Spruch
I404 2316269-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Alexandra JUNKER über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. TÜRKEI, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Tirol, vom 06.06.2025, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.09.2025 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis V. wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und stellte am 16.08.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab er an, dass sie bereits seit 2008 Blutrache in der Familie hätten. Sie hätten mehrmals ihre Adressen geändert, dies habe nichts geholfen. Sie seien nicht sicher in der Türkei.
2. Am 24.03.2025 wurde der Beschwerdeführer niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) einvernommen. Hierbei gab er an, hinsichtlich seiner Fluchtgründe im Wesentlichen an, dass sein Onkel von der anderen Familie aufgrund der Blutrache erschossen worden sei und ihm auch Verfolgung durch diese Familie drohe.
3.Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid der belangten Behörde vom 06.06.2025 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.). sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Türkei (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich erteilte sie dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz (Spruchpunkt III.), erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Türkei zulässig ist (Spruchpunkt V.). Des Weiteren sprach die belangte Behörde aus, dass einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt wird (Spruchpunkt VI.) und bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.). Die belangte Behörde führte aus, dass der Beschwerdeführer
4. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 09.07.2025 von der BBU GmbH und in weiterer Folge auch mit einem Schriftsatz vom 11.07.2025 durch die Rechtsanwälte DELLASEGA, LECHNER KAPFERER rechtzeitig und zulässig Beschwerde erhoben. darin wurde zusammengefasst vorgebracht, dass die belangte Behörde nicht ermittelt habe, ob der Beschwerdeführer aufgrund seines Asylantragstellung im Ausland einer zusätzlichen Bedrohung ausgesetzt sei. Es sei auch nicht berücksichtigt worden, dass es in der Türkei keine Rechtssicherheit gebe und Grundrechte nicht beachtet werden würden. Die belangte Behörde habe es auch verabsäumt sich ausreichend mit dem Thema Vergeltung bzw. Blutrache in der Türkei zu befassen und verweist auf den Inhalt der SFH- Schweizerische Flüchtlingshilfe: Türkei: Blutfehden vom 20.04.2023 und eine Anfragebeantwortung zur Türkei: Blutrache innerhalb der kurdischen Minderheit wegen Grundstücksstreitigkeiten innerhalb einer Großfamilie. Diese Berichte würden die die Angaben des Beschwerdeführers belegen. Außerdem ergebe sich daraus, dass es enorme praktische Probleme gebe, Schutz des Staates zu erlangen. Blutrache werde als private Angelegenheit angesehen, in welche sich der Staat nicht einmische.
5. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 21.07.2025 vorgelegt.
6.Mit Teilerkenntnis vom 22.07.2025 zu I404 2316269-1/3Z wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. stattgegeben und dieser ersatzlos behoben.
7. Mit Schreiben vom 25.09.2025 wurde mitgeteilt, dass das Vollmachtverhältnis der Rechtsanwälte DELLASEGA, LECHNER KAPFERER aufgelöst worden sei.
8. Am 29.09.225 fand vor dem BVwG, Außenstelle Innsbruck, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt. An der Verhandlung nahmen der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung sowie eine Dolmetscherin für die türkische Sprache teil.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei, Angehöriger der Volksgruppe der Türken und bekennt sich zum islamischen Glauben. Seine Muttersprache ist Türkisch.
Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten, zudem ist er gesund und erwerbsfähig.
Die Eltern und 4 Schwestern des Beschwerdeführers leben nach wie vor in der Türkei, eine Schwester ist in Deutschland aufhältig. Eine Tante ist in Österreich aufhältig –gemeinsamer Haushalt?
Der Familie des Beschwerdeführers gehören zwei Häuser, in einem Haus wohnen derzeit seine Eltern mit einer Schwester, ein weiteres wird vermietet.
Der Beschwerdeführer steht mit seiner Familie in Kontakt.
Der Beschwerdeführer wurde in Mardin geboren und ist dort aufgewachsen. Er ist jedoch immer wieder im Sommer für mehrere Wochen nach Izmir zu Verwandten gefahren.
Er hat 12 Jahre die Schule besucht und dann von März 2021 bis September 2021 seinen Wehrdienst abgeleistet. Von September 2022 bis Juni 2023 hat er an der Universität in XXXX studiert. Neben der Schule und dem Studium hat er als Kellner und zuletzt auch bei einem Steuerberater gearbeitet.
Im August 2023 trat der Beschwerdeführer seine legale Ausreise nach Serbien an und reiste von dort schlepperunterstützt auf dem Landweg nach Österreich, wo er am 16.08.2023 den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er hält sich seitdem in Österreich auf. In Österreich lebt nur eine Tante des Beschwerdeführers, die er kaum kennt.
Der Beschwerdeführer hat keinen Sprachkurs besucht und verfügt nur über sehr einfache Deutschkenntnisse. Er hat soziale Kontakte in Österreich geknüpft. Der Beschwerdeführer ging vom 01.10.2024 bis 31.12.2024 und vom 24.03.2025 bis 18.06.2025 einer vollversicherungspflichtigen Beschäftigung nach. Derzeit ist er nicht erwerbstätig, sondern bezieht seinen Angaben zufolge Leistungen vom Staat.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer wird in der Türkei weder aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe noch aufgrund seiner politischen Gesinnung vom Staat verfolgt und ist auch in seinem Herkunftsstaat nicht gefährdet, aus solchen Gründen verfolgt zu werden.
Der Halbbruder des Vaters des Beschwerdeführers hat im Zuge eines Streits im Jahr 2008 ein Familienmitglied der verwandten Familie XXXX ermordet. Dieser Onkel wurde wegen Mordes am 15.02.2011 zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilt. Nach seiner Entlassung wurde er am 19.04.2021 erschossen. Ein Bruder des 2008 Ermordeten der Familie XXXX wurde – neben weiteren Personen - wegen des Verdachtes den Mord wegen Blutrache in Auftrag gegeben zu haben, angeklagt. Dieses Verfahren ist den Anagben des Beschwerdeführers zufolge noch nicht abgeschlossen.
Es ist nicht ersichtlich, dass dem Beschwerdeführer von der Familie XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlich Verfolgung droht. Außerdem handelt es sich dabei um eine Privatverfolgung und ist der Staat schutzwillig und schutzfähig. Der Beschwerdeführer hat sich wegen einer Bedrohung zu keinem Zeitpunkt an die Polizei oder Behörden in der Türkei gewandt. Es war nicht glaubwürdig, dass der Vater bei der Polizei war und diese nicht viel tun konnte, weil es sich bei dieser drohenden Familie um einen großen sehr bekannten Clan handle und auch in der Politik involviert wäre.
Dem Beschwerdeführer droht auch nicht aufgrund seines Asylantrages Verfolgung in der Türkei.
1.3. Zur Lage im Herkunftsstaat
Politische Lage
Die politische Lage in der Türkei war in den letzten Jahren geprägt von den Folgen des Putschversuchs vom 15.7.2016 und den daraufhin ausgerufenen Ausnahmezustand, von einem "Dauerwahlkampf" sowie vom Kampf gegen den Terrorismus. Aktuell steht die Regierung wegen der schwierigen wirtschaftlichen Lage und der hohen Anzahl von Flüchtlingen und Migranten unter Druck. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung ist mit Präsident Erdoğan und der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung - Adalet ve Kalkınma Partisi (AKP) unzufrieden und nach deren erneutem Sieg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Mai 2023 desillusioniert, was sich auch im Erfolg der CHP (Republikanische Volkspartei - Cumhuriyet Halk Partisi) bei den Lokalwahlen im März 2024 widerspiegelt. Ursache sind vor allem der durch die hohe Inflation verursachte Kaufkraftverlust, die zunehmende Verarmung von Teilen der Bevölkerung, Rückschritte in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die fortschreitende Untergrabung des Laizismus. Insbesondere junge Menschen sind frustriert. Die Gesellschaft ist maßgeblich aufgrund der von Präsident Erdoğan verfolgten spaltenden Identitätspolitik stark polarisiert (ÖB Ankara 4.2025, S. 4f.; vgl. Migrationsverket 9.4.2024, S. 8f.).
Vorgehen gegen die Oppositionspartei CHP
Nach einem harten Wahlkampf und politischen Auseinandersetzungen und unerwarteten Wahlsiegen der CHP bei den Lokalwahlen zeichnete sich im Frühjahr 2024 eine neue Dialogpolitik, verdeutlicht durch gegenseitige Besuche zwischen Repräsentanten der regierenden AKP, inklusive Staatspräsident Erdoğan, und der größten Oppositionspartei CHP ab (FES 11.7.2024). Doch rund ein halbes Jahr später verkehrte sich diese Entwicklung ins Gegenteil. Es begann mit der Verhaftung des CHP-Bürgermeisters des Istanbuler Stadtbezirks Esenyurt, Ahmet Özer, im Oktober 2024 unter dem Vorwurf der Unterstützung der PKK. Anstatt seiner wurde ein Treuhänder der Regierung eingesetzt. Es folgten im Jänner und Februar 2025 weitere Absetzungen von CHP-Bürgermeistern. Die größte Verhaftungswelle erfolgte im März 2025, als neben dem Istanbuler Oberbürgermeister İmamoğlu sowie den Bezirksbürgermeistern von Şişli und Beylikdüzü auch gegen mehr als 100 Personen Haftbefehle ergingen. Hintergrund waren Ermittlungsverfahren wegen Korruption oder wegen Unterstützung der PKK (TM 9.7.2025; vgl. FES 28.3.2025, AlMon 23.3.2025, Bianet 23.3.2025, Spiegel 13.1.2025). Mit Stand 9.7.2025 befanden sich laut Angaben der CHP 16 ihrer Bürgermeister in Haft und einer unter Hausarrest (TM 9.7.2025).
Anfang Juni 2025 enthob das Innenministerium fünf CHP-Bürgermeister wegen Korruptionsermittlungen ihres Amtes. Überdies wurde gegen den Parteivorsitzenden der CHP, Özgür Özel, ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil er angeblich bei einer Kundgebung einen Istanbuler Generalstaatsanwalt beleidigt und bedroht hat (L'essentiel 5.6.2025; vgl. AP 5.6.2025). Und Anfang Juli beantragte das Büro des Staatspräsidenten die Aufhebung der parlamentarischen Immunität von 61 CHP-Abgeordneten, darunter jene von Partei-Chef Özgür Özel (TM 7.7.2025a). Weiter Beispiele und Details siehe: Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition.
Experten sprechen angesichts der Verhaftung des Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, von einem Putsch seitens der Regierung, einem sog. "executive coup", der das Bild eines wachsenden Autoritarismus in der Türkei unterstreicht (Güney/ORF 20.3.2025), bzw. vom Ende des "Competitive Authoritarianism", sodass die Türkei an der Schwelle zum Übergang zu einer konsolidierten Diktatur steht (Schenkkan/FH 26.3.2025). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates brachte in ihrer Resolution vom 9.4.2025 "ihre tiefe Besorgnis über diese Entscheidungen zum Ausdruck, die politisch motiviert und ein Versuch zu sein scheinen, die Opposition einzuschüchtern, ihre Aktionen zu behindern, den Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken" [Anm.: aus dem dem englischen Originalzitat] (CoE-PACE 9.4.2025, Pt. 3). Und auch das Europäische Parlament "ist der Ansicht, dass die Angriffe gegen İmamoğlu einen politisch motivierten Schritt darstellen, mit dem verhindert werden soll, dass ein legitimer Herausforderer bei der bevorstehenden Wahl kandidiert, und dass die derzeitigen türkischen Staatsorgane das Land mit diesen Maßnahmen weiter in Richtung eines vollständig autoritären Regimes treiben" (EP 7.5.2025; S. 23).
Erschwerend für die Lage der größten Oppositionspartei ist der aufgebrochene interne Konflikt. - In einem Verfahren werfen unzufriedene CHP-Mitglieder Partei-Chef Özel Stimmenkauf beim Parteitag im November 2023 vor. Ersetzt würde Özel im Fall einer Verurteilung vermutlich durch Ex-Parteichef Kemal Kılıçdaroğlu, welcher sich von den aktuellen Vorwürfen aus seinem Umfeld gegen Özel nie distanziert hatte. Die Mehrheit der CHP steht aber weiterhin hinter Özel. Mit einer allfälligen Schwächung der CHP, so Experten, könnte die Gefahr für Erdoğan sinken, die nächste Wahl zu verlieren (SRF 30.6.2025; vgl. DW 27.6.2025). Zudem versucht auch die regierungsnahe Presse, beide CHP-Flügel gegeneinander auszuspielen. Sie behauptet, Kılıçdaroğlu sei samt seinem Flügel Opfer von parteiinternen Intrigen geworden. Das Resultat sind heftige Auseinandersetzungen, die die Anhängerschaft in zwei Lager spalten (DW 27.6.2025).
Auflösung und Entwaffnung der PKK
Seit Herbst 2024 prägten vor allem die Diskussionen um die Beilegung des 40 Jahre andauernden Konflikts zwischen dem türkischen Staat und der Arbeiterpartei Kurdistans - PKK. - Im Oktober 2024 hatte der Versitzende der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP), Devlet Bahçeli, den überraschenden Vorschlag gemacht, dass im Gegenzug für die Option einer (möglichen) Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan dieser selbst zu einem Ende des jahrzehntelangen Kampfes der PKK und deren Auflösung aufrufen solle. Staatspräsident Erdoğan hatte damals den Vorschlag als "Fenster für eine historische Gelegenheit" bezeichnet. Am 28.12.2024 wurde zwei Abgeordneten der prokurdischen Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker (DEM-Partei), irri Süreyya Önder und Pervin Buldan, erlaubt, Öcalan in seiner Haftzelle zu besuchen. Die DEM-Partei ließ verlauten, dass Öcalan bereit sei, einen kurdisch-türkischen Friedensprozess zu unterstützen und er habe auch seine Bereitschaft angedeutet, den bewaffneten Kampf der PKK zu beenden. Seitens der DEM-Delegierten folgten Informationsgespräche mit weiteren politischen Parteien, aber auch mit den seit 2016 inhaftierten ehemaligen Ko-Vorsitzenden der Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, die ihre Unterstützung für einen Friedensprozess kundtaten (BAMF 13.1.2025, S. 9f.; vgl. DW 8.1.2025, FR 30.12.2024, HDN 13.1.2025, Zeit Online 29.12.2024).
In einer Erklärung rief Abdullah Öcalan am 27.2.2025 seine Anhänger auf, die Waffen niederzulegen und die PKK aufzulösen (AlMon 27.2.2025; vgl. Standard 27.2.2025, DW 27.2.2025). Öcalan hatte sich zuvor an Akteure in Europa, Rojava (Kurdenregion in Syrien) und Kandil (Standort der militärischen PKK-Führung im Irak) gewandt, in denen er seine Ansichten formulierte. Gleichzeitig signalisierten diese Akteure, dass sie Öcalans Entscheidung anerkennen werden (DW 27.2.2025; vgl. Standard 27.2.2025). Am 1.3.2025 erklärte der Exekutivrat der PKK seine volle Unterstützung für die Umsetzung des Aufrufs Öcalans und verkündete einen Waffenstillstand. Für das endgültige Niederlegen der Waffen und ihre Selbstauflösung stellte die Organisation jedoch Bedingungen und erklärt, "dass für den Erfolg dieses Prozesses geeignete politische und rechtliche Rahmenbedingungen notwendig sind". Implizit wurde in der Erklärung auch die Freilassung von Öcalan gefordert (ANF 1.3.2025; vgl. Zeit Online 1.3.2025, FAZ 1.3.2025). Die türkische Regierung teilte wiederum mit, sie werde nicht mit der PKK verhandeln und forderte, dass alle kurdischen Milizen, auch die im Irak und in Syrien, ihre Waffen niederlegen müssten (Zeit Online 1.3.2025; vgl. FAZ 1.3.2025).
Am 12.5.2025 gab die PKK nach der Abhaltung ihres 12. Parteikongresses vom 5.-7. Mai im Nordirak ihre Auflösung und das Ende des bewaffneten Kampfes bekannt (ICG 16.5.2025; vgl. ANF 12.5.2025, BPB 16.6.2025, AlMon 12.5.2025). Die Regierung verfolgt eine äußerst vorsichtige Herangehensweise, die von Diskretion geprägt ist. Über die Vorteile für die Kurden ist wenig bekannt, abgesehen von besseren Lebensbedingungen für Öcalan, der seit seiner Festnahme 1999 in Einzelhaft auf der Gefängnisinsel İmralı sitzt, und rechtlichen Maßnahmen, die eine Strafmilderung oder Freilassung für Tausende von politischen Gefangenen ermöglichen würden, die wegen "Terrorismus" im Zusammenhang mit der PKK inhaftiert sind. Bislang gab es keine Jubelrufe oder Siegesbekundungen von beiden Seiten (AlMon 12.5.2025). Allerdings kritisierte die Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, Tülay Hatimoğulları, nach fünf Wochen am 22. Juni, dass es keine greifbaren Schritte der Regierung in Richtung Demokratisierung oder Friedensprozess gebe. Sie forderte konkrete Maßnahmen, wie etwa die umgehende Freilassung politischer Gefangener, - darunter Figen Yüksekdağ, Selahattin Demirtaş - die Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) und die Aufhebung repressiver Gesetze, insbesondere im Kontext der sogenannten Kobanê-Prozesse. Hatimoğulları machte deutlich, dass der aktuelle Moment eine Chance für Verhandlungen sei, aber keine Garantie (ANF 22.6.2025). Der zweite Ko-Vorsitzende der DEM-Partei, Tuncer Bakırhan, forderte angesichts der ersten symbolischen, für die 11. Juli angekündigten [Anm.: nach Redaktionsschluss] Entwaffnung von PKK-Kämpfern, dass der türkische Staat mit demokratischen Reformen reagieren soll, darunter die Anerkennung der Rechte der kurdischen Sprache, die Freilassung politischer Gefangener und die Wiederherstellung politischer Freiheiten. Bakirhan drängte außerdem auf die rasche Bildung einer parlamentarischen Kommission, die die Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer überwachen und umfassendere kurdische Fragen durch Gesetzgebung regeln soll (Rudaw 9.7.2025).
Am 7.7.2025 kam es zu einem Treffen zwischen Staatspräsident Erdoğan und Vertretern der DEM-Partei, darunter die beiden Parlamentarier Pervin Buldan und Mithat Sancar. Anwesend waren auch der Chef des Nationalen Geheimdienstes (MİT), İbrahim Kalın, und der stellvertretende Vorsitzende der regierenden AKP, Efkan Ala. Ohne Inhalte bekannt zu geben, bekräftigten beide Seiten den gegenseitigen Willen, den Prozess voranzutreiben (TM 7.7.2025b). Staatspräsident Erdoğan sagte über das Treffen: "Wir haben unseren Willen bekräftigt, unser Ziel einer terrorfreien Türkei zu verwirklichen. Wir treten in eine neue Ära ein, in der wir mehr gute Nachrichten haben werden" (HDN 9.7.2025).
Gesellschaftliche Bruchlinien
Die türkische Gesellschaft ist nach wie vor entlang ethnischer, politischer und religiöser Bruchlinien tief gespalten. Während die Kurdenfrage eine der Spaltungslinien ist (Kurden gegen Türken), sind die Türken auch politisch (konservative Nationalisten gegen Modernisten) und religiös (sunnitische Islamisten gegen Säkularisten) gespalten. In den letzten Jahren hat der spaltende Diskurs der politischen Elite zu einer weiteren Trennung und tiefen Polarisierung zwischen dem Lager der Erdoğan-Befürworter und seinen Gegnern beigetragen (BS 19.3.2024, S. 18). Das hat auch mit der Politik zu tun, die sich auf sogenannte Identitäten festlegt. Nationalistische Politiker, beispielsweise, propagieren ein "stolzes Türkentum". Islamischen Wertvorstellungen wird zusehends mehr Gewicht verliehen. Kurden, deren Kultur und Sprache Jahrzehnte lang unterdrückt wurden, kämpfen um ihr Dasein (WZ 7.5.2023). Angesichts des Ausganges der Wahlen im Frühjahr 2023 stellte das Europäische Parlament (EP) überdies hinsichtlich der gesellschaftspolitischen Verfasstheit des Landes fest, dass nicht nur "rechtsextreme islamistische Parteien als Teil der Regierungskoalition ins Parlament eingezogen sind", sondern das EP war "besorgt über das zunehmende Gewicht der islamistischen Agenda bei der Gesetzgebung und in vielen Bereichen der öffentlichen Verwaltung, unter anderem durch den wachsenden Einfluss des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Diyanet) im Bildungssystem" und "über den zunehmenden Druck der Regierungsstellen sowie islamistischer und ultranationalistischer Gruppen auf den türkischen Kultursektor" (EP 13.9.2023, Pt. 17).
Autoritäre Entwicklungen
Präsident Recep Tayyip Erdoğan und seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP), die die Türkei seit 2002 regieren, sind in den letzten Jahren zunehmend autoritär geworden und haben ihre Macht durch Verfassungsänderungen und die Inhaftierung von Gegnern und Kritikern gefestigt. Die AKP hat auf die jüngsten wirtschaftlichen Herausforderungen und die Niederlagen bei den Kommunalwahlen reagiert, indem sie ihre Bemühungen zur Unterdrückung abweichender Meinungen und zur Einschränkung des öffentlichen Diskurses intensiviert hat. Freedom House fügt die Türkei mittlerweile in die Kategorie "nicht frei" ein (FH 29.2.2024). Das Funktionieren der demokratischen Institutionen ist weiterhin stark beeinträchtigt. Der Demokratieabbau hat sich fortgesetzt, und die strukturellen Defizite des Präsidialsystems wurden nicht behoben (EC 30.10.2024; vgl. EP 13.9.2023, Pt. 9, WZ 7.5.2023).
Die Türkei wird heute als "kompetitives autoritäres" Regime eingestuft (MEI 1.10.2022, S. 6; vgl. DE/Aydas 31.12.2022, Güney/ORF 20.3.2025, Esen/Gumuscu 19.2.2016), in dem zwar regelmäßig Wahlen abgehalten werden, der Wettbewerb zwischen den politischen Parteien aber nicht frei und fair ist. Solche Regime, zu denen die Türkei gezählt wird, weisen vordergründig demokratische Elemente auf: Oppositionsparteien gewinnen gelegentlich Wahlen oder stehen kurz davor; es herrscht ein harter politischer Wettbewerb; die Presse kann verschiedene Meinungen und Erklärungen von Oppositionsparteien veröffentlichen; und die Bürger können Proteste organisieren. Bei genauerem Hinsehen zeigen sich jedoch ehedem Risse in der demokratischen Fassade: Regierungsgegner werden mit legalen oder illegalen Mitteln unterdrückt, unabhängige Justizorgane werden von regierungsnahen Beamten kontrolliert und die Presse- und Meinungsfreiheit gerät unter Druck. Wenn diese Maßnahmen nicht zu einem für die Regierungspartei zufriedenstellenden Ergebnis führen, müssen Oppositionsmitglieder mit gezielter Gewalt oder Inhaftierung rechnen - eine Realität, die für die türkische Opposition immer häufiger anzutreffen ist (MEI 1.10.2022, S. 6; vgl. Esen/Gumuscu 19.2.2016, Güney/ORF 20.3.2025).
Das Europäische Parlament kam im Mai 2025 ähnlich sowie zuvor im September 2023 zur Schlussfolgerung, "dass es der türkischen Regierung wie bereits in den vergangenen Jahren nach wie vor an einem klaren politischen Willen mangelt, die notwendigen Reformen durchzuführen, um den Beitrittsprozess wiederzubeleben, und dass sie sich weiterhin nach einem tief verfestigten autoritären Verständnis von einem Präsidialsystem richtet" (EP 7.5.2025, S. 3; vgl. EP 13.9.2023, Pt. 21).
Worldwide Governance Indicators
WB 2024
Erklärung: Der WGI der Weltbank misst sechs umfassende Dimensionen der Regierungsführung - je länger die Balken bzw. höher der Wert, desto positiver:
Mitspracherecht und Rechenschaftspflicht (Voice and Accountability - VA) - erfasst die Wahrnehmung des Ausmaßes, in dem die Bürger eines Landes in der Lage sind, sich an der Wahl ihrer Regierung zu beteiligen, sowie die Meinungs- und Vereinigungsfreiheit und freie Medien.
Politische Stabilität und Abwesenheit von Gewalt/Terrorismus (PV) - Erfassung der Wahrnehmung der Wahrscheinlichkeit von politischer Instabilität und/oder politisch motivierter Gewalt, einschließlich Terrorismus.
Effektivität der Regierung (GE) - Erfassung der Wahrnehmung der Qualität der öffentlichen Dienstleistungen, der Qualität des öffentlichen Dienstes und des Grades seiner Unabhängigkeit von politischem Druck, der Qualität der Politikformulierung und -umsetzung sowie der Glaubwürdigkeit des Engagements der Regierung für diese Politik.
Qualität der Regulierungen (RQ) - Erfassung der Wahrnehmung der Fähigkeit der Regierung, solide Politiken und Vorschriften zu formulieren und umzusetzen, die die Entwicklung des Privatsektors ermöglichen und fördern.
Rechtsstaatlichkeit (Rule of Law - RL) - erfasst die Wahrnehmung des Ausmaßes, in dem die Akteure Vertrauen in die gesellschaftlichen Regeln haben und diese einhalten, insbesondere die Qualität der Vertragsdurchsetzung, der Eigentumsrechte, der Polizei und der Gerichte sowie die Wahrscheinlichkeit von Verbrechen und Gewalt.
Korruptionskontrolle (CC) - Erfassung der Wahrnehmung des Ausmaßes, in dem öffentliche Macht zum privaten Vorteil ausgeübt wird, einschließlich kleiner und großer Formen der Korruption sowie der "Vereinnahmung" des Staates durch Eliten und private Interessen.
Interpretation: In den ersten Jahren nach der Machtübernahme der AKP haben sich die Indikatoren deutlich verbessert. In den letzten zehn Jahren haben sie sich, bis auf die Dimension: "Politische Stabilität und Abwesenheit von Gewalt/Terrorismus", allesamt wieder verschlechtert und liegen zum Teil unter dem Niveau von 2002.
Das Präsidialsystem
Die Türkei ist eine konstitutionelle Präsidialrepublik und laut Verfassung ein demokratischer, laizistischer und sozialer Rechtsstaat. Staats- und zugleich Regierungschef ist seit Einführung des präsidentiellen Regierungssystems am 9.7.2018 der Staatspräsident. Das seit 1950 bestehende Mehrparteiensystem ist in der Verfassung festgeschrieben (AA 20.5.2024, S. 5).
Am 16.4.2017 stimmten 51,4 % der türkischen Wählerschaft für die von der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) initiierte und von der rechts-nationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) unterstützte Verfassungsänderung im Sinne eines exekutiven Präsidialsystems (OSCE 22.6.2017; vgl. HDN 16.4.2017). Die gemeinsame Beobachtungsmission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE/OSCE) und der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) kritisierte die ungleichen Wettbewerbsbedingungen beim Referendum. Einschränkungen von grundlegenden Freiheiten aufgrund des Ausnahmezustands hatten negative Auswirkungen. Im Vorfeld des Referendums wurden Journalisten und Gegner der Verfassungsänderung behindert, verhaftet und fallweise physisch attackiert. Mehrere hochrangige Politiker und Beamte, darunter der Staatspräsident und der Regierungschef, setzten die Unterstützer der Nein-Kampagne mit Terror-Sympathisanten oder Unterstützern des Putschversuchs vom Juli 2016 gleich (OSCE/PACE 17.4.2017).
Entgegen den Behauptungen der Regierungspartei AKP zugunsten des neuen präsidentiellen Regierungssystems ist nach dessen Einführung das Parlament geschwächt, die Gewaltenteilung ausgehöhlt, die Justiz politisiert und die Institutionen verkrüppelt. Zudem herrschen autoritäre Praktiken (SWP 1.4.2021, S. 2). Der Abschied der Türkei von der parlamentarischen Demokratie und der Übergang zu einem Präsidialsystem im Jahr 2018 haben den Autokratisierungsprozess des Landes beschleunigt. - Die Exekutive ist der größte antidemokratische Akteur. Die wenigen verbliebenen liberal-demokratischen Akteure und Reformer in der Türkei haben nicht genügend Macht, um die derzeitige Autokratisierung der Landes umzukehren (BS 19.3.2024, S. 38). Das Europäische Parlament zeigte sich in seiner Entschließung vom 19.5.2021 "beunruhigt darüber, dass sich die autoritäre Auslegung des Präsidialsystems konsolidiert", und "dass sich die Macht nach der Änderung der Verfassung nach wie vor in hohem Maße im Präsidentenamt konzentriert, nicht nur zum Nachteil des Parlaments, sondern auch des Ministerrats selbst, weshalb keine solide und effektive Gewaltenteilung zwischen der Exekutive, der Legislative und der Judikative gewährleistet ist" (EP 19.5.2021, S. 20/Pt. 55). In einer weiteren Entschließung vom September 2023 erklärte sich das Europäische Parlament "tief besorgt über die fortwährende übermäßige Machtkonzentration beim türkischen Präsidenten ohne wirksames System von Kontrollen und Gegenkontrollen, durch die die demokratischen Institutionen des Landes erheblich geschwächt wurden; [und] betont, dass die fehlende Eigenständigkeit auf mehreren Verwaltungsebenen aufgrund der extremen Abhängigkeit vom Präsidenten bei allen Arten von Entscheidungen und der Alleinherrschaft eines einzigen Mannes ein dysfunktionales System zur Folge haben kann" (EP 13.9.2023, Pt. 20; vgl. EP 19.5.2021, Pt. 55).
Machtfülle des Staatspräsidenten
Die exekutive Gewalt ist beim Präsidenten konzentriert. Dieser verfügt überdies über umfangreiche legislative Kompetenzen und weitgehenden Zugriff auf die Justizbehörden (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 7; vgl. EC 30.10.2024, S. 19f.). Die gesetzgebende Funktion des Parlaments wird durch die häufige Anwendung von Präsidialdekreten und Präsidialentscheidungen eingeschränkt. So hat auch die politische Opposition nur sehr begrenzte Möglichkeiten die Tagesordnung der Parlamentsdebatten zu beeinflussen. Das Fehlen einer wirksamen gegenseitigen Kontrolle und die Unfähigkeit des Parlaments, das Amt des Präsidenten wirksam zu überwachen, führen dazu, dass dessen politische Rechenschaft auf die Zeit der Wahlen beschränkt ist. Die öffentliche Verwaltung, die Gerichte und die Sicherheitskräfte stehen unter dem starken Einfluss der Exekutive. Die Präsidentschaft übt direkte Autorität über alle wichtigen Institutionen und Regulierungsbehörden aus (EC 30.10.2024, S. 19f.; vgl. EP 19.5.2021, S. 20/ Pt. 55).
Präsidentendekrete unterliegen grundsätzlich keiner parlamentarischen Überprüfung und können nur noch vom Verfassungsgericht aufgehoben werden (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 7) und zwar nur durch eine Klage von einer Gruppe von Abgeordneten, die ein Fünftel der Parlamentssitze repräsentieren, aktuell etwa von einer der beiden größten Parlamentsfraktionen (SWP 1.4.2021, S. 9). Die Mitglieder des Parlaments können nur schriftliche Anfragen an den Vizepräsidenten und die Minister richten und sind gesetzlich nicht befugt, den Präsidenten offiziell zu befragen. Ordentliche Präsidialdekrete unterliegen nicht der parlamentarischen Kontrolle (EC 30.10.2024, S. 19). Die im Rahmen des Ausnahmezustands erlassenen Dekrete des Präsidenten jedoch müssen dem Parlament zur Genehmigung vorgelegt werden (EC 8.11.2023, S. 19).
Die Konzentration der Exekutivgewalt in einer Person bedeutet, dass der Präsident gleichzeitig die Befugnisse des Premierministers und des Ministerrats übernimmt, die beide durch das neue System abgeschafft wurden (Art. 8). Die Minister werden nun nicht mehr aus den Reihen der Parlamentarier, sondern von außen gewählt; sie werden vom Präsidenten ohne Beteiligung des Parlaments ernannt und entlassen und damit auf den Status eines politischen Staatsbeamten reduziert (SWP 1.4.2021, S. 9). Unter dem Präsidialsystem sind viele Regulierungsbehörden und die Zentralbank direkt mit dem Präsidentenamt verbunden, wodurch deren Unabhängigkeit untergraben wird (EC 12.10.2022, S. 14). Mehrere Schlüsselinstitutionen, wie der Generalstab der Armee, der Nationale Nachrichtendienst, der Nationale Sicherheitsrat und der "Souveräne Wohlfahrtsfonds", sind dem Büro des Präsidenten angegliedert worden (EC 29.5.2019, S. 14). Auch die Zentralbank steht weiterhin unter merkbaren politischen Druck und es mangelt ihr an Unabhängigkeit (EC 8.11.2023, S. 10f., 65).
Der Präsident hat die Befugnis hochrangige Regierungsbeamte zu ernennen und zu entlassen, die nationale Sicherheitspolitik festzulegen und die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen zu ergreifen, den Ausnahmezustand auszurufen; Präsidentendekrete zu Exekutivangelegenheiten außerhalb des Gesetzes zu erlassen, das Parlament indirekt aufzulösen, indem er Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ausruft, das Regierungsbudget zu erstellen und vier von 13 Mitgliedern des Rates der Richter und Staatsanwälte sowie zwölf von 15 Richtern des Verfassungsgerichtshofes zu ernennen. Wenn drei Fünftel des Parlamentes zustimmen, kann dieses eine parlamentarische Untersuchung mutmaßlicher strafrechtlicher Handlungen des Präsidenten, der Vizepräsidenten und der Minister im Zusammenhang mit ihren Aufgaben einleiten. Der Präsident darf keine Dekrete in Bereichen erlassen, die durch die Verfassung der Legislative vorbehalten sind. Der Präsident hat jedoch das Recht, gegen jedes Gesetz ein Veto einzulegen, obgleich das Parlament mit absoluter Mehrheit ein solches Veto außer Kraft setzen kann, während das Parlament nur beim Verfassungsgericht die Nichtigkeitserklärung von Präsidentendekreten beantragen kann (EC 29.5.2019, S. 14).
Die Zentralisierung der Politikgestaltung im Rahmen des Präsidialsystems setzt sich fort, was ein inklusives, partizipatives und evidenzbasiertes System der Politikgestaltung weiter verhindert. Insgesamt mangelt es an einer funktionalen Aufteilung der Aufgaben und Zuständigkeiten zwischen den verschiedenen Regierungsinstitutionen, was zu einer "Überzentralisierung" und Ineffizienz der öffentlichen Verwaltung führt (EC 30.10.2024, S. 80). Das System des öffentlichen Dienstes ist weiterhin von Parteinahme und Politisierung geprägt. In Verbindung mit der übermäßigen präsidialen Kontrolle auf jeder Ebene des Staatsapparats hat dies zu einem allgemeinen Rückgang von Effizienz, Kapazität und Qualität der öffentlichen Verwaltung geführt (EP 19.5.2021, S. 20, Pt. 57).
Monitoring des Europarates
Der Europarat leitete im April 2017 im Zuge der Verfassungsänderung, welche zur Errichtung des Präsidialsystems führte, ein parlamentarisches Monitoring über die Türkei als dessen Mitglied ein, um mögliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen. PACE stellte in ihrer Resolution vom April 2021 fest, dass zu den schwerwiegendsten Problemen die mangelnde Unabhängigkeit der Justiz, das Fehlen ausreichender Garantien für die Gewaltenteilung und die gegenseitige Kontrolle, die Einschränkung der Meinungs- und Medienfreiheit, die missbräuchliche Auslegung der Anti-Terror-Gesetzgebung, die Nichtumsetzung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), die Einschränkung des Schutzes der Menschen- und Frauenrechte und die Verletzung der Grundrechte von Politikern und (ehemaligen) Parlamentsmitgliedern der Opposition, Rechtsanwälten, Journalisten, Akademikern und Aktivisten der Zivilgesellschaft gehören (CoE-PACE 22.4.2021, S. 1; vgl. EP 19.5.2021, S. 7-14).
Präsidentschaftswahlen
Der Präsident wird für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt und kann bis zu zwei Amtszeiten innehaben, mit der Möglichkeit (seit der Verfassungsänderung 2017) einer dritten Amtszeit, wenn während der zweiten Amtszeit vorgezogene Präsidentschaftswahlen ausgerufen werden. Erhält kein Kandidat in der ersten Runde die absolute Mehrheit der gültigen Stimmen, findet eine Stichwahl zwischen den beiden stimmenstärksten Kandidaten statt (OSCE/ODIHR 15.5.2023, S. 7). - Am 10.3.2023 rief der Präsident im Einklang mit der Verfassung und im Einvernehmen mit allen politischen Parteien vorgezogene Parlamentswahlen für den 14.5.2023 aus (OSCE/ODIHR 15.5.2023, S. 4; vgl. PRT 10.3.2023).
Da keiner der vier Präsidentschaftskandidaten am 14.5.2023 die gesetzlich vorgeschriebene absolute Mehrheit für die Wahl erreichte, wurde für den 28.5.2023 eine zweite Runde zwischen den beiden Spitzenkandidaten, Amtsinhaber Recep Tayyip Erdoğan und dem von der Opposition unterstützten Kemal Kılıçdaroğlu, angesetzt (OSCE/ODIHR 29.5.2023, S. 1). Wie schon in der ersten Runde verschafften eine einseitige Medienberichterstattung und das Fehlen gleicher Ausgangsbedingungen dem Amtsinhaber auch in der am 28.5.2023 abgehaltenen Stichwahl einen ungerechtfertigten Vorteil. Der Wahlkampf war dominiert von einer harten Rhetorik, hetzerischen und diskriminierenden Äußerungen beider Kandidaten sowie einer anhaltenden Einschüchterung und Schikanierung von Anhängern einiger Oppositionsparteien (OSCE/ODIHR 29.5.2023, S. 1). Diesbezüglicher "Höhepunkt" waren Fake News von Amtsinhaber Erdoğan. - Dieser zeigte während einer Wahl-Kundgebung eine Videomontage, in der es so aussah, als würden PKK-Führungskräfte das Wahlkampflied der größten Oppositionspartei CHP singen (Duvar 7.5.2023; vgl. DW 23.5.2023) und Kılıçdaroğlu an den PKK-Kommandanten, Murat Karayilan, appellieren: "Lasst uns gemeinsam zur Wahlurne gehen" (ARD 28.5.2023; vgl. DW 23.5.2023). In Folge wurde die Manipulation von Erdoğan zugegeben (ARD 28.5.2023; vgl. DS 24.5.2023). Dies hielt Erdoğan nicht davon ab, unmittelbar vor der Präsidenten-Stichwahl abermals "offenkundige Absprachen" zwischen Kılıçdaroğlu und PKK-Terroristen in den Kandil-Bergen zu behaupten (DS 24.5.2023).
In einem Umfeld, in dem das Recht auf freie Meinungsäußerung eingeschränkt ist, haben sowohl die privaten als auch die öffentlich-rechtlichen Medien bei ihrer Berichterstattung über den Wahlkampf keine redaktionelle Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gewährleistet, was die Fähigkeit der Wähler, eine fundierte Wahl zu treffen, beeinträchtigt hat (OSCE/ODIHR 29.5.2023, S. 1). Amtsinhaber Erdoğan gewann die Stichwahl mit rund 52 %, während sein Herausforderer, Kılıçdaroğlu, knapp 48 % gewann (AnA 29.5.2023; vgl. Politico 29.5.2023, taz 10.4.2023).
Das Parlament
Der Rechtsrahmen bietet nicht in vollem Umfang eine solide Rechtsgrundlage für die Durchführung demokratischer Wahlen. Die noch unter dem Kriegsrecht verabschiedete Verfassung garantiert die Rechte und Freiheiten, die demokratischen Wahlen zugrunde liegen, nicht in ausreichendem Maße, da sie sich auf Verbote zum Schutz des Staates konzentriert und Rechtsvorschriften zulässt, die weitere unzulässige Einschränkungen mit sich bringen. Die Mitglieder des 600 Sitze zählenden Parlaments werden für eine fünfjährige Amtszeit [zuvor vier Jahre] nach einem Verhältniswahlsystem in 87 Mehrpersonenwahlkreisen gewählt. Vor der Wahl sind Koalitionen erlaubt, aber die Parteien, die in einer Koalition kandidieren, müssen individuelle Listen einreichen. Im Einklang mit einer langjährigen Empfehlung der OSZE und der Venedig-Kommission des Europarats wurde mit den Gesetzesänderungen von 2022 die Hürde für Parteien und Koalitionen, um in das Parlament einzuziehen, von 10 % auf 7 % gesenkt (OSCE/ODIHR 15.5.2023 S. 6f.).
Bei den gleichzeitig mit der ersten Runde der Präsidentschaftswahl stattgefundenen Parlamentswahlen erhielt die "Volksallianz" unter Führung der AKP mit 49 % der Stimmen eine absolute Mehrheit der 600 Parlamentssitze. - Die AKP gewann hierbei 268 (35,6 %), die ultranationalistische MHP 50 (10,1 %) und die islamistische Neue Wohlfahrtspartei - Yeniden Refah Partisi (YRP) fünf Sitze (2,8 %). Das Oppositionsbündnis "Allianz der Nation" unter der Führung der säkularen, sozialdemokratisch ausgerichteten CHP erlangte 35 %, wobei die CHP 169 (25,3 %) und die nationalistische İYİ-Partei 43 Sitze (9,7 %) errang. Aus dem Bündnis mehrerer Linksparteien unter dem Namen "Arbeit und Freiheitsallianz" schafften die Links-Grüne Partei - Yeşil Sol Parti (YSP) mit künftig 61 (8,8 %) und die "Arbeiterpartei der Türkei" -Türkiye İşçi Partisi (TİP) mit vier Abgeordneten den Sprung ins Parlament (TRT 2023; vgl. BBC 22.5.2023).
Duvar 18.5.2023
In der neu gewählten Nationalversammlung sitzen zusätzlich Vertreter und Vertreterinnen mehrer Kleinparteien, welche auf den Listen der AKP, der CHP und er YSP standen. So entfallen [Stand: Mai 2023] von den 268 Sitzen der AKP vier auf die kurdisch-islamistische Partei der Freien Sache, Hür Dava Partisi - HÜDA-PAR und ein Sitz auf die Demokratische Linkspartei, Demokratik Sol Parti - DSP. Von den 149 Mandaten der CHP gehören 14 der Partei für Demokratie und Fortschritt, Demokrasi ve Atılım Partisi - DEVA [des ehemaligen Wirtschaftsministers Ali Babacan], zehn der Zukunftspartei, Gelecek Partisi - GP [des ehemaligen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu] und weitere zehn der islamisch-konservativen Partei der Glückseligkeit, Saadet Partisi -SP und drei der Demokratischen Partei, Demokrat Parti - DP. Über die CHP-Liste bekam die ansonsten eigenständig kandidierende İYİ-Partei zu ihren 43 Sitzen noch einen Sitz dazu. Über die Listen der Links-Grünen Partei erhielten die Partei der Arbeit, Emek Partisi - EMEP zwei sowie die Partei der Sozialen Freiheit, Toplumsal Özgürlük Partisi - TÖP eines der YSP-Mandate [Anm.: Die Zahl der YSP von 63 in der Grafik entspricht nicht jener des amtlichen Wahlresultats von 61 Mandataren] (Duvar 18.5.2023, vgl. BIRN 19.5.2023), was mit den übrigen 58 YSP die offiziellen 61 Parlamentarier ergibt (BIRN 19.5.2023).
Einen Monat vor der Wahl zog die HDP ihre Kandidatur als Partei aufgrund des seit 2021 laufenden Verbotsverfahrens gegen sie zurück und stellte ihre Kandidaten auf die Liste der mit ihr verbündeten Kleinpartei YSP zu den Wahlen (taz 10.4.2023; vgl. AJ 11.5.2023).
Die Parlamentswahlen fanden inmitten einer erheblichen Polarisierung und eines intensiven Wettbewerbs zwischen den Regierungs- und den Oppositionsparteien statt, die unterschiedliche politische Programme zur Gestaltung der Zukunft des Landes vertraten. Während des Wahlkampfs wurden die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit im Allgemeinen respektiert, mit einigen bemerkenswerten Ausnahmen. Vertreter der YSP sahen sich durchgängig Druck und Einschüchterungen ausgesetzt, die sich gegen ihre Wahlkampfveranstaltungen und Unterstützer richteten und zu systematischen Festnahmen führten. So leitete der Generalstaatsanwalt von Diyarbakır am 10.4.2023 eine Untersuchung aller Reden ein, die auf einer YSP-Wahlveranstaltung gehalten wurden, um festzustellen, ob irgendwelche Reden "terroristische Propaganda" enthielten. Darüber hinaus wurden einige weitere Fälle von Eingriffen in das Recht auf freie Meinungsäußerung beobachtet, die sich gegen Oppositionsparteien, Kandidaten und Unterstützer richteten (OSCE/ODIHR 15.5.2023, S. 1, 13).
Die Demokratische Partei der Völker - HDP, die aufgrund des laufenden Verbotsverfahrens vor dem Verfassungsgericht von der Schließung bedroht war, nahm an den Parlamentswahlen vom 14.5.2023 unter den Listen der Links-Grünen Partei - YSP teil. Am 27.8.2023 stellte die HDP auf ihrem vierten außerordentlichen Kongress ihre Aktivitäten ein und beschloss, den politischen Kampf unter dem Dach der YSP fortzusetzen. Die YSP wiederum hielt ihren vierten großen Kongress am 15.10.2023 ab und änderte ihren Namen in Partei für Gleichheit und Demokratie der Völker - Halkların Eşitlik ve Demokrasi Partisi - HEDEP (Bianet 16.10.2023; vgl. FES 7.12.2023, S. 6). Der Kassationsgerichtshof entschied, die Abkürzung HEDEP nicht zuzulassen, weil sie eine zu große Ähnlichkeit mit der verbotenen Vorgängerpartei HADEP aufwies (FES 7.12.2023; vgl. Bianet 24.11.2023). Am 11.12.2023 änderte HEDEP ihre Abkürzung in DEM-Partei, nachdem der Kassationsgerichtshof eine Änderung aufgrund der Ähnlichkeit mit der geschlossenen Partei für Volksdemokratie (HADEP) gefordert hatte. Der vollständige neue Name der Partei wurde nicht geändert. Das Wort "Demokratie" im Parteinamen wurde verwendet, um die Abkürzung zu bilden (Duvar 11.12.2023; vgl. TM 11.12.2023).
Kommunalwahlen
Am 31.3.2024 haben in der Türkei Kommunalwahlen stattgefunden. Diese waren insofern von Bedeutung, da 20 % aller Beschäftigten der Türkei allein in Istanbul leben und dort mehr als die Hälfte der landesweiten Exporte und Importe abgefertigt werden. Außerdem stehen Istanbul und die Hauptstadt Ankara gemeinsam mit den Städten Izmir, Adana, Muğla und Antalya für fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung des Landes (DW 1.4.2024). - Erstmals seit ihrer Gründung 2001 wurde die islamisch-konservative Partei AKP von Präsident Erdoğan mit 35,5 % nur zweitstärkste Kraft. Die oppositionelle CHP kam landesweit auf 37,7 %. Sie gewann in 21 Städten und 14 Großstädten unter anderem in Istanbul, Ankara, Izmir, Bursa, Adana und Antalya. Sie übernahm auch einige ehemalige AKP-Hochburgen in Anatolien. Im Südosten der Türkei gewann die pro-kurdisch DEM-Partei, Nachfolgerin der HDP, zehn Provinzen (BPB 22.5.2024; vgl. DW 1.4.2024, Jacobin 23.4.2024). Die CHP wurde zum ersten Mal seit 1977 wieder die führende Partei im Land. Sie baute ihre Regierungskontrolle von 22 auf 35 Provinzen aus. In den kurdischen Gebieten war die Niederlage der AKP noch deutlicher. Sie verlor beispielsweise Muş und Ağri an die DEM-Partei (Jacobin 23.4.2024). Die Wahl hat außerdem gezeigt, dass mit der Neuen Wohlfahrtspartei (Yeniden Refah Partisi - YRP) von Fatih Erbakan eine islamisch-konservative Partei entstanden ist, die für die AKP-Basis eine Alternative darstellt (FES 11.7.2024, S. 4). Die YRP wurde in der Provinz Şanliurfa stärkste Partei (Jacobin 23.4.2024). Laut Experten war die angespannte wirtschaftliche Lage entscheidend für das schlechte Abschneiden der AKP. Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 konnten Erdoğan die AKP noch viele Wahlgeschenke an die Pensionisten und die Wirtschaft machen. Dieses Mal war dies angesichts der leeren Staatskassen nicht mehr möglich (DW 1.4.2024).
Eingriffe in die lokale Demokratie
Im September 2016 verabschiedete die Regierung ein Dekret, das es ihr erlaubt, "Treuhänder" anstelle von gewählten Bürgermeistern, stellvertretenden Bürgermeistern oder Mitgliedern von Gemeinderäten zu ernennen, die wegen Terrorismusvorwürfen suspendiert wurden. Dieses Dekret wurde erneut nach den Wahlen 2024 und bis ins Jahr 2025 angewendet (DFAT 16.5.2025, S. 23).
Was die kommunale Selbstverwaltung betrifft, so hielt die Regierung den Druck auf oppositionelle Bürgermeister aufrecht, auch mit administrativen und gerichtlichen Mitteln. Die Praxis der Absetzung von Bürgermeistern und deren Ersetzung durch Treuhänder gibt nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis, da sie laut Europäischer Kommission die lokale Demokratie untergräbt und den Wählern ihre bevorzugte Vertretung vorenthält (EC 30.10.2024, S. 19).
Ausführliches zur Verfolgung von Oppositionsparteien und Parlamentsabgeordneten durch die Justiz und die Absetzung von Bürgermeistern und die Installierung von Treuhändern der Regierung siehe das Unterkapitel: Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition.
Quellen
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Zeit Online - Zeit Online (29.12.2024): Türkei: Kurdenführer Öcalan zeigt sich offen für türkisch-kurdische Versöhnung, https://www.zeit.de/politik/ausland/2024-12/tuerkei-abdullah-oecalan-friedensprozess-kurden-pkk-dem, Zugriff 17.1.2025
Sicherheitslage
Aktuelle Situation angesichts der formalen Auflösung der PKK
Die offizielle Auflösung der PKK am 12.5.2025 ist ein wichtiger Schritt zur Beendigung des bewaffneten Konflikts. Die Waffenruhe, die im Zuge der Auflösung ausgerufen wurde, hat das Potenzial, die Sicherheitslage in der Türkei zu entspannen. Es bleibt jedoch ungewiss, ob alle PKK-nahen Gruppierungen die Entscheidung zur Auflösung mittragen, oder es dennoch zu gewaltsamen Zwischenfällen kommt. Die Erklärung vom 12.5.2025 betrifft zunächst nur die Kurdische Arbeiterpartei (PKK) sowie ihre militärischen Verbände. Die Schwesterparteien im Irak, Syrien und Iran sind hingegen nicht aufgelöst worden [Stand: Anfang Juli 2025] (FES 16.6.2025; vgl. DlF 13.5.2025).
Die Auflösung wird laut Quellen weitreichende politische und sicherheitspolitische Folgen für die Region haben, darunter auch für den benachbarten Irak und Syrien. Laut Quellen, die mit den Verhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung vertraut sind, gibt es noch einige ungelöste Fragen (Majalla 11.5.2025). - Die kurdische Region in Syrien (Rojava) bleibt beispielsweise ein zentraler Streitpunkt zwischen der türkischen Regierung einerseits und der PKK sowie der syrisch-kurdischen PYD (Partei der Demokratischen Union - Partiya Yekîtiya Demokrat) andererseits, denn die türkische Regierung hat die PYD, YPG (Volksverteidigungseinheiten - Yekîneyên Parastina Gel) und die SDF (Demokratischen Kräfte Syriens) stets als Ableger der PKK betrachtet. Die PKK wiederum sieht in Rojava ihr ideologisches und strategisches Projekt (BPB 16.6.2025). Offen bleiben [Stand: Anfang Juli 2025] das Wann und Wo sowie die Aufsicht der Übergabe der Waffen, die mögliche Rückkehr der PKK-Kämpfer und die Zukunft der Führungskader. So soll der türkische Geheimdienst MİT laut Berichten diese Waffenübergabe an Orten in der Türkei, aber auch in Syrien und dem Irak überwachen. PKK-Kämpfer, die sich keines Verbrechens schuldig gemacht haben, soll die Rückkehr ohne Strafverfolgung ermöglicht werden, während Führungspersönlichkeiten in Drittländern Exil eröffnet werden soll (TM 15.5.2025). Die PKK ist hauptsächlich im Nordirak ansässig, weshalb die Beteiligung sowohl der Zentralregierung in Bagdad als auch der Regionalregierung Kurdistans (KRG) in Erbil für den Erfolg der Bemühungen um Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung unerlässlich ist. Sowohl die KRG-Behörden als auch Bagdad haben angeboten, die nächsten Schritte zu unterstützen. Sie könnten bestimmte Aufgaben bei der Einsammlung und Vernichtung von Waffen, der Überprüfung der Einhaltung der Vereinbarungen sowie der Umsiedlung und Wiedereingliederung der Mitglieder in das zivile Leben übernehmen (ICG 16.5.2025).
Akteure der Sicherheitsbedrohung
Die Regierung sieht die Sicherheit des Staates durch mehrere Akteure gefährdet: namentlich durch die seitens der Türkei zur Terrororganisation erklärten Gülen-Bewegung, durch die auch in der EU als Terrororganisation gelistete [Anm.: nun aufgelöste] PKK, durch, aus türkischer Sicht, mit der PKK verbundene Organisationen, wie die YPG (Yekîneyên Parastina Gel - Volksverteidigungseinheiten) in Syrien, durch den Islamischen Staat (IS) (AA 20.5.2024, S. 4; vgl. USDOS 12.12.2024, Crisis 24 25.8.2023, EC 30.10.2024, S. 38) und durch weitere terroristische Gruppierungen, wie die linksextremistische Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - DHKP-C und die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) (AA 3.6.2021, S. 16; vgl. USDOS 12.12.2024, Crisis 24 25.8.2023, EC 30.10.2024, S. 38).
Siehe zu den Genannten die Unterkapitel: Sicherheitslage / Gülen- oder Hizmet-BewegungSicherheitslage / Terroristische Gruppierungen: MLKP – Marksist Leninist Komünist Parti (Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei)Sicherheitslage / Terroristische Gruppierungen: DHKP-C – Devrimci Halk Kurtuluş Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front)Sicherheitslage / Terroristische Gruppierungen: sog. IS – Islamischer Staat (alias Daesh)Sicherheitslage / Terroristische Gruppierungen: sog. IS – Islamischer Staat (alias Daesh) / Islamischer Staat – Provinz Khorasan (ISKP).
Höhepunkt der Terroranschläge und bewaffneter Aufstände 2015-2017
Die Türkei musste von Sommer 2015 bis Ende 2017 eine der tödlichsten Serien terroristischer Anschläge ihrer Geschichte verkraften, vornehmlich durch die PKK und ihren mutmaßlichen Ableger, den TAK (Freiheitsfalken Kurdistans - Teyrêbazên Azadîya Kurdistan), den IS und im geringen Ausmaß durch die DHKP-C (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - Devrimci Halk Kurtuluş Partisi- Cephesi – DHKP-C) (SZ 29.6.2016; vgl. AJ 12.12.2016). Seit dem Zusammenbruch des Waffenstillstands zwischen der türkischen Regierung und der PKK im Juli 2015 haben die türkischen Streitkräfte in mehreren Provinzen im Südosten des Landes Sicherheitsoperationen durchgeführt. An diesen Operationen waren Infanterie-, Artillerie- und Panzereinheiten sowie die türkische Luftwaffe beteiligt (DFAT 16.5.2025, S. 10; vgl. BICC 2.2025, S. 32f.).
Hierdurch wiederum verschlechterte sich die Bürgerrechtslage, insbesondere infolge eines sehr weit gefassten Anti-Terror-Gesetzes, vor allem für die kurdische Bevölkerung in den südöstlichen Gebieten der Türkei. Die neue Rechtslage diente als primäre Basis für Inhaftierungen und Einschränkungen von politischen Rechten. Es wurde zudem wiederholt von Folter und Vertreibungen von Kurden und Kurdinnen berichtet. Im Dezember 2016 warf Amnesty International der Türkei gar die Vertreibung der kurdischen Bevölkerung aus dem Südosten des Landes sowie eine Unverhältnismäßigkeit im Kampf gegen die PKK vor (BICC 2.2025, S. 323). Kritik gab es auch von den Institutionen der Europäischen Union am damaligen Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte. - Die Europäische Kommission zeigte sich besorgt ob der unverhältnismäßigen Zerstörung von privatem und kommunalem Eigentum und Infrastruktur durch schwere Artillerie, wie beispielsweise in Cizre (EC 9.11.2016, S. 28). Im Frühjahr 2016 zeigte sich das Europäische Parlament "in höchstem Maße alarmiert angesichts der Lage in Cizre und Sur/Diyarbakır und verurteilt[e] die Tatsache, dass Zivilisten getötet und verwundet werden und ohne Wasser- und Lebensmittelversorgung sowie ohne medizinische Versorgung auskommen müssen [...] sowie angesichts der Tatsache, dass rund 400.000 Menschen zu Binnenvertriebenen geworden sind" (EP 14.4.2016, S. 11, Pt. 27). Das türkische Verfassungsgericht hat allerdings eine Klage im Zusammenhang mit dem Tod mehrerer Menschen zurückgewiesen, die während der 2015 und 2016 verhängten Ausgangssperren im Bezirk Cizre in der mehrheitlich kurdisch bewohnten südöstlichen Provinz Şırnak getötet wurden. Das oberste Gericht erklärte, dass Artikel 17 der Verfassung über das "Recht auf Leben" nicht verletzt worden sei (Duvar 8.7.2022b). Vielmehr sei laut Verfassungsgericht die von der Polizei angewandte tödliche Gewalt notwendig gewesen, um die Sicherheit in der Stadt zu gewährleisten (TM 4.11.2022). Zum Menschenrecht "Recht auf Leben" siehe auch das Kapitel: Allgemeine Menschenrechtslage und zum Thema Binnenflüchtlinge das Unterkapitel: Flüchtlinge / Binnenflüchtlinge (IDPs).
Entwicklungen bis zur Auflösung der PKK
Zwischen 2016 und 2023 stieg die Gewaltrate allmählich im gesamten Nordirak sowie in Nordsyrien an, wo sich die Eskalation zwischen den türkischen Sicherheitskräften, den Volksverteidigungseinheiten - YPG (die syrische Schwesterorganisation der PKK) verschärfte. Die Eskalation innerhalb der Türkei hingegen ging in diesem Zeitraum deutlich zurück (ICG 8.1.2024). Die Zusammenstöße in der Türkei dauerten auch in den Jahren 2023 und 2024 an, wenn auch mit geringerem Tempo als in den Vorjahren (DFAT 16.5.2025, S. 10f.). Die anhaltenden Bemühungen im Kampf gegen den Terrorismus haben die terroristischen Aktivitäten verringert und die Sicherheitslage verbessert (EC 30.10.2024, S. 58).
Die Maßnahmen der Sicherheitskräfte gegen die PKK betrafen in unverhältnismäßiger Weise kurdische Gemeinden. Die Behörden verhängen Ausgangssperren von unterschiedlicher Dauer in bestimmten städtischen und ländlichen Regionen und errichten in einigen Gebieten spezielle Sicherheitszonen, um die Operationen gegen die PKK zu erleichtern, die den Zugang für Besucher und in einigen Fällen auch für Einwohner einschränkten (USDOS 22.4.2024, S. 24, 42, 68).
Opferbilanz
Angaben der türkischen Menschenrechtsvereinigung (İHD) zufolge kamen 2023 242 Personen bei bewaffneten Auseinandersetzungen ums Leben, davon 173 bewaffnete Kämpfer, 69 Angehörige der Sicherheitskräfte, jedoch keine Zivilisten (İHD/HRA 23.8.2024, S. 2). Das waren deutlich weniger als in der İHD-Zählung von 2022 als 122 Angehörige der Sicherheitskräfte, 276 bewaffnete Militante und neun Zivilisten den Tod fanden (İHD/HRA 27.9.2023a).
Die International Crisis Group (ICG) zählte seit dem Wiederaufflammen der Kämpfe am 20.7.2015 bis zum 4.6.2025 7.227 (4.851 PKK-Kämpfer, 1.501 Sicherheitskräfte - in der Mehrzahl Soldaten [1.065], aber auch 304 Polizisten und 132 sogenannte Dorfschützer - 649 Zivilisten und 226 nicht-zuordenbare Personen). Die Zahl der Todesopfer im PKK-Konflikt in der Türkei erreichte im Winter 2015-2016 ihren Höhepunkt. Zu dieser Zeit konzentrierte sich der Konflikt auf eine Reihe mehrheitlich kurdischer Stadtteile im Südosten der Türkei. In diesen Bezirken hatten PKK-nahe Jugendmilizen Barrikaden und Schützengräben errichtet, um die Kontrolle über das Gebiet zu erlangen. Die türkischen Sicherheitskräfte haben die Kontrolle über diese städtischen Zentren im Juni 2016 wiedererlangt. Seitdem ist die Zahl der Todesopfer allmählich zurückgegangen. - Seit der formalen Auflösung der PKK haben sich die Zusammenstöße deutlich reduziert. - Während im Jänner noch 16 und im Februar noch zwölf Tote verzeichnet wurden, sanken die monatlichen Opferzahlen seit März 2025 in den einstelligen Bereich [siehe Grafik] (ICG 5.6.2025).
Die Türkei setzte ihr Vorgehen gegen die PKK trotz der von der Gruppe erklärten Waffenruhe fort. So wurden im Irak und in Syrien laut offizieller Verlautbarung des Verteidigungsministeriums im März 2025 insgesamt 26 "Terroristen" neutralisiert (AP 6.3.2025; vgl. ORF 13.3.2025). Ende Mai wurden im Nord-Irak zwei PKK getötet (ICG 6.2025).
ICG 5.6.2025
Das türkische Parlament stimmte im Oktober 2023 einem Memorandum des Präsidenten zu, das den Einsatz der türkischen Armee im Irak und in Syrien um weitere zwei Jahre verlängert. Das Memorandum, das die "zunehmenden Risiken und Bedrohungen für die nationale Sicherheit aufgrund der anhaltenden Konflikte und separatistischen Bewegungen in der Region" hervorhebt, wurde mit 357 Ja-Stimmen und 164 Nein-Stimmen angenommen. Die wichtigste Oppositionspartei, die Republikanische Volkspartei (CHP), und die pro-kurdische Partei für Gleichberechtigung und Demokratie (HEDEP), inzwischen in Partei der Völker für Gleichberechtigung und Demokratie (DEM-Partei) umbenannt, waren unter den Gegnern des Memorandums und wiederholten damit ihre ablehnende Haltung von vor zwei Jahren (HDN 18.10.2023; vgl. AlMon 17.10.2023). Im Rahmen des Mandats, das erstmals 2014 in Kraft trat und mehrfach verlängert wurde, führte die Türkei mehrere Bodenangriffe in Syrien und im Irak durch (AlMon 17.10.2023).
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Rechtsstaatlichkeit / Justizwesen
Allgemeine Situation der Rechtsstaatlichkeit und des Justizwesens
Der systembedingte Mangel an Unabhängigkeit der Justiz ist eines der größten Probleme in der Türkei. Die Exekutive bzw. die Regierung übt eine erhebliche Kontrolle über die Justiz aus und mischt sich häufig in gerichtliche Entscheidungen ein, wodurch die Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz immer weiter zurückgedrängt werden. Die Justiz ist nach wie vor ein zentrales Instrument der Regierung, um die Opposition zum Schweigen zu bringen und Andersdenkende zu inhaftieren (BS 19.3.2024, S. 12f.; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 11f., CAT 14.8.2024, S. 11, AI 29.4.2025, EP 7.5.2025, Pt. 8). Zudem ist die Justiz auch bei der Untersuchung und Verfolgung größerer Korruptionsfälle der Einmischung der Regierung ausgesetzt (USDOS 22.4.2024, S. 58). Insbesondere infolge der Verabschiedung des Gesetzes Nr. 6524 im Jahr 2014 und der Verfassungsänderungen von 2017 hat die Kontrolle der Exekutive über die Justiz drastisch zugenommen, dies trotz der Bestimmungen von Art. 138 der Verfassung und Art. 4 des Gesetzes Nr. 2802, die beide die Unabhängigkeit der Judikative betreffen (UNHRCOM 28.11.2024, S. 9). - Das Europäische Parlament sah zuletzt im Mai 2025 u. a. den kritischen Zustand des Justizwesens – einschließlich der mangelnden Achtung der Urteile des Verfassungsgerichts – als einen der Hauptgründe für die katastrophale Lage der Rechtsstaatlichkeit und sprach hierbei von der "Untergrabung der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei durch die türkische Regierung" (EP 7.5.2025, G, R).
Die ernsten Bedenken der EU über die anhaltende Verschlechterung der demokratischen Standards, der Rechtsstaatlichkeit, der Unabhängigkeit der Justiz und der Achtung der Grundrechte wurden laut Europäischer Kommission nicht berücksichtigt (EC 30.10.2024, S. 3; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 1, 11f.). Ende November 2024 kam auch Kritik seitens des Menschenrechtsausschusses der Vereinten Nationen, und zwar in Hinblick auf die Umsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights - ICCPR). - Der Ausschuss war der Auffassung, "dass die im April 2017 während des Ausnahmezustands vorgenommenen Verfassungsänderungen die Befugnisse der Exekutive auf Kosten des Parlaments und der Justiz unverhältnismäßig gestärkt haben, was berechtigte Bedenken hinsichtlich einer mangelnden Rechenschaftspflicht und Gewaltenteilung im Vertragsstaat aufkommen lässt, insbesondere im Hinblick auf die Verabschiedung von Gesetzen ohne Beteiligung des Parlaments und die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten ohne wirksame Kontrollverfahren (Art. 4). [...] Der Vertragsstaat sollte in Erwägung ziehen, seine Gesetzgebung zu überarbeiten, um die Rechenschaftspflicht zu gewährleisten und den Grundsatz der Gewaltenteilung strikt einzuhalten, insbesondere in Bezug auf die Judikative. Ferner sollte er in Gesetz und Praxis die volle Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz gewährleisten" [Originalzitat auf Englisch] (UNHRCOM 28.11.2024, S. 2).
Justizreformen
Strategische Reformdokumente sind zwar vorhanden, reichen aber nicht aus, um die erheblichen Mängel zu beheben. Die Strategie für die Justizreform 2019-2023 geht nicht in vollem Umfang auf Mängel des Justizwesens ein. Das achte Justizreformpaket wurde im März 2024 angenommen, geht aber ebenfalls nicht angemessen auf die strukturellen Mängel des Justizsystems ein (EC 30.10.2024, S. 25, S. 19). Die im Jänner 2025 veröffentlichte Justizreformstrategie (2025-2029) fokussiert auf die Beschleunigung von Gerichtsverfahren. Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz, welche die zentralen Mängel des türkischen Justizsystems angehen, werden ausschließlich im Rahmen einer möglichen Verfassungsreform behandelt. Die Strategie enthält keine konkreten Vorschläge zur Lösung der von der Venedig-Kommission identifizierten Probleme (ÖB Ankara 4.2025, S. 18). So bedauerte das Europäische Parlament im Mai 2025 "zutiefst, dass sich die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei trotz einer Reformstrategie, die neun Pakete von Justizreformen umfasst, nach wie vor in einem desolaten Zustand befindet, nachdem die Regierung systematisch in das Justizsystem eingegriffen und es politisch instrumentalisiert hat" (EP 7.5.2025, Pt. 8).
Die Korrektur der Anti-Terror-Gesetzgebung stand im Zentrum des achten Reformpaketes. - Die umstrittenste Bestimmung des Pakets betraf nämlich den Straftatbestand der "Begehung von Straftaten im Namen einer terroristischen Vereinigung, ohne deren Mitglied zu sein", der in Artikel 220/6 des türkischen Strafgesetzbuchs (TCK) geregelt war, aber im September 2023 vom Verfassungsgericht als verfassungswidrig aufgehoben worden war. In der Begründung für seine einstimmige Entscheidung erklärte das Verfassungsgericht, dass die Bestimmung "nicht klar und vorhersehbar genug ist, um willkürliche Praktiken von Behörden zu verhindern, und nicht den Kriterien der Rechtmäßigkeit entspricht" (EI 4.4.2024; vgl. AI 29.4.2025, MLSA 23.2.2024). Die Änderung von Artikel 220/6 trägt allerdings den bereits bestehenden Bedenken in Bezug auf Klarheit und Vorhersehbarkeit zum besseren Schutz der Menschenrechte von Personen, die einer Straftat beschuldigt werden, nicht in vollem Umfang Rechnung, da der vorgeschlagene Artikel nach wie vor keine klaren Kriterien dafür enthält, wann die Begehung einer Straftat im Namen einer bewaffneten Organisation unter Strafe gestellt werden kann, womit das Gesetz keine auf internationalen Standards basierenden Garantien gegen willkürliche Eingriffe durch staatliche Behörden bietet (AI 29.2.2024, S. 2f.; vgl. UNHRCOM 28.11.2024, S. 4). Das heißt, mit dem Justizreformpaket 2024 wurde die Vorschrift über die "Begehung von Straftaten im Namen einer Organisation, ohne Mitglied zu sein", trotz vorhergehender Aufhebung und des Auftrages durch das Verfassungsgericht an den Gesetzesgeber innert vier Monaten die Mängel im Gesetzestext zu beheben, unverändert übernommen. Die gleiche Bestimmung gilt auch für "bewaffnete kriminelle Organisationen" gemäß Artikel 314 des Strafgesetzbuches (MLSA 23.2.2024).
Auswirkungen der Anti-Terror-Gesetzgebung
Mit Auslaufen des Ausnahmezustandes im Juli 2018 beschloss das Parlament das Gesetz Nr. 7145, durch das Bestimmungen im Bereich der Grundrechte abgeändert wurden. Zu den zahlreichen, nunmehr gesetzlich verankerten Maßnahmen aus der Periode des Ausnahmezustandes zählt insbesondere die Übertragung außerordentlicher Befugnisse an staatliche Behörden sowie Einschränkungen der Grundfreiheiten. Problematisch ist vor allem der weit ausgelegte Terrorismus-Begriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung (ÖB Ankara 4.2025, S. 8f.). Das Europäische Parlament (EP) "betont, dass die Anti-Terror-Bestimmungen in der Türkei immer noch zu weit gefasst sind und nach freiem Ermessen zur Unterdrückung der Menschenrechte und aller kritischen Stimmen im Land, darunter Journalisten, Aktivisten und politische Gegner, eingesetzt werden" (EP 7.6.2022, S. 18, Pt. 29) "unter der komplizenhaften Mitwirkung einer Justiz, die unfähig oder nicht willens ist, jeglichen Missbrauch der verfassungsmäßigen Ordnung einzudämmen", und "fordert die Türkei daher nachdrücklich auf, ihre Anti-Terror-Gesetzgebung an internationale Standards anzugleichen" (EP 19.5.2021, S. 9, Pt. 14).
In ähnlicher Weise äußerte sich Ende November 2024 der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen, indem er seiner Besorgnis über die mangelnde Vereinbarkeit des rechtlichen Rahmens zur Terrorismusbekämpfung mit dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) äußerte, wobei explizit das Antiterrorgesetzes (Nr. 3713), wo die Begriffe "Terrorismus" und "terroristischer Straftäter" weit gefasst werden. Der Ausschuss war auch besorgt über das Gesetz Nr. 7262 über die Verhinderung der Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Während das Ziel des Gesetzes die Bekämpfung der Geldwäsche und der Finanzierung des Terrorismus war, wurde es Berichten zufolge dazu benutzt, zivilgesellschaftliche Organisationen ins Visier zu nehmen und sie einer strengen Überwachung und Kontrolle, dem Einfrieren von Vermögenswerten und der Einschränkung ihrer Rechte zu unterwerfen, so der Ausschuss (UNHRCOM 28.11.2024, S. 4). Sie hierzu auch das Kapitel: Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Auf Basis der Anti-Terror-Gesetzgebung wurden türkische Staatsbürger aus dem Ausland entführt oder unter Zustimmung der Drittstaaten in die Türkei verbracht (EP 19.5.2021, S. 16, Pt. 40). Das EP verurteilte so wie 2021 in seiner Entschließung vom Juni 2022 neuerlich "aufs Schärfste die Entführung türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz außerhalb der Türkei und deren Auslieferung in die Türkei, was eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte darstellt" (EP 7.6.2022, S. 19, Pt. 31). Die Europäische Kommission kritisierte die Türkei für die hohe Zahl von Auslieferungsersuchen im Zusammenhang mit terroristischen Straftaten, die (insbesondere von EU-Ländern) aufgrund des Flüchtlingsstatus oder der Staatsangehörigkeit der betreffenden Person abgelehnt wurden. Überdies zeigte sich die Europäische Kommission besorgt ob der hohen Zahl der sog. "Red Notices" bezüglich wegen Terrorismus gesuchter Personen. Diese Red Notices wurden von INTERPOL entweder abgelehnt oder gelöscht (EC 19.10.2021, S. 44). Siehe auch die Kapitel: Verfolgung fremder Staatsbürger wegen Straftaten im AuslandSicherheitslage / Gülen- oder Hizmet-Bewegung.
Die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten, Margaret Satterthwaite, äußerte im Juni 2024 ihre tiefe Besorgnis über die Verschlechterung der Unabhängigkeit der Justiz und der Menschenrechte in der Türkei. Vorliegende Informationen würden ferner darauf hindeuten, dass der Rechtsrahmen zur Terrorismusbekämpfung der Regierung Befugnisse über die Justiz einräumt und damit deren Unabhängigkeit untergräbt. - Das Gesetz Nr. 7145 gebe der Regierung die Befugnis, jeden Beamten, Richter oder Staatsanwalt zu entlassen, und zwar ausschließlich auf der Grundlage einer Bewertung ihrer Kontakte zu terroristischen Organisationen oder Strukturen, Einrichtungen oder Gruppen und nicht auf der Grundlage von Beweisen. Der Nationale Sicherheitsrat (MGK) sei als Sicherheitsorgan in der Lage, solche Entscheidungen ohne richterliche Aufsicht und Überprüfung zu treffen. Um die Entlassung eines Richters zu rechtfertigen, verlange das Gesetz lediglich eine "Verbindung", "Vereinigung" oder "Zugehörigkeit" zu einer "Struktur, Formation oder Gruppe", die der Nationale Sicherheitsrat der Türkei als "gegen die nationale Sicherheit des Staates gerichtet" eingestuft hat. Diese vage und zu weit gefasste Formulierung schaffe ein großes Potenzial für die willkürliche Entlassung von Richtern unter Verletzung der Garantien der richterlichen Unabhängigkeit (OHCHR 21.6.2024, S. 1f.).
Verfolgung von Strafverteidigern bei Terrorismusverfahren
Die Verfassung sieht zwar das Recht auf ein faires öffentliches Verfahren vor, doch Anwaltskammern und Rechtsvertreter behaupten, dass die zunehmende Einmischung der Exekutive in die Justiz und die Maßnahmen der Regierung durch die Notstandsbestimmungen dieses Recht gefährden. Einige Anwälte gaben an, dass sie zögerten, Fälle anzunehmen, insbesondere solche von Verdächtigen, die wegen Verbindungen zur PKK oder zur Gülen-Bewegung angeklagt waren, aus Angst vor staatlicher Vergeltung, einschließlich Strafverfolgung (USDOS 20.3.2023 S. 11, 19). Strafverteidiger, die Angeklagte in Terrorismusverfahren vertreten, sind mit Verhaftung und Verfolgung aufgrund der gleichen Anklagepunkte wie ihre Mandanten konfrontiert (USDOS 20.3.2023, S. 11; vgl. TT/Perilli 2.2021, S. 41, HRW 13.1.2021). Beispielsweise gab ein von Pro Asyl befragter Rechtsanwalt an, dass gegen ihn fünf Ermittlungsverfahren wegen Terrorismusdelikten liefen, die alle im Zusammenhang mit seiner beruflichen Tätigkeit stünden (Pro Asyl 9.2024, S. 75).
Das EP zeigte sich entsetzt "wonach Anwälte, die des Terrorismus beschuldigte Personen vertreten, wegen desselben Verbrechens, das ihren Mandanten zur Last gelegt wird, oder eines damit zusammenhängenden Verbrechens strafrechtlich verfolgt wurden, das heißt, es wird ein Kontext geschaffen, in dem ein eindeutiges Hindernis für die Wahrnehmung des Rechts auf ein faires Verfahren und den Zugang zur Justiz errichtet wird" (EP 7.6.2022, S. 12, Pt. 15). Auch der UN-Menschenrechtsausschuss war besorgt aufgrund der sehr hohen Zahl von Rechtsanwälten, gegen die insbesondere während des Ausnahmezustands wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung gemäß Art. 314/2 des Strafgesetzbuchs ermittelt wurde, die verhaftet oder in Untersuchungshaft genommen wurden, nur weil sie ihren Beruf als Rechtsanwalt ausübten (UNHRCOM 28.11.2024, S. 9).
Im Februar 2024 erhob die Generalstaatsanwaltschaft Anklage gegen zehn Rechtsanwälte in Diyarbakır unter dem Vorwurf der "Mitgliedschaft in einer bewaffneten/terroristischen Organisation" gemäß Artikel 314 des Strafgesetzbuches, weil sie "als Verteidiger für inhaftierte Personen tätig waren, die an illegalen organisatorischen Handlungen und Aktivitäten teilgenommen haben". Die Anklagen stützten sich auf die Aussagen eines Zeugen und die Anwesenheit der angeklagten Anwälte bei der Vernehmung von Gefangenen, gegen die "ein Gerichtsverfahren wegen Straftaten im Zusammenhang mit einer illegalen Organisation" läuft. Die Staatsanwaltschaft wertete die Anwesenheit der Anwälte bei den Verhören als Beweis dafür, dass die Anwälte als Verteidiger "auf Anweisung einer illegalen Organisation" an diesen Verhören teilnahmen. Die Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen für die Unabhängigkeit von Richtern und Anwälten zeigte sich dementsprechend äußerst besorgt über Berichte, wonach die Staatsanwaltschaft die Tätigkeit als Verteidiger von Personen, gegen die ein Gerichtsverfahren wegen Straftaten im Zusammenhang mit einer illegalen Organisation läuft, mit der Tätigkeit als Anwalt im Auftrag einer illegalen Organisation gleichsetzt. Internationale und regionale Standards verbieten, so die Sonderberichterstatterin, ausdrücklich die Identifizierung von Anwälten mit ihren Mandanten oder deren Anliegen bei der Ausübung ihrer beruflichen Pflichten (OHCHR 21.6.2024, S. 8, 11).
Am 16.1.2025 äußerte die UN-Sonderberichterstatterin für die Situation von Menschenrechtsverteidigern, Mary Lawlor, ihre tiefe Besorgnis über die anhaltende Langzeitinhaftierung von neun prominenten Menschenrechtsverteidigern und Anwälten, die alle im Zusammenhang mit ihrer friedlichen Arbeit willkürlich verhaftet und in unfairen Prozessen unter fadenscheinigen Anschuldigungen im Zusammenhang mit Terrorismus verurteilt wurden. Acht sind Mitglieder der Progressiven Anwaltsvereinigung (Çağdaş Hukukçular Derneği - ÇHD), die Opfer von Polizeigewalt und Folter sowie Bürgerinnen und Bürger vertritt, die wegen ihrer Meinung verfolgt werden. Sie wurden zwischen 2018 und 2019 verhaftet und wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" angeklagt; zwei von ihnen wurden auch wegen "Propaganda für eine terroristische Vereinigung" angeklagt. Sie wurden in einem als ÇHD II-Prozess bekannten Verfahren, das nicht den internationalen Standards für faire und ordnungsgemäße Gerichtsverfahren entsprach, zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt. Alle neun Menschenrechtsverteidiger befinden sich in geschlossenen Hochsicherheitsgefängnissen (OHCHR 16.1.2025).
Im Mai (2023) erklärte der damalige Innenminister Soylu: "Wenn die Anwälte der PKK eingesperrt werden, dann wird es in der Türkei keine PKK mehr geben. Sie sind das Ziel ... Die PKK vergiftet die Türkei über die Anwälte" (USDOS 22.4.2024, S. 9).
Statistiken der Anti-Terror-Gesetzgebung
Laut Statistiken des türkischen Justizministeriums wurden zwischen 2016 und 2020 mehr als 265.000 Personen wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Im Juni 2022 lag die Gesamtzahl der von der Justiz eingeleiteten Gerichtsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung bei über zwei Millionen. In Anbetracht der großen Zahl der strafrechtlich verfolgten Personen gehen Schätzungen davon aus, dass mehr als vier Millionen Menschen in der türkischen Gesellschaft direkt betroffen sind bzw. waren (OHCHR 21.6.2024, S. 4).
Der offiziellen Statistik des türkischen Justizministeriums für das Jahr 2021 [Anm.: Danach gab es keine detaillierteren Aufschlüsselungen in den Statistiken] zufolge wurden 7.059 Strafurteile gem. Art. 220 und 44.042 gem. Art. 314 des Strafgesetzbuches (Gesetz Nr. 5237) gefällt. 3.057 wurden nach Art. 220 und 18.816 nach Art. 314 zu Haftstrafen verurteilt. 1.912 (Art. 220) bzw. 12.093 (Art. 314) fielen in die Kategorie "sonstige Verurteilungen". 7.098 Angeklagte nach Artikel 220 und 17.970 nach Artikel 314 wurden freigesprochen [Anm.: der Rest fällt in diverse andere Kategorien, welche hier nicht speziell angeführt werden]. 2021 gab es nach dem Anti-Terror-Gesetz (Gesetz Nr. 3713) 2.892 Verurteilungen, davon 1.149 Haftstrafen und 210 bedingte Haftstrafen. Die Zahl der sonstigen Verurteilungen von Angeklagten vor Strafgerichten nach dem Anti-Terror-Gesetz betrug 751 (MoJ - GDJR S 2022, S. 95, 98, 102, 112, 154, 157, 163, 166, 181, 184; S. 63, 113, 122, 140, 158, 167).
Verfolgt werden Personen auch nach dem Gesetz Nr. 6415 (2003), dem Gesetz zur Verhinderung der Finanzierung des Terrorismus'. 2024 wurden laut offizieller Statistik gegen fast 11.000 Verdächtige ermittelt. Gerichtlich verfolgt wurden 2024 810 Personen (MoJ - GDJR S 3.2025, S. 76f.). Im Oktober 2024 wurde beispielsweise Hatice Onaran, Mitglied des Gefängnisausschusses des türkischen Menschenrechtsvereins İHD, gemäß dem Gesetz Nr. 6415 zu vier Jahren und zwei Monaten Haft verurteilt. Grund dafür war, dass sie acht Personen, die sich wegen terrorismusbezogener Straftaten in Haft befanden, kleinere Geldsummen zur Deckung persönlicher Bedürfnisse überwiesen hatte (AI 29.4.2025; vgl. ANF 15.4.2025).
Faires Verfahren
Die Auswirkungen dieser Situation auf das Strafrechtssystem zeigen sich dadurch, dass sich zahlreiche seit Langem bestehende Probleme, wie der Missbrauch der Untersuchungshaft, verschärft haben, und neue Probleme hinzugekommen sind. Vor allem bei Fällen von Terrorismus und Organisierter Kriminalität hat die Missachtung grundlegender Garantien für ein faires Verfahren durch die türkische Justiz und die sehr lockere Anwendung des Strafrechts auf eigentlich rechtskonforme Handlungen zu einem Grad an Rechtsunsicherheit und Willkür geführt, der das Wesen des Rechtsstaates gefährdet (CoE-CommDH 19.2.2020). 2024 betrafen von den 73 Urteilen, wobei 67 hiervon zumindest eine Verletzung umfassten, des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) im Sinne der Verletzung der Menschenrechte in der Türkei allein 19 das "Recht auf Freiheit und Sicherheit" und 13 das "Recht auf ein faires Verfahren" (ECHR 22.1.2025). Die fehlende Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte ist die wichtigste Ursache für die vom EGMR in seinen Urteilen gegen die Türkei häufig monierten Verletzungen von Regelungen zu fairen Gerichtsverfahren, obgleich dieses Grundrecht in der Verfassung verankert ist (ÖB Ankara 4.2025, S. 10f.).
Bereits im Juni 2020 wies der damalige Präsident des türkischen Verfassungsgerichts, Zühtü Arslan [Anm.: am 21.3.2024 aus dem Amt geschieden], darauf hin, dass die Mehrzahl der Rechtsverletzungen (52 %) auf das Fehlen eines Rechts auf ein faires Verfahren zurückzuführen ist, was laut Arslan auf ein ernstes Problem hinweise, das gelöst werden müsse (Duvar 9.6.2020). 2022 zitiert das Europäische Parlament den Präsidenten des türkischen Verfassungsgerichtes, wonach mehr als 73 % der über 66.000 im Jahr 2021 eingereichten Gesuche sich auf das Recht auf ein faires Verfahren beziehen, was den Präsidenten veranlasste, die Situation als katastrophal zu bezeichnen (EP 7.6.2022, S. 12, Pt. 16).
Einschränkungen für den Rechtsbeistand
Mängel gibt es weiters beim Umgang mit vertraulich zu behandelnden Informationen, insbesondere persönlichen Daten und beim Zugang zu den erhobenen Beweisen gegen Beschuldigte sowie bei den Verteidigungsmöglichkeiten der Rechtsanwälte bei sog. Terror-Prozessen. Fälle mit Bezug auf eine angebliche Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung oder der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) werden häufig als geheim eingestuft, mit der Folge, dass Rechtsanwälte bis zur Anklageerhebung keine Akteneinsicht nehmen können (AA 20.5.2024, S. 12; vgl. AI 26.10.2020). Gerichtliche Geheimhaltungsbeschlüsse werden regelmäßig ohne konkrete Begründung erteilt, vor allem fehlt ihnen die notwendige Abwägung zwischen den Grundrechten des Beschuldigten und der Gefährdung des Untersuchungszwecks. Teilweise wird nicht einmal Akteneinsicht in jene Teile der Ermittlungsakte gewährt, die nach der gesetzlichen Regelung nicht von der Akteneinsicht ausgeschlossen werden dürfen (Pro Asyl 9.2024, S. 7). Gerichtsprotokolle werden mit wochenlanger Verzögerung erstellt. Beweisanträge der Verteidigung und die Befragung von Belastungszeugen durch die Verteidiger werden im Rahmen der Verhandlungsführung des Gerichts eingeschränkt. Geheime Zeugen können im Prozess nicht direkt befragt werden. Der subjektive Tatbestand wird nicht erörtert, sondern als gegeben unterstellt (AA 20.5.2024, S. 12; vgl. AI 26.10.2020). Einerseits werden oftmals das Recht auf Zugang zur Justiz und das Recht auf Verteidigung aufgrund der vorgeblichen Vertraulichkeit der Unterlagen eingeschränkt, andererseits tauchen gleichzeitig in den Medien immer wieder Auszüge aus den Akten der Staatsanwaltschaft auf, was zu Hetzkampagnen gegen die Verdächtigten/Angeklagten führt und nicht selten die Unschuldsvermutung verletzt (ÖB Ankara 4.2025, S. 12).
Einschränkungen für den Rechtsbeistand ergeben sich auch bei der Festnahme und in der Untersuchungshaft. - So sind die Staatsanwälte beispielsweise befugt, die Polizei mit nachträglicher gerichtlicher Genehmigung zu ermächtigen, Anwälte daran zu hindern, sich in den ersten 24 Stunden des Polizeigewahrsams mit ihren Mandanten zu treffen, wovon sie laut Human Rights Watch auch routinemäßig Gebrauch machen. Die privilegierte Kommunikation von Anwälten mit ihren Mandanten in der Untersuchungshaft wurde faktisch abgeschafft, da es den Behörden gestattet ist, die gesamte Kommunikation zwischen Anwalt und Mandant aufzuzeichnen und zu überwachen (HRW 10.4.2019; vgl. Pro Asyl 9.2024, S. 111). Laut von Pro Asyl befragten Rechtsanwälten besteht der Hauptzweck der Einschränkung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand in den ersten 24 Stunden darin, zu erreichen, dass Beschuldigte in informellen Vernehmungen gegen sich selbst und gegen andere aussagen, oder auch die Person durch Beeinflussung zu "tätiger Reue" zu bewegen und sie zu einem "geheimen Zeugen" zu machen (Pro Asyl 9.2024, S. 109).
Ein prominentes Beispiel hierfür: In seinem Urteil vom 6.6.2023 in der Rechtssache Demirtaş und Yüksekdağ Şenoğlu [seit November 2016 in Haft] gegen die Türkei entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte mehrheitlich (mit 6 gegen 1 Stimme), dass ein Verstoß gegen Artikel 5 Absatz 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf eine rasche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung) vorliegt. Die beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP beschwerten sich darüber, dass sie keinen wirksamen Rechtsbeistand erhalten hatten, um gegen ihre Untersuchungshaft zu klagen, da die Gefängnisbehörden ihre Treffen mit ihren Anwälten überwacht und die mit ihnen ausgetauschten Dokumente beschlagnahmt hatten. Der EGMR war der Ansicht, dass die nationalen Gerichte keine außergewöhnlichen Umstände dargelegt hatten, die eine Abweichung vom Grundprinzip der Vertraulichkeit der Gespräche der Beschwerdeführer mit ihren Rechtsanwälten rechtfertigen könnten, und dass die Verletzung des Anwaltsgeheimnisses den Beschwerdeführern einen wirksamen Beistand durch ihre Rechtsanwälte im Sinne von Artikel 5 § 4 der Konvention vorenthalten hatte. In Anbetracht der in seinen früheren Urteilen getroffenen Feststellungen war der Gerichtshof außerdem der Ansicht, dass es nicht möglich war, das Vorliegen solcher Umstände nachzuweisen, da der Gerichtshof das Argument der türkischen Regierung vormals zurückgewiesen hatte, dass sich die Beschwerdeführer wegen terrorismusbezogener Straftaten in Untersuchungshaft befunden hätten. Schließlich stellte das Gericht fest, dass die nationalen Behörden keine detaillierten Beweise vorgelegt hatten, die die Verhängung der angefochtenen Maßnahmen gegen die Kläger im Rahmen des Notstandsdekrets Nr. 676 rechtfertigen könnten. Das Gericht entschied, dass die Türkei den Klägern jeweils 5.500 Euro an immateriellem Schaden und zusammen 2.500 Euro an Kosten und Auslagen zu zahlen hat (ECHR 6.6.2023).
Geheime bzw. anonyme Zeugen
Das Thema der geheimen Zeugenaussagen kam mit dem 2008 verabschiedeten Zeugenschutzgesetz auf die Tagesordnung. Trotz dutzender Skandale fällen die Gerichte nach wie vor Urteile auf der Grundlage der Aussagen anonymer bzw. geheimer Zeugen, bzw. sehen diese kritisch als ein politisches Instrument (Mezopotamya 2.8.2022; vgl. TM 26.11.2020). Die Entscheidung, die Identität eines Zeugen geheim zu halten, wird regelmäßig entgegen der Rechtsprechung des Verfassungsgerichts und des EGMR nicht mit konkreten und objektiven Tatsachen begründet. In Terrorismusverfahren können die abstrakten und allgemeinen Aussagen solcher geheimer Zeugen jedoch zur wesentlichen und entscheidenden Grundlage für Verhaftungs- und Verurteilungsentscheidungen werden (Pro Asyl 9.2024, S. 84).
Ein Zeuge mit dem Codenamen "Garson" (Kellner) ist wahrscheinlich der bekannteste, da er Zeuge in einem Fall war, an dem rund 4.000 Polizisten, vermeintliche Unterstützer der Gülen-Bewegung, beteiligt waren. Problematisch sind insbesondere Fälle, bei denen sich herausstellt, dass die anonymen Zeugen gar nicht existieren. Etwa wurden die Aussagen des anonymen Zeugen "Mercek" zur Begründung für die Verurteilung vieler Politiker herangezogen, u. a. auch gegen den seit 2016 inhaftierten, ehemaligen Ko-Vorsitzenden der pro-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Selahattin Demirtaş. Später stellte sich jedoch heraus, dass es diese Person gar nicht gab (Mezopotamya 2.8.2022; vgl. TM 26.11.2020). Mitunter geben die Behörden zu, dass es keine anonymen Zeugen gibt. So musste die Polizeibehörde von Diyarbakır 2019 eingestehen, dass eine anonyme Zeugin mit dem Codenamen "Venus", deren Aussage zur Festnahme und Inhaftierung zahlreicher Personen führte, in Wirklichkeit nicht existierte (NaT 19.2.2019). Im seit 2022 laufenden Verbotsverfahren gegen die HDP wurde zumindest ein anonymer Zeuge gehört, der laut der HDP-Parlamentarierin, Meral Danış-Beştaş, der Generalstaatsanwaltschaft Auskunft über die Parteifinanzen erteilte, was vermeintlich zur Sperrung der Parteienförderung für die HDP führte (Bianet 30.1.2023).
Im Februar 2022 stellte das Verfassungsgericht fest, dass die Aussagen geheimer Zeugen, die konkrete Tatsachen enthalten, als "starke Indizien für eine Straftat" akzeptiert werden können, ohne dass sie durch andere Beweise gestützt werden, und dass die auf diese Weise vorgenommenen Verhaftungen im Einklang mit dem Gesetz stehen würden (DW 17.2.2022; vgl. Duvar 18.2.2022). Allerdings liegt die Betonung auf "konkrete Tatsachen", denn das Urteil war die Folge einer laut Verfassungsgericht rechtswidrigen Verhaftung eines Gemeinderates in Diyarbakır-Eğil im Jahr 2020 und basierte auf einer geheimen Zeugenaussage, mit welcher der Gemeinderat der "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" beschuldigt wurde. Diese Aussage war rechtswidrig weil "abstrakt" und eben nicht "konkret". Kritiker der Hinzuziehung geheimer bzw. anonymer Zeugen betrachten diese Praxis als Instrument, Zeugenaussagen zu fälschen und abweichende Meinungen und Widerstand zum Schweigen zu bringen (Duvar 18.2.2022).
Im Gegensatz zum Verfassungsgericht hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) bereits Mitte Oktober 2020 entschieden, dass geheime Zeugenaussagen, welche die türkischen Gerichte insbesondere in Prozessen gegen politische Dissidenten als Beweismittel akzeptiert haben, nicht als ausreichendes Beweismaterial für eine Verurteilung angesehen werden können. Wenn die Verteidigung die Identität des Zeugen nicht kennt, wird ihr nach Ansicht des EGMR in jedem Stadium des Verfahrens die Möglichkeit genommen, die Glaubwürdigkeit des Zeugen infrage zu stellen oder in Zweifel zu ziehen. Infolgedessen können geheime Zeugenaussagen allein keine rechtmäßige Verurteilung begründen, es sei denn, eine Verurteilung stützt sich noch auf andere solide Beweise (SCF 26.11.2022; vgl. TM 26.11.2020).
Beleidigung des Präsidenten sowie die Herabwürdigung des türkischen Staates und der türkischen Nation als Strafbestand
"[E]ntsetzt über den grob missbräuchlichen Rückgriff auf Artikel 299 des Strafgesetzbuchs der Türkei über Beleidigungen des Präsidenten, die eine Haftstrafe zwischen einem und vier Jahren nach sich ziehen können", forderte das Europäische Parlament in seiner Entschließung vom 7.6.2022, "das Gesetz über die Beleidigung des Staatspräsidenten gemäß den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu ändern" (EP 7.6.2022, S. 10, Pt. 13). Das türkische Verfassungsgericht hat für die Strafgerichte einen Kriterienkatalog für Verfahren gemäß Artikel 299 erstellt und weist im Sinne der Angeklagten mitunter Urteile wegen Mängeln zurück an die unteren Gerichtsinstanzen. Dennoch sieht das Verfassungsgericht die Ehre des Präsidenten als Verkörperung der Einheit der Nation als besonders schützenswert. Dieses Privileg steht im Widerspruch zur Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der in seiner Stellungnahme vom 19.10.2021 (Fall Vedat Şorli vs. Turkey) feststellte, dass ein Straftatbestand, der schwerere Strafen für verleumderische Äußerungen vorsieht, wenn sie an den Präsidenten gerichtet sind, grundsätzlich nicht dem Geist der Europäischen Menschenrechtskonvention entspricht (LoC 7.11.2021).
Die Zahl der Personen, gegen die nach den Artikeln 299 und 301 (Verunglimpfung/Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen) des Strafgesetzbuches ermittelt wurde, stieg im Jahr 2022 laut den Statistiken des Ministeriums auf 16.753 von zuvor 12.304 im Jahr 2021 (TM 14.3.2024). Im Einzelnen wurden im Jahr 2021 gemäß Artikel 299 1.239 Personen zu Haftstrafen verurteilt, darunter nur zwei Minderjährige im Alter zwischen 15 und 17. 38 Personen wurden gemäß Artikel 300, der Herabwürdigung staatlicher Symbole, und 111 Personen (darunter auch ein Minderjähriger in der Altersklasse 12-14) laut Artikel 301 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Sonstige Strafen gem. Artikel 299 wurden gegen 1.130, gem. Artikel 300 gegen 24 und dem Artikel 301 folgend gegen 87 Individuen verfügt [Anm.: Neuere Statistiken differenzieren nicht mehr nach einzelnen Artikeln des Strafgesetzbuches] (MoJ - GDJR S 2022, S. 120, 156).
MoJ - GDJR S 2022, S.97, 111, 120, 165, 181)
Im Jahr 2024 wurden laut offizieller Statistik gemäß den Artikeln 299-301 des türkischen Strafgesetzbuches in Summe 6.124 Personen angeklagt, davon wurden 1.658 verurteilt (Anmerkung: Details zur Anzahl der Haftstrafen fehlen) und 1.807 freigelassen. Der Rest entfiel auf verschobene bzw. andersartige Urteile. 44 der Verurteilten waren Minderjährige, bei 299 minderjährigen Angeklagten (MoJ - GDJR S 3.2025, S. 100, 109).
Siehe, insbesondere für konkrete Beispiele, auch die (Unter-)Kapitel: Meinungs- und Pressefreiheit / InternetVersammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition.
Politisierung der Justiz - Vorgehen gegen Anwälte, Richter und Staatsanwälte
Teile der Notstandsvollmachten wurden auf die vom Staatspräsidenten ernannten Provinzgouverneure übertragen (AA 14.6.2019). Diesen vom Präsidenten zu ernennenden Gouverneuren der 81 Provinzen werden weitreichende Kompetenzen eingeräumt. Gesetz Nr. 7145 stärkt die Stellung der Gouverneure in ihrer jeweiligen Provinz. Sie können zum Beispiel Personen, die verdächtigt werden, die öffentliche Ordnung behindern oder stören zu wollen, den Zutritt oder das Verlassen bestimmter Orte in ihren Provinzen für eine Dauer von bis zu 15 Tagen verbieten und auch Versammlungen untersagen. Sie haben zudem großen Spielraum bei der Entlassung von Beamten, inklusive Richter (ÖB Ankara 4.2025, S. 9; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 38, 42).
Berichten zufolge wurde mit dem Anwaltsgesetz von 2020 (Nr. 7249) ein weiterer Versuch unternommen, Anwälte zum Schweigen zu bringen. Damit wurde die Möglichkeit geschaffen, in großen Städten konkurrierende Anwaltskammern zu gründen, was zu einer Politisierung der Anwaltskammern und zur Schwächung der einheitlichen Stimme der Anwälte führte, die die Menschenrechte verteidigen und die Exekutive kritisieren (OHCHR 21.6.2024, S. 2; vgl. HRW 13.1.2021, UNHRCOM 28.11.2024, S. 9). Auch das Europäische Parlament sah darin die Gefahr einer weiteren Politisierung des Rechtsanwaltsberufs, was zu einer Unvereinbarkeit mit dem Unparteilichkeitsgebot des Rechtsanwaltsberufs führt und die Unabhängigkeit der Rechtsanwälte gefährdet. Außerdem erkannte das EP darin "einen Versuch, die bestehenden Anwaltskammern zu entmachten und die verbliebenen kritischen Stimmen auszumerzen" (EP 19.5.2021, S. 10, Pt. 19).
Das EGMR in Straßburg urteilte am 22.10.2024, dass die Türkei das Recht von zehn Richtern und Staatsanwälten auf ein faires Verfahren verletzt habe. Das Gericht stellte fest, der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK) [inzwischen umbenannt in: Rates der Richter und Staatsanwälte - HSK] habe es versäumt, ausreichende Verfahrensgarantien wie formelle Anhörungen, Regeln für die Beweisführung und eine ausführliche Begründung seiner Entscheidungen in Bezug auf die zehn Antragsteller einzuhalten. In dem Fall "Şişman und andere gegen die Türkei" ging es um die unfreiwillige Versetzung (2014-2015) durch den HSYK in andere Städte oder in einem Fall um die Degradierung in derselben Stadt. Die türkische Regierung bestritt die Zuständigkeit des EGMR mit dem Argument, dass die Kläger während des innerstaatlichen Verfahrens keinen ausdrücklichen Antrag auf Zugang zu einem Gericht gestellt hätten. Außerdem seien die Kläger nach dem Putschversuch vom 15.07.2016 wegen angeblicher Anhängerschaft zur Gülen-Bewegung entlassen worden, was den Ausschluss einer gerichtlichen Überprüfung aus Gründen der nationalen Sicherheit rechtfertige. Der EGMR wies diese Argumente zurück und betonte, dass der HSYK aufgrund der Verfahrensmängel in seinem Prozess nicht als Gericht angesehen werden könne (BAMF 28.10.2024, S. 11; ECHR 22.10.2024).
Die Säuberungen im Justizwesen hatten am 14.1.2025 erneut Konsequenzen für die Türkei. Der EGMR gab der Klage von 42 ehemaligen Richtern und Staatsanwältin recht und verurteilte Ankara zu einem Schadensersatz zu je 7.800 Euro pro Kläger. Auch muss die Türkei zusätzlich insgesamt rund 80.000 Euro an Verfahrenskosten zahlen. Die Betroffenen waren beim damaligen Hohen Rat der Richter und Staatsanwälte – HSYK (türkisch: Hakimler ve Savcılar Yüksek Kurulu) beschäftigt und wurden 2014 entlassen, ohne dass ihnen der Rechtsweg offen stand. Dies geschah vermeintlich als Reaktion auf den Korruptionsskandal vom Dezember 2013. Ermittler hatten damals Dutzende Geschäftsleute aus dem Umfeld von Präsident Recep Tayyip Erdogan, damals noch Ministerpräsident, festgenommen. Erdogan nannte das Vorgehen der Ermittler damals einen Putsch (FR 15.1.2025; vgl. TM 14.1.2025). - Im Mittelpunkt des Verfahrens stand das im Februar 2014 erlassene Gesetz Nr. 6524, mit dem der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte (HSYK), der Vorgänger des Rates der Richter und Staatsanwälte (HSK), der die Ernennungen und die Disziplin der Richter überwacht, überarbeitet wurde. Das Gesetz von 2014 sah unter anderem vor, dass wichtige Mitarbeiter des HSYK, darunter Generalsekretäre, stellvertretende Sekretäre und Mitglieder des Inspektionsausschusses, ihre Posten aufgeben mussten. Obwohl das türkische Verfassungsgericht die Bestimmung später mit der Begründung aufhob, die Rechte der Richter seien verletzt worden, wurde das Urteil nicht rückwirkend angewandt, sodass die entlassenen Beamten weder wieder eingestellt noch entschädigt wurden (TM 14.1.2025).
Im vom "World Justice Project" jährlich erstellten "Rule of Law Index" rangierte die Türkei im Jahr 2024 so wie im Vorjahr auf Rang 117 von 142 Ländern. Der statistische Indikator stagniert bei 0,42 (1 ist der statistische Bestwert, 0 der absolute Negativwert). Besonders schlecht schnitt das Land in den Unterkategorien "Grundrechte" mit 0,31 (Rang 133 von 142), "zivile Gerichtsbarkeit" mit 0,40 (Rang 122 von 142), "Einschränkungen der Macht der Regierung" mit 0,29 (Platz 135 von 142) sowie bei der "Strafjustiz" mit 0,34 ab. Gut war der Wert für "Ordnung und Sicherheit" mit 0,72, der dem globalen Durchschnitt entsprach (WJP 10.2024).
Konflikte der Höchstgerichte und deren Politisierung
Am 25.10.2023 entschied das Verfassungsgericht, dass der inhaftierte TİP-Politiker Can Atalay, der bei den Parlamentswahlen im Mai zum Abgeordneten gewählt worden ist, in seinem Recht zu wählen und gewählt zu werden sowie in seinem Recht auf persönliche Sicherheit und Freiheit verletzt wurde. Das Verfassungsgericht ordnete die Freilassung Atalays an. Das zuständige Strafgericht setzte dieses Urteil nicht um, sondern verwies den Fall an das Kassationsgericht. Dieses wiederum entschied am 9.11.2023 in Überschreitung seiner Zuständigkeit, dass das Urteil des Verfassungsgerichts nicht rechtserheblich und daher nicht umzusetzen sei, mit der Begründung, dass das Verfassungsrecht seine Kompetenzen überschritten habe. Überdies verlangte das Kassationsgericht, ein Strafverfahren gegen jene neun Richter des Verfassungsgerichts einzuleiten, welche für die Freilassung Atalays gestimmt hatten. Die Begründung des Kassationsgerichts hierfür lautete, dass diese Richter gegen die Verfassung verstoßen und ihre Befugnisse überschritten hätten. Staatspräsident Erdoğan unterstützte die Entscheidung des Kassationsgerichts, das Urteil des Verfassungsgerichts nicht umzusetzen. Er und andere AKP-Politiker junktimieren diese Frage mit dem prioritären Ziel der Regierung, eine neue Verfassung zu verabschieden, mit der Begründung, dass zur Lösung dieses Kompetenzkonfliktes eine Verfassungsreform nötig sei. Durch die Kritik Erdoğans am Verfassungsgericht wird die Umsetzung von Verfassungsgerichtsurteilen, insbesondere wenn diese der Umsetzung von EGMR-Urteilen dienen, und das Vertrauen in Unabhängigkeit der Justiz weiter geschwächt (ÖB Ankara 4.2025, S. 13; vgl. FH 26.2.2025, LTO 29.11.2023, Standard 9.11.2023). Erdoğans Regierungspartner Devlet Bahçeli, Chef der ultranationalistischen MHP, bezeichnete den Präsidenten des Verfassungsgerichts als Terrorist und verlangte, dass das Verfassungsgericht entweder geschlossen oder umstrukturiert werden muss. Passend dazu hatte kurz vorher die regierungstreue Zeitung Yeni Şafak mit Fotos der neun umstrittenen Verfassungsrichter getitelt und ihnen vorgeworfen, die "Pforte für Terroristen geöffnet" zu haben. - Anwälte verwiesen auf die türkische Verfassung, wonach Entscheidungen des Verfassungsgerichts endgültig sind und die gesetzgebenden, exekutiven und judikativen Organe sowie die Verwaltungsbehörden und natürliche, wie juristische Personen binden (Absatz 6). Für die Einleitung einer Untersuchung der Richter bräuchte es die Genehmigung der fünfzehnköpfigen Generalversammlung des Verfassungsgerichts, die für eine abschließende Entscheidung eine Zweidrittelmehrheit benötigt (LTO 29.11.2023). Richter des Verfassungsgerichts bekräftigten gegenüber dem Ko-Berichterstatter des Europarates im Juni 2024, dass das Urteil des Verfassungsgerichts bindend und die Nichteinhaltung auf die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts zurückzuführen sei, das sich geweigert habe, den Fall wieder aufzunehmen (CoE-PACE/MonComm 11.9.2024, Pt. 14). Das Parlament stimmte dafür, Atalay seinen Parlamentsstatus abzuerkennen, doch das Verfassungsgericht erklärte diesen Schritt im August 2024 für ungültig. - Insgesamt hatte das Verfassungsgericht in drei aufeinanderfolgenden Entscheidungen seine Freilassung angeordnet. - Atalay blieb (mit Stand Juli 2025) im Gefängnis, da die Pattsituation weiter anhielt und Berichten zufolge gegen mehrere Richter des Verfassungsgerichts strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden (FH 26.2.2025, F1; vgl. AI 29.4.2025, BirGün 13.5.2025).
Infragestellung der Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte
Die Unzulänglichkeiten in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Justiz wurden nicht behoben. Der Grundsatz der Gewaltenteilung und der richterlichen Unabhängigkeit ist in der Verfassung und anderen Rechtsvorschriften verankert, die Politisierung der Justiz hat jedoch zugenommen. Erklärungen hochrangiger Regierungsvertreter zu laufenden Verfahren, öffentliche Angriffe auf Angeklagte und unzulässiger Druck auf Richter und Staatsanwälte hindern die Mitglieder der Justiz daran, ihre Aufgaben im Einklang mit den EU-Standards wahrzunehmen (EC 30.10.2024, S. 25).
Gemäß Art. 138 der Verfassung sind Richter in der Ausübung ihrer Ämter unabhängig. Tatsächlich wird diese Verfassungsbestimmung jedoch durch einfach-gesetzliche Regelungen und politische Einflussnahme, wie Druck auf Richter und Staatsanwälte, unterlaufen (ÖB Ankara 4.2025, S. 10; vgl. EC 30.10.2024, S. 5). Die richterliche Unabhängigkeit ist überdies durch die umfassenden Kompetenzen des in Disziplinar- und Personalangelegenheiten dem Justizminister unterstellten Rates der Richter und Staatsanwälte (Hakimler ve Savcilar Kurumu - HSK) infrage gestellt (AA 14.6.2019; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 11, CoE-PACE/MonComm 11.9.2024, Pt. 13). Mit der Verfassungsreform 2017 (Gesetz Nr. 6771) wurde der HSK auf 13 Mitglieder reduziert (von zuvor 22 Mitgliedern). Der HSK ist für die allgemeinen Aufgaben im Zusammenhang mit der Organisation und Funktionsweise des Justizwesens zuständig, einschließlich Ernennungen, Versetzungen, Beförderungen, Sanktionen und Entlassungen (OHCHR 21.6.2024, S. 2; vgl. SCF 3.2021, S. 5). Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Rates sind seit 2010 nur bei Entlassungen von Richtern und Staatsanwälten vorgesehen (AA 14.6.2019). Infolgedessen sind Staatsanwälte und Richter häufig auf der Linie der Regierung. Richter, die gegen den Willen der Regierung entscheiden, wurden abgesetzt und ersetzt, während diejenigen, die Erdoğans Kritiker verurteilen, befördert wurden (FH 26.2.2025, F1).
Sami Selçuk, vormaliger und Ehrenpräsident des Kassationsgerichts, kritisierte Ende Mai 2024 die in der Türkei weitverbreitete Praxis der Ersetzung von Richtern, insbesondere in politisch motivierten, kritischen Prozessen, wie z. B. in den Verfahren gegen Osman Kavala, den oppositionellen Bürgermeister von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, und pro-kurdische Parlamentarier, darunter der inhaftierte Selahattin Demirtaş. Dementsprechen erklärte Selçuk, dass 99 Prozent der Gerichtsurteile in der Türkei "null und nichtig" seien. Die Kritik steht in einer Linie mit einer früheren Empfehlung des Ministerkomitees des Europarats an die Mitgliedstaaten, wonach die Unabhängigkeit der Justiz davon abhängt, dass die Richter eine sichere Amtszeit haben, unabsetzbar sind, und eine Entlassung nur bei schwerwiegenden Verstößen gegen das Gesetz oder bei Unfähigkeit zulässig ist. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte in einem früheren Urteil festgestellt, dass Richter im türkischen Rechtsrahmen weder über eine solche Garantie noch über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügen, um Entscheidungen über ihre Versetzung anzufechten, die sie nicht beantragt haben (TM 30.5.2024; vgl. SCF 30.5.2024).
Der Staatsrat (Verwaltungsgerichtshof) entschied im Oktober 2022 zugunsten der Wiedereinsetzung von 178 Richtern und Staatsanwälten, die im Rahmen der Notstandsdekrete von 2016 wegen angeblicher Verbindungen zur Gülen-Bewegung entlassen worden waren, und begründete dies damit, dass die ihnen zur Last gelegten Handlungen nicht ausreichten, um ihre Verbindungen zur Bewegung zu beweisen. Der Staatsrat ordnete außerdem an, dass der Staat den Richtern und Staatsanwälten Entschädigung und Schadenersatz zahlen muss. Bis März 2023 waren 3.683 der Entlassungsverfahren abgeschlossen und die Verfahren liefen noch. 845 entlassene/suspendierte Richter und Staatsanwälte wurden wieder in ihr Amt eingesetzt (EC 8.11.2023, S. 26). Allerdings kritisierte Präsident Erdoğan Anfang 2024 die Entscheidung des Staatsrats, 387 Richter und Staatsanwälte - Erdoğan bezeichnete diese als "Fliegen" aus dem "FETÖ-Sumpf" - wiedereinzustellen. Daraufhin kündigte Justizminister Yılmaz Tunç an, dass die Entscheidung des Staatsrats vom HSK überprüft werde (HRW 16.6.2025; vgl. HDN 19.2.2024).
Das Fehlen objektiver, leistungsbezogener, einheitlicher und vorab festgelegter Kriterien für die Einstellung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten gibt weiterhin Anlass zur Sorge (EC 8.11.2023, S. 5, 24). Das System zur Auswahl, Einstellung und Beförderung von Richtern und Staatsanwälten ist nicht transparent. (EC 30.10.2024, S. 26). Nach europäischen Standards sind Versetzungen nur ausnahmsweise aufgrund einer Reorganisation der Gerichte gerechtfertigt. In der justiziellen Reformstrategie 2025-2029 ist zwar für Richter ab einer gewissen Anciennität und auf Basis ihrer Leistungen eine Garantie gegen derartige Versetzungen vorgesehen, doch wird die Praxis der Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten ohne deren Zustimmung und ohne Angabe von Gründen fortgesetzt. Es wurden (Stand: Dez. 2023) keine Maßnahmen gesetzt, um den Empfehlungen der Venedig-Kommission vom Dezember 2016 nachzukommen. Diese hatte festgestellt, dass die Entscheidungsprozesse betreffend die Versetzung von Richtern und Staatsanwälten unzulänglich seien und jede Entlassung eines Richters individuell begründet und auf verifizierbare Beweise abgestützt sein müsse (ÖB Ankara 4.2025, S. 11). Häufige Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten beeinträchtigte weiterhin die Qualität der Justiz, ebenso wie die Ernennung von neu eingestellten und weniger erfahrenen Richtern und Staatsanwälten an den Strafgerichten (EC 8.11.2023, S. 26; vgl. EC 30.10.2024, S. 27). Umgekehrt jedoch hat der HSK keine Maßnahmen gegen Richter ergriffen, welche Urteile des Verfassungsgerichts ignorierten (ÖB Ankara 4.2025, S. 13; vgl. EC 19.10.2021, S. 23). So wurden nach der Entlassung eines Drittels der Richterschaft nach Angaben des Hohen Justizrats der Türkei seit Juli 2016 9.914 Richter und Staatsanwälte von der Regierung eingestellt. Die Informationen deuten laut Sonderberichterstatterin der Vereinten Nationen darauf hin, dass sich die Situation abschreckend auf die Justiz ausgewirkt hat und dass das Ausmaß der Massenentlassungen und Neueinstellungen Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der neuen Richter und Staatsanwälte aufkommen lässt, die offenbar in aller Eile rekrutiert wurden. Die verbleibenden Richter und Staatsanwälte üben sich möglicherweise in einem allgemeinen Klima der Angst in Selbstzensur (OHCHR 21.6.2024, S. 2).
Während kein Mitglied des HSK tatsächlich von Richtern oder Staatsanwälten ernannt wird, nominiert der Präsident der Republik vier Mitglieder aus den Reihen ordentlicher Richter und Staatsanwälte und das Parlament wählt sieben Mitglieder aus dem Kreise des Kassationsgerichtshofs (3), des Staatsrats [Anm.: entspricht dem Verwaltungsgerichtshof] (1) sowie Rechtswissenschaftler oder Juristen (3). Der vom Präsidenten der Republik ernannte Justizminister und sein Unterstaatssekretär bilden die beiden verbleibenden Mitglieder, wobei der Minister den Vorsitz im HSK führt. Da fast die Hälfte des Rates vom Präsidenten der Republik ernannt wird und das Justizministerium den Vorsitz im Rat führt, stehen die Karrieren von Richtern und Staatsanwälten im ganzen Land de facto unter der Kontrolle der Exekutive, wodurch die unabhängige Rechtsprechung der Justiz gefährdet wird (OHCHR 21.6.2024, S. 2f.; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 11, SCF 3.2021, S. 46). Im Mai 2021 tauschten Präsident und Parlament insgesamt elf HSK-Mitglieder und damit fast das gesamte HSK-Kollegium aus (ÖB Ankara 4.2025, S. 11). Das European Network of Councils for the Judiciary (ENCJ) setzte den Beobachterstatus des (Hohen) Rates für Richter und Staatsanwälte im Dezember 2016 aus, da er die ENCJ-Satzung nicht mehr erfüllte, die vorschreibt, dass er als eine von der Exekutive und Legislative unabhängige Institution fungiert (OHCHR 21.6.2024, S. 3; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 11, UNHRCOM 28.11.2024, S. 9).
Selbst über die personelle Zusammensetzung des Obersten Gerichtshofes und des Kassationsgerichtes entscheidet primär der Staatspräsident, der auch zwölf der 15 Mitglieder des Verfassungsgerichts ernennt (ÖB Ankara 30.11.2021, S. 7f). - Die Amtszeit der 15 Mitglieder des Gerichts ist auf zwölf Jahre begrenzt. Zwölf Mitglieder werden vom Präsidenten aus einer Liste von Kandidaten ernannt, die von obersten Gerichten oder aus dem Kreis hochrangiger Bürokraten vorgeschlagen werden, während drei Mitglieder vom Parlament ernannt werden, das derzeit von Erdoğans regierender AKP dominiert wird. - Mit der Nominierung von Metin Kıratlı, eines Spitzenbürokraten aus dem Präsidentenpalast, zum Verfassungsrichter im Juli 2024, hat Staatspräsident Erdoğan mittlerweile zehn der 15 Verfassungsrichter ernannt (TM 18.7.2024). Das Verfassungsgericht hat seit 2019 zwar eine gewisse Unabhängigkeit gezeigt, doch ist es nicht frei von politischer Einflussnahme und fällt oft Urteile im Sinne der Interessen der regierenden AKP (FH 26.2.2025, F1). Siehe hierzu Beispiele in diversen Kapiteln!
Die Massenentlassungen und häufige Versetzungen von Richtern und Staatsanwälten haben negative Auswirkungen auf die Unabhängigkeit und insbesondere die Qualität und Effizienz der Justiz. Für die aufgrund der Entlassungen notwendig gewordenen Nachbesetzungen steht keine ausreichende Zahl entsprechend ausgebildeter Richter und Staatsanwälte zur Verfügung. In vielen Fällen spiegelt sich der Qualitätsverlust in einer schablonenhaften Entscheidungsfindung ohne Bezugnahme auf den konkreten Fall wider. In massenhaft abgewickelten Verfahren, wie etwa betreffend Terrorismus-Vorwürfen, leidet die Qualität der Urteile und Beschlüsse häufig unter mangelhaften rechtlichen Begründungen sowie lückenhafter und wenig glaubwürdiger Beweisführung. Zudem wurden in einigen Fällen Beweise der Verteidigung bei der Urteilsfindung nicht berücksichtigt (ÖB Ankara 4.2025, S. 11f.).
Aufbau des Justizsystems
Das türkische Justizsystem besteht aus zwei Säulen: der ordentlichen Gerichtsbarkeit (Straf- und Zivilgerichte) und der außerordentlichen Gerichtsbarkeit (Verwaltungs- und Verfassungsgerichte). Mit dem Verfassungsreferendum vom April 2017 wurden die Militärgerichte abgeschafft. Deren Kompetenzen wurden auf die Straf- und Zivilgerichte sowie Verwaltungsgerichte übertragen. Höchstgerichte sind gemäß der Verfassung das Verfassungsgericht (auch Verfassungsgerichtshof bzw. Anayasa Mahkemesi), der Staatsrat (Danıştay) als oberste Instanz in Verwaltungsangelegenheiten, der Kassationsgerichtshof (Yargitay) als oberste Instanz in zivil- und strafrechtlichen Angelegenheiten [auch als Oberstes Berufungs- bzw. Appellationsgericht bezeichnet] und das Kompetenzkonfliktgericht (Uyuşmazlık Mahkemesi) (ÖB Ankara 4.2025, S. 9).
2014 wurden alle Sondergerichte sowie die Friedensgerichte (Sulh Ceza Mahkemleri) abgeschafft. Ihre Jurisdiktion für die Entscheidung wurde im Wesentlichen auf Strafgerichte übertragen. Stattdessen wurde die Institution des Friedensrichters in Strafsachen (Sulh Ceza Hakimliği) eingeführt, der das strafrechtliche Ermittlungsverfahren begleitet und überwacht. Da die Friedensrichter als von der Regierung selektiert und ihr loyal ergeben gelten, werden sie als das wahrscheinlich wichtigste Instrument der Regierung gesehen, die ihr wichtigen Strafsachen bereits in diesem Stadium in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Venedig-Kommission des Europarates forderte 2017 die Übertragung der Kompetenzen der Friedensrichter an ordentliche Richter bzw. eine Reform. Im Gegensatz zu den abgeschafften Friedensgerichten entscheiden Friedensrichter nicht in der Sache, doch kommen ihnen während des Verfahrens weitreichende Befugnisse zu, wie z. B. die Ausstellung von Durchsuchungsbefehlen, Anhalteanordnungen, Blockierung von Websites sowie die Beschlagnahmung von Vermögen. Der Kritik am Umstand, dass Einsprüche gegen Anordnungen eines Friedensrichters nicht von einem Gericht, sondern wiederum von einem Friedensrichter geprüft wurden, wurde allerdings Rechnung getragen. Das Parlament beschloss im Rahmen des am 8.7.2021 verabschiedeten vierten Justizreformpakets, wonach Einsprüche gegen Entscheidungen der Friedensrichter nunmehr durch Strafgerichte erster Instanz behandelt werden (ÖB Ankara 4.2025, S. 9f.). Die Urteile der Friedensrichter für Strafsachen weichen zunehmend von der Rechtsprechung des EGMR ab und bieten selten eine ausreichend individualisierte Begründung. Der Zugang von Verteidigern zu den Gerichtsakten ihrer Mandanten ist für einen bestimmten Katalog von Straftaten bis zur Anklageerhebung eingeschränkt. Manchmal dauert das mehr als ein Jahr (EC 29.5.2019, S. 24; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 10).
Rolle des Verfassungsgerichts
Seit September 2012 besteht für alle Staatsbürger die Möglichkeit einer Individualbeschwerde (bireysel başvuru) beim Verfassungsgericht. Die Zulässigkeit von Verfassungsbeschwerden kann durch Ausschüsse einer Vorprüfung unterzogen werden. Sie ist nur gegen Gerichtsentscheidungen letzter Instanz, nicht gegen Gesetze statthaft (RRLex 7.2023, S. 4; vgl. AA 20.5.2024, S. 5), eingeführt u. a. mit dem Ziel, die Fallzahlen am Europäischen Gericht für Menschenrechte zu verringern (HDN 18.1.2021). Die Individualbeschwerde hat große Akzeptanz gefunden, ist jedoch stark formalisiert und leidet unter langer Verfahrensdauer (RRLex 7.2023, S. 4).
Infolge der teilweise sehr lang andauernden Verfahren setzt die Justiz vermehrt auf alternative Streitbeilegungsmechanismen, die den Gerichtsverfahren vorgelagert sind. Ferner waren bereits 2016 neun regionale Berufungsgerichte (Bölge Mahkemeleri) eingerichtet worden, die insbesondere das Kassationsgericht entlasten. Denn große Teile der Richterschaft arbeiten unter erheblichen Druck, um die Rückstände bei den Verfahren aufzuarbeiten bzw. laufende Verfahren abzuschließen (ÖB Ankara 4.2025 S. 10).
Der Widerstand der türkischen Gerichte oder auch des Parlaments, sich an die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu halten, ist ein Problem, was durch wiederholte verbale Angriffe von Amtsträgern auf das Verfassungsgericht noch verstärkt wird (CoE-PACE/MonComm 11.9.2024, Pt. 14). Das heißt, untergeordnete Gerichte ignorieren mitunter die Umsetzung von Entscheidungen des Verfassungsgerichts oder verzögern sie erheblich. Das Ministerkomitee des Europarats berichtete, dass die meisten EGMR-Entscheidungen zur Gedanken-, Meinungs- und Pressefreiheit nicht umgesetzt wurden (USDOS 22.4.2024, S. 13; vgl. EC 30.10.2024, S. 20, 25f.). Das Verfassungsgericht hat aber auch uneinheitliche Urteile zu Fällen der Meinungsfreiheit gefällt. Wo sich das Höchstgericht im Einklang mit den Standards des EGMR sah, welches etwa eine Untersuchungshaft in Fällen der freien Meinungsäußerung nur bei Hassreden oder dem Aufruf zur Gewalt als gerechtfertigt betrachtet, stießen die Urteile in den unteren Instanzen auf Widerstand und Behinderung (IPI 18.11.2019).
Abgesehen vom Ignorieren von Urteilen des Verfassungsgerichtes und des EGMR durch untergeordnete Gerichte ignorierten auch die Behörden weiterhin bindende Gerichtsentscheidungen zu Verletzungen der Standards für ein faires Gerichtsverfahren (AI 29.4.2025).
Zur neuesten Rechtssprechung des Verfassungsgerichts hinsichtlich der Meinungs- und Pressefreiheit siehe auch das Kapitel: Meinungs- und Pressefreiheit / Internet.
Präsidentendekrete
Die 2017 durch ein Referendum angenommenen Änderungen der türkischen Verfassung verleihen dem Präsidenten der Republik die Befugnis, Präsidentendekrete zu erlassen. Das Präsidentendekret ist ein Novum in der türkischen Verfassungsgeschichte, da es sich um eine Art von Gesetzgebung handelt, die von der Exekutive erlassen wird, ohne dass eine vorherige Befugnisübertragung durch die Legislative oder eine anschließende Genehmigung durch die Legislative erforderlich ist, und es muss nicht auf die Anwendung eines Gesetzgebungsakts beschränkt sein, wie dies bei gewöhnlichen Verordnungen der Exekutivorgane der Fall ist. Die Befugnis zum Erlass von Präsidentenverordnungen ist somit eine direkte Regelungsbefugnis der Exekutive, die zuvor nur der Legislative vorbehalten war [Siehe auch Kapitel: Politische Lage]. Allerdings wurden im Juni 2021 im Amtsblatt drei Entscheidungen des türkischen Verfassungsgerichts veröffentlicht, in denen gewisse Bestimmungen von Präsidentendekreten aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben wurden (LoC 6.2021).
Polizeigewahrsam und Untersuchungshaft
Laut aktuellem Anti-Terrorgesetz soll eine in Polizeigewahrsam befindliche Person spätestens nach vier Tagen einem Richter zur Entscheidung über die Verhängung einer Untersuchungshaft oder Verlängerung des Polizeigewahrsams vorgeführt werden. Eine Verlängerung des Polizeigewahrsams ist nur auf begründeten Antrag der Staatsanwaltschaft, etwa bei Fortführung weiterer Ermittlungsarbeiten oder Auswertung von Mobiltelefondaten, zulässig. Eine Verlängerung ist zweimal (für je vier Tage) möglich. Der Polizeigewahrsam kann daher maximal zwölf Tage dauern (ÖB Ankara 4.2025, S. 13f.). Die Regelung verstößt gegen die Spruchpraxis des EGMR, welches ein Maximum von vier Tagen Polizeihaft vorsieht (EC 12.10.2022, S. 43). Auf Basis des Anti-Terrorgesetzes Nr. 3713 kann der Zugang einer in Polizeigewahrsam befindlichen Person zu einem Rechtsvertreter während der ersten 24 Stunden eingeschränkt werden (ÖB Ankara 4.2025, S. 14).
Die Untersuchungshaft kann gemäß Art. 102 (1) StPO bei Straftaten, die nicht in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern (Ağır Ceza Mahkemeleri) fallen, für höchstens ein Jahr verhängt werden. Aufgrund besonderer Umstände kann sie um weitere sechs Monate verlängert werden. Nach Art. 102 (2) StPO beträgt die Dauer der Untersuchungshaft bis zu zwei Jahre, wenn es sich um Straftaten handelt, die in die Zuständigkeit der Großen Strafkammern fallen. Das sind Straftaten, die mindestens eine zehnjährige Freiheitsstrafe vorsehen. Aufgrund von besonderen Umständen kann diese Dauer um ein weiteres Jahr verlängert werden, insgesamt höchstens drei Jahre. Bei Straftaten, die das Anti-Terrorgesetz Nr. 3713 betreffen, beträgt die maximale Dauer der Untersuchungshaft sieben Jahre (zwei Jahre und mögliche Verlängerung um weitere fünf Jahre). Die Gründe für eine Untersuchungshaft sind in der türkischen Strafprozessordnung (StPO) festgelegt: Fluchtgefahr; Verhalten des Verdächtigen/Beschuldigten (Verdunkelungsgefahr und Beeinflussung von Zeugen, Opfer etc.) sowie Vorliegen dringender Verdachtsgründe, dass eine der in Art. 100 (3) StPO taxativ aufgezählten Straftaten begangen wurde, wie zum Beispiel Genozid, Schlepperei und Menschenhandel, Mord, sexueller Missbrauch von Kindern. Zu den im vierten Justizreformpaket von Juli 2021 angenommenen Änderungen betreffend die Verhaftung aufgrund von Verbrechen, die unter sog. "Katalogverbrechen" fallen und bei denen jedenfalls die Notwendigkeit einer Untersuchungshaft angenommen wird, zählen z. B. Terrorismus und organisiertes Verbrechen (ÖB Ankara 4.2025, S. 14).
Beschwerdekommission zu den Notstandsmaßnahmen (OHAL)
Während des seit dem Putschversuch bestehenden Ausnahmezustands bis zum 19.7.2018 wurden insgesamt 36 Dekrete erlassen, die insbesondere eine weitreichende Säuberung staatlicher Einrichtungen von angeblich Gülen-nahen Personen sowie die Schließung privater Einrichtungen mit Gülen-Verbindungen zum Ziel hatten. Der Regierung und Exekutive wurden weitreichende Befugnisse für Festnahmen und Hausdurchsuchungen eingeräumt. Die unter dem Ausnahmezustand erlassenen Dekrete konnten nicht beim Verfassungsgerichtshof angefochten werden. Zudem kam es laut offiziellen Angaben zur unehrenhaften Entlassung oder Suspendierung per Dekret von 125.678 öffentlich Bediensteten, darunter ein Drittel aller Richter 15.000 und Staatsanwälte. Deren Namen wurden im Amtsblatt veröffentlicht (ÖB Ankara 4.2025, S. 20).
Bis Jänner 2023 waren laut Beschwerdekommission die Klassifizierung, Registrierung und Archivierung von insgesamt fast einer halben Million Akten, darunter Personalakten, die von ihren Institutionen übernommen wurden, Gerichtsakten und frühere Bewerbungen, abgeschlossen. Bis zum 12.1.2023 waren 127.292 Anträge gestellt worden. Davon hat die Kommission seit ihrer Errichtung im Dezember 2017 alle Anträge bearbeitet, wobei lediglich 17.960 positiv gelöst wurden. 72 positive Entscheidungen betrafen einst geschlossene Vereine, Stiftungen, Schulen, Zeitungen und Fernsehstationen (ICSEM 1.2023; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 20). Es bestehen nach wie vor große Bedenken hinsichtlich der Qualität der Arbeit der Untersuchungskommission, auch wenn sie die Prüfung aller Fälle abgeschlossen hat. Bezweifelt wird, ob die Fälle einzeln geprüft und die Verteidigungsrechte gewahrt wurden und ob das Bewertungsverfahren internationalen Standards entsprach (EC 8.11.2023, S. 23; vgl. UNHRCOM 28.11.2024, S. 10f.).
Die Beschwerdekommission stand in der internationalen Kritik, da es ihr an genuiner institutioneller Unabhängigkeit mangelt. Sämtliche Mitglieder wurden von der Regierung ernannt (ÖB Ankara 4.2025, S. 20). Betroffene hatten keine Möglichkeit, Vorwürfe ihrer angeblich illegalen Aktivität zu widerlegen, da sie nicht mündlich aussagen, keine Zeugen benennen dürfen und vor Stellung ihres Antrags an die Kommission keine Einsicht in die gegen sie erhobenen Anschuldigungen bzw. diesbezüglich namhaft gemachten Beweise erhalten. In Fällen, in denen die erfolgte Entlassung aufrechterhalten wurde, stützte sich die Beschwerdekommission oftmals auf schwache Beweise und zog an sich rechtmäßige Handlungen zum Beweis für angeblich rechtswidrige Aktivitäten heran (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 20; vgl. EC 12.10.2022, S. 23). Die Beweislast für eine Widerlegung von Verbindungen zu verbotenen Gruppen liegt beim Antragsteller (Beweislastumkehr). Zudem bleibt in der Entscheidungsfindung unberücksichtigt, dass die getätigten Handlungen im Zeitpunkt ihrer Vornahme rechtmäßig waren. Schließlich wird (bzw. wurde) auch das langwierige Berufungsverfahren mit Wartezeiten von zehn Monaten bei den bereits entschiedenen Fällen kritisiert (ÖB Ankara 4.2025, S. 20).
Missachtung von Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR)
Die Entscheidungen der Strafverfolgungsbehörden und Gerichte zur Umgehung von Urteilen des EGMR zeigen zwei Haupttendenzen: Staatsanwälte und Richter in den türkischen Gerichten der ersten Instanz, dem Obersten Gerichtshof und dem Verfassungsgericht setzen viele Urteile des EGMR einfach nicht um, ignorieren diese vollständig und verfolgen und verurteilen Personen weiterhin genau aus den Gründen, in Anbetracht derer der EGMR systemische Probleme festgestellt und allgemeine Maßnahmen angeordnet hat. Eine weitere Umgehungstaktik besteht darin, dass Staatsanwälte und Richter mehrmals sich überschneidende Strafanzeigen und Verfahren auf der Grundlage derselben oder ähnlicher faktischer und rechtlicher Gründe einleiten. Diese Taktik wurde in den Rechtssachen Kavala gegen Türkei und Selahattin Demirtaş gegen Türkei ausführlich dokumentiert, in denen die Justizbehörden im Wesentlichen dieselben Tatsachen als neue "Straftaten" einstuften, um die fortdauernde Inhaftierung zu rechtfertigen (HRW 16.6.2025).
Wiederholt befasste sich das Ministerkomitee des Europarats aufgrund nicht umgesetzter Urteile mit der Türkei (AA 20.5.2024, S. 16). EGMR stellte in neuen Urteilen Verstöße gegen die EMRK fest. Diese betrafen hauptsächlich das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, übermäßige Gewaltanwendung durch Sicherheitskräfte, ungerechtfertigte Inhaftierung, das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit. Derzeit (Stand November 2024) stehen 185 Fälle gegen die Türkei unter verstärkter Überwachung durch das Ministerkomitee des Europarates. Im Juni 2024 forderte das Ministerkomitee des Europarats die türkische Regierung erneut auf, den Urteilen des EGMR nachzukommen und den ehemaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Demirtaş und den Menschenrechtsverteidiger Kavala freizulassen. Im April 2024 gewährte der EGMR einem zweiten von Osman Kavala eingereichten Fall den Status der Priorität (EC 30.10.2024, S. 29).
Zuletzt forderten die Ko-Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates - PACE (Lord David Blencathra und Stefan Schennach) anlässlich einer Fact-Finding-Mission in der Türkei im Juni 2025 die Behörden erneut auf, die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in den Fällen Osman Kavala, Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ Şenoğlu unverzüglich umzusetzen. Diese Personen sind seit fast oder mehr als acht Jahren inhaftiert, was einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention darstellt. Die Umsetzung der Urteile des Straßburger Gerichtshofs ist keine Option, sondern eine in der Europäischen Menschenrechtskonvention verankerte rechtliche Verpflichtung, so die Ko-Berichterstatter (CoE-PACE 23.6.2025).
Das vom Ministerkomitee des Europarates im Dezember 2021 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren läuft ebenso weiter (AA 20.5.2024, S. 16) wie das Monitoring durch die Parlamentarische Versammlung des Europrates (EC 30.10.2024, S. 29).
Zur längeren Rechtshistorie des Falles Kavala siehe die Version 9 der Länderinformationen TÜRKEI vom 18.10.2024 im selbigen Kapitel.
Quellen
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Sicherheitsbehörden
Die Regierung (Exekutive) verfügt zwar weiterhin über weitreichende Befugnisse gegenüber den Sicherheitskräften, aber die zivile Aufsicht über die Sicherheitsorgane bleibt unvollständig. Zudem fehlt es an wirksamen Kontrollmechanismen etwa hinsichtlich Verantwortung und Rechenschaft. Die parlamentarische Aufsicht über die Sicherheitsinstitutionen muss laut Europäischer Kommission gestärkt werden. In den Sicherheits- und Nachrichtendiensten herrscht nach wie vor eine Kultur der Straflosigkeit, da das Personal in Fällen mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen und unverhältnismäßiger Gewaltanwendung de facto gerichtlichen und administrativen Schutz genießt (EC 30.10.2024, S. 21). Bei der strafrechtlichen Verfolgung von Militärangehörigen und der obersten Kommandoebene werden weiterhin rechtliche Privilegien gewährt. Die Untersuchung mutmaßlicher militärischer Straftaten, die von Militärangehörigen begangen wurden, erfordert die vorherige Genehmigung entweder durch militärische oder zivile Vorgesetzte (EC 8.11.2023, S. 17). Es gibt zwar offizielle Stellen, bei denen Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen und missbräuchliche Behandlung durch die Polizei und andere Sicherheitsbehörden eingereicht werden können, doch aufgrund der vorherrschenden Kultur der Straflosigkeit ist es unwahrscheinlich, dass eine Beschwerde einer gefährdeten Gruppe, wie einer ethnischen Minderheit oder politischen Aktivisten, zur Strafverfolgung eines Angehörigen der Sicherheitskräfte führt (DFAT 16.5.2025, S. 38).
Das Militär ist zuständig für die territoriale Verteidigung und trägt die Gesamtverantwortung für die Grenzsicherheit (DFAT 16.5.2025, S. 38; vgl. USDOS 20.3.2023, S. 1). Seit 2003 jedoch wurden die Befugnisse des Militärs schrittweise beschränkt und hohe Positionen innerhalb der Streitkräfte im Laufe der Zeit durch regierungsnahe Persönlichkeiten ersetzt. Diese Politik hat sich seit dem gescheiterten Putschversuch im Juli 2016, nach dem 29.444 Angehörige aus den türkischen Streitkräften (hier allein: 15.000), der Gendarmerie und der Küstenwache entlassen wurden, noch einmal verstärkt. Die Einschränkung der Macht des Militärs wurde in der Bevölkerung und der Politik zum Teil sehr begrüßt. Allerdings zeigt sich gegenwärtig, dass mit diesem Prozess nicht die Stärkung der demokratischen Institutionen einhergeht. Die Umstrukturierung der Streitkräfte soll den Einfluss des Militärs nochmals einschränken, u. a. durch den Ausbau politischer Kontrollmechanismen. Der geplante Einflussverlust etwa des Generalstabs macht sich daran fest, dass einerseits einige seiner Kompetenzen an das Verteidigungsministerium übergehen und dass der Generalstab, wie auch andere militärische Institutionen, andererseits vermehrt mit ideologisch und persönlich loyalen Personen besetzt werden soll. Während die drei Teilstreitkräfte nun dem Verteidigungsministerium direkt unterstellt sind, sind die paramilitärischen Einheiten dem Innenministerium angegliedert. Auch der Hohe Militärrat, die Kontrolle der Militärgerichtsbarkeit, das Sanitätswesen der Streitkräfte und das militärische Ausbildungswesen werden zunehmend zivil besetzt (BICC 2.2025, S. 2, 18., 25).
Die Polizei und die Gendarmerie (türk.: Jandarma), die dem Innenministerium unterstellt sind, sind für die Sicherheit in städtischen Gebieten (Polizei) respektive in ländlichen und Grenzgebieten (Gendarmerie) zuständig (ÖB Ankara 4.2025, S. 21; vgl. USDOS 20.3.2023, S. 1). Die Gendarmerie ist für die öffentliche Ordnung in ländlichen Gebieten, die nicht in den Zuständigkeitsbereich der Polizeikräfte fallen, sowie für die Gewährleistung der inneren Sicherheit und die allgemeine Grenzkontrolle zuständig. Die Verantwortung für die Gendarmerie wird jedoch in Kriegszeiten dem Verteidigungsministerium übergeben (BICC 2.2025, S. 18; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 21, DFAT 16.5.2025, S. 39).
Die Polizei ist für die Strafverfolgung in der Türkei zuständig. Die Polizei untersteht zwar letztlich dem Innenministerium, führt ihre Aufgaben jedoch unter der Leitung und Kontrolle der Zivilbehörden, darunter Gouverneure und Leiter der Bezirksverwaltungen, aus. Gemäß dem Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei (2004) besteht die Hauptaufgabe der Polizei darin, Straftaten zu verhindern, die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, Personen und Eigentum zu schützen sowie Straftäter zu ermitteln, festzunehmen und zu überstellen und Beweismittel an die zuständigen Justizbehörden zu übergeben (DFAT 16.5.2025, S. 38). Die Polizei weist eine stark zentralisierte Struktur auf. Durch die polizeiliche Rechenschaftspflicht gegenüber dem Innenministerium untersteht sie der Kontrolle der jeweiligen Regierungspartei. Wechselnde Regierungen versuchten, mittels Stärkung der Polizei die eigene Macht gegenüber dem Militär auszubauen. Nach Ermittlungen der Polizei wegen Korruption und Geldwäsche gegen ranghohe AKP-Funktionäre 2013, insbesondere aber seit dem gescheiterten Putschversuch vom Juli 2016 wurden massenhaft Polizisten entlassen (BICC 2.2025, S. 2). Die Polizei hatte 2023 einen Personalstand von fast 339.400 (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 21).
Der Polizei wurden im Zuge der Abänderung des Sicherheitsgesetzes im März 2015 weitreichende Kompetenzen übertragen. Das Gesetz sieht seitdem den Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen vor, welche Molotow-Cocktails, Explosiv- und Feuerwerkskörper oder Ähnliches, etwa im Rahmen von Demonstrationen, einsetzen, oder versuchen einzusetzen (NZZ 27.3.2015; vgl. FAZ 27.3.2015, HDN 27.3.2015). Die Polizei kann auf Grundlage einer mündlichen oder schriftlichen Einwilligung des Leiters der Verwaltungsbehörde eine Person, ihren Besitz und ihr privates Verkehrsmittel durchsuchen. Der Gouverneur kann die Exekutive anweisen, Gesetzesbrecher ausfindig zu machen (AnA 27.3.2015).
Die Gendarmerie mit einer Stärke von - je nach Quelle - zwischen 152.100 und 275.000 Bediensteten wurde nach dem Putschversuch 2016 dem Innenministerium unterstellt, zuvor war diese dem Verteidigungsministerium unterstellt (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 21; vgl. BICC 2.2025, S. 17, DFAT 16.5.2025, S. 39). Selbiges gilt für die 4.700 Mann starke Küstenwache (BICC 2.2025, S. 17).
Das Generalkommando der Gendarmerie beaufsichtigt auch die sogenannten Dorfschützer (Köy Korucusu), 2017 in Sicherheitswächter (Güvenlik Korucusu) umbenannt. Diese sind paramilitärische Einheiten [oft kurdischer Herkunft], welche vornehmlich in ländlichen Regionen im Südosten der Türkei hauptsächlich zur Bekämpfung der PKK eingesetzt werden (DFAT 16.5.2025, S. 39; vgl. BAMF 2.2023, S. 1). Das System der Dorfschützer behindert allerdings weiterhin die Rückkehr vertriebener Dorfbewohner und stellt ein Hindernis für eine politische Lösung der kurdischen Frage dar. Einige Dorfschützer wurden mit Menschenrechtsverletzungen und übermäßiger Gewaltanwendung gegen die kurdische Bevölkerung in Verbindung gebracht (EC 30.10.2024, S. 22).
Gemäß einer Studie sollen Dorfbewohner dem Dorfschützersystem in der Vergangenheit zwangsweise als Teil ihres Clans, aus finanzieller Notwendigkeit oder aufgrund von Zwangsrekrutierungen durch staatliche Sicherheitskräfte beigetreten sein (BAMF 2.2023; vgl. JSPP/Acar Y.G. 18.12.2019). Sowohl die Dorfschützer als auch die Opfer von Dorfschützern erzählten Ähnliches über den Druck, Dorfschützer zu werden, und die Räumung der Dörfer: Die Sicherheitskräfte betraten das Dorf und sagten den Dorfbewohnern, dass sie Dorfschützer werden oder ihr Dorf verlassen müssen. Wenn die Dorfbewohner nicht in der Lage waren, sich zwischen der Ablehnung oder der Annahme, Dorfwächter zu werden, zu entscheiden, räumten die Soldaten ihr Dorf (JSPP/Acar Y.G. 18.12.2019). In den letzten Jahren wurden keine Berichte über Zwangsrekrutierungen bekannt. Inzwischen können sich Personen, die sich für eine Einstellung als Dorfschützer interessieren, bei der Dorfverwaltung bewerben (BAMF 2.2023).
Einige der traditionellen Militäraufgaben sollen durch die Polizei, die zunehmend mit schweren Waffen ausgestattet wird, übernommen werden. Diese Reformen setzen einen Trend fort, der sich schon in den kurdisch dominierten Gebieten im Südosten der Türkei abgezeichnet hat. Sichtbar wurde dies auch im Rahmen von Militärintervention "Olivenzweig" in der nordsyrischen Provinz Afrin im Jänner 2018 (BICC 2.2025, S. 18).
Polizei, Gendarmerie und auch der Nationale Nachrichtendienst (Millî İstihbarat Teşkilâtı - MİT) haben unter der Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) an Einfluss gewonnen (AA 20.5.2024, S. 6).
Die 2008 abgeschaffte "Nachbarschaftswache" alias "Nachtwache" (türk.: Bekçi) wurde 2016 nach dem gescheiterten Putschversuch wiedereingeführt. Von 29.000 mit Stand Herbst 2020 (TM 28.11.2020) ist die ihre Zahl (mit Beginn 2023) auf rund 40.000 angewachsen. Das türkische Innenministerium will 1.200 neue "Bekçis" einstellen. Dabei handelt es sich um Wachleute, die, bewaffnet mit Waffe und Schlagstock, vor allem nachts für Ordnung sorgen sollen. Die neuen Sicherheitskräfte sollen in 26 Provinzen zum Einsatz kommen (FR 20.1.2023). Sie werden nach nur kurzer Ausbildung als Nachtwache eingestellt (BIRN 10.6.2020). Mit einer Gesetzesänderung im Juni 2020 wurden ihre Befugnisse erweitert (BIRN 10.6.2020; vgl. Spiegel 9.6.2020). Das neue Gesetz gibt ihnen die Befugnis, Schusswaffen zu tragen und zu benutzen, Identitätskontrollen durchzuführen, Personen und Autos zu durchsuchen sowie Verdächtige festzunehmen und der Polizei zu übergeben (MBZ 2.3.2022; S. 19; vgl. MBZ 31.8.2023, S. 20). Sie sollen für öffentliche Sicherheit in ihren eigenen Stadtteilen sorgen, werden von Regierungskritikern aber als "AKP-Miliz" kritisiert, und sollen für ihre Aufgaben kaum ausgebildet sein (AA 20.5.2024, S. 6; vgl. MBZ 31.8.2023, S. 20, BIRN 10.6.2020, Spiegel 9.6.2020). Vor allem kritisiert die Opposition, dass Erdoğan ein ihm loyal verbundenes Gegengewicht zur Gendarmerie und Polizei aufbaut (FR 20.1.2023). Den Einsatz im eigenen Wohnviertel sehen Kritiker als Beleg dafür, dass die Hilfspolizei der Bekçi die eigene Nachbarschaft nicht schützen, sondern viel mehr bespitzeln soll (Spiegel 9.6.2020). Mit der Gesetzesänderung tauchten u. a. Bilder auf, wie die neuen Sicherheitskräfte willkürlich Personen kontrollieren und Gewalt ausüben (FR 20.1.2023). Laut Informationen des niederländischen Außenministeriums handeln die Bekçi in der Regel nach ihren eigenen nationalistischen und konservativen Normen und Werten. So griffen sie beispielsweise ein, wenn jemand auf Kurdisch öffentlich sang, einen kurzen Rock trug oder einen "extravaganten" Haarschnitt hatte. Wenn die angehaltene Person nicht kooperierte, wurden ihr Handschellen angelegt und sie wurde der Polizei übergeben (MBZ 2.3.2022, S. 19). Human Rights Watch kritisierte, dass angesichts der weitverbreiteten Kultur der polizeilichen Straffreiheit die Aufsicht über die Beamten der Nachtwache noch unklarer und vager als bei der regulären Polizei sei (Guardian 8.6.2020). Beispiele für Übergriffe der Nachtwache: Im August 2021 wurden drei Journalisten von Mitgliedern der Nachtwache attackiert, weil sie über das nächtliche Verschwinden eines, später tot aufgefundenen, Kleinkindes im Istanbuler Ortsteil Beylikdüzü berichteten (SCF 19.8.2021). Im Mai 2022 wurde angeblich eine 16-Jährige durch Angehörige der Nachtwache in Istanbul verhaftet und sexuell belästigt (SCF 11.5.2022). Und Mitte Juli 2022 wurden drei Transfrauen in der westtürkischen Provinz Izmir von Mitgliedern der Nachtwache im Rahmen einer Ausweiskontrolle mit Tränengas besprüht, geschlagen und in Handschellen auf die Polizeistation gebracht (Duvar 18.7.2022).
Das Verfassungsgericht entschied mit seinem am 1.6.2023 veröffentlichten Urteil, dass Nachbarschaftswachen nicht mehr befugt sind, Maßnahmen zu ergreifen, um Demonstrationen zu verhindern, die die öffentliche Ordnung stören könnten. Derartige Befugnisse würden einen Verstoß gegen das Versammlungs- und Demonstrationsrecht darstellen. Das Verfassungsgericht bestätigte allerdings, dass die Nachbarschaftswachen weiterhin befugt sind, Schusswaffen zu tragen und zu benutzen sowie Identitätskontrollen durchzuführen (MBZ 31.8.2023, S. 20).
Nachrichtendienstliche Belange werden bei der Türkischen Nationalpolizei (TNP) durch den polizeilichen Nachrichtendienst (İstihbarat Dairesi Başkanlığı - IDB) abgedeckt. Dessen Schwerpunkt liegt auf Terrorbekämpfung, Kampf gegen Organisierte Kriminalität und Zusammenarbeit mit anderen türkischen Nachrichten- und Geheimdienststellen. Ebenso unterhält die Gendarmerie einen auf militärische Belange ausgerichteten Nachrichtendienst. Ferner existiert der Nationale Nachrichtendienst MİT, der seit September 2017 direkt dem Staatspräsidenten unterstellt ist (zuvor dem Amt des Premierministers) und dessen Aufgabengebiete der Schutz des Territoriums, des Volkes, der Aufrechterhaltung der staatlichen Integrität, der Wahrung des Fortbestehens, der Unabhängigkeit und der Sicherheit der Türkei sowie deren Verfassung und der verfassungskonformen Staatsordnung sind. Die Gesetzesnovelle vom April 2014 brachte dem MİT erweiterte Befugnisse zum Abhören von privaten Telefongesprächen und zur Sammlung von Informationen über terroristische und internationale Straftaten. MİT-Agenten besitzen eine erweiterte gesetzliche Immunität. Gefängnisstrafen von bis zu zehn Jahren sind für Personen, die Geheiminformation veröffentlichen, vorgesehen. Auch Personen, die dem MİT Dokumente bzw. Informationen vorenthalten, drohen bis zu fünf Jahre Haft (ÖB Ankara 4.2025, S. 22f.).
Seit dem 6.1.2021 können die Nationalpolizei [Anm.: Generaldirektion für Sicherheit - Emniyet Genel Müdürlüğü/ EGM] und der Nationale Nachrichtendienst (MİT) im Falle von Terroranschlägen und zivilen Unruhen Waffen und Ausrüstung der türkischen Streitkräfte (TSK) nutzen. Gemäß der Verordnung dürfen die Türkischen Streitkräfte (TSK), EGM, MİT, das Gendarmeriekommando und das Kommando der Küstenwache in Fällen von Terrorismus und zivilen Unruhen alle Arten von Waffen und Ausrüstungen untereinander übertragen (SCF 8.1.2021; vgl. Ahval 7.1.2021). Das Europäische Parlament zeigte sich über die neuen Rechtsvorschriften besorgt (EP 19.5.2021, S. 15, Pt. 38).
Das türkische Verfassungsgericht hat mehrere Artikel zweier Gesetze über den Ausnahmezustand im Jänner 2023 für nichtig erklärt. Unter anderem erklärte es eine Bestimmung für nichtig, wonach Angehörige der türkischen Streitkräfte (TSK), des Generalkommandos der Gendarmerie, des Kommandos der Küstenwache und der Generaldirektion für Sicherheit wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer terroristischen Organisation aus dem Dienst entfernt werden können, ohne dass eine Untersuchung gegen sie durchgeführt wird. Überdies wurde eine Verordnung, die vorsah, dass der türkische Geheimdienst (MİT) ohne Ausnahmen vom Geltungsbereich des Gesetzes Nr. 4982 über das Recht auf Information ausgenommen wird, für ungültig erklärt, da sie "die Möglichkeit, das Recht auf Information auszuüben, vollständig abschafft" (TM 16.1.2023).
Zu Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei siehe insbesondere die Kapitel: Folter und unmenschliche BehandlungHaftbedingungenVersammlungs- und VereinigungsfreiheitVersammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition.
Quellen
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Folter und unmenschliche Behandlung
Rechtsrahmen
Die Verfassung und das Gesetz verbieten Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung (USDOS 22.4.2024, S. 4). Die Türkei ist Vertragspartei des Europäischen Übereinkommens zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe von 1987 (AA 20.5.2024, S. 16). Sie hat das Fakultativprotokoll zum UN-Übereinkommen gegen Folter (Optional Protocol to the Convention Against Torture/ OPCAT) im September 2005 unterzeichnet und 2011 ratifiziert (ÖB Ankara 4.2025, S. 44). Das Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen (Committee against Torture - CAT) zeigte sich jedoch im August 2024 besorgt, dass Artikel 94 des Strafgesetzbuches die in der Konvention enthaltene Definition von Folter nicht vollständig umfasst (CAT 14.8.2024, S. 2).
Entwicklungen und aktuelle Situation
Insbesondere nach dem Wiederaufflammen des Konflikts [Anm.: zwischen dem türkischen Staat und der PKK] im Juli 2015 und nach dem Putschversuch verhängten Ausnahmezustand (2016) sind Folter und andere Formen der Misshandlung an offiziellen Haft- und Internierungsorten, einschließlich Gefängnissen, sowie bei Eingriffen von Strafverfolgungsorganen bei friedlichen Versammlungen und Demonstrationen, aber auch an inoffiziellen Haftorten und in Umgebungen außerhalb von Haftanstalten, auf der Straße und auf offenem Gelände oder in Bereichen wie Wohnungen und Arbeitsplätzen auf ein außerordentliches Niveau gestiegen (TİHV/HRFT 11.2024, S. 17; vgl. EC 30.10.2024, S. 30, ÖB Ankara 4.2025, S. 44, İHD/HRA/TİHV/HRFT/TMA/TTB 26.6.2024, S. 2, MBZ 2.2025a, S. 43).
Mehr als 40 NGOs hatten während der 80. Sitzung des UN-Komitees gegen Folter (CAT) vom 8. bis 26.7.2024 Berichte vorgelegt, in denen sie sowohl systematische Folterungen und Misshandlungen, das Verschwindenlassen von Personen, extralegale Hinrichtungen als auch die weitestgehend vorhandene Straffreiheit für Sicherheitskräfte, die mit Folter und Misshandlungen in Verbindung stehen sollen, kritisierten. Die türkischen Behörden wurden beschuldigt, Folter als Mittel einzusetzen, um Geständnisse zu erzwingen oder politische Aktivistinnen und Aktivisten, Medienschaffende und Angehörige der kurdischen Minderheit einzuschüchtern (SCF 12.7.2024; vgl. BAMF 9.9.2024, S. 11).
Einschätzungen zum Ausmaß von Folter und Misshandlungen
Während die NGO Menschenrechtsstiftung der Türkei (TİHV) wie bereits in ihren früheren Berichten davon spricht, dass systematische Folter und andere Formen der Misshandlung angewendet werden (TİHV/HRFT 11.2024, S. 17), sieht sowohl die ÖB Ankara als auch das deutsche Außenamt hingegen keine Anhaltspunkte zu systematischer Folter (ÖB Ankara 4.2025, S. 44; vgl. AA 20.5.2024).
Das Europäische Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe (CPT) weist in seinem Bericht über den Besuch in der Türkei im Mai 2019 auf Vorfälle von übermäßiger Gewaltanwendung durch Beamte gegenüber Festgenommenen mit dem Ziel von Geständnissen oder als Strafe hin (die Berichte über den Besuch im Jänner 2021 und über den Ad-hoc-Besuch im September 2022 und Februar 2024 wurden auf Betreiben der Türkei bislang nicht veröffentlicht). Die Häufigkeit der Vorfälle liegt auf einem besorgniserregenden Niveau. Allerdings hat die Schwere der Misshandlungen durch Polizeibeamte abgenommen (ÖB Ankara 4.2025, S. 44). Hierzu äußerten sich im September 2022 die Experten des UN-Unterausschusses zur Verhütung von Folter (SPT) nach ihrem zweiten Besuch im Land. Demnach muss die Türkei weitere Maßnahmen ergreifen, um Häftlinge vor Folter und Misshandlung zu schützen, insbesondere in den ersten Stunden der Haft, und um Migranten in Abschiebezentren zu schützen (OHCHR 21.9.2022).
In Bezug auf die Türkei zeigte sich 2024 auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) "alarmiert über glaubwürdige Berichte, die darauf hindeuten, dass Folter und andere Formen der Misshandlung in [...] der Türkei tendenziell systematisch und/oder weit verbreitet sind [und] besorgt über Berichte, die darauf hinweisen, dass trotz der "Null-Toleranz"-Botschaft der Behörden die Anwendung von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnis in den letzten Jahren zugenommen hat und die früheren Fortschritte der Türkei in diesem Bereich überschattet. Die Versammlung begrüßt die jüngsten Entscheidungen des Verfassungsgerichts, in denen Verstöße gegen das Verbot von Misshandlungen festgestellt und neue Untersuchungen von Beschwerden angeordnet wurden, und ermutigt andere nationale Gerichte, dieser Rechtsprechung zu folgen" [Anm.: Originalzitat englisch] (CoE-PACE 24.1.2024, S. 2).
Ebenso äußerte sich das Anti-Folter-Komitee der Vereinten Nationen - CAT im Sommer 2024 "[...] besorgt über die Vorwürfe, dass Folter und Misshandlung im Vertragsstaat weiterhin in allgemeiner Form vorkommen, insbesondere in Haftanstalten, einschließlich der Vorwürfe von Schlägen und sexuellen Übergriffen und Belästigungen durch Strafverfolgungs- und Geheimdienstbeamte sowie des Einsatzes von Elektroschocks und Waterboarding in einigen Fällen" [Anm.: Originalzitat englisch] (CAT 14.8.2024, S. 6).
Trotz der Zusicherungen der Türkei bezüglich ihrer Null-Toleranz-Politik gegenüber Folter bekräftigte der UN-Menschenrechtsausschuss Ende November 2024 (im Rahmen des zweiten periodischen Berichtes zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte - ICCPR) seine Besorgnis über die allgemeine Art und Weise, in der Folter und Misshandlung angeblich in Polizeigewahrsam und Gefängnissen stattfinden, sowie über die Zunahme von Folter- und Misshandlungsvorwürfen in den letzten Jahren (UNHRCOM 28.11.2024, S. 6).
Straflosigkeit bzw. Strafmilderung bei staatlicher Gewalt
Anstatt den Strafbestand der "vorsätzliche Tötung und Folter" anzuwenden, werden Sicherheitsorgane gerichtlich wegen "vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge" oder "rücksichtsloser Tötung" verurteilt, was mildere Strafen etwa in Form einer schnelleren Entlassung aus der Haft nach sich zieht. Zudem bestimmt das am 14.7.2016 erlassenen Gesetz Nr. 6722, dass Untersuchung gegen Militärpersonal, welches an Einsätzen, welche Foltervorwürfe und andere Misshandlungen nach sich zogen, einem besonderen Genehmigungsverfahren unterworfen sind. Und rückwirkend wurde eine Straflosigkeit eingeführt (İHD/HRA/TİHV/HRFT/TMA/TTB 26.6.2024, S. 11).
Die letzten Jahre verzeichneten nicht nur einen Anstieg der Fälle von Folter und Misshandlungen. Hinzukam das Fehlen einer Verurteilung durch höhere Amtsträger und die Bereitschaft, Anschuldigungen zu vertuschen, anstatt sie zu untersuchen. Dies führte zu einer weitverbreiteten Straffreiheit für die Sicherheitskräfte (SCF 6.1.2022). Dies ist überdies auf die Verletzung von Verfahrensgarantien, langen Haftzeiten und vorsätzlicher Fahrlässigkeit zurückzuführen, die auf verschiedenen Ebenen des Staates zur gängigen Praxis geworden sind (İHD/HRA/OMCT/CİSST/TİHV/HRFT 9.12.2021). Betroffen sind sowohl Personen, welche wegen politischer als auch gewöhnlicher Straftaten angeklagt sind (HRW 13.1.2021). Allerdings sind Personen, denen eine Verbindung zur PKK oder zur Gülen-Bewegung nachgesagt wird, mit größerer Wahrscheinlichkeit Misshandlungen ausgesetzt. Ebenso sind laut Berichten Übergriffe in Polizeieinrichtungen in Teilen des Südostens häufiger als anderenorts (USDOS 22.4.2024, S. 4).
Der UN-Menschenrechtsausschuss äußerte 2024 seine Besorgnis über das Fehlen einer angemessenen Überwachung von Polizeigewahrsam und Gefängnissen, eines sicheren und wirksamen Beschwerdemechanismus und unparteiischer, unabhängiger und gründlicher Ermittlungen, Strafverfolgungen und Sanktionen, die der Schwere der Straftat für die Täter angemessen sind, was zu einer Situation der faktischen Straflosigkeit führt (UNHRCOM 28.11.2024, S. 6; vgl. HRW 11.1.2024).
In einer Entschließung vom 7.6.2022 wiederholte das Europäische Parlament (EP) "seine Besorgnis darüber, dass sich die Türkei weigert, die Empfehlungen des Europäischen Ausschusses zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe umzusetzen" und "fordert die Türkei auf, bei Folter eine Null-Toleranz-Politik walten zu lassen und anhaltenden und glaubwürdigen Berichten über Folter, Misshandlung und unmenschliche oder entwürdigende Behandlung in Gewahrsam, bei Verhören oder in Haft umfassend nachzugehen, um der Straflosigkeit ein Ende zu setzen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen" (EP 7.6.2022, S. 19, Pt. 32). Es gab wenige Anhaltspunkte dafür, dass die Staatsanwaltschaft bei der Untersuchung der in den letzten Jahren vermehrt erhobenen Vorwürfe von Folter und Misshandlung in Polizeigewahrsam und Gefängnissen Fortschritte gemacht hätte (HRW 12.1.2023). Nur wenige derartige Vorwürfe führen zu einer strafrechtlichen Verfolgung der Sicherheitskräfte, und es herrscht nach wie vor eine weitverbreitete Kultur der Straflosigkeit (HRW 11.1.2024).
Laut der Menschenrechtsstiftung der Türkei (TİHV) sollen zwischen 2018 und 2021 in der Türkei mindestens 13.965 Menschen unter Folter und Misshandlung festgenommen worden sein. Von diesen gewaltsamen Verhaftungen erfolgten 3.997 im Jahr 2018, 4.253 im Jahr 2019, 2.014 im Jahr 2020 und 3.701 im Jahr 2021 (Duvar 22.3.2022). 2022 berichtete der damalige Innenminister Süleyman Soylu infolge einer parlamentarischen Anfrage, dass lediglich zwölf von 2.594 Polizeioffizieren, welche in den vergangenen fünf Jahren verdächtigt wurden, exzessive Gewalt angewendet zu haben, in irgendeiner Weise bestraft wurden (TM 21.1.2022). Nach Angaben der Menschenrechtsvereinigung (İHD/HRA) wurden im Jahr 2023 insgesamt 5.312 Menschen durch Sicherheitskräfte gefoltert oder misshandelt. 348 Fälle von Folter fanden in Polizeihaft und weitere 733 außerhalb von Hafteinrichtungen statt. 594 Fälle wurden aus den Gefängnissen gemeldet. 3.487 Personen wurden anlässlich von Protesten durch Sicherheitskräfte geschlagen und verwundet (BAMF 9.9.2024, S. 11; vgl. İHD/HRA 23.8.2024).
Urteile der Höchstgerichte
Das Verfassungsgericht urteilte 2021 mindestens in fünf Fällen zugunsten von Klägern, die von Folter und Misshandlungen betroffen waren (SCF 17.11.2021). In zwei Urteilen vom Mai 2021 stellte das Verfassungsgericht Verstöße gegen das Misshandlungsverbot fest und ordnete neue Ermittlungen hinsichtlich der Beschwerden an, die von der Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt ihrer Einreichung im Jahr 2016 abgewiesen worden waren (HRW 13.1.2022). Betroffen waren ein ehemaliger Lehrer, der im Gefängnis in der Provinz Antalya gefoltert wurde, sowie ein Mann, der in Polizeigewahrsam in der Provinz Afyon geschlagen und sexuell missbraucht wurde. Beide wurden 2016 wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Gülen-Bewegung verhaftet. Das Höchstgericht ordnete in beiden Fällen Schadenersatzzahlungen an (SCF 15.9.2021; vgl. SCF 22.9.2021). Ebenfalls im Sinne dreier Kläger (der Brüder Çelik und ihres Cousins), die 2016 von den bulgarischen an die türkischen Behörden ausgeliefert wurden, und welche Misshandlungen sowie die Verweigerung medizinischer Hilfe beklagten, entschied das Verfassungsgericht, dass die Staatsanwaltschaft die Anhörung von Gefängnisinsassen als Zeugen im Verfahren verabsäumt hätte. Das Höchstgericht wies die Behörden an, eine Schadenersatzzahlung zu leisten und eine Untersuchung gegen die Täter einzuleiten (SCF 17.11.2021). Überdies wurde im Fall eines privaten Sicherheitsbediensteten, der am 5.6.2021 in Istanbul in Polizeigewahrsam starb, ein stellvertretender Polizeichef inhaftiert, der zusammen mit elf weiteren Polizeibeamten vor Gericht steht, nachdem die Medien Wochen zuvor Aufnahmen veröffentlicht hatten, auf denen zu sehen war, wie die Polizei den Wachmann schlug (HRW 13.1.2022). In einem Urteil vom 25.3.2025 stellte das Verfassungsgericht fest, dass die Behörden im Fall von Zabit Kişi, einem vermeintlichen Mitglied der Gülen-Bewegung, welcher 2017 aus Kasachstan entführt und in der Türkei geheim inhaftiert worden war, gegen die Verfahrensgarantien des Verbots der Misshandlung verstoßen hatten. Das Gericht entschied einstimmig, dass Kişi eine wirksame Untersuchung seiner Vorwürfe der rechtswidrigen Entführung, der verlängerten Isolationshaft und der schweren Folter verweigert wurde (NM 30.5.2025; vgl. TALI 4.6.2025). Die Entscheidung räumte zwar einen Verfahrensfehler ein, umging jedoch bewusst die Frage der tatsächlichen Folter. Trotz überwältigender Beweise, darunter übereinstimmende Zeugenaussagen und medizinische Unterlagen, entschied sich das Verfassungsgericht, die tatsächliche Folter nicht anzuerkennen, sondern lediglich das Versäumnis, sie zu untersuchen (TALI 4.6.2025).
Im Oktober 2024 bestätigte das Kassationsgericht den Freispruch von 16 Männern, die in einem Verfahren gegen JİTEM, eine Spezialeinheit der Gendarmerie für Nachrichtenbeschaffung, in Ankara wegen "vorsätzlicher Tötung im Rahmen von Handlungen einer bewaffneten Organisation, die zur Begehung einer Straftat gegründet wurde" angeklagt worden waren. Unter den Freigesprochenen befanden sich auch ehemalige Staatsbedienstete. Der Fall bezog sich auf Fälle des Verschwindenlassens und außergerichtliche Hinrichtungen zwischen 1993 und 1996 (AI 29.4.2025).
Institutionen
Die Opfer von Misshandlungen oder Folter können sich zwar an formelle Beschwerdeverfahren wenden, doch sind diese Mechanismen nicht besonders wirksam. Dies gab Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Autonomie staatlicher Stellen wie der Türkiye İnsan Hakları ve Eşitlik Kurumu (Menschenrechts- und Gleichstellungsbehörde der Türkei, TİHEK, engl. Abk.: HREI) und der Ombudsperson. So ist die TİHEK mehreren Quellen zufolge bei der Bearbeitung von Berichten über Misshandlungen und Folter weder effizient noch autonom (MBZ 31.8.2023, S. 40; vgl. CAT 14.8.2024, S. 3). Die TİHEK führt zwar offizielle Besuche in den Gefängnissen durch, doch geht es dabei in erster Linie um hygienische Fragen und nicht um Fälle von Misshandlung und Folter. Die Beamten auf den Polizeidienststellen zeigen häufig kein Interesse an der Bearbeitung von Beschwerden im Zusammenhang mit staatlich geförderter Gewalt. Die Opfer haben bessere Erfolgsaussichten, wenn sie ihre Beschwerden direkt bei der Staatsanwaltschaft einreichten, vor allem, wenn sie durch stichhaltige Beweise wie medizinische Berichte oder Videomaterial untermauert waren. Derselben Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge riskieren Bürger, die Vorfälle staatlich geförderter Gewalt meldeten, wegen Verleumdung angeklagt zu werden (MBZ 31.8.2023, S. 40). Auch die Europäische Kommission stellte im Oktober 2024 fest, dass, obwohl mit der Rolle des Nationalen Präventionsmechanismus (NPM) betraut, die TİHEK/ HREI nicht die wichtigsten Anforderungen des Fakultativprotokolls zum UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe (OPCAT) erfüllt und Fälle, die an sie verwiesen wurden, nicht wirksam bearbeitet (EC 30.10.2024, S. 30; vgl. EC 8.11.2023, S. 31).
Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen haben viele Opfer von Misshandlungen und Folter nicht nur wenig oder kein Vertrauen in die beiden genannten Institutionen, sondern es überwiegt die Angst, dass sie erneut Misshandlungen und Folter ausgesetzt werden, wenn die Gendarmen, Polizisten und/oder Gefängniswärter herausfinden, dass sie eine Beschwerde eingereicht haben. In Anbetracht dessen erstatten die meisten Opfer von Misshandlungen und Folter keine Anzeige (MBZ 18.3.2021, S. 34; vgl. MBZ 2.3.2022, S. 32f.). Kommt es dennoch zu Beschwerden von Gefangenen über Folter und Misshandlung stellen die Behörden keine Rechtsverletzungen fest, die Untersuchungen bleiben ergebnislos. Hierdurch hat die Motivation der Gefangenen, Rechtsmittel einzulegen, abgenommen, was wiederum zu einem Rückgang der Beschwerden geführt hat (CİSST 26.3.2021, S. 30).
Quellen
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Entführungen und Verschwindenlassen im In- und Ausland
Die Türkei hat das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen noch nicht unterzeichnet (EC 8.11.2023, S. 29). Glaubhafte Berichte von Menschenrechtsorganisationen, der Anwaltskammer Ankara, der Opposition sowie von Betroffenen selbst über Fälle von Folterungen, Entführungen und die Existenz informeller Anhaltezentren halten an. Menschenrechtsgruppen berichteten über vereinzelte Fälle von "Verschwindenlassen", die zum Teil politisch motiviert gewesen seien. Immer wieder werden auch Entführungen aus dem Ausland durchgeführt (ÖB Ankara 4.2025, S. 45).
Zu unterscheiden ist zwischen den Entführungen innerhalb Türkei und jenen türkischer Staatsbürger im Ausland, um sie in die Türkei zurückzubringen. In Bezug auf Erstere bestreitet die Türkei konsequent jede Beteiligung, in Bezug auf Letztere gibt sie offen zu, diese Entführungen durchgeführt zu haben. In beiden Fällen ist der Ablauf der Ereignisse identisch: (Vermeintliche) Gegner der Regierung werden entführt und verschwinden in der Folge von der Bildfläche, einige sind bis heute vermisst (TT 7.2021, S. 2). Die meisten von ihnen tauchen jedoch nach ein paar Monaten, z. B. in bestimmten Polizeistationen wieder auf (TT 7.2021, S. 2; vgl. FR 15.2.2021, TM 10.9.2021). Auch ist vermeintlich mitunter Folter im Spiel. So berichtete Human Rights Watch über den Fall Ayten Öztürk, die 2019 wegen Verbindungen zur bewaffneten Gruppe Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front (DHKP-C) vor Gericht gestellt wurde. Sie wurde 2018 vom Flughafen Beirut im Libanon von türkischen Geheimdiensten entführt und in die Türkei gebracht, wo sie gewaltsam verschwand und über fünf Monate lang gefoltert wurde, bevor sie offiziell in Polizeigewahrsam genommen wurde (HRW 22.2.2024, S. 19).
Offenkundig eingeschüchtert, schweigen die meisten Betroffenen nach ihrem Wiederauftauchen (TM 10.9.2021). Entführungen und gewaltsames Verschwindenlassen von Personen werden jedenfalls weiterhin vermeldet und nicht ordnungsgemäß untersucht (HRW 13.1.2022; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 44). Besorgniserregend ist hierbei nach wie vor, so die Europäische Kommission, dass extraterritoriale Entführungen und Zwangsrückführungen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und des Schutzes der nationalen Sicherheit gerechtfertigt werden (EC 8.11.2023, S. 20).
Gemeinsame Recherchen des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) und acht internationaler Medien, koordiniert vom gemeinnützigen Recherchezentrum Corrective, basierend auf Überwachungsvideos, internen Dokumenten, Augenzeugen und befragten Opfern, ergaben Ende 2018, wonach ein Entführungsprogramm existiert, bei dem der Nationale Nachrichtendienst Millî İstihbarat Teşkilâtı (MİT) nach politischen Gegnern sucht, die dann in Geheimgefängnisse verschleppt - auch aus dem Ausland - und diese foltert, um beispielsweise belastende Aussagen gegen Dritte zu erwirken (ZDF 11.12.2018; vgl. Correctiv 11.12.2018, Haaretz 11.12.2018).
Es gibt immer noch kein umfassendes, kohärentes Konzept in Bezug auf vermisste Personen, die Exhumierung von Massengräbern oder die unabhängige Untersuchung aller mutmaßlichen Fälle von außergerichtlicher Tötung durch Sicherheits- und Strafverfolgungsbeamte. Die meisten Ermittlungen in Fällen von gewaltsamem Verschwindenlassen aus den 1990er-Jahren sind nach 20 Jahren verjährt. In den mehr als 1.400 Fällen vermisster Personen wurden nur 16 Gerichtsverfahren eingeleitet. 14 hiervon endeten mit einem Freispruch (EC 8.11.2023, S. 20; vgl. EC 30.10.2024).
Laut der "UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen" (UN Working Group against Enforced and Involuntary Disappearances - UN-WGEID) galten mit Stand Juli 2024 von 240 Fällen noch immer fast 83 als ungelöst (UNHRC/WGEID 26.7.2024, S. 31). Ömer Faruk Gergerlioğlu, Menschenrechtsaktivist und Abgeordneter der pro-kurdischen HDP, geht davon aus, dass seit 2016 mindestens 30 Menschen in der Türkei "verschwunden" sind. In vielen Fällen handle es sich um ehemalige Staatsbedienstete (FR 15.2.2021; vgl. TM 10.9.2021) oder um Anhänger der Gülen-Bewegung und Kurden (AlMon 17.9.2021; vgl. TT 7.2021, S. 50, TM 10.9.2021). Einige der Entführten werden Berichten zufolge immer noch vermisst. In jüngster Zeit wurden nach Angaben der türkischen Menschenrechtsstiftung (TİHV) neben HDP-Mitgliedern auch mehrere Aktivisten marxistischer Gruppen auf ähnliche Weise verschleppt. Dies bekräftigten auch die vermeintlich entführten Mitglieder der HDP und linker Organisationen selbst (AlMon 17.9.2021). Fast alle Entführten gaben an, dass sie unter Druck gesetzt wurden, ihre Organisationen zu verraten. Einige gaben an, sie seien schwer gefoltert worden (AlMon 17.9.2021; vgl. TT 7.2021, S. 2). Die Entführten werden auch unter Druck gesetzt, sich nicht umfassend zu verteidigen, und gezwungen, Beschwerden über Folter und Misshandlung zurückzuziehen. Außerdem ist es ihnen untersagt, unabhängige Ärzte zu konsultieren, um ihre Verletzungen zu bescheinigen (TT 7.2021, S. 2). Vielfach wurden die Betroffenen wegen Spionage angeklagt (FR 15.2.2021). Laut Gülseren Yoleri von der türkischen Menschenrechtsvereinigung İHD habe diese in allen Entführungsfällen Strafanzeige erstattet, doch all diese Fälle seien eingestellt worden. Ein Gesetz, das die Aktivitäten des türkischen Geheimdienstes (MİT) vor Strafverfolgung schützt, sei ein wichtiger Faktor hierbei. Wenn die Entführung eine MİT-Aktivität ist, könne die Staatsanwaltschaft nicht ermitteln, so Yoleri (AlMon 17.9.2021). Der UN-Menschenrechtsausschuss forderte im November 2024, die gesetzlichen Bestimmungen abzuschaffen, die nationalen Geheimdienstmitarbeitern in Fällen von gewaltsamem Verschwindenlassen Immunität vor Strafverfolgung gewähren (UNHRCOM 28.11.2024, S. 5).
Entführungen und Verschwindenlassen im Ausland
Was die Entführungen türkischer Staatsbürger aus dem Ausland betrifft, so zeigte sich die UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen (WGEID) zutiefst besorgt darüber, dass eine Reihe von Staaten, namentlich auch die Türkei, weiterhin extra-territoriale Entführungen und Zwangsrückführungen unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung und des Schutzes der nationalen Sicherheit rechtfertigt. Die Situation in der Türkei sei besonders besorgniserregend, da mindestens 100 türkische Staatsangehörige aus zahlreichen Staaten in die Türkei zwangsrückgeführt worden sein sollen, weil sie im Verdacht stehen, Mitglieder einer angeblichen terroristischen Organisation zu sein oder mit dieser zu sympathisieren (UNHRC/WGEID 7.8.2020, S. 16). 40 von den 100 entführten Personen verschwanden unter Gewaltanwendung, meist von der Straße, oder sie wurden aus ihren Häusern und Wohnungen in der ganzen Welt entführt, in mehreren Fällen zusammen mit ihren Kindern (UNHRC/WGEID 5.5.2020, S. 2).
Wenn es den türkischen Behörden nicht gelingt, die Auslieferung auf legalem Wege zu erwirken, greifen sie in Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden von Drittländern, einschließlich Geheimdiensten und Polizei, auf verdeckte Operationen zurück. Dazu gehören in erster Linie rasche illegale Aktionen, um gefährdete Personen dem Schutz des Gesetzes zu entziehen und sie anschließend zu überstellen (UNHRC/WGEID 5.5.2020, S. 3; vgl. FH 2.2021, S. 10). In einigen Fällen haben diese Handlungen direkt gegen gerichtliche Anordnungen gegen illegale Abschiebungen verstoßen. Angesichts des zunehmenden Drucks seitens der Türkei führen die Aufnahmestaaten eine Rund-um-die-Uhr-Überwachung durch, gefolgt von Hausdurchsuchungen und willkürlichen Verhaftungen in verdeckten Operationen. Die Namen der Personen werden mit vorbereiteten Listen abgeglichen, bevor sie gewaltsam zu nicht gekennzeichneten Fahrzeugen gebracht werden. Sie bleiben bis zu mehreren Wochen in geheimer oder Isolationshaft verschwunden, bevor sie in die Türkei abgeschoben werden. Während dieser Zeit sind sie häufig Zwang, Folter und erniedrigender Behandlung ausgesetzt, um ihre Zustimmung zu einer freiwilligen Rückkehr zu erlangen und Geständnisse zu erpressen, die bei der Ankunft in der Türkei zur Strafverfolgung dienen sollen. In dieser Phase wird den Betroffenen der Zugang zu medizinischer Versorgung und Rechtsbeistand verwehrt, und sie können die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung nicht vor einem zuständigen Gericht anfechten, sodass sie de facto außerhalb des Schutzes des Gesetzes stehen. Ihre Familienangehörigen sind über ihr Schicksal und ihren Verbleib nicht informiert. Den Zeugenaussagen zufolge haben die Opfer dieser Operationen von unverminderten Misshandlungen durch Geheimdienstmitarbeiter berichtet, die vor allem darauf abzielen, ein Geständnis zu erzwingen. Zu den gängigsten Formen der Folter gehören Nahrungs- und Schlafentzug, Schläge, Waterboarding und Elektroschocks (UNHRC/WGEID 5.5.2020, S. 3).
Was die Entführungen außerhalb des Hoheitsgebiets betrifft, so hat die Türkei durch mehrere ihrer höchsten Vertreter, inklusive Staatspräsident Erdoğan, die Verantwortung dafür übernommen (TT 7.2021, S. 50; vgl. FH 2.2021, S. 39f) und hierbei insbesondere die Rolle des Geheimdienstes MİT hervorgestrichen (FH 2.2021, S. 39f). Die Entführungen werden in der Türkei öffentlich verkündet und von den Regierungsmedien gefeiert; die Opfer werden beispielsweise in Handschellen öffentlich präsentiert, bevor sie im Kerker verschwinden (DlF 22.6.2021).
Beispiele: Anfang September 2022 verschwand Ugur Demirok in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku auf den Weg in sein Büro. Zwei Monate später verbreitete die staatliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu ein Polizeifoto Demiroks in Handschellen zwischen zwei großen türkischen Fahnen. Laut einer regierungsnahen Tageszeitung hatte der Geheimdienst MİT Demirok "gefangen". Auf ihn warte nun eine Anklage wegen Mitgliedschaft in einer Terrororganisation (RND 10.12.2022). Auch Flüchtlingslager im Ausland können Ziele der türkischen Sicherheitsbehörden sein. - So nahm 2022 der türkische Geheimdienst MİT bei einem Einsatz im Lager Makhmour im irakischen Gouvernement Ninewa [auch: Nineveh] zwei PKK-Mitglieder fest und verbrachte diese in die Türkei (Shafaq 14.9.2022). Nach den Wahlen im Mai 2023 setzte der türkische Geheimdienst seine Praxis fort, in Zusammenarbeit mit Behörden in Ländern mit schwachen Rechtsstaatlichkeitsstrukturen Personen, die angeblich Verbindungen zur Gülen-Bewegung haben, zu entführen und an die Türkei auszuliefern. Im Juli und September 2023 umgingen beispielsweise die tadschikischen Behörden die gesetzlichen Auslieferungsverfahren, indem sie Emsal Koç und Koray Vural entführten und in die Türkei flogen, wo sie bis zu ihrem Prozess in Untersuchungshaft genommen wurden (HRW 22.2.2024). Am 21.10.2024 erklärte das kenianische Außenministerium, dass vier türkische Staatsangehörige auf Ersuchen der türkischen Regierung von Kenia in die Türkei überführt worden seien. Laut Berichten sollen die Betroffenen vom türkischen Nachrichtendienst MİT entführt und teilweise vor Ort verhört worden sein, bevor sie in die Türkei überführt worden waren. Bei den vier Personen handelt es sich um Geflüchtete, die beim UNHCR registriert waren, was sie vor einer Zwangsrückführung in die Türkei schützen sollte (BAMF 28.10.2024, S. 11; vgl. SCF 21.10.2024, BBC 21.10.2024, taz 21.10.2024). UNHCR zeigte sich ob der Vorgänge "zutiefst besorgt" (BBC 21.10.2024). Ein weiteres Beispiel ist die Festnahme von Kadir Çelik, Mitglied der Maoistischen Kommunistischen Partei (MKP), durch den Geheimdienst MİT in einem nicht näher genannten Land des Nahen Ostens im November 2024 (AnA 20.11.2024).
Reaktionen internationaler Institutionen
In seiner Entschließung vom Juni 2022 verurteilt das Europäische Parlament "aufs Schärfste die Entführung türkischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz außerhalb der Türkei und deren Auslieferung in die Türkei, was eine Verletzung des Grundsatzes der Rechtsstaatlichkeit und der grundlegenden Menschenrechte darstellt" (EP 7.6.2022, S. 19, Pt. 31).
Im Juni 2023 verabschiedete die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) eine Resolution zur transnationalen Gewalt. Die Resolution verurteilt alle Formen und Praktiken der grenzüberschreitenden Repression, einschließlich derjenigen, die direkt von einem Herkunftsstaat außerhalb seiner Grenzen ausgeübt werden, und derjenigen, bei denen ein Herkunftsstaat andere Staaten mit einbezieht, um rechtswidrig gegen eine Zielperson in seinem eigenen Hoheitsgebiet vorzugehen. In diesem Kontext zeigte sich PACE besorgt darüber, dass die Türkei einige der Instrumente der transnationalen Repression eingesetzt hat, insbesondere nach dem Putschversuch vom Juli 2016 bei der Verfolgung von vermeintlichen Anhängern der Gülen-Bewegung. Zu diesen Instrumenten gehören: Überstellungen, der Missbrauch von Auslieferungsverfahren, INTERPOL Red Notices und Maßnahmen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung sowie die Zusammenarbeit mit anderen Staaten (CoE-PACE 23.6.2023).
Der UN-Menschenrechtsausschuss zeigte sich Ende November 2024 ebenfalls besorgt über Berichte über die extraterritoriale Entführung und gewaltsame Überstellung von mehr als 100 Personen, die verdächtigt werden, der Gülen-Bewegung anzugehören, sowie von politischen Gegnern oder regierungskritischen Journalisten, ohne dass ein gerichtliches Auslieferungsverfahren durchgeführt wurde. Der Ausschuss äußert seine Besorgnis über den mutmaßlichen Missbrauch der "Red Notices" von INTERPOL gegen diese Personen und über die Anwendung politisch motivierter Auslieferungsverfahren. Der Ausschuss verlangte u. a, dass die Türkei alle Fälle von gewaltsamem Verschwindenlassen aufklären und unverzüglich unparteiische und gründliche Ermittlungen durchführen und sicherstellen, dass die Opfer und ihre Angehörigen über den Verlauf und die Ergebnisse der Ermittlungen informiert werden sollten. Außerdem sollten die Verantwortlichen strafrechtlich verfolgt werden und die Opfer des gewaltsamen Verschwindenlassens und ihre Familien eine umfassende Wiedergutmachung erhalten (UNHRCOM 28.11.2024, S. 5f.).
Zuletzt äußerte sich auch das Anti-Folter-Komitee (CAT) der Vereinten Nationen im Sommer 2024 "besorgt über die Vorwürfe, wonach es eine systematische Praxis staatlich geförderter exterritorialer Entführungen und erzwungener Rückführungen von Personen gibt, die angeblich mit der Hizmet/Gülen-Bewegung in Verbindung stehen, in Abstimmung mit Behörden in Afghanistan, Albanien, Aserbaidschan, Kambodscha, Gabun, Kasachstan, Libanon und Pakistan sowie mit Behörden im Kosovo, [...] Solche Entführungen sollen unter Beteiligung des Nationalen Nachrichtendienstes [...] stattgefunden haben und Menschenrechtsverletzungen wie Verschwindenlassen und andere Formen von Folter und Misshandlung (Art. 2, 3, 11–13 und 16) beinhalten" [Übersetzung des englischen Originalzitates] (CAT 14.8.2024, S. 8).
Die UN-Arbeitsgruppe gegen gewaltsames und unfreiwilliges Verschwindenlassen erhielt weiterhin Informationen über Schikanen und Einschüchterungsversuche gegenüber Familienangehörigen von gewaltsam verschwundenen Personen und Organisationen der Zivilgesellschaft, die an diesen Fällen arbeiten. Die Arbeitsgruppe erinnert an ihren Bericht an die UN-Vollversammlung an die Verpflichtung der türkischen Regierung, das Recht der Familien von Verschwundenen zu wahren, an den Ermittlungsverfahren und der Suche nach verschwundenen Personen beteiligt zu werden und nicht Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein, die deren staatsbürgerliche und politische Rechte beschneiden (UNHRC/WGEID 26.7.2024, S. 22).
Vergleiche hierzu auch das Unter-Kapitel zu: Sicherheitslage / Gülen- oder Hizmet-Bewegung.
Quellen
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Korruption
Rechtsrahmen
Die Türkei ist ein Vertragsstaat der UN-Konvention gegen Korruption (2006), der OECD-Konvention gegen Bestechung, des Strafrechtsübereinkommens und des Zivilrechtsübereinkommens des Europarates über Korruption. Der Rechtsrahmen zur Korruptionsbekämpfung ist in mehreren nationalen Gesetzen enthalten (DFAT 16.5.2025, S. 9; vgl. USDOS 17.7.2024). Zudem beteiligt sich die Türkei an regionalen Initiativen zur Korruptionsbekämpfung wie der G20-Arbeitsgruppe zur Korruptionsbekämpfung (USDOS 17.7.2024). Das türkische Strafgesetzbuch (Artikel 247 und 252) stellt verschiedene Formen der Korruption unter Strafe, darunter aktive und passive Bestechung, versuchte Korruption, Erpressung, Bestechung eines ausländischen Beamten, Geldwäsche und Amtsmissbrauch. Die Strafe für Bestechung kann eine Freiheitsstrafe von bis zu zwölf Jahren umfassen (DFAT 16.5.2025, S. 9; vgl. GAN 5.11.2020). Unternehmen müssen mit der Beschlagnahme von Vermögenswerten und dem Entzug staatlicher Betriebsgenehmigungen rechnen. Schmiergeldzahlungen und Geschenke sind zwar illegal, kommen aber dennoch häufig vor (GAN 5.11.2020).
Strukturelle Defizite und behördliches Vorgehen gegen Korruptionsberichterstattung
Das Land hat keine Schritte unternommen, um einen Rahmen für die Prävention und Kontrolle zu schaffen oder Korruptionsbekämpfungsstellen gemäß den zivil- und strafrechtlichen Übereinkommen des Europarats über Korruption, den Empfehlungen der Gruppe der Staaten gegen Korruption (GRECO) und dem UN-Übereinkommen gegen Korruption einzurichten (EC 30.10.2024, S. 5). Der Rechtsrahmen und die institutionelle Struktur müssen laut Europäischer Kommission verbessert werden, um unzulässige politische Einflussnahme bei der Verfolgung und Entscheidung von Korruptionsfällen zu begrenzen. Die öffentlichen Einrichtungen müssen ihre Rechenschaftspflicht und Transparenz verbessern (EC 30.10.2024, S. 5). Wie in der OECD-Konvention zur Bekämpfung der Bestechung dargelegt, hatte die Türkei mehrere Strategien zur Korruptionsbekämpfung entwickelt, diese jedoch nicht beibehalten oder aktualisiert. Viele davon sind nicht mehr in Kraft und wurden nicht ersetzt, was zu einem Mangel an nationalen strategischen Maßnahmen sowohl zur Bekämpfung der Korruption im Inland als auch der Bestechung im Ausland führt. Darüber hinaus hat das Land auch keine Fortschritte bei der Einführung von Gesetzen zum Schutz von Whistleblowern erzielt (OECD 10.4.2025, S. 122; vgl. EC 30.10.2024, S. 28).
Die Türkei erfüllt 27 % der Kriterien hinsichtlich der Qualität des strategischen Rahmens gemäß den OECD-Standards und 13 % hinsichtlich der Umsetzung der Strategie, verglichen mit dem OECD-Durchschnitt von 45 % bzw. 36 %. Gemessen an den OECD-Standards für das Risikomanagement, das interne Kontrollen und interne Revisionen umfasst, erfüllt die Türkei 56 % der Kriterien für Vorschriften und 26 % für die Praxis, verglichen mit dem OECD-Durchschnitt von 67 % bzw. 33 %. Die Türkei erfüllt keine Kriterien hinsichtlich der Vorschriften und Praktiken zur Minderung von Korruptionsrisiken im Zusammenhang mit Lobbyismus, da es in diesem Bereich keine Rechtsvorschriften gibt. Gemessen an den OECD-Standards zu Interessenkonflikten erfüllt die Türkei 56 % der Kriterien in Bezug auf Vorschriften, erfasst jedoch die erforderlichen Daten in der Praxis nicht. Im Durchschnitt erfüllen die OECD-Länder 76 % der Kriterien für Vorschriften und 40 % für die Praxis. Gemessen an den OECD-Standards zur politischen Finanzierung erfüllt die Türkei 40 % der Kriterien in Bezug auf Vorschriften und 43 % in Bezug auf die Praxis, verglichen mit dem OECD-Durchschnitt von 73 % bzw. 58 %. Gemessen an den OECD-Standards zur Information der Öffentlichkeit, die den Zugang zu Informationen und offenen Daten umfassen, erfüllt die Türkei 44 % der Kriterien für Vorschriften und 54 % für die Praxis, verglichen mit dem OECD-Durchschnitt von 67 % bzw. 62 % (OECD 16.3.2024, S. 4-9):
OECD 16.3.2024, S. 3
Die Financial Action Task Force on Money Laundering (FATF) bescheinigte Ende Juni 2024 der Türkei, dass sie die Wirksamkeit ihres Systems zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung gestärkt habe, um die in ihrem Aktionsplan eingegangenen Verpflichtungen in Bezug auf die von der FATF im Oktober 2021 festgestellten strategischen Schwachstellen zu erfüllen. Infolgedessen hob die FATF die verstärkte Überwachung (increased monitoring) auf (FATF 28.6.2024; vgl. REU 28.6.2024). Allerdings bleibt die Kritik von Wirtschaftswissenschaftlern aufrecht, wonach die Türkei aufgrund der tief verwurzelten Korruption, der wiederholten Amnestieprogramme und der unzureichenden Durchsetzung der Finanzvorschriften zu einer wichtigen Drehscheibe für Geldwäsche geworden ist, wodurch Milliarden von Dollar an illegalen Geldern ins Land gelangen. Ein Schlüsselfaktor für die Verwandlung der Türkei in ein Zentrum der Geldwäsche sei die Aufhebung eines Gesetzes aus dem Jahr 2003, das von Einzelpersonen verlangte, die rechtmäßige Herkunft großer finanzieller Gewinne nachzuweisen. Der ehemalige Vorsitzende der Ermittlungsbehörde für Finanzkriminalität (MASAK), Ramazan Başak, erklärte, dass die Abschaffung des Gesetzes es ermöglicht habe, dass riesige Mengen an nicht-zurückverfolgbarem Vermögen unkontrolliert in das Finanzsystem gelangen konnten. Seit 2008 wurden überdies wiederholt Gesetze zur Vermögensamnestie eingeführt, jüngste Version, im Juli 2022 verabschiedet, blieb bis März 2023 in Kraft. Diese Gesetze, die ursprünglich der wirtschaftlichen Erholung dienen sollten, wurden weithin dafür kritisiert, dass sie den Fluss illegaler Gelder ins Land ermöglichen (TM 17.1.2025).
Die Antikorruptionsgesetze werden nicht konsequent durchgesetzt, und die Antikorruptionsbehörden sind ineffektiv oder politisiert (FH 26.2.2025, C2; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 58f., USDOS 17.7.2024), was eine Kultur der Straflosigkeit hervorruft (FH 26.2.2025, C2; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 58). In der Türkei gibt es nach wie vor kein ständiges, funktional unabhängiges Gremium zur Korruptionsbekämpfung. Die Koordinierung zwischen den verschiedenen Präventionsstellen ist nach wie vor unzureichend. Der staatliche Aufsichtsrat (State Supervisory Council), der für die Korruptionsbekämpfung zuständig ist, arbeitet nicht als unabhängige Korruptionsbekämpfungsbehörde, da es ihm an funktionaler Unabhängigkeit mangelt (EC 30.10.2024, S. 28; vgl. OECD 10.4.2025, S. 122, BS 23.2.2022, S. 35). Kritiker behaupten, dass Regierungsbeamte weiterhin große Aufträge an Firmen vergeben, die mit der regierenden Partei AKP befreundet sind, insbesondere für große öffentliche Bauprojekte (USDOS 17.7.2024).
Das Parlament betraute den Rechnungshof mit der Rechenschaftspflicht in Bezug auf die Einnahmen und Ausgaben der staatlichen Stellen. Außerhalb dieses Rechnungsprüfungssystems gibt es aber keine spezielle Behörde, die ausschließlich für die Untersuchung und Verfolgung von Korruptionsfällen zuständig ist (USDOS 22.4.2024, S. 58). Offizielle Aufsichtsorgane wie der Rechnungshof und die Ombudsperson veröffentlichen Berichte oft verspätet und decken nur selten Korruptionsvorwürfe ab (DFAT 10.9.2020).
Sorge besteht auch hinsichtlich der Unparteilichkeit der Justiz in der Handhabe von Korruptionsfällen, die Justiz ist auch bei den Ermittlungen und der Strafverfolgung in großen Korruptionsfällen der Einmischung der Regierung ausgesetzt (USDOS 22.4.2024, S. 58.)
Die Regierung bestraft Strafverfolgungsbeamte, Richter und Staatsanwälte, die korruptionsbezogene Ermittlungen oder Fälle gegen Regierungsbeamte eingeleitet haben, und behauptet, dass Erstere dies auf Veranlassung der Gülen-Bewegung taten (USDOS 12.4.2022, S. 63f.). Die Bilanz der Ermittlungen, Strafverfolgungen und Verurteilungen in Korruptionsfällen ist, insbesondere bei Korruptionsfällen auf höchster Ebene, an denen Politiker und Beamte beteiligt sind, nach wie vor schlecht. Die Urteile sind milde und haben keine abschreckende Wirkung (EC 8.11.2023, S. 27; vgl. UNHRCOM 28.11.2024, S. 5). Es gibt nur vereinzelte offizielle Untersuchungen der Korruption in der Regierung (USDOS 22.4.2024, S. 58f.). Gesetzliche Privilegien für Beamte, wie z. B. das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung durch ihre Vorgesetzten, bevor eine Untersuchung gegen sie wegen eines mutmaßlichen Fehlverhaltens eingeleitet wird, bieten nach wie vor Schutz bei Ermittlungen zur Korruptionsbekämpfung und behindern somit effektiv die Ermittlungen (EC 30.10.2024, S. 28).
Kritische Berichte über Korruptionsfälle in der Regierung ziehen im negativen Sinne die Aufmerksamkeit der türkischen Behörden auf sich (MBZ 2.3.2022, S. 25). Journalisten und zivilgesellschaftliche Organisationen berichten, dass sie Vergeltungsmaßnahmen für ihre Berichterstattung über Korruption befürchten (USDOS 22.4.2024, S. 59). So wurde am 1.11.2023 der Journalist Tolga Şardan wegen des Verdachts der Verbreitung von Desinformationen festgenommen. Der Journalist hatte in einem Artikel über mögliche Korruption in der Justiz berichtet. Dabei bezog er sich u. a. auf einen Bericht des Geheimdienstes MİT (Duvar 6.11.2023). Gerichte und der Oberste Radio- und Fernsehrat (RTÜK) blockierten regelmäßig den Zugang zu Presseberichten über Korruptionsvorwürfe (USDOS 22.4.2024, S. 59).
Verbreitung und Ausmaß von Korruption
Trotz eines strengen Rechtsrahmens berichten internationale und inländische Beobachter, dass Korruption im öffentlichen und privaten Sektor der Türkei weit verbreitet ist und sich in den letzten Jahren verschlimmert hat (DFAT 16.5.2025, S. 9; vgl. FH 26.2.2025, C2), auch auf den höchsten Ebenen der Regierung (FH 26.2.2025, C2). Sichtbar wurde die weitverbreitete Korruption angesichts des Erdbebens im Februar 2023 (EP 13.9.2023, Pt. 3). Darüber hinaus sind die Finanzierung der politischen Parteien, die Justiz und die öffentliche Verwaltung, die Gemeinden, die Landverwaltung, die Raumordnung und das Bauwesen weiterhin anfällig für Korruption (EC 30.10.2024, S. 28).
Obwohl der Umfang der informellen Wirtschaft in den letzten Jahren zurückgegangen ist, macht sie immer noch einen erheblichen Teil der Wirtschaftstätigkeit aus. Die Regierung hat die Umsetzung ihres Aktionsplans zur Bekämpfung der Schattenwirtschaft (2023-2025) fortgesetzt, aber das Fehlen von Leistungsindikatoren erschwert die Überwachung der Fortschritte bei der Umsetzung (EC 30.10.2024, S. 46). Anderen Quellen zufolge soll die Schattenwirtschaft in den letzten Jahren enorm expandiert sein. Der Anstieg der illegalen Einnahmen stammt nicht nur aus dem Untergrundsektor wie Prostitution, Drogenhandel und Kraftstoffschmuggel, sondern auch aus der Einflussnahme durch Bestechung bei öffentlichen Ausschreibungen und Schmiergeldzahlungen ausländischer Unternehmen, die in der Türkei Geschäfte machen wollen. Nach dem Putschversuch im Jahr 2016 ist der Fluss illegaler Gelder um einen weiteren Aspekt erweitert worden. Im Rahmen der politischen Säuberungsaktionen wurden Unternehmen, die sich im Besitz von Gülenisten befanden, beschlagnahmt und dann verkauft, meist an Freunde der regierenden AKP. Wie sich später herausstellte, zahlten viele Geschäftsleute, denen Verbindungen zu den Gülenisten nachgesagt wurden, hohe Bestechungsgelder, um einer Untersuchung oder einem Prozess zu entgehen (AlMon 21.5.2021).
Transparency International reihte die Türkei im Korruptionswahrnehmungsindex 2024 wie 2023 mit einem Punktewert von 34 von 100 (bester Wert) auf Platz 107 (2023: 115) von 180 untersuchten Ländern und Territorien ein. Den besten Wert in der vergangenen Dekade erreichte das Land 2013 mit 50 von 100 Punkten (TI 11.2.2025; vgl. TI 30.1.2024). World Justice Project verlieh der Türkei für das Jahr 2024 einen Skalenwert von 0,45 (1 = statistischer Bestwert), welcher unter dem globalen Durchschnittswert von 0,51 lag, wodurch das Land auf Rang 78 von 142 Ländern rangierte (WJP 10.2024).
Quellen
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BS - Bertelsmann Stiftung (23.2.2022): BTI 2022 Country Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2069612/country_report_2022_TUR.pdf, Zugriff 29.9.2023
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DFAT - Department of Foreign Affairs and Trade [Australien] (10.9.2020): DFAT Country Information Report Turkey, https://www.ecoi.net/en/file/local/2038892/country-information-report-turkey.pdf, Zugriff 6.12.2023
Duvar - Duvar (6.11.2023): Journalist Şardan released from jail five days after his arrest over reporting on judicial corruption, https://www.duvarenglish.com/journalist-sardan-released-from-jail-five-days-after-his-arrest-over-reporting-on-judicial-corruption-news-63274, Zugriff 18.3.2025
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EC - Europäische Kommission (8.11.2023): Türkiye 2023 Report [SWD (2023) 696 final], https://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-11/SWD_2023_696 Türkiye report.pdf, Zugriff 9.11.2023
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Nichtregierungsorganisationen (NGOs)
Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen eine wichtige Rolle bei der Bereitstellung von Dienstleistungen in der Türkei. Nach den letzten verfügbaren Daten vom 1.3.2025 gibt es 101.126 registrierte zivilgesellschaftliche Organisationen und 6.094 Stiftungen, die neben vielen informellen Organisationen, wie Plattformen, Initiativen und Gruppen, tätig sind. Ihre Arbeitsbereiche konzentrieren sich hauptsächlich auf gesellschaftliche Solidarität, soziale Dienstleistungen, Bildung, Gesundheit und Religion (ICNL 25.3.2025).
Bis 2004, als in der Türkei ein neues Vereinsgesetz erlassen wurde, war die Autonomie der türkischen zivilgesellschaftlichen Organisationen eingeschränkt. Das neue Vereinsgesetz wurde sowohl von der Zivilgesellschaft als auch von der EU positiv aufgenommen. In der Folge verabschiedete die Türkei 2008 auch ein Gesetz über Stiftungen, das die rechtlichen Rahmenbedingungen weiter verbesserte. Dennoch gibt es nach wie vor rechtliche Unzulänglichkeiten und Einschränkungen. Am 1.10.2018 wurde die Verordnung über Vereinigungen geändert, wodurch Vereinigungen verpflichtet sind, öffentliche Einrichtungen über ihre Mitglieder zu informieren. Vor dieser Änderung wurden nur der Vor- und Nachname des Vorstandsvorsitzenden der Vereinigung und statistische Informationen, wie die Anzahl der Mitglieder als natürliche und juristische Personen und ihr Geschlecht, verlangt. Darüber hinaus wurde am 26.3.2020 das Vereinsgesetz geändert. Damit wurden die Vereine verpflichtet, der örtlichen Behörde innerhalb von 30 Tagen den Status von Personen mitzuteilen, die als Mitglieder in den Verein aufgenommen wurden oder aus dem Verein ausgetreten sind, sowie deren personenbezogenen Daten. Diese Regelung verstößt nach Ansicht von ICNL gegen die von der Verfassung geschützten Grundrechte und -freiheiten und das Recht auf Schutz personenbezogener Daten und steht im Widerspruch zu den Grundsätzen der EMRK und des ICCPR [International Covenant on Civil and Political Rights - Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte] (ICNL 25.3.2025) sowie den Leitlinien der OSZE bzw. des Europarats zur Vereinigungsfreiheit (EC 8.11.2023, S. 5, 17; vgl. ICNL 24.6.2023).
Die Organisationen der Zivilgesellschaft (CSO) arbeiten in einem schwierigen Umfeld, in dem ihr Handlungsspielraum schrumpft und sie zahlreichen Zwängen ausgesetzt sind, darunter dem ständigen Druck der Behörden. Trotzdem verschafft sich die Zivilgesellschaft weiterhin Gehör und nimmt aktiv am gesellschaftlichen Leben teil, indem sie in verschiedenen Bereichen entscheidende Beiträge leistete. Einige CSO sind nach wie vor besorgt über die übermäßige Zahl der vom Innenministerium durchgeführten Prüfungen und Inspektionen. CSO, insbesondere solche, die sich mit Frauen, LGBTIQ-Personen und Menschenrechten befassen, werden unter Druck gesetzt, unter anderem durch den systematischen Einsatz von Gerichtsverfahren, auch aufgrund der weit gefassten Definition von Terrorismus (EC 30.10.2024, S. 4, 20, 38).
Die vormalige Menschenrechtskommissarin des Europrates, Dunja Mijatović, stellte bereits 2020 fest, dass der Rechtsrahmen für die Arbeit der NGOs streng, komplex und über viele Gesetze verstreut ist und dass er mehrere Fragen zur Vereinbarkeit mit den einschlägigen europäischen Normen aufwirft (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7).
Zivilgesellschaftliche Organisationen, insbesondere regierungskritische Menschenrechtsorganisationen und demokratiefördernde NGOs, werden nach wie vor an den Rand gedrängt und weder bei der Formulierung noch bei der Umsetzung politischer Maßnahmen in Konsultationsprozesse seitens der Regierung einbezogen. Die zivilgesellschaftlichen Organisationen sind weit davon entfernt, die autoritäre Regierung der Türkei zur Rechenschaft zu ziehen. Die Exekutive setzt verschiedene Mittel ein, um die Zivilgesellschaft zu unterdrücken und den Raum für zivilgesellschaftliche Kritik zu begrenzen. Zu diesen Mitteln gehören die Änderung des gesetzlichen Rahmens, die Kriminalisierung von Aktivitäten, die Einschüchterung und Stigmatisierung von Aktivisten, die Verwendung einer aggressiven Rhetorik durch hohe Regierungsbeamte und das wiederholte Verbot von Demonstrationen. - Generell ist die Kultur der Zivilgesellschaft nach wie vor schwach, und die Autokratisierung der Türkei nach dem gescheiterten Putsch von 2016 hat zivilgesellschaftliche Organisationen aus der politischen Szene der Türkei verdrängt (BS 19.3.2024, S. 17, 39).
Das Europäische Parlament bedauerte in seiner Entschließung zur Türkei vom September 2023, "dass die türkische Regierung mit einem Arsenal von Gesetzen, darunter das Gesetz über die sozialen Medien von 2020, das Gesetz zur Bekämpfung der Geldwäsche von 2021 und das Gesetz zur Bekämpfung von Desinformation von 2022, ein komplexes Geflecht von Rechtsvorschriften geschaffen hat, das als Instrument genutzt wird, um [...] Organisationen der Zivilgesellschaft [...] systematisch zu kontrollieren und mundtot zu machen" (EP 13.9.2023, Pt. 9).
Menschenrechtsverteidiger, etwa der türkischen "Menschenrechtsvereinigung" (İHD), sowie zivilgesellschaftliche Akteure werden in der Türkei seit Langem von Regierungsvertretern und regierungsnahen Medien als Verfechter ausländischer Interessen porträtiert, welche eine Bedrohung für die nationale Sicherheit darstellen und/oder die Ziele "terroristischer Organisationen" fördern (FIDH/OMCT/İHD/HRA 5.2021, S. 11). Seit 2016 hat die Regierung mehr als 1.500 Stiftungen und Vereine geschlossen. Leiter der verbleibenden NGOs werden schikaniert, verhaftet und strafrechtlich verfolgt. Ein Gesetz aus dem Jahr 2020 unterwirft die NGOs jährlichen Prüfungen und gibt dem Innenministerium die Befugnis, Treuhänder für die Vorstände von NGOs zu ernennen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird (FH 26.2.2025, E2; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 41). 2021 fror die Regierung das Vermögen von 770 NGOs mit der Begründung der Terrorismusfinanzierung ein. Organisationen, die sich für die Rechte von Angehörigen sexueller Minderheiten, Frauen und ethnischen oder religiösen Minderheiten einsetzen, werden häufig mit zivil- oder strafrechtlichen Verfahren überzogen (FH 26.2.2025, E2). Im kurdisch geprägten Südosten des Landes sind die Betätigungsmöglichkeiten von Menschenrechtsorganisationen durch vermehrt ausgeübten Druck staatlicher Stellen noch wesentlich stärker eingeschränkt als im Rest des Landes (AA 20.5.2024, S. 6).
Menschenrechtsorganisationen, beispielsweise solche, die sich für Frauen- und Kinderrechte einsetzen, werden gegenüber regierungsnahen Organisationen benachteiligt. Zahlreiche NGOs mit Schwerpunkt auf Menschenrechten berichten, dass sie nicht in den Genuss öffentlicher Förderungen kommen. Sie sehen sich auch bürokratischen Hürden bei der Spendensammlung und der Finanzierung durch EU-Gelder ausgesetzt. Weitere Probleme ergeben sich auch aus der nebulösen Rechtslage betreffend die Errichtung und Tätigkeit von NGOs (ÖB Ankara 4.2025, S. 44). Laut Menschenrechtskommissarin des Europarates sind diese NGOs gezwungen, sich weitgehend auf das Fund-Raising zu stützen, da öffentliche Mittel offenbar ausschließlich an NGOs vergeben werden, die dieselben Werte wie die Regierung vertreten und die offizielle Politik nicht kritisieren, und zwar in einer intransparenten Weise (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7). Laut offiziellen Zahlen waren mit Stand Februar 2025 von allen eingetragenen Vereinigungen nur 1,13 % (1.552 Vereinigungen) in den Bereichen Menschenrechte und Anwaltschaft aktiv (ICNL 25.3.2025).
Menschenrechtsorganisationen können gegründet und betrieben werden, unterliegen jedoch wie alle Vereine nach Maßgabe des Vereinsgesetzes der rechtlichen Aufsicht durch das Innenministerium. Ihre Aktivitäten werden von Sicherheitsbehörden und Staatsanwaltschaften beobachtet (AA 20.5.2024, S. 5). Vor allem Organisationen, die sich für die Wahrung von Rechten einsetzen, werden immer wieder überprüft, kontrolliert und mit Geldstrafen belegt, während einige ihrer Mitglieder systematisch mit juristischen Mitteln verfolgt werden. Infolgedessen haben einige Organisationen erhebliche Schwierigkeiten, ihre Mitglieder zu halten, einschließlich derjenigen, die in ihren Vorständen sitzen (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7). Allgemein fehlen transparente und objektive Kriterien und Verfahren in Bezug auf die öffentliche Finanzierung, die Konsultation von und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie für deren Inspektion und Überprüfung (CoE-CommDH 19.2.2020).
Am 27.12.2020 wurde ein Gesetz - Gesetz über die Verhinderung der Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen - verabschiedet, das angeblich der Bekämpfung der Terrorfinanzierung dienen soll (AP 27.12.2020; vgl. DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Das Gesetz Nr. 7262 war offiziell geschaffen worden, um konkreten Empfehlungen der Financial Action Task Force (FATF) nachzukommen, einer internationalen Organisation zum Monitoring von Geldwäsche und Terrorfinanzierung, deren Mitglied die Türkei ist (FNS 17.5.2022). - Die FATF gab ursprünglich Empfehlungen zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung und der Geldwäsche ab und wies auf die potenziellen Risiken im Zusammenhang mit gemeinnützigen Organisationen hin. Ihre Empfehlung Nr. 8 sah eine unabhängige, risikobasierte Bewertung von gemeinnützigen Organisationen vor, um zu verhindern, dass ihre legitimen Aktivitäten ins Visier genommen, unterbrochen oder bestraft werden. Nach diesem Gesetz gelten jedoch alle gemeinnützigen Organisationen, einschließlich Menschenrechtsorganisationen, als risikobehaftet und werden daher unverhältnismäßigen Maßnahmen unterworfen, die einer Schikane gleichkommen (OMCT 8.2022). - Das Gesetz erlaubt dem Innenministerium, NGOs ohne Gerichtsbeschluss jährlich zu inspizieren und Mitglieder von Vereinen zu ersetzen, wenn gegen sie wegen Terrorismus ermittelt wird. Per Gerichtsbeschluss können Aktivitäten eines Vereins suspendiert und der Zugang zu Online-Spendenaktionen, so keine Genehmigung vorliegt, gesperrt werden (AP 27.12.2020; vgl. DW 27.12.2020, NZZ 30.12.2020). Nach Ansicht der Venedig-Kommission des Europarates sind diese Maßnahmen zusammen mit den verschärften Prüfungen von NGOs (Art. 19 des Vereinsgesetzes) und der abschreckenden Wirkung erhöhter Haftstrafen und hoher Verwaltungsstrafen für die Verletzung von Prüfungspflichten sowie der Aussicht auf die Absetzung von NGO-Direktoren und Vorstandsmitgliedern unverhältnismäßig und beeinträchtigen unmittelbar Demokratie und Rechtsstaatlichkeit (CoE-VC 6.7.2021, S. 19f.). Das Gesetz Nr. 7262 erlaubt eine vorübergehende Stilllegung der Vereinsaktivitäten oder Suspendierung von Vereinsmitgliedern durch das Innenministerium. Hierfür reicht bereits die Aufnahme eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts auf Drogendelikte, Geldwäsche oder Terrorismus aus (AA 20.5.2024, S. 6). Das Gesetz Nr. 7262 gibt überdies den Gouverneuren die Befugnis, Treuhänder für NGOs zu ernennen, die Inspektionen zivilgesellschaftlicher Organisationen zu verschärfen und Führungskräfte zivilgesellschaftlicher Organisationen auf der Grundlage einer unklaren Definition von Terrorismus zu entlassen (EMR 5.2024).
Die durch das Gesetz Nr. 7262 eingeführten Maßnahmen und das vorherrschende politische Klima in der Türkei haben eine abschreckende Wirkung auf zivilgesellschaftliche Organisationen. Dies hat viele NGOs dazu veranlasst, vorbeugende Maßnahmen zu ergreifen, die sich negativ auf ihre Fundraising-Aktivitäten und ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit anderen Organisationen, insbesondere internationalen Institutionen und Gebern, ausgewirkt haben. Zivilgesellschaftliche Organisationen haben überdies Schwierigkeiten, Vorstandsmitglieder zu finden, da diese mögliche negative Auswirkungen und das Risiko einer strafrechtlichen Verfolgung fürchten (ICNL 25.3.2025). Die Menschenrechtskommissarin des Europarates bedauerte, dass das Gesetz trotz der Schlussfolgerungen der Venedig-Kommission des Europarates über seine Unvereinbarkeit mit internationalen Menschenrechtsstandards in Kraft bleibt und weiter umgesetzt wird. Dieses Gesetz stellt zusammen mit der Umsetzung anderer Rechtsvorschriften, die die Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen regeln, weiterhin eine ernsthafte Herausforderung für deren Arbeit dar (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 7).
Im April 2024 hob das Verfassungsgericht allerdings einige Bestimmungen des Gesetzes Nr. 7262 über die Verhinderung der Finanzierung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen auf, die sich auf die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung beziehen, insbesondere diejenigen, die dem Innenministerium weitreichende Befugnisse über zivilgesellschaftliche Organisationen einräumten, deren Führungskräfte wegen Verstößen gegen die Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung verfolgt werden (EC 30.10.2024, S. 60). Das Verfassungsgericht bezeichnete die von ihm annullierten Passagen des Gesetzes als dem Vereinigungsrecht zuwiderlaufend (TM 3.4.2024).
Das Gesetz über die Sammlung von Spendengeldern (Gesetz Nr. 2860) stellt weiterhin hohe Anforderungen an die Genehmigungen, was die Fundraising-Aktivitäten von NGOs entmutigt. Dazu gehören die vorherige Anmeldung für jede Fundraising-Aktivität und langwierige Genehmigungsverfahren (EC 12.10.2022, S. 17). Das Innenministerium und die Provinz-Gouverneure sind außerdem befugt, die Spendensammlungen der NGOs zu überwachen, und Strafen für nicht genehmigte Kampagnen zu verhängen (EC 19.10.2021, S. 36). Dem Innenminister und den Provinzgouverneuren werden weitreichende Kompetenzen bei der Kontrolle von NGOs eingeräumt. Der Innenminister kann durch Verwaltungsentscheidung ohne vorhergehende Gerichtsverfahren die Tätigkeiten von NGOs suspendieren sowie Vereinsorgane ihrer Funktion entheben und durch Treuhänder ersetzen, wenn der Verdacht bestimmter Verbrechen vorliegt. Weitere Kompetenzen kommen dem Innenminister und den Gouverneuren bei der Überwachung der Finanzmittelbeschaffung sowie der Verhängung von Strafen für unerlaubte Spendenaktionen zu (ÖB Ankara 4.2025, S. 44). Darüber hinaus werden alle Vereinigungen und Stiftungen verpflichtet, das Ministerium über Spenden aus dem Ausland zu informieren. Nach der Verabschiedung des Gesetzes sahen sich viele NGOs mit Prüfungen durch das Ministerium konfrontiert, insbesondere diejenigen, die ausländische Mittel erhalten (EC 19.10.2021, S. 36; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 44). Das Strafausmaß gegen Gesetzesverstöße wurde drastisch von einst maximal 700 auf bis zu 200.000 Lira [laut Wechselkurs vom 1.2.2024 rund 6.090 €] erhöht (Independent 27.12.2020). Die Einschätzung, dass es sich beim Gesetz Nr. 7262 in erster Linie um eine Maßnahme zur Einschränkung der Zivilgesellschaft handelt, teilte auch die FATF. Sie setzte die Türkei 2021 auf eine "graue Liste" und ermahnte sie, legitim arbeitende zivilgesellschaftliche Organisationen nicht unter dem Vorwand der Bekämpfung von Terrorfinanzierung unverhältnismäßig zu beschränken (FNS 17.5.2022). Im Juni 2024 strich die FATF die Türkei von ihrer "grauen Liste", weil das Land entsprechende Empfehlungen der FATF weitgehend umgesetzt hatte. Allerdings waren gemeinnützige Organisationen aufgrund des Gesetzes Nr. 7262 weiterhin unverhältnismäßigen Sanktionen und übermäßiger Kontrolle ausgesetzt (AI 29.4.2025).
Inzwischen wurde das Gesetz Nr. 7262 um einen Artikel zur Risikoanalyse in Organisationen erweitert. Seit März 2022 erhielten etliche NGOs Briefe vom "Generaldirektorat für die Beziehungen mit der Zivilgesellschaft", die sie zu zusätzlichen Maßnahmen der Selbstkontrolle aufforderten. Die Schreiben gingen an Organisationen, vor allem an jene im Menschenrechtsbereich, denen nach unbekannten Kriterien ein "mittleres" oder "hohes Risiko" zugeschrieben wird. Die NGOs werden gedrängt, innerhalb einer vorgegebenen Frist "notwendige" Untersuchungen zu ihren Finanzierungsquellen, ihren Mitarbeitern und ihren institutionellen Partnern durchzuführen, um ihren sog. Risikostatus festzustellen (FNS 17.5.2022).
Quellen
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Ombudsperson und die Nationale Institution für Menschenrechte und Gleichstellung
Seit 2012 verfügt die Türkei über das Amt einer Ombudsperson (Kamu Denetçiliği Kurumu/ Ombudsmanlık) mit 200 Mitarbeiter (AA 20.5.2024, S. 6), das lediglich Beschwerden in Bezug auf die öffentliche Verwaltung annimmt und organisatorisch beim türkischen Parlament verortet ist (USDOS 22.4.2024, S. 61f.). Die Ombudspersonen werden durch das Parlament gewählt. Gemäß Eigendefinition besteht die Hauptaufgabe des Amtes der Ombudsperson darin, sich für Einzelpersonen gegenüber der Verwaltung einzusetzen sowie die Menschenrechte zu schützen und zu fördern. Infolge der Einführung des Präsidialsystems wurde auch das Gesetz (Nr. 6328) über die Ombudsperson in dem Sinne ergänzt, dass dieses auch die Akte des Präsidenten umfasst. Explizit außerhalb der Zuständigkeit des Organs sind Handlungen, die die Ausübung der gesetzgebenden und justiziellen Gewalt betreffen, sowie die Handlungen der türkischen Streitkräfte, die rein militärischer Natur sind (OIRT o.D.).
Trotz des Anstiegs der Fallzahlen blieb die Institution bei politisch heiklen Fragen, welche die Grund- und Menschenrechte betreffen, stumm. Die Ombudsperson behandelt lediglich Beschwerden hinsichtlich des Vorgehens der öffentlichen Verwaltung (EC 8.11.2023, S. 15, 29), insbesondere bei Menschenrechtsproblemen und Personalfragen. Entlassungen aufgrund von Notstandsdekreten fallen allerdings nicht in ihren Zuständigkeitsbereich (USDOS 22.4.2024, S. 61).
Die 2012 gegründete Menschenrechtsinstitution der Türkei (Insan Hakları Kurumu) wurde 2016 durch die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung (Human Rights and Equality Institution of Turkey - HREI; Insan Hakları ve Eşitlik Kurumu - TİHEK) ersetzt. Die Institution besteht aus elf Mitgliedern, die vom Staatspräsidenten bestimmt werden. Ihr kommt die Rolle des "Nationalen Präventionsmechanismus" (NPM) gemäß OPCAT zu. Menschenrechtsorganisationen werfen der Institution fehlende Unabhängigkeit vor (AA 20.5.2024, S. 6). Die HREI/TİHEK ergriff beispielsweise keine wirksamen Maßnahmen gegen Misshandlungen und Folter, die von Regierungsmitarbeitern begangen wurden, trotz ihres Auftrages, vorbeugende Maßnahmen gegen Misshandlung und Folter zu ergreifen. Laut Informationen des niederländischen Außenministeriums erhielten Gefängnisinsassen auf Beschwerden bei der HREI/TİHEK lediglich eine Empfangsbestätigung, ohne dass eine Folgemeldung darauf hinwies, dass der Inhalt der Beschwerde bearbeitet wurde (MBZ 2.3.2022, S. 33).
Die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung der Türkei (HREI alias TİHEK) und die Ombudsperson sind die wichtigsten Menschenrechtsinstitutionen (EC 8.11.2023, S. 29f.). Allerdings bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich der operativen, strukturellen und finanziellen Unabhängigkeit der beiden Institutionen und der Ernennung ihrer Mitglieder (EC 30.10.2024, S. 30). Die Effizienz der beiden Einrichtungen bleibt eingeschränkt. Die HREI wurde im Oktober 2022 mit einem B-Status bei der Global Alliance for National Human Rights Institutions akkreditiert (EC 8.11.2023, S. 29f.). Das Anti-Folter-Komitee (CAT) der Vereinten Nationen brachte im August 2024 seine Besorgnis darüber zum Ausdruck, dass es der HREI an Diversität mangelt, einschließlich einer angemessenen Vertretung der Geschlechter unter den Mitgliedern des Verwaltungsrats, und dass der HREI nicht unabhängig von der Exekutive ist, da alle Mitglieder des Verwaltungsrats, einschließlich des Vorsitzenden, vom Präsidenten ernannt werden. Das CAT war besorgt darüber, dass die Institution für Menschenrechte und Gleichstellung der Türkei bei ihrer Arbeit als nationaler Präventionsmechanismus angeblich zurückhaltend war, über Fälle von Folter und Misshandlung zu berichten (CAT 14.8.2024, S. 3). Auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen zeigte sich Ende November 2024 wegen Berichten hinsichtlich der mangelnden Unabhängigkeit des HREI von der Exekutive und der fehlenden Vielfalt in Bezug auf die HREI-Mitglieder besorgt und empfahl der Türkei eindrücklich die diesbezüglichen Defizite gemäß den Pariser Grundsätzen zu beheben (UNHRCOM 28.11.2024, S. 2f.)
Einige HREI-Mitglieder zeigten in jüngster Vergangenheit sogar eine negative Haltung gegenüber den grundlegenden Menschenrechten, einschließlich der Gleichstellung der Geschlechter, der Rechte der Frauen und der Rechte von sexuellen Minderheiten. Zudem sprachen sie sich seinerzeit für den Austritt aus der Istanbul-Konvention aus. All dies widerspricht den erklärten Zielen dieser Institution (EC 19.10.2021, S. 29).
Die HREI führt in ihrer Rolle als Nationaler Präventionsmechanismus (NPM) Gefängnisbesuche durch, hat aber keine festen und unabhängigen Kriterien für angekündigte Besuche. Bei einigen Besuchen kam es nur zu Kontakten mit der Verwaltung, nicht aber zu Gesprächen mit Häftlingen. Die HREI hat nicht alle der Gefängnisse besucht, in denen die meisten Menschenrechtsverletzungen vermutet werden, oder dies geschah mit erheblicher Verzögerung (EC 8.11.2023, S. 30). D. h., die von HREI durchgeführten Gefängnisbesuche bleiben unwirksam (EC 30.10.2024, S. 30). Die Empfehlungen befassen sich hauptsächlich mit geringfügigen Problemen und enthalten keine konkreten Aussagen zu schweren Menschenrechtsverletzungen. Die HREI blieb aufgrund gesetzlicher und struktureller Beschränkungen weitgehend ineffektiv, u. a. dadurch, dass sie Anträge von Organisationen der Zivilgesellschaft nicht akzeptierte und bei Fällen von Folter und Misshandlung übermäßig zurückhaltend war (EC 8.11.2023, S. 30).
Quellen
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VRD/COW 13.10.2023
Das Fehlen rechtlicher Bestimmungen über die Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen bleibt trotz mehrerer Urteile des EGMR und einer Entscheidung des UN-Menschenrechtsausschusses ein Problem (EC 30.10.2024, S. 31), da die Verweigerung des Militärdienstes zu einer Verurteilung wegen Desertion führt (EC 8.11.2023, S. 32). Der Europarat, insbesondere dessen Ministerkomitee kritisiert die wiederholten Verurteilungen und Inhaftierungen von Wehrdienstverweigerern wegen Verweigerung des Militärdienstes; das Fehlen eines wirksamen und zugänglichen Verfahrens zur Feststellung des Status als Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen und das Fehlen einer Alternative zum obligatorischen Militärdienst in der Türkei (CoE 5.2024, S. 4). So zuletzt im April 2024 erschienenen Jahresbericht 2023 des Ministerkomitees des Europarates. Sich berufend auf die Rechtssache Ülke vs. Türkei, in der es um die wiederholte Verurteilung und strafrechtliche Verfolgung von Wehrdienstverweigerern und Pazifisten aus Gewissensgründen wegen der Verweigerung des obligatorischen Militärdienstes geht, forderte das Ministerkomitee die türkischen Behörden nachdrücklich auf, dafür zu sorgen, dass alle negativen Folgen der vom EGMR festgestellten Verstöße für die Antragsteller, denen weiterhin Straf- und Verwaltungsverfahren drohen, rasch beseitigt werden. In Bezug auf die allgemeinen Maßnahmen stellte das Ministerkomitee fest, dass der "bezahlte Militärdienst" und die Verkürzung der Dauer der Wehrpflicht keine Alternative zur Wehrpflicht darstellen, und bedauerte zutiefst, dass seit der Verkündung des Ülke-Urteils im Jahr 2006 keine Fortschritte in Bezug auf gezielte Maßnahmen zur Verhinderung künftiger ähnlicher Verstöße erzielt worden sind. Das Ministerkomitee forderte die türkischen Behörden daher nachdrücklich auf, einen Aktionsplan mit konkreten Vorschlägen für Gesetzesänderungen vorzulegen, um den Feststellungen des Gerichtshofs Rechnung zu tragen (CoE-CM 11.4.2024, S. 43f.). In einer Interimsresolution vom 13.6.2024 zur Vollstreckung der Urteile des EGMR in vier Individual-Klagen gegen die Türkei, bedauerte das Ministerkomitee, dass drei der Beschwerdeführer (Osman Murat Ülke, Yunus Erçep und Ersin Ölgün) weiterhin als Wehrdienstverweigerer gelten und weiterhin mit Straf- und Verwaltungsverfahren sowie zahlreichen Einschränkungen ihres täglichen Lebens konfrontiert sind, die einer Situation des "zivilen Todes" gleichkommen, dass gegen Mehmet Tarhan seit 2005 ein Strafverfahren anhängig ist, dass das von Barış Görmez vor dem Verfassungsgericht eingeleitete Verfahren noch anhängig ist und dass Ersin Ölgün im Dezember 2023 erneut wegen Nichtantritts des Wehrdienstes zu einer Geldstrafe verurteilt wurde (CoE-CM 14.6.2024).
Der EGMR hat die Türkei bereits in einigen Fällen im Zusammenhang mit der Nichtanerkennung von Gewissensgründen für Wehrdienstverweigerung verurteilt (Ülke gg. Türkei, appl. No. 39437/98, Urteil vom 1.6.2004; Erçep gg. Türkei, appl. No. 43965/04, Urteil vom 22.11.2011; Savda gg. Türkei, appl. No. 42730/05, Urteil vom 12.6.2012; Enver Aydemir gg. Türkei, appl. No. 26012/11, Urteil vom 7.6.2016; Baydar gg. Türkei, appl. No. 25632/13), Entscheidung vom 19.6.2018) (ÖB Ankara 4.2025, S. 24).
Offizielle Daten oder statistische Informationen über die Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissensgründen werden nicht veröffentlicht (VRD/COW 5.2021, S. 11; vgl. UKHO 9.8.2024). Das Ministerkomitee des Europarates erwähnt im Protokoll zum Treffen vom 5-7.6.2023, dass die Türkei infolge der Aufforderung statistische Angaben zur Zahl der Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen sowie zu den seit der Rechtskraft des Urteils Ülke im Jahr 2006 in diesem Zusammenhang verhängten Verwaltungsstrafen, Strafverfolgungsmaßnahmen und Verurteilungen vorzulegen, die Zahl von 152 Personen übermittelt wurde, welche seit 2006 aus Gewissensgründen den Wehrdienst verweigert hätten (CoE-CM 7.6.2023). Im Gegensatz hierzu war laut dem australischen Außenministerium im Jahr 2024 die Anzahl der Wehrdienstverweigerer hoch, sodass der Staat nicht die Kapazität hatte alle Fälle zu verfolgen (DFAT 16.5.2025, S. 33).
Quellen
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CoE-CM - Council of Europe - Committee of Ministers (14.6.2024): CM/ResDH(2024)126 - Interim Resolution CM/ResDH(2024)126 - Execution of the judgments of the European Court of Human Rights - Four cases against Türkiye (Application No. 39437/98), https://search.coe.int/cm/eng?i=0900001680b05d3e, Zugriff 7.5.2025
CoE-CM - Council of Europe - Committee of Ministers (11.4.2024): 17th Annual Report of the Committee of Ministers - SUPERVISION OF THE EXECUTION OF JUDGMENTS AND DECISIONS OF THE EUROPEAN COURT OF HUMAN RIGHTS, https://rm.coe.int/annual-report-2023/1680af6e81, Zugriff 26.8.2024
CoE-CM - Council of Europe - Committee of Ministers (7.6.2023): 1468th meeting (5-7 June 2023) (DH) - H46-36 Ülke group v. Turkey (Application n° 39437/98) [CM/Notes/1468/H46-36], https://hudoc.exec.coe.int/eng?i=CM/Notes/1468/H46-36E, Zugriff 21.5.2025
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EBCO - European Bureau for Conscientious Objection (2024): Türkiye | European Bureau for Conscientious Objection - 2023/2024, https://ebco-beoc.org/turkey/2023, Zugriff 5.6.2025
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VB Istanbul - VB - Verbindungsbeamte des BMI in Ankara/Istanbul [Österreich] (1.3.2023): Auskunft des Büros des ÖB Militärattachés, Antwort per E-Mail
VB Istanbul - VB - Verbindungsbeamte des BMI in Ankara/Istanbul [Österreich] (11.10.2022): Auskunft des VB, per Mail [Login erforderlich]
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Allgemeine Menschenrechtslage
Der innerstaatliche rechtliche Rahmen sieht Garantien zum Schutz der Menschenrechte vor (ÖB Ankara 4.2025, S. 43; vgl. EC 8.11.2023, S. 6, 38). Gemäß der türkischen Verfassung besitzt jede Person mit ihrer Persönlichkeit verbundene unantastbare, unübertragbare, unverzichtbare Grundrechte und Grundfreiheiten. Diese können nur aus den in den betreffenden Bestimmungen aufgeführten Gründen und nur durch Gesetze beschränkt werden. Zentrale Rechtfertigung für die Einschränkung der Grund- und Freiheitsrechte bleibt der Kampf gegen den Terrorismus (ÖB Ankara 4.2025, S. 43). Im Rahmen der 2018 verabschiedeten umfassenden Anti-Terrorgesetze schränkt die Regierung unter Beeinträchtigung der Rechtsstaatlichkeit die Menschenrechte und Grundfreiheiten weiter ein. In der Praxis sind die meisten Einschränkungen der Grundrechte auf den weit ausgelegten Terrorismusbegriff in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelne Artikel des Strafgesetzbuches, wie z. B. die Beleidigung des Staatsoberhauptes, zurückzuführen. Diese Bestimmungen werden extensiv herangezogen (USDOS 20.3.2023, S. 1, 21; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 43). Auch das Europäische Parlament sah im Juni 2025, "dass in der türkischen Verfassung zwar ein ausreichender Schutz der Grundrechte vorgesehen ist, dass jedoch die Vorgehensweise der Institutionen in der Praxis und der kritische Zustand des Justizwesens – einschließlich der mangelnden Achtung der Urteile des Verfassungsgerichts – die Hauptgründe für die katastrophale Lage der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte im Land sind" (EP 7.5.2025, Pt. G).
Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen äußerte Ende November 2024 in Hinblick auf die Umsetzung des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte seine Besorgnis, dass der Rechtsrahmen der Türkei keinen vollständigen Schutz vor Diskriminierung aus allen vom Pakt erfassten Gründen bietet, einschließlich der Diskriminierung von LGBTQ-Personen, Menschen mit Behinderungen und Angehörigen ethnischer Minderheiten, wie etwa Mitgliedern der kurdischen Gemeinschaft. Dieser Kritik folgte die Aufforderung, umfassende Rechtsvorschriften zu erlassen, die jedwede Diskriminierung, auch im öffentlichen und privaten Sektor, und aus allen nach dem Pakt verbotenen Gründen zu verbieten; die wirksame Umsetzung und Anwendung der Rechtsvorschriften und den Zugang zu wirksamen und angemessenen Rechtsbehelfen für die Opfer sicherzustellen (UNHRCOM 28.11.2024, S. 3).
Laut Europäischer Kommission (EK) hat sich die allgemeine Menschenrechtslage im Land nicht verbessert. Die Rechtsvorschriften und ihre Umsetzung müssen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) und der Rechtsprechung des EGMR in Einklang gebracht werden. Die Türkei sollte laut EK vor allem seine Anti-Terror-Gesetzgebung und deren Umsetzung sowie die Praktiken zur Terrorismusbekämpfung an die europäischen Standards, die EMRK, die Rechtsprechung des EGMR und die Empfehlungen der Venedig-Kommission sowie an den EU-Besitzstand und die EU-Praktiken anpassen und weiters den Rechtsrahmen und dessen Umsetzung verbessern, um alle Formen von Gewalt gegen Frauen; alle Formen von Rassismus und Diskriminierung, auch gegenüber LGBTIQ-Personen, wirksam zu bekämpfen und den Schutz von Minderheiten zu gewährleisten. Hierzu gehört die vorrangige Umsetzung der Urteile des EGMR, das heißt insbesondere die sofortige Freilassung des ehemaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und des Menschenrechtsverteidigers Osman Kavala (EC 30.10.2024, S. 5f., 29). Obgleich die EMRK aufgrund Art. 90 der Verfassung gegenüber nationalem Recht vorrangig und direkt anwendbar ist, werden Konvention und Rechtsprechung des EGMR bislang von der innerstaatlichen Justiz nicht vollumfänglich berücksichtigt (AA 20.5.2024, S. 16), denn mehrere gesetzliche Bestimmungen verhindern nach wie vor den umfassenden Zugang zu den Menschenrechten und Grundfreiheiten, die in der Verfassung und in den internationalen Verpflichtungen des Landes verankert sind (EC 6.10.2020, S. 10).
Das Europäische Parlament urteilte in einer Entschließung vom Juni 2025, dass seit dem [zuvor genannten] Fortschrittsbericht der Kommission vom 30.10.2024 sich die Lage in Bezug auf Demokratie und Grundrechte weiter verschlechtert hat, welche "von einer anhaltenden Anwendung von Gesetzen und Maßnahmen zur Einschränkung der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte, der Grundfreiheiten und der bürgerlichen Freiheitsrechte geprägt ist" (EP 7.5.2025, Pt. C).
Die Parlamentarische Versammlung des Europarats (PACE) überwacht weiterhin (mittels ihres speziellen Monitoringverfahrens) die Achtung der Menschenrechte, der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei (EC 8.11.2023, S. 6, 28; vgl. EC 30.10.2024, S. 29). Beispielsweise sahen die Ko-Berichterstatter der PACE zur Türkei nach ihrer Fact-Finding-Mission im Juni 2025 hierzu das Land an einem Scheidepunkt, indem sie sich nicht nur ernsthaft besorgt über Menschenrechtsverletzungen zeigten, sondern auch darüber, dass die gesamte Rechtsstaatlichkeit bedroht ist (CoE-PACE 23.6.2025).
Am Vorabend der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen 2023 verzeichnete die Menschenrechtskommissarin des Europarates, Dunja Mijatović, in einer Stellungnahme, eine Verschärfung des Drucks auf die wichtigen Akteure der demokratischen Gesellschaft sowie eine Verschlechterung der Menschenrechtslage, insbesondere der Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit. Die türkischen Behörden wurden aufgefordert, das feindselige Umfeld für Menschenrechtsverteidiger, Journalisten, NGOs und Anwälte zu beenden und sie nicht länger durch administrative und gerichtliche Maßnahmen zum Schweigen zu bringen. Die öffentliche Verwendung hasserfüllter Rhetorik gegen Minderheiten, LGBTI-Personen und Migranten, auch durch hochrangige Beamte, hat laut Mijatović ein alarmierendes Ausmaß erreicht und die bestehende Polarisierung in der Gesellschaft verstärkt, in einem Umfeld, das bereits von zunehmender Gewalt und hasserfüllten Verbrechen gegen Angehörige dieser Gruppen geprägt ist (CoE-CommDH 5.5.2023).
Zu den maßgeblichen Menschenrechtsproblemen gehören glaubwürdige Berichte über: Verschwindenlassen; Folter oder grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung durch die Regierung oder im Auftrag der Regierung; willkürliche Verhaftung oder Inhaftierung; schwerwiegende Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz; politische Gefangene oder Inhaftierte; grenzüberschreitende Repressionen gegen Personen in einem anderen Land; schwerwiegende Einschränkungen des Rechts auf freie Meinungsäußerung und der Medienfreiheit, einschließlich Gewalt und Androhung von Gewalt gegen Journalisten, ungerechtfertigte Verhaftungen oder strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, Zensur oder Durchsetzung oder Androhung der Durchsetzung von Gesetzen zur strafrechtlichen Verfolgung wegen Verleumdung, um die Meinungsäußerung einzuschränken; schwerwiegende Einschränkungen der Internetfreiheit; erhebliche Eingriffe in die Versammlungs- und die Vereinigungsfreiheit, einschließlich übermäßig restriktiver Gesetze hinsichtlich der Organisation, Finanzierung oder Tätigkeit von Nichtregierungsorganisationen und Organisationen der Zivilgesellschaft; Beschränkungen der Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit im Hoheitsgebiet eines Staates und des Rechts, das Land zu verlassen; Zurückweisung von Flüchtlingen in ein Land, in dem ihnen Folter oder Verfolgung drohen, einschließlich schwerwiegender Schäden wie Bedrohung des Lebens oder der Freiheit oder anderer Misshandlungen, die eine gesonderte Menschenrechtsverletzung darstellen würden; schwerwiegende staatliche Beschränkungen oder Schikanen gegenüber inländischen und internationalen Menschenrechtsorganisationen; umfassende geschlechtsspezifische Gewalt, einschließlich häuslicher oder intimer Partnergewalt, sexueller Gewalt, Gewalt am Arbeitsplatz, Kinder-, Früh- und Zwangsverheiratung, weiblicher Genitalverstümmelung/-beschneidung, Femizid und anderer Formen solcher Gewalt; Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Angehörige nationaler und ethnischer Gruppen, wie der kurdischen Minderheit, sowie Flüchtlinge; und Gewaltverbrechen oder Gewaltandrohungen gegen Mitglieder sexueller Minderheiten (LGBTQI+). Hinzukommen glaubwürdige Berichte über willkürliche oder unrechtmäßige Tötungen durch die Vertreter der Staatsmacht, so etwa durch Sicherheitskräfte, Polizei und Gefängniswärter. (USDOS 22.4.2024, S. 1-3; vgl. AI 29.4.2025, EEAS 29.5.2024, S. 23). In diesem Kontext unternimmt die Regierung nur begrenzte Schritte zur Ermittlung, Verfolgung und Bestrafung von Beamten und Mitgliedern der Sicherheitskräfte, die der Menschenrechtsverletzungen beschuldigt werden. Die diesbezügliche Straflosigkeit bleibt ein Problem (USDOS 22.4.2024, S. 2; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 43).
Laut Europäischer Kommission gab es keine Fortschritte bei den Rechtsvorschriften zur Nichtdiskriminierung und deren Umsetzung, um die Angleichung an europäische Standards oder die Ratifizierung des Protokolls Nr. 12 zur EMRK, das ein allgemeines Diskriminierungsverbot vorsieht, zu gewährleisten. Die Rechtsvorschriften über Hassverbrechen, einschließlich Hassreden, stehen noch immer nicht im Einklang mit internationalen Standards und umfassen keine Hassverbrechen aufgrund der sexuellen Ausrichtung, der Geschlechtsidentität und des Geschlechtsausdrucks, der ethnischen Herkunft oder des Alters. Es wurden weiterhin Fälle von Diskriminierung und Hassverbrechen aufgrund von ethnischer Zugehörigkeit, Religion und sexueller Orientierung gemeldet (EC 30.10.2024, S. 33).
Mit Stand Mai 2025 waren 21.200 Verfahren (31.8.2024: 24.200) aus der Türkei beim EGMR anhängig, das waren 35,2 % aller am EGMR anhängigen Fälle (ECHR 6.2025; vgl. ECHR 9.2024), was eine Abnahme bedeutet. Anfang 2025 stellte der EGMR für das Jahr 2024 bei 73 Urteilen in 19 Fällen das Recht auf Freiheit und Sicherheit und in 13 Fällen das Recht auf ein faires Verfahren verletzt (ECHR 22.1.2025).
Das Recht auf Leben
Was das Recht auf Leben betrifft, so gibt es immer noch schwerwiegende Mängel bei den Maßnahmen zur Gewährleistung glaubwürdiger und wirksamer Ermittlungen in Fällen von Tötungen durch die Sicherheitsdienste. Es wurden beispielsweise keine angemessenen Untersuchungen zu den angeblichen Fällen von Entführungen und gewaltsamem Verschwindenlassen durch Sicherheits- oder Geheimdienste in mehreren Provinzen durchgeführt, die seit dem Putschversuch vermeldet wurden. Mutmaßliche Tötungen durch die Sicherheitskräfte im Südosten, insbesondere während der Ereignisse im Jahr 2015, wurden nicht wirksam untersucht und strafrechtlich verfolgt (EC 8.11.2023, S. 30f.). Unabhängigen Daten zufolge wurde im Jahr 2021 das Recht auf Leben von mindestens 2.964 (3.291 im Jahr 2020) Menschen verletzt, insbesondere im Südosten des Landes (EC 12.10.2022, S. 33). Auch 2024 stellte die Europäische Kommission fest, dass keine Schritte unternommen wurden, um die Situation in Bezug auf das Recht auf Leben zu verbessern und die Straflosigkeit der Sicherheitsorgane zu beenden (EC 30.10.2024, S. 30).
Anfang Juli 2022 hat das türkische Verfassungsgericht den Antrag im Zusammenhang mit dem Tod mehrerer Menschen abgelehnt, die während der 2015 und 2016 verhängten Ausgangssperren im Bezirk Cizre in der mehrheitlich kurdisch bewohnten südöstlichen Provinz Şırnak ums Leben kamen. Das Verfassungsgericht erklärte, dass Artikel 17 der Verfassung über das "Recht auf Leben" nicht verletzt worden sei. Die Betroffenen werden vor den EGMR ziehen (Duvar 8.7.2022a).
Siehe hierzu insbesondere die Kapitel bzw. Subkapitel: Sicherheitslage, Folter und unmenschliche Behandlung, Folter und unmenschliche Behandlung / Entführungen und Verschwindenlassen im In- und Ausland
Quellen
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Meinungs- und Pressefreiheit / Internet
Allgemeine Situation der Meinungs- und Pressefreiheit
Die Türkei befindet sich laut Europäischer Kommission hinsichtlich der Meinungsfreiheit noch in einem frühen Stadium. Die in den letzten Jahren beobachteten gravierenden Rückschritte haben sich fortgesetzt. Die Umsetzung der Strafgesetze in Bezug auf die nationale Sicherheit und die Terrorismusbekämpfung verstößt weiterhin gegen die EMRK und weicht von der Rechtsprechung des EGMR ab. Es kommt weiterhin zu Fällen von Verurteilungen von Journalisten, Menschenrechtsverteidigern, Rechtsanwälten, Schriftstellern, Oppositionspolitikern, Studenten, Künstlern und Nutzern sozialer Medien. Die Verbreitung oppositioneller Stimmen und das Recht auf freie Meinungsäußerung wird durch den zunehmenden Druck und die restriktiven Maßnahmen beeinträchtigt (EC 8.11.2023, S. 33f.; vgl. EEAS 29.5.2024, S. 23, UNHRCOM 28.11.2024, S. 12).
Nach den Wahlen von 2023 wurden Gewalt und Massenverhaftungen zu den häufigsten Mitteln, um Medienvertreter zu unterdrücken, die über Kundgebungen und Proteste berichteten. Die fast systematische Online-Zensur, willkürliche Gerichtsverfahren gegen kritische Medien und die Ausnutzung des Justizsystems haben bislang nicht zu einer Erholung der Beliebtheitswerte des "Hyperpräsidenten" geführt, der weiterhin in einen großen Fall von politischer Klientelpolitik verwickelt ist (RSF 2.5.2025).
Hart fällt die Beurteilung der Menschenrechtskommissarin des Europarates aus. Die Kommissarin, Dunja Mijatović, stellte Anfang März 2024 [Anm. kurz vor dem Ende ihres Mandates] in einem mehrseitigen Memorandum fest, "dass die ablehnende Haltung der türkischen Behörden gegenüber der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit sowie das hohe Maß an Intoleranz gegenüber legitimer Kritik an den Handlungen der Behörden und der gewählten Vertreter ein neues, besorgniserregendes Niveau erreicht haben und sich weiterhin durch systematischen Druck und rechtliche Maßnahmen gegen Journalisten, Menschenrechtsaktivisten, die Zivilgesellschaft und einfache Menschen äußern. Dies hat zu einem erschreckenden Ausmaß an Selbstzensur und einem Mangel an Pluralismus geführt" (CoE-CommDH 5.3.2024, S. 2).
Und in einer (jüngsten) Entschließung vom Mai 2025 bedauert das Europäische Parlament (EP) "die anhaltende Strafverfolgung, Zensur und Schikanierung von Journalisten und unabhängigen Medien [...]; fordert die türkischen Staatsorgane auf, von weiteren Angriffen auf unabhängige Medien abzusehen und die Grundrechte und bürgerlichen Freiheiten wie die Rede- und Pressefreiheit zu wahren; ist nach wie vor zutiefst besorgt über die bestehenden Rechtsvorschriften, die ein offenes und freies Internet verhindern, wobei lange Haftstrafen für Beiträge in den sozialen Medien verhängt werden und zahlreiche Zugangssperren und Anordnungen zur Entfernung von Inhalten erlassen wurden, sowie über die fortgesetzte Nutzung des Obersten Rundfunk- und Fernsehrats (RTÜK), die dazu dient, Kritik in den Medien zu unterbinden oder sogar gegen Medien vorzugehen, die beschuldigt werden, "Pessimismus" anstelle positiver Nachrichten zu verbreiten" (EP 7.5.2025, Pt. 17).
Die Türkei [Anm.: als Beitrittskandidat] muss laut EU ihre Strafgesetze überarbeiten, insbesondere das Antiterrorgesetz, das Strafgesetzbuch, das Datenschutzgesetz, das Internetgesetz, das neue Mediengesetz in Bezug auf die Definition von "Fake News" und das Gesetz über den Obersten Rundfunk- und Fernsehrat (RTÜK), um sicherzustellen, dass sie den europäischen Standards entsprechen und in angemessener Weise umgesetzt werden, ohne die Meinungsfreiheit einzuschränken (EEAS 29.5.2024, S. 23).
Nach einer Verbesserung von 2023 auf 2024 (RSF 3.5.2024), verschlechterte sich die Position der Türkei im World Press Freedom Index 2025 wieder geringfügig, verglichen zum Jahr 2024 von Rang 158 auf 159 [1. Rang = bester Rang] innerhalb der Rangordnung der angeführten 180 Länder. Leicht verschlechtert hat sich auch der absolute Wert von 31,6 auf 29,4 [100 ist der beste, statistisch zu erreichende Wert]. Das Bild der fünf Teilkategorien bzw. "Indikatoren" stellt sich ambivalenter dar. - Während sich der Rang beim "Sicherheitsindikator" von 155 auf 149, der "politische Indikator" von Platz 165 auf Platz 162 und der "ökonomische Indikator" von Platz 165 auf Platz 163 verbessert haben, verschlechterte sich der "soziale Indikator" von 150 auf 154 und der "legislative Indikator" von Rang 150 auf Rang 158 der Länderwertung (RSF 2.5.2025).
PRESSE- und MEDIENFREIHEIT
Medien als Instrument der Regierung
Die türkischen Mainstream-Medien, die einst für einen lebhafteren Ideenkonflikt sorgten, sind zum Glied einer straffen Befehlskette mit von der Regierung genehmigten Schlagzeilen, Titelseiten und Themen für Fernsehdebatten geworden. Die größten Medienmarken werden von Unternehmen und Personen kontrolliert, die Staatspräsident Erdoğan und seiner AK-Partei (AKP) nahestehen, nachdem diese seit 2008 eine Reihe von Übernahmen getätigt haben. Sie beeinflussen wesentlich die Berichterstattung. Der Trend verstärkte sich im Zuge des gescheiterten Putschversuches vom Juli 2016, als danach 150 vermeintlich der Gülen-Bewegung nahestehende Media-Outlets liquidiert wurden (REU 31.8.2022). - Erdoğan schuf ein Finanzsystem, das Medienunternehmen übernahm, die Schwierigkeiten hatten, ihre Schulden an den Staat zurückzuzahlen, und diese Medienunternehmen schließlich an mit der Regierung verbündete Unternehmen aus dem Privatsektor veräußerte (RSF 10.8.2024; vgl. Migrationsverket 9.4.2024, S. 11f.). Insgesamt wurden seit Juli 2016 knapp 200 Medienorgane geschlossen. Somit gelten gegenwärtig 85-90 % der türkischen Medien (Print, Rundfunk, Fernsehen) personell und/oder finanziell mit der Regierungspartei AKP verbunden. Die restlichen 10 % werden finanziell ausgehungert, indem ihnen staatliche Werbeanzeigen entzogen werden (AA 20.5.2024, S. 9; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 30, FH 26.2.2025, D1, RSF 10.8.2024). Wirtschaftseliten mit engen Verbindungen zu Erdoğan werden beschuldigt, Journalisten zu bestechen und eine negative Presse gegen die Opposition zu inszenieren (FH 26.2.2025, D1).
Da an die 90 % der nationalen Medien inzwischen von der Regierung kontrolliert werden, hat sich die Öffentlichkeit in den letzten fünf Jahren an den Rest der kritischen oder unabhängigen Medien verschiedener politischer Couleur gewandt, um sich über die Auswirkungen der wirtschaftlichen und politischen Krise auf das Land zu informieren. Dazu gehören lokale Fernsehsender wie Fox TV, Halk TV, Tele1 und Sözcü sowie internationale Nachrichten-Websites wie BBC Turkish, Voice of America (VOA) Turkish und die Deutsche Welle Turkish (RSF 2.5.2025).
Der Oberste Rundfunk- und Fernsehrat (Radyo ve Televizyon Üst Kurulu - RTÜK), die Regulierungsbehörde für den privaten Rundfunk, wurde zu einem Überwachungs- und Kontrollinstrument umfunktioniert. Lizenzen und Genehmigungen, die von Medien beantragt werden, müssen vom RTÜK abgesegnet werden (DW 4.5.2021). Die Mitglieder des RTÜK werden vom AKP-kontrollierten Parlament ernannt (FH 26.2.2025, D1).
Ein weiteres Instrument der Druckausübung ist die staatliche Presse-Anzeigenagentur [auch: Pressewerberat] (Basın İlan Kurumu - BİK). Diese ist für die Vergabe staatlicher Anzeigen nach einem bestimmten Verteilungsschlüssel an die Printmedien und seit 18.10.2022 auch an digitale Medien zuständig, eine wichtige Einnahmequelle für die Medien. Medien sind vor allem nach kritischer Berichterstattung gegen Regierungsmitglieder immer wieder von Anzeigensperren betroffen (ÖB Ankara 4.2025, S. 48). D. h., die Regierung und mit ihr verbündete Unternehmen aus der Privatwirtschaft gefährden den Medienpluralismus, indem sie Werbeanzeigen und Subventionen an Medienkanäle lenken, die ihnen wohlwollend gegenüberstehen. Die BİK nutzt die Vergabe staatlicher Werbegelder, um Druck auf widerspenstige Tageszeitungen auszuüben, während der RTÜK durch die Verhängung astronomischer Geldstrafen dazu beiträgt, kritische Fernsehsender finanziell zu schwächen (RSF 2.5.2025; vgl. EP 19.5.2021, S. 12, Pt. 27).
Zwischen 1.1.2023 und 30.6.2024 verhängte der RTÜK Geldstrafen in Höhe von insgesamt 124 Millionen Lira (4,5 Millionen US-Dollar) gegen Rundfunkanstalten und erließ 1.357 Sendeunterbrechungen (MLSA 20.12.2024; vgl. RSF 2.5.2025, FH 26.2.2025, D1). Laut Journalistengewerkschaft wurden zwischen April 2023 und April 2024 38 separate Verwaltungsstrafen gegen Medienunternehmen verhängt, die sich auf insgesamt fast 40,8 Millionen Lira [1,16 Mio. Euro, Stand Juni 2024] beliefen. Die höchste dieser Geldbußen war eine einzelne Verwaltungsstrafe in Höhe von rund 13,4 Millionen Lira, die gegen Fox TV (später Now TV) verhängt wurde. TELE1 erhielt mit zwölf die höchste Anzahl an Verwaltungsstrafen. Es wurden darüberhinaus 16 temporäre Sendeverbote verhängt (tgs 6.2024, S. 29; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 48).
Anlässlich der Festnahme des Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu, hat der RTÜK mehrere Sender wegen Berichten über die Festnahme bestraft. Die Sender wurden mit Bußgeldern belegt, zwei mussten zusätzlich ihr Programm aussetzen (DlF 20.3.2025). Betroffen war z. B. der Sender "Süzcü TV", welcher laut RTÜK mit einem zehntägigen Sendeverbot belegt wurde, weil dem Sender die "Anstiftung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit" bei der Berichterstattung über die anhaltenden Massenproteste vorgeworfen wurde (SBN 27.3.2025).
Anweisungen an die Nachrichtenredaktionen kommen, auch via Telefon oder Whatsapp, oft von Beamten aus der Direktion für Kommunikation (İletişim Başkanlığı), die für die Beziehungen zu den Medien zuständig ist. Gegründet wurde sie auf der Basis eines Präsidialdekretes vom 24.7.20218 (PRT-DC o.D.) Sie beschäftigt rund 1.500 Mitarbeiter. 48 Auslandsbüros in 43 Ländern beobachten überdies, wie im Ausland über die Türkei berichtet wird (REU 31.8.2022). Mit dem Ziel, "die Marke Türkei zu stärken", koordiniert die Direktion für Kommunikation die Kommunikationsmaßnahmen aller staatlichen Stellen im Rahmen einer ganzheitlichen Kommunikationsstrategie und arbeitet mit anderen Behörden und Organisationen zusammen, die einen Mehrwert für die Türkei schaffen, so die Selbstdefinition der Institution (PRT-DC o.D.). Bei wichtigen Nachrichten, die Erdoğan oder seine Regierung in Bedrängnis bringen könnten - insbesondere bei Ereignissen, die die Wirtschaft oder das Militär betreffen - setzt sich die Direktion regelmäßig mit Redakteuren und leitenden Korrespondenten in Verbindung, um einen Plan für die Berichterstattung aufzustellen (REU 31.8.2022). Dass die Agenda der Direktion für Kommunikation auch die mediale Verfolgung von Kritikern miteinbeziehen kann, zeigte eine Ankündigung Ende Dezember 2023, wonach "virtuelle Patrouillen" eingesetzt werden sollen, um gegen Inhalte in sozialen Medien vorzugehen, die als terroristische Propaganda oder provokativ eingestuft werden (FH 16.10.2024, C5). Oppositionspolitiker bezeichneten die Behörde als "Propaganda-Direktion" und erklärten, dass die Direktion ihre umfangreichen Mittel dazu genutzt habe, die Positionen der regierenden AKP zu verbreiten und insbesondere in den Monaten vor den Parlamentswahlen 2023 Falschinformationen über Oppositionsparteien zu verbreiten. Das Verfassungsgericht entzog im Sommer 2024 der Direktion die Befugnis, "Maßnahmen gegen jegliche Art von Manipulation und Desinformation" zu ergreifen, da das Gericht diese als "verfassungswidrig" erachtete und davon ausging, dass zu den Aufgaben dieser Direktion auch Vorschriften über verbotene Bereiche gehören, die nicht durch einen Präsidialerlass geregelt werden können (Duvar 2.8.2024).
Druck auf Medien und strafrechtliche Verfolgung von Journalisten und anderen Kritikern
Obwohl einige unabhängige Zeitungen und Webseiten weiterhin tätig sind, stehen sie unter enormen politischen Druck und werden routinemäßig strafrechtlich verfolgt (FH 26.2.2025, D1; vgl. BS 19.3.2024, S. 11). Die Behörden ordnen regelmäßig die Sperrung von Websites und Plattformen oder die Entfernung von kritischen Online-Inhalten oder negativer Berichterstattung über Amtsträger, Unternehmen, den Präsidenten und seine Familie sowie Mitglieder der Justiz an. Als Gründe führen sie in der Regel unspezifische Bedrohungen der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung oder Verletzungen der Persönlichkeitsrechte an (HRW 16.1.2025).
Die Pressefreiheit ist ständig bedroht, da die Regierung weiterhin gegen abweichende Meinungen vorgeht, umfassende Zensurmaßnahmen ergreift und rechtliche Schritte gegen Journalisten einleitet. Die von der Europäischen Kommission finanzierte Medienbeobachtungsplattform Mapping Media Freedom (MFRR) verzeichnete für das Jahr 2024 insgesamt 135 Verstöße gegen die Pressefreiheit, von denen 317 Personen oder Einrichtungen aus dem Medienbereich betroffen waren. Strafanzeigen, Ermittlungen, Verhöre und Zivilklagen wurden wiederholt eingesetzt, um Journalisten einzuschüchtern und kritische Berichterstattung zu unterbinden (EFJ/IPI/ECPMF 11.2.2025, S. 47f.). Strafverfahren gegen Journalisten werden oft mit der "Beleidigung des Staatspräsidenten und der türkischen Nation", mit Terrorpropaganda (AA 20.5.2024, S. 9; vgl. EFJ/IPI/ECPMF 11.2.2025, S. 48, ÖB Ankara 4.2025, S. 48), "provokativen Inhalten" (AA 20.5.2024, S. 9), "Beleidigung von Amtsträgern" (EFJ/IPI/ECPMF 11.2.2025, S. 48) und "offene Aufstachelung zum Hass und zur Feindschaft" begründet (EFJ/IPI/ECPMF 25.10.2023, S. 12).
Journalisten und Medienmitarbeiter befinden sich in Untersuchungshaft oder verbüßen Strafen, da deren journalistische Tätigkeiten als terrorismusbezogene Vergehen gewertet wurden (HRW 16.1.2025; vgl. IPI 30.11.2020). So wurden (2024) lange Haftstrafen von bis zu sechs Jahren und drei Monaten wegen terroristischer Straftaten unter anderem gegen acht Journalisten der Nachrichtenagentur Mezopotamya, die Reporterin Hamdiye Çiftçi Öksüz, den Journalisten Erdem Gül sowie die Journalisten Ahmet Altan, Nazlı Ilıcak und Fevzi Yazıcı verhängt (EFJ/IPI/ECPMF 11.2.2025, S. 48). Die Repressionen gegen Journalisten beziehen sich längst nicht nur auf Inhaftierungen. Auch gerichtliche Auflagen sind Teil eines repressiven Systems, das kritische Stimmen systematisch zum Schweigen bringen soll. Kontrollmaßnahmen wie Hausarrest, Ausreisesperren und regelmäßige Meldepflichten werden zunehmend als Druckmittel eingesetzt (DW 3.5.2025, vgl. Migrationsverket 9.4.2024). Beispielsweise wurden laut Medienberichten bei Razzien in Istanbul, Ankara und Urfa am 23.4.2024 neun Journalistinnen und Journalisten festgenommen, die für pro-kurdische Nachrichtenmedien arbeiten. Im Nachgang der Festnahme schränkten die Behörden einen Kontakt der Inhaftierten mit ihren Anwälten ein. Im Polizeibericht hieß es, dass die Journalistinnen und Journalisten Verbindungen zur PKK hätten (BAMF 29.4.2024).
Darüber hinaus gibt es Druck insbesondere auf Journalistinnen und Journalisten, die etwa negativ über nationalistische Gruppieren recherchieren oder (AA 20.5.2024, S. 9) über Korruption berichten (REU 31.8.2022; vgl. FH 26.2.2025, D1). Am 1.11.2023 sind zum Beispiel die beiden Journalisten Tolga Şardan und Dinçer Gökçe wegen des Vorwurfs der "Verbreitung falscher Informationen" getrennt voneinander vorübergehend festgenommen und angeklagt worden. Einen Tag später verhaftete die Polizei den Online-Kolumnisten Cengiz Erdinç wegen desselben mutmaßlichen Tatbestands (Erdinç wurde am 3.11.2023 unter der gerichtlichen Auflage eines Ausreiseverbotes entlassen). Die drei Medienschaffenden hatten zuvor über Korruption in der türkischen Justiz berichtet, und das unter Berufung auf einen geheimen Bericht hierzu des Nachrichtendienstes MİT (BAMF 31.12.2023, S. 5; vgl. BIRN 2.11.2023, CPJ 2.11.2023, EI 16.12.2024).
Der Druck auf Journalisten dauert an. Ihre Arbeitssituation ist schwierig, die Arbeitslosigkeit in dieser Berufsgruppe sowie im Medienbereich allgemein hoch. Zukunftsängste und mangelnde Jobsicherheit begünstigen ebenso die Selbstzensur (ÖB Ankara 4.2025, S. 48; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 30) wie die Furcht vor Repressionen durch rechtliche und wirtschaftliche Schritte im Falle von Kritik an der Regierung (USDOS 22.4.2024, S. 27). Laut einer Studie der Europäischen Journalistenvereinigung (2023) gaben 50 % der befragten Journalisten an, dass politischer Druck ein Haupthindernis für ihre Arbeit darstelle, und 43 % erlebten irgendeine Form von Zensur (USDOS 22.4.2024, S. 30).
Ein Beispiel, dass nicht nur gegen Journalisten und Oppositionelle rechtlich seitens der Staatsorgane vorgegangen wird, ist jenes führender Vertreter des TÜSİAD, des Türkischen Industrie- und Wirtschaftsverbandes. - Mitte Februar 2025 kritisierte der Vorsitzende des Hohen Beirats von TÜSİAD, Omer Aras, dass in den Wochen zuvor Hunderte Personen, darunter Politiker und Journalisten, festgenommen wurden. Solche Fälle hätten das Vertrauen der Gesellschaft in den Staat erschüttert und bedeuteten eine Schwächung der türkischen Demokratie. Es folgte scharfe Kritik seitens Staatspräsident Erdoğan am TÜSİAD, wonach der Verband voller Geschäftsleute sei, die im Schatten unfairer Profite und Privilegien zum Schaden der Nation gewachsen seien. Unmittelbar nach Erdoğans Kritik teilte die Istanbuler Staatsanwaltschaft mit, dass gegen Aras und den TÜSIAD-Präsidenten Orhan Turan Ermittlungen wegen des "Versuchs der Beeinflussung eines fairen Gerichtsprozesses" und wegen "Verbreitung von irreführenden Informationen" Ermittlungen eingeleitet wurden (FAZ 20.2.2025; vgl. BIRN 14.2.2025). Über die beiden wurden infolge gerichtliche Kontrollmaßnahmen verhängt, darunter ein internationales Reiseverbot (Duvar 8.3.2025; vgl. HDN 7.3.2025). Die Staatsanwaltschaft schloss am 7.3.2025 die Ermittlungen gegen Turan und Aras ab. In der Anklageschrift wurden Haftstrafen zwischen einem Jahr und zehn Monaten und fünfeinhalb Jahren wegen "fortgesetzter öffentlicher Verbreitung irreführender Informationen in Presse und Rundfunk" gefordert (Duvar 8.3.2025; vgl. BirGün 7.3.2025, HDN 7.3.2025).
Heikle Themen
Medienkanäle werden mit Geldstrafen belegt und Journalisten strafrechtlich verfolgt, weil sie über Themen wie die Kritik am Gezi-Prozess, Kindesmissbrauch in privaten Koranschulen, Gewalt gegen Frauen (BS 19.3.2024, S. 11), Angriffe auf den Säkularismus, den Einfluss religiöser Gruppen (Tarikat) oder regionale dschihadistische Organisationen (RSF 2.5.2025) und oppositionelle Proteste berichten (BS 19.3.2024; vgl.FH 28.2.2022, D1, RSF 2.5.2025).
Journalisten, welche vormalige Aktionen der Regierung, die angeblich der Unterstützung des sogenannten Islamischen Staates dienten - z. B. militärischen Aktivitäten der Türkei in Syrien oder Libyen - oder Missstände bei den Sicherheitskräften untersuchen, werden systematisch der "Spionage", der "terroristischen Propaganda", der "Diffamierung" des Justizsystems oder der Sicherheitskräfte oder sogar des "Angriffs auf einen Anti-Terror-Agenten" beschuldigt (RSF 15.6.2021; vgl. IPI 30.11.2020). Dies gilt auch für die Gegenwart. - So stellte am 21.12.2024 ein Istanbuler Gericht die Journalistin Özlem Gürses wegen des Verdachts der Verunglimpfung des türkischen Militärs unter Hausarrest, nachdem sie sich auf ihrem YouTube-Kanal über die militärische Präsenz der Türkei in Syrien kritisch geäußert hatte (CPJ 23.12.2024; vgl. Duvar 23.12.2024).
Auch die Kritik an der Wirtschaftspolitik kann zur Verhaftung führen. Am 12.12.2021 wurden drei Youtube-Journalisten in der türkischen Provinz Antalya verhaftet, nachdem sie Passanten auf der Straße zu deren Meinung zur Wirtschaftskrise in der Türkei interviewt hatten. Bei Razzien in ihren Wohnungen wurden Mobiltelefone und Computer beschlagnahmt. Den festgenommenen Personen wird vorgeworfen, "den Staat und die Regierung zu verunglimpfen". Sie wurden zwischenzeitlich wieder freigelassen, jedoch unter Hausarrest gestellt (BAMF 20.12.2021, S. 12; vgl. Independent 13.12.2021). Der Präsident der staatlichen türkischen Medienaufsicht RTÜK hat nun das Format der Straßeninterviews ins Visier genommen, weil sie "Desinformation" und "Manipulation der öffentlichen Meinung" bewirken können. Bürgerinnen und Bürger, die Gegenstand dieser Interviews waren, wurden belangt, insbesondere diejenigen, die sich kritisch oder negativ über die regierende AKP und Präsident Erdoğan äußerten (Duvar 8.8.2024).
Zu den heiklen Themen gehört auch der Völkermord an den Armeniern. - Die Rundfunkregulierungsbehörde RTÜK hatte Açık Radyo im Mai 2024 wegen der Äußerungen eines Gastes bestraft, der am 24. April in einer Sendung von Açık Radyo die Bezeichung Genozid für die Deportationen und das Massaker an den Armenieren auf osmanischem Boden verwendete und auf das Verbot von diesbezüglichen Gedenkveranstaltungen hinwies. RTÜK hatte dem Sender gemäß Rundfunk- und Fernsehgesetz (Nr. 6112) eine Geldstrafe und ein fünftägiges Sendeverbot auferlegt, weil der Sender angeblich "die Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit aufstachelt oder Hassgefühle in der Gesellschaft hervorruft." Açık Radyo hatte die Geldstrafe bezahlt, sendete aber weiter. Nachdem der RTÜK festgestellt hatte, dass die in der Sanktion genannten Bedingungen nicht eingehalten worden waren, beschloss er im Juli 2024, Açık Radyo die Sendelizenz zu entziehen. Gemäß der Entscheidung wurde der terrestrische Sendebetrieb des Senders am 16.10.2024 eingestellt (FH 18.10.2024; vgl. Politico 16.10.2024, FES 11.12.2024, AI 29.4.2025). Ein anderes Beispiel hierzu aus dem Bereich Meinungsfreiheit sind Eren Keskin, der Ko-Vorsitzende der Menschenrechtsvereinigung (İHD), und Güllistan Yarkın, Mitglied einer İHD-Kommission, die gegen Rassismus und Diskriminierung kämpft. Sie wurden nach dem umstrittenen Artikel 301 des Strafgesetzbuches angeklagt, der die Beleidigung der türkischen Nation, des Parlaments, der Regierung oder des Türkentums betrifft, und zwar im Zusammenhang mit einer von der İHD im Jahr 2021 abgehaltenen Gedenkveranstaltung zum Gedenken an die Opfer der Massendeportation von Armeniern unter osmanischer Herrschaft während des Ersten Weltkriegs, bei der sieden Massenmord an den Armeniern in den letzten Tagen des Osmanischen Reiches als "Völkermord" bezeichnet hatten. 2024 wurden die beiden Aktivisten vom Vorwurf der Beleidigung des türkischen Volkes und der türkischen Regierung schlussendlich freigesprochen (TM 4.5.2024; vgl. Bianet 2.5.2024).
Verhaftet wegen Terrorunterstützung werden jedoch nicht nur Journalisten. - So wurde etwa die Vorsitzende des medizinischen Berufsverbands TTB, Şebnem Korur Fıncancı, nach einem TV-Interview der Terrorpropaganda beschuldigt und verhaftet, weil sie Aufklärung zu möglichen Chemiewaffen-Einsätzen der türkischen Armee im Nordirak forderte, nachdem eine Delegation der Organisation "Internationale Ärzt:innen für die Verhütung des Atomkrieges" Ende September im Nordirak vermeintlich einige indirekte Indizien für mögliche Verletzungen der Chemiewaffenkonvention gefunden hatte. Staatspräsident Erdoğan beschuldigte Fincanci ihr Land beleidigt zu haben und "die Sprache der Terrororganisation" PKK zu sprechen (FR 27.10.2022; vgl. AP 27.10.2022). Am 11.1.2023 verurteilte das Gericht die Medizinerin zu zwei Jahren, acht Monaten und 15 Tagen Gefängnis. Allerdings wurde Fincanci im Anschluss an die Urteilsverkündung umgehend freigelassen. Haftstrafen von weniger als drei Jahren werden in der Türkei selten vollstreckt (Standard 11.1.2023; vgl. DW 11.1.2023).
Gewalt gegen Journalisten
Journalisten sehen sich Einschüchterungen, Festnahmen, Anklagen, Zensur, Androhung oder Anwendung von Verleumdungsgesetzen, Gewalt und Gewaltandrohungen sowie Entlassungen ausgesetzt. Auch werden immer wieder gewaltsame Übergriffe gegen Journalisten verzeichnet, welche oftmals nicht geahndet werden (USDOS 22.4.2024, S. 1, 28f.; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 48), BS 19.3.2024; S. 11). Für das Jahr 2024 verzeichnete beispielsweise die Medienbeobachtungsplattform Mapping Media Freedom elf Morddrohungen gegen Journalisten (EFJ/IPI/ECPMF 11.2.2025, S. 48). Ein weiteres Problem ist eine Art "Kartellbildung" der Medieninstitutionen – wer in einer Institution "überflüssig" wurde, wird von anderen nicht mehr eingestellt (ÖB Ankara 4.2025, S. 48). Tätlich angegriffen werden vor allem diejenigen, die über Politik, Korruption oder Verbrechen berichten (FH 26.2.2025, D1).
Polizeibrutalität und tätliche Angriffe von Zivilisten auf Journalisten sind zu einem chronischen Problem geworden, das sich auch auf die Atmosphäre der Pressefreiheit in der Türkei (EI 8.2024, S. 3; vgl. SZ 21.2.2022). In seltenen Fällen auch mit tödlichen Folgen. - Im Februar 2022 wurde Güngör Arslan, Eigentümer und Chefredakteur einer Lokalzeitung, vor seinem Büro in İzmit erschossen. Er prangerte die örtliche Korruption und die Mafia an (SZ 21.2.2022). Die NGO "Expression Interrupted" berichtete für das zweite Quartal 2024 von mindestens 34 Fällen von gewaltsamen Polizeieinsätzen, körperlichen Angriffen, Drohungen und gezielter Gewalt gegen Journalisten. Im zweiten Quartal des Jahres gehörte die Straflosigkeit zugunsten der Täter, die Journalisten drohten oder angriffen, weiterhin zu den Problemen, mit denen Journalisten häufig konfrontiert sind (EI 8.2024, S. 5).
Kurdische Journalisten und Medien
Kurdische Journalisten und Nachrichtenagenturen sowie Reporter, die über kurdische Themen berichteten, wurden wiederholt von Behörden, aber auch von Privatpersonen angegriffen (EFJ/IPI/ECPMF 11.2.2025, S. 49; vgl. AI 26.12.2024, UNESCO 13.1.2025). Die Regierung verweigert türkischen Staatsbürgern, die für internationale Medien arbeiten, routinemäßig die Presseakkreditierung, wenn sie mit privaten kurdischsprachigen Medien in Verbindung stehen (USDOS 22.4.2024, S. 29). (Befristete) Publikationsverbote mit Verweis auf die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" oder "Gefährdung der nationalen Einheit" treffen, mitunter wiederholt, vor allem kurdische Zeitungen oder solche des linken politischen Spektrums (AA 20.5.2024, S. 9). Berichte zum Konflikt zwischen der PKK und dem türkischen Staat ziehen die Aufmerksamkeit der Behörden auf sich. Betroffen hiervon ist beispielsweise die kurdische Nachrichtenplattform "Mezopotamya Agency", laut deren Leiter jeder Mitarbeiter zumindest einmal festgenommen wurde (MBZ 2.3.2022, S. 23).
Kurdische Journalisten sind in unverhältnismäßiger Weise von Verfolgung betroffen. Beispiele: Im Juli 2024 wurden bei einem Prozess in Ankara gegen elf kurdische Journalisten acht von ihnen wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" zu jeweils sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Sie haben gegen die Urteile Berufung eingelegt. In Diyarbakır wurde der Prozess gegen 20 kurdische Journalisten und Medienmitarbeiter wegen der gleichen Vorwürfe fortgesetzt (HRW 16.1.2025). Im Dezember (2024) wurden die Journalisten Nazım Daştan und Cihan Bilgin, die für die kurdische Nachrichtenagentur Hawar News Agency (ANHA) berichteten, bei der Berichterstattung über die jüngsten militärischen Zusammenstöße im Norden und Osten Syriens bei einem mutmaßlichen türkischen Drohnenangriff getötet. Der Vorfall löste breite Empörung aus, und die Polizei nahm fast 40 Journalisten fest, die gegen die Tötung ihrer Kollegen protestierten (EFJ/IPI/ECPMF 11.2.2025, S. 49). Die Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft hat eine Untersuchung gegen den Präsidenten der Istanbuler Rechtsanwaltskammer, İbrahim Kaboğlu, und Mitglieder des Kammervorstands eingeleitet, da diese die gezielten Angriffe auf Journalisten in Konfliktgebieten als einen Verstoß gegen das humanitäre Völkerrecht und die Genfer Konvention darstellten. Die Generalstaatsanwaltschaft wirft ihnen "Propaganda für eine illegale Organisation" und "Verbreitung irreführender Informationen in der Öffentlichkeit" vor (BAMF 23.12.2024, S. 6; vgl. CPJ 23.12.2024). Am 17.1.2025 wurden in Istanbul, Van und Mersin sechs Journalisten unter dem Vorwurf der Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation verhaftet. Die Verhaftungen erfolgten aufgrund ihrer Nachrichtenberichte und Diskussionssendungen (Mezopotamya 20.1.2025; vgl. SCF 20.1.2025b). Für weitere Beispiele: Siehe vormalige Länderinformationen zur Türkei!
Beweise zur Rechtfertigung von Untersuchungshaft und terroristischer Anschuldigungen bestehen in erster Linie aus Produkten journalistischer Arbeit, einschließlich veröffentlichter Artikel und Fotos, Kontakten zu Quellen, Social Media-Posts oder TV-Auftritten (SCF 3.1.2022).
Urteile des Verfassungsgerichts
Am 8.4.2021 hob das türkische Verfassungsgericht einen Artikel eines Regierungsdekrets auf, das nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 erlassen wurde und zur Schließung von Dutzenden von Medienhäusern führte. Die Begründung hierfür und die anschließende Beschlagnahmung des Eigentums war die "Bedrohung der nationalen Sicherheit" (CoE-PACE 22.4.2021, S. 4; vgl. CCRT 8.4.2021, TM 8.4.2021). Unbenommen der rechtlich möglichen Einschränkungen der Grundfreiheiten während des Ausnahmezustandes sah das Verfassungsgericht infolge der Beendigung des Letzteren die verfassungsmäßig garantierten grundlegenden Freiheiten ab diesem Zeitpunkt als verletzt an (CCRT 8.4.2021).
Das Verfassungsgericht entschied in seinem Piloturteil vom August 2022, welches mehrere Klagen der Zeitungen Sözcü, Cumhuriyet, BirGün und Evrensel bewertete, dass die von der staatlichen BİK verhängten Strafen gegen die Meinungs- und Pressefreiheit verstoßen hatten. Den betroffenen Zeitungen mussten jeweils 10.000 Lira [ca. 550 Euro] Entschädigung gezahlt werden. Das Verfassungsgericht stellte zudem fest, dass die Verhängung von Geldstrafen für Werbung durch erstinstanzliche Gerichte ein systematisches Problem darstelle, und forderte infolgedessen das Parlament auf, sich mit dem entsprechenden Gesetzesartikel zu befassen, um dieses grundlegende Problem zu lösen (EI 13.8.2022; vgl. REU 31.8.2022). Als Folge gab die BİK bekannt, dass sie die Verhängung von Strafen für Verstöße gegen die Berufsethik ausgesetzt habe. Die Regierung schwieg zum Urteil des Verfassungsgerichts (REU 31.8.2022).
Am 10.1.2024 entschied das Verfassungsgericht, dass die Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien (BTK) nicht das Recht hat, Online-Inhalte zu blockieren, da dies gegen die Verfassung verstößt. Die fraglichen Vorschriften würden die Meinungsfreiheit einschränken, indem sie es erlaubten, den Inhalt von im Internet veröffentlichten Publikationen von der Veröffentlichung zu entfernen und/oder den Zugang zu diesen Publikationen zu sperren, und diese Publikation auch eine solche im Rahmen des Online-Journalismus sein kann (BIRN 10.1.2024; vgl. CPJ 11.1.2024, HRW 16.1.2025). Das Urteil des Verfassungsgerichts annullierte ebenso die Möglichkeit lokaler Gerichte, Online-Nachrichten entfernen zu lassen (CPJ 11.1.2024).
MEINUNGSFREIHEIT
Das Europäische Parlament (EP) bekräftigte im Mai 2022 seine ernste Besorgnis über die unverhältnismäßigen und willkürlichen Maßnahmen, die das Recht auf freie Meinungsäußerung einschränken (EP 7.6.2022, S. 10, Pt. 13). In vielen Fällen können Einzelpersonen den Staat oder die Regierung nicht öffentlich kritisieren, ohne das Risiko zivil- oder strafrechtlicher Klagen bzw. Ermittlungen in Kauf zu nehmen. Die Regierung schränkt die Meinungsfreiheit von Personen ein, die bestimmten religiösen, politischen oder kulturellen Standpunkten wohlwollend gegenüberstehen. Sich zu heiklen Themen oder in regierungskritischer Weise zu äußern, zieht mitunter Ermittlungen, Geldstrafen, strafrechtliche Anklagen, Arbeitsplatzverlust und Haftstrafen nach sich. Auf regierungskritische Äußerungen reagiert die Regierung häufig mit Strafanzeigen wegen angeblicher Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppen, Terrorismus oder sonstiger Gefährdung des Staates. Die Regierung hat Hunderte von Personen wegen der Ausübung ihrer Meinungsfreiheit verurteilt und bestraft (USDOS 22.4.2024, S. 27). Im Jahr 2021 betrafen laut Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte allein 31 von insgesamt 76 Fällen von Verletzungen der EMRK durch die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung (ECHR 1.2022). Allerdings reduzierte sich der Anteil im Jahr 2024 auf nur mehr 15 von 73 Fällen (ECHR 22.1.2025).
Auslegung des Terrorismusbegriffs in der Anti-Terror-Gesetzgebung
Die Rückschritte im Bereich Meinungsfreiheit seit 2025 sind Ausfluss des weit ausgelegten Terrorismusbegriffs in der Anti-Terror-Gesetzgebung sowie einzelner Artikel des türkischen Strafgesetzbuches (z. B. Art. 301 – Verunglimpfung/ Herabsetzung des türkischen Staates und seiner Institutionen; Art. 299 – Beleidigung des Staatsoberhauptes [hierzu siehe nächsten Absatz]). Diese Bestimmungen werden in den letzten Jahren häufiger herangezogen, um gegen kritische Stimmen vorzugehen. In der Justizreformstrategie 2025-2029 wird allgemein festgehalten, dass Schutz und Weiterentwicklung der Meinungsfreiheit unverzichtbare Prioritäten sind. Als Maßnahmen sind jedoch nur sehr vage die Ausarbeitung neuer Maßnahmen und Praktiken vorgesehen, um die Standards der Meinungs- und Pressefreiheit zu erhöhen. Im Lichte der Zielsetzung der vorangegangenen Justizreformstrategie, dass die Äußerung von Gedanken, die nur der Berichterstattung und/oder der Kritikausübung dienen, kein Vergehen mehr darstellen sollte, wurde zwar eine Änderung von Art. 7(2) Antiterrorgesetz vorgenommen, der geänderte Gesetzeswortlaut wird aber weiterhin als zu vage gesehen und begünstigt willkürliche Auslegungen, da der Begriff "terroristische Propaganda" nicht klar definiert wird (ÖB Ankara 4.2025, S. 46). Problematisch ist die sehr weite Auslegung des Terrorismusbegriffs durch die Gerichte. So können etwa öffentliche Kritik am Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in den kurdisch geprägten Gebieten der Südosttürkei oder das Teilen von Beiträgen mit PKK-Bezug in den sozialen Medien bei entsprechender Auslegung bereits den Tatbestand der Terrorpropaganda erfüllen (AA 20.5.2024, S. 9).
Die geltenden Gesetze zur Terrorismusbekämpfung, zum Internet, zu den Nachrichtendiensten und das Strafgesetzbuch behindern die freie Meinungsäußerung und stehen im Widerspruch zu europäischen Standards, so die Europäische Kommission. Die selektive und willkürliche Anwendung von Rechtsvorschriften gibt überdies weiterhin Anlass zur Sorge, da sie gegen die Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit und des Rechts auf ein faires Verfahren verstößt. Trotz gesetzlicher Änderungen, mit denen die Notwendigkeit einer soliden Beweisgrundlage bei "Katalogdelikten" eingeführt wurde, werden Fälle im Zusammenhang mit der freien Meinungsäußerung weiterhin in die Kategorie der Straftaten zugeordnet, die automatisch eine "Untersuchungshaft" erfordern (EC 8.11.2023, S. 34f.). Zwar stellt nunmehr Art. 7/2 des Anti-Terror-Gesetzes klar, dass Meinungsäußerungen, welche die Grenze der Berichterstattung nicht überschreiten, keine Straftat darstellen, doch dies hat die politische Verfolgung unliebsamer Äußerungen in der Praxis nicht eingeschränkt (AA 20.5.2024, S. 8f.).
Eines der prominentesten Beispiele war die Verurteilung von vier Menschenrechtsverteidigern, darunter der ehemalige Vorsitzende von Amnesty International Türkei, Taner Kılıç, wegen der Unterstützung einer terroristischen Organisation im Juli 2020 (FH 3.3.2021; vgl. FH 29.2.2024, E2). Die Behörden hatten Kılıç im Juni 2017 unter dem Vorwurf festgenommen, Verbindungen zu Fethullah Gülen zu unterhalten. Der EGMR entschied Ende Mai 2022 einstimmig, d. h. inklusive des türkischen Richters, dass die Türkei bei der Inhaftierung von Kılıç rechtswidrig gehandelt hatte. Das Gericht fand keine Beweise dafür, dass Kılıç eine Straftat begangen hat. Das Gericht entschied außerdem, dass seine spätere Verurteilung wegen anderer Anschuldigungen in direktem Zusammenhang mit seiner Tätigkeit als Menschenrechtsverteidiger stehe und sein Recht auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigt wurde (DW 31.5.2022; vgl. AP 31.5.2022). Nach fast acht Jahre dauernden Gerichtsverfahren wurde Kılıç im Februar 2025 freigesprochen. Der Freispruch erfolgte, nachdem das Kassationsgericht die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft gegen die frühere Entscheidung des Kassationsgerichts, die unbegründete Verurteilung Taners aufzuheben, zurückgewiesen hatte (AI 27.3.2025; vgl. TM 27.2.2025).
Im März 2025 verlangte der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates anlässlich der Verhaftungswelle gewählter Bürgermeister, dass die Verfolgung und Inhaftierung gewählter Vertreter von Oppositionsparteien auf der Grundlage einer breiten Auslegung und Anwendung der Straftatbestände des Terrorismus oder der Verleumdung, insbesondere im Zusammenhang mit Wahlen, einzustellen sind (CoE-CLRA 27.3.2025, Pt. 13c).
Beleidigung des Präsidenten, staatlicher Würdenträger, des türkischen Staates und der Nation
Mehrere Artikel des Strafgesetzbuches verbieten die Verleumdung, definiert als Beleidigung, des türkischen Staates, seiner Symbole und seiner Vertreter. Artikel 299 sieht eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu drei Jahren für Beleidigungen der türkischen Nation, des Staates oder der Großen Nationalversammlung vor bzw. für diejenigen, welche die Regierung, Justizorgane, das Militär oder Sicherheitsorganisationen öffentlich herabwürdigen. Andere Artikel stellen das Verbrennen der türkischen Flagge, die Herabwürdigung der Nationalhymne, die Beleidigung eines öffentlichen Ausschusses und die Beleidigung des Andenkens einer verstorbenen Person unter Strafe. Die Beleidigung des Präsidenten wird mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren bestraft, die um ein Sechstel erhöht wird, wenn die Straftat öffentlich begangen wird. Regierungsbeamte können im Namen des Präsidenten Anklage erheben. Die meisten Verleumdungsklagen richten sich gegen Journalisten, aber auch gegen Schriftsteller, Politiker, Sportler, Studenten, Akademiker und Schüler wurden Verfahren eingeleitet. Die meisten Fälle, die nach Artikel 299 des Strafgesetzbuches verfolgt werden, führen nicht zu Freiheitsstrafen, obwohl viele der Angeklagten in Untersuchungshaft sitzen (DFAT 16.5.2025, S. 20f.; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 33). Insbesondere Oppositionspolitiker, darunter gewählte Mandatare sehen sich mit Strafverfolgung und Verurteilung wegen Beleidigung von staatlichen Würdenträgern oder des türkischen Staates bzw. des Türkentums konfrontiert (FH 3.3.2021; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 33, Duvar 8.12.2022, HRW 14.12.2022, Evrensel 14.12.2022). Im umgekehrten Falle, nämlich der Beleidigung von Oppositionellen, AKP-Mitglieder und Regierungsbeamte nur selten strafrechtlich verfolgt werden (USDOS 22.4.2024, S. 33). Auch gewöhnliche Staatsbürger werden wegen Unruhestiftung oder Beleidigung des Präsidenten strafrechtlich verfolgt. - Während die Bürger ihre Meinung weiterhin privat äußern, sind viele bei ihren öffentlichen Äußerungen vorsichtig (FH 26.2.2025, D4).
Zum Thema Beleidigung des Staatspräsidenten, anderer staatlicher Würdenträger, des türkischen Staates und der türkischen Nation (Türkentum) siehe die Kapitel: Rechtsstaatlichkeit / Justizwesen (Abs. Beleidigung des Präsidenten als Strafbestand) sowie Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit / Opposition.
Soziale Medien und Internet
Am 1.10.2020 trat in der Türkei das Gesetz Nr. 7253 über die Beschränkung von sozialen Medien in Kraft. Es zwingt Betreiber von Plattformen mit mehr als einer Million Nutzer täglich, mindestens einen Repräsentanten in der Türkei zu ernennen. Dieser muss türkischer Staatsbürger sein und seine Daten müssen auf der Webseite angegeben sein. Bei Nicht-Einhaltung der Vorgaben drohen Geldstrafen, Bandbreitenreduktion oder auch Verbot von Werbeanzeigen. Bei Anträgen von Einzelnen betreffend die Entfernung von Inhalten oder Zugriffsblockierung wegen Verletzungen der Privatsphäre muss der Provider dem Antragsteller innerhalb von längstens 48 Stunden antworten, andernfalls kann die Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologie eine Strafe von fünf Mio. Lira verhängen. Wenn ein Gericht oder Richter feststellt, dass ein veröffentlichter Inhalt das Gesetz verletzt, und der Provider innerhalb von 24 Stunden den Inhalt nicht entfernt oder nicht sperrt, haftet er für die entstandenen Schäden. Das Gesetz fordert, dass Unternehmen alle Daten türkischer Kunden in der Türkei speichern müssen (ÖB Ankara 4.2025, S. 46f.). Die betroffenen Online-Plattformen sind gezwungen, Berichte an die türkische Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien (Bilgi Teknolojileri ve İletişim Kurumu - BTK) über ihre Reaktion auf Anfragen von Verwaltungs- oder Justizbehörden hinsichtlich Zensur oder Sperrung des Zugangs zu Online-Inhalten zu senden. Auf Anordnung eines Richters oder der BTK ist die Union der Zugangsanbieter (ESB) auch verpflichtet, Internet-Hosts oder Suchmaschinen anzuweisen, Entscheidungen über Zugangssperren innerhalb von vier Stunden unter Androhung einer Verwaltungsstrafe zu vollstrecken. Empfindliche Geldstrafen drohen auch, wenn die Internet-Plattformen Benutzerdaten nicht speichern (RSF 1.10.2020).
Die Bedingungen für ein offenes und freies Internet sind laut Europäischer Kommission in der Türkei nicht gegeben. Websites und soziale Medien werden häufig für Personen gesperrt, die sich kritisch über die Regierung äußern (EC 8.11.2023, S. 37). Die Internetfreiheit steht nach wie vor unter Druck. So hat beispielsweise das Ausmaß gesperrter Webseiten zugenommen (MBZ 2.2025a, S. 33). Herausstechend sind nach wie vor lange Haftstrafen für Beiträge in sozialen Medien, zahlreiche Zugangssperren und Anordnungen zur Entfernung von Inhalten sowie die Verbreitung von Falschinformationen. Die regierende AKP hat mehrere Gesetze erlassen, die die Zensur und Überwachung verschärfen und Online-Äußerungen kriminalisieren. Online-Troll-Netzwerke verbreiten weiterhin regierungsnahe Desinformationen, und Journalisten, Aktivisten und Nutzer sozialer Medien werden nach wie vor wegen ihrer Online-Inhalte angeklagt. Die Türkei erreichte 2024 nur 31 von 100 möglichen Punkten und gilt weiterhin als "unfrei" (FH 16.10.2024).
Kritische und uneinsichtige Nutzer sozialer Nutzer sozialer Medien werden häufig überprüft, strafrechtlich verfolgt und verurteilt (EC 8.11.2023, S. 37; vgl. MBZ 2.2025a, S. 35). Alles, vom banalen Teilen bis hin zum Liken von Inhalten in sozialen Medien, die von anderen geteilt werden, kann zu strafrechtlichen Ermittlungen und/oder einer Strafverfolgung etwa wegen Beleidigung des Staatspräsidenten führen (ARTICLE19 8.4.2022). Die türkische Polizei überwachte die sozialen Medien in großem Stil. Zu diesem Zweck verfügte sie über eine spezielle Cyber-Abteilung namens Siberay. Diese Abteilung beschränkte sich nicht nur auf die Social-Media-Konten bekannter Journalisten und Aktivisten, sondern überwacht auch jene von "normalen" Social-Media-Nutzern (MBZ 2.2025a, S. 35).
Dem niederländischen Außenministerium zufolge ziehen folgende kritische Berichte in den sozialen Medien eine negative Aufmerksamkeit der türkischen Behörden nach sich: Präsident Erdoğan und seine Familie, die Coronavirus-Politik der Regierung, die militärischen Operationen der Türkei im In- und Ausland, die politischen und kulturellen Rechte der kurdischen Minderheit, der Konflikt zwischen der PKK und der türkischen Regierung, Gülen und seine Bewegung, der Islam und sexuelle Minderheiten. Beiträge dieser Art werden gesperrt oder entfernt, und jeder, der solche Nachrichten veröffentlicht oder weiter gibt, muss mit einem Strafverfahren rechnen (MBZ 31.8.2023, S. 25; vgl. FH 16.10.2024). Nutzer sozialer Medien wissen nicht immer, wo die Regierung die Grenze zieht. Dies liegt daran, dass die Gesetze und Vorschriften in Bezug auf Terrorpropaganda und Desinformation allgemein und vage formuliert sind. Infolgedessen steht der Staatsanwaltschaft eine Vielzahl von Rechtsgrundlagen zur Verfügung, um eine strafrechtliche Untersuchung oder ein Strafverfahren einzuleiten. Wenn die Message ein Thema betrifft, das gerade im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit steht, leiten die Behörden schnell eine strafrechtliche Untersuchung ein. Wenn "normale" Bürger vormals über Themen berichteten, die wenig Aufmerksamkeit erhalten hatten, können strafrechtliche Untersuchungen manchmal im Nachhinein um mehrere Jahre verzögert eingeleitet werden (MBZ 2.2025a, S. 35).
Websites können wegen "Obszönität" gesperrt werden oder wenn sie als verleumderisch für den Islam angesehen werden, was auch Inhalte einschließt, die den Atheismus fördern. Zusätzlich zu den weitverbreiteten Sperrungen fordern staatliche Behörden proaktiv die Löschung oder Entfernung von Inhalten. Die meisten Sperrungsverfügungen werden von der Telekommunikationsbehörde BTK und nicht von den Gerichten erlassen. - Das Mandat der BTK umfasst die Vollstreckung gerichtlicher Sperrverfügungen, sie kann aber auch Verwaltungsanordnungen für ausländische Websites erlassen. - Die Verfahren im Zusammenhang mit Sperrungen sind undurchsichtig und stellen diejenigen, die Rechtsmittel einlegen wollen, vor erhebliche Herausforderungen. Die Begründung für Gerichtsentscheidungen wird in den Bescheiden zur Sperrung nicht angegeben, und die entsprechenden Bescheide sind nicht leicht zugänglich. Infolgedessen ist es für Website-Betreiber schwierig festzustellen, warum ihre Website gesperrt wurde, und welches Gericht die Anordnung erlassen hat (FH 4.10.2023).
Im Jahr 2023 wurde laut der NGO "Free Web Turkey" der Zugang zu 219.059 URLs gesperrt. Gesperrt wurden u. a. 197.907 Domainnamen, 5.641 Social-Media-Beiträge und 743 Social-Media-Konten. Der Bericht hebt hervor, dass zu den zensierten URLs weiters auch 14.680 Nachrichtenartikel gehörten, die sich am häufigsten (5.881 gesperrte Artikel) mit Korruptionsvorwürfen und Fehlverhalten befassten, und zwar oft mit Bezug auf Beamte und Personen mit engen Verbindungen zur regierenden Partei AKP. - Verbrechen gegen Frauen und Kinder folgten mit 2.256 gesperrten Artikeln und 1.733 Artikeln über Organisierte Kriminalität. Blockiert wurden auch 646 Artikel über Präsident Erdoğan und seine Familie. Der Hauptgrund für die Sperrung von Artikeln gemäß türkischen Behörden war die "Verletzung der Persönlichkeitsrechte", und zwar in 14.332 Fällen, gefolgt von 344 Sperren wegen der Gefährdung der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung (FW-TR 3.9.2024; vgl. SCF 16.7.2024).
Das sog. "Desinformationsgesetz" Nr. 7418 (2022)
Im Oktober 2022 verschärfte die Regierung ihr ohnehin hartes Vorgehen gegen die Medien. Unter massivem Protest der Opposition hat das Parlament das sog. Gesetz gegen "Desinformation" beschlossen. Am 18.10.2022 trat es als Gesetz Nr. 7418 zur Änderung des Pressegesetzes in Kraft. Das Gesetz sieht Haftstrafen von ein bis zu drei Jahren für die Verbreitung "falscher oder irreführender Nachrichten" vor. Täter können akkreditierte Journalisten sowie normale Mediennutzer sein. Sogar für einen Retweet sind bis zu drei Jahre Haft möglich. Gemäß der einschlägigen Vorschrift ist eine Freiheitsstrafe für diejenigen vorgesehen, die falsche Informationen über die innere und äußere Sicherheit, die öffentliche Ordnung und die allgemeine Gesundheit des Landes öffentlich verbreiten mit dem Motiv, Angst oder Panik in der Öffentlichkeit zu erzeugen, in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören (RIW 12.2022; vgl. DW 14.10.2022, ÖB Ankara 4.2025, S. 47). Die Bewertung, ob eine "Des- oder Falschinformation" vorliegt, obliegt den Gerichten (ÖB Ankara 4.2025, S. 47; vgl. DW 14.10.2022, Guardian 13.10.2022). Im Gleichklang wurde das Strafgesetzbuch durch die Bestimmungen des Artikels 217 A vom 13.10.2022 ergänzt, wobei Absatz 2 vorsieht, dass das Strafausmaß um die Hälfte erhöht wird, wenn der Täter die Tat unter Verheimlichung seiner wahren Identität oder im Rahmen der Tätigkeit einer Organisation verübt. Und Artikel 218 des Strafgesetzbuches sieht vor, so Straftaten durch Presse und Rundfunk begangen werden, die zu verhängende Strafe ebenfalls um bis zur Hälfte erhöht wird. Meinungsäußerungen, die den Rahmen der Berichterstattung nicht überschreiten und dem Zweck der Kritik dienen, stellen jedoch keine Straftat dar, so der selbige Artikel des Strafgesetzbuches (MBS 5.4.2023; vgl. tgs 6.2024, S. 23).
Das Desinformationsgesetz richtet sich neben Zeitungen, Radio und Fernsehen vor allem gegen Online-Netzwerke und Onlinemedien. Sie sind verpflichtet, Nutzer, denen die Verbreitung von Falschnachrichten vorgeworfen wird, an die Behörden zu melden und deren Daten weiterzugeben (Zeit Online 14.10.2022). Das Gesetz verpflichtet auch Messenger-Dienste, wie WhatsApp, dazu, dem Staat Nutzerdaten zur Verfügung zu stellen, wenn die staatliche Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien dies verlangt. Emre Kızılkaya, Leiter des türkischen Zweigs des Internationalen Presseinstituts mit Sitz in Wien, nimmt an, dass dieses Gesetz auch digitale Plattformen wie Google News oder Facebook dazu zwingen wird, der Regierung ihre Algorithmen offenzulegen (Guardian 13.10.2022). Journalistenverbände warnten, der Gesetzentwurf könne zu einem der strengsten Zensur- und Selbstzensurmechanismen in der türkischen Geschichte werden (Zeit Online 14.10.2022). Auf dringendes Ersuchen des Monitoring-Ausschusses der Parlamentarischen Versammlung des Europarates (PACE) hatte die Venedig-Kommission eine Stellungnahme zu den Änderungsentwürfen des Gesetzes veröffentlicht. Die Venedig-Kommission sah einen Eingriff in das durch Artikel 10 EMRK geschützte Recht auf freie Meinungsäußerung vorliegen und wies darauf hin, dass es alternative, weniger einschneidende Maßnahmen als die strafrechtliche gibt, um das Delikt der Verbreitung von Falschinformationen zu bekämpfen (CoE 10.10.2022).
Cybersicherheitsgesetz Nr. 7545 (2025)
Am 12.3.2025 verabschiedete das türkische Parlament das Cybersicherheitsgesetz (Gesetz Nr. 7545), das die "falsche" Berichterstattung oder Weitergabe von Informationen über Online-Datenlecks unter Strafe stellt. Das Gesetz sieht eine Strafe von bis zu fünf Jahren Gefängnis für jeden vor, der wissentlich vermeintlich falsche Inhalte über ein Cybersicherheitsdatenleck erstellt oder verbreitet, insbesondere wenn die Absicht besteht, in der Öffentlichkeit Angst, Furcht oder Panik zu erzeugen oder Institutionen oder Einzelpersonen ins Visier zu nehmen. Das verabschiedete Gesetz zielt darauf ab, die Cybersicherheit zu stärken, indem ein Rechtsrahmen für eine neue Cybersicherheitsbehörde und eine Cybersicherheitskommission mit weitreichenden Befugnissen in Bezug auf die Datenerhebung, die Durchsetzung der Cybersicherheit und den legalen Zugang zu in der Türkei gespeicherten digitalen Informationen geschaffen wird, sofern dies durch einen Gerichtsbeschluss genehmigt wird. Das Gesetz folgt auf ein Eingeständnis der Behörde für Informations- und Kommunikationstechnologien (BTK) im September 2024, dass die persönlichen Daten von 108 Millionen Bürgern von Regierungsservern gestohlen wurden. Oppositionsparteien kündigten an, das Gesetz vor dem Verfassungsgericht anzufechten. Verbände, die sich für Pressefreiheit einsetzen, haben Bedenken geäußert und argumentiert, dass das Gesetz den Behörden den Zugriff auf private Informationen ohne angemessene Schutzmaßnahmen ermöglichen könnte, und kritisierten die vagen Bestimmungen des Artikels, der die Verbreitung falscher Informationen über Cyber-Vorfälle unter Strafe stellt (CoE-SJP 17.3.2025; vgl. CPJ 13.3.2025, TM 13.3.2025). Die Cybersicherheitskommission, welche die Umsetzung des Gesetzes überwacht, setzt sich aus hochrangigen Regierungsbeamten zusammen, darunter der Präsident, der Vizepräsident und die Leiter wichtiger Ministerien und Sicherheitsbehörden. Mitglieder der Opposition argumentierten, dass diese Struktur die Cybersicherheitspolitik effektiv unter die direkte Kontrolle des Präsidenten stellt und eine unabhängige Aufsicht ausschließt (TM 13.3.2025). Das neue Gesetz zur Cybersicherheit könnte die legitime Berichterstattung über Cybersicherheitsvorfälle kriminalisieren, da es zu weit gefasst und vage formuliert ist, so z. B. das Komitee zum Schutz von Journalisten – CPJ. Das neue Cybersicherheitsgesetz könnte laut Özgür Öğret, Türkei-Vertreter des CPJ, nicht nur die Berichterstattung über cybersicherheitsbezogene Datenlecks unterbinden, sondern die Regierung ermächtigen, zu entscheiden, ob ein Leck tatsächlich aufgetreten ist oder nicht, was das Risiko einer umfassenderen Zensur in sich birgt (CPJ 13.3.2025). Der Türkische Journalistenverband (TGS) kritisierte auch die weitreichenden Befugnisse, die der Cybersicherheitskommission (Cybersecurity Board) gewährt werden, und die vage Sprache im Gesetz und argumentierte, dass sein Hauptzweck darin bestehe, die Wahrheit zu vertuschen und Journalisten zum Schweigen zu bringen (TM 13.3.2025).
Urteile des Verfassungsgerichts
Klagen gegen Internetzensur vor dem Verfassungsgericht werden meist zugunsten der Kläger entschieden, jedoch fällt das Verfassungsgericht jährlich nur wenige Urteile. Darüber hinaus besteht das Problem darin, dass der vom Verfassungsgericht entwickelte prinzipielle Ansatz im Sinne der Meinungs- und Pressefreiheit von den Friedensrichtern in Strafsachen in deren Rechtssprechung ignoriert wird. Diese verhängen Sperren regelmäßig so, als ob das Verfassungsgericht kein Urteil zu irgendeiner Praxis in dieser Angelegenheit erlassen hätte (IFÖD 10.2021, S. 101-104; vgl. LoC 7.1.2022).
Die Generalversammlung des Verfassungsgerichts stellte allerdings am 7.1.2022 fest, dass die Regierung das verfassungsmäßige Recht auf freie Meinungsäußerung und das verfassungsmäßige Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf betreffend die Sperrung des Zugangs zu Online-Nachrichten-Webseiten durch untergeordnete Gerichte verletzt hatte. Das Verfassungsgericht konsolidierte neun Fälle, in denen insgesamt 129 URL-Adressen durch Entscheidungen von Friedensrichtern gemäß Artikel 9 des Gesetzes Nr. 5651 gesperrt worden waren. In allen neun Fällen hatten die Richter den Zugang zu den betreffenden Nachrichtenartikeln aufgrund von Beschwerden jener Personen gesperrt, die Gegenstand der Nachrichtenartikel waren und die geltend machten, dass bestimmte Aussagen in den Nachrichtenartikeln ihren Ruf und ihr Ansehen unrechtmäßig schädigten. - Die Problematik des Artikels 9, u. a. von der Venedig Kommission des Europarates beanstandet, liegt darin, dass eine diesbezügliche Sperrung durch den Spruch eines Friedensrichters, zeitlich unbegrenzt und ohne Anhörung, erfolgt, nur auf Einspruch hin von einem anderen Friedensrichter überprüft, jedoch nicht bei höheren Gerichten angefochten werden kann. Der einzige Rechtsbehelf ist eine Individualbeschwerde vor dem Verfassungsgericht (LoC 7.1.2022). In seinem Urteil stellte das Verfassungsgericht nicht nur einen offensichtlichen Eingriff in die durch Artikel 26 und 28 der Verfassung geschützte Meinungs- und Pressefreiheit durch die Sperrung des Zugangs zu den betroffenen Nachrichtenseiten fest, sondern auch die unverhältnismäßige und unbegründete Blockierung der Inhalte auf unbestimmte Zeit sowie die Nicht-Beachtung der verfassungsrechtlichen Grundsätze durch die Vorinstanzen. Außerdem beklagte das Verfassungsgericht den Mangel an Rechtsmitteln. In Anbetracht der Tatsache, so das Verfassungsgericht, dass die Entscheidungen der untergeordneten Gerichte auf das Vorhandensein eines systematischen Problems hinweisen, das unmittelbar durch eine gesetzliche Bestimmung verursacht wurde, ist es offensichtlich, dass das derzeitige System überdacht werden muss, um ähnliche Verstöße zu verhindern. Deshalb wurde seitens des Gerichts ein sogenanntes Pilotverfahren (pilot judgment) beschlossen (CCRT 7.1.2022). - Das Verfahren wird angewandt, wenn das Gericht feststellt, dass die Verletzung eines Grundrechts in einem bestimmten Fall auf ein strukturelles Problem zurückzuführen ist, das bereits zu anderen Anträgen geführt hat und von dem zu erwarten ist, dass es in Zukunft zu weiteren Anträgen führen wird. Wenn das Gericht beschließt, über einen Antrag im Rahmen des Piloturteilsverfahrens zu entscheiden, kann es alle anderen bei ihm anhängigen Verfahren, die dasselbe strukturelle Problem betreffen, aussetzen. Sobald ein Piloturteil ergangen ist, müssen die Verwaltungsbehörden das Urteil in den entsprechenden Anträgen, die bei ihnen eingereicht werden, anwenden, oder bei Fällen, die das Verfassungsgericht erreichen, kann das Gericht die Fälle zusammenfassen und im Einklang mit dem Piloturteil entscheiden (LoC 7.1.2022).
Publikationsverbote
In der Türkei gibt es Anzeichen dafür, dass unter Präsident Erdoğan die staatliche Zensur, auch von Büchern zunimmt. 2020 wurden beispielsweise zwei von Amnesty International Türkei herausgegebene Bücher verboten, die sich um das Thema Feminismus drehen. Mit einem Publikationsverbot wurden ebenso zweier Bücher des CHP-Parteiverlages belegt, die Korruptionsaffären beleuchteten. Auch zahlreiche Kinderbücher wurden (2020) verboten, u. a. die türkische Übersetzung des deutschen Sexual-Aufklärungsbuches für Vier- bis Siebenjährige: "Woher die kleinen Kinder kommen". Das Buch wurde von der türkischen Regierung als "obszön" eingestuft. Dem Übersetzer und dem Verleger der türkischen Ausgabe drohten bis zu zehn Jahre Gefängnis (FR 12.2.2021). Und im Herbst 2022 verbot ein Gericht den Vertrieb und Verkauf eines Buches der ehemaligen, inhaftierten HDP-Ko-Vorsitzenden Figen Yüksekdağ mit dem Titel "Mauern werden eingerissen", in dem es u. a. um die Ausgangssperren im Sommer 2015 geht, und zwar wegen "Propaganda für eine terroristische Organisation" (NaT 10.9.2022; vgl. Mezopotamya 8.9.2022).
Informationen zum behördlichen Vorgehen gegen die kritische Berichterstattung angesichts der Auswirkungen des Erdbebens vom Februar 2023 finden sich in den vorigen Versionen der Länderinformationen zur Türkei.
Quellen
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Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
Die Verfassung garantiert Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit. In der Praxis sind diese Rechte jedoch stark beschränkt. Die Freiheit, auch ohne vorherige Genehmigung unbewaffnet und gewaltfrei Versammlungen abzuhalten, unterliegt Einschränkungen, soweit Interessen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, die Vorbeugung von Straftaten bzw. die allgemeine Gesundheit oder Moral betroffen sind (AA 20.5.2024, S. 8; vgl. DFAT 16.5.2025, S. 9, 19). Restriktive und vage formulierte Gesetze, z. B. Vorgaben des Gesetzes 2911 über Veranstaltungen und Demonstrationen, erlauben es den Behörden, unverhältnismäßige Maßnahmen zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit zu verhängen und sogar die legitime Ausübung dieses Rechts durch einen Diskurs zu stigmatisieren, der Demonstranten immer wieder mit Extremismus und gewalttätigen Gruppen in Verbindung bringt (FIDH/OMCT/İHD/HRA 5.2021, vgl. UNHRCOM 28.11.2024, S. 13).
Die Gesetzgebung und ihre Umsetzung stehen nicht im Einklang mit den europäischen Standards und den internationalen Konventionen, denen die Türkei beigetreten ist (EC 30.10.2024, S. 33), auch nicht mit der türkischen Verfassung (EC 8.11.2023, S. 6, 37f.). - Die Gesetze erlauben es den Behörden, Versammlungen und Demonstrationen auf der Grundlage vager, willkürlicher Kriterien zu verbieten. Verbote friedlicher Versammlungen sind weit verbreitet, und öffentliche Veranstaltungen werden häufig mit unverhältnismäßiger Gewaltanwendung durch die Polizei aufgelöst. Eine positive Entwicklung war die Aufhebung des 2018 ausgesprochenen Verbots von Protesten der Samstagsmütter, auf dem Istanbuler Galatasaray-Platz, durch den Innenminister im November 2023. Die Gerichtsverfahren gegen Menschenrechtsverteidiger werden jedoch fortgesetzt (EC 30.10.2024, S. 33; vgl. EP 7.6.2022, S. 9, Pt. 12). Gegen Demonstranten werden zudem häufig Ermittlungen, Gerichtsverfahren und Bußgelder wegen des Vorwurfs des Terrorismus oder des Verstoßes gegen das Gesetz über Demonstrationen und Aufmärsche eingeleitet (EP 7.6.2022, S. 9, Pt. 12). Infolgedessen haben viele Menschen in der Türkei Angst davor, den öffentlichen Raum für die Ausübung ihres Rechts auf friedliche Versammlung zu beanspruchen (FIDH/OMCT/İHD/HRA 5.2021). Beispielsweise intervenierten die Sicherheitskräfte laut Jahresstatistik 2023 der türkischen Menschenrechtsvereinigung bei 256 Demonstrationen und Versammlungen (2022: 571), wobei 3.487 Personen (2022: 4.553) durch das gewaltsame Einschreiten geschlagen und verletzt wurden (İHD/HRA 23.8.2024; vgl. İHD/HRA 27.9.2023b, S. 4, 6).
Jüngstes Beispiel sind die Massenproteste gegen die Absetzung des CHP-Bürgermeisters von Istanbul, Ekrem İmamoğlu. - In dem Schreiben von Human Rights Watch, Amnesty International und 13 weiteren Organisationen hieß es, man sei alarmiert "über die jüngste Eskalation des staatlichen Vorgehens gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit nach der Verhaftung des Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu". Die Menschenrechtsorganisationen beklagten in ihrer Stellungnahme, die Proteste seien mit "ungerechtfertigter und unrechtmäßiger Polizeigewalt beantwortet" worden. Menschen seien mit Schlagstöcken geschlagen und getreten worden, wenn sie am Boden lagen. Polizisten hätten wahllos Pfefferspray, Tränengas, Plastikgeschosse und Wasserwerfer gegen die Demonstranten eingesetzt, was zu zahlreichen Verletzungen geführt habe. Pauschale Demonstrationsverbote wie in Istanbul, Ankara, Antalya und Izmir seien unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen (Tagesschau 28.3.2025; vgl. WOZ 1.4.2025). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) "verurteilt[e] aufs Schärfste die ungerechtfertigten Festnahmen und Inhaftierungen von Demonstranten sowie die unverhältnismäßige Anwendung von Gewalt durch die Strafverfolgungsbehörden während der Proteste und Fälle von Misshandlungen oder anderen Menschenrechtsverletzungen an inhaftierten Personen [...] Ebenso [brachte] die Versammlung ihre Besorgnis über Berichte über tätliche Angriffe auf Journalisten und Medienmitarbeiter während der Berichterstattung über die Proteste sowie über deren Festnahmen und Inhaftierungen im Zusammenhang mit ihrer Berichterstattung zum Ausdruck. Mindestens 20 Lokaljournalisten wurden während der Berichterstattung über die Proteste von der Polizei oder von Demonstranten tätlich angegriffen und mindestens zehn von ihnen wurden inhaftiert" [Anm.: Originalzitat aus dem Englischen] (CoE-PACE 9.4.2025, Pt. 5 u.6). Im gleichen Sinne äußerte sich das Europäische Parlament und "fordert[e] die türkischen Staatsorgane nachdrücklich auf, alle Vorwürfe der Schikanierung und der übermäßigen Anwendung von Gewalt gegen Demonstranten unverzüglich und wirksam zu untersuchen und die Versammlungs- und Protestfreiheit zu wahren" (EP 7.5.2025, Pt. 23). - Nach den Protesten erhob die Staatsanwaltschaft in Istanbul Anklage gegen 819 Personen. Ihnen wurde die Teilnahme an nicht genehmigten Demonstrationen vorgeworfen. 278 Festgenommene waren in Untersuchungshaft. Einigen Protestierenden drohten bis zu fünf Jahre und in einem Fall bis zu neun Jahre Haft (Zeit Online 8.4.2025; vgl. SRF 23.3.2025).
Anlässlich der Verhaftung des Istanbuler Bürgermeisters Ekrem İmamoğlu am 19.3.2025 verabschiedete der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates am 27.3.2025 eine Deklaration, in welcher u. a. auf starken Einschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit in den letzten Monaten hingewiesen wird. Der Kongress verurteilte insbesondere den Rückgriff auf pauschale Verbote öffentlicher Demonstrationen, wie sie in Gemeinden verhängt wurden, in denen Bürgermeister abgesetzt oder verhaftet wurden, darunter Istanbul. Dem folgend verlangte der Kongress, den übermäßig weit gefassten Einschränkungen der Versammlungs- und Meinungsfreiheit ein Ende zu setzen, die den politischen Pluralismus einschränken, die Menschenrechte verletzen und die Grundlagen der Demokratie untergraben und sich nachteilig auf die lokale Selbstverwaltung in der Türkei auswirken (CoE-CLRA 27.3.2025, Pt. 7, 13b). Die Parlamentarische Versammlung des Europarates (PACE) sah ein generelles Verbot von Demonstrationen als unverhältnismäßig und nicht zu rechtfertigen (CoE-PACE 9.4.2025, Pt. 8). Die Sprecherin des Büros des Hochkommissars für Menschenrechte (OHCHR) nannte das generelle behördliche Verbot von Protesten in drei türkischen Städten als rechtswidrig (OHCHR 25.3.2025).
Während regierungskritische Versammlungen routinemäßig verboten werden, dürfen regierungsfreundliche Kundgebungen stattfinden (FH 26.2.2025, E1).
Polizeiliche Gewalt bei Versammlungen
Die Polizei geht häufig mit Gewalt gegen friedliche Proteste vor. In den letzten Jahren haben die Sicherheitskräfte Tränengas, Pfefferspray und andere gewalttätige Maßnahmen eingesetzt, um Proteste zum 1. Mai, Gedenkfeiern zu den Gezi-Park-Protesten 2013, LGBT+-Paraden, Feiern zum Frauentag, Märsche gegen geschlechtsspezifische Gewalt, Proteste gegen Preiserhöhungen und die steigende Inflation, Mahnwachen für die Opfer des Militärputsches von 1980 und andere Versammlungen aufzulösen (FH 26.2.2025, E1). Einige konkrete Beispiele der letzten Monate: In Istanbul gingen Bereitschaftspolizisten mit Pfefferspray gegen Teilnehmerinnen einer Demonstration anlässlich des Internationalen Frauentages 2023 vor (Spiegel 8.3.2023). Mindestens 50 Personen wurden am 25.6.2023 während der jährlichen Pride-Parade in Istanbul von der Polizei festgenommen. Die Demonstration wurde von der Polizei gewaltsam aufgelöst. In Izmir nahm die Polizei mindestens 44 Personen fest, nachdem die Behörden den Pride-Marsch verboten hatten (BAMF 12.6.2023, S. 12; vgl. Zeit Online 25.6.2023).
Die Istanbuler Polizei nahm während der Maidemonstrationen (2024) in der ganzen Provinz mehr als 200 Menschen fest, als sie die Menschenmenge daran hinderte, den Istanbuler Taksim-Platz zu erreichen, einen symbolischen Ort für den Internationalen Tag der Arbeit. Die Bereitschaftspolizei setzte Pfefferspray und Gummigeschosse ein, um Zehntausende zu vertreiben, die sich im Istanbuler Stadtteil Sarachane versammelt hatten, nachdem Demonstranten versucht hatten, zum Taksim-Platz zu marschieren. Dutzende Personen wurden verletzt, und Aufnahmen vom Tatort zeigten, wie die Polizei Demonstranten misshandelte. In einer Live-Übertragung war zu hören, wie ein Polizeibeamter andere Beamte anwies, "die Presse" aus dem Gebiet zu entfernen, was bei Menschenrechtsgruppen Empörung auslöste (AlMon 1.5.2024; vgl. Stern 1.5.2024, REU 1.5.2024, SWI 2.5.2024, AI 29.4.2025). 2023 hatte das türkische Verfassungsgericht eigentlich entschieden, dass die Abriegelung des Taksim-Platzes zur Verhinderung von Demonstrationen rechtswidrig sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte die Entscheidung bestätigt (Stern 1.5.2024; vgl. SWI 2.5.2024, AI 29.4.2025).
Die Mahnwachen der Samstagsmütter, einer Gruppe von Menschenrechtsverteidigerinnen und Angehörigen von Opfern des Verschwindenlassens, werden weiterhin durch Einschränkungen behindert. Beispielsweise durften sie sich maximal zu zehnt versammeln. Für die 1000. Mahnwache im Mai 2024 wurden diese Einschränkungen ausnahmsweise aufgehoben. Im Oktober 2024 sprach ein erstinstanzliches Gericht 20 Personen frei, die während der 950. Mahnwache der Samstagsmütter/-menschen im Juni 2023 willkürlich inhaftiert und wegen "Verstoßes gegen das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz" strafrechtlich verfolgt worden waren (AI 29.4.2025).
Zum behördlichen Einschreiten beim kurdischen Frühlingsfest Newroz siehe das Unterkapitel: Ethnische Minderheiten / Kurden.
Versammlungsverbote durch die Gouverneure
Seit 2015 gab es im Bereich der Versammlungsfreiheit Rückschritte, insbesondere durch die während des Ausnahmezustands erfolgte Ausweitung der Befugnisse der Gouverneure, öffentliche Versammlungen untersagen zu können. Der breite Ermessensspielraum der Gouverneure wird für weitere Einschränkungen genutzt, sodass mittlerweile auch friedliche Kundgebungen mit langer Tradition verboten werden. Zahlreiche Demonstrationen und Zusammenkünfte werden entweder mit einem Blanko-Bann von vornherein untersagt bzw. unter Anwendung von Polizeigewalt aufgelöst (ÖB Ankara 4.2025, S. 48f.; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 38). Die Provinzbehörden verbieten regelmäßig Proteste und Versammlungen von regierungskritischen Gruppen, wobei sie sich häufig über die Urteile der nationalen Gerichte hinwegsetzen, die solche Verbote als unverhältnismäßig einstufen (HRW 16.1.2025). Das Versammlungs- und Demonstrationsgesetz erlaubt es der Verwaltung, Versammlungen und Demonstrationen auf der Grundlage von vagen, ermessensabhängigen und willkürlichen Kriterien zu verbieten (EC 12.10.2022, S. 39; vgl. EP 7.6.2022, Pt. 12). Beispielsweise verbot der Gouverneur von Istanbul einen Nachtmarsch, der am 25.11.2024 anlässlich des Internationalen Tags zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen stattfinden sollte. Die Ordnungskräfte setzten unverhältnismäßige Gewalt gegen jene ein, die sich trotz des Verbots versammelten und nahmen mindestens 169 Menschen willkürlich in Gewahrsam, darunter auch mehrere Unbeteiligte (AI 29.4.2025; vgl. TR-Today 26.11.2024).
Sicherheitsgesetz 2015, Strafgesetz und Urteile der Höchstgerichte
Das Sicherheitsgesetz vom 23.5.2015 klassifiziert Steinschleudern, Stahlkugeln und Feuerwerkskörper als Waffen und sieht eine Gefängnisstrafe von bis zu vier Jahren vor, so deren Besitz im Rahmen einer Demonstration nachgewiesen wird oder Demonstranten ihr Gesicht teilweise oder zur Gänze vermummen. Bis zu drei Jahre Haft drohen Demonstrationsteilnehmern für die Zurschaustellung von Emblemen, Abzeichen oder Uniformen illegaler Organisationen (HDN 27.3.2015). Teilweise oder gänzlich vermummte Teilnehmer von Demonstrationen, die in einen "Propagandamarsch" für terroristische Organisationen münden, können mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden (AnA 27.3.2015). Das Gesetz erlaubt es der Polizei, nicht nur gefärbtes Wasser zur späteren Identifikation von Demonstranten anzuwenden, sondern auch Personen ohne Genehmigung eines Staatsanwalts in "Schutzhaft" zu nehmen, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sie eine Bedrohung für sich selbst oder die öffentliche Ordnung darstellen (USDOS 22.4.2024, S. 38).
Die extensive Auslegung des unklar formulierten Art. 220 des Strafgesetzbuches hinsichtlich krimineller Vereinigungen durch den Kassationsgerichtshof führte zur Kriminalisierung von Teilnehmern an Demonstrationen, bei denen auch PKK-Symbole gezeigt wurden bzw. zu denen durch die PKK aufgerufen wurde, unabhängig davon, ob dieser Aufruf bzw. die Nutzung dem Betroffenen bekannt war. Teilnehmer müssen, auch bei Demonstrationen im Ausland, mit einer strafrechtlichen Verfolgung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung rechnen (AA 20.5.2024, S. 8). [Anm.: Die diesbezüglichen rechtlichen Auswirkungen der Auflösung der PKK sind zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht absehbar.]
Urteile des Verfassungsgerichtes
Im September 2019 kam das Verfassungsgericht in seinem Urteil zur Demonstration am 1.5.2009 zu dem Schluss, dass die Versammlungsfreiheit der Demonstranten verletzt wurde. Dies war das erste innerstaatliche Urteil des Gerichtshofs zur willkürlichen Verhinderung der Gedenkfeiern zum 1. Mai (EC 6.10.2020, S. 37). In einem weiteren Fall urteilte das Verfassungsgericht am 8.9.2021, dass das vom Gouverneursamt verhängte Verbot aller Proteste in der südöstlichen Stadt Kahramanmaraş das verfassungsmäßige Recht der Kläger auf Versammlung und Demonstration verletzt habe. Das Verfassungsgericht ordnete zudem eine Schadensersatzzahlung an jeden der vier Kläger an, welche eine Klage beim Verfassungsgericht einbrachten, nachdem andere Rechtsmittel nicht dazu geführt hatten, dass die Entscheidung des Gouverneursamtes von Kahramanmaraş, alle Proteste in der Stadt für einen Monat zu verbieten und anschließend viermal zu verlängern, aufgehoben wurde (BAMF 13.9.2021, S. 16f; vgl. TM 8.9.2021).
Das Verfassungsgericht hob im Frühjahr 2024 jenen den Artikel des Hochschulgesetzes auf, der Disziplinarstrafen für das Verteilen von Flugblättern und das Aufhängen von Plakaten oder Bannern an Universitäten sowie die Organisation von Versammlungen ohne Genehmigung vorsah. Die Sanktion der Organisation von Versammlungen in geschlossenen oder offenen Räumen von Hochschuleinrichtungen ohne Genehmigung der Behörden, die eine temporäre Suspendierung von der Schule vorsah, wurde ebenfalls für verfassungswidrig erklärt. In der Entscheidung wurde betont, dass diese Vorschrift das Recht der Hochschulstudierenden einschränke, Versammlungen und Demonstrationen zu organisieren. Außerdem erklärte das Verfassungsgericht hierbei, dass die bisherigen Sanktionen nicht mit den Erfordernissen einer demokratischen Gesellschaftsordnung vereinbar gewesen seien (BAMF 30.6.2024, S. 7; vgl. Duvar 19.4.2024).
Zum Thema Versammlungsfreiheit siehe auch die (Unter-)Kapitel: Folter und unmenschliche Behandlung, Relevante Bevölkerungsgruppen / Frauen sowie Relevante Bevölkerungsgruppen / Sexuelle Minderheiten (LGBTIQ+) und Ethnische Minderheiten / Kurden
VEREINIGUNGSFREIHEIT
Das Gesetz sieht zwar die Vereinigungsfreiheit vor, doch die Regierung schränkt dieses Recht weiterhin ein. Die Regierung nutzt Bestimmungen des Anti-Terror-Gesetzes, um die Wiedereröffnung von Vereinen und Stiftungen zu verhindern, die sie zuvor wegen angeblicher Bedrohung der nationalen Sicherheit geschlossen hatte. Vertreter von Anwaltskammern und Organisationen der Zivilgesellschaft berichten, dass die Polizei manchmal an Vereinstreffen teilnimmt und diese aufzeichnet, was die Vertreter der Vereinigungen als einen Versuch sie einzuschüchtern interpretieren (USDOS 22.4.2024, S. 40).
Die Verordnung von 2018 und das geänderte Gesetz, das im März 2020 im Rahmen eines Omnibus-Gesetzes verabschiedet wurde, machen es für alle Vereinigungen zur Pflicht, alle ihre Mitglieder und nicht nur ihre Vorstandsmitglieder im Informationssystem des Innenministeriums zu registrieren. Diese gesetzliche Verpflichtung steht nicht im Einklang mit den Richtlinien der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und des Europarates hinsichtlich der Vereinigungsfreiheit (EC 6.10.2020, S. 15). Diese Gesetzesänderung verpflichtet die Vereine, die lokalen Verwaltungsbehörden innerhalb von 30 Tagen über Änderungen in der Mitgliedschaft zu informieren, sonst drohen Strafen (USDOS 30.3.2021, S. 44). Auch der UN-Menschenrechtsausschuss zeigte sich "besorgt über die Bestimmungen des Gesetzes Nr. 7262, die dem Innenministerium einen weiten Ermessensspielraum einräumen, um die Aktivitäten unabhängiger Organisationen einzuschränken, sie auf der Grundlage vager Risikobewertungskriterien und schwacher Beweisstandards zu prüfen und Vorstandsmitglieder zu suspendieren, was eine abschreckende Wirkung hat, die Einzelpersonen davon abhält, in Vorständen mitzuarbeiten oder Mitglieder dieser Organisationen zu werden" [Übersetzung des englischen Originalzitates] (UNHRCOM 28.11.2024, S. 14).
Gesetze und Verordnungen erlegen Vereinigungen zahlreiche administrative Anforderungen auf. Komplexe Bestimmungen, die unterschiedlich ausgelegt werden können und über verschiedene Rechtsvorschriften verstreut sind, sowie der Mangel an Fachleuten, die sich mit diesem Bereich befassen, führen dazu, dass Vereinigungen in ihrem Bemühen um die Einhaltung der Gesetze in einem Zustand der Unsicherheit verharren. Die Vereinigungen unterliegen der Prüfung durch mehrere Behörden, darunter das Finanzamt, die Nationale Bildungsdirektion, die zuständigen Gouvernements sowie die Direktion für Zivilgesellschaft, zuständig für Vereinigungen im Innenministerium sowie die Generaldirektion für Stiftungen im Kulturministerium (FIDH/OMCT/İHD/HRA 5.2021, S. 26).
Laut Abschlussbericht der Berufungskommission zum Ausnahmezustand [türk. OHAL] betrafen mit Jahresende 2022 von 17.960 aller positiven Entscheidungen der Kommission 72 die Wiedereröffnung geschlossener Institutionen, wie Vereinigungen und Stiftungen (ICSEM 1.2023, S. 9/ Tab, 26). Berufungsverfahren von Einrichtungen, die Rechtsmittel gegen die Schließung einlegten, verliefen intransparent und blieben unwirksam (USDOS 20.3.2023, S. 54). Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen zeigte sich ob dieser Entwicklungen besorgt, dass nämlich die große Mehrheit der Organisationen geschlossen bliebt, deren "Schließung auf der Grundlage vager, in Notstandsverordnungen festgelegter Kriterien und ohne wirksame richterliche Aufsicht oder die Einhaltung der Garantien für ein ordnungsgemäßes Verfahren erfolgten" (UNHRCOM 28.11.2024, S. 14).
Streikrecht und gewerkschaftliche Aktivitäten
Gewerkschaftsaktivitäten, einschließlich des Streikrechts, sind gesetzlich und in der Praxis eingeschränkt. Gewerkschaftsfeindliche Aktivitäten der Arbeitgeber sind weit verbreitet, und der gesetzliche Schutz wird nur unzureichend durchgesetzt. Kollektivverhandlungsrechte der Gewerkschaften sind eingeschränkt. Ein System von Schwellenwerten [Anm.: hinsichtlich der Mitgliederzahl] schränkt die Möglichkeiten der Gewerkschaften ein, sich das Recht auf Tarifverhandlungen zu sichern. Gewerkschaften und Berufsverbände sind mit staatlichen Eingriffen und Repressalien für Aktivitäten konfrontiert, die als feindlich gegenüber den Interessen der politischen Führung angesehen werden (FH 26.2.2025, E3; vgl. ITUC-IGB o.D.), wie etwa bei der Auflösung eines Streiks im Jahr 2018 ersichtlich, mit dem gegen unsichere Arbeitsbedingungen auf der Baustelle des neuen Istanbuler Flughafens protestiert wurde (FH 10.3.2023, E3).
Laut dem Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) sind die Freiheiten und Rechte erwerbstätiger Menschen in der Türkei seit Jahren gnadenlos angegriffen worden. Gewerkschaften und ihre Mitglieder wurden systematisch ins Visier genommen, insbesondere durch die strafrechtliche Verfolgung aufgrund erfundener Anschuldigungen. Arbeitgeber haben weiterhin Gewerkschaften zerschlagen und Beschäftigte, die versucht haben, sich gewerkschaftlich zu organisieren, systematisch entlassen. In einem Klima der Angst und unter permanenter Androhung von Vergeltungsmaßnahmen konnten die Beschäftigten sich nur mit großer Mühe zusammenschließen und Gewerkschaften gründen. Mitunter werden Gewerkschaftsvertreter physisch angegriffen oder wegen Terrorismusunterstützung angeklagt. Der IGB bezeichnet die Türkei als eines der zehn schlimmsten Länder der Welt für erwerbstätige Menschen (ITUC-IGB 2024).
Das Gesetz erlaubt es der Regierung, das Streikrecht in jeder Situation zu untersagen, wenn eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit oder die nationale Sicherheit darstellt. Das Gesetz verlangt von den Gewerkschaften zudem, dass sie ihre Versammlungen oder Kundgebungen, die in offiziell ausgewiesenen Bereichen stattfinden müssen, bei der Regierung anmelden, und erlaubt es Regierungsvertretern, Gewerkschaftsversammlungen beizuwohnen und deren Verlauf aufzuzeichnen (USDOS 22.4.2024, S. 82).
Laut Gesetz müssen Personen, die eine Vereinigung organisieren, die Behörden nicht vorher benachrichtigen, aber eine Vereinigung muss die Behörden verständigen, bevor sie mit internationalen Organisationen in Kontakt tritt oder finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhält, und sie muss detaillierte Dokumente über solche Aktivitäten vorlegen (USDOS 22.4.2024, S. 40).
Siehe auch Kapitel: Nichtregierungsorganisationen (NGOs).
Quellen
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REU - Reuters (1.5.2024): Turkish police detain 217 May Day protesters in Istanbul, minister says, https://www.reuters.com/world/middle-east/turkish-police-fire-tear-gas-detain-dozens-may-day-protesters-istanbul-2024-05-01, Zugriff 20.6.2024 [Login erforderlich]
Spiegel - Spiegel, Der (8.3.2023): Türkische Polizei setzt Pfefferspray gegen Frauentagsdemo ein, https://www.spiegel.de/ausland/tuerkei-polizei-setzt-pfefferspray-gegen-frauentags-demo-ein-a-8915f2b9-df31-478c-a8fd-5b63ee3c54a6, Zugriff 20.2.2024
SRF - Schweizer Radio und Fernsehen (23.3.2025): Türkei: Klage gegen CHP-Chef Özel wegen Präsidentenbeleidigung, https://www.srf.ch/news/international/politische-krise-in-der-tuerkei-klage-gegen-chp-chef-oezel-wegen-praesidentenbeleidigung, Zugriff 9.4.2025
Stern - Stern (1.5.2024): Mehr als 200 Festnahmen bei Mai-Demonstrationen in Istanbul, https://www.stern.de/news/mehr-als-200-festnahmen-bei-mai-demonstrationen-in-istanbul-34676362.html, Zugriff 20.6.2024
SWI - Swissinfo (2.5.2024): Polizei verhindert mit Tränengas Mai-Marsch in Istanbul Festnahmen, https://www.swissinfo.ch/ger/polizei-verhindert-mit-tränengas-mai-marsch-in-istanbul-festnahmen/76775949, Zugriff 20.6.2024
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WOZ - Die Wochenzeitung (1.4.2025): Türkei: Journalist:innen im Visier, https://www.woz.ch/taeglich/2025/04/01/tuerkei-journalistinnen-im-visier, Zugriff 9.4.2025
Zeit Online - Zeit Online (8.4.2025): Türkei: Mehr als 800 Menschen nach Protesten für Ekrem İmamoğlu angeklagt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2025-04/tuerkei-proteste-ekrem-imamoglu-anklage-protestierende, Zugriff 9.4.2025
Zeit Online - Zeit Online (25.6.2023): Türkei: Polizei nimmt in Istanbul Teilnehmer von Pride-Parade fest, https://www.zeit.de/gesellschaft/2023-06/tuerkei-istanbul-pride-festnahmen, Zugriff 20.2.2024
Opposition
Der politische Pluralismus wird weiterhin dadurch untergraben, dass die Justiz gegen Oppositionsparteien und Parlamentsabgeordnete vorgeht (EC 30.10.2024, S. 19). Obwohl Verfassung und Gesetze den Bürgern die Möglichkeit bieten, ihre Regierung durch Wahlen zu wechseln, schränkt die Regierung den fairen politischen Wettbewerb ein. Unter anderem werden die Aktivitäten oppositioneller politischer Parteien und deren Anführer und Funktionäre limitiert. Dies geschieht zudem durch die Begrenzungen der grundlegenden Versammlungs- und Meinungsfreiheit, aber auch durch Verhaftungen. Mehrere Parlamentarier sind nach der Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität im Jahr 2016 weiterhin der Gefahr einer möglichen Strafverfolgung ausgesetzt (USDOS 22.4.2024, S. 55). Anfang Juli 2025 drohten den Vorsitzenden von drei der fünf größten Parteien im Parlament – politischen Gegnern der AKP-Regierung – eine Haftstrafe (YR 3.7.2025).
Bereits im März 2025 verlautbarte der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates angesichts der Verhaftungen bzw. Absetzungen mehrerer demokratisch gewählter Bürgermeister eine Deklaration, dass diese "der lokalen Demokratie weiteren Schaden zufügen und dass das Land derzeit von demokratischen Normen und Standards abweicht.[...] Es besteht kein Zweifel daran, dass diese Ereignisse letztendlich darauf abzielen, den Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken, die den Kern des Konzepts einer demokratischen Gesellschaft bildet" (CoE-CLRA 27.3.2025, Pt. 8). Im Mai 2025 verurteilte das Europäische Parlament aufs Schärfste die demokratisch gewählten Bürgermeister ihrer Ämter zu entheben und an ihrer Stelle vom Innenministerium ernannte Treuhänder einzusetzen und "fordert[e] die HR/VP erneut auf, die Verhängung restriktiver Maßnahmen gegen türkische Amtsträger, die die Rolle eines Treuhänders übernehmen, sowie gegen diejenigen, die sie ernennen, zu erwägen" [HR/VP ist die Hohe Repräsentantin und Vizepräsidentin für die externen Beziehungen der EU, z. Z. Kaja Kallas](EP 7.5.2025, S. 22).
Während das Europäische Parlament (EP) im Juni 2022 und September angesichts der anhaltenden Übergriffe auf die Oppositionsparteien sich insbesondere über die Unterdrückung der pro-kurdischen HDP (Demokratische Partei der Völker - Halkların Demokratik Partisi) und das anhaltende harte Vorgehen gegen kurdische Politiker besorgt zeigte (EP 7.6.2022, S. 16f., Pt. 22; vgl. EP 13.9.2023, Pt. 13), lag in der Entschließung des EP vom Mai 2025 der Schwerpunkt der Kritik an den Repressionen gegenüber der Republikanischen Volkspartei - CHP, der größten Oppositionspartei des Landes. - Das EP "verurteilt[e] aufs Schärfste die kürzlich erfolgte Verhaftung und Absetzung des Bürgermeisters der Großstadtverwaltung Istanbul, Ekrem İmamoğlu, von der Partei CHP sowie der Bürgermeister von Şişli und Beylikdüzü [und] fordert[e] die türkischen Staatsorgane nachdrücklich auf, die Unterdrückung der politischen Opposition unverzüglich einzustellen und rückgängig zu machen" (EP 7.5.2025, Pt. 27,28).
Vorgehen gegen die CHP
Die CHP, derzeit größte Oppositionspartei, steht seit Monaten unter zunehmendem politischem und juristischem Druck (TA 1.7.2025). Im Rahmen der Ermittlungen gegen CHP-Gemeinden wurden zahlreiche CHP-Bürgermeister ihres Amtes enthoben. Dutzende weitere Beamte aus CHP-regierten Orten wurden inhaftiert und warten auf ihren Prozess (Zeit Online 11.6.2025; vgl. AP 5.6.2025). Und Anfang Juli 2025 wurde ein Antrag des Staatspräsidenten auf Aufhebung der parlamentarischen Immunität von 61 der 135 CHP-Abgeordneten im türkischen Parlament eingereicht (TM 7.7.2025a; vgl. Evrensel 7.7.2025).
Vorgehen gegen Ekrem İmamoğlu, Istanbuler Bürgermeister und Präsidentschaftskandidat
Schon Anfang November 2024 hatte Staatspräsident Erdoğan İmamoğlu wegen unbegründeter Anschuldigungen einschließlich Verleumdungen verklagt. Auch der CHP-Parteichef Özgür Özel wurde von Erdoğan wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt (VOA 1.11.2024; vgl. Duvar 3.11.2024, NTV 1.11.2024). İmamoğlu wurde überdies seitens des Büros des Generalstaatsanwalts vorgeworfen, er habe Beamte, die sich im mutmaßlichen Kampf gegen den Terrorismus befinden würden, ins Visier genommen und den Staatsanwalt bedroht (BAMF 27.1.2025, S. 12; vgl. SCF 20.1.2025a).
Am 23.3.2025 haben die Behörden den Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu suspendiert, nachdem ein Istanbuler Gericht seine formelle Verhaftung wegen Korruptionsvorwürfen anordnete. Das Gericht führte jedoch nicht die vermeintliche Unterstützung einer terroristischen Organisation als Grund für eine Festnahme an. Somit war formal die Einsetzung eines Treuhänders der Regierung rechtlich ausgeschlossen. Die Festnahme löste landesweite Massenproteste aus, dies trotz eines behördlichen Demonstrationsverbotes. Die Behörden hatten seit der Inhaftierung von İmamoğlu am 19.3.2025 etliche hundert Demonstranten in mehreren Provinzen festgenommen nebst Personen, die in den sozialen Medien aktiv waren. Einen Tag vor der Inhaftierung annullierte die Universität Istanbul İmamoğlus Hochschulabschluss. Ein gültiger Hochschulabschluss ist in der Türkei eine verfassungsrechtliche Voraussetzung für Präsidentschaftskandidaten. Das Innenministerium gab bekannt, dass nebst İmamoğlu auch zwei weitere Istanbuler Bezirksbürgermeister suspendiert wurden (AlMon 23.3.2025; vgl. Standard 23.3.2025, FAZ 19.3.2025, Soufan 27.3.2025). - Der Bürgermeister von Beylikdüzü, Mehmet Murat Çalık, wurde wegen der Korruptionsvorwürfe in einem anhängigen Verfahren suspendiert und in Folge inhaftiert, während anstelle des Bürgermeisters von Şişli, Resul Emrah Şahan, der im Zusammenhang mit Terrorismusvorwürfen verhaftet wurde, ein Treuhänder ernannt wurde (Bianet 23.3.2025; vgl. HDN 23.3.2025). Überdies wurden gegen über 100 Personen, darunter städtische Beamte, Ermittlungen wegen Terrorismus einerseits und Korruption, Bestechung, Erpressung sowie Veruntreuung andererseits eingeleitet (Bianet 23.3.2025). Die Anschuldigungen im Zusammenhang mit Terrorismus gehen auf die Zusammenarbeit der CHP mit der "Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker" - der DEM-Partei bei den Kommunalwahlen im Jahr 2024 zurück. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen zu dieser Zusammenarbeit ein und behauptete, dass sie von der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) organisiert worden sei. Als Grundlage für die Anschuldigungen führte die Staatsanwaltschaft Aussagen von PKK-Führern aus der Wahlperiode an, in denen die DEM-Partei zur Zusammenarbeit mit der Opposition ermutigt wurde (Bianet 21.3.2025). Verhaftet wurden auch mehrere Journalisten, darunter ausländische, sowohl bei den Demonstrationen vor Ort als auch bei Razzien an deren Wohnadressen (Bianet 24.3.2025; vgl. SZ 25.3.2025, Soufan 27.3.2025, Monde 28.3.2025).
Am 26.3.2025 wählte der von der CHP dominierte Stadtrat von Istanbul Nuri Aslan zum Interims-Bürgermeister. Nur 176 der 185 CHP-Mandatare konnten abstimmen, da sich die neun restlichen in Untersuchungshaft befanden (TM 26.3.2025; vgl. AJ 26.3.2025). Am 14.4.2025 lehnte das Istanbuler Strafgericht die Haftentlassung İmamoğlus ab (DlF 14.4.2025; vgl. AP 14.4.2025). 100 Tage nach der Verhaftung İmamoğlus haben Zehntausende seiner Unterstützer gegen die türkische Regierung demonstriert und diese zum Rücktritt aufgefordert (Tagesschau 1.7.2025; vgl. BIRN 2.7.2025). 42 Personen wurden festgenommen. Ihnen wurden Beleidigung von Staatspräsident Erdoğan und Widerstand gegen die Sicherheitskräfte vorgeworfen (Standard 2.7.2025; vgl. BIRN 2.7.2025).
Vorgehen gegen Özgür Özel, CHP-Parteivorsitzender
Im April 2025 wurde gegen Özel eine Klage wegen Präsidentenbeleidigung mit einer Schadenersatzforderung von 12.000 Euro eingebracht, weil Özel angeblich Staatspräsident Erdoğan als "Junta-Chef" bezeichnet hatte (HB 8.4.2025). Anfang Juli wurden dem Parlament Präsidialdekrete übermittelt, um die parlamentarische Immunität von Özel und dem CHP-Abgeordneten Tuncay Özkan aus İzmir aufzuheben und sie vor Gericht zu stellen. Der Grund dafür ist ihre Anschuldigung gegen Mitglieder des Kassationsgerichts, einen Putsch gegen das Verfassungsgericht im Fall von Can Atalay inszeniert zu haben, was der Beleidigung von Amtsträgern gleichkommt. Nach dem Strafgesetzbuch wird diese Straftat mit einer Freiheitsstrafe von einem bis zu zwei Jahren geahndet (YR 3.7.2025; vgl. FAZ 3.7.2025). Anfang Juli 2025 erfolgten neuerliche Ermittlungen wegen Präsidentenbeleidigung seitens der Generalstaatsanwaltschaft. Die Vorwürfe beziehen sich auf Äußerungen des CHP-Chefs bei einer Pressekonferenz am 5.7.2025. Özel habe dabei nicht nur Staatspräsident Erdoğan beleidigt, sondern auch Drohungen gegen Entscheidungsträger in Behörden ausgestoßen (Standard 7.7.2025; vgl. TM 7.7.2025c).
Die CHP als Ganzes betreffen die im Februar 2025 aufgenommenen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Ankara wegen des Vorwurfs des Stimmenkaufs am CHP-Parteitag, auf dem Ögür Özel Kemal Kılıçdaroğlu besiegte (DS 30.6.2025). CHP-Chef Özel wird beschuldigt, Delegierte beim Parteitag im Herbst 2023 mit Geld bestochen zu haben, damit sie für ihn stimmen. Die Staatsanwaltschaft fordert ein bis drei Jahre Haft sowie ein Politikverbot für Özel. Zudem droht der Partei eine Zwangsverwaltung oder aber die Rückkehr ihres vorherigen Vorsitzenden Kemal Kılıçdaroğlu (RND 2.7.2025; vgl. SRF 30.6.2025, DS 30.6.2025).
Verfolgung von lokalen CHP-Amtsträgern
2024: Die Generalstaatsanwaltschaft in Istanbul gab am 30.10.2024 die Verhaftung des CHP-Bürgermeisters der Istanbuler Gemeinde Esenyurt, Ahmet Özer, bekannt. Die Staatsanwaltschaft führte Telefonaufzeichnungen, Überwachungen und Finanzdaten als Beweis für Özers "intensive und anhaltende organische Verbindungen" mit der PKK an. In einer Erklärung hieß es außerdem, Özer habe in den letzten zehn Jahren mehrfach mit Remzi Kartal, dem Ko-Vorsitzenden der PKK-nahen Organisation KONGRA-GEL, gesprochen und sei an Diskussionen über das "demokratische Autonomieprojekt" der PKK beteiligt gewesen. Der stellvertretende Gouverneur von Istanbul, Can Aksoy, wurde als Treuhänder von Esenyurt ernannt. (HDN 31.10.2024; vgl. Evrensel 31.10.2024, Bianet 31.10.2024). Danach wurden auch alle bis auf einen gewählten Gemeinderat durch Treuhänder in Form von Beamten des Gouverneuramtes ersetzt (Duvar 5.11.2024; vgl. Haberler 4.11.2024). Am 6.11.2024 wies das 11. Strafgericht erster Instanz in Istanbul die Berufung zur Enthaftung Ahmet Özers zurück (Duvar 7.11.2024).
Im November 2024 wurde der CHP-Bürgermeister von Ovacık (in der Provinz Tunceli/Dersim), Mustafa Sarıgül, wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der einer terroristischen Organisation zu sechs Jahren und drei Monaten verurteilt (Duvar 21.11.2024; vgl. ANF 20.11.2024a, Cumhuriyet 20.11.2024, Rudaw 22.11.2024).
2025: Die Behörden haben am 13.1.2025 Jänner den CHP-Bürgermeister des Istanbuler Bezirks Beşiktaş, Rıza Akpolat, festgenommen. In Istanbul wurde eine strafrechtliche Untersuchung gegen ein Verbrechersyndikat eingeleitet, dem vorgeworfen wird, Bürgermeister und hochrangige Kommunalbeamte bestochen zu haben, um Ausschreibungsverfahren zu manipulieren und sicherzustellen, sodass Aufträge an ihre eigenen Unternehmen vergeben werden (Duvar 14.1.2025; vgl. Spiegel 13.1.2025, BIRN 13.1.2025). Anfang März 2025 wurde der CHP-Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Beykoz, Alaattin Köseler, inhaftiert und abgesetzt. Laut Innenministerium werde Köseler Einflussnahme auf Ausschreibungen vorgeworfen (FR 4.3.2025; vgl. HDN 4.3.2025). Mitte April wurden elf städtische Beamte im von der CHP regierten Istanbuler Stadtteil Beşiktaş wegen mutmaßlicher Angebotsabsprachen zugunsten krimineller Netzwerke festgenommen, darunter auch der stellvertretende Bürgermeister von Beşiktaş, Ali Rıza Yılmaz (TM 17.4.2025; vgl. TR-Today 17.4.2025).
Nachdem am 26.4.2025 die Behörden Haftbefehle gegen 53 Personen im Rahmen der Korruptionsermittlungen erlassen hatten, wurden unmittelbar danach bei Razzien in Istanbul, Ankara und der nordwestlichen Provinz Tekirdağ 52 Personen verhaftet, darunter Mitarbeiter und Funktionäre der CHP-geführten Istanbuler Stadtverwaltung (AlMon 28.4.2025; vgl. Zeit Online 26.4.2025, Spiegel 27.4.2025). Zur gleichen Zeit hat die Staatsanwaltschaft in Istanbul 25, im März 2025 festgenommene, ehemalige und amtierende städtische Beamte aus vier von der CHP geführten Gemeinden (Ataşehir, Maltepe, Sarıyer und Şişli) wegen Terrorismusfinanzierung angeklagt, weil sie zwischen 2014 und 2016 die Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front (DHKP/C) finanziell unterstützt hätten. Den Angeklagten drohten Haftstrafen zwischen sieben und 15 Jahren. Zu den Angeklagten gehören der ehemalige Bürgermeister von Sarıyer, Şükrü Genç, der ehemalige Bürgermeister von Şişli, Hayri İnönü, der ehemalige stellvertretende Bürgermeister von Ataşehir, Abdullah Der, sowie die ehemaligen stellvertretenden Bürgermeister von Şişli, Emir Sarıgül und Erdoğan Yıldız (TM 28.4.2025; vgl. Hürriyet 29.4.2025).
Anfang Juni 2025 enthob das Innenministerium fünf CHP-Bürgermeister ihres Amtes, nachdem im Rahmen von Korruptionsermittlungen Haftbefehle gegen sie erlassen wurden. Betroffen waren die Bürgermeister der Istanbuler Bezirke Avcilar, Büyükçekmece, Gaziosmanpaşa sowie die Bezirksbürgermeister von Ceyhan und Seyhan aus der südlichen Provinz Adana (L'essentiel 5.6.2025; vgl. AP 5.6.2025, Zeit Online 11.6.2025).
Bei einem groß angelegten Einsatz gegen die CHP geführte Stadtverwaltung von Izmir wurden Anfang Juli 2025 126 Personen festgenommen, darunter der ehemalige Oberbürgermeister Tunç Soyer sowie der CHP-Provinzvorsitzende Şenol Aslanoğlu. Insgesamt wurden 157 Haftbefehle im Rahmen von Korruptionsermittlungen der Staatsanwaltschaft Izmir angeordnet (TA 1.7.2025; vgl. HDN 1.7.2025, Standard 1.7.2025a). Und am 5. Juli sind drei weitere CHP-Bürgermeister festgenommen worden. Der Bürgermeister von Antalya, Muhittin Böcek, kam wegen Korruptionsermittlungen in Gewahrsam. Die Bürgermeister der südtürkischen Großstädte Adana, Zeydan Karalar, und Adıyaman, Abdurrahman Tutdere, sind wegen des Vorwurfs der Erpressung festgenommen worden, teilte die Generalstaatsanwaltschaft in Istanbul mit (DW 5.7.2025; vgl. FAZ 5.7.2025, MEE 5.7.2025).
Vorgehen gegen die DEM-Partei und ihre Vorgängerin HDP
Angesichts des Wiederaufflammens des Konflikts mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) begannen 2016 Staatspräsident Erdoğan und seine Regierung der Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) vermehrt die HDP zu bezichtigen, der verlängerte Arm der PKK zu sein, die in der Türkei als Terrororganisation gilt (NZZ 7.1.2016). Beispielsweise bezeichnete Erdoğan im November 2020 den inhaftierten Ex-Ko-Vorsitzenden, Selahattin Demirtaş, als Terroristen (TM 25.11.2020) und Anfang November 2021 als Marionette der PKK (Ahval 6.11.2021). Der damalige Innenminister Süleyman Soylu bezichtigte die HDP, dass sie ihre Parteibüros als Rekrutierungsstellen für die PKK nütze und mit dieser in stetem Kontakt stünde (DS 30.12.2019). Dazu beigetragen hat, dass sich Vertreter der HDP sowohl gegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte in den Kurdenregionen der Türkei als auch gegen die ersten militärischen Interventionen in Syrien geäußert hatten. Die Behörden leiteten infolgedessen Ermittlungen gegen HDP-Politiker ein und begannen, diese systematisch aus ihren politischen Ämtern zu entfernen (MEI/Koontz 3.2.2020).
Regierungsnahe Medien, wie beispielsweise die Tageszeitung "Daily Sabah" oder das staatliche Fernsehen TRT haben, auch unter Berufung auf Regierungsvertreter, die HDP und ihre gewählten Vertreter als Unterstützer der PKK und terroristischer Aktivitäten dargestellt. Daily Sabah verwendete durchgehend die Bezeichnung "pro-PKK HDP" (DS 3.4.2023; vgl. TRT 25.1.2018). Auch die Grüne Linkspartei (YSP) und die DEM-Partei als Nachfolgerin der HDP wurden als "pro-PKK" dargestellt (DS 3.4.2024; vgl. DS 5.11.2024).
[Anmerkung: Allerdings verschwanden diese Attribute im Zuge der (indirekten) Gespräche zwischen der türkischen Regierung und der PKK, insbesondere der Person Abdullah Öcalans, die durch Vertreter der DEM-Partei vermittelt wurden, welche letztendlich in der Auslösung der PKK mündeten.]
Mehr als 15.000 HDP-Mitglieder wurden seit 2015 inhaftiert und etwa 5.000 befinden sich noch immer in Haft (Medya 3.7.2022; vgl. EC 8.11.2023, S. 14, AA 20.5.2024, S. 7), gemäß dem jüngsten Bericht der Europäischen Kommission sogar 8.000 (EC 30.10.2024, S. 19). Eine Quelle des niederländischen Außenministeriums schätzt die Zahl der Inhaftierten nunmehrigen DEM-Partei-Mitglieder ebenfalls auf 7.000 bis 8.000. Anfang Jänner 2025 hatte die DEM-Partei 14.741 Mitglieder. Dies würde bedeuten, dass etwa 47 - 54 % der DEM-Mitglieder inhaftiert waren (MBZ 2.2025a, S. 63).
Razzien in DEM-Partei-Büros
Die Behörden gehen mitunter auch gegen die Einrichtungen DEM-Partei vor. - So wurde am 24.4.2024 im Provinzbüro der DEM-Partei in Batman eine Polizeirazzia durchgeführt. Bei der etwa vierstündigen Durchsuchung sollen Dokumente und Fotos einiger getöteter PKK-Kämpfer beschlagnahmt worden sein (BAMF 29.4.2024; vgl. Bianet 24.4.2024). In den frühen Morgenstunden des 18.11.2024 stürmte die Polizei das Bezirksbüro der DEM-Partei im Istanbuler Stadtteil Esenyurt. Medienberichten zufolge drangen die Beamten gewaltsam für mehrere Stunden in das Gebäude ein und beschlagnahmte einige Bücher und Fotografien. Nach der Razzia wurden die Ko-Vorsitzenden der DEM-Partei im Bezirk, Rojda Yılmaz und Abdullah Arınan, zur Polizei in Istanbul vorgeladen, um Aussagen zu tätigen (Bianet 18.11.2024; vgl. DW 18.11.2024, Duvar 19.11.2024, Hürriyet 18.11.2024). Danach wurden die beiden festgenommen. Die Behörden erklärten, die Festnahmen seien Teil der von der Istanbuler Generalstaatsanwaltschaft geführten Ermittlungen zur Aufdeckung von Aktivitäten der PKK (Duvar 19.11.2024; vgl. Mezopotamya 19.11.2024, DW 18.11.2024, Hürriyet 18.11.2024). Regierungsfreundliche Medien zitierten das Ermittlungsbüro für terroristische Straftaten der Generalstaatsanwaltschaft Istanbul, wonach im Büro der DEM-Partei eine Gedenkveranstaltung für die 1995 "neutralisierte" PKK-Terroristin Gülşen Atalmış stattfand und dass PKK-Fotos ausgetauscht wurden (Hürriyet 18.11.2024; vgl. DW 18.11.2024).
Siehe auch die Kapitel: Haftbedingungen, Ethnische Minderheiten / Kurden und Politische Lage.
Vorgehen gegen einfache HDP- und DEM-Partei-Mitglieder und deren Familienangehörige
Eine Mitgliedschaft in der HDP allein ist kein Grund für die Einleitung strafrechtlicher Maßnahmen. Die Aufnahme von strafrechtlichen Ermittlungen ist immer einzelfallabhängig (AA 20.5.2024, S. 7; vgl. MBZ 2.3.2022, S. 47). Faktoren, die zu negativer Aufmerksamkeit seitens der türkischen Behörden führen können, haben sich nicht geändert und gelten dementsprechend nach der Umbenennung der HDP auch für die DEM-Parteimitglieder und -Unterstützer: Posten, Teilen und Liken von DEM-freundlichen Beiträgen in sozialen Medien; Teilnahme an Demonstrationen (z. B. gegen die Einsetzung von Treuhändern); Abgabe von oder Teilnahme an Presseerklärungen; das Senden von Geld an inhaftierte Familienmitglieder (Letzteres kann als finanzielle Unterstützung der PKK angesehen werden). Die Liste kann keineswegs als erschöpfend angesehen werden. Die Anti-Terror-Gesetzgebung ist weit gefasst und vage formuliert, sodass die Behörden eine Vielzahl von Umständen und Aktivitäten heranziehen können, um ein DEM-Mitglied oder einen Unterstützer ins Visier zu nehmen (MBZ 2.2025a, S. 64f.).
Auch nach Umbenennung der HDP bleibt die Situation für Angehörige von nunmehrigen DEM-Mitgliedern unverändert. So kommt es beispielsweise vor, dass Angehörige eines DEM-Mitglieds keine staatliche Stelle bekommen. Wenn sie einem inhaftierten Verwandten, der DEM-Mitglied war, Geld schickten, laufen sie Gefahr, selbst wegen finanzieller Unterstützung der PKK strafrechtlich verfolgt zu werden. Familienangehörige von DEM-Mitgliedern können von der Polizei oder den Sicherheitskräften verfolgt, festgenommen und/oder verhört werden. Es kommt auch vor, dass Verwandte von DEM-Mitgliedern unter Druck gesetzt werden, gegen andere DEM-Mitglieder auf freiem Fuß auszusagen. Darüber hinaus kommt es vor, dass Einzelpersonen Stipendien, Darlehen, Krankenversicherungen oder Sozialleistungen verweigert wurden, weil ein Familienmitglied DEM-Mitglied war. Die genannten Formen der Repression werden hauptsächlich gegen Eltern, Ehepartner, Geschwister und Kinder von DEM-Mitgliedern eingesetzt. Unklar bleibt, in welchem Umfang diese Praktiken stattfinden und welche Familienmitglieder unter welchen Umständen ins Visier der Behörden geraten (MBZ 2.2025a, S. 65).
Behördliches Vorgehen gegen Parlamentarier insbesondere der HDP
Die Justiz ist systematisch gegen Mitglieder der Oppositionsparteien im Parlament, insbesondere der HDP, wegen angeblicher terroristischer Straftaten vorgegangen. Die ehemaligen Ko-Parteivorsitzenden Demirtaş und Yüksekdağ sind weiterhin inhaftiert [Stand: Anfang Juli 2025]; sie besitzen keinen Abgeordnetenstatus mehr (ÖB Ankara 28.12.2023, S. 48). Im Mai 2024 wurden mehrere ehemalige HDP-Abgeordnete und die beiden ehemaligen Ko-Vorsitzenden (Demirtaş und Yüksekdağ) der Partei zu langen Haftstrafen verurteilt, obwohl der EGMR ihre sofortige Freilassung angeordnet hatte (EC 30.10.2024, S. 19).
Seit der Verfassungsänderung vom 20.5.2016, welche die vollständige Aufhebung der parlamentarischen Immunität von Abgeordneten ermöglichte, wurden mehr als 600 Anklagen gegen Parlamentarier der HDP erhoben. Anklagen erfolgten wegen terrorismusbezogener Taten, Verleumdung des Präsidenten, der Regierung oder des Staates. Seit 2018 wurden mehr als 30 Parlamentarierinnen und Parlamentarier zu Freiheitsstrafen verurteilt. Mindest 15 HDP-Abgeordnete hatten ihr Mandat verloren (IPU 9.4.2025, S. 2). Die Anzahl der Inhaftierten hat sich durch Entlassungen verringert. - Mitte Oktober 2022 wurde Gülser Yıldırım entlassen. Sie war am 4.11.2016 verhaftet und wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" zu siebeneinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Gemäß Gesetz (Nr. 7242) hätte sie nach Zwei-Drittel der Strafverbüßung entlassen werden sollen, doch wurde sie erst vier Monate später enthaftet (Bianet 18.10.2022). Anfang April 2023 wurde der ehemalige HDP-Abgeordnete İdris Baluken nach fast sieben Jahren Haft wegen Terrorismus-Unterstützung freigelassen (Duvar 5.4.2023; vgl. NTV 5.4.2023). Andererseits verurteilte das Gericht in Diyarbakır im Oktober 2022 die ehemalige Parlamentarierin, Leyla Güven, die bereits 2018 festgenommen und 2020 nach Entzug ihrer parlamentarischen Immunität verurteilt wurde, zu elf Jahren und sieben Monaten Gefängnis wegen terroristischer Propaganda für die PKK in einem halben Dutzend Reden, die sie als Abgeordnete der HDP zwischen 2015 und 2019 gehalten hatte. In Summe büßt die 58-Jährige eine 22-jährige Gefängnisstrafe wegen zweier getrennter Delikte ab (Ahval 17.10.2022).
Sechs ehemalige Parlamentarier haben sich im Frühjahr 2025 noch in Haft befunden, darunter die ehemaligen HDP-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ sowie Leyla Güven, Semra Güzel, Nazmi Gür und Can Atalay [Anm.: von der Arbeiterpartei der Türkei - Türkiye İşçi Partisi - TİP] (IPU 9.4.2025, S. 2).
Seit 2015 bis Ende 2022 sollen laut Eigenangaben der HDP mindestens 340 physische Angriffe auf Gebäude, Stände, Kundgebungen und Demonstrationen der HDP in den Provinzen und Bezirken sowie auf die für diese Veranstaltungen verantwortlichen Personen verübt worden sein (HDP 10.12.2022). HDP-Parlamentarier waren auch von physischen Übergriffen durch die Polizei nicht ausgenommen. - Am 9.10.2022 demonstrierten die HDP und einige Verbände in verschiedenen Provinzen gegen die Isolation des inhaftierten Führers der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Abdullah Öcalan. Die Demonstranten sahen sich mit harter Polizeigewalt konfrontiert, wobei es zu mehreren Festnahmen kam und dem Abgeordneten Habip Eksik hierbei ein Bein gebrochen wurde (Duvar 10.10.2022; vgl. Ahval 10.10.2022).
Lokale Ebene: behördliches Vorgehen insbesondere gegen Mandatare der HDP und der DEM-Partei
Die Regierung suspendierte demokratisch gewählte Bürgermeister, basierend auf deren angeblicher Zugehörigkeit zu terroristischen Gruppen. Diese wurden durch staatliche "Treuhänder" ersetzt. Dieses Vorgehen richtete sich in der Vergangenheit am häufigsten gegen Politiker und Politikerinnen der HDP und ihrer lokalen Schwesterpartei, der Demokratischen Partei der Regionen (DBP). Die Regierung suspendierte 81 % der HDP-Bürgermeister, die bei den Lokalwahlen 2019 gewählt worden waren (USDOS 20.3.2023, S. 73). 48 HDP-Bürgermeister waren seit den Lokalwahlen 2019 wegen angeblicher terrorismusbezogener Aktivitäten ihres Amtes enthoben worden (EC 8.11.2023, S. 15; vgl. USDOS 20.3.2023, S. 21). Von diesen 48 suspendierten Bürgermeistern wurden 39 in den Arrest verbracht (USDOS 20.3.2023, S. 21).
Der Bürgermeister von Diyarbakır, Selçuk Mızraklı, seit Oktober 2019 in Haft, wurde im Frühjahr 2020 zu neun Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt (BAMF 14.10.2024; vgl. Bianet 9.3.2020), ehe er Ende September 2021 vom Vorwurf der "Propaganda für eine Terrororganisation" freigesprochen wurde (Bianet 30.9.2021). Ein türkisches Gericht hat Mızraklı allerdings Ende November 2023 in einem Wiederaufnahmeverfahren wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung" zu neun Jahren, vier Monaten und 15 Tagen Haft verurteilt (Duvar 30.11.2023; vgl. EUTCC 30.11.2023). - Das Urteil wurde am 9.10.2024 vom Oberste Berufungsgericht bestätigt (BAMF 14.10.2024, S. 7f.). - Und am 26.1.2023 fand vor dem Schweren Strafgericht Nr. 2 in Hakkâri die letzte Verhandlung im Fall von Cihan Karaman, dem HDP-Bürgermeister von Hakkâri, der durch einen Treuhänder ersetzt wurde, statt. Das Gericht verurteilte Karaman wegen "Mitgliedschaft in einer illegalen Organisation" zu einer Haftstrafe von zehn Jahren und sechs Monaten (TİHV/HRFT 26.1.2023; vgl. Sabah 26.1.2023).
Seit den Lokalwahlen vom 31.3.2024 kam es zur Absetzung, Verurteilung und Ersetzung gewählter Bürgermeister, zumal aus den Reihen der pro-kurdischen DEM-Partei (Nachfolgerin der HDP), aber auch der CHP (Rudaw 22.11.2024). Es begann mit dem Bürgermeister von Hakkâri. Am 2.6.2024 führte die Polizei eine Razzia in der Stadtverwaltung von Hakkâri durch, wobei Bürgermeister Mehmet Sıddık Akış verhaftet und anschließend durch einen von der Regierung ernannten Treuhänder ersetzt wurde. Das Innenministerium beschuldigte Akış, eine hochrangige Position in der PKK innezuhaben. Trotz Demonstrationsverbotes durch das Büro des Gouverneurs kam es vor dem Gouverneursamt dennoch zu Sitzprotesten, an denen sich Abgeordnete der DEM-Partei und eine Delegation der Republikanischen Volkspartei (CHP) beteiligt hatten. Am 4. Juni kam es zu weiteren Protesten in Hakkâri, bei denen die Polizei mit Pfefferspray und Gummigeschossen eingriff. Auch in Istanbul, Ankara und Diyarbakir wurde gegen die Ernennung des Treuhänders in Hakkâri demonstriert (BAMF 10.6.2024, S. 9f.; vgl. Duvar 9.6.2024, Presse 5.6.2024). Ursprünglich wegen "Führung einer bewaffneten terroristischen Vereinigung" zu einer Haft von 19 1/2 Jahren verurteilt (BAMF 10.6.2024, S. 9f.), wurde Akış im November 2024 im Letzturteil zu insgesamt neun Jahren Haft verurteil - zu siebeneinhalb Jahren wegen "Begehung von Straftaten im Namen einer illegalen Organisation, ohne Mitglied dieser Organisation zu sein" und zu eineinhalb Jahren wegen "Widerstands gegen das Gesetz über Versammlungen und Demonstrationen" (5 Ocak 20.11.2024; vgl. ANF 20.11.2024b).
Die Regierung entließ Anfang November 2024 die DEM-Bürgermeister von zwei Großstädten, Ahmet Turk in Mardin und Gülistan Sonuk in Batman, und ersetzte sie durch Treuhänder. Mehmet Karayilan, DEM-Bürgermeister von Halfeti, einem Unterbezirk der Provinz Şanliurfa, wurde ebenfalls entlassen. Das Innenministerium begründete ihre Absetzung mit laufenden Terrorismusvorwürfen gegen sie. Turk ist eine führende Persönlichkeit der kurdischen Bewegung in der Türkei und ein starker Befürworter des Friedens zwischen dem Staat und der PKK. Er wurde bereits zweimal gewaltsam aus dem Amt entfernt (AlMon 4.11.2024; vgl. Duvar 4.11.2024a, DW 4.11.2024). Infolge kam es in allen drei betroffenen Gemeinden, aber beispielsweise auch in Van, zu Protesten, bei denen die Polizei gewaltsam eingriff und zahlreiche Demonstrierende festnahm (TM 4.11.2024; vgl. Duvar 4.11.2024b).
Das Innenministerium ersetzte am 29.11.2024 den Ko-Bürgermeister der Gemeinde Bahçesaray im Bezirk Van, Ayvaz Hazır, aus den Reihen der DEM-Partei durch einen Treuhänder. Laut Innenministerium geschah dies, weil der Bürgermeister zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde, da dieser "Verbrechen im Namen der bewaffneten Terrororganisation PKK/KCK begangen hätte, ohne Mitglied zu sein", und aufgrund einer laufenden Untersuchung des 2. Hohen Strafgerichtshofs von Van wegen "Propaganda für die bewaffnete Terrororganisation PKK/KCK" (Duvar 30.11.2024; vgl. Rudaw 29.11.2024).
Im November 2024 wurde der Ko-Bürgermeister von Tunceli/Dersim aus den Reihen der DEM-Partei, Cevdet Konak, wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation zu sechs Jahren und drei Monaten verurteilt (Rudaw 22.11.2024; vgl. Duvar 21.11.2024, ANF 20.11.2024a, Cumhuriyet 20.11.2024).
Auch das Jahr 2025 begann mit der Verhaftung bzw. Absetzung von Bürgermeistern aus den Reihen der DEM-Partei. - Am 10.1.2025 wurden Hosyar Sariyildiz und Nuriye Aslan, die Ko-Bürgermeister des Bezirks Akdeniz in der Provinz Mersin verhaftet. Hinzugesellten sich auch vier Mitglieder des Gemeinderats von der DEM-Partei. Sie wurden wegen "Propaganda für eine terroristische Organisation", "Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Organisation", "Verstößen gegen das Gesetz zur Verhinderung der Finanzierung des Terrorismus" und "Verstößen gegen das Gesetz über Versammlungen und Demonstrationen" festgenommen. Das Innenministerium entließ daraufhin die Ko-Bürgermeister und setzte einen Treuhänder anstatt ihrer ein (BIRN 10.1.2025; vgl. Duvar 10.1.2025). Ende Jänner wurde Sofya Alağaş, die Ko-Bürgermeisterin von Siirt aus den Reihen der DEM-Partei, aufgrund ihrer vormaligen Arbeit als Journalistin wegen "Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung", nämlich der PKK/KCK zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Als Treuhänder wurde vom Innenministerium der Gouverneur von Siirt, Kemal Kızılkaya, ernannt (AnA 29.1.2025; vgl. Duvar 28.1.2025, SZ 29.1.2025).
Abdullah Zeydan, ehemaliger HDP-Abgeordneter, einst nach fünf Jahren Haft infolge der Aufhebung der Verurteilung wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Verbreitung terroristischer Propaganda durch das Oberste Kassationsgericht entlassen (BAMF 10.1.2022, S. 15; vgl. Ahval 6.1.2022), wurde im Februar 2025 als Ko-Bürgermeister von Van aus den Reihen der DEM-Partei zu drei Jahren und neun Monaten Haft wegen Unterstützung und Propaganda für eine terroristische Organisation von einem Gericht in Diyarbakır verurteilt (Nach Zeydans überwältigendem Sieg bei den Gemeinderatswahlen 2024 entzog die Provinzwahlkommission auf Antrag des Justizministeriums Zeydan das Bürgermeistermandat und übertrug es dem Kandidaten der AKP) (Duvar 11.2.2025; vgl. DS 11.2.2025, Rudaw 11.2.2025, Medya 11.2.2025). Unmittelbar nach der Verurteilung kam es zu Massenprotesten in Van (Medya 11.2.2025; vgl. Rudaw 11.2.2025). Am 15.2.2025 ernannte das Innenministerium den Gouverneur von Van, Ozan Balcı, zum Treuhänder, was weitere Proteste hervorrief, bei denen 127 Personen festgenommen wurden, darunter vorübergehend auch der stellvertretenden Bürgermeister von Diyarbakır, Doğan Hatun (Duvar 16.2.2025; vgl. C8 16.2.2025).
Das Innenministerium ernannte am 24.2.2025 den Gouverneur des Bezirks Kağızman in der östlichen Provinz Kars zum Treuhänder der Gemeinde Kağızman, die von der DEM-Partei geführt wurde. In einer offiziellen Erklärung des Ministeriums hieß es, dass der Bürgermeister von Kağızman, Mehmet Alkan, vom 2. Hohen Strafgericht von Kars wegen "Mitgliedschaft in einer bewaffneten terroristischen Vereinigung" zu sechs Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt wurde, weshalb Alkan als Vorsichtsmaßnahme vom Dienst suspendiert wurde. Nach der Entscheidung des Ministeriums wurde das Rathaus unter starken Polizeischutz gestellt. Die Regierungsbehörden verhängten strenge Sicherheitsmaßnahmen und riegelten den Bezirk praktisch ab (Duvar 25.2.2025a; vgl. ANF 24.2.2025).
Der Kobanê-Massenprozess
Ende September 2020 hat der Generalstaatsanwalt von Ankara Haftbefehle gegen 82 Politiker der HDP ausgestellt und danach angekündigt, die Aufhebung der Immunität von sieben HDP-Abgeordneten zu beantragen. Die Generalstaatsanwaltschaft begründet die Festnahmen und das Vorgehen gegen die Abgeordneten mit den Protesten vom Oktober 2014, die sie rückwirkend, sechs Jahre nach den Ereignissen, als "Terrorakte" einstuft. Damals drohte die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), die umzingelte syrisch-kurdische Stadt Kobanê einzunehmen. Die HDP hatte dem türkischen Staat vorgeworfen, nichts zur Rettung von Kobanê zu unternehmen und den IS zu unterstützen, und rief daher zu Solidaritätskundgebungen auf. Vom 6. bis 8.10.2014 wurden bei blutigen Zusammenstößen rund 40 Menschen getötet (FAZ 27.9.2020; vgl. HRW 2.10.2020). Ein Gericht in Ankara bestätigte am 7.1.2021 die Anklage gegen 108 Personen, darunter gegen die inhaftierten ehemaligen HDP-Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ (für die dies eine erneute Anklage darstellte), im Zusammenhang mit den Kobanê-Protesten von 2014. Die Anklageschrift beschuldigt die 108 Personen des Mordes und der Untergrabung der Einheit und territorialen Integrität des Staates. Das geforderte Strafausmaß für die Angeklagten beträgt 38 Mal lebenslänglich für jeden von ihnen (Duvar 7.1.2021; vgl. SZ 7.1.2021). Am 12.4.2022 ordneten die Behörden die Verhaftung von weiteren 91 Personen im Zusammenhang mit den Kobanê-Protesten an, darunter auch HDP-Mitglieder. Sie wurden beschuldigt an der finanziellen Organisierung der Vorfälle beteiligt gewesen zu sein und den Familien von toten oder verletzten PKK-Mitgliedern finanzielle Unterstützung zukommen gelassen zu haben (BIRN 12.4.2022; vgl. USDOS 20.3.2023, S. 22).
Im Kobanê-Prozess sprach das Gericht am 16.5.2024 36 Urteile. Zwölf Personen wurden freigesprochen, doch 24 Angeklagte erhielten zum Teil sehr lange Haftstrafen. Bei 72 weiteren Personen stand das Urteil noch aus. Zu den Verurteilten zählte Selahattin Demirtaş. Er muss für 42 Jahre ins Gefängnis. Figen Yüksekdağ wurde zu 32 Jahren und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Der Bürgermeister der südosttürkischen Stadt Mardin, Ahmet Türk, der bei den Lokalwahlen im März 2024 wiedergewählt worden war, erhielt zehn Jahre (NZZ 17.5.2024; vgl. MLSA 18.5.2024, HRW 16.5.2024). Demirtaş wurde im Detail verurteilt zu: 20 Jahre wegen "Beihilfe zur Untergrabung der Einheit und Integrität des Staates", 4 1/2 Jahre wegen "Anstiftung zu einer Straftat" und 2 1/2 wegen einer Rede bei einer Newroz-Veranstaltung und zu weiteren sieben Strafen wegen "terroristischer Propaganda" bei verschiedenen Anlässen (Bianet 16.5.2024).
Die Inter-Parlamentarische Union zeigte sich 2025 "zutiefst besorgt über den Ausgang des Kobane-Prozesses, [und] ist der festen Überzeugung, dass diese Verurteilungen, darunter auch die von Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, offenbar weitgehend, wenn nicht sogar ausschließlich auf politischen Äußerungen und Vereinigungen beruhen und im Widerspruch zu den Urteilen und Rechtsnormen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stehen; ist der Ansicht, dass dieser Prozess ernsthafte Fragen hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz und der Nutzung des Strafrechtssystems zur Unterdrückung legitimer politischer Opposition aufwirft" [Zitat aus dem englischen Original] (IPU 9.4.2025).
Weiteres Urteil gegen Demirtaş
Am 19.7.2024 erhielt Demirtaş von einem Gericht in Mersin eine weitere Haftstrafe von 2 1/2 Jahren auferlegt, und zwar wegen "Öffentlicher Denunzierung der Regierung, der Justiz, des Militärs oder der Polizeiorganisation der Republik Türkei" und der "Anstiftung der Öffentlichkeit zu Hass und Feindseligkeit". Die Anklage gegen Demirtaş umfasste seine Äußerungen zwischen 2015 und 2017. Demzufolge beschuldigte Demirtaş Präsident Erdoğan und den damaligen Premierminister Davutoğlu, Organisationen wie an-Nusra, dem IS und Ahrar al-Sham materielle und moralische Hilfe, logistische Unterstützung, Waffen und Geld zur Verfügung gestellt zu haben und für die Vorfälle in der Türkei zwischen 2014 und 2016 verantwortlich zu sein (Duvar 20.7.2024; vgl. Rudaw 19.7.2024, Medya 21.7.2024).
Aktuelle Beispiele für Verhaftungen und Verurteilungen von HDP-Funktionären und einfachen HDP-Mitgliedern
Zu Beispielen vor dem Jahr 2023, bitte auf Vorgängerversionen der Länderinformationen zurückzugreifen.
Am Vorabend der Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden am 25.4.2023, je nach Quelle, bis zu 150 Personen, darunter Dutzende HDP-Mitglieder und hochrangige Funktionäre wie die stellvertretende Ko-Vorsitzende Özlem Gündüz, verhaftet. Doch gingen die Behörden auch gegen Anwälte und Zeitungs- sowie Agenturjournalisten vor. Nach HDP-Angaben wurden in 21 Provinzen Razzien im Rahmen einer Untersuchung der Staatsanwaltschaft Diyarbakır durchgeführt. Die Verhafteten wurden verdächtigt, die verbotene Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu finanzieren, z. B. aus dem Gemeindebudget, oder neue Mitglieder für diese anzuwerben (DW 25.4.2023; vgl. WZ 25.4.2023, HDP 25.4.2023, FAZ 25.4.2023). In einer Aussendung vom 5.5.2023 sprach die HDP davon, dass es am Vorabend zu den Parlamentswahlen innerhalb eines Monats zu mindestens 295 Festnahmen bzw. 61 Verhaftungen von HDP-Mitgliedern kam, darunter auch Funktionäre, wie des stellvertretenden HDP-Vorsitzenden der Provinz Urfa (bereits am 4.3.2023) oder des Ko-Vorsitzenden des Distrikts Gebze, inklusive vier seiner Parteimitarbeiter (HDP 5.5.2023).
Die Polizei führte am 10.10.2024 eine Razzia in der Zentrale der DEM-Partei in der östlichen Provinz Iğdır durch und verhaftete den Ko-Vorsitzenden Mehmet Selçuk und acht Parteimitglieder. Die Razzia war Teil der laufenden Ermittlungen zu einem Bombenanschlag im Jahr 2015, bei dem 13 Polizisten getötet wurden. In der südöstlichen Provinz Antep nahm die Polizei am 11.10.2024 den Ko-Vorsitzenden der DEM-Partei des Bezirks Şahinbey, Mustafa Tuç, den pro-kurdischen Ko-Vorsitzenden der Partei der Demokratischen Regionen (DBP) in der Provinz, Mehmet Özkan, und den Ko-Vorsitzenden der DBP Şahinbey, Müslüm Denizhan, fest und überstellt sie anschließend an die Anti-Terror-Abteilung in Antep (Duvar 11.10.2024).
Wegen des Vorwurfs mutmaßlicher Verbindungen zu Terrororganisationen sind Ende November 2024 231 Personen in 30 Provinzen im Zuge der Operation "Gürz-27" festgenommen worden, darunter Journalisten, Dichter, Schriftsteller (Standard 27.11.2024; vgl. Medya 27.11.2024, MLSA 27.11.2024), Menschenrechtsaktivisten, u. a. der Mitbegründer der türkischen Menschenrechtsvereinigung (İHD) Nimet Tanrıkulu, aber auch Gewerkschaftler und Politiker aus den Reihen der DEM-Partei (Medya 27.11.2024; vgl. SCF 26.11.2024).
Aktuelle Beispiele für Entscheidungen des Europäische Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) und des türkischen Verfassungsgerichts
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) entschied am 1.2.2022, dass die Türkei das Recht auf freie Meinungsäußerung von Abgeordneten der HDP verletzt hatte, indem sie deren parlamentarische Immunität vor Strafverfolgung aufgehoben hatte. Der Beschluss zur Aufhebung der parlamentarischen Immunität von 40 Abgeordneten der HDP (im Mai 2016), darunter die ehemaligen Ko-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş und Figen Yüksekdağ, verstößt laut EGMR gegen die türkische Verfassung (BIRN 1.2.2022; vgl. Evrensel 2.2.2022).
Am 22.3.2022 wies das Verfassungsgericht den Antrag der HDP-Abgeordneten Semra Güzel ab, die Aufhebung ihrer parlamentarischen Immunität wegen Terrorvorwürfen rückgängig zu machen. Güzel wurde wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in zwei Fällen angeklagt, nachdem Fotos in den Medien erschienen waren, auf denen sie mit einem PKK-Mitglied mutmaßlich in einem Lager der Gruppe posierte (BAMF 28.3.2022, S. 9; vgl. Ahval 24.3.2022). Anfang Oktober 2022 forderte die Staatsanwaltschaft 15 Jahre Haft für Güzel (HDN 1.10.2022). Ein Strafgericht in Ankara ordnete im Dezember 2023 die Fortdauer der Untersuchungshaft an, da nach Sach- und Beweislage die Beschuldigte weiterhin der Mitgliedschaft in einer "Terrororganisation" dringend verdächtig sei (ANF 11.12.2023). Ende Mai 2025 befand sich Güzel immer noch in Haft (ANF 29.5.2025).
Der EGMR entschied am 8.11.2022, dass die Türkei die Rechte von 13 ehemaligen Abgeordneten der HDP verletzt hatte, indem sie 2016, bzw. in einem Fall 2017, wegen Verbindungen zur verbotenen PKK in Untersuchungshaft genommen wurden, um den Pluralismus zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Debatte einzuschränken. Der EGMR entschied, dass die Untersuchungshaft der Antragsteller willkürlich und mit dem innerstaatlichen Recht unvereinbar sei, da die Betroffenen Anspruch auf parlamentarische Immunität hätten. Das Straßburger Gericht entschied auch, dass es keine Beweise gab, die den Verdacht begründeten, dass sie eine Straftat begangen hatten, die ihre Inhaftierung rechtfertigte. Der EGMR ordnete die Freilassung jener zwei noch in Haft Verbliebenen, nämlich von İdris Baluken und Figen Yüksekdağ, der ehemaligen Ko-Vorsitzenden der HDP, an (SCF 9.11.2022; vgl. Bianet 8.11.2022, ECHR 8.11.2022).
Der ehemalige HDP-Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtaş blieb trotz zweier EGMR-Urteile, in denen seine sofortige Freilassung gefordert wurde, im Gefängnis. Im Juni 2024 forderte das Ministerkomitee des Europarats die türkischen Behörden nachdrücklich auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um seine sofortige Freilassung sicherzustellen (EC 30.10.2024, S. 21).
Am 8.7.2025 befand der EGMR, dass die Maßnahmen zur Fortsetzung der Haft von Selahattin Demirtaş auf unzureichenden Gründen beruhen und in Wirklichkeit darauf abzielen, die öffentliche Debatte zu unterdrücken und die Freiheit der politischen Meinungsäußerung einzuschränken. Das Gericht stellte [erneut] die Verletzung zahlreicher Artikel der Europäischen Menschenrechtskonvention fest. Die Türkei wurde vom Gericht angehalten, dem Beschwerdeführer 3.245 Euro für den materiellen Schaden, 32.500 Euro für den immateriellen Schaden und 20.000 Euro für Kosten und Auslagen zu zahlen (ECHR 8.7.2025).
Siehe auch das Kapitel: Sicherheitslage / Terroristische Gruppierungen: PKK – Partiya Karkerên Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans)
Verbotsverfahren gegen die HDP
Am 17.3.2021 gab der Generalstaatsanwalt des Obersten Kassationsgerichts, Bekir Şahin, bekannt, dass er beim Verfassungsgericht ex-officio den Antrag auf ein Verbot und die Auflösung der HDP gestellt habe (ÖB Ankara 18.3.2021; vgl. DS 18.3.2021). In der Anklageschrift werden Parteiführung und -mitglieder u. a. beschuldigt, durch ihre Handlungen gegen Gesetzte zu verstoßen, das Ziel verfolgend, die staatliche und nationale Integrität zu unterminieren und dabei mit der verbotenen PKK zu konspirieren (BAMF 22.3.2021; vgl. DS 18.3.2021). In ihrem umstrittensten Aspekt kriminalisiert die Anklageschrift jedoch den zweijährigen Friedensprozess zwischen Ankara und den Kurden, der 2015 zusammenbrach. An den Gesprächen waren der inhaftierte PKK-Gründer Abdullah Öcalan, die in den Kandil-Bergen im Nordirak ansässige PKK-Führung, Regierungsbeamte und HDP-Mitglieder beteiligt, die meist als Vermittler auftraten. Anhand von Protokollen der Treffen zwischen HDP-Mitgliedern und Öcalan stellte die Anklage die Bemühungen der HDP-Mitglieder als kriminelle Handlungen dar, für die die Partei verboten werden sollte, obwohl die Friedensinitiative von der regierenden AKP gestartet und unterstützt wurde (AlMon 9.4.2021).
In der ersten Reaktion der Regierung auf die Anklageschrift sagte Erdoğans Kommunikationsdirektor Fahrettin Altun, dass es eine unbestreitbare Tatsache sei, dass die HDP organische Verbindungen zur PKK habe (REU 18.3.2021). Die Vorgabe des Narrativs von höchster staatlicher Stelle möchte den Ausgang des Verfahrens weitgehend vorwegnehmen und bezeugt neuerlich, dass die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei nicht mehr gewährleistet ist (ÖB Ankara 18.3.2021).
Nachdem das Verfassungsgericht am 31.3.2021 die Anklageschrift wegen Formalfehler zur Überarbeitung an die Generalstaatsanwaltschaft zurück (Zeit Online 31.3.2021; vgl. AlMon 9.4.2021) verwiesen hatte, erfolgte am 7.6.2021 ein neuer Antrag zwecks Verbot der HDP, der Konfiszierung der Bankkonten der Partei sowie zwecks eines Politikverbots für mehrere Hundert Mitglieder der HDP (FAZ 8.6.2021; vgl. Duvar 7.6.2021a). Die 843-seitige Anklageschrift des Generalstaatsanwaltes forderte, dass nunmehr 451 Personen aus der Politik verbannt werden. Außerdem sind 69 HDP-Mitglieder wegen ihrer vermeintlichen Pro-Terror-Aussagen in der Anklageschrift namentlich aufgeführt (HDN 10.6.2021). Am 21.6.2021 nahm das Verfassungsgericht einstimmig die Anklage an, ohne jedoch dem Begehr der Generalstaatsanwaltschaft nach Schließung der HDP-Parteikonten nachzukommen (Duvar 21.6.2021).
Wie bereits im Juli 2021 (EP 8.7.2021, Pt. 2) verurteilte das Europäische Parlament "aufs Schärfste die vom Generalstaatsanwalt des Kassationsgerichts der Türkei eingereichte und vom Verfassungsgericht der Türkei im Juni 2021 einstimmig angenommene Anklageschrift, mit der die Auflösung der Partei HDP und der Ausschluss von 451 Personen vom politischen Leben, darunter die meisten derzeitigen Mitglieder der Führungsebene der HDP, angestrebt werden und durch die die betroffenen Personen daran gehindert werden, in den nächsten fünf Jahren irgendeiner politischen Tätigkeit nachzugehen" (EP 7.6.2022, S. 16, Pt. 23).
Für ein Verbot der HDP ist eine Zweidrittelmehrheit der 15 Richter erforderlich (FAZ 8.6.2021). Das Gericht kann je nach Schwere der Verstöße ein Verbot aussprechen oder davon absehen. Im zweiten Fall kann es anordnen, die Unterstützung im Rahmen der staatlichen Parteienfinanzierung teilweise oder vollständig zu versagen. Funktionären, wie in der Anklageschrift angestrebt, darf nur im Falle eines Parteiverbots untersagt werden, sich politisch zu betätigen (SWP/Can 10.6.2021, S. 4). In einer für den 11.4.2023 anberaumten Anhörung machte die HDP von ihrem Recht auf eine Stellungnahme vor dem Verfassungsgericht keinen Gebrauch, da sie den Fall als politisch motiviert bezeichnete. Es gibt keine Frist für eine Entscheidung des Gerichts (OSCE/ODIHR 15.5.2023, S. 4/FN 4).
Im April 2025 forderte die Inter-Parlamentarische Union (IPU) das Verfassungsgericht auf, sein Urteil in strikter Übereinstimmung mit den Standards der Rechtsprechung des EGMR zu fällen, wobei die IPU sich besorgt zeigte, dass in den Begründungen für das Auflösungsverfahren weiterhin ohne stichhaltige rechtliche Begründung die HDP und die PKK vermischt werden. Die IPU bekräftigte, dass die HDP eine rechtmäßig gegründete politische Partei ist, die keine Gewalt befürwortet (IPU 9.4.2025).
Gewaltakte nicht-staatlicher Akteure gegen die HDP bzw. DEM-Partei und ihre Vertreter
Auf das Bezirksbüro der DEM-Partei in İnegöl, Bursa, wurde Anfang März 2024 ein Anschlag verübt. Während des Angriffs soll auch ein Parteimitglied außerhalb des Bezirksgebäudes vom Angreifer mit einer Axt verfolgt worden sein (Bianet 5.3.2024; vgl. TİHV/HRFT 5.3.2024). Anfang Mai 2024 wurde das Bezirksbüro der DEM-Partei in Birecik, in der südölstlichen Provinz Urfa angegriffen. Der Angriff auf das Parteibüro führte zu Schäden am Gebäude, wobei 14 Kugeln die Fenster trafen. Der Täter wurde festgenommen (Bianet 8.5.2024; vgl. Rudaw 8.5.2024). Am 28.9.2024 wurde ein örtliches Parteibüro der DEM in Istanbul im Stadtteil Sultangazi beschossen. Zum Zeitpunkt des Beschusses war niemand anwesend und es gab keine Verletzten. Zwei Verdächtige wurden festgenommen und die Behörden leiteten eine Untersuchung ein (Bianet 30.9.2024; vgl. ANF 29.9.2024). In der Nacht vom 24. auf den 25.10.2024 wurde die DEM-Zentrale in Ankara angegriffen. Dabei wurden u.a. Türen und Fenster beschädigt. Ein Verdächtiger wurde festgenommen (SCF 25.10.2024; vgl. TR-Today 25.10.2024).
Der bislang schwerwiegenste Angriff fand im Juni 2021 in Izmir statt, als Angreifer ein Büro der HDP gestürmt und dabei eine Mitarbeiterin erschossen haben (AlMon 17.6.2021; vgl. Zeit Online 17.6.2021).
Für weitere Beispiele vor dem Jahr 2024 siehe vormalige Versionen der Länderinformationen - Türkei.
Vorgehen gegen weitere Oppositions-Parteien (Beispiele)
Am 25.10.2023 entschied das Verfassungsgericht, dass der inhaftierte Politiker der TİP (Türkiye İşçi Partisi - Arbeiterpartei der Türkei) und Menschenrechtsanwalt Can Atalay, der bei den Parlamentswahlen im Mai 2023 zum Abgeordneten gewählt worden war, in seinem Recht zu wählen und gewählt zu werden, sowie in seinem Recht auf persönliche Sicherheit und Freiheit verletzt wurde und ordnete dessen Freilassung an. Das zuständige Strafgericht setzte das Urteil nicht um, sondern verwies den Fall an das Kassationsgericht. Dieses entschied am 9.11.2023 in Überschreitung seiner Zuständigkeit, dass das Urteil nicht rechtserheblich und daher nicht umzusetzen sei, mit der Begründung, dass das Verfassungsgericht seine Kompetenzen überschritten habe, und dass ein Strafverfahren gegen die neun Richter des Verfassungsgerichts, die für die Freilassung Atalays gestimmt hatten, durch die Generalstaatsanwaltschaft einzuleiten sei. Denn diese hätten gegen die Verfassung verstoßen und ihre Befugnisse überschritten (ÖB Ankara 4.2025, S. 13). Staatspräsident Erdoğan äußerte sich ähnlich und brachte eine Verfassungsreform ins Gespräch, um diese Justizkrise zu lösen. - Atalay war im April 2022 im Zusammenhang mit den regierungskritischen Gezi-Protesten von 2013 wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Umsturzversuch zu 18 Jahren Haft verurteilt und inhaftiert worden. Trotzdem wurde er bei den Parlamentswahlen im Mai 2023 zum Abgeordneten gewählt. Dies war möglich, weil das oberste Berufungsgericht das Urteil zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestätigt hatte, und es somit noch nicht rechtskräftig war (Spiegel 31.1.2024). Die Anwälte von Can Atalay haben seinen Fall vor den EGMR gebracht, nachdem die türkischen Behörden einem Urteil des Verfassungsgerichts, das seine sofortige Freilassung forderte, nicht nachgekommen waren. Der EGMR hat den Fall am 27.8.2024 offiziell an die Türkei verwiesen u. a. mit der Frage, warum das Urteil des Verfassungsgerichts nicht vollstreckt wurde (MLSA 16.9.2024; vgl. ECHR 16.9.2024).
Die Behörden gehen laut Medienberichten traditionell auch gegen linksextreme, aber legale Kleinst-Parteien und Organisationen vor, beispielsweise gegen Mitglieder und Funktionäre der Sozialen Freiheitspartei - Toplumsal Özgürlük Partisi (TÖP). Anlass für das Vorgehen seitens der Polizei, der Staatsanwaltschaft und der Gerichte waren grosso modo öffentliche Versammlungen und Proteste, z. B. am 1. Mai. Verhaftungen gab es jedoch auch unter dem Verdacht der Verbindung mit terroristischen Organisationen. Beispiele: Im Nachgang zu den Demonstrationen zum 1. Mai 2023 nahm die Polizei u. a. auch Mitglieder der TÖP, der Volksbefreiungspartei (Halkın Kurtuluş Partisi - (HKP), der Vereinigten Revolutionären Partei - Birleşik Devrimci Parti (DP) und der Sozialistischen Partei der Unterdrückten - Ezilenlerin Sosyalist Partisi (ESP) fest, als diese versuchten Kundgebungen abzuhalten. Am 21.5.2024 wurden gemäß Angaben der Istanbuler Anwaltsvereinigung 27 Personen, die am 21. Mai bei Hausdurchsuchungen festgenommen worden waren, vor das Gericht gebracht, darunter Mitglieder der TİP, der TÖP, der Partei der Bewegung der Werktätigen - Emekçi Hareket Partisi (EHP) oder der Sozialistischen Arbeiterpartei - Sosyalist Emekçiler Partisi (SEP) (Evrensel 23.5.2024; vgl. Bianet 15.5.2024). Ende Jänner 2024 wurden Mitglieder der TÖP und der ESP in Izmir unter dem Vorwurf der "Finanzierung einer illegalen Organisation" (Bianet 30.1.2024; vgl. DTF 31.3.2024) und Anfang Februar 2024 ebensolche Mitglieder der TÖP und der DP aufgrund von Posts in sozialen Medien festgenommen (DTF 12.2.2024). In der zweiten Februarhälfte 2025 verurteilte ein Gericht den Vorsitzenden der HKP, Nurullah Efe Ankut, wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zu einem Jahr und zwei Monaten Gefängnis, wegen einer Kolumne aus dem Jahr 2021, in der Ankut das Universitätsdiplom von Präsident Erdoğan infrage stellte (Duvar 25.2.2025b).
Ältere Beispiele zum Vorgehen gegen die Opposition finden sich in den Länderinformationen der Vorjahre.
Anmerkung: Mit Stand Anfang Juli 2025 waren die rechtlichen Implikationen der Auflösung der PKK nicht abzusehen, ob diese z. B. auf laufende Verfahren, Gerichtsprozesse sowie gefällte Urteile im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft oder der Unterstützung der PKK als Terrororganisation hat oder haben wird. - Dies würde zahlreiche der hier genannten Personen und Personenkreise betreffen. Dies gilt ebenso für das Verbotsverfahren gegen die HDP und das mögliche Politikverbot gegen 451 Personen.
Quellen
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Duvar - Duvar (25.2.2025a): Turkish govt appoints trustee to municipality for 12th time since 2024 local elections, https://www.duvarenglish.com/turkish-govt-appoints-trustee-to-municipality-for-12th-time-since-2024-local-elections-news-65711, Zugriff 6.3.2025
Duvar - Duvar (25.2.2025b): Turkish socialist party leader receives prison sentence for questioning Erdoğans university diploma, https://www.duvarenglish.com/turkish-socialist-party-leader-receives-prison-sentence-for-questioning-erdogans-university-diploma-news-65715, Zugriff 6.3.2025
Duvar - Duvar (16.2.2025): Turkey ousts another Kurdish mayor, appoints trustee in Van Municipality, https://www.duvarenglish.com/turkey-ousts-another-kurdish-mayor-appoints-trustee-in-van-municipality-news-65671, Zugriff 17.2.2025
Duvar - Duvar (11.2.2025): Turkish court sentences Kurdish co-mayor to prison for ’terror charges’, https://www.duvarenglish.com/turkish-court-sentences-kurdish-co-mayor-to-prison-for-terror-charges-news-65650, Zugriff 12.2.2025
Duvar - Duvar (28.1.2025): Turkish authorities sentence another Pro-Kurdish DEM Party mayor to prison, https://www.duvarenglish.com/turkish-authorities-sentence-another-pro-kurdish-dem-party-mayor-to-prison-news-65602, Zugriff 3.2.2025
Duvar - Duvar (14.1.2025): Istanbul in turmoil: Main opposition mayor of one of megacity’s biggest districts detained, https://www.duvarenglish.com/istanbul-in-turmoil-main-opposition-mayor-of-one-of-megacitys-biggest-districts-detained-news-65529, Zugriff 17.1.2025
Duvar - Duvar (10.1.2025): Turkey detains pro-Kurdish DEM Party mayors, city council members, https://www.duvarenglish.com/turkey-detains-pro-kurdish-dem-party-mayors-city-council-members-news-65516, Zugriff 10.1.2025
Duvar - Duvar (30.11.2024): Turkish govt appoints trustee to replace another pro-Kurdish Party mayor, https://www.duvarenglish.com/turkish-govt-appoints-trustee-to-replace-another-pro-kurdish-party-mayor-news-65327, Zugriff 2.12.2024
Duvar - Duvar (21.11.2024): Turkish court sentences two opposition mayors over ’terrorism’ charges, https://www.duvarenglish.com/turkish-court-sentences-two-opposition-mayors-over-terrorism-charges-news-65283, Zugriff 22.11.2024
Duvar - Duvar (19.11.2024): Turkish police raid DEM Party office, detain two district co-chairs in Istanbul, https://www.duvarenglish.com/turkish-police-raid-dem-party-office-detain-two-district-co-chairs-in-istanbul-news-65272, Zugriff 19.11.2024
Duvar - Duvar (7.11.2024): Turkish court rejects appeal against imprisonment of CHP-led municipalitys dismissed mayor, https://www.duvarenglish.com/turkish-court-rejects-appeal-against-imprisonment-of-chp-led-municipalitys-dismissed-mayor-news-65216, Zugriff 13.11.2024
Duvar - Duvar (5.11.2024): Turkish govt dissolves CHP-led municipalitys council after trustee appointment, https://www.duvarenglish.com/turkish-police-brutally-attack-protests-against-trustee-mayors-news-65205, Zugriff 5.11.2024
Duvar - Duvar (4.11.2024a): Turkish govt appoints trustees to oust 3 Kurdish mayors, https://www.duvarenglish.com/turkish-govt-appoints-trustees-to-oust-3-kurdish-mayors-news-65200, Zugriff 5.11.2024
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Todesstrafe
Die Türkei schaffte die Todesstrafe mit dem Gesetz Nr. 5170 am 7.5.2004 und der Entfernung aller Hinweise darauf in der Verfassung ab. Darüber hinaus ratifizierte die Türkei das Protokoll Nr. 6 zur Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) über die Abschaffung der Todesstrafe am 12.11.2003, welches am 1.12.2003 in Kraft trat, sowie das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die völlige Abschaffung der Todesstrafe (d.h. unter allen Umständen, auch für Verbrechen, die in Kriegszeiten begangen wurden, und für unmittelbare Kriegsgefahr, was keine Ausnahmen oder Vorbehalte zulässt), welches am 20.2.2006 ratifiziert bzw. am 1.6.2006 in Kraft trat. Am 3.2.2004 unterzeichnete die Türkei zudem das Zweite Fakultativprotokoll zum Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, das auf die Abschaffung der Todesstrafe abzielt. Das Protokoll trat in der Türkei am 24.10.2006 in Kraft (ÖB Ankara 4.2025, S. 17; vgl. FIDH 13.10.2020).
Die Diskussion um die Todesstrafe flammt immer wieder anlassbezogen auf. - Ende Juni 2022 meinte der Justizminister, dass die Türkei die Entscheidung aus dem Jahr 2004 zur Abschaffung der Todesstrafe überdenken würde, nachdem Präsident Erdoğan die Todesstrafe im Zusammenhang mit absichtlich gelegten Waldbränden ins Spiel brachte (REU 25.6.2022; vgl. Duvar 24.6.2022). Und im September 2024 forderten Fatih Erbakan, der Anführer der Neuen Wohlfahrtspartei (YRP), Mustafa Destici, Chef der Großen Vereinigungspartei (BBP) sowie andere Politiker angesichts der Ermordung eines achtjährigen Mädchens, die zu einem Aufschrei der Öffentlichkeit führte, die Wiedereinführung der Todesstrafe (TR-Today 10.9.2024; vgl. fakti.bg 10.9.2024).
Für eine Wiedereinführung der Todesstrafe wäre eine Verfassungsänderung erforderlich, welche eine Zustimmung von mindestens 400 Abgeordneten oder von mindestens 360 Abgeordneten plus einer Volksabstimmung benötigt. Momentan (Juni 2025) verfügt das Regierungsbündnis nicht über die angegebenen Mehrheiten. Die Verfassungsänderung müsste also auch von Abgeordneten der Oppositionsparteien gestützt werden. Zudem müsste die Türkei ihre Unterschrift zu den Protokollen Nr. 6 und 13 zur EMRK zurückziehen. Mit der Wiedereinführung der Todesstrafe würde die Türkei nicht nur einen Ausschluss aus dem Europarat riskieren, sondern den endgültigen Bruch der Beziehungen zur EU (ÖB Ankara 4.2025, S. 17f.).
Quellen
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fakti.bg - fakti - Rezon Media (10.9.2024): Death penalty to be discussed again in parliament: killing of 8-year-old girl shakes Turkey, https://fakti.bg/en/world/911156-death-penalty-to-be-discussed-again-in-parliament-killing-of-8-year-old-girl-shakes-turkey, Zugriff 2.12.2024
FIDH - International Federation for Human Rights (13.10.2020): Death Penalty Cannot be Reinstated in Turkey, https://www.fidh.org/en/region/europe-central-asia/turkey/death-penalty-cannot-be-reinstated-in-turkey, Zugriff 25.10.2023
ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB Ankara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025
REU - Reuters (25.6.2022): Turkey re-evaluates death penalty after Erdogan's wildfires comment, https://www.reuters.com/world/middle-east/turkey-wildfire-under-control-after-4500-hectares-scorched-government-2022-06-25/, Zugriff 25.10.2023
TR-Today - Türkiye Today (10.9.2024): Death sentence sought in Türkiye: 8-year-old Narin Guran’s death shocks nation - Türkiye Today, https://www.turkiyetoday.com/turkiye/death-sentence-sought-in-turkiye-as-8-year-old-narin-gurans-tragic-death-shocks-nation-50937, Zugriff 2.12.2024
Bewegungsfreiheit
Art. 23 der Verfassung garantiert die Bewegungsfreiheit im Land, das Recht zur Ausreise sowie das für türkische Staatsangehörige uneingeschränkte Recht zur Einreise. Die Bewegungsfreiheit kann nach dieser Bestimmung jedoch begrenzt werden, um Verbrechen zu verhindern (ÖB Ankara 4.2025, S. 14f.; vgl. USDOS 22.4.2024 S. 41).
So ist die Bewegungsfreiheit generell in einigen Regionen und für Gruppen, die von der Regierung mit Misstrauen behandelt werden, eingeschränkt. Im Südosten der Türkei ist die Bewegungsfreiheit aufgrund des Konflikts zwischen der Regierung und der Arbeiterpartei Kurdistans - PKK limitiert (FH 26.2.2025, G1). Die Behörden sind befugt, die Bewegungsfreiheit Einzelner innerhalb der Türkei einzuschränken. Die Provinz-Gouverneure können zum Beispiel Personen, die verdächtigt werden, die öffentliche Ordnung behindern oder stören zu wollen, den Zutritt oder das Verlassen bestimmter Orte in ihren Provinzen für eine Dauer von bis zu 15 Tagen verbieten (ÖB Ankara 4.2025, S. 9; vgl. USDOS 22.4.2024 S. 42), obschon die Verfassung vorschreibt, dass nur Richter die Bewegungsfreiheit von Bürgern limitieren können, und auch nur in Verbindung mit einer strafrechtlichen Untersuchung bzw. Verfolgung (USDOS 22.4.2024 S. 42).
Bei der Einreise in die Türkei besteht allgemeine Personenkontrolle. Türkische Staatsangehörige, die ein gültiges türkisches, zur Einreise berechtigendes Reisedokument besitzen, können die Grenzkontrolle grundsätzlich ungehindert passieren. Bei Einreise wird überprüft, ob ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder Ermittlungs- bzw. Strafverfahren anhängig sind. An Grenzübergängen können Handy, Tablet, Laptop usw. von Reisenden ausgelesen werden, um insbesondere regierungskritische Beiträge, Kommentare auf Facebook, WhatsApp, Instagram etc. festzustellen, die wiederum in Maßnahmen wie z. B. Vernehmung, Festnahme, Strafanzeige usw. münden können. In Fällen von Rückführungen gestatten die Behörden die Einreise nur mit türkischem Reisepass oder Passersatzpapier. Türkische Staatsangehörige dürfen nur mit einem gültigen Pass das Land verlassen. Die illegale Ein- und Ausreise ist strafbar. Die Ausreisekontrollen an türkischen Grenzübergängen sind in der Regel streng. Ein- und Ausreisedaten werden genauestens erfasst und die Reisenden in den entsprechenden Fahndungssystemen überprüft (AA 20.5.2024, S. 24f.).
Es ist gängige Praxis, dass Richter ein Ausreiseverbot gegen Personen verhängen, gegen die strafrechtlich ermittelt wird, oder gegen Personen, die auf Bewährung entlassen wurden. Eine Person muss also nicht angeklagt oder verurteilt werden, um ein Ausreiseverbot zu erhalten (MBZ 18.3.2021, S. 27f.; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 14f.). Es gibt keine eindeutige Antwort auf die Frage, inwieweit eine Person, die das negative Interesse der türkischen Behörden auf sich gezogen hat, das Land legal verlassen kann, oder eben nicht, während ein Strafverfahren noch anhängig ist. Es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an (MBZ 2.3.2022, S. 27). Dennoch bestätigten Quellen des niederländischen Außenministeriums, dass in den meisten Fällen mit politischer Dimension, die im Kontext des Strafrechts als "Terrorfälle" gelten, ein Ausreiseverbot verhängt wird. In Fällen mit politischem Kontext sind insbesondere kurdische Aktivisten und (angebliche) Gülenisten betroffen. Die Häufigkeit von Ausreiseverboten in Fällen mit einer politischen Dimension gilt als "weit verbreitet" und "systematisch". Jedoch gibt es Fälle von unauffälligen politischen Aktivisten, gegen die kein Ausreiseverbot verhängt wurde (MBZ 2.2025a, S. 37).
Mitunter wird sogar gegen Parlamentarier ein Ausreiseverbot verhängt. - So wurde im März 2022 auf richterliches Geheiß dem HDP-Abgeordneten Ömer Faruk Gergerlioğlu die Ausreise untersagt und sein Reisepass im Rahmen der gegen ihn eingeleiteten Ermittlungen eingezogen (Duvar 10.3.2022). Ende Dezember 2022 wurde, ebenfalls gegen einen HDP-Parlamentarier, eine Reisesperre verhängt. Zeynel Özen, der zudem schwedischer Staatsbürger und Mitglied des Harmonisierungsausschusses der Europäischen Union ist, wurde auf Anweisung des Innenministers am Flughafen Istanbul ohne Begründung die Ausreise verweigert (Medya 26.12.2022; vgl. Duvar 26.12.2022). Vor dem Hintergrund des Gazakrieges wurde im Oktober 2023 15 Parlamentariern der pro-kurdischen Partei für Emanzipation und Demokratie der Völker - HEDEP [mit abgeänderter Abkürzung inzwischen DEM-Partei als Vorgängerin der HDP bzw. der Grünen Linkspartei] trotz parlamentarischer Immunität die Ausreise verweigert (Duvar 20.10.2023).
Im Juni 2024 zogen die Behörden die Pässe von neun Ko-Bürgermeistern aus Gemeinden mit kurdischer Mehrheit ein, darunter die Bürgermeisterin von Diyarbakır Serra Bucak, ohne dass ein Gerichtsbeschluss vorlag. Das Innenministerium verteidigte den Schritt mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit und die öffentliche Ordnung (Medya 24.6.2024; vgl. Rudaw 24.6.2024). Im Februar 2025 untersagte ein Istanbuler Gericht zwei leitenden Funktionären des Wirtschaftsverbands TUSIAD im Rahmen einer Untersuchung ihrer Äußerungen zur Demokratie, die Erdogan als Untergrabung der Regierung bezeichnet hatte, die Ausreise ins Ausland. Auf der Generalversammlung der Organisation hatten TUSIAD-Präsident Orhan Turan und Omer Aras, der Vorsitzende der türkischen Bankensparte der QNB, das harte Vorgehen der Regierung gegen Oppositionelle und Journalisten kritisiert (REU 20.2.2025). Drei Monate später wurde die Ausreisesperre aufgehoben. Das Verfahren lief hingegen weiter, wobei der Staatsanwalt bis zu fünf Jahren Haft forderte (HDN 20.5.2025; vgl. Bianet 22.5.2025).
Das Recht zur Ausreise wiederum darf durch eine richterliche Entscheidung im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung oder Verfolgung eingeschränkt werden. Die Strafrichter machen von den Einschränkungsmöglichkeiten großzügig Gebrauch. Es ist gang und gäbe, dass insbesondere Personen mit Auslandsbezug, welche sich nicht in Untersuchungshaft befinden, mit einer parallel zum Ermittlungsverfahren unter Umständen mehrere Jahre dauernden Ausreisesperre belegt werden. Hunderte EU-Bürger, darunter viele Österreicher, sind von dieser Maßnahme ebenso betroffen wie Tausende türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz in einem EU-Mitgliedstaat. Umgekehrt wird über nicht türkische Staatsangehörige, die mit der türkischen Strafjustiz in Kontakt gekommen sind oder deren Aktivitäten außerhalb der Türkei als negativ wahrgenommen wurden, eine Einreisesperre verhängt (ÖB Ankara 4.2025, S. 14f.). Das deutsche Auswärtige Amt, antwortend auf eine parlamentarische Anfrage, gab im Juni 2022 an, dass 104 Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit an der Ausreise gehindert wurden. 55 hätten sich wegen "Terror"-Vorwürfen in Haft befunden, und gegen 49 weitere wäre eine Ausreisesperre verhängt worden (FR 11.6.2022). Mindestens 65 deutsche Staatsbürger konnten mit Stand November 2023 die Türkei aufgrund von Ausreisesperren nicht verlassen, die Hälfte wegen Terrorvorwürfen (Zeit Online 16.11.2023).
Mitunter wird ein Ausreiseverbot ausgesprochen, ohne dass die betreffende Person davon weiß. In diesem Fall erfährt sie es erst bei der Passkontrolle zum Zeitpunkt der Ausreise, woraufhin höchstwahrscheinlich ein Verhör folgt. So wie z. B. Strafverfahren und Strafen werden auch Ausreiseverbote im sog. Allgemeinen Informationssammlungssystem (Genel Bilgi Toplama Sistemi - GBT) erfasst. Die Justizbehörden und der Sicherheitsapparat, einschließlich Polizei und Gendarmerie, haben Zugriff auf das GBT. Wenn ein Zollbeamter am Flughafen die Identitätsnummer der betreffenden Person in das GBT eingibt, wird ersichtlich, dass das Gericht ein Ausreiseverbot verhängt hat. Unklar ist hingegen, ob ein Ausreiseverbot auch im sog. Nationalen Justizinformationssystem (Ulusal Yargi Ağı Bilişim Sistemi - UYAP) und im e-Devlet (e-Government-Portal) aufscheint und somit dem Betroffenen bzw. seinem Anwalt zugänglich und offenkundig wäre. Die Polizei und die Gendarmerie können eine Person auch auf andere Weise daran hindern, das Land legal zu verlassen, indem sie in der internen Datenbank, genannt PolNet, ohne Wissen eines Richters einschlägige Anmerkungen zur betreffenden Person einfügen. Solche Notizen können den Zoll darauf aufmerksam machen, dass die betreffende Person das Land nicht verlassen darf. Auf diese Weise kann eine Person an einem Flughafen angehalten werden, ohne dass ein Ausreiseverbot im GBT registriert wird (MBZ 18.3.2021, S. 27f).
Die Regierung beschränkt weiterhin Auslandsreisen von Bürgern, die unter Terrorverdacht stehen oder denen Verbindungen zur Gülen-Bewegung oder zum gescheiterten Putschversuch 2016 vorgeworfen werden. Das gilt auch für deren Familienangehörige. Medienschaffende, Menschenrechtsverteidiger und andere, die mit politisch motivierten Anklagen konfrontiert sind. Sie werden oft unter "gerichtliche Kontrolle" gestellt, bis das Ergebnis ihres Prozesses vorliegt. Dies beinhaltet häufig ein Verbot, das Land zu verlassen. Die Behörden hindern auch einige türkische Doppel-Staatsbürger aufgrund eines Terrorismusverdachts daran, das Land zu verlassen, was dazu führt, dass manche das Land illegal verlassen. Ausgangssperren, die von den lokalen Behörden als Reaktion auf die militärischen Operationen gegen die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhängt wurden, und die militärische Operation des Landes in Nordsyrien schränkten die Bewegungsfreiheit ebenfalls ein (USDOS 22.4.2024, S. 42f.).
Urteile des Verfassungsgerichtes im Sinne der Bewegungsfreiheit
Das türkische Verfassungsgericht hob Ende Juli 2019 eine umstrittene Verordnung auf, die nach dem Putschversuch eingeführt worden war und mit der die türkischen Behörden auch die Pässe von Ehepartnern von Verdächtigen für ungültig erklären konnten, auch wenn keinerlei Anschuldigungen oder Beweise für eine Straftat vorlagen. Die Praxis war auf breite Kritik gestoßen und als Beispiel für eine kollektive Bestrafung und Verletzung der Bewegungsfreiheit angeführt worden (TM 26.7.2019). Das Verfassungsgericht entschied überdies Ende Jänner 2022, dass die massenhafte Annullierung der Pässe von Staatsbediensteten nach dem gescheiterten Putschversuch 2016 rechtswidrig war. Das Gericht stellte fest, dass einige Regelungen des Notstandsdekrets Nr. 7086 vom 6.2.2018 verfassungswidrig sind, unter anderem mit der Begründung, wonach die Vorschriften, die vorsehen, dass die Pässe der aus dem öffentlichen Dienst Entlassenen eingezogen werden, die Reisefreiheit des Einzelnen über das Maß hinaus einschränken, welches die Situation des Notstandes erfordern würde. Überdies wurde dem Verfassungsgericht nach das durch die Verfassung garantierte Recht der Unschuldsvermutung verletzt (Duvar 29.1.2022).
Im Frühjahr 2024 erklärte das Verfassungsgericht, dass das gegen die Menschenrechtsaktivistin Nurcan Kaya verhängte internationale Reiseverbot ihre Meinungsfreiheit verletze. Nurcan Kaya wurde am Istanbuler Flughafen im Oktober 2019 festgenommen, als sie versuchte, an einer Sitzung der Vereinten Nationen teilzunehmen. Kaya wurde im Rahmen einer Untersuchung inhaftiert unter der Anschuldigung "Hass und Feindschaft unter den Menschen zu schüren", nachdem sie 2014 in einem Tweet geschrieben hatte: "Nicht nur die Kurden, sondern alle in Kobanê lebenden Völker leisten Widerstand." Während ihres Prozesses unterlag Kaya einer 1,5-monatigen gerichtlichen Kontrolle, die ein internationales Reiseverbot und die Beschlagnahme ihres Reisepasses beinhaltete. - Das Verfassungsgericht erkannte an, dass die gerichtlichen Maßnahmen Kayas Fähigkeit zur Teilnahme am öffentlichen Diskurs beeinträchtigten, und sprach Kaya 13.500 Lira (ca. 390 Euro) als immateriellen Schadenersatz zu. Darüber hinaus kritisierte das Verfassungsgericht die Justiz dafür, dass sie vor der Verhängung des Reiseverbots keine weniger restriktiven Maßnahmen in Betracht gezogen und Berufungen gegen das Verbot aus „abstrakten Gründen“ abgelehnt hatte (Duvar 7.3.2024; vgl. MLSA 6.3.2024).
Im November 2024 erklärte das Verfassungsgericht die Bestimmung im Passgesetz für nichtig, welche die Ausstellung von Reisepässen an Personen untersagte, die vom Innenministerium als ein allgemeines Sicherheitsrisiko angesehen wurden, wenn sie das Land verließen. Das Verfassungsgericht stellte fest, dass die fragliche gesetzliche Einschränkung nicht allgemeiner Natur war, sondern sich vielmehr gegen bestimmte Personen richtete. Es betonte, dass das Recht, das Land zu verlassen, gemäß Artikel 23 der Verfassung nur aufgrund strafrechtlicher Ermittlungen oder Strafverfolgung eingeschränkt werden kann. Das Verfassungsgericht entschied, dass die Entscheidung über diese Angelegenheit durch Verwaltungsbehörden einen Verstoß darstellt. Das Gericht befand, dass die Bestimmung das verfassungsmäßige Recht auf Freizügigkeit in einer Weise einschränkt, die nicht mit den in der Verfassung dargelegten Gründen für eine Einschränkung vereinbar ist. Folglich erklärte es die Gesetzesklausel für nichtig, die Personen, die vom Innenministerium als Sicherheitsrisiken eingestuft wurden, die Ausstellung von Reisepässen verweigerte (Bianet 21.11.2024; vgl. TM 21.11.2024).
Quellen
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Grundversorgung / Wirtschaft
Die makroökonomischen Stabilisierungsmaßnahmen haben die Unsicherheit verringert. Die Preisstabilität bleibt das vorrangige Ziel der Politik, und die Geld- und Fiskalpolitik ist darauf ausgerichtet, die Senkung der Inflation voranzutreiben und gleichzeitig die Sozialpolitik zum Schutz der Schwächsten zu stärken. Die Inflation ging von einem Höchststand von 75 % im Mai 2024 auf 38 % im März 2025 zurück. Die Inflation der Lebensmittelpreise ist niedriger und könnte laut Weltbank die Auswirkungen der steigenden Preise auf die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen abmildern. Die Inflation dürfte bis Ende 2025 einen Wert im oberen Bereich der 20 % erreichen (WB 24.4.2025).
Das Wirtschaftswachstum der Türkei könnte sich 2025 von 3,2 % im Jahr 2024 und 5,1 % im Jahr 2023 laut Internationalem Währungsfonds infolge der strafferen Geldpolitik auf 2,6 % abschwächen, denn in wichtigen Absatzmärkten wie in der EU lässt die Dynamik nach. Noch aber treiben Konsum und Exporte das türkische Wachstum an (GTAI 19.2.2025; vgl. WB 24.4.2025). Die wirtschaftliche Lage zeigt langsam nachhaltige Zeichen der Verbesserung. Es scheint, dass die stringente orthodoxe Wirtschaftspolitik der letzten 18 Monate beginnt Früchte zu tragen. Gleichzeitig sieht man erste Anzeichen, dass der innertürkische Konsum sich verlangsamt, was einerseits gut für die Inflation ist, andererseits würde eine zu starke Verlangsamung die Wachstumsaussichten reduzieren (WKO 3.2025, S. 4).
Nach der gewonnenen Wahl im Mai 2023 vollzog Staatspräsident Erdoğan einen Kurswechsel hin zu einer restriktiven Geldpolitik, mit dem obersten Ziel, die horrende Inflation zu bekämpfen. Die Niedrigzinspolitik der Vorjahre hat Spuren hinterlassen. Sie befeuerte die Inflation und den Abwertungsdruck auf die türkische Lira. Die Nettoreserven der Zentralbank sind gesunken, die Auslandsverschuldung und Abhängigkeit von ausländischen Finanzhilfen ist hoch. Die bisherigen Entscheidungen lassen auf eine verlässlichere Wirtschafts- und Geldpolitik hoffen. Viele Unternehmen befürchten allerdings weitere Kehrtwenden Erdoğans. Für die künftige Wirtschaftsentwicklung wird es entscheidend sein, Vertrauen bei internationalen Investoren und der heimischen Wirtschaft zurückzugewinnen. Die Inflation hat die reale Kaufkraft der Haushalte geschmälert. Gehaltserhöhungen federn die Einbußen meist nur ab. Noch treibt die Inflation den Konsum an, denn Sparen lohnt sich kaum. Die Bevölkerung flüchtet wegen der schwachen Lira in Gold, Devisen, Aktien, Kryptowährung oder Immobilien (GTAI 19.2.2025).
Die Zahl der Arbeitslosen im Alter von 15 Jahren und älter ist gemäß staatlicher Statistik im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 151 Tausend auf 3 Millionen 113 Tausend Personen gesunken. Die Arbeitslosenquote ist um 0,7 Prozentpunkte auf 8,7 % gesunken. Sie wurde auf 7,1 % für Männer und 11,8 % für Frauen geschätzt. Die Jugendarbeitslosenquote in der Altersgruppe der 15- bis 24-Jährigen lag bei 16,3 %, was einem Rückgang von 1,1 Prozentpunkten gegenüber dem Vorjahr entspricht. Während diese Quote für Männer auf 13,1 % betrug, lag sie bei den jungen und Frauen bei 22,3 %. - Die Zahl der Erwerbstätigen im Alter von 15 Jahren und darüber wurde mit 32 Millionen 620 Tausend Personen angegeben, wobei die Zahl der Erwerbstätigen um 988 Tausend Personen zunahm und die Erwerbstätigenquote im Jahr 2024 im Vergleich zum Vorjahr um 1,2 Prozentpunkte auf 49,5 % stieg. Diese Quote wurde für Männer auf 66,9 % und für Frauen auf 32,5 % geschätzt (TUIK 20.3.2025).
Eine wachsende Zahl meist junger Menschen verlässt das Land. Diese Entwicklungen kündigen eine drohende demografische Krise an, die sich negativ auf die türkische Wirtschaft auswirken und eine umfassende Anpassung der Sozialpolitik erforderlich machen wird. Die Auswanderung begann nach 2020 anzusteigen, aber 2023 war ein Rekordjahr für die Abwanderung: 715.000 Menschen verließen das Land dauerhaft, darunter 291.000 türkische Staatsbürger, was einem Anstieg von 53 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Die Mehrheit der Auswanderer war zwischen 25-29 und 30-34 Jahre alt (OSW/Z.Krzyżanowska 7.8.2024; vgl. FP 27.1.2023). Eine empirische Studie der Forschungsagentur KONDA vom Mai 2024 unter 930 Jugendlichen zwischen 15 und 29 (von insgesamt 3.147 Befragten aller Altersgruppen) ergab, dass fast 60 % der jungen Menschen zwischen 15 und 24 Jahren im Ausland leben wollen, wenn sie die Möglichkeit dazu hätten. In der Altersgruppe der 25- bis 29-Jährigen ging dieser Anteil zwar leicht zurück, lag aber immer noch bei mehr als der Hälfte (Duvar 24.6.2024). Bestätigt wird dies durch eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung aus 2024. - Demnach hatten in der Altersgruppe der 14 bis 29-Jährigen 16,1 % ein "sehr starkes", 19,4 % ein "starkes" und weitere 26,6 % ein "moderates" Verlangen für mehr als sechs Monate in ein anderes Land zu emigrieren, wobei 57,4 % wirtschaftliche und immerhin 13,1 % politische Gründe angaben (FES 10.2024, S. 2, 77f.).
Armut und soziale Ungleichheit
Was die soziale Inklusion und den sozialen Schutz betrifft, so verfügt die Türkei laut Europäischer Kommission noch immer nicht über eine gezielte Strategie zur Armutsbekämpfung. Der anhaltende Preisanstieg hat das Armutsrisiko für Arbeitslose und Lohnempfänger in prekären Beschäftigungsverhältnissen weiter erhöht. Die Armutsquote erreichte 2022 14,4 % gegenüber 13,8 % im Jahr 2021. Die Quote der schweren materiellen Verarmung (severe-material-deprivation rate) erreichte im Jahr 2022 28,4 % (2021: 27,2 %). Das Risiko von Armut und sozialer Ausgrenzung ist bei Kindern am höchsten und bei älteren Menschen stark erhöht (EC 30.10.2024, S. 68). Die Kinderarmutsquote war im Jahr 2022 mit 41,6 % besonders hoch (EC 8.11.2023, S. 102). Der Gini-Koeffizient als Maß für die soziale Ungleichheit (Dieser schwankt zwischen 0, was theoretisch völlige Gleichheit, und 1, was völlige Ungleichheit bedeuten würde.) betrug 2024 nach Einberechnung der dämpfend wirkenden Sozialtransfers 0,413. 2014 lag er noch bei 0,391 (TUIK 27.12.2024). [Anm.: In Österreich betrug laut Momentum Institut der Gini-Koeffizient nach Steuern und staatlichen Transferleistungen 2020 0,28].
Zu den bekannten Auswirkungen hoher Inflation gehört, dass die Schere zwischen niedrigen und hohen Einkommen weiter auseinandergeht. Von 2014 bis 2023 ist der Anteil der niedrigsten vier Einkommensgruppen (80 %) am Gesamteinkommen gesunken, während der Anteil der höchsten Einkommensgruppe von 45,9 auf 49,8 % gestiegen ist. Das bedeutet, dass die obersten 20 % fast die Hälfte des verfügbaren Einkommens besitzen. Während Haushalte in der niedrigsten Einkommensgruppe mehr als 36 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke aufwenden müssen, beträgt dieser Anteil in der höchsten Einkommensgruppe nur gut 14 %. Das bedeutet, dass die niedrigste Einkommensgruppe mit 78 % überdurchschnittlich von der Inflation betroffen ist. Betrachtet man den Zeitraum von zehn Jahren, so ist der Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke in der niedrigsten Einkommensgruppe von 28,8 % in 2014 auf 36,6 % in 2023 angestiegen (FES 11.7.2024).
Die Armutsgrenze in der Türkei lag Ende Dezember 2024 laut Daten des Türkischen Gewerkschaftsbundes (Türk-İş) bei 68.675 Lira (rund 1.875 Euro) (Dezember 2023: 47.000 Lira/ damals rund 1.400 Euro). Allerdings erhöhten sich die Mindestausgaben einer vierköpfigen Familie innerhalb der letzten zwölf Monate um 46 %. - Die Armutsgrenze gibt an, wie viel Geld eine vierköpfige Familie benötigt, um sich ausreichend und gesund zu ernähren, und deckt auch die Ausgaben für Grundbedürfnisse wie Kleidung, Miete, Strom, Wasser, Verkehr, Bildung und Gesundheit ab. - Die Hungerschwelle, die den Mindestbetrag angibt, der erforderlich ist, um eine vierköpfige Familie im Monat vor dem Hungertod zu bewahren, lag Ende 2024 bei knapp 21.000 Lira bzw. circa 575 Euro (Ende Dezember 2023: 14.431 Lira bzw. rund 440 Euro) (Duvar 1.1.2025; vgl. Duvar 3.1.2024).
Um die Kaufkraft zu stärken, hob die Regierung den gesetzlichen Mindestlohn zum 1.1.2025 von 17.000 Lira (465 Euro) um 30 % auf 22.104 Lira (607 Euro) an (Tagesschau 3.1.2025; vgl. MLSS/CSGB 24.12.2024). Während die Befürworter der Maßnahme argumentieren, dass es sich um den höchsten Mindestlohn der letzten Jahre handelt, mit einer Erhöhung um 30 %, weisen Kritiker darauf hin, dass er deutlich unter der jährlichen Inflationsrate für 2024 von 44 % lag. - Steigende Mietkosten unterstreichen die Unzulänglichkeiten des neuen Mindestlohns, zumal 42 % der Türken nur den Mindestlohn verdienen. In Istanbul liegt die durchschnittliche Monatsmiete bei 709 Dollar, in Ankara bei 567 Dollar - beide Zahlen liegen über oder nahe dem Mindestlohn (MEE 27.12.2024). Die Istanbuler Planungsagentur (IPA), die der Istanbuler Stadtverwaltung angegliedert ist, hat die durchschnittlichen Lebenshaltungskosten für eine vierköpfige Familie in der Megastadt im Juli 2024 auf 66.550 Lira (1.982 US-$) berechnet. Das war fast das Vierfache des Mindestlohns (17.002 Lira). Die Steigerungsrate der letzten zwölf Monate lag somit bei 71,4 % (Duvar 6.8.2024).
Die Lohneinkommen, die durch Mindestlohnsteigerungen (30 % im Jahr 2025) und eine starke Arbeitsmarktentwicklung angekurbelt werden, dürften weiterhin die wichtigste Triebkraft für die Armutsbekämpfung sein. Angesichts der hohen Gesamtarbeitslosigkeit und der informellen Beschäftigung könnten jedoch Personen, die vom Arbeitsmarkt ausgeschlossen sind, nicht vom Wachstum profitieren. Gezielte und flexible Sozialschutzprogramme sind laut Weltbank erforderlich, um diese Gruppe vor den Auswirkungen der hohen Inflation zu schützen (WB 24.4.2025).
Die Krise bedeutet für viele Türken Schwierigkeiten zu haben, sich Lebensmittel im eigenen Land leisten zu können. Der normale Bürger kann sich inzwischen Milch- und Fleischprodukte nicht mehr leisten: Diese werden nicht mehr für jeden zu haben sein, so Semsi Bayraktar, Präsident des Türkischen Verbandes der Landwirtschaftskammer. Die Türkei befand sich 2023 mit 69 % an fünfter Stelle auf der Liste der globalen Lebensmittel-Inflation (DW 13.4.2023). Bülent Mumay, Türkei-Kolumnist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, beschreibt die Lage Anfang 2025 folgendermaßen: "[...] Wohnungsmieten stiegen 2024 um 52 %. Die Preise für Möbel haben sich in den letzten fünf Jahren um 555 % verteuert, für große und kleine Haushaltsgeräte gar um 615 %. Für junge Leute ist aus ökonomischen Gründen bereits die Fortsetzung ihres Studiums schwierig geworden, geschweige denn die Gründung einer Familie. Innerhalb der letzten fünf Jahre brachen rund 325.000 Studenten ihr Studium ab, um stattdessen zum Familieneinkommen beizutragen. Doch wer sich für Arbeit statt Studium entscheidet, ist zum Mindestlohn von rund 600 Euro verdammt – wie mindestens die Hälfte aller Erwerbstätigen im Land. 90 % der Erwerbstätigen in der Türkei verdienen unter 1200 Euro im Monat. Diese Situation führt dazu, dass sich die Armut im Land weiter ausbreitet. Rund 40 % der Menschen können sich rotes oder weißes Fleisch oder Fisch nicht einmal mehr jeden zweiten Tag leisten. 15 % können ihre Heizkosten nicht mehr aufbringen. 12 % waren im letzten Monat außerstande, ihre Miete zu zahlen. 60 % können abgenutztes Mobiliar nicht ersetzen, 31 % nicht einmal ein undichtes Dach reparieren lassen. Und eine Woche Urlaub im Jahr bleibt für 58 % unerschwinglich [...]" (FAZ/Mumay B. 3.1.2025).
Die staatlichen Ausgaben für Sozialleistungen betrugen 2023 lediglich 10,1 % des BIP. In vielen Fällen sorgen großfamiliäre Strukturen für die Sicherung der Grundversorgung (ÖB Ankara 4.2025, S. 57). In Zeiten wirtschaftlicher Not wird die Großfamilie zur wichtigsten Auffangstation. Gerade die Angehörigen der ärmeren Schichten, die zuletzt aus ihren Dörfern in die Großstädte zogen, reaktivieren nun ihre Beziehungen in ihren Herkunftsdörfern. In den dreimonatigen Sommerferien kehren sie in ihre Dörfer zurück, wo zumeist ein Teil der Familie eine kleine Subsistenzwirtschaft aufrechterhalten hat (Standard 25.7.2022). NGOs, die Bedürftigen helfen, finden sich vereinzelt nur in Großstädten (ÖB Ankara 4.2025, S. 57).
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet. Unterkünfte im unteren Preissegment sind Mangelware. Die Zahl der Obdachlosen steigt durch Flüchtlinge, Inflation und zuletzt durch das Erdbeben. Bis auf einige gemeinnützige Einrichtungen mit wenigen Plätzen gibt es keine staatlichen Obdachlosenunterkünfte (AA 20.5.2024, S. 21).
Quellen
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Duvar - Duvar (6.8.2024): Cost of living for one family in Istanbul rises by 71 pct annually, https://www.duvarenglish.com/cost-of-living-for-one-family-in-istanbul-rises-by-71-pct-annually-news-64773, Zugriff 16.1.2025
Duvar - Duvar (24.6.2024): Some 56 pct of young people in Turkey want to live abroad if given opportunity, https://www.duvarenglish.com/some-56-pct-of-young-people-in-turkey-want-to-live-abroad-if-given-opportunity-news-64562, Zugriff 27.8.2024
Duvar - Duvar (3.1.2024): Turkey’s poverty threshold hits nearly three times of new minimum wage, https://www.duvarenglish.com/turkeys-poverty-threshold-hits-nearly-three-times-of-new-minimum-wage-news-63595, Zugriff 31.1.2024
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EC - Europäische Kommission (8.11.2023): Türkiye 2023 Report [SWD (2023) 696 final], https://neighbourhood-enlargement.ec.europa.eu/system/files/2023-11/SWD_2023_696 Türkiye report.pdf, Zugriff 9.11.2023
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Tagesschau - Tagesschau (3.1.2025): Türkische Inflationsrate sinkt weiter, https://www.tagesschau.de/wirtschaft/weltwirtschaft/inflation-tuerkei-dezember-100.html, Zugriff 9.1.2025
TUIK - Turkish Statistical Institute [Türkei] (20.3.2025): Labour Force Statistics, 2024, https://data.tuik.gov.tr/Bulten/Index?p=Labour-Force-Statistics-2024-54059, Zugriff 27.3.2025
TUIK - Turkish Statistical Institute [Türkei] (27.12.2024): Income Distribution Statistics, 2024 The share of the highest quintile was 48.1% of the total income, https://data.tuik.gov.tr/Bulten/Index?p=Income-Distribution-Statistics-2024-53712, Zugriff 16.1.2025
WB - Weltbank (24.4.2025): Türkiye: Overview - Economy, https://www.worldbank.org/en/country/turkey/overview#3, Zugriff 13.5.2025
WKO - Wirtschaftskammer Österreich (3.2025): Außenwirtschaft Wirtschaftsbericht Türkei, https://www.wko.at/oe/aussenwirtschaft/tuerkei-wirtschaftsbericht.pdf, Zugriff 28.3.2025
Sozialbeihilfen / -versicherung
Sozialleistungen für Bedürftige werden auf der Grundlage der Gesetze Nr. 3294, über den Förderungsfonds für Soziale Hilfe und Solidarität und Nr. 5263, zur Organisation und den Aufgaben der Generaldirektion für Soziale Hilfe und Solidarität, gewährt (AA 20.5.2024, S. 21). Die Hilfeleistungen werden von den in 81 Provinzen und 850 Kreisstädten vertretenen 973 Einrichtungen der Stiftung für Soziale Hilfe und Solidarität (Sosyal Yardımlaşma ve Dayanişma Vakfı) ausgeführt, die den Gouverneuren unterstellt sind (AA 14.6.2019). Anspruchsberechtigt sind bedürftige Staatsangehörige, die sich in Armut und Not befinden, nicht gesetzlich sozialversichert sind und von keiner Einrichtung der sozialen Sicherheit ein Einkommen oder eine Zuwendung beziehen, sowie Personen, die gemeinnützig tätig und produktiv werden können (AA 20.5.2024, S. 21; vgl. ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020).
Sozialhilfe im österreichischen Sinne gibt es keine. Auf Initiative des Ministeriums für Familie und Sozialpolitik gibt es aber 46 Sozialunterstützungsleistungen, wobei der Anspruch an schwer zu erfüllende Bedingungen gekoppelt ist. - Hierzu zählen (alle mit Stand: April 2025): Sachspenden in Form von Nahrungsmittel, Schulbücher, Heizmaterialien; Kindergeld: einmalige Zahlung, die sich nach der Anzahl der Kinder richtet und 300 Lira für das erste, 400 für das zweite, 600 ab dem dritten Kind beträgt; für hilfsbedürftige Familien mit Mehrlingen: Kindergeld für die Dauer von zwölf Monaten über monatlich 400 Lira, wenn das pro Kopf Einkommen der Familie 7.368,22 Lira nicht übersteigt; finanzielle Unterstützung für Gebärende: sog. "Stillgeld" in einmaliger Höhe von 1.238 TL (bei geleisteten Sozialversicherungsabgaben durch den Ehepartner oder vorherige Erwerbstätigkeit der Mutter selbst); Wohnprogramme; Pensionen und Betreuungsgeld für Behinderte und ältere pflegebedürftige Personen: zwischen 3.723,27 und 5.584,91 Lira je nach Grad der Behinderung. Zudem existiert eine Unterstützung in der Höhe von 10.125,56 Lira für Personen, die sich um Schwerbehinderte zu Hause kümmern (Grad der Behinderung von mindestens 50 % sowie Nachweis der Erforderlichkeit von Unterstützung im Alltag). Witwenunterstützung: Unterstützung von monatlich 1.000 Lira für Witwen, in deren Haushalt keine sozialversicherte Person lebt und welche bedürftig sind, aus dem Sozialhilfe- und Solidaritätsfonds der Regierung. Zudem gibt es die Hinterbliebenenpension, die sich nach dem Monatseinkommen des verstorbenen Ehepartners richtet, maximal 75 % des Bruttomonatsgehalts des verstorbenen Ehepartners (ÖB Ankara 4.2025, S. 57f.).
Pflegebedürftigkeit ist bis heute im türkischen Sozialversicherungssystem nicht als Risiko anerkannt, und es existiert auch keine einheitliche Definition des Begriffs "Pflegebedürftigkeit". Im Endeffekt gibt es kein System, das die Pflegebedürftigen oder ihre pflegenden Familienangehörigen direkt oder indirekt finanziell unterstützt. In der Türkei ist Pflege im eigenen Heim eine weitverbreitete Praxis, wobei es sich selten um eine professionelle Pflege handelt, da sich diese nicht einmal annähernd jeder leisten kann. Ein weiteres, immer mehr bemerkbar werdendes Problem ist der Fachkräftemangel im Pflegebereich. Die einzige Leistung, die seit einigen Jahren gewährt wird, ist das sog. Pflegegeld, das allerdings nicht mit dem Pflegegeld in Österreich zu vergleichen ist. In der Türkei hat nicht jeder Bedürftige bei Eintritt des Pflegefalles Anspruch auf die Pflegegeldleistung. Im bestehenden System werden geistig oder körperlich behinderten Personen ab dem Behinderungsgrad von über 50 % und unter sehr strengen Auflagen Leistungen zugesprochen, wobei diese finanziellen Leistungen bei Weitem nicht die anfallenden Kosten decken (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020).
Das Sozialversicherungssystem besteht aus zwei Hauptzweigen, nämlich der langfristigen Versicherung (Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversicherung) und der kurzfristigen Versicherung (Berufsunfälle, berufsbedingte und andere Krankheiten, Mutterschaftsurlaub) (SGK 2016). Das türkische Sozialversicherungssystem finanziert sich nach der Allokationsmethode durch Prämien und Beiträge, die von den Arbeitgebern, den Arbeitnehmern und dem Staat geleistet werden. Für die arbeitsplatzbezogene Unfall- und Krankenversicherung inklusive Mutterschaft bezahlt der unselbstständig Erwerbstätige nichts, der Arbeitgeber 2 %; für die Invaliditäts- und Pensionsversicherung beläuft sich der Arbeitnehmeranteil auf 9 % und der Arbeitgeberanteil auf 11 %. Der Beitrag zur allgemeinen Krankenversicherung beträgt für die Arbeitnehmer 5 % und für die Arbeitgeber 7,5 % (vom Bruttogehalt). Bei der Arbeitslosenversicherung zahlen die Beschäftigten 1 % vom Bruttolohn (bis zu einem Maximum) und die Arbeitgeber 2 %, ergänzt um einen Beitrag des Staates in der Höhe von 1 % des Bruttolohnes (bis zu einem Maximumwert) (SSA 9.2018).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), https://www.ecoi.net/en/file/local/2110308/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei,_20.05.2024.pdf, Zugriff 27.6.2024 [Login erforderlich]
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (14.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011504/Auswärtiges_Amt,_B3richt_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Mai_2019),_14.06.2019.pdf, Zugriff 6.11.2022 [Login erforderlich]
ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB Ankara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025
ÖSV/Hekimler A. - Österreichische Sozialversicherung (Herausgeber), Hekimler, Alpay (Autor) (14.11.2020): Sozialsystem und Sozialrecht in der Türkei, https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/?contentid=10007.845042 portal=svportal, Zugriff 20.1.2025
SGK - Anstalt für Soziale Sicherheit (Sosyal Güvenlik Kurumu) [Türkei] (2016): Universal Health Insurance, https://web.archive.org/web/20170103191505/http:/www.sgk.gov.tr/wps/portal/sgk/en/detail/universal_health_ins, Zugriff 6.11.2023
SSA - Social Security Administration [USA] (9.2018): Social Security Programs Throughout the World: Europe, 2018: Turkey, https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2018-2019/europe/turkey.html, Zugriff 7.11.2023
Arbeitslosenunterstützung
Die Arbeitslosenversicherung wurde im Jahr 1999 eingeführt und ist als Pflichtversicherung konzipiert. Versichert sind grundsätzlich alle Personen, die einer Beschäftigung im Rahmen eines Arbeitsvertrages nachgehen. Bestimmte Personengruppen sind von der Versicherungspflicht ausdrücklich ausgenommen, wie z. B. die Beamten und diejenigen, welche selbstständig einem Beruf nachgehen. Generell wird zwischen aktiven und passiven Leistungen unterschieden. Das von der Versicherung gezahlte Arbeitslosengeld stellt eine passiv geleistete Hilfe, eine angebotene Arbeits- und Berufsausbildung dagegen eine aktive Hilfsleistung dar. Im Fall der Arbeitslosigkeit gibt es nur eine finanzielle Unterstützung, die aus der Arbeitslosenversicherung gewährt wird, nämlich das Arbeitslosengeld. Daher wird nach dem zeitlich befristeten Arbeitslosengeld keine weitere finanzielle Leistung aus der Arbeitslosenversicherung sowie aus weiteren Institutionen erbracht (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020).
Arbeitslosengeld wird maximal zehn Monate lang ausbezahlt, wenn zuvor eine ununterbrochene, angemeldete Beschäftigung von mindestens 120 Tagen bestanden hat und nachgewiesen werden kann. Die Höhe des Arbeitslosengeldes richtet sich nach dem Durchschnittsverdienst der letzten vier Monate und beträgt 40 % des Durchschnittslohns der letzten vier Monate, maximal jedoch 80 % des Bruttomindestlohns. Die Leistungsdauer richtet sich danach, wie viele Tage der Arbeitnehmer in den letzten drei Jahren Beiträge entrichtet hat (İŞKUR o.D.; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 57).
Personen, die 600 Tage lang Zahlungen geleistet haben, haben Anspruch auf 180 Tage Arbeitslosengeld. Bei 900 Tagen beträgt der Anspruch 240 Tage, und bei 1.080 Beitragstagen macht der Anspruch 300 Tage aus (IOM 10.2024, S. 2; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 57, İŞKUR o.D.). Zudem muss der Arbeitnehmer die letzten 120 Tage vor dem Leistungsbezug ununterbrochen in einem sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis gestanden haben. Für die Dauer des Leistungsbezugs übernimmt die Arbeitslosenversicherung die Beiträge zur Kranken- und Mutterschutzversicherung (ÖB Ankara 4.2025, S. 57; vgl. ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). Das Gesetz schreibt vor, dass das Arbeitsverhältnis nicht auf Betreiben des Arbeitnehmers aufgelöst oder aufgrund seines Fehlverhaltens gekündigt worden sein darf (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020).
Nach Erhöhung des Mindestlohns im Jänner 2025 beträgt der Mindestarbeitslosenbetrag derzeit 10.323 Lira (ca. 250 EUR), der Maximalbetrag 20.646 Lira (rund 500 EUR) (İŞKUR 2025; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 57, CottGroup 25.12.2024).
Quellen
CottGroup - CottGroup (25.12.2024): Unemployment Fund Calculation and Amount for 2025 | CottGroup, https://www.cottgroup.com/en/blog/work-life/item/unemployment-fund-calculation-and-amount, Zugriff 9.1.2025
IOM - International Organization for Migration (10.2024): Türkei - Länderinformationsblatt 2024, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2024_Türkiye_DE.pdf, Zugriff 27.3.2025
İŞKUR - Turkish Employment Agency (Türkiye İş Kurumu) [Turkey] (o.D.): Unemployment Benefit, https://www.iskur.gov.tr/en/job-seeker/unemployment-insurance/unemployment-benefit/, Zugriff 10.1.2024
İŞKUR - Turkish Employment Agency (Türkiye İş Kurumu) [Turkey] (2025): İşsizlik Ödeneği Miktarı [Höhe des Arbeitslosengeldes], https://www.iskur.gov.tr/is-arayan/issizlik-sigortasi/issizlik-odenegi, Zugriff 18.4.2025
ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB Ankara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025
ÖSV/Hekimler A. - Österreichische Sozialversicherung (Herausgeber), Hekimler, Alpay (Autor) (14.11.2020): Sozialsystem und Sozialrecht in der Türkei, https://www.sozialversicherung.at/cdscontent/?contentid=10007.845042 portal=svportal, Zugriff 20.1.2025
Medizinische Versorgung
Mit der Gesundheitsreform 2003 wurde das staatlich zentralisierte Gesundheitssystem umstrukturiert und eine Kombination der "Nationalen Gesundheitsfürsorge" und der "Sozialen Krankenkasse" etabliert. Eine universelle Gesundheitsversicherung wurde eingeführt. Diese vereinheitlichte die verschiedenen Versicherungssysteme für Pensionisten, Selbstständige, Unselbstständige etc. Die staatliche Sozialversicherung gewährt den Versicherten eine medizinische Grundversorgung, die eine kostenlose Behandlung in den staatlichen Krankenhäusern mit einschließt. Viele medizinische Leistungen, wie etwa teure Medikamente und moderne Untersuchungsverfahren, sind von der Sozialversicherung jedoch nicht abgedeckt. 90 % der Bevölkerung sind mittlerweile versichert. Zudem sank infolge der Reform die Müttersterblichkeit bei der Geburt um 70 %, die Kindersterblichkeit um Zwei-Drittel. Sofern kein Beschäftigungsverhältnis vorliegt, beträgt der freiwillige Mindestbetrag für die allgemeine Krankenversicherung 3 % des Bruttomindestlohnes. Personen ohne reguläres Einkommen müssen monatlich 780,17 Lira (Stand April 2025: ca. 18 EUR) einzahlen. Der Staat übernimmt die Beitragszahlungen bei Nachweis eines sehr geringen Einkommens (178 €/Monat - Stand April 2025) (ÖB Ankara 4.2025, S. 58f). Überdies sind folgende Personen und Fälle von jeder Vorbedingung für die Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten befreit: Personen unter 18 Jahren, Personen, die medizinisch eine andere Person als Hilfestellung benötigen, Opfer von Verkehrsunfällen und Notfällen, Situationen von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, ansteckende Krankheiten mit Meldepflicht, Schutz- und präventive Gesundheitsdienste gegen Substanz-Missbrauch und Drogenabhängigkeit (SGK 2016).
Die Gesundheitsausgaben aus eigener Tasche der Haushalte für Behandlungen, Arzneimittel usw. beliefen sich 2023 auf 220 Milliarden 914 Millionen Lira, was einem Anstieg von 97,2 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. Das Verhältnis der Gesundheitsausgaben aus eigener Tasche der Haushalte zu den gesamten Gesundheitsausgaben betrug 17,8 % im Jahr 2023 (TUIK 6.12.2024).
Personen, die über eine Sozial- oder Krankenversicherung verfügen, können im Rahmen dieser Versicherung kostenlose Leistungen von Krankenhäusern in Anspruch nehmen. Die drei wichtigsten Organisationen in diesem Bereich sind:
Sozialversicherungsanstalt (SGK): für die Privatwirtschaft und die Arbeiter des öffentlichen Dienstes. Nach dem Gesetz haben alle Personen, die auf der Grundlage eines Dienstvertrags beschäftigt sind, Anspruch auf Sozialversicherung und Gesundheitsfürsorge.
Sozialversicherungsanstalt für Selbstständige (Bag-Kur): Diese Einrichtung deckt die Selbstständigen ab, die nicht unter das Sozialversicherungsgesetz (SGK) fallen. Dies sind Handwerker, Gewerbetreibende, Kleinunternehmer und Selbstständige in der Landwirtschaft.
Pensionsfonds für Beamte (Emekli Sandigi): Dies ist ein Pensionsfonds für Staatsbedienstete im Ruhestand, der auch eine Krankenversicherung umfasst (EUAA 8.4.2023).
GSS - Allgemeine Krankenversicherung
Die allgemeine Krankenversicherung ist als beitragsfinanzierte Pflichtversicherung konzipiert. Der Beitragsanteil ist mit 12,5 % des Bruttolohnes festgelegt, wovon 5 % auf den Arbeitnehmer und 7,5 % auf den Arbeitgeber fallen. Grundsätzlich sind alle Staatsbürger sowie Ausländer, die länger als ein Jahr in der Türkei ihren Aufenthalt haben, in den Schutzbereich einbezogen ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020; vgl. DRV-Recht 25.1.2020). Ausnahmen von der Versicherungspflicht gelten lediglich für das Parlament, das Verfassungsgericht, Soldaten/Wehrdienstleistende sowie Häftlinge. Ferner sind Ausländer, die in ihren Heimatstaaten über einen Krankenversicherungsschutz verfügen oder sich kürzer als ein Jahr in der Türkei aufhalten, nicht versicherungspflichtig. Für Kinder bis zum Alter von 18 beziehungsweise 25 Jahren, Ehepartner und (Schwieger-) Elternteile ohne eigenes Einkommen besteht die Möglichkeit einer Familienversicherung (DRV-Recht 25.1.2020). Ist das Einkommen der betroffenen Personen in einem Haushalt weniger als ein Drittel des Mindestlohnes, sind die Beiträge vom Staat zu übernehmen. Sollte das Einkommen zwischen einem Drittel des gesetzlichen Mindestlohns und der gesetzlichen Mindestlohngrenze liegen, sind die Beiträge auf Basis eines Drittels des Mindestlohns für die allgemeine Krankenversicherung zu entrichten. Wenn das Einkommen bis zum Zweifachen des Mindestlohns ausmacht, sind die Beiträge auf der Grundlage des Mindestlohns abzuführen. Sollte allerdings das Einkommen über dem Zweifachen des gesetzlichen Mindestlohns liegen, sind Beiträge auf Basis des zweifachen Ausmaßes des Mindestlohns zu entrichten. - Im Grunde kann man den unter Schutz genommenen Personenkreis in drei Gruppen einteilen. Die erste ist die jener, die einer Beschäftigung nachgehen und ihre Beiträge entrichten. In die zweite Gruppe werden diejenigen eingeordnet, die zwar keiner Beschäftigung nachgehen, jedoch durch Entrichtung von Beiträgen in den Versicherungsschutz einbezogen werden. Zu diesen zählen z. B. freiwillig Versicherte, Ausländer, die ihren Aufenthalt in der Türkei haben und nicht von ihrem Heimatstaat aus versichert sind. Für die dritte Gruppe werden die Beiträge direkt vom Staat übernommen, diese sind z. B. Bedürftige, Asylanten und einige weitere Personen (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020; vgl. DRV-Recht 25.1.2020).
Der allgemein Krankenversicherte muss vor der Leistungsinanspruchnahme im letzten Jahr mindestens für 30 Tage Beiträge geleistet haben. Daneben dürfen freiwillig Versicherte, selbstständig Tätige sowie Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung und nicht von ihrem Heimatland aus versichert sind, keine Beitragsschulden haben. Die Generalklausel von mindestens 30 Tagen an Beiträgen im letzten Jahr vor Eintritt des Leistungsfalles entfällt in Notfällen, bei Berufsunfällen, Berufskrankheiten, ansteckenden Krankheiten, Mutterschaft und in einigen weiteren Fällen (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020).
Der Antrag für die allgemeine Krankenversicherung wird bei den Sozialhilfe- und Solidaritätsstiftungen innerhalb der Verwaltungsgrenzen der Provinz oder des Bezirks gestellt, in der/dem der Wohnsitz der Person im adressbasierten Melderegister eingetragen ist (EUAA 8.4.2023).
Selbstbehalt (Zuzahlungen)
Beim Selbstbehalt (i. e. Zuzahlung) handelt es sich um einen kleinen Betrag, der von den Bürgern gezahlt wird und der als Zuzahlung für Untersuchungen bezeichnet wird. Mit anderen Worten, die Zuzahlung bzw. Selbstbehalt bezieht sich auf die Gebühr, die Versicherte und Rentner oder ihre abhängigen Angehörigen für die Gesundheitsdienstleistungen zahlen, die sie von Gesundheitseinrichtungen wie Krankenhäusern, Hausärzten, Gesundheitszentren usw. erhalten. Die Zuzahlung wird für ambulante Untersuchungen erhoben, mit Ausnahme derjenigen, die bei primären Gesundheitsdienstleistern, d. h. bei Hausärzten, durchgeführt werden. Die Zuzahlung beträgt 6 Lira in öffentlichen Einrichtungen der sekundären Gesundheitsversorgung, 7 Lira in Ausbildungs- und Forschungskrankenhäusern des Gesundheitsministeriums, die gemeinsam mit Universitäten genutzt werden, und 8 Lira in Universitätskliniken. Zuzahlungen bzw. Selbstbehalte bei Medikamenten werden von der Apotheke bei der ersten Beantragung eines Rezepts erhoben. Im Falle einer ambulanten Behandlung sind die Sätze: 10 % der Arzneimittelkosten für Rentner und deren Angehörige, 20 % der Medikamentenkosten für andere Versicherte und deren Angehörige (EUAA 8.4.2023).
Um vom türkischen Gesundheits- und Sozialsystem profitieren zu können, müssen sich in der Türkei lebende Personen bei der türkischen Sozialversicherungsbehörde (Sosyal Güvenlik Kurumu - SGK) anmelden. Gesundheitsleistungen werden sowohl von privaten als auch von staatlichen Institutionen angeboten. Sofern Patienten bei der SGK versichert sind, sind Behandlungen in öffentlichen Krankenhäusern kostenlos. Private Versicherungen können, je nach Umfang und Deckung, hohe Behandlungskosten übernehmen. Innerhalb der SGK sind Impfungen, Laboruntersuchungen zur Diagnose, medizinische Untersuchungen, Geburtsvorbereitung und Behandlungen nach der Schwangerschaft sowie bei Notfallbehandlungen (IOM 10.2024, S. 1) und im Fallen eines Arbeitsunfalles, bei Berufskrankheiten, krankheitsvorbeugenden Maßnahmen und für chronisch Erkrankte kostenlos (ÖSV/Hekimler A. 14.11.2020). Der Beitrag für die Inanspruchnahme der allgemeinen Krankenversicherung (GSS) hängt vom Einkommen des Leistungsempfängers ab (ab 600,08 Lira für Inhaber eines türkischen Personalausweises) (IOM 10.2024, S. 1). 2021 hatten insgesamt circa 1,5 Millionen Personen eine private Zusatzkrankenversicherung. Dabei handelt es sich überwiegend um Polizzen, die Leistungen bei ambulanter und stationärer Behandlung abdecken, wobei nur eine geringe Zahl (rund 178.000) für ausschließlich stationäre Behandlungen abgeschlossen sind (MPI-SRSP 3.2021, S. 15).
Rückkehrende mit einer Aufenthaltserlaubnis, die dauerhaft (seit mindestens einem Jahr) in der Türkei leben und keine Krankenversicherung nach den Rechtsvorschriften ihres Heimatlandes haben, müssen eine monatliche Pflichtgebühr entrichten. Die Begünstigten müssen sich registrieren lassen und die Versicherungsprämie für mindestens 180 Tage im Voraus bezahlen, damit sie in den Genuss des Sozialversicherungssystems bzw. der Gesundheitsversorgung zu kommen. Die Versicherung tritt automatisch in Kraft, und die Begünstigten können das System auch nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben noch weitere sechs Monate in Anspruch nehmen. Die Versicherung muss mindestens 60 Tage vor der Diagnose abgeschlossen worden sein. - Rückkehrende können sich über Sozialversicherungsämter im ganzen Land anmelden. Es gibt kein spezifisches Verfahren für die Registrierung von Rückkehrenden. Nach der Registrierung bei der SGK gelten auch Familienmitglieder (Kinder, Ehepartner) des/der Begünstigten als registriert und profitieren von der kostenlosen Gesundheitsversorgung (IOM 10.2024, S. 1, 4).
Die medizinische Primärversorgung ist flächendeckend ausreichend. Die sekundäre und post-operationelle Versorgung sind dagegen verbesserungswürdig. In den großen Städten sind Universitätskrankenhäuser und große Spitäler nach dem neusten Stand eingerichtet. Mangelhaft bleibt das Angebot für die psychische Gesundheit (ÖB Ankara 4.2025, S. 59). Trotzdem wurd das staatliche Gesundheitssystem in den letzten Jahren ausgebaut, vor allem in ländlichen Gegenden. 2012 hat die Türkei eine allgemeine, obligatorische Krankenversicherung eingeführt. Der grundsätzlichen Krankenversicherungspflicht unterliegen alle Personen mit Wohnsitz in der Türkei. Für Bedürftige übernimmt der Staat die Krankenversicherungsbeiträge. Auch wenn Versorgungsdefizite - vor allem in ländlichen Provinzen - bei der medizinischen Ausstattung und im Hinblick auf die Anzahl von Ärzten bzw. Pflegern bestehen, sind landesweit Behandlungsmöglichkeiten für alle Krankheiten gewährleistet, insbesondere auch bei chronischen Erkrankungen wie Krebs, Niereninsuffizienz (Dialyse), Diabetes, AIDS, psychiatrischen Erkrankungen und Drogenabhängigkeit (AA 20.5.2024, S. 21).
Die Behandlung psychischer Erkrankungen erfolgt überwiegend in öffentlichen Institutionen. Bei der Behandlung sind zunehmend private Kapazitäten und ein steigender Standard festzustellen. Innerhalb der staatlichen Krankenhäuser gibt es 45 therapeutische Zentren für Alkohol- und Drogenabhängige für Erwachsene (AMATEM) mit insgesamt 732 Betten in 33 Provinzen. Zusätzlich gibt es noch sieben weitere sog. Behandlungszentren für Drogenabhängigkeit von Kindern und Jugendlichen (ÇEMATEM) mit insgesamt 100 Betten. Bei der Schmerztherapie und Palliativmedizin bestehen Defizite. Allerdings versorgt das Gesundheitsministerium alle öffentlichen Krankenhäuser mit Morphium. Zudem können Hausärzte bzw. deren Krankenpfleger diese Schmerzmittel verschreiben und Patienten in Apotheken auf Rezept derartige Schmerzmittel erwerben. Es gibt zwei staatliche Onkologiekrankenhäuser in Ankara und Bursa unter der Verwaltung des türkischen Gesundheitsministeriums. Nach jüngsten offiziellen Angaben gibt es darüber hinaus 33 Onkologiestationen in staatlichen Krankenhäusern mit unterschiedlichen Behandlungsverfahren. Eine AIDS-Behandlung kann in 93 staatlichen Hospitälern wie auch in 68 Universitätskrankenhäusern durchgeführt werden. In Istanbul stehen zudem drei, in Ankara und İzmir jeweils zwei private Krankenhäuser für eine solche Behandlung zur Verfügung (AA 28.7.2022, S. 22).
Der Gesundheitssektor gehört zu den Branchen, welche am stärksten von der Abwanderung ins Ausland betroffen sind (FNS 31.3.2022). Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der İYİ‐Partei, Turhan CÖMEZ, Parlamentsabgeordneter und selbst Arzt gab im Juni 2024 gegenüber der Tageszeitung Sözcü bekannt, dass bereits 15.000 türkische Ärzte zum Arbeiten ins Ausland gegangen seien. Mitverantwortlich dafür seien neben dem Hauptanreiz einer besseren Entlohnung auch die schlechten Arbeitsbedingungen und die ständig präsenten verbalen und physischen Übergriffe auf das medizinische Personal (TM 19.6.2024; vgl. DTJ 10.10.2023). Laut einer Umfrage der Türkischen Ärztekammer gaben neun von zehn Ärzten an, in ihrer Laufbahn schon einmal von Patienten oder Angehörigen attackiert worden zu sein (DTJ 29.10.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (20.5.2024): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Januar 2024), https://www.ecoi.net/en/file/local/2110308/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei,_20.05.2024.pdf, Zugriff 27.6.2024 [Login erforderlich]
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2078231/Deutschland_Auswärtiges_Amt_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Juni_2022)_28.07.2022.pdf, Zugriff 31.10.2023 [Login erforderlich]
DRV-Recht - Deutsche Rentenversicherung - Rechtsportal (25.1.2020): Literatursystem - Türkei - Organisation der Sozialversicherung Türkei, https://rvrecht.deutsche-rentenversicherung.de/SharedDocs/rvRecht/02_GRA_EU_SVA/04_Laender/Tuerkei/gra_tuerkei_05_orgsv.html, Zugriff 20.1.2025
DTJ - Deutsch Türkisches Journal (29.10.2024): Gewalt gegen Ärzte in der Türkei: Brutaler Angriff mit Schere endet fast tödlich, https://dtj-online.de/gewalt-gegen-aerzte-in-der-tuerkei-brutaler-angriff-mit-schere-endet-fast-toedlich, Zugriff 31.10.2024
DTJ - Deutsch Türkisches Journal (10.10.2023): Ärzteflucht aus der Türkei wird immer gravierender, https://dtj-online.de/aerzteflucht-aus-der-tuerkei-wird-immer-gravierender, Zugriff 31.10.2024
EUAA - European Union Agency for Asylum (8.4.2023): Medical Country of Origin Information [ACC 7765], https://medcoi.euaa.europa.eu/Source/Detail/23301, Zugriff 3.11.2023 [Login erforderlich]
FNS - Friedrich Naumann Stiftung (31.3.2022): Brain-Drain: Die Abwanderung türkischer Ärztinnen und Ärzte, https://www.freiheit.org/de/tuerkei/brain-drain-die-abwanderung-turkischer-aerztinnen-und-aerzte?utm_source=newsletter utm_medium=email utm_campaign=Newsletter 2021-12-08T17:03:25+01:00, Zugriff 6.11.2023
IOM - International Organization for Migration (10.2024): Türkei - Länderinformationsblatt 2024, https://files.returningfromgermany.de/files/CFS_2024_Türkiye_DE.pdf, Zugriff 27.3.2025
MPI-SRSP - Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik (3.2021): Social Law Report No. 4/2021 - Sozialrechtliche Entwicklungen in der Türkei Berichtszeitraum: April 2020 – März 2021, https://www.mpisoc.mpg.de/fileadmin/user_upload/data/Sozialrecht/Publikationen/Schriftenreihen/Social_Law_Reports/SLR_4_2021__Türkei.pdf, Zugriff 6.11.2023
ÖB Ankara - Österreichische Botschaft Ankara [Österreich] (4.2025): Asylländerbericht 2024 – ÖB Ankara, https://www.ecoi.net/en/file/local/2125282/TUER_ÖB Bericht_2025_04.pdf, Zugriff 13.5.2025
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TM - Turkish Minute (19.6.2024): 15,000 doctors have left Turkey for better opportunities abroad: opposition MP - Turkish Minute, https://www.turkishminute.com/2024/06/19/15000-doctors-have-left-turkey-for-better-opportunities-abroad-opposition-mp, Zugriff 24.7.2024
TUIK - Turkish Statistical Institute [Türkei] (6.12.2024): Health Expenditure Statistics, 2023, https://data.tuik.gov.tr/Bulten/Index?p=Health-Expenditure-Statistics-2023-53561, Zugriff 27.3.2025
Behandlung nach Rückkehr
Die türkischen Behörden unterhalten eine Reihe von Datenbanken, die Informationen für Einwanderungs- und Strafverfolgungsbeamte bereitstellen. Das "Allgemeine Informationssammlungssystem", das Informationen über Haftbefehle, frühere Verhaftungen, Reisebeschränkungen, Wehrdienstaufzeichnungen und den Steuerstatus liefert, ist in den meisten Flug- und Seehäfen des Landes verfügbar. Ein separates Grenzkontroll-Informationssystem, das von der Polizei genutzt wird, sammelt Informationen über frühere Ankünfte und Abreisen. Das Direktorat, zuständig für die Registrierung von Justizakten, führt Aufzeichnungen über bereits verbüßte Strafen. Das "Zentrale Melderegistersystem" (MERNIS) verwaltet Informationen über den Personenstand (DFAT 16.5.2025, S. 41).
Wenn bei der Einreisekontrolle festgestellt wird, dass für die Person ein Eintrag im Fahndungsregister besteht oder ein Ermittlungsverfahren anhängig ist, wird die Person in Polizeigewahrsam genommen. Im anschließenden Verhör durch einen Staatsanwalt oder durch einen von ihm bestimmten Polizeibeamten wird der Festgenommene mit den schriftlich vorliegenden Anschuldigungen konfrontiert. In der Regel wird ein Anwalt hinzugezogen. Der Staatsanwalt verfügt entweder die Freilassung oder überstellt den Betroffenen dem zuständigen Richter. Bei der Befragung durch den Richter ist der Anwalt ebenfalls anwesend. Wenn aufgrund eines Eintrages festgestellt wird, dass ein Strafverfahren anhängig ist, wird die Person bei der Einreise ebenfalls festgenommen und der Staatsanwaltschaft überstellt (AA 24.8.2020, S. 27; vgl. UKHO 10.2019a, S. 49).
Personen, die für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) oder eine mit der PKK verbündete Organisation tätig sind/waren, müssen in der Türkei mit langen Haftstrafen rechnen [Stand Juni 2025]. Das gleiche gilt auch für die Tätigkeit in bzw. für andere Terrororganisationen wie die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C), die türkische Hisbollah [Anm.: auch als kurdische Hisbollah bekannt, und nicht mit der schiitischen Hisbollah im Libanon verbunden], al-Qa'ida, den Islamischen Staat (IS) etc. Seit dem Putschversuch 2016 werden Personen, die mit dem Gülen-Netzwerk in Verbindung stehen, in der Türkei als Terroristen eingestuft. Nach Mitgliedern der Gülen-Bewegung, die im Ausland leben, wird zumindest national in der Türkei gefahndet; über Sympathisanten werden (eventuell nach Vernehmungen bei der versuchten Einreise) oft Einreiseverbote verhängt (ÖB Ankara 4.2025, S. 55). Das türkische Außenministerium sieht auch die syrisch-kurdische Partei der Demokratischen Union (PYD) bzw. die Volksverteidigungseinheiten (YPG) als Teilorganisationen der als terroristisch eingestuften PKK (TRMFA 2022). Die PYD bzw. ihr militärischer Arm, die YPG, sind im Unterschied zur PKK seitens der EU nicht als terroristische Organisationen eingestuft (EU 31.1.2025).
Öffentliche Äußerungen, auch in sozialen Netzwerken, Zeitungsannoncen oder -artikeln, sowie Beteiligung an Demonstrationen, Kongressen, Konzerten, Beerdigungen etc. im Ausland, bei denen Unterstützung für kurdische Belange geäußert wird, können strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie als Anstiftung zu separatistischen und terroristischen Aktionen in der Türkei oder als Unterstützung illegaler Organisationen nach dem türkischen Strafgesetzbuch gewertet werden. Aus bekannt gewordenen Fällen ist zu schließen, dass solche Äußerungen (AA 20.5.2024, S. 15f.), auch das bloße Liken eines fremden Beitrages in sozialen Medien, und Handlungen (z. B. die Unterzeichnung einer Petition) (AA 28.7.2022, S. 15) zunehmend zu Strafverfolgung und Verurteilung führen und sogar als Indizien für eine Mitgliedschaft in einer Terrororganisation herangezogen werden. Für die Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen reicht hierfür ggf. bereits die Mitgliedschaft in bestimmten Vereinen oder die Teilnahme an oben aufgeführten Arten von Veranstaltungen aus (AA 20.5.2024, S. 15f.). Auch nicht-öffentliche Kommentare können durch anonyme Denunziation an türkische Strafverfolgungsbehörden weitergeleitet werden (AA 24.4.2025). Es sind zudem Fälle bekannt, in denen Türken, auch Doppelstaatsbürger, welche die türkische Regierung in den Medien oder in sozialen Medien kritisierten, bei der Einreise in die Türkei verhaftet oder unter Hausarrest gestellt wurden, bzw. über sie ein Reiseverbot verhängt wurde (MBZ 31.10.2019, S. 52; vgl. AA 24.4.2025). Festnahmen, Strafverfolgungen oder Ausreisesperren sind auch im Zusammenhang mit regierungskritischen Stellungnahmen in den sozialen Medien zu beobachten, vermehrt auch aufgrund des Vorwurfs der Präsidentenbeleidigung. Hierfür wurden bereits mehrjährige Haftstrafen verhängt. Auch Ausreisesperren können für Personen mit Lebensmittelpunkt z. B. in Deutschland existenzbedrohende Konsequenzen haben (AA 24.4.2025). Laut Angaben von Seyit Sönmez von der Istanbuler Rechtsanwaltskammer sollen an den Flughäfen Tausende Personen, Doppelstaatsbürger oder Menschen mit türkischen Wurzeln, verhaftet oder ausgewiesen worden sein, und zwar wegen "Terrorismuspropaganda", "Beleidigung des Präsidenten" und "Aufstachelung zum Hass in der Öffentlichkeit". Hierbei wurden in einigen Fällen die Mobiltelefone und die Konten in den sozialen Medien an den Grenzübergängen behördlich geprüft. So etwas Problematisches vorgefunden wird, werden in der Regel Personen ohne türkischen Pass unter dem Vorwand der Bedrohung der Sicherheit zurückgewiesen, türkische Staatsbürger verhaftet und mit einem Ausreiseverbot belegt (SCF 7.1.2021; vgl. Independent 5.1.2021). Auch Personen, die in der Vergangenheit ohne Probleme ein- und ausreisen konnten, können bei einem erneuten Aufenthalt aufgrund zeitlich weit zurückliegender oder neuer Tatvorwürfe festgenommen werden (AA 24.4.2025).
Personen, die in einem Naheverhältnis zu einer im Ausland befindlichen, in der Türkei insbesondere aufgrund des Verdachts der Mitgliedschaft in einer Terrororganisation bekanntlich gesuchten Person stehen, können selbst zum Objekt strafrechtlicher Ermittlungen werden. Dies betrifft auch Personen mit Auslandsbezug, darunter Österreicher und EU-Bürger, sowie türkische Staatsangehörige mit Wohnsitz im Ausland, die bei der Einreise überraschend angehalten und entweder in Untersuchungshaft verbracht oder mit einer Ausreisesperre belegt werden. Generell ist jedoch nicht eindeutig feststellbar, ob diese Personen tatsächlich lediglich aufgrund ihres Naheverhältnisses zu einer bekannten gesuchten Person gleichsam in "Sippenhaft" genommen werden, oder ob sie aufgrund eigener Aktivitäten im Ausland (etwa in Verbindung mit der PKK oder der Gülen-Bewegung) ins Visier der türkischen Strafjustiz geraten sind (ÖB Ankara 4.2025, S. 15).
Abgeschobene türkische Staatsangehörige werden von der Türkei rückübernommen. Das Verfahren ist jedoch oft langwierig ÖB Ankara 4.2025, S. 55). Probleme von Rückkehrern infolge einer Asylantragstellung im Ausland sind nicht bekannt (DFAT 16.5.2025, S. 42; vgl. ÖB Ankara 4.2025, S. 55). Eine Abfrage im Zentralen Personenstandsregister ist verpflichtend vorgeschrieben, insbesondere bei Rückübernahmen von türkischen Staatsangehörigen. Nach Artikel 23 der türkischen Verfassung bzw. § 3 des türkischen Passgesetzes ist die Türkei zur Rückübernahme türkischer Staatsangehöriger verpflichtet, wenn zweifelsfrei der Nachweis der türkischen Staatsangehörigkeit vorliegt. Drittstaatenangehörige werden gemäß ICAO-[International Civil Aviation Organization] Praktiken rückübernommen. Die Türkei hat zudem mit Griechenland, Kirgistan, Pakistan, Rumänien, Syrien und der Ukraine ein entsprechendes bilaterales Abkommen unterzeichnet (ÖB Ankara 4.2025, S. 62). Die ausgefeilten Informationsdatenbanken der Türkei bedeuten, dass abgelehnte Asylbewerber wahrscheinlich die Aufmerksamkeit der Regierung auf sich ziehen, wenn sie eine Vorstrafe haben oder Mitglied einer Gruppe von besonderem Interesse sind, einschließlich der Gülen-Bewegung, kurdischer oder oppositioneller politischer Aktivisten, oder sie Menschenrechtsaktivisten, Wehrdienstverweigerer oder Deserteure sind (DFAT 16.5.2025, S. 42; vgl. MBZ 18.3.2021, S. 71). Anzumerken ist, dass die Türkei keine gesetzlichen Bestimmungen hat, die es zu einem Straftatbestand machen, im Ausland Asyl zu beantragen (MBZ 18.3.2021, S. 71).
Gülen-Anhänger, gegen die juristisch vorgegangen wird, bekommen im Ausland von der dort zuständigen Botschaft bzw. dem Generalkonsulat keinen Reisepass ausgestellt (VB Istanbul 23.6.2025; vgl. USDOS 22.4.2024, S. 20). Sie erhalten nur ein kurzfristiges Reisedokument, damit sie in die Türkei reisen können, um sich vor Gericht zu verantworten. Sie können auch nicht aus der Staatsbürgerschaft austreten. Die Betroffenen können nur über ihre Anwälte in der Türkei erfahren, welche juristische Schritte gegen sie eingeleitet wurden, aber das auch nur, wenn sie in die Akte Einsicht erhalten, d. h., wenn es keine geheime Akte ist. Die meisten, je nach Vorwurf, können nicht erfahren, ob gegen sie ein Haftbefehl besteht oder nicht (VB Istanbul 23.6.2025).
Eine Reihe von Vereinen (oft von Rückkehrern selbst gegründet) bieten spezielle Programme an, die Rückkehrern bei diversen Fragen wie etwa der Wohnungssuche, Versorgung etc. unterstützen sollen. Zu diesen Vereinen gehören unter anderem:
Rückkehrer Stammtisch Istanbul, Frau Çiğdem Akkaya, LinkTurkey, E-Mail: info@link-turkey.com
Die Brücke, Frau Christine Senol, Email: http://bruecke-istanbul.com/
TAKID, Deutsch-Türkischer Verein für kulturelle Zusammenarbeit, ÇUKUROVA/ADANA, E-Mail: almankulturadana@yahoo.de, www.takid.org (ÖB Ankara 4.2025, S. 56).
Strafbarkeit von im Ausland gesetzten Handlungen/ Doppelbestrafung
Hinsichtlich der Bestimmungen zur Doppelbestrafung hat die Türkei im Mai 2016 das Protokoll 7 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) ratifiziert. Art. 4 des Protokolls besagt, dass niemand in einem Strafverfahren unter der Gerichtsbarkeit desselben Staates wegen einer Straftat, für die er bereits nach dem Recht und dem Strafverfahren des Staates rechtskräftig freigesprochen oder verurteilt worden ist, erneut verfolgt oder bestraft werden darf (DFAT 16.5.2025, S. 40).
Gemäß Art. 8 des Strafgesetzbuches sind türkische Gerichte nur für Straftaten zuständig, die in der Türkei begangen wurden (Territorialitätsprinzip) oder deren Ergebnis in der Türkei wirksam wurde. Gegen Personen, die im Ausland für eine in der Türkei begangene Straftat verurteilt wurden, kann in der Türkei erneut ein Verfahren geführt werden (Art. 9). Ausnahmen vom Territorialitätsprinzip sehen die Art. 10 bis 13 des Strafgesetzbuches vor. So werden etwa öffentlich Bedienstete und Personen, die für die Türkei im Ausland Dienst versehen und im Zuge dieser Tätigkeit eine Straftat begehen, trotz Verurteilung im Ausland in der Türkei einem neuerlichen Verfahren unterworfen (Art. 9). Türkische Staatsangehörige, die im Ausland eine auch in der Türkei strafbare Handlung begehen, die mit einer mehr als einjährigen Haftstrafe bedroht ist, können in der Türkei verfolgt und bestraft werden, wenn sie sich in der Türkei aufhalten und nicht schon im Ausland für diese Tat verurteilt wurden (Art. 11/1). Art. 13 des türkischen Strafgesetzbuchs enthält eine Aufzählung von Straftaten, auf die unabhängig vom Ort der Tat und der Staatsangehörigkeit des Täters türkisches Recht angewandt wird. Dazu zählen vor allem Folter, Umweltverschmutzung, Drogenherstellung, Drogenhandel, Prostitution, Entführung von Verkehrsmitteln oder Beschädigung derselben und Geldfälschung (ÖB Ankara 4.2025, S. 55f.). Art. 16 sieht vor, dass die im Ausland verbüßte Haftzeit von der endgültigen Strafe abgezogen wird, die für dieselbe Straftat in der Türkei verhängt wird. Darüber hinaus sind Fälle bekannt, in denen türkische Behörden die Auslieferung von Personen beantragt haben, die aufgrund von Bedenken wegen doppelter Strafverfolgung abgelehnt wurden. Die Türkei wendet die Bestimmungen zur doppelten Strafverfolgung auf einer Ad-hoc-Basis an (DFAT 16.5.2025, S. 40).
Eine weitere Ausnahme vom Prinzip "ne bis in idem", d. h. der Vermeidung einer Doppelbestrafung, findet sich im Art. 19 des Strafgesetzbuches. Während eines Strafverfahrens in der Türkei darf zwar die nach türkischem Recht gegen eine Person, die wegen einer außerhalb des Hoheitsgebiets der Türkei begangenen Straftat verurteilt wird, verhängte Strafe nicht mehr als die in den Gesetzen des Landes, in dem die Straftat begangen wurde, vorgesehene Höchstgrenze der Strafe betragen, doch diese Bestimmungen finden keine Anwendung, wenn die Straftat begangen wird: entweder gegen die Sicherheit von oder zum Schaden der Türkei; oder gegen einen türkischen Staatsbürger oder zum Schaden einer nach türkischem Recht gegründeten privaten juristischen Person (CoE-VC 15.2.2016).
Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge wird die illegale Ausreise aus der Türkei nicht als Straftat betrachtet. Infolgedessen müssten Personen, die unter diesen Umständen zurückkehren, wahrscheinlich nur mit einer Verwaltungsstrafe rechnen (MBZ 31.8.2023, S. 88).
Quellen
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AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.7.2022): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei (Stand: Juni 2022), https://www.ecoi.net/en/file/local/2078231/Deutschland_Auswärtiges_Amt_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Juni_2022)_28.07.2022.pdf, Zugriff 31.10.2023 [Login erforderlich]
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (24.8.2020): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei, https://www.ecoi.net/en/file/local/2037143/Deutschland___Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Republik_Türkei_(Stand_Juni_2020),_24.08.2020.pdf, Zugriff 8.9.2023 [Login erforderlich]
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Independent - Independent, The (5.1.2021): Yurtdışında yaşayan binlerce kişiye Türkiye girişlerinde sosyal medya paylaşımları nedeniyle işlem yapıldığı iddia edildi [Gegen Tausende von Menschen, die im Ausland leben, wurde angeblich wegen Social-Media-Postings an den Grenzübergängen in die Türkei vorgegangen], https://www.indyturk.com/node/295631/yurtdışında-yaşayan-binlerce-kişiye-türkiye-girişlerinde-sosyal-medya-paylaşımları, Zugriff 10.1.2024
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TRMFA - Republic of Turkey - Ministry of Foreign Affairs [Türkei] (2022): PKK, https://www.mfa.gov.tr/pkk.en.mfa, Zugriff 11.1.2024 [Login erforderlich]
UKHO - United Kingdom Home Office [United Kingdom] (10.2019a): Report of a Home Office Fact-Finding Mission Turkey: Kurds, the HDP and the PKK; Conducted 17 June to 21 June 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2020297/TURKEY_FFM_REPORT_2019.odt, Zugriff 19.3.2025
USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): Country Report on Human Rights Practices 2023 – Turkey (Türkiye), https://www.state.gov/wp-content/uploads/2024/02/528267_TÜRKIYE-2023-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 23.4.2024 [Login erforderlich]
VB Istanbul - VB - Verbindungsbeamte des BMI in Ankara/Istanbul [Österreich] (23.6.2025): Auskunft des Büros des BMI Verbindungsbeamten in Istanbul, Antwort per E-Mail [Login erforderlich]
Rückkehrunterstützung des österreichischen Staates [Dieses Kapitel basiert auf Informationen, die von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) mit Stand Dezember 2024 zur Verfügung gestellt worden sind (BMI 6.12.2024). Im Bereich der Rückkehrunterstützung kann es zu kurzfristigen Änderungen kommen. Für weitere Informationen sei auf die entsprechende Seite der BBU verwiesen].
Die Mitarbeiter der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) informieren individuell über die Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr bzw. die verfügbaren Unterstützungsleistungen.
Die Rückkehrunterstützung umfasst folgende Leistungen:
Kostenlose individuelle Beratung zur freiwilligen Rückkehr einschließlich Antragsstellung auf finanzielle Unterstützung durch die BBU
Organisatorische Unterstützung bei der Reisevorbereitung
Übernahme der Heimreisekosten
Finanzielle Starthilfe in Höhe von bis zu € 900
Reintegrationsprogrammteilnahme nach der Rückkehr im Zielland
Ein Rechtsanspruch auf diese Unterstützungsleistungen besteht nicht. Die Bewilligung erfolgt durch das österreichische Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA). Weitere Informationen zu den aktuellen Unterstützungsangeboten (Rückkehrunterstützung inkl. Reintegrationsunterstützung) sind auf der Webseite www.returnfromaustria.at verfügbar.
Die BBU unterstützt sowohl bei der Reiseplanung und der Flugbuchung als auch bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten, einer ggf. notwendigen medizinischen Versorgung sowie mit der Übernahme der Rückreisekosten. Organisatorische Unterstützung kann grundsätzlich in jeder Verfahrenskonstellation gewährt werden. Voraussetzung für die Gewährung der Übernahme der Heimreisekosten ist die Mittellosigkeit der rückkehrenden Person.
Finanzielle Starthilfe
Die Höhe der finanziellen Starthilfe ist in einem degressiven Modell geregelt und staffelt sich nach dem Zeitpunkt der Antragstellung auf unterstützte freiwillige Rückkehr:
Während des laufenden asyl- oder fremdenrechtlichen Verfahrens bis ein Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung: € 900,00 pro Person; ab einem Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung: € 250,00 pro Person
Kernfamilien: Maximalbetrag von € 3.000 pro Familie
Sonderkonstellation: Für vulnerable Rückkehrende, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein einmaliger Betrag von € 250,00 pro Person gewährt werden.
Kriterien für den Erhalt der finanziellen Starthilfe und der Reintegrationsunterstützung (Ausnahmen im Einzelfall möglich):
Freiwillige Ausreise
Finanzielle Bedürftigkeit bzw. Mittellosigkeit
Erstmaliger Bezug der Unterstützungsleistung
Nachhaltigkeit der Ausreise
Keinerlei Evidenz eines Sicherheitsrisikos durch die freiwillige Rückkehr
Keine schwere Straffälligkeit
Ausgeschlossen vom Bezug der finanziellen Starthilfe sind EWR-Bürger, Personen aus den Westbalkan-Staaten sowie Staatsangehörige von Ländern mit visumsfreier Einreise nach Österreich (z. B. Georgien, Moldawien). Sonderkonstellation: Für vulnerable Rückkehrende aus diesen Regionen, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein einmaliger Betrag von € 250,00 pro Person gewährt werden
Reintragrationsunterstützung
Für 42 Herkunftsländer können freiwillige Rückkehrer im Sinne des Leitgedankens "Rückkehr mit Perspektiven" Reintegrationsunterstützung im Wert von bis zu € 3.500 beantragen.
Die Abwicklung des Reintegrationsangebots erfolgt mit den Kooperationspartnern:
Frontex (EU Reintegrationsprogramm EURP)
IOM Österreich (Reintegrationsprogramm RESTART IV)
Caritas Österreich (Reintegratonsprogramm IRMA plus III)
OFII (französische Migrationsbehörde „French Office for Immigration and Integration“)
ETTC (im Irak tätige NGO „European Technology and Training Centre“)
Im Rahmen der Reintegrationsprogramme erhalten Rückkehrende umfassende Unterstützung bei der Wiedereingliederung in ihrem Herkunftsland. Dazu gehören individuelle, persönliche Beratung und vorwiegend Sachleistungen z. B. wirtschaftliche, soziale und psychosoziale Hilfen. Die Programme bieten ein breites Spektrum an Leistungen, um einen optimalen Einsatz der Mittel zu gewährleisten.
Weitere Informationen zu den jeweiligen Programmen bzw. für welche Herkunftsländer diese angeboten werden, sind den oben angeführten Seiten zu entnehmen (BMI 6.12.2024).
Quelle
BMI - Bundesministerium für Inneres [Österreich] (6.12.2024): Österreichische Rückkehrunterstützung – Übersicht der Leistungen
Aus der Auskunft der Schweizer Flüchtlingshilfe Türkei: Blutfehden vom 20. April 2023 geht Folgendes hervor:
1 Einführung
Einer Anfrage an die SFH-Länderanalyse sind die folgenden Fragen entnommen:
1. Laufen Mitglieder einer an einer Blutfehde beteiligten Familie Gefahr, verfolgt zu werden?
2. Welche konkreten Maßnahmen können Regierungsbehörden ergreifen, um den betroffenen Personen oder Familien auf Anfrage Schutz zu bieten?
3. Richten sich die Angriffe im Rahmen einer Blutfehde gegen alle nahestehenden oder entfernten Mitglieder einer der betroffenen Familien (Neffen, Onkel)?
4. Ist es möglich, sich vor einer Blutfehde zu schützen, indem man an einen anderen Ort in der Türkei flüchtet?
5. Genießen Dorfschützer im Falle einer Straftat den Schutz der Behörden, eine gewisse Immunität beziehungsweise allfällige andere Arten der Straffreiheit?
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) beobachtet die Entwicklungen in der Türkei seit mehreren Jahren. Aufgrund von Auskünften von Expert*innen und eigenen Recherchen
nimmt die SFH zu den Fragen wie folgt Stellung.
2 Risiken für die an einer Blutfehde beteiligten Familienmitglieder
2.1 Risiko für alle Familienmitglieder, getötet zu werden
Risiko für die bei einer Blutfehde ins Visier geratenen Personen, getötet zu werden. Alle Personen, die in Blutsverwandtschaft mit der betroffenen Familie stehen, können ins Visier geraten, einschließlich Cousins und gegebenenfalls sogar angeheiratete Mitglieder. Gemäß einem bei der SFH am 19. April 2023 eingegangenen E-Mail von Gareth Jenkins, einem in Istanbul ansässigen Wissenschaftler, der auf Blutfehden in der Südosttürkei spezialisiert ist, laufen Mitglieder der an einer Blutfehde beteiligten Familie Gefahr, getötet zu werden, im Allgemeinen durch Mord. Blutfehden können alle Mitglieder der beteiligten Familien, einschließlich Cousins, betreffen. Laut Gareth Jenkins liege es am Grad der Blutsverwandtschaft, ob eine Person von einer Blutfehde betroffen sein könne oder nicht. Personen, die durch Heirat Teil der von einer Blutfehde betroffenen Familie geworden sind, laufen im Allgemeinen weniger Gefahr, ins Visier zu geraten, obschon es durchaus Fälle gebe, bei denen diese Personen betroffen seien. In den meisten Fällen handelt es sich nach Angaben von Gareth Jenkins um einzelne Mordfälle, allerdings könne es auch zu Massakern kommen (E-Mail-Auskunft vom 19. April 2023 von Gareth Jenkins).
Die Blutfehde betrifft Mitglieder beteiligter Familien auf sehr breite Art und Weise. Gemäß einem bei der SFH am 18. April 2023 eingegangenen E-Mail des Generalsekretärs einer türkischen Menschenrechtsorganisation können bei Blutfehden alle Mitglieder der beiden beteiligten Familien Gefahr laufen, ins Visier zu geraten (E-Mail-Auskunft vom 18. April 2023 vom Generalsekretär einer türkischen Menschenrechtsorganisation). Die Wissenschaftlerin und promovierte Kriminologin Sinan Çaya von der Universität Marmara in Istanbul schreibt in einem Artikel über Blutfehden in der Türkei, dass alle Mitglieder der erweiterten Familie Verantwortung für die Vergeltungsmaßnahmen tragen. Daher kann der Mord an jedem Mitglied der Gruppe der Verursacher eines Vergehens als angemessene Vergeltungstat angesehen werden. Die Wissenschaftlerin fügt hinzu, dass Vergeltungstaten zwischen Familien nach Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Ehre von Frauen und sexueller Eifersucht das zweithäufigste Mordmotiv in türkischen Provinzen darstellen (Sinan Çaya, 2014). Gemäss dem bei der SFH am 19. April 2023 eingegangenen E-Mail von Gareth Jenkins geraten im Allgemeinen Mitglieder der erweiterten Familie ins Visier, darunter Cousins, Neffen, Onkel, sowie weitere Verwandte. Es handle sich meist um erwachsene Männer der Familie (einschließlich junger Männer), aber es können auch Frauen und Kinder betroffen sein. Die Traditionen in ländlichen Gegenden gebieten es, dass den Männern die Aufgabe zukomme, die Frauen und jungen Familienangehörigen zu schützen. Indem Frauen und Kinder ins Visier genommen werden, werde die angegriffene Familie zusätzlich zu den körperlichen Verletzungen auch beleidigt, indem die männlichen Familienmitglieder implizit bezichtigt werden, dass sie nicht in der Lage seien, ihre Frauen und Kinder zu schützen, und daher keine «echten»Männer seien. Vor allem Ende der 1980er-Jahre habe die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) vorsätzlich Familien von Dorfschützern ins Visier genommen und Frauen und Kinder ermordet, um zu zeigen, dass letztere keine «echten» Männer seien, und andere Personen davon abzuhalten, sich den Dorfschützern anzuschließen (E-Mail-Auskunft vom 19. April 2023 von Gareth Jenkins).
2.2 Zahlreiche Fälle im Osten und Südosten der Türkei
aufgrund der sozialen und politischen Situation
Es wird von Hunderten Blutfehden berichtet, insbesondere im Osten und Südosten der Türkei, aufgrund sozialer Ungleichheit, des Klansystems und der gegen die kurdischen Aufständischen kämpfenden Dorfmilizen. Gemäss dem Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (ACCORD) beginnen Blutfehden zwischen kurdischen Familien vor allem im Fall eines Mordes, wenn der Stamm des Opfers zusammenkomme, um eine außergerichtliche Strafe zu verhängen. Es folgen Vergeltungsmaßnahmen, die einen Kreislauf erzeugen, der sich zu einem Stammeskrieg ausweiten kann. Laut dieser Quelle wurden in einem Bericht des türkischen Innenministeriums für den Zeitraum 2010 bis 2019 Hunderte Blutfehden dokumentiert. Die meisten Fälle wurden in den Regionen um Diyarbakır, Urfa und Istanbul verzeichnet. Streitigkeiten, die ihren Ursprung im Osten der Türkei haben, werden oftmals im Westen des Landes beglichen. ACCORD erwähnt auch einen Artikel der Nachrichtenagentur Reuters, in dem nach Angaben von Fachleuten jedes Jahr Dutzende Menschen in ländlichen Gegenden in der Türkei im Rahmen von Blutfehden getötet werden, die infolge von Streitigkeiten über Grund und Boden, Weiderechte oder Fragen der
Familienehre von Generation zu Generation weitergereicht werden. Das Problem von Blutfehden hab sich im kurdischen Südosten des Landes aufgrund von Ungleichheiten, Machtkämpfen innerhalb eines Klansystems und der Entscheidung der Regierung, gut bewaffnete Dorfmilizen gegen die kurdischen Rebellen einzusetzen, verschärft (ACCORD, 31. Mai 2021; Reuters, 5. Mai 2009).
2.3 Attentate und Massaker
Medienberichte über zahlreiche Attentate und Massaker. ACCORD hat mehrere Medienberichte zu Attentaten infolge von Blutfehden zusammengetragen, darunter drei Tote und neun Verletzte in Siverek (Provinz Şanlıurfa) im Jahr 2021, ein Todesopfer in Çermik (Provinz Diyarbakır) im Mai 2021, ein Todesopfer in der Provinz Adana im März 2021, sieben Tote und drei Verletzte in der Provinz Adıyaman im Februar 2021 und ein ermordetes Kind im August 2019 in Siirt (Provinz Batman) (ACCORD, 31. Mai 2021). Laut Reuters kam es 2009 im Zusammenhang mit einer Blutfehde zu einem Massaker, bei dem 44 Personen einer Hochzeitsgesellschaft in Bilge mit Schnellfeuerwaffen und Granaten getötet wurden ( Reuters, 5. Mai 2009).
2.4 Blutfehden dauern lange an und erstrecken sich über äußerst große Gebiete
Zuflucht in anderen Teilen der Türkei zu finden, ist enorm schwer. Ohne Vereinbarungen zwischen den Familien bleibt die Gefahr räumlich wie zeitlich unbegrenzt bestehen. Gemäß dem am 18. April 2023 bei der SFH eingegangenen E-Mail des Generalsekretärs einer türkischen Menschenrechtsorganisation habe diese Organisation festgestellt, dass eine Blutfehde in der Türkei weder zeitlich noch räumlich begrenzt sei und dass die Mitglieder der beiden beteiligten Familien überall im Land Gefahr laufen, ins Visier zu geraten, bis sich die Familien auf ein Ende der Blutfehde einigen (E-Mail-Auskunft vom 18. April 2023 vom Generalsekretär einer türkischen Menschenrechtsorganisation). Gemäß dem am 19. April 2023 bei der SFH eingegangenen E-Mail von Gareth Jenkins kann man Opfer einer Blutfehde werden, selbst wenn man sich in einen anderen Teil der Türkei begibt. Menschen, die ihr Zuhause verlassen, um sich in einer anderen Region niederzulassen (in der Regel im Westen der Türkei), um einer Blutfehde zu entkommen, bleiben besonders vulnerabel, vor allem dann, wenn sie von Familien- oder Klanmitgliedern erkannt werden, mit denen ihre Familie beziehungsweise ihr Klan in einer Blutfehde steht. Die bei einer Blutfehde ins Visier geratenen Personen glaubten manchmal fälschlicherweise, dass sie an ihrem neuen Wohnort in Sicherheit seien. Sie würden beginnen, zusätzliche Risiken wie einen Besuch auf der Terrasse eines Cafés einzugehen, was sie in ihrer Herkunftsregion niemals tun würden. Es gebe zahlreiche Beispiele für Morde im Zusammenhang mit Blutfehden, nachdem ein Familien- oder Klanmitglied sich an einem anderen Ort in der Türkei niedergelassen habe (E-Mail-Auskunft vom 19. April 2023 von Gareth Jenkins). In einem Artikel der türkischen Nachrichtenagentur Demirören Haber Ajansı (DHA) wird beispielsweise ein aktueller Fall in der Stadt Antalya im Westen der Türkei erwähnt. Im August 2022 wurde eine Person in Antalya ermordet, wahrscheinlich aufgrund einer anhaltenden Blutfehde zwischen zwei Familien in Diyarbakır (DHA, 2023).
3 Maßnahmen der türkischen Regierung im Hinblick auf Blutfehden
Gesetz sieht «erschwerende Umstände» für Verbrechen im Zusammenhang mit Blutfehden vor. ACCORD zitiert die Expertinnen- und Expertengruppe zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt des Europarats (GREVIO), die festgestellt hat, dass durch eine Reform des türkischen Strafgesetzbuches im Jahr 2005 mildernde Umstände im Fall von Mord aus Gründen der Tradition beseitigt wurden. Bei durch eine Blutfehde motivierte Morde gelten sowohl für den Täter als auch für die Mitglieder des Familienrates, der die entsprechende Entscheidung getroffen hat, erschwerende Umstände. Das Strafmaß ist eine erschwerte lebenslange Freiheitsstrafe; es handelt sich hierbei um die schwerste Strafe im türkischen Recht (ACCORD, 31. Mai 2021).
Enorme praktische Schwierigkeiten, Schutz seitens der Behörden zu erlangen, wenn Personen ins Visier einer Blutfehde geraten sind, sodass diese lieber fliehen.
Gemäß dem am 19. April 2023 bei der SFH eingegangenen E-Mail des Wissenschaftlers Gareth Jenkins ist es enorm schwierig, Schutz seitens staatlicher Behörden zu erlangen, wenn man von einer Blutfehde bedroht wird. Laut Gareth Jenkins finden die meisten Blutfehden, türkisch kan davalari oder Blutrache, in ländlichen Gegenden statt, wo die Gewährleistung eines solchen Schutzes schwierig sei. Die bei einer Blutfehde ins Visier geratenen Personen würden deshalb lieber fliehen, als um Schutz seitens der Regierung zu bitten. Einige würden in Großstädte ziehen oder in ein anderes Land auswandern, beispielsweise nach Russland. Staatliche Interventionen, die im Allgemeinen auf lokaler und nicht auf nationaler Ebene erfolgen, beinhalten in der Regel den Versuch, einen Friedensschluss auszuhandeln, indem die Ältesten der beiden Familien an einen Tisch gebracht werden. Laut Gareth Jenkins werden diese Vereinbarungen nicht immer eingehalten (E-Mail-Auskunft vom 19. April 2023 von Gareth Jenkins).
Härte des Gesetzes gegen Verbrechen im Zusammenhang mit Blutfehden ohne die erwartete abschreckende Wirkung. Umgehung der Härte des Gesetzes durch den Einsatz Minderjähriger oder verletzlicher Personen bei der Begehung von Morden.
Die Wissenschaftlerin und promovierte Kriminologin Sinan Çaya von der Universität Marmara in Istanbul schreibt in einem Artikel über Blutfehden in der Türkei, dass die türkische Gesetzgebung immer schon mit aller Härte gegen Mörder im Zusammenhang mit Blutfehden vorgegangen ist, um eine abschreckende Wirkung zu erzielen. Sie fügt jedoch hinzu, dass trotz der hohen, im Strafgesetzbuch vorgesehenen Strafen Blutfehden weiterhin als Mittel zur Konfliktlösung in der Gesellschaft angesehen werden. Im Gesetz werden Gründe für eine persönliche Rache von denjenigen einer Rache im Zusammenhang mit einer Blutfehde unterschieden, indem die Strafe im letzteren Fall verschärft wird. Für Sinan Çaya besteht aber kein Zweifel, dass die strenge Anwendung des Gesetzes im Laufe der Jahre nicht zu den erwarteten positiven Ergebnissen geführt hat. So komme es vor, dass Menschen aus Gründen einer Blutfehde Tausende von Kilometern zurücklegen, um ein Opfer in einer großen Stadt wie Istanbul oder Ankara oder sogar in Deutschland zu finden. Es würden auch Maßnahmen ergriffen, um die Härte des Gesetzes zu umgehen, beispielsweise der Einsatz von Minderjährigen, um im Rahmen der Blutfehde einen Mord zu begehen, da die Justiz sich ihnen gegenüber nachsichtig zeige. Eine Fallstudie der Kriminologin habe gezeigt, dass viele Täter im Zusammenhang mit einer Blutfehde nicht lesen und schreiben können oder die Grundschule abgebrochen hatten
(Sinan Çaya, 2014).
4 Rolle der Dorfschützer bei Blutfehden
Dorfschützer: zahlreiche bewaffnete Kämpfer im Einsatz zur Bekämpfung von Aufständen. Nach Angaben des türkischen Sicherheitsexperten Hakki Tas wurden die Dorfschützer
1985 als vorübergehende Maßnahme eingesetzt, um Dörfer im Osten des Landes zu schützen und die Armee zu unterstützen. Dieses System wurde schrittweise in die Sicherheitsstruktur integriert und ihr Geltungsbereich über die Dörfer hinaus ausgeweitet, mit dem Recht, persönliche Waffen zu besitzen und zu tragen. 2017 versetzte die Regierung mehr als 18’000 Dorfschützer in den Ruhestand und rekrutierte mehr als 25’000 neue Dorfschützer, um die Altersstruktur zu verjüngen (Hakki Tas, November 2020).
Straffreiheit und staatliche Unterstützung für Dorfschützer aufgrund ihrer Bedeutung bei der Bekämpfung von Aufständen. Rolle der Dorfschützer bei Morden im Zusammenhang mit Blutfehden. Gemäß dem am 19. April 2023 bei der SFH eingegangenen E-Mail von Gareth Jenkins ist die Straffreiheit für Dorfschützer ein erhebliches Problem. Diese würden vom türkischen Staat geschützt, denn dieser sei auf sie angewiesen. So gibt es laut Gareth Jenkins Berichte von zahlreichen Vorfällen, darunter Raubüberfälle und Morde, in die Dorfschützer verwickelt sind, darunter auch Morde im Zusammenhang mit Blutfehden. Es komme vor, dass ein Mord als Feuergefecht zwischen Dorfschützern und der PKK dargestellt werde. Bei Tötungsdelikten sei es oft schwierig nachzuweisen, dass die Opfer keine Mitglieder der PKK sind. Die türkischen Behörden zögern häufig, von Dorfschützern begangene Verbrechen rigoros zu verfolgen, auf die Gefahr hin, das Wohlwollen des gesamten Stamms oder Klans, aus dem die Täter stammen, zu verspielen (E-Mail-Auskunft vom 19. April 2023 von Gareth Jenkins). Gemäß dem bei der SFH am 18. April 2023 eingegangenen E-Mail des Generalsekretärs einer türkischen Menschenrechtsorganisation haben Dorfschützer Gewalt gegen rivalisierende beziehungsweise an Blutfehden beteiligte Familien eingesetzt (E-Mail Auskunft vom 18. April 2023 vom Generalsekretär einer türkischen Menschenrechtsorganisation).
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seiner Herkunft, seinem Heimatort, seinen Lebensumständen, seinen Familienverhältnissen, seiner Bildung und Berufserfahrung, seiner Volksgruppenzugehörigkeit, seiner Konfession, seinen Sprachkenntnissen sowie seiner Ausreise nach Europa ergeben sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers im Verfahren vor der belangten Behörde und in der mündlichen Verhandlung.
Die Feststellungen zu seinen Familienangehörigen in der Türkei ergeben sich aus den eigenen, glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem BVwG.
Die Feststellungen zum Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich basieren auf dem vorgelegten Verwaltungsakt in Zusammenschau mit eingeholten Auskünften aus dem Informationsverbund zentrales Fremdenregister sowie dem zentralen Melderegister.
Dass der Beschwerdeführer keinen Deutschkurs besucht und auch keine Sprachprüfung absolviert hat, hat er in der Verhandlung selbst bestätigt. Dass er lediglich über einfache Deutschkenntnisse verfügt, wurde von der Richterin in der mündlichen Verhandlung wahrgenommen. So hat er lediglich ein paar Wörter auf Deutsch gesagt und war auch nicht in der Lage ohne Übersetzung die Fragen zu verstehen.
Etwaige gesellschaftliche Anknüpfungspunkte wie eine Vereins- oder Organisationsmitgliedschaft, eine ehrenamtliche Tätigkeit wurden nicht dargelegt. In der Verhandlung hat er zwar angegeben, auch schon ein paar Freundschaften in Österreich geschlossen zu haben, er dies jedoch weder näher dargelegt noch wurden Unterstützungserklärungen vorgelegt.
Aus einer Abfrage im Dachverband österreichischer Sozialversicherungsträger geht hervor, wann der Beschwerdeführer im Bundesgebiet erwerbstätig war. Dass er seinen derzeitigen Aufenthalt in Österreich durch staatliche Unterstützung finanziert, hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung angegeben.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ist durch eine Abfrage im Strafregister der Republik belegt.
2.2. Zum Fluchtvorbringen und einer Rückkehrgefährdung des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer begründete seinen verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz damit, dass ihm Verfolgung wegen Blutrache droht.
Dass der Halbbruder des Vaters des Beschwerdeführers im Zuge eines Streits im Jahr 2008 ein Familienmitglied der verwandten Familie XXXX ermordet hat, ergib sich aus den glaubwürdigen Schilderungen des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und den vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellung, dass dieser Onkel wegen Mordes am 15.02.2011 zu einer Haftstrafe von 10 Jahren verurteilt wurde, wurde dem vorgelegten Urteil entnommen.
Dass dieser nach seiner Entlassung am 19.04.2021 erschossen wurde, basiert auf den Angaben des Beschwerdeführers bestätigt durch die von ihm vorgelegten Unterlagen wie Zeitungsartikel und Gerichtsunterlagen.
Die Feststellung, wonach ein Bruder des Ermordeten der Familie XXXX – neben weiteren Personen - wegen des Verdachtes den Mord wegen Blutrache in Auftrag gegeben zu haben, angeklagt wurde, hat der Beschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung bestätigt und wird durch die vorgelegten Gerichtsunterlagen belegt. Dieses Verfahren ist den Angaben des Beschwerdeführers zufolge noch nicht abgeschlossen.
Dass es nicht ersichtlich ist, dass dem Beschwerdeführer von der Familie XXXX mit maßgeblicher Wahrscheinlich Verfolgung droht, wurde aufgrund folgender Überlegungen festgestellt:
Das erkennende Gericht hat anhand der Darstellung der persönlichen Bedrohungssituation eines Beschwerdeführers und den dabei allenfalls auftretenden Ungereimtheiten - z. B. gehäufte und eklatante Widersprüche (z. B. VwGH 25.01.2001, 2000/20/0544) oder fehlendes Allgemein- und Detailwissen (z. B. VwGH 22.02.2001, 2000/20/0461) - zu beurteilen, ob Schilderungen eines Asylwerbers mit der Tatsachenwelt im Einklang stehen oder nicht.
Von einem Antragsteller ist ein Verfolgungsschicksal glaubhaft darzulegen. Einem Asylwerber obliegt es bei den in seine Sphäre fallenden Ereignisse, insbesondere seinen persönlichen Erlebnissen und Verhältnissen, von sich aus eine Schilderung zu geben, die geeignet ist, seinen Asylanspruch lückenlos zu tragen und er hat unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern. Die Behörde muss somit die Überzeugung von der Wahrheit des von einem Asylwerber behaupteten individuellen Schicksals erlangen, aus dem er seine Furcht vor asylrelevanter Verfolgung herleitet. Es kann zwar durchaus dem Asylweber nicht die Pflicht auferlegt werden, dass dieser hinsichtlich asylbegründeter Vorgänge einen Sachvortrag zu Protokoll geben muss, der aufgrund unumstößlicher Gewissheit als der Wirklichkeit entsprechend gewertet werden muss, die Verantwortung eines Antragstellers muss jedoch darin bestehen, dass er bei tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit die Ereignisse schildert.
Der Beschwerdeführer hat im Rahmen seiner Erstbefragung angegeben, dass sie seit 2008 Blutrache in der Familie haben. Sie hätten mehrmals ihre Adressen geändert, das habe aber nichts geholfen. Tatsächlich war der Beschwerdeführer jedoch mit Ausnahme der Absolvierung seines Wehrdienstes und des Zeitraumes seines Studiums immer in Mardin im Elternwohnhaus aufhältig und hat sich nur im Sommer wenige Wochen bis Monate in Izmir aufgehalten. Der Beschwerdeführer jedoch zu keinem Zeitpunkt bedroht oder angegriffen.
Auch die Angaben zu den Bedrohungen, die sein Vater bzw. seine anderen Verwandten erhalten haben sollen, waren widersprüchlich: So gab er im Rahmen seiner Befragung vor dem BFA auf die Frage, ob seine Angehörigen konkret bedroht worden seien, an, dass sie öfter bedroht worden seien, aber derzeit sei es ein bisschen ruhig. Auf die Frage, seit wann es ruhig sei, gab er vor der belangten Behörde an, dass es seit ca. einem Jahr nach dem Tod seines Onkels ruhig sei. Er habe die Bedrohungen 2021 selbst mitbekommen, dann sei sein Onkel ermordet worden. Ein Jahr später sei es dann ruhig gewesen, das habe er aber selbst nicht mitbekommen, weil er in XXXX studiert habe. Die letzte Bedrohung sei Ende 2021 gewesen.
Später gab er dann auf die Frage, wann genau sein Vater bedroht worden sei, an, dass er letztmals davon gehört habe, als er das Studium angefangen habe (dies war im September 2022). Dann wurde der Beschwerdeführer gefragt, ob es noch nach dem Mord an seinem Onkel Drohungen direkt gegen die Familie des Beschwerdeführers gegeben habe, dies bejaht er. Auf Nachfrage, wann das gewesen sei, gab er an, dass er das nicht wisse. Nochmals nachgefragt, dass er es zumindest grob wissen müsse, führte er an, dass es während seiner Schulzeit gewesen sei. Nachgefragt sei es 2021 gewesen. Auf Vorhalt, dass der Beschwerdeführer da nicht mehr zur Schule gegangen sei, gab er an, dass es nach dem Tod seines Onkels gewesen sei, im Jahr 2022.
In der mündlichen Verhandlung gab er jedoch dazu im Widerspruch an, dass die Bedrohungen nach dem Tod seines Onkels überhaupt erst begonnen hätten, als er zu studieren begonnen habe im Jahr 2022.
Auch die Drohungen hat der Beschwerdeführer nicht gleichbleibend geschildert: So gab er vor der belangten Behörde an, dass die Gegnerfamilie gesagt habe, dass sie sie Kinder umbringen werde.
In der Verhandlung gab der Beschwerdeführer an, dass die Familie geschworen habe, die ganze Familie umzubringen. Auf Nachfrage in der Verhandlung, was man in den Bedrohungen, die sein Vater erhalten habe, angedroht hat, gab er an, dass sein Vater Anrufe bekommen habe, er aber zu diesem Zeitpunkt an der Universität studiert habe, seine Eltern hätten ihn nicht mit den Details belasten wollen.
Hinzukommt, dass auch seine Eltern und Schwestern nach wie vor in der Türkei aufhältig sind.
Eine aktuelle Verfolgungsgefahr wird daher von der erkennenden Richterin nicht als maßgeblich wahrscheinlich angesehen.
Selbst bei Wahrunterstellung der geschilderten Vorfälle stellt die Verfolgung des Beschwerdeführers durch die gegnerische Familie eine Verfolgung durch Privatpersonen dar. Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden Verfolgung kann jedoch nur dann Asylrelevanz zukommen, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (vgl. VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010, mwN).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Entscheidend für die Frage, ob eine ausreichend funktionierende Staatsgewalt besteht, ist vielmehr, ob für einen von dritter Seite Verfolgten trotz staatlichen Schutzes der Eintritt eines – asylrelevante Intensität erreichenden – Nachteiles aus dieser Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist (vgl. VwGH 29.01.2020, Ra 2019/18/0228, mwN). Die Schutzfähigkeit und - willigkeit der staatlichen Behörden ist grundsätzlich daran zu messen, ob im Heimatland wirksame Rechtsvorschriften zur Ermittlung, Strafverfolgung und Ahndung von Handlungen, die eine Verfolgung oder einen ernsthaften Schaden darstellen, vorhanden sind und ob die schutzsuchende Person Zugang zu diesem Schutz hat. Dabei muss auch bei Vorhandensein von Strafnormen und Strafverfolgungsbehörden im Einzelfall geprüft werden, ob die revisionswerbenden Parteien unter Berücksichtigung ihrer besonderen Umstände in der Lage sind, an diesem staatlichen Schutz wirksam teilzuhaben (vgl. VwGH 29.06.2023, Ra 2022/01/0285, mwN). Ungeachtet diverser Korruptionsproblematiken sowie Problemen in Zusammenhang mit einer Politisierung der Justiz verfügt die Türkei – die im Übrigen auch Mitglied des Europarates ist und sich angesichts dessen zur Einhaltung der EMRK verpflichtet hat – grundsätzlich über einen funktionierenden Sicherheits- und Justizapparat und gibt es keinerlei konkrete Hinweise, wonach Übergriffe von Privatpersonen, wie sie seitens des Beschwerdeführers gegenständlich geltend gemacht wurden, von den türkischen Behörden systematisch nicht ordnungsgemäß verfolgt würden (vgl. Punkt II.1.3.). So sieht das Gesetz sogar erschwerende Umstände für Verbrechen im Zusammenhang mit Flutfehden dar (vgl. Auskunft der SFH-Länderanalyse). Wenn auch aus diesem Bericht hervorgeht, dass es enorme praktische Schwierigkeiten gebe, seitens der Behörde Schutz zu erlangen, wird das von dem zitierten Wissenschaftler dahingehend begründet, dass die meisten Blutfehden in ländlichen Gegenden stattfinden würden, wo die Gewährleistung eines solchen Schutzes schwierig wäre. Der Beschwerdeführer stammt jedoch aus der Stadt Mardin und hat sich auch sonst nur in den Städten wie Izmir und XXXX aufgehalten.
Dass der Beschwerdeführer sich nie an die Polizei gewandt hat, hat er in der Verhandlung selbst bestätigt.
Nicht glaubhaft war in diesem Zusammenhang das Vorbringen des Beschwerdeführers, dass sein Vater sich an die Polizei gewandt habe, diese aber nichts machen konnte, weil es sich bei der gegnerischen Familie um einen großen Clan handle, der auch in der Politik involviert sei.
Dies ist jedoch nicht nachvollziehbar, zumal ein Mitglied dieser Familie wegen Mordes angeklagt wurde. Dass dieses Verfahren allenfalls noch nicht abgeschlossen ist – der Beschwerdeführer kannte den Stand des Verfahrens nicht - und allenfalls auch die Voraussetzungen für die Verhängung einer Untersuchungshaft nicht vorliegen, kann nicht darauf schließen, dass der Staat gegenüber dieser Familie untätig bleibt.
Auch auf Nachfrage, ob er dem Gericht einen Nachweis für die Anzeige vorlegen kann, gab der Beschwerdeführer an, dass es sehr lange her sei und er zur Zeit nichts habe. Er hat jedoch angegeben, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits weit weg (gemeint XXXX ) war und das war ja erst im letzten Jahr vor seiner Ausreise.
Der Beschwerdeführer konnte auch nicht angeben, ob sein Onkel, der dann ja ermordet wurde, sich überhaupt an die Polizei gewandt habe. Der Beschwerdeführer hat in der Verhandlung angegeben, dass dieser ständig verfolgt worden sei. Auf Nachfrage, ob sich dieser an die Polizei gewandt habe, wenn er ständig verfolgt wurde, gab der Beschwerdeführer dann jedoch an, dass sein Onkel gar nicht gewusst habe, dass er verfolgt wurde. Auf Vorhalt, warum dann der Beschwerdeführer dies sage, gab er an, dass dies eine logische Schlussfolgerung sei.
Für die erkennende Richterin steht daher insgesamt fest, dass der türkische Staat schutzwillig und schutzfähig ist.
Im Rahmen der Beschwerde wird auch noch geltend gemacht, dass die belangte Behörde nicht ermittelt habe, ob der Beschwerdeführer aufgrund seiner Asylantragstellung im Ausland einer Verfolgung ausgesetzt wäre. Warum dem seinen Angaben zufolge legal ausgereisten Beschwerdeführer deshalb eine Verfolgung drohen würde, ist jedoch nicht ersichtlich. Weder ist es wahrscheinlich, dass die Stellung eines Asylantrages dem türkischen Staat zur Kenntnis gelangen sollte, noch, dass deshalb eine Verfolgung drohen würde (vgl. Länderberichte Punkt II.1.3 „Behandlung nach Rückkehr“). Dies wurde auch zu keinem Zeitpunkt dargelegt. 2.3. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Zu den zur Feststellung der asyl- und abschiebungsrelevanten Lage im Herkunftsstaat ausgewählten Quellen wird angeführt, dass es sich hierbei um eine ausgewogene Auswahl verschiedener Quellen, sowohl staatlichen als auch nicht-staatlichen Ursprungs handelt, welche es ermöglichen, sich ein möglichst umfassendes Bild von der Lage im Herkunftsstaat zu machen. Zur Aussagekraft der einzelnen Quellen wird angeführt, dass zwar in nationalen Quellen rechtsstaatlich-demokratisch strukturierter Staaten, von denen der Staat der Veröffentlichung davon ausgehen muss, dass sie den Behörden jenes Staates, über den berichtet wird, zur Kenntnis gelangen, diplomatische Zurückhaltung geübt wird, wenn es um kritische Sachverhalte geht, doch andererseits sind gerade diese Quellen aufgrund der nationalen Vorschriften vielfach zu besonderer Objektivität verpflichtet, weshalb diesen Quellen keine einseitige Parteinahme unterstellt werden kann. Zudem werden auch Quellen verschiedener Menschenrechtsorganisationen herangezogen, welche oftmals das gegenteilige Verhalten aufweisen und so gemeinsam mit den staatlich-diplomatischen Quellen ein abgerundetes Bild ergeben. Bei Berücksichtigung dieser Überlegungen hinsichtlich des Inhaltes der Quellen, ihrer Natur und der Intention der Verfasser handelt es sich nach Ansicht der erkennenden Richterin bei den Feststellungen um ausreichend ausgewogenes und aktuelles Material (vgl. VwGH 04.04.2001, 2000/01/0348, mwN).
Dem Beschwerdeführer wurden die aktuellen Länderberichte vor der mündlichen Verhandlung übermittelt. Er trat den Quellen und deren Kernaussagen in der Folge nicht entgegen.
Der Bericht zu Blutfehden in der Türkei der SFH vom April 2023 wurde bereits im bekämpften Bescheid angeführt und dann auch vom Beschwerdeführer in seiner Beschwerde zitiert.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Zum Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 leg. cit. zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abs. A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Im Sinne des Art. 1 Abs. A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentraler Aspekt der in Art. 1 Abs. A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413, mwN).
Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes müssen konkrete, den Asylwerber selbst betreffende Umstände behauptet und bescheinigt werden, aus denen die von der zitierten Konventionsbestimmung geforderte Furcht rechtlich ableitbar ist (vgl. zB vom 8. 11. 1989, 89/01/0287 bis 0291 und vom 19. 9 1990, 90/01/0113). Der Hinweis eines Asylwerbers auf einen allgemeinen Bericht genügt dafür ebenso wenig wie der Hinweis auf die allgemeine Lage, zB. einer Volksgruppe, in seinem Herkunftsstaat (vgl. VwGH 29. 11. 1989, 89/01/0362; 5. 12. 1990, 90/01/0202; 5. 6. 1991, 90/01/0198; 19. 9 1990, 90/01/0113).
Nach Ansicht des BVwG sind die dargestellten Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status als Asylberechtigter, nämlich eine glaubhafte Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat aus einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK angeführten Grund nicht gegeben.
Wie sich aus den Feststellungen samt Beweiswürdigung ergibt, ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen eine solche aus seiner dargelegten Ausreisemotivation und vorgebrachten Rückkehrbefürchtung glaubhaft zu machen. Der Beschwerdeführer vermochte es nicht glaubhaft machen, dass er bei einer Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr ausgesetzt wäre Opfer einer Blutrache oder anderweitig motivierter Racheaktion zu werden. Hinsichtlich der Nichtglaubhaftmachung wird hier ausdrücklich auf die Ausführungen in der Beweiswürdigung verwiesen. Zudem kam nicht hervor, dass der türkische Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage wäre hinreichende Schutzmechanismen zur Minimierung einer derartigen Gefahr zu bieten.
Auch eine Verfolgung aufgrund der Antragstellung in Österreich ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.
Weitere Gründe hat der Beschwerdeführer weder vor der belangten Behörde noch im Rahmen des Beschwerdeverfahrens geltend gemacht und sind solche auch nicht hervorgekommen.
3.1.2. Aus diesen Gründen ist festzustellen, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat Türkei keine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht und war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.
3.2. Zum Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur EMRK (ZPERMRK) bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Gemäß Art. 2 EMRK wird das Recht jedes Menschen auf Leben geschützt. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Die Protokolle Nr. 6 und Nr. 13 zur Konvention betreffen die Abschaffung der Todesstrafe.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Beurteilung einer möglichen Verletzung des Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr („real risk“) einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen (vgl. VwGH 01.07.2024, Ra 2024/20/0347, mwN).
Weiters hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung festgehalten, dass, wenn im Herkunftsstaat eines Asylwerbers eine prekäre allgemeine Sicherheitslage herrscht, in der die Bevölkerung durch Akte willkürlicher Gewalt betroffen ist, stichhaltige Gründe für die Annahme eines realen Risikos bzw. für die ernsthafte Bedrohung von Leben oder Unversehrtheit eines Asylwerbers bei Rückführung in diesen Staat dann vorliegen, wenn diese Gewalt ein solches Ausmaß erreicht hat, dass es nicht bloß möglich, sondern geradezu wahrscheinlich erscheint, dass auch der betreffende Asylwerber tatsächlich Opfer eines solchen Gewaltaktes sein wird. Davon kann in einer Situation allgemeiner Gewalt nur in sehr extremen Fällen ausgegangen werden, wenn schon die bloße Anwesenheit einer Person in der betroffenen Region Derartiges erwarten lässt. Davon abgesehen können nur besondere in der persönlichen Situation der oder des Betroffenen begründete Umstände dazu führen, dass gerade bei ihr oder ihm ein - im Vergleich zur Bevölkerung des Herkunftsstaats im Allgemeinen - höheres Risiko besteht, einer dem Art. 2 oder Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt zu sein bzw. eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit befürchten zu müssen (vgl. erneut VwGH Ra 2024/20/0347, mwN).
Dem Beschwerdeführer droht in der Türkei keine Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung. Es droht ihm auch keine reale Gefahr, im Falle seiner Rückkehr entgegen Art. 3 EMRK behandelt zu werden. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK – was in der Türkei aufgrund der Sicherheitslage grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann – ist hingegen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht ausreichend. Diese Lebensumstände betreffen sämtliche Personen, die in der Türkei leben und können daher nicht als Grund für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten herangezogen werden. So liegt hinsichtlich des Beschwerdeführers kein stichhaltiger Grund dafür vor, anzunehmen, dass er bei seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat tatsächlich Gefahr liefe, die Todesstrafe oder Hinrichtung, die Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung zu erleiden oder einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt zu sein.
Nachdem keine Gründe ersichtlich sind, die auf den Vorwurf einer Straftat, welche zur Verhängung der Todesstrafe, der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung des Beschwerdeführers im Herkunftsstaat hindeuten könnten, ist ein "ernsthafter Schaden" im Sinne des Art. 15 der Statusrichtlinie auszuschließen.
Ganz allgemein besteht in der Türkei derzeit auch keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehrt, von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts bedroht wäre. Zwar zeigt das aktuelle Länderinformationsblatt diverse Herausforderungen im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit, konkret den wieder aufgeflammten Konflikt zwischen den staatlichen Sicherheitskräften und der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) im Südosten des Landes, externe Sicherheitsbedrohungen im Zusammenhang mit der Beteiligung der Türkei an Konflikten in Syrien und im Irak sowie die Bedrohung durch Terroranschläge durch interne und externe Akteure, auf (vgl. Punkt II.1.3.), jedoch kann insbesondere in Anbetracht der im Länderinformationsblatt dargestellten Gefahrendichte in der Heimat des Beschwerdeführers, nicht erkannt werden, dass dieser bereits aufgrund seiner bloßen Präsenz dort wahrscheinlich Opfer eines Anschlages werden würde, zumal er auch keiner besonders gefährdeten Berufs- oder Bevölkerungsgruppe angehört.
Hinweise auf eine allgemeine existenzbedrohende Notlage in der Türkei (allgemeine Hungersnot, Seuchen, Naturkatastrophen oder sonstige diesen Sachverhalten gleichwertige existenzbedrohende Elementarereignisse) liegen ebenfalls nicht vor, weshalb aus diesem Blickwinkel bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen kein Hinweis auf das Vorliegen eines Sachverhaltes gemäß Art. 2 oder 3 EMRK abgeleitet werden kann. Es kann auf Basis der Länderfeststellungen nicht davon ausgegangen werden, dass generell jede Person im Falle einer Rückkehr in die Türkei mit existentiellen Nöten konfrontiert ist.
Der Umstand, dass sein Lebensunterhalt in der Türkei möglicherweise bescheidener ausfallen mag, als er in Österreich sein könnte, rechtfertigt nicht die Annahme, ihm wäre im Falle der Rückkehr die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten (vgl. VfGH 24.02.2020, E 3683/2019; zur "Schwelle" des Art. 3 EMRK vgl. VwGH 16.07.2003, 2003/01/0059).
Der Beschwerdeführer ist jung, gesund und erwerbsfähig. Er hat in der Türkei eine mehrjährige Schulausbildung erhalten und als Kellner und bei einem Steuerberater Berufserfahrung gesammelt. Es sind keinerlei Gründe ersichtlich, weshalb er nicht in der Lage sein sollte, sich in seinem Herkunftsstaat durch die neuerliche Aufnahme einer derartigen oder anderweitigen Tätigkeit, selbst wenn es sich dabei um eine Hilfstätigkeit handelt, eine Lebensgrundlage zu schaffen. Darüber hinaus verfügt er in seinem Herkunftsstaat über enge familiäre Anknüpfungspunkte in Gestalt seiner Eltern und seiner Geschwister und kann der Beschwerdeführer auch wieder bei seiner Familie Unterkunft nehmen.
Zu seinen Angehörigen steht er in regelmäßigem Kontakt und es ist davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr auch familiäre Unterstützung zu Teil würde, was ihm den Aufbau einer Existenz erheblich erleichtern sollte.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die Grundversorgung der Bevölkerung in der Türkei ebenso gewährleistet ist und der Staat im Übrigen auch über ein ausgebautes Sozialsystem verfügt (vgl. Punkt II.1.3.). Es ergaben sich somit keinerlei Anhaltspunkte die nahelegen würden, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr automatisch in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.
Eine Rückkehr in die Türkei führt somit im Falle des Beschwerdeführers nicht automatisch dazu, dass er einer wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein wird. Auch ist er angesichts der weitgehend stabilen Sicherheitslage in seiner Heimatregion nicht von willkürlicher Gewalt infolge eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes bedroht und waren daher die entsprechenden Feststellungen zu treffen.
Aus den dargestellten Umständen ergibt sich somit, dass eine Rückkehr des Beschwerdeführers in die Türkei nicht automatisch dazu führt, dass er in eine unmenschliche Lage bzw. eine existenzielle Notlage geraten und in seinen durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechten verletzt würde.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.
3.3. Zur Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 58 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird. Die formellen Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 sind allerdings nicht gegeben und werden in der Beschwerde auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.
Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen.
3.4. Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das Bundesamt gegen einen Drittstaatsangehörigen mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird.
Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:
„(1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.“
Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.
Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes und verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Nach den Angaben des Beschwerdeführers leben keine nahen Familienangehörigen in Österreich. Im gegenständlichen Fall verfügt der Beschwerdeführer daher über kein im Sinne des Art. 8 EMRK geschütztes Familienleben in Österreich sowie auf dem Gebiet der Mitgliedstaaten und hat das Vorliegen eines solchen auch nicht behauptet.
Zu prüfen wäre somit ein etwaiger Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers. Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg Lettland, EuGRZ 2006, 554).
Der Beschwerdeführer hält sich seit seiner Einreise am 16.08.2023 durchgehend in Österreich auf.
Die Aufenthaltsdauer für sich stellt zunächst lediglich eines von mehreren im Zuge der Interessensabwägung zu berücksichtigenden Kriterien dar (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass einer Aufenthaltsdauer von weniger als fünf Jahren für sich betrachtet noch keine maßgebliche Bedeutung für die durchzuführende Interessenabwägung zukommt (vgl. VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0289). Zudem beruhte der Aufenthalt des Beschwerdeführers auf einer vorläufigen, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb dieser während der gesamten Dauer des Aufenthaltes in Österreich nicht darauf vertrauen durften, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann.
Die bloße Aufenthaltsdauer ist jedoch nicht alleine maßgeblich, sondern ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren. Bei der Einschätzung des persönlichen Interesses ist auch auf die Auswirkungen, die eine Aufenthaltsbeendigung auf die familiären oder sonstigen Bindungen des Fremden hätte, Bedacht zu nehmen (vgl. VwGH 05.10.2020, Ra 2020/19/0330, mwN). Liegt eine relativ kurze Aufenthaltsdauer eines Fremden in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofes regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um eine Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. VwGH 03.12.2019, Ra 2019/18/0471, mwN), wobei nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes selbst die Kombination aus Fleiß, Arbeitswille, Unbescholtenheit, dem Bestehen sozialer Kontakte in Österreich, dem verhältnismäßig guten Erlernen der deutschen Sprache sowie der Ausübung einer Erwerbstätigkeit vor dem Hintergrund einer Aufenthaltsdauer von knapp vier Jahren keine "außergewöhnliche Integration" darstellt (vgl. VwGH 18.09.2019, Ra 2019/18/0212).
Fallgegenständlich beruhte der bisherige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet als Asylwerber lediglich auf einer temporären, nicht endgültig gesicherten rechtlichen Grundlage, weshalb er während der gesamten Dauer seines Aufenthaltes auch nicht darauf vertrauen durfte, dass er sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise bleibend verfestigen kann. Der seitens des Verwaltungsgerichtshofes in ständiger Rechtsprechung ins Treffen geführte Aspekt, es müsse unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. VwGH 29.06.2022, Ra 2021/20/0403, mwN), trifft insoweit auch auf den vorliegenden Beschwerdefall zu.
Zudem wurde seitens des Beschwerdeführers gegenständlich auch gar keine besondere Aufenthaltsverfestigung dargetan. Er verfügt über keine nennenswerten Deutschkenntnisse, hat weder einen Deutschkurs noch eine Deutschprüfung absolviert und bestreitet seinen Lebensunterhalt in Österreich derzeit durch die finanzielle Hilfe des österreichischen Staates. Besondere Bindungen zu Österreich kamen nicht hervor. Zwar war der Beschwerdeführer in Österreich bereits erwerbstätig, so hat er während seines gesamten Aufenthaltes insgesamt knapp 6 Monate gearbeitet, eine nachhaltige Integration in den Arbeitsmarkt ist dem derzeit arbeitslosen Beschwerdeführer damit jedoch nicht gelungen.
Dementgegen kann nach wie vor von einem Bestehen von Bindungen des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat Türkei ausgegangen werden, zumal er dort den weit überwiegenden Teil seines Lebens verbracht hat, hauptsozialisiert wurde und seine Enkulturation erfahren hat. Er hat in der Türkei seine Schulausbildung durchlaufen und Arbeitserfahrung gesammelt. Er spricht nach wie vor seine Muttersprache und ist mit den regionalen Sitten und Gebräuchen der türkischen Kultur weiterhin vertraut. Auch verfügt er in der Türkei über umfangreiche und enge familiäre Anknüpfungspunkte, insbesondere in Gestalt seiner Eltern und Geschwister, zu denen er in Kontakt steht. Raum für die Annahme, dass der Beschwerdeführer im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 5 BFA-VG gar keine Bindungen zu seinem Heimatstaat mehr hat, besteht sohin nicht.
Es sind – unter der Schwelle des Art. 2 und 3 EMRK – aber auch die Verhältnisse im Herkunftsstaat unter dem Gesichtspunkt des Privatlebens zu berücksichtigen, so sind etwa Schwierigkeiten beim Beschäftigungszugang oder auch Behandlungsmöglichkeiten bei medizinischen Problemen bzw. eine etwaige wegen der dort herrschenden Verhältnisse bewirkte maßgebliche Verschlechterung psychischer Probleme in die bei der Erlassung der Rückkehrentscheidung vorzunehmende Interessensabwägung nach § 9 BFA-VG miteinzubeziehen (vgl. VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119). Eine diesbezüglich besonders zu berücksichtigende Situation liegt jedoch im Fall des volljährigen, gesunden und erwerbsfähigen Beschwerdeführers, welcher zudem über eine umfassende Schulbildung und jahrelange Berufserfahrung in seinem Herkunftsstaat verfügt, ebenfalls nicht vor.
Auch die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers stellt keine Stärkung seiner persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich dar, da der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, dass es von einem Fremden, welcher sich im Bundesgebiet aufhält, als selbstverständlich anzunehmen ist, dass er die geltenden Rechtsvorschriften einhält (vgl. VwGH 26.04.2005, 2005/21/0063, mwN).
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich steht somit das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens und zur Verhinderung weiterer Straftaten gegenüber. Diesem gewichtigen öffentlichen Interesse kommt aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. 2 EMRK) ein hoher Stellenwert zu (vgl. VwGH 29.01.2021, Ra 2021/17/0014, mwN).
Würde sich ein Fremder nunmehr generell in einer solchen Situation wie der Beschwerdeführer erfolgreich auf sein Privatleben berufen können, so würde dies dem Ziel eines geordneten Fremdenwesens und dem geordneten Zuzug von Fremden zuwiderlaufen. Überdies würde dies dazu führen, dass Fremde, die die fremdenrechtlichen Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen beachten, letztlich schlechter gestellt wären, als Fremde, die ihren Aufenthalt im Bundesgebiet lediglich durch die Stellung eines unbegründeten oder sogar rechtsmissbräuchlichen Asylantrags erzwingen, was in letzter Konsequenz zu einer verfassungswidrigen unsachlichen Differenzierung der Fremden untereinander führen würde (zum allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, wonach aus einer unter Missachtung der Rechtsordnung geschaffenen Situation keine Vorteile gezogen werden dürfen, vgl. VwGH 11.12.2003, 2003/07/0007; überdies VfSlg. 19.086/2010, wo der Verfassungsgerichtshof auf dieses Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes Bezug nimmt und in diesem Zusammenhang erklärt, dass „eine andere Auffassung sogar zu einer Bevorzugung dieser Gruppe gegenüber den sich rechtstreu Verhaltenden führen würde“).
Aus dem Gesagten schlägt die im vorliegenden Beschwerdefall vorzunehmende Interessensabwägung im Rahmen einer Gesamtschau zuungunsten des Beschwerdeführers und zugunsten des öffentlichen Interesses an seiner Ausreise aus. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts ergibt eine individuelle Abwägung der berührten Interessen, dass ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers durch seine Ausreise als im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK verhältnismäßig angesehen werden kann und war die von der belangten Behörde erlassene Rückkehrentscheidung daher im Ergebnis nicht zu beanstanden, weshalb auch die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 nicht in Betracht kommt.
Die sonstigen Voraussetzungen einer Rückkehrentscheidung nach § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG sind ebenso erfüllt. Sie ist auch sonst nicht (etwa vorübergehend nach Art. 8 EMRK, vgl. § 9 Abs. 3 BFA-VG und VwGH 16.12.2015, Ra 2015/21/0119) unzulässig. Der Beschwerdeführer verfügt auch über kein sonstiges Aufenthaltsrecht.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.
3.5. Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides):
Mit dem angefochtenen Bescheid wurde zudem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig ist.
Diesbezüglich ist darauf zu hinzuweisen, dass ein inhaltliches Auseinanderfallen der Entscheidungen nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz) und nach § 52 Abs. 9 FPG (zur Frage der Zulässigkeit der Abschiebung) ausgeschlossen ist. Damit ist es unmöglich, die Frage der Zulässigkeit der Abschiebung in den Herkunftsstaat im Rahmen der von Amts wegen zu treffenden Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG neu aufzurollen und entgegen der getroffenen Entscheidung über die Versagung von Asyl und subsidiärem Schutz anders zu beurteilen (vgl. VwGH 27.04.2021, Ra 2021/19/0082, mwN).
Die Abschiebung ist auch nicht unzulässig im Sinne des § 50 Abs. 2 FPG, da dem Beschwerdeführer keine Flüchtlingseigenschaft zukommt.
Weiters steht der Abschiebung keine Empfehlung einer vorläufigen Maßnahme durch den EGMR im Sinne des § 50 Abs. 3 FPG entgegen.
Die Beschwerde erweist sich daher insoweit als unbegründet, sodass sie auch hinsichtlich Spruchpunkt V. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG abzuweisen war.
3.6. Zur Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides):
Der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Teilerkenntnis 22.07.2025 zu I404 2316269-1/3Z stattgegeben und entsprechender Spruchpunkt VI. ersatzlos behoben, weshalb eine Frist für die freiwillige Ausreise vorzusehen ist (vgl. VwGH 28.04.2015, Ra 2014/18/0146, wonach § 55 Abs. 1a FPG nur dann anzuwenden ist, wenn die aufschiebende Wirkung der Beschwerde von der Verwaltungsbehörde aberkannt und vom Verwaltungsgericht nicht innerhalb der Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG 2014 wieder zuerkannt wird). Aus § 55 Abs. 2 FPG ergibt sich zwingend eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Besondere Umstände iSd § 55 Abs. 3 FPG wurden vom Beschwerdeführer nicht vorgebracht.
Zu B) Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.