JudikaturJustiz15Os34/04

15Os34/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. März 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. März 2004 durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Kainz als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Nodari B***** und weitere Beschuldigte wegen des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 151 Hv 26/04g des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Beschwerdegericht vom 13. Februar 2004, AZ 21 Bs 55/04, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Nodari B***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe :

Gegen den Jugendlichen Nodari B***** wurde beim Landesgericht für Strafsachen Wien Voruntersuchung wegen des Verdachts des Verbrechens des versuchten gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 erster Fall StGB sowie der Vergehen der versuchten Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1 StGB und der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB geführt, am 28. Jänner 2004 wurde deswegen ein Strafantrag gegen ihn eingebracht.

Mit Beschluss vom 17. Jänner 2004 wurde über den Genannten aus den Haftgründen nach § 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO iVm § 35 Abs 1 JGG die Untersuchungshaft verhängt und nach Haftverhandlung am 29. Jänner 2004 fortgesetzt. Der Beschwerde des Beschuldigten gegen diese Entscheidungen des Untersuchungsrichters gab das Oberlandesgericht Wien mit dem angefochtenen Beschluss nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Haften aus den genannten Gründen an.

Nach dem Inhalt der Entscheidung des Gerichtshofs zweiter Instanz richtete sich gegen die Beschuldigten der dringende Verdacht, er habe am 15. Jänner 2004 in Wien gewerbsmäßig Verfügungsberechtigten der Firma M***** eine Digitalkamera im Wert von 199 Euro mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz wegzunehmen versucht, hierauf Walter L***** durch einen Faustschlag in den Genitalbereich zur Unterlassung seiner Anhaltung zu nötigen versucht und ihn dabei vorsätzlich leicht am Körper verletzt.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichteten Grundrechtsbeschwerde kommt Berechtigung nicht zu.

Ihr zuwider hat das Oberlandesgericht die Annahme der Dringlichkeit des Tatverdachts auch hinsichtlich gewerbsmäßiger Begehung des Diebstahls hinreichend begründet. Mit der bloßen Bestreitung der aus dem Vorleben des Beschuldigten und der Art des Diebsguts gezogenen denkmöglichen Schlüsse argumentiert die Beschwerde nicht gesetzeskonform (§ 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO).

Die rechtliche Annahme der Gefahr, die Beschuldigten würden auf freiem Fuße flüchten oder ungeachtet des gegen sie geführten Strafverfahrens eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen das selbe Rechtsgut gerichtet ist, wie die ihnen angelasteten strafbaren Handlungen, die ihnen als wiederholt oder fortgesetzt begangene angelastet werden (§ 180 Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO), wird vom Obersten Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens nur dahin überprüft, ob sie aus den angeführten bestimmten Tatsachen abgeleitet werden durfte, ohne dass die darin liegende Ermessensentscheidung als willkürlich angesehen werden müsste (14 Os 82/03, 14 Os 138/03, 11 Os 146/03). Das Gesetz versteht unter dem Begriff der bestimmten Tatsachen des § 179 Abs 4 Z 4 StPO nichts anderes als die deutliche Bezeichnung der den Ausspruch über das Vorliegen entscheidender Tatsachen (hier einer hohen Wahrscheinlichkeit für eine Flucht oder eine Wiederholung des gewerbsmäßigen Diebstahls) tragenden Gründe - Gründe also, aus denen diese Prognose rechtsfehlerfrei abgeleitet werden konnte. Im Übrigen kann die in der Begründung des Haftbeschlusses zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen (= bestimmten Tatsachen), welche erst in der Gesamtschau mit anderen die Prognoseentscheidung tragen, nach § 10 GRBG iVm § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht in Frage gestellt werden, es sei denn, eine als willkürlich kritisierte bestimmte Tatsache bildete erkennbar eine notwendige Bedingung für die Prognose (zuletzt: 14 Os 128/03; vgl auch Ratz , WK StPO § 281 Rz 32, 719 und 410).

Von einer offenbar unzureichend begründeten Prognose kann jedoch angesichts der vom Oberlandesgericht ins Treffen geführten fehlenden Integration im Inland und des - wenngleich zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung noch nicht rechtskräftig abgeschlossenen - früheren Verfahrens mit einschlägiger Belastung nicht die Rede sein.

Der Beschwerde zuwider ist es bedeutungslos, ob die konkret vorgeworfenen Taten als solche mit nicht leichten Folgen anzusehen sind, genügt es doch nach dem klaren Gesetzeswortlaut, dass sich die Prognose auf solche Taten bezieht. Dass dem Beschuldigten nunmehr nicht fortgesetzte oder wiederholte Handlungen gegen fremdes Vermögen angelastet werden, ändert an der Möglichkeit der Annahme des Haftgrundes nach § 180 Abs 2 Z 3 lit b StPO schon deshalb nichts, weil eine frühere Verurteilung wegen einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung - nach dem Zweck der Bestimmung ungeachtet dessen, ob sie bereits rechtskräftig ist (vgl Hager/Holzweber GRBG § 2 E 34) - gleichermaßen Voraussetzung für diese Annahme sein kann.

Soweit die Beschwerde eine Unverhältnismäßigkeit der - zu den Zeitpunkten der angefochtenen Beschlüsse noch nicht einmal einen Monat währenden - Haft zur Bedeutung der Sache und zu der zu erwartenden Strafe behauptet, weil der Beschuldigte Ersttäter sei und nur eine zur Gänze bedingt nachgesehene Strafe zu erwarten habe, vernachlässigt sie die (nicht rechtskräftige) Verurteilung zu AZ 141 Hv 2/04d des Landesgerichts für Strafsachen Wien.

Darüber hinaus betrifft die Frage, ob eine bedingte Strafnachsicht zu erwarten ist, kein Kriterium der Zulässigkeit der Untersuchungshaft.

Nach § 180 Abs 1 letzter Satz StPO ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Bedeutung der Sache "oder der zu erwartenden Strafe" vorzunehmen. Unter der demnach maßgeblichen "zu erwartenden Strafe" ist - nach Wortlaut und Sinn der Bestimmung - die nach den Regeln des 4. Abschnitts des AT des StGB zu bemessende Strafe zu verstehen. Deren Höhe, die als exakte Messgröße eindeutige Aussagen ermöglicht, ist somit Gegenstand des Vergleichs mit der Dauer der Untersuchungshaft. Kein gesetzliches Kriterium der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hingegen - den Intentionen der Grundrechtsbeschwerde und der Äußerung nach § 35 Abs 2 StPO zuwider - die im 5. Abschnitt des AT des StGB geregelte Frage, ob und unter welchen Bedingungen es zum Vollzug der - solcherart bereits ausgesprochenen, also unabhängig davon bereits existenten - Strafe kommt. Ob eine Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen wird oder nicht, spielt daher für die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 180 Abs 1 letzter Satz StPO keine Rolle. Anders als in den Fällen, in denen überhaupt keine Strafe zu erwarten ist (vgl § 6 Abs 1 und 3 JGG, § 7 JGG [§ 90b StPO], §§ 12, 13 JGG), sodass jede Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre (13 Os 92/03), kann somit bei jeder zu erwartenden Strafe, also auch einer Freiheitsstrafe, zu deren Vollzug es (zumindest vorerst: vgl § 53 Abs 1 und 2 StGB) nicht kommt, die Untersuchungshaft verhängt und aufrecht erhalten werden (vgl Jerabek in WK² § 43 Rz 30).

Um den mit der Untersuchungshaft verbundenen Grundrechtseingriff möglichst gering zu halten, verpflichtet jedoch § 193 Abs 1 StPO sämtliche am Strafverfahren beteiligten Behörden, darauf hinzuwirken, dass die Haft so kurz wie möglich dauere.

In Hinblick auf die für einen jugendlichen Täter geltende Strafdrohung waren bei der Entscheidung über die Haftbeschwerde die mit der Untersuchungshaft verbundenen Nachteile für die Persönlichkeitsentwicklung und für das Fortkommen des Jugendlichen hier nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Taten und zu der konkret zu erwartenden Strafe.

Die bloße Behauptung, die Haft verstoße gegen Art 5 EMRK, erfüllt die gesetzlichen Beschwerdeerfordernisse nicht.

Eine Grundrechtsverletzung liegt daher nicht vor, weshalb die Grundrechtsbeschwerde ohne Kostenausspruch (§ 8 GRGB) abzuweisen war.

Rechtssätze
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