JudikaturVwGH

Ra 2021/20/0403 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
29. Juni 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Herrmann Preschnofsky, in der Rechtssache der Revision des A R, vertreten durch Mag. a Nadja Lindenthal, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Siebensterngasse 23/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. September 2021, W195 1429138 4/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte nach unrechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet im Juli 2012 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), der im Instanzenzug mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 6. Juli 2015 abgewiesen wurde. Das Verfahren zur Prüfung der Zulässigkeit der Erlassung einer Rückkehrentscheidung wurde aufgrund der Übergangsbestimmung des § 75 Abs. 20 AsylG 2005 an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

2 In der Folge wurde gegen den Revisionswerber im Instanzenzug mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 2015 eine Rückkehrentscheidung erlassen.

3 Im April 2019 stellte der Revisionswerber, der nach Abschluss des ersten Asylverfahrens nicht ausgereist war, einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag blieb ebenfalls erfolglos und wurde letztlich vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 10. Juli 2019 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Unter einem wurde gegen den Revisionswerber (neuerlich) eine Rückkehrentscheidung erlassen.

4 Am 4. November 2020 stellte der Revisionswerber den hier gegenständlichen dritten Antrag auf internationalen Schutz.

5 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wies diesen Antrag mit Bescheid vom 18. Mai 2021 wegen entschiedener Sache zurück, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung sowie ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und gewährte keine Frist für die freiwillige Ausreise.

6 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung mit Erkenntnis vom 21. September 2021 als unbegründet abgewiesen. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

7 Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 1. März 2022, E 4618/2021 7, die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis gerichteten Beschwerde ab und trat diese dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision erhoben.

8 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

10 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11 Der Revisionswerber wendet sich zur Begründung der Zulässigkeit der von ihm erhobenen Revision gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung.

12 Nach der ständigen Rechtsprechung ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. VwGH 15.3.2022, Ra 2022/20/0045, 0046, mwN).

13 Werden Verfahrensmängel wie hier Ermittlungs- und Begründungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. VwGH 2.3.2022, Ra 2021/20/0156, Ra 2021/20/0358 bis 0361, mwN).

14 Im Rahmen der Interessenabwägung wurde vom Bundesverwaltungsgericht hinreichend berücksichtigt, dass der Revisionswerber über eine zum Aufenthalt in Österreich berechtigte Lebensgefährtin, die ebenfalls Staatsangehörige von Bangladesch ist, verfügt und aus dieser Beziehung ein im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses ein Jahr alter Sohn entstammt. Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in diesem Zusammenhang auch mit der Frage des Kindeswohls ausreichend befasst.

15 Es ist allerdings im gegebenen Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass die Berücksichtigung des Kindeswohls im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung darstellt; das Kindeswohl ist daher bei der Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen von Fremden nicht das einzig ausschlaggebende Kriterium. Die konkrete Gewichtung des Kindeswohls im Rahmen der nach § 9 BFA Verfahrensgesetz vorzunehmenden Gesamtbetrachtung hängt von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls ab (vgl. etwa VwGH 8.9.2021, Ra 2021/20/0166 bis 0170, mwN).

16 Das Bundesverwaltungsgericht durfte daher in seine Erwägungen auch einbeziehen, dass die Lebensgemeinschaft zu einem Zeitpunkt begründet wurde, als dem Revisionswerber insbesondere vor dem Hintergrund, dass zu dieser Zeit sein erster Antrag auf internationalen Schutz bereits rechtskräftig abgewiesen worden war bewusst sein musste, dass er nicht darauf vertrauen konnte, langfristig rechtmäßig in Österreich bleiben zu dürfen.

17 Weiters hat das Bundesverwaltungsgericht des Näheren dargelegt, dass sich der bisherige Aufenthalt des Revisionswerbers auf drei Anträge auf internationalen Schutz gegründet hat, die sich als rechtsmissbräuchlich gestellt erwiesen hätten. Der Verpflichtung zur Ausreise sei er nach den jeweils abgeschlossenen Asylverfahren zu keiner Zeit nachgekommen.

18 Es entspricht nun der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK nicht akzeptiert werden muss, dass ein Fremder mit seinem Verhalten letztlich versucht, in Bezug auf seinen Aufenthalt in Österreich vollendete Tatsachen zu schaffen (vgl. etwa VwGH 8.7.2021, Ra 2021/20/0226 bis 0228, mwN).

19 In Anbetracht des in der Revision völlig ausgeblendeten gravierenden Fehlverhaltens des Revisionswerbers kann die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beurteilung selbst dann nicht als unvertretbar angesehen werden, wenn die Erlassung der Rückkehrentscheidung zu einer Trennung des Revisionswerbers von seinen Angehörigen führt (vgl. zur Verhältnismäßigkeit der Trennung von Familienangehörigen im Hinblick auf den unsicheren Aufenthaltsstatus etwa VwGH 9.6.2022, Ra 2022/19/0105, mwN).

20 Somit wird vor dem Hintergrund der in der Revision angeführten, überwiegend der angefochtenen Entscheidung ohnedies zugrundegelegten Umstände nicht dargetan, dass jene Angaben, die die Lebensgefährtin des Revisionswerbers im Fall ihrer Vernehmung hätte machen können und woraus sich ergeben hätte, dass es ihr und dem gemeinsamen Sohn nicht zumutbar sei, in den gemeinsamen Herkunftsstaat zurückzukehren, fallbezogen von Relevanz für den Ausgang des Verfahrens hätten sein können.

21 Die Revision zeigt infolgedessen auch nicht auf, dass die Interessenabwägung des Bundesverwaltungsgerichts mit einer vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Fehlerhaftigkeit behaftet wäre.

22 In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 29. Juni 2022

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