JudikaturJustiz11Os133/06b

11Os133/06b – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. März 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. März 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Egger als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Christian S***** wegen des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Irdning vom 21. September 2005, GZ 2 U 106/05a-6, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache AZ 2 U 106/05a des Bezirksgerichtes Irdning gegen Christian S***** wurde das Gesetz verletzt:

1) durch den im Abwesenheitsurteil des Bezirksgerichtes Irdning vom 21. September 2005, GZ 2 U 106/05a-6, enthaltenen, ohne Anhörung des Beschuldigten ergangenen Zuspruch von 698,65 EUR an den Privatbeteiligten Stefan H***** in der Vorschrift des § 365 Abs 2 zweiter Satz StPO;

2) durch den Vorgang, dass dem Beschuldigten anlässlich der Zustellung dieses Abwesenheitsurteils eine unrichtige Rechtsmittelbelehrung erteilt wurde, in der Bestimmung des § 3 StPO (iVm § 152 Abs 3 Geo);

Das Abwesenheitsurteil vom 21. September 2005 (ON 6), das im Übrigen unberührt bleibt, wird in dem zu Punkt 1 genannten Adhäsionserkenntnis aufgehoben und der Privatbeteiligte Stefan H***** gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg verwiesen; Der Beschluss des Landesgerichtes Leoben vom 2. März 2006, AZ 9 Bl 10/06k (ON 18) sowie alle auf dem Abwesenheitsurteil beruhenden Beschlüsse und Verfügungen, werden aufgehoben und es wird dem Erstgericht aufgetragen, das Abwesenheitsurteil vom 21. September 2005 dem Beschuldigten unter Anschluss einer vollständigen Rechtsmittelbelehrung neuerlich zuzustellen.

Text

Gründe:

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Irdning vom 21. September 2005, GZ 2 U 106/05a-6, wurde Christian S***** in seiner Abwesenheit (§ 478 StPO) des Vergehens der Sachbeschädigung nach § 125 schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe verurteilt.

Der Beschuldigte, dem die Ladung zur Hauptverhandlung unter Anschluss des Bestrafungsantrages am 14. September 2005 (RS bei S 1a verso) zugestellt worden war, hatte in einem an den Bezirksanwalt zum AZ der Staatsanwaltschaft gerichteten, am 14. September 2005 zur Post gegebenen Schreiben wegen urlaubsbedingter Abwesenheit um eine Verlegung der Hauptverhandlung ersucht (ON 7).

Der Bezirksanwalt übersandte dieses Schreiben dem Gericht am 25. September 2005, wo es am 26. September 2005 einlangte (S 43 und 59). Anlässlich der Verfügung der Zustellung des Abwesenheitsurteils an den Beschuldigten unterließ der Richter die gemäß § 152 Abs 3 Geo vorgeschriebene gleichzeitige Anordnung der Zustellung einer Rechtsmittelbelehrung (S 41). Die Urteilsausfertigung wurde - unter Anschluss einer für den Fall der Urteilsverkündigung in Anwesenheit des Beschuldigten aktuellen Rechtsmittelbelehrung „RMB2" (= Rechtsmittelbelehrung Urteil [Angeklagter; BG- und Einzelrichterverfahren] nach erfolgter Rechtsmittelanmeldung) - am 28. Oktober 2005 durch Hinterlegung zugestellt (siehe Rückschein bei S 42). Mit dem am 4. November 2005 zur Post gegebenen, als Berufung bezeichneten Schriftsatz berief sich der Beschuldigte auf sein Schreiben vom 14. September 2005 (ON 7) und wandte sich inhaltlich gegen das Urteil (ON 11). Am 22. November 2005 erteilte der Bezirksrichter dem vor Gericht erschienenen Christian S***** Rechtsbelehrung „hinsichtlich der möglichen Rechtsmittel gegen ein Abwesenheitsurteil" und erläuterte ihm „das Wesen eines Einspruchs und der Berufung" (ON 13 und 27). Der Beschuldigte erklärte daraufhin, dass er das Schreiben vom 14. September 2005 „offensichtlich irrtümlich" nicht an das Gericht, sondern an die Staatsanwaltschaft geschickt habe. Er habe „schon" gehofft, dass aufgrund des Schreibens die Verhandlung vertagt werde. Es ginge ihm nicht darum, dass die Verhandlung noch einmal durchgeführt werde, er wolle „deshalb" sein mit „Berufung" bezeichnetes Schreiben nicht als Einspruch verstanden wissen, sondern „bewusst als Berufung". Mit Beschluss des Landesgerichtes Leoben als Berufungsgericht vom 2. März 2006, AZ 9 Bl 10/06k (= ON 18) wurde die Berufung („Berufungsanmeldung") des Beschuldigten gemäß § 470 Z 1 StPO zurückgewiesen, weil sie nicht innerhalb der dreitägigen Frist des § 466 Abs 2 StPO nach Verständigung vom Urteil angemeldet worden war.

Rechtliche Beurteilung

Da dem Beschuldigten mit dem Abwesenheitsurteil eine - nur für den Regelfall einer bereits angemeldeten Berufung gegen ein in Anwesenheit des Beschuldigten verkündetes Urteil des Bezirks- oder Einzelrichters zutreffende - Rechtsmittelbelehrung übersendet worden war, wonach die Ausführung der Berufung binnen vier Wochen nach Zustellung des Urteils bei diesem Gericht eingebracht werden könne, und auch der Richter anlässlich seiner Belehrung nur über das „Wesen" des Einspruches und der Berufung, nicht jedoch auch über die diesbezüglichen Fristen (siehe Stellungnahme des Bezirksrichters vom 20. Oktober 2006, ON 27) Aufklärung bot, war eine zutreffende Rechtsbelehrung über diese Fristen nie erfolgt.

Wie der Generalprokurator in der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, stehen die Rechtsbelehrung durch den Bezirksrichter, die Zurückweisung der Berufung durch das Landesgericht Leoben als Rechtsmittelgericht und das erstinstanzliche Adhäsionserkenntnis mit dem Gesetz nicht im Einklang. Wenn der Beschuldigte trotz gehöriger Vorladung zur bestimmten Stunde nicht erscheint, hat der Richter, sofern er nicht die Vernehmung des Beschuldigten nötig findet, sofort das Verfahren zu beginnen, die Beweise aufzunehmen und nach Anhörung des Anklägers das Urteil zu fällen und zu verkünden (§ 459 erster und zweiter Satz StPO). Weil vorliegend die im Verlegungsantrag vom Beschuldigten geltend gemachten Hinderungsgründe dem Richter nicht fristgerecht zur Kenntnis gelangt waren, war die Durchführung der Verhandlung und die Urteilsfällung zulässig. Dies trifft jedoch auf den Privatbeteiligtenzuspruch nicht zu, weil der Beschuldigte zu dem vom Privatbeteiligten Stefan H***** begehrten Schadenersatzbetrag nicht gehört wurde. Weil es sich bei der Vorschrift des zweiten Satzes des § 365 Abs 2 StPO, wonach der Beschuldigte über gegen ihn erhobene privatrechtliche Ansprüche zu vernehmen ist, um ein zwingendes - dem Grundsatz des beiderseitigen Gehörs Rechnung tragendes - Gebot handelt (Spenling, WK-StPO § 365 Rz 28), war demnach der ohne Anhörung des Beschuldigten erfolgte Zuspruch unzulässig. Der Feststellung dieser Gesetzesverletzung war, weil sie sich zum Nachteil des Beschuldigten auswirkte, materielle Wirkung zu verleihen und demzufolge das Urteil des Bezirksgerichtes Irdning im Adhäsionserkenntnis aufzuheben und der Privatbeteiligte Stefan H***** gemäß § 366 Abs 2 StPO auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. Da bei einem Abwesenheitsurteil eine mündliche Rechtsbelehrung im Anschuss an die Urteilsverkündung nicht in Betracht kommt, bestimmt § 152 Abs 3 Geo, dass mit dem Abwesenheitsurteil stets eine (schriftliche) Rechtsmittelbelehrung zuzustellen und dies vom Richter in der Zustellverfügung ausdrücklich anzuordnen ist (Danzl, Geo § 152 Anm 15b). Diese Vorgangsweise entspricht auch der Vorschrift des § 3 StPO, welche das Gericht verpflichtet, grundsätzlich dem Beschuldigten auch dort, wo es nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, über seine Rechte zu belehren. Die Zustellung eines Abwesenheitsurteils mit einer Rechtsmittelbelehrung, die wie hier insbesondere keinen Hinweis darauf enthält, dass die Berufung gegen ein nicht in Anwesenheit des Angeklagten verkündetes Urteil binnen drei Tagen nach seiner Verständigung hievon anzumelden ist (§ 466 Abs 2 StPO) und ihm nur dann für die Berufungsausführungen eine weitere Frist (von vier Wochen) offen steht (§ 467 Abs 1 StPO), entspricht nicht der gesetzlichen Belehrungspflicht. Sie war auch deshalb unvollständig, weil jede Belehrung darüber fehlt, dass gegen ein in Abwesenheit des Beschuldigten beim Bezirksgericht ergangenes Urteil gemäß § 478 Abs 1 StPO binnen vierzehn Tagen nach Urteilszustellung auch noch Einspruch (wegen nicht gehöriger Vorladung oder eines unabwendbaren Hindernisses) erhoben werden und entweder schon mit dem Einspruch (vgl SSt 31/105; EvBl 1970/188, 1979/67) oder erst mit der an den Gerichtshof erster Instanz gerichteten Beschwerde gegen die Verwerfung des Einspruchs durch das Bezirksgericht das Rechtsmittel der Berufung verbunden werden kann (§ 478 Abs 2 StPO), das in diesen Fällen nicht gesondert angemeldet werden muss (Ratz, WK-StPO § 478 Rz 6).

Die gegenständliche, die Anfechtungsmöglichkeiten eines Abwesenheitsurteils nicht erwähnende Rechtsmittelbelehrung war wegen ihrer Unvollständigkeit, die einer Unrichtigkeit gleichkommt, ungeeignet, den rechtsunkundigen Beschuldigten über die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittel ausreichend zu informieren und steht daher mit dem Gesetz nicht im Einklang. Daran ändert auch nichts, dass dem Beschuldigten in der Folge „das Wesen eines Einspruchs und der Berufung" erläutert wurde, weil dabei weder auf die Präklusionsfrist des § 466 Abs 2 StPO noch auf die sich aus § 478 StPO ergebende Möglichkeit der Ausführung einer Berufung auch ohne vorangegangene Anmeldung und damit fallbezogen der Vermeidung einer Zurückweisung der Berufung durch Säumnis der dreitägigen Anmeldungsfrist hingewiesen wurde (SSt 59/12).

Die Verletzung der Vorschrift des § 3 StPO gereichte dem Verurteilten Christian S***** zum Nachteil, zumal dieser, ohne über die ihm zur Verfügung stehenden Rechtsmittelmöglichkeiten vollständig informiert zu sein, eine fristgerechte Berufungsanmeldung versäumte, was in der Folge zur Zurückweisung seiner Berufung durch das Landesgericht Leoben führte. Demzufolge erweist sich die neuerliche Zustellung des gegenständlichen Abwesenheitsurteils mit richtiger Rechtsbelehrung sowie die Aufhebung aller dem früheren Zustellvorgang nachfolgenden Beschlüsse und Verfügungen als notwendig.

Es erübrigt sich daher ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen. Sollte der Beschuldigte nach erfolgter Neuzustellung kein Rechtsmittel erheben, dann wäre im Hinblick auf die neu ausgelöste Rechtsmittelfrist die seinerzeit eingebrachte Berufung als rechtzeitig anzusehen und dem Landesgericht Leoben zur meritorischen Entscheidung vorzulegen.

Rechtssätze
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