JudikaturJustiz10ObS79/94

10ObS79/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. Mai 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Steinbauer als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Raimund Zimmermann (Arbeitgeber) und Margarete Heidinger (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Mag.Nadja H*****, ***** vertreten durch Dr.Karl-Heinz Waysocher, Rechtsanwalt in Völkermarkt, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr.Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Waisenpension-Rückforderung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15.Dezember 1993, GZ 32 Rs 145/93-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 23.April 1993, GZ 12 Cgs 39/93z-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bilden weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 19.8.1967 geborenen Klägerin wurde mit Bescheid der beklagten Partei vom 4.12.1992 die ihr bisher gewährte Waisenpension mit Ablauf des Monates September 1992 entzogen und ihr die Rückzahlung des Überbezuges von S 16.723,50 auferlegt.

Diesen Bescheid bekämpft die klagende Partei mit dem Begehren, ihr die Waisenpension über den 3.9.1992 hinaus weiter zu gewähren. Die Klägerin habe auch im Wintersemester 1992/93 an der Universität Wien Sportwissenschaften studiert, weil dies ihrem zweiten Studienfach entspreche. Sie sei mit Schulbeginn 1992 zum Unterrichtspraktikum am Bundesgymnasium Mödling zugelassen, beziehe einen Ausbildungsbeitrag, stehe aber nach wie vor in Ausbildung, sodaß ihr die Waisenpension weiter gebühre. Die Höhe des Ausbildungsbeitrages sei nicht geeignet, die Selbsterhaltungsfähigkeit der Klägerin herbeizuführen.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Der Ausbildungsbeitrag von netto S 7.396,70 monatlich übersteige den Richtsatz für doppelt verwaiste Kinder gemäß § 293 ASVG im Jahr 1992 von S 6.500 bei weitem, sodaß eine die Kindeseigenschaft verlängernde Berufsausbildung im Sinn des § 252 Abs. 2 Z 1 ASVG nicht vorliege.

Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin die Waisenpension über den 3.9.1992 hinaus weiter zu gewähren und wies den Antrag der beklagten Partei, der Klägerin den Überbezug von S 16.723,50 zum Rückersatz aufzuerlegen, ab.

Das Erstgericht stellte fest, daß die Klägerin seit dem Tod ihres Vaters am 3.4.1988 eine Waisenpension bezogen habe. Sie habe sich einer universitären Ausbildung unterzogen und ihr Erststudium, das Lehramt aus Leibesübungen und Geographie mit Sponsion im Oktober 1992 abgeschlossen. Noch im Sommersemester 1992 habe sie die Studienrichtung Sportwissenschaft/Sportmanagement inskribiert und ihr Zweitstudium begonnen. Im September 1992 habe die Klägerin ein einjähriges Unterrichtspraktikum am Bundesgymnasium Mödling angetreten, wofür sie einen monatlichen Ausbildungsbetrag von S 7.396,70 beziehe. Zusätzlich zu den normalen Lebenshaltungskosten seien der Klägerin noch Aufwendungen in der Gesamthöhe von S 3.500 monatlich für Sportartikelbedarf, die täglichen Verpflegungs- und Anreisekosten und Kosten für die Beschaffung von notwendiger Fachliteratur entstanden. Mit Schreiben vom 10.11.1992 habe die Klägerin die Beklagte von der Beendigung ihres Erststudiums und ihrer Zulassung zum Unterrichtspraktikum informiert.

Rechtlich sei der Ausbildungsbeitrag während des Unterrichtspraktikums, ähnlich wie die Lehrlingsentschädigung, als eine arbeitsrechtliche Entlohnung zu qualifizieren. Zur Ermittlung der Selbsterhaltungsfähigkeit müsse von diesem Betrag jener finanzielle Aufwand in Abzug gebracht werden, der dem Praktikanten zur erfolgreichen Absolvierung der Unterrichtspraxis notwendigerweise entstehe. So könne eine angehende Sportlehrerin im Gegenstand Leibesübungen kaum ohne die erforderlichen persönlichen Sportausrüstungen erfolgreich ihre Unterrichtspraxis absolvieren. Würden vom Ausbildungsbeitrag die Aufwendungen von S 3.500 abgezogen, verbliebe ein Restbetrag von S 3.896,70, der unter dem Richtsatz des § 283 ASVG liege. Mangels Selbsterhaltungsfähigkeit würde die Kindeseigenschaft im Sinne des § 252 ASVG verlängert.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei keine Folge. Es trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bei.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern und festzustellen, daß die klagende Partei den Überbezug zurückzubezahlen habe; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei stellt den Antrag, der Revision der beklagten Partei keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Gemäß § 252 Abs. 2 Z 1 ASVG in der hier anzuwendenden vor der 44. ASVG-Novelle geltenden Fassung (Art VI Abs. 13 SozRÄG 1988, BGBl 1987/609) besteht auch nach Vollendung des 18.Lebensjahres die Kindeseigenschaft weiter, solange sich das Kind in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26.Lebensjahres (SSV-NF 3/59, 5/89, 6/36).

Das Tatbestandsmerkmal einer die Kindeseigenschaft verlängernden Berufsausbildung im Sinne des § 252 Abs. 2 Z 1 ASVG ist nur dann gegeben, wenn im Rahmen der (wie im vorliegenden Fall) die Arbeitskraft überwiegend beanspruchenden Ausbildung kein oder nur ein geringes, die Selbsterhaltungsfähigkeit nicht sicherndes Entgelt bezogen wird (SSV-NF 2/35, 4/39, 5/56). Bezieht jemand, der für einen Beruf ausgebildet wird, als Gegenleistung dafür, daß er sich der Ausbildung unterzieht, eine die Selbsterhaltungsfähigkeit sichernde Gegenleistung, sind die Voraussetzungen des § 252 Abs. 2 Z 1 ASVG nicht gegeben (SSV-NF 5/56).

Der Unterrichtspratikant gemäß dem Unterrichtspraktikumsgesetz (UPG, BGBl 1988/41) absolviert vor dem Eingehen eines Dienstverhältnisses nach Beendigung der wissenschaftlichen Ausbildung an der Universität und Erwerbung des Diplomgrades ein einjähriges, der Vollversicherung nach dem ASVG unterliegendes Unterrichtspraktikum, welches der Einführung in das praktische Lehramt dient. Er hat einen Rechtsanspruch auf den gemäß § 14 leg.cit. vierzehnmal jährlich auszuzahlenden monatlichen Ausbildungsbeitrag. Das UPG entspricht in seinen wesentlichen Bedingungen und Zielsetzungen dem Rechtspraktikantengesetz. Die Rechtsstellung des Unterrichtspraktikanten ist daher ähnlich dem eines Rechtspraktikanten (RV 461 BlgNR XVII.GP 11).

Der Ausbildungsbeitrag ist daher wie beim Rechtspraktikanten sozialversicherungsrechtlich als Erwerbseinkommen einzustufen (vgl SSV-NF 4/9). Da die Auszahlung vierzehnmal jährlich erfolgt, für jedes Kalendervierteljahr eine Sonderzahlung in der Höhe von 50 von 100 des für den Monat der Auszahlung zustehenden Ausbildungsbeitrages erfolgt, bilden auch diese Sonderzahlungen Einkommen (ÖA 1992, 86), das das durchschnittliche monatliche Einkommen entsprechend erhöht, weil diese Sonderzahlung für das Vierteljahr gebührt und sich daher auf den gesamten Zeitraum erstreckt.

Der Ausbildungsbeitrag sichert die Selbsterhaltungsfähigkeit wie jedes andere Erwerbseinkommen aus einer Berufstätigkeit, die nicht als Ausbildungsverhältnis deklariert ist (SSV-NF 4/9), soferne er nicht als Ausgleich für einen ausbildungs- oder berufsbedingten Mehraufwand dient (JBl 1991/41; ÖA 1991, 53; EFSlg 62.652 ff, 65.839; 2 Ob 525/92), gleich ob es sich dabei um Kosten der Berufsausübung oder Berufsausbildung handelt (EFSlg 62.652; 2 Ob 525/92).

Für das Ausgleichszulagenrecht gilt, daß steuerliche Sonderausgaben, Werbungskosten etc keine Abzugsposten sind, zumal sie schon bei der Bemessung der abzuziehenden Steuern Berücksichtigung gefunden haben (Germann-Rudolf-Teschner-Fürböck ASVG 52.ErgLfg 1412, 1417). Als abzugsfähiger Mehraufwand kann demnach nur anerkannt werden, was nicht schon bei Bemessung der Abzüge Berücksichtigung gefunden hat der Berücksichtigung hätte finden müssen.

Die Klägerin behauptete folgende monatliche Aufwendungen: a) Fahrtkosten S 600, weil sie über die Zone 1 nach Mödling fahren muß,

b) Fachliteratur S 400; c) auswärtiges Mittagessen S 500, d) zusätzlicher Bekleidungsaufwand samt Sportartikel S 2.000. Das Erstgericht stellte einen monatlichen Pauschalbetrag von S 3.500 als berufsbedingten Mehraufwand fest.

Fahrtkosten von und zur Arbeitsstätte sind grundsätzlich berufsbedingter Mehraufwand, weil die Fahrt beruflich veranlaßt ist (Quantschnigg-Schuch, Einkommensteuer-Handbuch 636; 2 Ob 525/92). Es ist aber zu berücksichtigen, daß diese Kosten grundsätzlich durch den Verkehrsabsetzbetrag und das Pendlerpauschale abgegolten sind (Quantschnigg aaO 636).

Fachliteratur mit einem konkreten inhaltlichen Bezug zur beruflichen Tätigkeit ist berufsbedingter Aufwand, die von der Ausbildungsstelle nicht zur Verfügung gestellt werden kann. Ausgaben des täglichen Lebens, wie für das Mittagessen, das in der Regel bei jedem Berufsausübenden auswärts eingenommen wird, sind nicht abzugsfähig, weil sie nicht berufsbedingt sind, sondern jedermann unabhängig von der Berufstätigkeit treffen (RZ 1991/70, EfSlg 65.408, 6 Ob 628/91).

Der Bekleidungsaufwand ist grundsätzlich nicht berufsbedingt, wenn es sich um Kleidung handelt, die auch außerhalb der Arbeitszeit getragen werden kann und zwar auch dann nicht, wenn sie tatsächlich nur während der Arbeitszeit getragen wird oder wenn die Berufsausübung dauernde laufend erhöhte Kleiderabnützung mit sich bringt. Anders liegt der Fall, wenn es sich um typische Berufskleidung handelt (Arbeitsmäntel, Uniformen etc) (Quantschnigg aaO 644). Sportartikel können nur ausnahmsweise einen Abzugsposten bilden, wenn sie ausschließlich oder nahezu ausschließlich im Rahmen einer speziellen Sportlehrerausbildung in dem Fach, für das der Sportartikel typisch ist, genützt werden, nicht jedoch wenn es sich ganz allgemein um Sportartikel oder Turnbekleidung eines Turnprofessors handelt (Quantschnigg aaO 648 mwN).

Aus den dargelegten Erwägungen folgt, daß der berufsbedingte Mehraufwand das Ergebnis der rechtlichen Beurteilung der einzelnen konkreten Aufwendungen ist, weshalb die bloße Feststellung des Pauschalbetrages, wie sie vom Erstgericht vorgenommen wurde, nicht ausreicht. Dies hat zur Folge, daß die Urteile der Vorinstanzen zur Vervollständigung der Entscheidungsgrundlagen aufzuheben sind. Im fortzusetzenden Verfahren werden daher die auf die einzelnen Monate tatsächlich entfallenden nachgewiesenen Mehraufwendungen, die unter der Voraussetzung einer Steuerpflicht der Klägerin steuerlich nicht berücksichtigt werden können, im einzelnen festzustellen sein. Erst dann wird verläßlich beurteilt werden können, ob das verbleibende Nettoeinkommen die Selbsterhaltungsfähigkeit sichert. Sie liegt bei der Klägerin vor, wenn in der Ausbildung ein Bezug in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes (1992: S 6.500; 1993: S 7.000 nach § 293 Abs. 1 lit c, bb ASVG als Existenzminimum im Bereich der Sozialversicherung erzielt wird (SSV-NF 4/39, 5/56; RZ 1992/3; 2 Ob 525/92, 3 Ob 520/92, 7 Ob 506/93 ua).

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.

Rechtssätze
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