JudikaturJustiz10ObS109/14y

10ObS109/14y – OGH Entscheidung

Entscheidung
25. November 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Werner Rodlauer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Horst Nurschinger (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei mj E*****, geboren am *****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer RAe OG in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Waisenpension, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 4. Juni 2013, GZ 25 Rs 23/14i 11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Arbeits und Sozialgericht vom 7. November 2013, GZ 44 Cgs 229/13b 6, teils als nichtig aufgehoben und teils bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung 1. den Beschluss gefasst und 2. zu Recht erkannt:

Spruch

1. Die Parteienbezeichnung der klagenden Partei wird auf „mj E*****, geboren am *****, vertreten durch die Mutter N***** als gesetzliche Vertreterin“ berichtigt.

2. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat ihre Revisionskosten selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am ***** geborene, in Österreich wohnhafte E***** ist das Kind des am 20. 4. 2013 verstorbenen spanischen Staatsbürgers J*****. Unstrittig ist, dass der Verstorbene in Österreich keine Versicherungsmonate erworben hat. Wie sich aus dem Versicherungsakt ergibt, ist das Kind österreichischer Staatsbürger.

Am 14. 5. 2013 stellte die Mutter des Kindes als dessen gesetzliche Vertreterin bei der Landesstelle Tirol der beklagten Pensionsversicherungsanstalt den Antrag auf Zuerkennung der Waisenpension.

Die beklagte Partei lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 10. 6. 2013 mit der Begründung ab, dass der Vater keine in die österreichische Versicherungslast fallenden Versicherungsmonate erworben habe.

Gegen diesen Bescheid erhob die Mutter des Kindes (als dessen gesetzliche Vertreterin) am 26. 8. 2013 Klage und begehrte die beklagte Partei schuldig zu erkennen, 1. die Waisenpension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, 2. „jedenfalls“ den Antrag an den zuständigen Versicherungsträger in Spanien weiterzuleiten und so ihrer Koordinierungspflicht nachzukommen und 3. eine vorläufige Leistung iSd Art 6 ff VO (EG) Nr 987/2009 zu erbringen. Wenngleich in Österreich keine Versicherungsmonate vorlägen, habe der Vater in Spanien ausreichend Versicherungsmonate einer Erwerbstätigkeit erworben. Nach der Trennung sei der Umzug nach Österreich erfolgt, wo der mit dem Kind gemeinsame Hauptwohnsitz begründet worden sei. Aus den Art 67 und 68 der VO (EG) 883/2004 ginge hervor, es sei Familienangehörigen, die sich in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union begeben hätten, nicht zumutbar, zwecks Erlangung von Familienleistungen ein Verfahren in diesem anderen Mitgliedstaat zu führen, obwohl dort nicht ihr Wohnsitz gelegen sei. Die beklagte Partei sei daher verpflichtet, den Antrag zu bearbeiten und an den zuständigen Träger weiterzuleiten. Es wäre der in Österreich geltende Richtsatz der Ausgleichszulage gemäß § 293 Abs 1 lit a bb ASVG auf die Waisenpension anzuwenden. Es werde auch ausdrücklich die Zuerkennung von vorläufigen Leistungen nach Art 6 ff der VO (EG) Nr 987/2009 beantragt.

Die beklagte Partei bestritt das auf Zuerkennung einer Waisenpension gerichtete Klagebegehren. Eine (österreichische) Waisenpension stehe nicht zu, weil der Verstorbene in Österreich keinen einzigen Versicherungsmonat erworben habe. Im Übrigen sei bereits vor Klageerhebung eine Verständigung des spanischen Versicherungsträgers erfolgt und das Verfahren in Spanien eingeleitet worden. Eine Mitteilung bzw ein Bescheid des spanischen Versicherungsträgers sei bisher noch nicht ergangen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren zur Gänze ab (das Klagebegehren auf Zuspruch der Waisenpension sowie auf Weiterleitung an den spanischen Versicherungsträger wurde in Form eines Urteils abgewiesen, der Antrag auf vorläufige Leistung in Form eines Beschlusses). Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, eine Zusammenrechnung komme nicht in Betracht, da in Österreich keine Versicherungszeiten vorlägen. Art 6 der VO (EG) Nr 987/2009 regle nur die vorläufige Gewährung von Leistungen unter der Voraussetzung, dass zwischen den Trägern oder Behörden zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten eine Meinungsverschiedenheit darüber bestehe, welche Rechtsvorschriften anzuwenden seien. Eine derartige Streitigkeit habe es im vorliegenden Fall nicht gegeben.

Das Berufungsgericht erklärte aus Anlass der Berufung des Klägers das Verfahren über die Klage auf Weiterleitung des Antrags an den spanischen Versicherungsträger für nichtig, wies die Klage insoweit zurück und verwarf die Berufung wegen Nichtigkeit (Spruchpunkt I). Im Übrigen gab es der Berufung keine Folge und bestätigte die Abweisung des Antrags auf Zuerkennung einer vorläufigen Leistung mit der Maßgabe, dass dieser Antrag statt mit Beschluss mit Urteil abgewiesen werde (Spruchpunkt II). Rechtlich ging es soweit für das Revisionsverfahren noch relevant davon aus, es sei zwischen Hinterbliebenen und Familienleistungen zu differenzieren. Die Waisenpension stelle eine Hinterbliebenenleistung dar. Die in der Klage angesprochenen Art 67, 68 der VO (EG) Nr 883/2004 beträfen aber ausschließlich Familienleistungen, weshalb diesen Bestimmungen keine Relevanz zukomme. Hinterbliebenenleistungen seien in den Art 50 60 der VO (EG) Nr 883/2004 geregelt. Es greife die Ausschlussklausel des Art 57 Abs 1 der VO (EG) Nr 883/2004 ein, nach der auch unter Bedachtnahme auf die VO keine Leistungspflicht der beklagten Partei gegeben sei. Auch der Anspruch auf vorläufige Leistung bestehe nicht, weil Art 6 Abs 2 der VO (EG) Nr 987/2009 voraussetze, dass ein Meinungsstreit zwischen einem oder mehreren Mitgliedstaaten über die Leistungspflicht hinsichtlich einer dem Grunde nach zustehenden Leistung bestehe. Mangels in Österreich erworbener Versicherungszeiten bestehe aber kein Anspruch auf Waisenpension.

Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil keine erhebliche Rechtsfrage iSd §§ 2 Abs 1 ASGG, 502 Abs 1 ZPO zu klären war.

Nur gegen Spruchpunkt II des Berufungsurteils richtet sich die außerordentliche Revision des Klägers.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil zur Frage, ob für die Erfüllung der Wartezeit für eine Waisenrente eine Zusammenrechnung nach Art 6 der VO (EG) Nr 883/2004 auch stattzufinden hat, wenn in Österreich kein einziger Versicherungsmonat erworben wurde, keine Rechtsprechung vorliegt; die Revision ist aber (im Ergebnis) nicht berechtigt.

Der Revisionswerber macht geltend, gemäß Art 6 der VO (EG) Nr 883/2004 wären die von seinem verstorbenen Vater in Spanien erworbenen Versicherungszeiten wie österreichische Versicherungszeiten zu behandeln, sodass die Waisenpension nach dem österreichischen ASVG zuzuerkennen gewesen wäre. Art 57 der VO (EG) Nr 883/2004 enthalte keine Zuständigkeitsregel, sondern normiere nur, dass keine Leistungen für nationale Zeiten von weniger als einem Jahr gewährt werden müssten. Hätten die Vorinstanzen eine entsprechende Auskunft des spanischen Versicherungsträgers eingeholt, hätten sie in Erfahrung gebracht, dass der verstorbene Vater 13 Jahre an Versicherungszeiten in Spanien erworben hat, wodurch die Anspruchsvoraussetzungen für eine Waisenpension bei angenommenem Erwerb österreichischer Zeiten in diesem Umfang jedenfalls erfüllt wären. Aus dem Gleichbehandlungsgebot resultiere weiters, dass auch der Richtsatz der Ausgleichszulage gemäß § 293 Abs 1 lit a bb ASVG auf die Waisenpension anzuwenden wäre. Der Antrag auf Zuerkennung von vorläufigen Leistungen werde aufrecht erhalten.

Die beklagte Partei hat keine Revisionsbeantwortung erstattet, obwohl ihr diese freigestellt worden war.

1. Zur Berichtigung der Parteienbezeichnung:

Der am ***** geborene E***** war zum Zeitpunkt der Erhebung der Klage noch unmündig minderjährig (§ 21 Abs 2 ABGB); derzeit ist er minderjährig. Auch ein mündig minderjähriges Kind ist im Leistungsverfahren betreffend eine Rentenleistung aber nicht prozessfähig (RIS Justiz RS0111333); es bedarf daher der Vertretung durch seine Mutter. Obwohl sich aus der Klageerzählung eindeutig ergibt, dass die Mutter die Klage nicht im eigenen Namen, sondern als gesetzliche Vertreterin ihres Sohnes erhebt, wird sie dennoch als „Erstklägerin“ und das Kind als „Zweitkläger“ bezeichnet. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass auch das Rechtsmittelgericht eine unrichtige und fehlerhafte Parteienbezeichnung von Amts wegen zu berichtigen hat (RIS Justiz RS0039666). Die Richtigstellung der Parteienbezeichnung findet nur dort ihre Grenze, wo es sich um den Mangel der Sachlegitimation handelt; dieser kann nicht im Wege der Berichtigung beseitigt werden (RIS Justiz RS0035266, RS0039562). Da sich aus dem Klagsvorbringen eindeutig und klar ergibt, dass die Mutter nur „als gesetzliche Vertreterin“ tätig wird, ohne eigene Ansprüche zu erheben und nur die Parteienbezeichnung als „Erstklägerin“ und „Zweitkläger“ unrichtig gewählt wurde, war die Parteienbezeichnung wie aus dem Spruch ersichtlich zu berichtigen.

2.1 Anspruch auf Waisenpension haben nach dem Tod des (der) Versicherten die Kinder iSd § 252 Abs 1 Z 1 bis 4 und Abs 2 ASVG, wenn die Wartezeit durch zu berücksichtigende Versicherungsmonate erfüllt ist (§ 222 Abs 1 Z 3 lit a iVm § 235 Abs 1 und 2 ASVG). Diese sekundäre Leistungsvoraussetzung soll sicherstellen, dass nur solche Leistungswerber in den Genuss von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehören und durch ihre Beiträge zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben (RIS Justiz RS0084485, RS0106536).

2.2.1 Auch Hinterbliebene bzw Leistungen an Hinterbliebene fallen in den persönlichen bzw sachlichen Anwendungsbereich der VO (EG) Nr 883/2004 (Art 2 Abs 1 und 2; Art 3 Abs 1 lit e), deren Zweck in der Koordinierung der nationalen Systeme der sozialen Sicherheit als Teil des freien Personenverkehrs liegt (Erwägungsgrund 1).

2.2.2 Art 5 der VO (EG) Nr 883/2004 enthält den Grundsatz der Gleichstellung von Leistungen und Einkünften (Abs 1) sowie von (sonstigen) Sachverhalten oder Ereignissen (Abs 2).

2.2.3 Die „Sachverhaltsgleichstellung“ nach Art 5 der VO (EG) Nr 883/2004 darf aber nicht mit dem in Art 6 dieser VO verankerten Grundsatz der Zusammenrechnung von Versicherungszeiten verwechselt werden (Erwägungsgrund 10):

Um die materiell rechtliche Gleichstellung von Personen zu erreichen, die die Freizügigkeit wahrgenommen haben, regelt Art 6 („Zusammenrechnung der Zeiten“) als tragender Grundsatz der Koordination die Berücksichtigung von fremdmitgliedstaatlichen Versicherungs-, Beschäftigungs- oder Wohnzeiten, soweit die nach nationalem Recht anzurechnenden Versicherungszeiten für die Erfüllung der jeweiligen innerstaatlichen Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichen ( Schuler in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 Art 6 VO (EG) Nr 883/2004 Rz 2 f). Der zuständige Träger hat dabei die fremden Zeiten so zu behandeln, als ob sie nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden wären. Maßgebend für das Ob und den Umfang der Berücksichtigung mitgliedstaatlicher Zeiten ist das Pensionsrecht jenes Mitgliedstaates, unter dessen Geltung die Zeiten zurückgelegt wurden. Der danach zuständige Träger entscheidet hierüber grundsätzlich verbindlich und einheitlich für alle Mitgliedstaaten, das heißt mit Tatbestandswirkung (stRsp; RIS Justiz RS0113189 [T1 bis T4]);

2.3 Fraglich ist, ob eine Zusammenrechnung nach Art 6 der VO (EG) Nr 883/2004 voraussetzt, dass in Österreich mindestens eine Versicherungszeit zurückgelegt wurde („1+x“). Der Revisionswerber vertritt dazu den Standpunkt, die beklagte Partei sei verpflichtet, Leistungsansprüche oder den Zugang zum eigenen System, auch ohne österreichische Versicherungszeiten nur aufgrund der in einem anderen Mitgliedstaat (in Spanien) zurückgelegten Versicherungszeiten zu prüfen („0+x“) und allenfalls Leistungen zu gewähren (siehe Spiegel in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht 2 Art 6 VO (EG) Nr 883/2004 Rz 12).

2.4 Der Europäische Gerichtshof befasste sich mit dieser Frage in der Entscheidung vom 15. 12 .2011, C 257/10 ( Bergström ) . Der Entscheidung lag ein bei einem schwedischen Sozialversicherungsträger gestellter Antrag auf Elterngeld in Höhe des Krankengeldes (somit ein Antrag auf eine Familienleistung) zugrunde, welcher Anspruch nach schwedischem Recht ua einen Wohnsitz in Schweden und den Nachweis einer Zeit der Erwerbstätigkeit in den 240 Tagen vor der Entbindung voraussetzt. Die zum Zeitpunkt der Antragstellung (wieder) in Schweden wohnhafte Antragstellerin hatte die gesamte Anwartschaftszeit aber nicht durch Erwerbstätigkeit in Schweden, sondern vollständig im Hoheitsgebiet der Schweizerischen Eidgenossenschaft zurückgelegt. Der Europäische Gerichtshof ging davon aus, das Wort „Zusammenrechnung“ in Art 72 der VO Nr 1408/71 („Zusammenrechnung der Versicherungs oder Beschäftigungszeiten oder Zeiten einer selbstständigen Tätigkeit“) in Kapitel 7 („Familienleistungen“) setze nicht logischerweise mindestens zwei in verschiedenen Mitgliedstaaten zurückgelegte Zeiten der Erwerbstätigkeit voraus. Der zuständige Träger eines Mitgliedstaates könne nicht verlangen, dass neben einer in einem anderen Staat (hier der Schweiz) zurückgelegten Beschäftigungs oder Erwerbstätigkeitszeit eine weitere Versicherungszeit in seinem Hoheitsgebiet zurückgelegt worden sein muss (Rz 44). Aufgrund des Freizügigkeitsabkommens mit der Schweiz seien die dort zurückgelegten Versicherungszeiten ebenso wie nationale Versicherungszeiten für den Anspruch auf Elterngeld zu berücksichtigen.

2.5.1 Spiegel in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht 2 Art 6 VO Nr (EG)883/2004 Rz 12 legt dar, dass auch nach Diskussionen in der Verwaltungskommission zu dieser Frage eine entsprechende Beschlussfassung nicht gelungen sei. Man müsste eigentlich zur Auffassung gelangen, dass Art 6 der VO (EG) Nr 883/2004 als allgemeinen Grundsatz die „0+x“ Theorie umsetze, wenn man Art 14 Abs 4 und Art 61 als Sonderregelungen ansehe, die der „1+x“ Theorie entsprechen. Nur so sei auch der Anhang XI ÖSTERREICH Nr 3 zu verstehen, wonach beim Entstehen von Ersatzzeiten aufgrund von Art 6 der VO (EG) Nr 883/2004 ausschließlich aufgrund ausländischer Versicherungszeiten die Bemessungsgrundlage für Zeiten der Kindererziehung heranzuziehen ist, da nach nationalem österreichischen Recht keine Bemessungsgrundlage gebildet werden kann (also „0+x“). Nunmehr habe der Europäische Gerichtshof allerdings in der Entscheidung Bergström zum schwedischen Erziehungsgeld ganz eindeutig die „0+x“ Theorie vertreten.

2.5.2 Eichenhofer , Sozialrecht der Europäischen Union 5 [2013] Rz 212 vertritt die Meinung, „Zusammenrechnung“ verlange, dass der Versicherte in mehreren Mitgliedstaaten Versicherungszeiten zurückgelegt habe. Das EU Recht könne vorsehen, dass diese Zeiten eine besondere rechtliche Qualität haben. Eine Zusammenrechnung komme danach nicht in Betracht, falls die Versicherungszeiten die im EU Recht festgelegte Mindestdauer von 12 Monaten nicht überschreiten (vgl Art 57 VO (EG) Nr 883/2004).

2.5.3 Hauschild in Eichenhofer ua EU Sozialrecht, Kommentar Art 6 VO Nr 883/2004 Rz 26 befasst sich mit den Auswirkungen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in derRechtssache Bergström auf die deutsche Rentenversicherung . Er geht davon aus, dass diese Entscheidung innerhalb der deutschen Rentenversicherung keine praktische Relevanz entfalte, weil für den Bereich der Rentenansprüche nach dem deutschen SGB VI darauf abgestellt werde, dass nur „Versicherte“ einen Anspruch auf Rente erwerben können, welche Eigenschaft zumindest einen Pflicht oder freiwilligen Beitrag zur deutschen gesetzlichen Rentenversicherung voraussetze.

2.6.1 Nach Ansicht des erkennenden Senats besteht auch nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshof C 257/10 ( Bergström ) für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf (österreichische) Waisenpension aufgrund der (ausschließlich) in Spanien erworbenen Versicherungszeiten keine Grundlage:

Art 6 der VO (EG) Nr 883/2004 ordnet an, dass der zuständige Träger eines Mitgliedstaates bei Vorliegen der genannten Voraussetzungen zur Zusammenrechnung der Zeiten verpflichtet ist. Der beklagten Partei kommt aber die Eigenschaft des „zuständigen Trägers“ nicht zu:

Nach Art 1 lit q) der VO (EG) Nr 883/2004 ist „zuständiger Träger“ der Träger, bei dem die betreffende Person zum Zeitpunkt der Stellung des Antrags auf Leistung versichert ist (Art 1 lit q) i) oder der Träger, gegenüber dem die betreffende Person einen Anspruch auf Leistungen hat oder hätte, wenn sie selbst oder ihr Familienangehöriger bzw ihre Familienangehörigen in dem Mitgliedstaat wohnen würden, in dem dieser Träger seinen Sitz hat (Art 1 lit q) ii) oder der von der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaates bezeichnete Träger (Art 1 lit q) iii). Es wird als „zuständiger Träger“ somit jeder Träger bestimmt, der dem Berechtigten gegenüber im Zeitpunkt des Antrags auf Leistungen aufgrund des Rechts des jeweiligen Mitgliedstaates verpflichtet ist. Es ist dies die Behörde oder Einrichtung des zuständigen Staates, bei dem eine aktuelle Versicherung besteht oder der gegenüber dem Berechtigten zur Erbringung von Leistungen verpflichtet ist ( Spiegel in Fuchs , Europäisches Sozialrecht, VO (EG) Nr 883/2004, Art 1 Rz 31).

2.6.2 Da die VO (EG) Nr 883/2004 in nationale Regeln zur Koordinierung von Trägern und Systemen innerhalb eines Mitgliedstaates nicht eingreifen darf, erfolgt die Bestimmung des zuständigen Trägers ausschließlich unter Berücksichtigung der in diesem Mitgliedstaat zurückgelegten Versicherungszeiten (Art 53 Abs 1 VO (EG) Nr 987/2009; Pöltl in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht 2 Art 53 VO (EG) Nr 987/2009 Rz 1 f). Dies entspricht dem Grundsatz, dass der Regelungsbereich des EU Rechts im Bereich des Sozialrechts grundsätzlich nicht auf die innerstaatlichen Regelungen der einzelnen Sozialversicherungssysteme einwirkt und sozialrechtliche Regelungen grundsätzlich das heißt unter Beachtung des Gebots der Gleichbehandlung unter den EU Bürgern in der Regelungsmacht der einzelnen Mitgliedstaaten bleiben.

2.6.3 Nach österreichischem Recht (§ 246 ASVG) obliegt die Feststellung und Gewährung der Leistung dem Versicherungsträger des Zweiges der Pensionsversicherung, dem der Versicherte nach § 245 ASVG leistungszugehörig ist. Der Vater des Klägers hat aber in Österreich keine Versicherungszeiten erworben, sodass er keinem Zweig der Pensionsversicherung leistungszugehörig war; für ihn galten zu keinem Zeitpunkt die österreichischen Rechtsvorschriften. Sind aber die vom Vater des Klägers in Spanien zurückgelegten Versicherungszeiten bei Ermittlung des leistungszuständigen Trägers nicht zu berücksichtigen, ist weder die beklagte Partei noch ein anderer österreichischer Träger oder eine österreichische Behörde als „zuständiger Träger“ iSd Art 6 VO (EG) Nr 883/2004 anzusehen, sodass keine Verpflichtung zur Zusammenrechnung nach Art 6 der VO (EG) Nr 883/2004 besteht.

3. Art 57 Abs 1 der VO (EG) Nr 883/2004 sieht zwecks Vermeidung von „Zwergleistungen“ vor, dass der Träger eines Mitgliedstaats nicht verpflichtet ist, Leistungen für die Zeiten zu gewähren, die nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden und diese bei Eintritt des Versicherungsfalls zu berücksichtigen, wenn die Dauer dieser Zeiten weniger als ein Jahr beträgt, sofern nicht bereits allein aufgrund dieser Zeiten ein Anspruch besteht. Damit die vom zuständigen Träger nicht berücksichtigten Zeiten nicht verloren gehen, ordnet Abs 2 des Art 57 an, dass die entsprechenden Zeiten von den übrigen Mitgliedstaaten im Rahmen der Pro-Rata-Berechnung zwar bei der Berechnung des theoretischen Betrags, nicht aber bei der Kürzung im Zeitenverhältnis berücksichtigt werden (Art 52 Abs 1 lit b). Art 57 geht also davon aus, dass der Träger des Mitgliedstaats, in dem die Zeiten in weniger als der Dauer eines Jahres nach den für diesen Staat geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt wurden, an sich der zuständige Träger iSd des Art 1 lit q der VO (EG) Nr 883/2004 ist, aber zur Zusammenrechnung nach den Art 6 und 51 nicht verpflichtet ist. Demgegenüber ist die beklagte Partei mangels Vorliegens auch nur eines einzigen österreichischen Versicherungsmonats nicht als zuständiger Träger anzusehen (siehe oben Pkt 2.6.3). Wollte man dennoch (fiktiv) davon ausgehen, dass sie zuständiger Träger iSd Art 1 lit q der VO (EG) Nr 883/2004 wäre, wäre jedenfalls kein Leistungsanspruch gegeben.

4. Die Modalitäten der Bearbeitung der Anträge durch die beteiligten Träger sind auch für Hinterbliebenenleistungen in Art 47 der VO (EG) Nr 987/2009 geregelt. Der Kläger hat die Möglichkeit wahrgenommen, seinen Antrag auf Waisenpension bei der beklagten Partei als Wohnortträger zu stellen, obwohl sein Vater niemals Versicherungszeiten in Österreich erworben hatte. Der Wohnortträger hat in diesem Fall den Antrag an jenen Träger in einem anderen Mitgliedstaat weiterzuleiten, bei dem zuletzt Versicherungszeiten erworben wurden und dem dann die Rolle des sogenannten „Kontakt Trägers“ zukommt (Art 45 Abs 4 zweiter Satz VO (EG) Nr 987/2009; Pöltl in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht 2 Art 47 VO (EG) Nr 987/2009 Rz 5). Zum zwischenstaatlichen Pensionsverfahren legt Art 50 Abs 1 VO (EG) 883/2004 nämlich fest, dass durch Stellen eines einzigen Leistungsantrags das Rentenfeststellungsverfahren durch die zuständigen Rentenversicherungsträger in allen Mitgliedstaaten, in denen Zeiten zurückgelegt worden sind, in Gang gesetzt wird. Allerdings soll der Antrag beim Träger des Wohnortes (auch wenn dort keine Versicherungszeiten erworben wurden) oder dem Versicherungsträger des Mitgliedstaates gestellt werden, der zuletzt für die Versicherung zuständig war (Art 45 Abs 4 Satz 1 VO (EG) Nr 987/2009).

Die beklagte Partei hatte als Träger des Wohnorts den Rentenantrag somit an den zuletzt zuständigen spanischen Träger als „Kontakt Träger“ weiterzuleiten (Art 45 Abs 4 Satz 2 der VO (EG) Nr 987/2009), welchem Auftrag sie entsprochen hat.

5. Wie sich aus der Aktenlage (ON 10a) ergibt, ist am 20. 2. 2014 (somit nach Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz im vorliegenden Verfahren) eine Entscheidung des spanischen Versicherungsträgers über den Antrag auf Waisenrente bereits erfolgt. Der Antrag wurde laut Art 175.1 des Allgemeinen Gesetzes der Sozialversicherung mangels einer Anmeldung zum Zeitpunkt des Todes und mangels eines Mindestzeitraums von 15 Jahren an Beitragszahlungen abgelehnt.

6. Zur vorläufigen Leistung:

Nach dem vom Kläger für sich ins Treffen geführten Art 6 Abs 2 der VO (EG) Nr 987/2009 besteht ein Anspruch auf vorläufige Leistungen nach den vom Träger des Wohnorts anzuwendenden Rechtsvorschriften, wenn zwischen den Trägern oder Behörden zweier oder mehrerer Mitgliedstaaten eine Meinungsverschiedenheit darüber besteht, welcher Träger die Geld oder Sachleistungen zu gewähren hat, so wie wenn es diese Meinungsverschiedenheiten nicht gäbe. Diese Vorschrift kommt aber nur dann zur Anwendung, wenn nicht spezielle Regelungen vorgesehen sind, wie zB Art 50 der VO (EG) Nr 987/2009 betreffend die vorläufige Berechnung von Renten, wenn noch nicht alle Berechnungsgrundlagen bekannt sind ( Spiegel in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht 2 Art 6, 7 VO (EG) Nr 987/2009 Rz 1). Nach Art 50 der VO (EG) Nr 987/2009 hat ein Träger, der bei der Bearbeitung eines Leistungsantrags feststellt, dass der Antragsteller nach den von ihm anzuwendenden Rechtsvorschriften Anspruch auf eine autonome Leistung nach Art 52 Abs 1 lit a der VO (EG) Nr 883/2004 hat, diese Leistung ungeachtet des Art 7 der VO (EG) Nr 883/2004 unverzüglich auszuzahlen. Die in Art 50 genannten Voraussetzungen liegen aber nicht vor, sodass ein Anspruch auf die Gewährung einer vorläufigen Leistung nicht gegeben ist.

7. Im Hinblick auf die in der VO (EG) Nr 883/2004 und der VO (EG) 987/2009 enthaltenen Regelungen zum zwischenstaatlichen Pensionsverfahren und zur Bearbeitung der Anträge besteht keine Veranlassung, der Anregung des Revisionswerbers auf Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens beim Europäischen Gerichtshof zu der Frage nachzukommen, ob Art 57 Abs 1 der VO (EG) Nr 883/2004 dahin auszulegen sei, dass ein für den Wohnsitz eines Kindes zuständiger nationaler Träger für die Waisenpension den Antrag ohne weitere Prüfung von Versicherungszeiten des verstorbenen Elternteils im anderen Mitgliedstaaten ablehnen darf, wenn der verstorbene Elternteil im Wohnsitzstaat des Kindes nicht mindestens ein Jahr Zeiten iSd Art 57 der VO (EG) Nr 883/2004 erworben hat.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG, weil keine berücksichtigungswürdigen Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Klägers, die den ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, dargetan wurden und solche auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich sind.

Rechtssätze
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