechtsbereich ist für das kartellrechtliche Verfahren zur Verhängung von Geldbußen davon auszugehen, dass Rechtsunkenntnis und Rechtsirrtum dann nicht vorwerfbar sind, wenn die (richtige) Gesetzeslage einem Betroffenen trotz zumutbarer Aufmerksamkeit nicht erkennbar war (vgl RIS-Justiz RS0118363). Die Vorwerfbarkeit eines Rechtsirrtums kann insbesondere dann ausgeschlossen sein, wenn fachkundiger Rat einer verlässlichen, sachlich kompetenten Stelle eingeholt wird, die über den gesamten Sachverhalt informiert ist (RIS Justiz RS0089613). Das Vertrauen auf den Rat eines Rechtsanwalts kann einen nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum begründen (RIS-Justiz RS0084545).

9.2. Eine abstrakte Definition des anzuwendenden (objektiven) Sorgfaltsmaßstabs ist nicht möglich, sondern die Bestimmung des Sorgfaltsmaßstabs muss der Beurteilung des konkreten Falls vorbehalten bleiben.

Der Umfang der den Unternehmer treffenden Sorgfaltspflicht ist somit individuell zu bestimmen und hängt von den jeweiligen Umständen ab.

9.3. Größere Unternehmen, insbesondere wenn sie grenzüberschreitend tätig werden, sind wegen der großen wettbewerblichen Relevanz ihres Verhaltens strenger zu beurteilen. Der Grad des Verschuldens eines Unternehmens hängt deshalb auch davon ab, inwieweit es (etwa als Teil eines großen internationalen Konzerns) über juristischen und wirtschaftlichen Sachverstand und Ressourcen verfügt und sein Fehlverhalten leicht erkennen kann (RIS-Justiz RS0126269 = 16 Ok 5/10; ähnlich 4 Ob 209/03v = RIS-Justiz RS0078089 [T25] zu den strengeren Anforderungen an die lauterkeitsrechtliche Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung bei Großunternehmen; dieser Gedanke fand sich auch in den Leitlinien der Kommission für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen 1998).

9.4. Die Bestätigung der Rechtmäßigkeit einer Maßnahme durch einen im Kartellrecht erfahrenen Rechtsberater auf gesicherter Tatsachengrundlage aufgrund eines umfassenden Prüfungsauftrags kann grundsätzlich den für die Verhängung einer Geldbuße erforderlichen Schuldvorwurf ausräumen und zur Bußgeldimmunität führen, sofern ein Fehler bei der Rechtsberatung nicht offensichtlich war und durch Vergleich mit den Rechtsquellen ohne weiteres hätte erkannt werden können. Zu beurteilen ist in diesem Zusammenhang, ob das Unternehmen sein geplantes Handeln unter Berücksichtigung der in Betracht kommenden Rechtsquellen sorgfältig genug dahin überprüft hat oder überprüfen hat lassen, ob es unter kartellrechtlichen Gesichtspunkten erlaubt sei.

9.5. Weiteres Kriterium für den Umfang der Sorgfaltspflicht ist neben der Unternehmensgröße auch die Schwierigkeit des zu beurteilenden Sachverhalts. Im Einzelfall kann daher auch ein kleines Unternehmen gezwungen sein, einen kartellrechtlich erfahrenen Rechtsanwalt zu befragen, wenn erkennbar komplizierte und/oder neuartige Problemkonstellationen zu überprüfen sind ( Dreher/Thomas , Rechts- und Tatsachenirrtümer unter der neuen VO 1/2003, WuW 2004, 8, 14).

10.1. Im Anlassfall reichen die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen nicht aus, um abschließend beurteilen zu können, ob die Antragsgegnerin 2007 einem nicht vorwerfbaren Rechtsirrtum unterlegen ist. Das Kartellgericht hat dazu nur festgestellt, dass nicht geklärt werden konnte, warum die Anmeldepflicht in Österreich trotz damaliger Rechtsberatung durch eine Anwaltskanzlei übersehen worden ist.

10.2. Das Verfahren bedarf insoweit einer Ergänzung, als eine breitere Tatsachengrundlage zur Beurteilung der Vorwerfbarkeit des Unterbleibens einer Zusammmenschlussanmeldung 2007 im Inland (als Vorfrage einer neuerlichen Geldbußenentscheidung) geschaffen werden muss. Insbesondere wird im Sinne der zuvor dargestellten Grundsätze zu klären sein, welches Unternehmen welche Anwaltskanzlei eingeschaltet hat, welche Informationen dieser Kanzlei zur Verfügung gestellt worden sind (auch Umsatzzahlen der Zielunternehmen in Österreich?), welcher konkrete Auftrag erteilt worden ist (umfassende Prüfung europaweit oder nur für Ungarn?) und welches Vorwissen das auftraggebende Unternehmen selbst besaß oder aufgrund seiner bisherigen Tätigkeit besitzen musste. Alle diese Umstände müssen in die Entscheidung darüber einfließen, ob den für die Antragsgegnerin verantwortlich handelnden Personen ein schuldhaftes Unterlassen zur Last fällt, bejahendenfalls wie schwer ihr Verschulden wiegt.

10.3. Erst diese ergänzenden Feststellungen werden die Beurteilung der Zulässigkeit der Verhängung einer Geldbuße überhaupt, gegebenenfalls aber auch von deren Höhe, zulassen. Auf die Rekursausführungen zur Strafhöhe ist daher im derzeitigen Verfahrensstadium mangels ausreichender Tatsachengrundlagen nicht einzugehen.

11.1. Eine Kostenersatzpflicht sinngemäß nach den Bestimmungen der ZPO besteht im Verfahren wegen der Verhängung einer Geldbuße nur insoweit, als die Rechtsverfolgung oder -verteidigung mutwillig war (§ 41 KartG).

11.2. Mutwillige Rechtsverfolgung liegt vor, wenn der Antragsteller sich der Unrichtigkeit seines Verfahrensstandpunkts bewusst ist und sich in diesem Bewusstsein in das Verfahren einlässt, oder wenn er mit dem Verfahren ausschließlich einen durch die Rechtsordnung nicht geschützten Zweck verfolgt (16 Ok 10/04 mwN); Anhaltspunkte dafür sind nicht zu erkennen.

Rechtssätze
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