JudikaturJustiz10ObS89/23w

10ObS89/23w – OGH Entscheidung

Entscheidung
13. Februar 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Nowotny als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Johannes Püller (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Birgit Riegler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei N*, vertreten durch Mag. Barbara Schütz, Rechtsanwältin in Villach, gegen die beklagte Partei Österreichische Gesundheitskasse, 1100 Wien, Wienerbergstraße 15–19, vertreten durch Dr. Bernhard Fink und andere Rechtsanwälte in Klagenfurt am Wörthersee, wegen Kinderbetreuungsgeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 4. Mai 2023, GZ 6 Rs 14/23k 14, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Arbeits und Sozialgericht vom 21. Dezember 2022, GZ 32 Cgs 364/22v 7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 502,70 EUR (darin 83,78 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung:

[1] G egenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die Klägerin ab 24. Mai 2022 oder erst ab 15. Juni 2022 Anspruch auf Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens für ihre am 20. Mai 2022 im Rahmen einer anonymen Geburt geborene Adoptivtochter C* hat.

[2] Am 24. Mai 2022 ermächtigte der Kinder und Jugendhilfeträger (KJHT) die Klägerin und ihren Gatten als künftige Adoptiveltern, die Pflege und Erziehung für C* auszuüben. Die beiden holten C* noch am selben Tag im Krankenhaus ab und übersiedelten mit ihr in die gemeinsame Wohnung, wo sie seit 2016 hauptwohnsitzlich gemeldet sind.

[3] Erst als am 10. Juni 2022 der Bescheid des Landeshauptmanns, mit dem ein Familien und Vorname für C* festgesetzt wurde (§ 66 Abs 1 PStG), bei der Personenstandsbehörde eingelangt war und der KJHT einen Rechtsmittelverzicht abgegeben hatte, wurde die Anmeldung von C* an der Wohnanschrift der Klägerin per 15. Juni 2022 „durchgeführt“ .

[4] Mit Bescheid vom 12. September 2022 wies die beklagte Österreichische Gesundheitskasse den Antrag der Klägerin, ihr für C* Kinderbetreuungsgeld als Ersatz des Erwerbseinkommens zu gewähren, für den Zeitraum von 20. Mai 2022 bis 14. Juni 2022 ab, weil während dieser Zeit (mangels hauptwohnsitzlicher Meldung von C*) kein gemeinsamer Haushalt im Sinn des § 2 Abs 6 KBGG vorgelegen sei.

[5] Mit ihrer dagegen gerichteten Klage begehrt die Klägerin, ihr für den Zeitraum von 24. Mai 2022 bis 14. Juni 2022 Kinderbetreuungsgeld (als Ersatz des Erwerbseinkommens) zu gewähren.

[6] Das Erstgericht gab der Klage statt.

[7] Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil. Aus den knappen Feststellungen des Erstgerichts ergebe sich erkennbar, dass C* nicht „durch die Eltern bei der Meldebehörde, sondern (gemäß § 12 PStG in der hier anwendbaren Fassung) im Weg der Personenstandsbehörde“ angemeldet worden sei. Darauf aufbauend führte das Berufungsgericht aus, dass in diesem Fall die Anmeldung erfolgt sei, sobald der Personenstandsbehörde der vollständig ausgefüllte Meldezettel vorliege. Dass ein solcher und nicht nur der Namensgebungsbescheid gefehlt hätte, ergebe sich weder aus dem festgestellten Sachverhalt, noch werde das behauptet. Damit sei eine gesetzeskonforme Anmeldung erfolgt und das Erfordernis des § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 KBGG erfüllt. Dass die Personenstandsbehörde die Anmeldung von C* erst nach Einlangen des Namensgebungsbescheids durchgeführt habe, wirke sich auf den Anspruch der Klägerin nicht nachteilig aus.

[8] Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob eine nach § 12 PStG erfolgte, von der Personenstandsbehörde aber nicht innerhalb der dreitägigen Frist des § 3 Abs 1 MeldeG durchgeführte Anmeldung als verspätet im Sinn des § 2 Abs 6 Satz 2 KBGG anzusehen sei, noch nicht Stellung genommen habe.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die – von der Klägerin beantwortete – Revision der Beklagten ist mangels einer darin aufgezeigten Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

[10] 1. Im Verfahren ist nicht strittig, dass die Anspruchsvoraussetzung des § 2 Abs 1 Z 2 iVm Abs 6 iVm § 24 Abs 1 Z 1 KBGG nur dann erfüllt ist, wenn kumulativ zum gemeinsamen Haushalt eine „hauptwohnsitzliche Meldung“ des Kindes am Ort des gemeinsamen Haushalts vorliegt (RS0132649; 10 ObS 41/19f) . Fehlt die gemeinsame hauptwohnsitzliche Meldung, führt das zum Anspruchsverlust für den betroffenen Zeitraum (10 ObS 136/18z; 10 ObS 40/18g ua).

[11] 2. Nach § 2 Abs 6 Satz 2 KBGG in der hier anzuwendenden Fassung vor dem BGBl I 2023/115 (§ 50 Abs 40 KBGG) schadet eine höchstens bis zu zehn Tage verspätet (§ 3 Abs 1 MeldeG) erfolgte Hauptwohnsitzmeldung nicht. Im Zusammenhalt mit der in § 3 Abs 1 MeldeG normierten Frist von drei Tagen steht den Eltern ab dem der Unterkunftnahme folgenden Tag somit eine Frist von insgesamt 13 Tagen für die Anmeldung des Kindes am gemeinsamen Hauptwohnsitz zur Verfügung (RS0132596; RS0132533).

[12] 2.1. Wer in einer Wohnung Unterkunft nimmt, ist innerhalb von drei Tagen danach bei der Meldebehörde anzumelden (§ 3 Abs 1 MeldeG), wofür ein entsprechend vollständig ausgefüllter Meldezettel und öffentliche Urkunden erforderlich sind, aus denen die Identitätsdaten (§ 1 Abs 5a MeldeG) des Unterkunftnehmers hervorgehen (§ 3 Abs 2 und 3 MeldeG). Die Meldepflicht für einen Minderjährigen trifft dabei denjenigen, dem Pflege und Erziehung zustehen; nimmt ein Minderjähriger nicht bei oder mit einer solchen Person Unterkunft, trifft die Meldepflicht den Unterkunftgeber (§ 7 Abs 2 MeldeG). Die Anmeldung ist erfolgt, sobald der Meldebehörde der entsprechend vollständig ausgefüllte Meldezettel vorliegt (§ 4a Abs 1 MeldeG).

[13] 2.2. Anstelle einer Anmeldung gemäß § 3 Abs 1 MeldeG kann das Kind nach § 12 Abs 1 Satz 1 PStG 2013 auch anlässlich der Eintragung seiner Geburt (§ 10 PStG) unter Anschluss eines entsprechend vollständig ausgefüllten Meldezettels im Weg der Personenstandsbehörde angemeldet werden. Die Personenstandsbehörde hat in diesem Fall für die für den Wohnsitz zuständige Meldebehörde die Meldedaten dem Bundesminister für Inneres im Wege eines Änderungszugriffs auf das Zentrale Melderegister zu übermitteln (§ 12 Abs 1 Satz 2 PStG). Da unter anderem § 4a MeldeG sinngemäß gilt (§ 12 Abs 1 Satz 3 PStG), ist die Anmeldung erfolgt, sobald der Personenstandsbehörde der vollständig ausgefüllte Meldezettel vorliegt (10 ObS 121/18v ErwGr 6.2 [zum FamZeitbG]).

[14] 3. Ihrer Revision legt die Beklagte zugrunde, dass das Berufungsgericht davon ausgehe, § 12 PStG verpflichte die Personenstandsbehörde, ein neugeborenes Kind von sich aus anzumelden bzw die Anmeldung durchzuführen. Dies sei aber schon deshalb unrichtig, weil diesfalls die im MeldeG vorgesehene Anmeldung des Kindes durch die Eltern (Erziehungsberechtigten) obsolet wäre. Eine Anmeldung nach § 12 PStG lasse sich aus dem festgestellten Sachverhalt auch nicht ableiten, weil C* nach diesem (erst) am 15. Juni 2022 von ihren Eltern angemeldet worden sei. Wäre C* bereits vorher im Wege der Personenstandsbehörde angemeldet worden, wäre weder die Anmeldung am 15. Juni 2022 faktisch möglich, noch wäre es nötig gewesen, die Rechtskraft des Namensgebungsbescheids abzuwarten.

[15] Mit diesen Ausführungen vermag die Beklagte die Zulässigkeit der Revision nicht zu begründen.

[16] 3.1. Zwar stellt es eine vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens dar, wenn das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung von den tatsächlichen Feststellungen des Erstgerichts abgeht (RS0043461; RS0043057) oder ergänzende Feststellungen trifft (RS0043026). Gleiches gilt, wenn es seiner Entscheidung Tatsachenannahmen zugrunde legt, die auf eine unrichtige Wiedergabe der Feststellungen des Erstgerichts zurückzuführen sind (RS0043026 [T5]; 5 Ob 120/21i).

[17] Hier geht es aber nicht darum, sondern um die (Rechts ) Frage, ob die Feststellungen des Erstgerichts im Sinn des Berufungsgerichts zu verstehen sind. Die Auslegung von Urteilsfeststellungen im Einzelfall bildet in der Regel aber keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RS0118891). Die Beklagte zeigt auch nicht auf, warum das vom Berufungsgericht erzielte Interpretationsergebnis im Einzelfall zu korrigieren wäre (RS0118891 [T5]). Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Feststellungen seien mit Blick auf die Angaben der in der konkreten Sache tätig gewordenen Mitarbeiter des Standesamts sowie des KJHT – auf die das Erstgericht die Feststellungen (unter anderem) gestützt hat – insgesamt dahin zu verstehen, dass die Anmeldung von C* nach § 12 PStG erfolgte, ist jedenfalls vertretbar.

[18] Es liegt daher weder die daraus abgeleitete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens noch die behauptete Aktenwidrigkeit vor.

[19] 3.2. Im Übrigen beruht die Revision auf falschen Prämissen. Das Berufungsgericht ist nicht davon ausgegangen, dass die Personenstandsbehörde die Anmeldung von Kindern aus Anlass der Eintragung ihrer Geburt ohne Zutun der Eltern bzw amtswegig vorzunehmen habe. Es hat im Gegenteil auf den § 12 PStG zugrundeliegenden One Stop Shop Gedanken (ErläutRV 1907 BlgNR 24. GP 8; 10 ObS 19/19w ErwGr 4.2) verwiesen und betont, dass (demnach) auch bei der Anmeldung im Wege der Personenstandsbehörde (vom Meldepflichtigen) ein vollständig ausgefüllter Meldezettel vorzulegen ist. Die Entscheidung des Berufungsgerichts beruht vielmeh r auf der – in der Revision nicht beanstandeten – tatsächlichen Annahme, dass der Personenstandsbehörde zwar innerhalb der Frist des § 2 Abs 6 KBGG aF ein ausgefüllter Meldezettel vorlag, die Anmeldung jedoch bis zur Rechtskraft der Namensfestsetzung nicht „durchgeführt“ wurde, womit offensichtlich gemeint ist, dass die Personenstandsbehörde den in § 12 Abs 1 Satz 2 PStG vorgesehenen Änderungszugriff vorerst nicht vorgenommen hat. Der Argumentation der Beklagten liegt daher nicht jener Sachverhalt zugrunde, von dem das Berufungsgericht ausgegangen ist.

[20] 4. Da die Beklagte darüber hinaus weder die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts bekämpft, noch die vom Berufungsgericht als erheblich erachtete – in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs jedoch (implizit) schon beantwortete (vgl oben 2.2.) – Rechtsfrage anspricht, ist die Revision zurückzuweisen (RS0080388 [T1]).

[21] 5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a iVm Abs 2 ASGG. Die Klägerin hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RS0112296; RS0035979 [T16, T20]).

Rechtssätze
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