JudikaturJustiz15Os136/96

15Os136/96 – OGH Entscheidung

Entscheidung
24. Oktober 1996

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 24.Oktober 1996 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Reisenleitner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kuch, Mag.Strieder, Dr.Rouschal und Dr.Schmucker als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Berger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Friedrich K***** wegen des Verbrechens des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Korneuburg vom 12.Juni 1996, GZ 11 Vr 874/95-56, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Tiegs, des Angeklagten sowie des Verteidigers Dr.Kreuz, zu Recht erkannt:

Spruch

I. Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben; es werden der Wahrspruch der Geschworenen zur Hauptfrage 3 sowie das angefochtene, im übrigen unberührt bleibende Urteil in dem auf dem Wahrspruch zur Hauptfrage 3 beruhenden Schuldspruch wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142, 143 zweiter Fall StGB (Punkt II des Urteilssatzes) und demgemäß auch im Strafausspruch sowie der Widerrufsbeschluß gemäß § 494 a Abs 1 Z 4 und Abs 4 StPO aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Geschworenengericht beim Landesgericht Korneuburg zurückverwiesen.

II. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

III. Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde wird der Angeklagte auf die Entscheidung zu I. verwiesen.

IV. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die durch den erfolglosen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde verursachten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Friedrich K***** der Verbrechen des versuchten Mordes nach §§ 15, 75 StGB (I) und des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB (II) sowie der Vergehen der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB (III), des Hausfriedensbruchs nach § 109 Abs 3 Z 1 und Z 2 StGB (IV) und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (V) schuldig erkannt.

Ihm liegt zur Last, am 11. Dezember 1995 in O*****

zu I: Ing.Walter W***** durch Zufügen von insgesamt 21 Stich- und Schnittwunden mit einem ca 24,5 cm langen Jagdmesser zu töten versucht zu haben, wodurch der Angegriffene je eine Stichwunde in der Scheitelgegend links, der Wange links, des linken Unterkieferastes, der Kinnmitte und der rechten Wange, eine schnittartig angelegte Wunde an der linken Achsel mit Eröffnung der Brusthöhle und Durchtrennung der fünften Rippe, zusammen fünf weitere Stichwunden am Brustkorb, im Bereich des Bauches, eine Stichwunde links nahe dem Rippenbogen, rechts etwa im Mittelbauch sowie eine im Bereich der seitlichen Bauchwand, wodurch es zu einer zweifachen Eröffnung der Bauchhöhle kam, eine Stichwunde an der linken Schulter sowie drei Stichwunden im Bereiche des linken Handgelenkes, an der Streckseite und im Bereiche des linken Daumenballens erlitt;

zu II: mit Gewalt gegen eine Person, und zwar durch die Zufügung von insgesamt 21 Stich- und Schnittwunden mit einem ca 24,5 cm langen Jagdmesser, wodurch der angegriffene Ing.Walter W***** die zu I genannten Verletzungen erlitt, weiters Ing.Walter W***** unter Verwendung einer Waffe, nämlich eines ca 24,5 cm langen Jagdmessers, eine fremde bewegliche Sache, und zwar 968,80 S Bargeld mit dem Vorsatz weggenommen zu haben, sich durch diese Sachzueignung unrechtmäßig zu bereichern;

zu III: dem am 19.Februar 1988 geborenen Constantin W***** dadurch die persönliche Freiheit entzogen zu haben, daß er das Kind an Armen und Beinen fesselte und ihm den Mund mit einem Klebeband verklebte;

zu IV: durch Einschlagen einer Fensterscheibe des Hauses des Ing.Walter W*****, demnach mit Gewalt, in dessen Haus eingedrungen zu sein, wobei er gegen den dort befindlichen Genannten Gewalt zu üben beabsichtigte und Waffen, nämlich ein ca 24,5 cm langes Jagdmesser und ein ca 12 cm langes Faustmesser, bei sich führte, um den Widerstand einer Person zu überwinden oder zu verhindern;

zu V: eine fremde Sache, und zwar eine Fensterscheibe im Wert von 3.000 S im Haus des Ing.Walter W*****, durch Einschlagen zerstört zu haben.

Die Geschworenen haben die anklagekonform gestellten Hauptfragen (fortlaufende Zahlen des Fragenschemas: 1, 3, 5, 6 und 7) bejaht; folgerichtig blieb die für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 1 (wegen Mordversuchs) gestellte Eventualfrage 2 nach dem Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB unbeantwortet; gleiches gilt für die "Eventualfrage" 4: "Ist Friedrich K***** schuldig, am 11.Dezember 1995 in O***** durch die in der Hauptfrage 3 bezeichnete Art und Weise Ing.Walter W***** durch die ausgeübte Gewalt schwer verletzt (§ 84 Abs 1 StGB) zu haben?".

Rechtliche Beurteilung

Dieses Urteil bekämpft der Angeklagte mit Nichtigkeitsbeschwerde, die auf die Gründe des § 345 Abs 1 Z 6 und Z 8 StPO gestützt wird.

Dem Beschwerdevorbringen zum erstgenannten Nichtigkeitsgrund (Z 6) zuwider verstößt die Abstandnahme des Schwurgerichtshofes von der Stellung einer Zusatzfrage zur Hauptfrage 1 in Richtung Notwehr oder einer Eventualfrage in Richtung fahrlässiger Körperverletzung infolge Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt ebensowenig gegen die Vorschriften über die Fragestellung an die Geschworenen wie die Unterlassung der in der Hauptverhandlung zwar nur zur Hauptfrage 1 beantragten, aber notwendigerweise auch alle anderen Hauptfragen tangierenden Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit infolge Alkoholisierung und einer Eventualfrage in Richtung des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs 1 StGB:

Nach § 313 StPO ist eine Zusatzfrage nach Strafausschließungs- oder Strafaufhebungsgründen zu stellen, wenn in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, bei denen - wenn sie als erwiesen angenommen werden - die Strafbarkeit ausgeschlossen oder aufgehoben würde. Die Stellung einer Eventualfrage nach § 314 StPO setzt gleichfalls ein Tatsachenvorbringen in der Hauptverhandlung voraus, nach dem - sollte es als erwiesen angenommen werden - die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele, das nicht strenger ist als das in der Anklageschrift angeführte.

Die Stellung einer Zusatzfrage zur Hauptfrage 1 nach Notwehr war selbst nach der Verantwortung des Angeklagten (S 11 bis 14/II) nicht indiziert, weil - wie von ihm selbst eingeräumt wurde (S 13/II unten) - keine Anhaltspunkte für die Rechtswidrigkeit des gegen ihn geführten Angriffs des Ing.W***** hervorgekommen sind. Faustschläge gegen einen nachts im Zimmer des siebenjährigen (bereits gefesselten und geknebelten) Sohnes betretenen körperlich überlegenen und bewaffneten Einbrecher sind als zur Abwehr des rechtswidrigen Angriffes (insbesondere) auf die Freiheit und körperliche Ingegrität des Kindes notwendige und angemessene Handlungen (§ 3 Abs 1 StGB). Mangels Rechtswidrigkeit dieser Abwehrhandlungen kann sich der Angeklagte auf das Vorliegen einer sein Vorgehen rechtfertigenden Notwehrsituation nicht berufen. Demnach bestand aber auch für die Stellung einer Eventualfrage nach fahrlässiger Körperverletzung infolge Notwehrüberschreitung aus asthenischem Affekt kein Anlaß (vgl Mayerhofer/Rieder StPO3 § 313 E 36).

Die Unterlassung der Stellung einer Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit wegen Alkoholisierung oder einer Eventualfrage in Richtung § 287 Abs 1 StGB vermag den Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO gleichfalls nicht zu verwirklichen. Anhaltspunkte für eine volle Berauschung ergeben sich nämlich weder aus dem Gutachten des Sachverständigen Univ.Prof. Dr. K*****, wonach beim Angeklagten die medizinischen Voraussetzungen für eine Anwendung des § 11 StGB nicht vorlagen, zumal er zur Tatzeit nicht volltrunken war (S 34 f/II), noch aus dem den Blutalkoholwert des Angeklagten zur Tatzeit (1,35 bis 1,5 %o) betreffenden Gutachten des Sachverständigen Dr. M***** (S 32, 74, jeweils Band II), und auch nicht aus den - im wesentlichen bloß eine Müdigkeit bekundenden - Zeugenaussagen der erhebenden Gendarmeriebeamten (S 69 ff/II), die den Angeklagten einige Zeit nach der Tat festgenommen hatten, noch aus seiner Verantwortung selbst, in der er den Tathergang ohne wesentliche Erinnerungslücken zu schildern vermochte (vgl S 35/II) und sich - auch unter Berücksichtigung seiner Angaben, "viel getrunken" bzw einen "Rausch" gehabt zu haben (S 4, 5/II) - niemals damit verantwortete, zurechnungsunfähig, das ist diskretions- oder dispositionsunfähig gewesen zu sein. Für die vom Angeklagten vermißte Stellung einer Zusatz- oder Eventualfrage bestand daher kein Anlaß (vgl Mayerhofer/Rieder aaO § 313 E 29).

Im Recht ist hingegen jene weitere Rüge, die das Fehlen einer Eventualfrage zur Hauptfrage 3 in Richtung Nötigung moniert. Der Angeklagte hatte nämlich - auch - in der Hauptverhandlung (S 5, 15, 68 f, je Band II) vorgebracht, Ing.W***** habe ihm für geleistete Bauarbeiten noch einen Betrag von 10.000 S (im Vorverfahren behauptete er 6.000 S - ON 6) geschuldet, dessen Gegenwert er sich von diesem am 11.Dezember 1995 holen wollte, und damit das Fehlen des nach § 142 StGB tatbildlichen Bereicherungsvorsatzes behauptet, sodaß - das Zutreffen seiner Verantwortung vorausgesetzt - insoweit das subsidiäre Tatbild einer Nötigung iSd § 105 Abs 1 StGB - allenfalls auch § 106 Abs 1 Z 1, 2 StGB - ins Spiel gebracht wurde (Leukauf/Steininger Komm3 § 105 RN 31, § 142 RN 26). Zwar liegen gegenteilige Angaben der Zeugen Ing.W***** (S 67 f, 189/I, 22/II), Z***** (S 267 f/I; 27/II), G***** (S 271 f/I, 28/II) und B***** (S 69/II) vor. Die Würdigung des Wahrheitsgehaltes einander entgegenstehender Angaben obliegt aber allein den Geschworenen (Mayerhofer/Rieder aaO § 313 E 26, § 314 E 26 und 39). Sie darf ihnen nicht durch Unterlassung einer nach dem Vorbringen in der Hauptverhandlung indizierten Fragestellung entzogen werden. Es hätte daher der Schwurgerichtshof, zumal das Tatsachenvorbringen des Angeklagten offensichtlich nicht denkgesetzwidrig war, eine Eventualfrage in Richtung des § 105 Abs 1 StGB - allenfalls auch § 106 Abs 1 Z 1, Z 2 StGB - stellen müssen (Mayerhofer/Rieder aaO § 314 E 20, 39 a).

Dieser Verstoß gegen die Bestimmung des § 314 Abs 1 StPO begründet Urteilsnichtigkeit gemäß der Z 6 des § 345 Abs 1 StPO, nötigt zur Aufhebung des Wahrspruches der Geschworenen zur Hauptfrage 3 und des darauf beruhenden Schuldspruchs wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach §§ 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB sowie der Sanktionenaussprüche und erfordert im Umfang dieser Aufhebung eine Verfahrenserneuerung.

Zur Instruktionsrüge (Z 8) in Ansehung der Rechtsbelehrung zur Frage 4 des Schemas (nach dem dritten Qualifikationsfall des § 143 StGB) ist zunächst zu bemerken, daß die bezeichneten Formulierungen dieser Frage als Eventualfrage (nach der Schuld des Angeklagten) unrichtig waren, weil tatsächlich eine (uneigentliche) Zusatzfrage zur Hauptfrage 3 nach einen höheren Strafsatz bedingenden Umständen im Sinn des § 316 StPO zu stellen gewesen wäre. Die Belehrung, die Frage 4 sei (auch) bei Verneinung oder Bejahung der Eventualfrage 2 zu beantworten, war überflüssig. Die Pflicht der Geschworenen zur Beantwortung der "Eventualfrage 4" hätte sich nämlich nur aus der Verneinung der Hauptfrage 1 in Verbindung mit der Bejahung der Hauptfrage 3 ergeben.

Im Ansatz berechtigt ist auch die Kritik des Beschwerdeführers an der Rechtsbelehrung über das Verhältnis der Frage 4 des Schemas zu den vorangegangenen Fragen. Die im Schema gleichwie in der Rechtsbelehrung (S 11) enthaltene Passage ("Die Eventualfrage 4 ist nur zu beantworten im Fall der Verneinung der Hauptfrage 1 bzw bei Verneinung oder Bejahung der Eventualfrage 2 und Bejahung der Hauptfrage 3") läßt in der Tat durch Verwendung des wahldeutigen - und daher bei juristisch präziser Ausdrucksweise zu vermeidenden - Wortes "bzw" - ohne daß klargestellt worden wäre, ob es vorliegend als Synonym für das Bindewort "und" oder als Synonym für das Bindewort "oder" gebraucht wird - die erforderliche Klarheit vermissen. Diese mangelnde Präzision konnte aber im vorliegenden Fall keinen dem Angeklagten nachteiligen Einfluß auf die Entscheidung üben, weil die Geschworenen schon auf Grund der Bejahung der Hauptfrage 1 zu Recht von der Beantwortung der Eventualfrage 4 Abstand zu nehmen hatten, zumal sie zur Eventualfrage 2 - richtigerweise - belehrt wurden, daß diese nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage 1 zu beantworten sei, und daher die Unklarheit darüber, ob die Beantwortung der Eventualfrage 2 kumulative oder alternative Voraussetzung für die Beantwortung der Eventualfrage 4 sei, bedeutungslos geworden war.

Der Vollständigkeit halber sei festgehalten, daß sich im Hinblick auf die Aufrechterhaltung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes im weiteren Verfahrensgang die Stellung einer uneigentlichen Zusatzfrage nach der Qualifikation des zweiten Satzes des § 143 StGB erübrigen wird, weil diese in Mordversuch aufgeht (vgl Leukauf/Steininger aaO RN 17; Mayerhofer/Rieder StGB4 E 16 a; je zu § 143).

Mit seiner Berufung und seiner Beschwerde war der Angeklagte auf die Aufhebung des Strafausspruches und des damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Widerrufsbeschlusses zu verweisen.

Rechtssätze
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