JudikaturJustiz12Os75/92

12Os75/92 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Oktober 1992

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.Oktober 1992 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Horak als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Massauer, Dr.Rzeszut, Dr.Markel und Dr.Schindler als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag.Held als Schriftführer, in der Strafsache gegen Ing.Hartwig K***** und andere Angeklagte wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz vom 16.Oktober 1990, AZ 9 Bs 390/90 (AZ 18 E Vr 793/89 des Landesgerichtes Klagenfurt) erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Ersten Generalanwaltes Dr.Strasser, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht vom 16. Oktober 1990, AZ 9 Bs 390/90, verletzt das Gesetz

1. durch die den erstgerichtlichen Feststellungen zuwider eine nach § 108 StGB tatbestandsspezifische Schädigungsabsicht ausschließende Konstatierung, daß "den (erstgerichtlichen) Urteilsfeststellungen zufolge alle vier Angeklagten zumindest subjektiv der Meinung waren, daß die gegenständlichen Schweißnähte (in der nicht völlig durchgeschweißten Form) dem Auftrag der Firma J***** entsprachen und auch die Behördenauflagen erfüllen", in der Bestimmung des § 473 Abs. 2 (in Verbindung mit § 489 Abs. 1) StPO;

2. durch die auf § 281 Abs. 1 Z 10 StPO gestützte amtswegige Aufhebung des Schuldspruchs des Ing.Hartwig K***** wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB (I. des erstgerichtlichen Urteilssatzes) und die dazu ergangene Sachentscheidung durch Wiederholung des erwähnten Schuldspruchs in der Bestimmung des § 477 Abs. 1 (in Verbindung mit § 489 Abs. 1) StPO.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem (auch einen hier nicht bedeutsamen Teilfreispruch enthaltenden) Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes Klagenfurt vom 26.Juni 1989, GZ 18 E Vr 793/89-44, wurden nachgenannte Personen wie folgt schuldig erkannt:

1. Der am 4.Juli 1941 geborene Ing.Hartwig K*****

(zu I.) des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB,

(zu II. a und b) des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1 StGB;

2. der am 29.Mai 1945 geborene Dipl.Ing.Josef R*****

(zu II. a und b) des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1 StGB;

3. der am 6.Februar 1945 geborene Dipl.Ing.Maximilian Kl*****

(zu II. a) des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1 StGB und

4. der am 27.Mai 1947 geborene Dipl.Ing.Gerhard S*****

(zu III.) des Vergehens der versuchten Täuschung nach §§ 15, 108 Abs. 1 StGB als Beteiligter nach § 12 (zweiter Fall) StGB (in bezug auf das Faktum II. a).

Darnach haben

(zu I) Ing. Hartwig K***** im Frühjahr 1987 in Villach falsche Urkunden zum Beweis eines Rechtes bzw. einer Tatsache im Rechtsverkehr gebraucht, indem er die von ihm hergestellten falschen Schweißer-Zeugnisse des Jacek P***** und des Jacek M***** zum Beweis der Befähigung der Genannten zu Schweißarbeiten der Firma T***** Co vorlegte;

(zu II) am 10.März 1987 in Feistritz (im Rosental) im "bewußt gemeinsamen Zusammenwirken als unmittelbare Täter" versucht, Vertreter der Firma Dr.Leopold J***** durch Täuschung über Tatsachen zur Übernahme der errichteten Druckrohrleitung zu verleiten und der Firma Dr.Leopold J***** in ihrem Recht auf vertragsgemäße Herstellung der Druckrohrleitung absichtlich einen Schaden zuzufügen,

(zu a) Ing.Hartwig K*****, Dipl.Ing.Josef R***** und Dipl.Ing.Maximilian Kl*****, indem sie eine mit dem unrichtigen Datum 20. August 1986 sowie mit der Stampiglie und der Unterschrift des Dipl.Ing.Maximilian Kl***** versehene, jedoch nicht von diesem und erst zu einem späteren Zeitpunkt von Dipl.Ing.Josef R***** verfaßte Schweißnahtberechnung zum Beweis der ausreichenden Bemessung der Schweißnähte an der Druckrohrleitung des Kraftwerkes III der Akkumulatorenfabrik Dr.Leopold J***** bei einer Bauverhandlung vorlegten;

(zu b) Ing.Hartwig K***** und Dipl.Ing.Josef R*****, indem sie eine unrichtige Referenzliste vom 3.März 1987 vorlegten, wonach die von der Firma K***** gewählte Ausführung der Schweißarbeiten (nicht durchgeschweißte Stumpfnähte, versenkte Kehlnähte) bei vierzehn in der Referenzliste namentlich angeführten Wasserkaftwerken erfolgreich angewendet worden sei;

(zu III) Dipl.Ing.Gerhard S***** Anfang März 1987 in Salzburg Ing.Hartwig K***** dazu bestimmt, die unter II a angeführten "Straftaten" auszuführen.

Gemäß § 366 Abs. 2 StPO wurde die Privatbeteiligte Firma Dr.Leopold J***** mit ihren "zivilrechtlichen" Ansprüchen gegen alle vier Angeklagten auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen dieses Urteil erhoben alle vier Angeklagten volle Berufung; die Privatbeteiligte bekämpfte das Verweisungserkenntnis mit Berufung.

Mit dem Urteil vom 16.Oktober 1990, AZ 9 Bs 390/90 (ON 52 der erstgerichtlichen Akten), wies das Oberlandesgericht Graz die Berufungen des Ing.Hartwig K*****, des Dipl.Ing.Josef R***** und des Dipl.Ing.Alfred S***** wegen Nichtigkeit und Schuld als unbegründet zurück. Gemäß §§ 477 Abs. 1, 489 Abs. 1 StPO hob es "in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 10 StPO" das angefochtene Urteil, das in seinem freisprechenden Teil unberührt blieb, auf und erkannte in der Sache selbst wie folgt zu Recht:

"Die Angeklagten Ing.Hartwig K*****, Dipl.Ing.Josef R***** und Dipl.Ing.Gerhard Alfred S***** sind schuldig, es haben

I. Ing.Hartwig K***** im Frühjahr 1987 in Villach falsche Urkunden zum Beweise eines Rechtes bzw. einer Tatsache im Rechtsverkehr gebraucht, indem er die von ihm hergestellten falschen Schweißer-Zeugnisse des Jacek P***** und des Jacek M***** zum Beweis der Befähigung (der Genannten) zu Schweißarbeiten bei der Firma T***** Co vorlegte;

II. in Feistritz (im Rosental) im bewußt gemeinsamen Zusammenwirken als unmittelbare Täter verfälschte Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht;

1. a) Ing.Hartwig K***** und Dipl.Ing.Gerhard Alfred S*****, indem sie die mit dem unrichtigen Datum 20.8.1986 sowie mit der Stampiglie und mit der Unterschrift des Dipl.Ing.Maximilian Kl***** versehene, jedoch nicht von diesem und erst zu einem späteren Zeitpunkt von Dipl.Ing.Josef R***** verfaßte Schweißnahtberechnung zum Beweise der ausreichenden Bemessung der Schweißnähte an der Druckrohrleitung des Kraftwerkes III der Akkumulatorenfabrik Dr.Leopold J***** bei einer Bauverhandlung, somit in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren, vorlegten;

b) Dipl.Ing.Josef R*****, indem er die unter II.1.a) angeführte Schweißnahtberechnung zwischen 3.3. und 10.3.1987 mit dem Vorsatz herstellte, daß dieses Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren am 10.3.1987 gebraucht werde;

2. Ing.Hartwig K***** und Dipl.Ing.Josef R*****, indem Ing.K***** eine unrichtige Referenzliste vom 3.3.1987, wonach die von der Firma K***** gewählte Ausführung der Schweißarbeiten (nicht durchgeschweißte Stumpfnähte, versenkte Kehlnähte) bei 14 in der Referenzliste namentlich angeführten Wasserkraftwerken erfolgreich verwendet worden sei, vorlegte bzw. Dipl.Ing.Josef R***** diese Referenzliste herstellte.

Sie haben hiedurch das Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach dem § 293 StGB - und zwar Dipl.Ing.Josef R***** nach Absatz 1, Dipl.Ing.Gerhard Alfred S***** und Ing.Hartwig K***** nach Absatz 2, dieser auch das Vergehen der Urkundenfälschung nach dem § 223 Abs. 2 StGB - begangen".

Unter Anwendung des § 37 Abs. 1 StGB verhängte das Oberlandesgericht über die genannten Angeklagten nach § 293 Abs. 1 StGB jeweils Geldstrafen und verwies sie mit ihren Strafberufungen auf diese Entscheidung.

Der Angeklagte Dipl.Ing.Maximilian Kl***** hingegen wurde vom Tatvorwurf laut II a des erstgerichtlichen Urteils nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Die Privatbeteiligte wurde mit ihren Ersatzansprüchen gemäß § 366 Abs. 1 und 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen.

Die vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes gegen diese Rechtsmittelentscheidung erhobene Nichtigkeitsbeschwerde macht insoweit, als

1. in Abweichung von den - in subjektiver Hinsicht ausdrücklich übernommenen erstgerichtlichen Feststellungen - ohne Ergänzung oder Neudurchführung des Beweisverfahrens eine nach § 108 StGB deliktsessentielle Schädigungsabsicht verneint wurde,

2. der Schuldspruch des Ing.Hartwig K***** wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB (I.) in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 10 StPO aufgehoben und durch Wiederholung des erwähnten Schuldspruches in der Sache selbst erkannt wurde und

3. die dem erstgerichtlichen Schuldspruch des Ing.Hartwig K*****, des Dipl.Ing.Gerhard Alfred S***** und des Dipl.Ing.Josef R***** (laut II a, b, III des Ersturteiles) zugrunde liegenden Tathandlungen als Vergehen der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 StGB beurteilt wurden, Gesetzesverletzungen geltend.

Der Nichtigkeitsbeschwerde kommt teilweise Berechtigung zu.

Mit dem Gesetz nicht im Einklang steht zunächst, daß das Oberlandesgericht zum einen (unter anderem) die Schuldberufung der Angeklagten K*****, R***** und S***** verwarf und seiner Entscheidung ausdrücklich die als unbedenklich befundenen Urteilsfeststellungen des Erstgerichtes zugrunde legte (S 299, 304, 306, 308/II), zum anderen aber - im Widerspruch dazu - die vom Gesetz zur Tatbestandsverwirklichung nach § 108 StGB geforderte Schädigungsabsicht verneinte. Unter Hinweis auf die erstgerichtliche Feststellung, Dipl.Ing.R***** sei in seinen Berechnungen zum Ergebnis gekommen, "daß eine 9,5 mm starke Schweißnaht bei der gegenständlichen Rohrleitung ausreichend sei" (S 185/II), ging das Berufungsgericht nämlich davon aus, daß "den (erstgerichtlichen) Urteilsfeststellungen zufolge ..... alle vier Angeklagten zumindest subjektiv der Meinung" waren, "daß die gegenständlichen Schweißnähte (in der nicht völlig durchgeschweißten Form) dem Auftrag der Firma J***** entsprachen und auch die Behördenauflagen erfüllen" (S 301, 305/II). Diese Annahme läßt sich aber mit den subjektiven Tatsachengrundlagen des Ersturteils nicht in Einklang bringen. Gelangte doch das Erstgericht auf Grund seiner Würdigung der Beweise zu der Überzeugung, daß "ein zielgerichtetes Handeln aller drei (Angeklagten, nämlich S*****, R***** und K*****), die Baubewilligung zu erreichen und die Firma Dr.J***** zur Übernahme des mangelhaften Werkes zu verleiten, auf der Hand liegt". Es sei - so das Erstgericht - nicht ersichtlich, daß "die Schweißnahtberechnung wie die Referenzliste einen anderen Zweck haben sollte ...., als bei der Firma Dr.J***** und dem Amt der Kärntner Landesregierung den (gemeint: falschen) Eindruck zu erwecken, daß die Schweißnähte ordnungsgemäß ausgeführt sind". Daraus folgerte der Tatrichter, daß die Angeklagten der Firma Dr.J***** "das mangelhafte Werk 'andrehen' wollten", wobei es wohl keiner näheren Erörterung bedürfe, daß sie damit der Firma Dr.J***** einen Schaden zufügen wollten (S 199 f/II).

Diese Feststellungen wiederholt das Erstgericht im Rahmen der (teils mit der Beweiswürdigung vermengten) rechtlichen Beurteilung der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des Vergehens nach § 108 StGB mit den Sätzen: "... Die Beschuldigten wollten gerade durch ihre Handlungen (Erstellung der nachträglichen Schweißnahtberechnung, Rückdatierung dieser, Unterschrift eines dritten Ziviltechnikers, Erstellung einer Referenzliste und Schreiben, daß nicht durchgeschweißte Rohrverbindungen oftmals erfolgreich angewendet wurden, sowie Vorlage aller dieser Unterlagen) die Übernahme des mangelhaften Kraftwerkes bei der Firma J***** erreichen. Gerade durch die rückdatierte, von einem dritten Ziviltechniker unterschriebene Schweißnahtberechnung sollte der Anschein erweckt werden, daß die Arbeiten ordnungsgemäß ausgeführt wurden. Dies obwohl die Beschuldigten aufgrund von Universitätsgutachten schon Zweifel an der fachgemäßen Ausführung haben mußten ....." (S 205 f).

Mit den oben erwähnten, diese Urteilsfeststellungen des Erstgerichtes außer acht lassenden subjektiven Tatsachenannahmen verstieß das Oberlandesgericht gegen die Bestimmung des § 473 Abs. 2 (489 Abs. 1) StPO, wonach das Berufungsgericht grundsätzlich an den vom Erstgericht festgestellten Sachverhalt gebunden ist, im Falle dagegen und insbesondere gegen die Beweiswürdigung gehegter Bedenken jedoch, den Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit gemäß, das Beweisverfahren wiederholen bzw. ergänzen muß (Foregger-Serini4, Erläuterung II zu § 473 StPO). Derartige Bedenken hatte das Oberlandesgericht, wie in den Gründen seiner Entscheidung unmißverständlich zum Ausdruck kommt (S 304, 306, 308/II) hier aber nicht. Den berufungsgerichtlichen Erwägungen ist auch nicht zu entnehmen, daß die in der Berufungsverhandlung (ohne formale Beschlußfassung über eine Ergänzung oder Wiederholung des Beweisverfahrens) durchgeführten Vernehmungen der Angeklagten Dipl.Ing.Kl***** und Dipl.Ing.R***** im Zusammenhang mit den durch Verlesung des Hauptverhandlungsprotokolls gemäß § 472 Abs. 3 StPO zum Gegenstand der Berufungsverhandlung gewordenen Verfahrensergebnissen erster Instanz (S 286 ff/II) von den erstgerichtlichen abweichende Tatsachenfeststellungen nahegelegt hätten. Das Berufungsgericht wäre, selbst wenn es aus der in seiner Entscheidung zitierten (S 307/II) Begründungspassage des Ersturteils (S 185/II) eine Undeutlichkeit der tatrichterlichen Feststellungen (§§ 281 Abs. 1 Z 5, 468 Abs. 1 Z 3, 489 Abs. 1 StPO) abgeleitet hätte, ohne Wiederholung des Beweisverfahrens zu deren Sanierung nicht befugt gewesen (EvBl. 1991/104).

Der Angeklagte K***** bekämpfte seinen Schuldspruch wegen Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StPO nur mit einer auf § 281 Abs. 1 Z 9 lit. b StGB gestützten, den Einwand mangelnder Strafwürdigkeit im Sinne des § 42 StGB relevierenden Nichtigkeitsberufung (S 279 f). Was die Aufhebung dieses Schuldspruchs in amtswegiger Wahrnehmung des Nichtigkeitsgrundes nach § 281 Abs. 1 Z 10 StPO anlangt, so sind dem Urteil des Oberlandesgerichtes keine hiefür maßgebenden Erwägungen zu entnehmen; vielmehr wurde - nach Verneinung der geltend gemachten materiellen Nichtigkeit - anläßlich der Entscheidung in der Sache selbst bloß der erstgerichtliche Schuldspruch wegen des Vergehens nach § 223 Abs. 2 StGB wortident wiederholt (S 295, 303/II). Im Sinn der Beschwerdeausführungen wurde durch die, wenn auch bloß formale, sachlich jedoch unbegründet gebliebene amtswegige Wahrnehmung einer Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 10 StPO (auch) hinsichtlich des Schuldspruchs nach § 223 Abs. 2 StGB das Gesetz in der Bestimmung des § 477 Abs. 1 StPO (in Verbindung mit § 489 Abs. 1 StPO) verletzt, weil sich das Berufungsgericht darnach auf die in Beschwerde gezogenen Punkte zu beschränken hat und zu einer amtswegigen Maßnahme nur dann berechtigt und verpflichtet ist, wenn das Gesetz zum Nachteil des Angeklagten unrichtig angewendet wurde. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor.

Soweit die Generalprokuratur allerdings unter Hinweis auf die bisher vereinzelt und in der Entscheidung eines verstärkten Senates vom 21. November 1991, GZ 14 Os 127/90-17, unbeachtet gebliebene Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 5.November 1991, GZ 11 Os 71/91-10 (NRspr 1992/60 = EvBl. 1992/71 mwN) vermeint, daß die Unterstellung der Tathandlungen zu II 1 a) und b) sowie 2 des Berufungsurteils unter § 293 StGB ebenfalls nicht dem Gesetz entspricht, kann ihr nicht gefolgt werden:

Entgegen den zu 11 Os 71/91 entscheidungstragenden Erwägungen (denen in den nachfolgenden, zu 13 Os 17/92 und 13 Os 78/92 ergangenen Erkenntnissen nichts Substantielles hinzugefügt wurde) erweist sich die dort zitierte, in Lehre und Rechtsprechung im wesentlichen einhellig vertretene Auffassung, daß echte Urkunden unrichtigen (unwahren) Inhaltes nicht die Qualifikation des § 147 Abs. 1 Z 1 StGB erfüllen, nicht für eine teleologische Reduktion des Beweismittelbegriffs in der Richtung als tragfähig, daß es sogenannten Lugurkunden an der deliktsspezifischen Objektqualität nach § 293 StGB fehle. Ein im Strafgesetzbuch inhaltlich differenzierter Gebrauch des Begriffs "falsch" wurzelt in der sprachlichen Mehrdeutigkeit dieses Wortes. So führt beispielsweise der Große Duden nicht weniger als sechs Bedeutungen dieses Begriffs an, darunter auch die strafrechtlich relevanten Sinnfacetten "unecht" (vgl. §§ 223, 224 StGB) und "inhaltlich unrichtig" (vgl. §§ 288, 289, 292, 293, 311 StGB). In Anbetracht der gesetzesinhärenten spezifisch strafrechtlichen Mehrdeutigkeit der Begriffsbezeichnung "falsch" ist deren jeweilige Auslegung über eine bloß grammatikalische, logisch-systematische Betrachtungsweise hinaus (vor allem) auch von der hier im konkreten Zusammenhang zugrunde liegenden kriminalpolitischen Zielrichtung und des sich daraus ergebenden Regelungszwecks bestimmt, soll sie ein gesetzesgerechtes Ergebnis zeitigen.

Der - im weitesten Sinn zu verstehende (EBRV 1971, 444) - Begriff Beweismittel umfaßt alles, was dazu dienen kann, ein Gericht (oder eine Verwaltungsbehörde) von der Wahrheit oder Unwahrheit einer Tatsachenbehauptung zu überzeugen. Kraft einzelner Sonderbestimmungen scheiden von den Beweismitteln im weitesten Sinn Zeugen in bezug auf ihre Aussage, Sachverständige in bezug auf Befund und Gutachten (§ 288 StGB), öffentliche Beglaubigungszeichen (§ 225 StGB), Grenz- und Wasserstandszeichen (§ 230 StGB) aus dem Schutzbereich des § 293 StGB aus. Nichts anderes gilt nach §§ 223, 224 StGB für falsche (unechte) und verfälschte, somit für solche Absichtsurkunden (§ 74 Z 7 StGB), die über die Identität des Ausstellers täuschen oder inhaltlich nachträglich verändert wurden. Daß eine Urkunde in dieser an der Identität des Ausstellers bzw. an dem Inhalt seiner Erklärung orientierten Bedeutung weder falsch noch verfälscht ist und daher kein geeignetes Deliktsobjekt nach §§ 223, 224 StGB darstellt, enthebt aber nicht von der weiteren Prüfung ihrer strafrechtlichen Relevanz als (sonstiges) Beweismittel, weil dessen Begriffsumfang über jenen der Urkunden weit hinausgeht und die (einem dazu umfassenden strafrechtlichen Schutzbedürfnis Rechnung tragende) Subsidiaritätsklausel nach § 293 Abs. 1 StGB der Annahme widerstreitet, die strafrechtliche Relevanz von Manipulationen mit und an sogenannten Absichtsurkunden sei in den §§ 223, 224 StGB abschließend geregelt. Bleibt doch auch eine zwar echte, aber inhaltlich unrichtig ausgestellte Urkunde (sogenannte Lugurkunde) ein Beweismittel in der strafgesetzlichen Bedeutung (arg. "anderes" in § 147 Abs. 1 Z 1 StGB, § 293 StGB), das als solches in seiner Beurteilung als falsch oder verfälscht an den für Beweismittel, nicht aber an den insoweit spezifisch für Urkunden geltenden Kriterien zu messen ist. Dabei macht es jedoch einen wesentlichen Unterschied, daß Absichtsurkunden einen begriffsessentiellen Bezug zur Identität der Person des Ausstellers und zum Inhalt seiner schriftlichen Erklärung aufweisen, während ein derartiger Zusammenhang dem (begriffsnotwendig an die - in der Rechtsordnung vielfach gegenüber anderen Äußerungsformen aufgewerteten - Schriftlichkeit gar nicht gebundenen) sonstigen Beweismittel in der Regel fehlt. Ein Ausschluß inhaltlich unrichtiger (im Sinne des § 223 StGB weder falscher noch verfälschter) Urkunden aus dem Begriffsumfang falscher Beweismittel in der Bedeutung des § 293 StGB hätte daher (der zuletzt von Kienapfel vertretenen Auffassung zuwider - JBl. 1992, 537) eine ausdrückliche gesetzliche Regelung zur Voraussetzung. Daß die Begriffe "falsch" oder "verfälscht" in bezug auf Beweismittel (anders als nach § 223 StGB) generell auch inhaltliche Unrichtigkeit miteinschließen, steht im Hinblick auf die auch solcherart zweifelsfreie Determiniertheit in keinem Spannungsverhältnis zu § 1 StGB.

Vollständigkeitshalber ist zu den in der zitierten Entscheidungsglosse Kienapfels vorgebrachten weiteren Argumenten gegen den hier vertretenen Rechtsstandpunkt festzuhalten, daß

§ 293 StGB auf den Vorsatz, daß das (falsche oder verfälschte) Beweismittel in einem gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht werde, abstellt, die zum Anwendungsbereich der §§ 223 f und 147 Abs. 1 Z 1 StGB von Lehre und Rechtsprechung erbrachten dogmatischen Abgrenzungsleistungen demnach unberührt bleiben,

die aus rechtspolitischer Sicht in Diskussion gezogene hilfsweise Heranziehung der §§ 288, 289 und 292 StGB einerseits die Bestimmung des § 153 StPO ebenso vernachlässigt, wie den Umstand, daß gerade der Gebrauch einer inhaltlich unrichtigen Urkunde den Anlaß für eine förmliche Vernehmung ihres Herstellers verdecken kann und

diese Argumentation überdies darauf hinausläuft, dem Gericht die Rolle eines sogenannten agent provocateur zuzumuten. Daß ein derartiges Vorgehen seinerseits gerade jene Beschuldigteninteressen untergräbt, die Kienapfel durch die hier vertretene Rechtsauffassung gefährdet sieht, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Ob ein Beweismittel falsch ist, ist demnach nicht nach den Kriterien des § 223 StGB zu beurteilen; maßgebend ist vielmehr, ob es bei seinem Gebrauch geeignet ist, die daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen in eine falsche Richtung zu lenken (LSK 1987/86); § 293 StGB betrifft daher nicht nur unechte, sondern auch echte, aber inhaltlich unrichtige Beweismittel (Leukauf-Steininger3 RN 8 a zu § 293 StGB). Davon ausgehend war aber die Unterstellung des zu II. des Urteilsspruchs des Rechtsmittelgerichtes umfaßten Sachverhaltes unter § 293 StGB frei von Rechtsirrtum (im Einklang damit auch Mayerhofer-Rieder3 E 3 b zu § 311 StGB).

Aus den dargelegten Erwägungen war daher insgesamt spruchgemäß zu entscheiden.

Rechtssätze
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