JudikaturBVwG

W602 2280757-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
25. Juli 2025

Spruch

W602 2280757-2/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte GSTREIN über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Indien, vertreten durch die MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.08.2024, Zahl XXXX zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte wird stattgegeben. Die Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Vorverfahren

Der Beschwerdeführer, ein indischer Staatsangehöriger, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 27.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Begründung gab er an, Indien wegen der Arbeitslosigkeit und der Armut verlassen zu haben. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) vom 24.02.2023 sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien zulässig ist. Als Frist für die freiwillige Ausreise wurden 14 Tage festgelegt. Dieser Bescheid wurde durch Hinterlegung im Akt zugestellt und am 25.03.2025 rechtskräftig.

Ein erster Folgeantrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 21.08.2023 wurde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen. Die Zurückweisung wurde vom Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 06.02.2024, XXXX , bestätigt und gegenüber dem Beschwerdeführer am 09.02.2024 rechtskräftig.

2. Gegenständliches Verfahren

Am 11.03.2025 stellte der Beschwerdeführer in Traiskirchen einen weiteren Asylantrag und wurde dazu am 12.03.2025 von einem Organ der LPD Niederösterreich erstbefragt. Begründend für seinen Folgeantrag gab er zunächst an, seine alten Fluchtgründe seien noch aufrecht, den Folgeantrag würde er aber stellen, weil er an Tuberkulose erkrankt sei. Seine Erkrankung sei am 13.01.2025 festgestellt worden.

Der Beschwerdeführer wurde mit Verfahrensanordnung vom 01.04.2025 gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG über die voraussichtliche Zurückweisung seines Antrags wegen entschiedener Sache, die Aussetzung der Zwanzigtagesfrist und seine Meldepflicht sowie über seine Pflicht zur Inanspruchnahme eines Rückkehrberatungsgesprächs gemäß § 52a Abs. 2 BFA-VG nachweislich informiert. Am 14.05.2025 fand eine niederschriftliche Einvernahme vor dem Bundesamt statt, bei der der Beschwerdeführer zu den Gründen seines Folgeantrags, seinen Lebensumständen in Österreich und der Rückkehrsituation in Indien befragt wurde. Mit Bescheid vom 30.06.2025 wies das Bundesamt den Folgeantrag wegen entschiedener Sache sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten zurück (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), erklärte die Abschiebung nach Indien für zulässig (Spruchpunkt V.) und stellte fest, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1a FPG besteht (Spruchpunkt VI.).

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seinen bevollmächtigten Rechtsvertreter vollumfänglich Beschwerde. Diese wurde mit dem Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und langte am 21.07.2025 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte dem Bundesamt mit Mitteilung vom selben Tag das Einlangen der Unterlagen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Seine Identität steht nicht fest. Er ist indischer Staatsangehöriger und stammt aus dem Bundesstaat Punjab. Er gehört der Volksgruppe der Punjabi an und bekennt sich zum Sikhismus. Er spricht Punjabi, Hindi und Englisch. In Indien besuchte er die Hauptschule und arbeitete dann als Security bzw. Kassier. In Indien leben seine Eltern und vier Geschwister, mit denen er in Kontakt steht. Er ist ledig und hat keine Kinder.

Der Beschwerdeführer reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 27.10.2022 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes vom 24.02.2023 als unbegründet abgewiesen wurde. Unter einem wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig ist und eine 14-tägige Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt. Dieser Bescheid erwuchs am 25.03.2023 in Rechtskraft.

Am 21.08.2023 stellte er einen ersten Folgeantrag auf internationalen Schutz, der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.02.2024, XXXX wegen entschiedener Sache rechtskräftig zurückgewiesen wurde, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und eine Rückkehrentscheidung nach Indien erlassen wurde, die Zulässigkeit der Abschiebung festgestellt und keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurden.

Eine Aufenthaltsberechtigung außerhalb seiner Asylverfahren kam dem Beschwerdeführer in Österreich nicht zu. Der Beschwerdeführer verfügte in der Zeit von 10.12.2022 bis 18.01.2023 und vom 11.02.2023 bis zum 29.08.2023 über keinen Wohnsitz und keine Zustelladresse in Österreich.

Der Beschwerdeführer war in Österreich zeitweise als Zeitungskolporteur tätig, ohne Sozialversicherungsabgaben zu entrichten. Derzeit lebt er von der Grundversorgung. Er spricht kaum Deutsch und hat keine Familienangehörigen in Österreich.

1.2. Zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers

Der Beschwerdeführer leidet an einer aktiven hochresistenten prä-XDR Lungentuberkulose sowie an einer aktiven tuberkulösen Pleuritis. Die Lungentuberkulose, hervorgerufenen durch einen multiresistenten Erreger, der zusätzlich gegen Fluorchinolon resistent ist, benötigt eine komplizierte und nebenwirkungsreiche Behandlung, die derzeit im Tuberkulose Schwerpunktzentrum in der Klinik XXXX in Wien durchgeführt wird. Der Beschwerdeführer unterzog sich kürzlich zusätzlich einer Lungenoperation und ist lungenfunktionell schwer beeinträchtigt. Der Beschwerdeführer benötigt nach Therapieende, in einigen Monaten, eine ärztliche Nachsorge für mindestens ein Jahr, im Anschluss an die Therapie wird aus ärztlicher Sicht eine stationäre Lungenrehabilitation empfohlen.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Rückführung des Beschwerdeführers nach Indien zu einer Unterbrechung oder einem Abbruch der Tuberkulosebehandlung führt, die für den Beschwerdeführer lebensbedrohlich wäre und in diesem Fall auch dem öffentlichen Interesse, weitere Tuberkuloseresistenzen zu verhindern, entgegengesteht.

1.3. Zu den Gründen für den Folgeantrag auf internationalen Schutz:

Im ersten Asylverfahren wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführer Indien aufgrund von Armut und Arbeitslosigkeit verlassen hat. Ein asylrelevanter Sachverhalt wurde nicht festgestellt. Nach Rechtskraft dieser Entscheidung sind keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass dem Beschwerdeführer nunmehr eine Verfolgung aus Gründen von Religion, Nationalität, Herkunft, politischer Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Indien drohen würde. Der Beschwerdeführer begründete seinen Folgeantrag mit dem bereits im ersten Asylverfahren für nicht glaubhaft erachteten Vorbringen. Eine Änderung des rechtskräftigen Sachverhaltes im Hinblick auf die Zuerkennung von Asyl liegt nicht vor.

Seit 13.01.2025 befindet sich der Beschwerdeführer in ärztlicher Behandlung. Ein Abbruch oder eine Unterbrechung der Behandlung, die im Fall seiner Rückkehr nach Indien zumindest möglich wäre, können für den Beschwerdeführer lebensbedrohlich sein. Im Vergleich zur Sachlage zum Zeitpunkt der ersten rechtskräftigen Entscheidung im Asylverfahren am 25.03.2023 ist mit der Erkrankung des Beschwerdeführers ein Umstand eingetreten, aufgrund dessen eine Gefährdung des Lebens und der Gesundheit gemäß Art. 2 und 3 EMRK im Fall seiner Rückkehr zumindest nicht mehr ausgeschlossen werden kann.

1.4. Zur maßgeblichen Situation in Indien:

Auszug aus den Länderinformationen der Staatendokumentation zu Indien, Version 9, 14.05.2025

1 Länderspezifische Anmerkungen

Keine.

2 Politische Lage

Die 1950 (2 ½ Jahre nach Erlangung der Unabhängigkeit) in Kraft getretene Verfassung Indiens basiert auf der westlich-liberalen Staatstradition. Indien ist ein demokratischer Rechtsstaat mit einem Mehrparteiensystem (ÖB New Delhi 7.2023) und mit einer traditionell etablierten Demokratie (BS 19.3.2024). Andere Quellen stufen Indien dagegen als eine nur teilweise freie (FH 2025a) Wahlautokratie ein (UNIG-VDI 3.2025; vgl. Atlantic 26.4.2024). Neben den großen nationalen Parteien, dem Kongress (in ihren Wurzeln eine sozialistisch inspirierte nationale Sammlungsbewegung), der Bharatiya Janata Party (BJP, hindu-nationalistisch) sowie überregional wirkenden kommunistischen Parteien, gibt es eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend nach politischer Bedeutung streben (AA 5.6.2023). Die überwiegende Mehrheit der indischen Bevölkerung akzeptiert den indischen Nationalstaat als legitim. Nur in einigen Gebieten, insbesondere in Zentralindien, im Nordosten und im Kaschmirtal, wird die Legitimität des Nationalstaates durch Rebellenorganisationen infrage gestellt. Der Staat behält in diesen Regionen die Kontrolle mithilfe von Gesetzen, die den Streitkräften in Konfliktgebieten besondere Befugnisse einräumen, sowie Gesetzen zur Eindämmung illegaler Aktivitäten und zum Verbot illegaler und terroristischer Organisationen (BS 19.3.2024). Die Wahlen und Auswahlverfahren der Exekutive gelten im Allgemeinen als frei und fair (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024). Selbst unter armen und analphabetischen Bevölkerungsgruppen ist die Wahlbeteiligung hoch (BS 19.3.2024). Gemäß der indischen Verfassung ist der Staat säkular. Formal sind weder die Rechtsordnung noch die politischen Institutionen durch religiöse Dogmen definiert oder abgeleitet. Eine Ausnahme bildet das Familienrecht, das hinduistische, muslimische und christliche Bestimmungen umfasst (BS 19.3.2024).

Staatsstruktur (Exekutive und Legislative)

[Anm.: für Informationen zur Judikative siehe Kapitel Justizwesen]

Die föderal strukturierte Republik besteht (nach der Abschaffung der Autonomie von Jammu, Kaschmir und Ladakh und deren Teilung in zwei Unionsterritorien im Jahr 2019) aus 28 Unionsstaaten (auch Bundes- oder Regionalstaaten genannt) und acht direkt von der Zentralregierung verwaltete Unionsterritorien. Das Prinzip der Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative (Parlament) und einer unabhängigen Justiz ist in der Verfassung verankert (ÖB New Delhi 7.2023) und folgt britischem Muster (AA 5.6.2023). Oberhaupt der Indischen Union ist der Staatspräsident, der von einem Gremium der Abgeordneten des Bundes und der Länder für eine Amtszeit von fünf Jahren gewählt wird und großteils Repräsentativfunktionen wahrnimmt (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. FH 2025a). Zudem fungiert der indische Präsident auch als Oberbefehlshaber der Armee, wenngleich der Premierminister über die exekutive Gewalt verfügt (KAS 7.2022). Im Juli 2022 wählten die Gesetzgeber Draupadi Murmu, die von der BJP unterstützte Kandidatin und ehemalige Gouverneurin von Jharkhand, als zweite Frau und erstes Mitglied einer indigenen Minderheit Indiens, zur Präsidentin (FH 2025a, vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Neben seiner allgemeinen repräsentativen Funktion entscheidet der Präsident, welche Partei am besten in der Lage ist, eine Regierung zu bilden. Zu seinen legislativen Befugnissen gehören, u. a. die Auflösung oder Einberufung des Parlaments, und zu seinen exekutiven Befugnissen, die Ernennung des Obersten Richters Indiens aus einer Liste, die ihm vom Obersten Gerichtshof übermittelt wird (KAS 7.2022).

Die Exekutivgewalt wird durch den Premierminister ausgeübt, in der Regel dem Vorsitzenden der Mehrheitspartei in der Lok Sabha (Haus des Volkes [Anm.: Unterhaus]), und einem vom Premierminister nominierten Ministerkabinett. Sie werden vom Präsidenten ernannt und sind gegenüber der Lok Sabha verantwortlich (FH 2025a). Bei den nationalen Wahlen 2024 konnte die BJP nur mehr 240 Sitze für sich gewinnen und verlor damit die absolute Mehrheit (FH 2025a; vgl. Böll 12.6.2024) von zuvor 272 Sitzen (Wahl 2019) (Böll 12.6.2024). Die von der BJP geführte National Democratic Alliance (NDA) gewann jedoch mit 293 (FH 2025a) bis 294 Sitzen die Mehrheit (Böll 12.6.2024), so dass Modi im Juni eine dritte Amtszeit als Premierminister antreten konnte (FH 2025a). Die oppositionelle INDIA-Allianz, angeführt von der Kongresspartei der Gandhi-Dynastie, konnte ihr Ergebnis gegenüber den letzten Wahlen deutlich steigern und 232 Sitze erringen (BAMF 10.6.2024; vgl. Böll 12.6.2024, FH 2025a). Modis Koalitionsregierung hängt nun weitgehend von zwei wichtigen regionalen Verbündeten, der Telugu Desam Partei im südlichen Bundesstaat Andhra Pradesh und der Janata Dal (United) im östlichen Bundesstaat Bihar ab, um an der Macht zu bleiben (BAMF 10.6.2024).

Die nationale Legislative besteht aus zwei Kammern (EB 3.3.2025). Die Abgeordneten der 543 Sitze umfassenden Lok Sabha werden in Einpersonenwahlkreisen für eine Amtszeit von fünf Jahren direkt gewählt. Die meisten Abgeordneten des weniger mächtigen Oberhauses, der Rajya Sabha (Council of States [Anm.: Staatenversammlung]), mit 245 Sitzen, werden von den Parlamenten der Bundesstaaten nach dem Verhältniswahlsystem für gestaffelte sechsjährige Amtszeiten gewählt. Bis zu zwölf Mitglieder werden vom Präsidenten ernannt (FH 2025a). Der Vizepräsident der Republik Indien ist zugleich Vorsitzender der Rajya Sabha (ÖB New Delhi 7.2023). Die Kontrolle der Legislative über die Exekutive wird insbesondere durch strukturelle Faktoren beeinträchtigt, wie die eingeschränkte Kompetenz vieler Abgeordneter und kurze Sitzungszeiten. Zudem wird die Arbeit des Parlaments durch häufige Unterbrechungen und Austritte der Oppositionsparteien behindert. Dies erschwert dem Parlament die Wahrnehmung seiner verfassungsmäßigen Rolle im System der gegenseitigen Kontrolle. Die Dominanz der Exekutive, insbesondere der persönliche Einfluss des Premierministers, hat das Parlament marginalisiert. Die eingeschränkte Rolle des Parlaments als beratendes Organ und ein untergrabenes Ausschusssystem schwächen die Gesetzgebungsverfahren (BS 19.3.2024).

In den Bundesstaaten liegt die Exekutive formal beim jeweiligen Gouverneur, der vom Staatspräsidenten ernannt wird, und dem Ministerrat, an dessen Spitze der Ministerpräsident (Chief Minister) steht. Der Gouverneur ernennt den Ministerpräsidenten und die von diesem vorgeschlagenen Minister, die kollektiv der gesetzgebenden Versammlung des Unionsstaates (Vidhan Sabha/Legislative Assembly) verantwortlich sind. Die Unionsterritorien werden direkt von der Zentralregierung verwaltet, wobei einige Unionsterritorien (Delhi, Puducherry) auch über eine eigene parlamentarische Versammlung und eine Regierung verfügen und somit de facto eine Zwischenstellung zwischen Regionalstaat und Unionsterritorium einnehmen (ÖB New Delhi 7.2023).

Hindu-Nationalismus

Das vorherrschende Konzept des indischen Staates als säkularer Staat wird zunehmend von hindu-nationalistischen Gruppen untergraben (BS 19.3.2024). Vom Staat wird erwartet, dass er grundsätzlich Distanz zu allen Religionen wahrt. De facto manifestiert sich jedoch im öffentlichen Raum und in der Politik ein unmissverständlicher Zuspruch zur hinduistischen Identität (Böll 12.7.2022). Es wird berichtet, dass die Regierung der BJP unter Premierminister Narendra Modi die demokratischen Institutionen kontinuierlich schwächt und die Transformation Indiens in einen Staat mit hinduistischer Mehrheit verfolgt (BS 19.3.2024). Zu diesem Zweck betreiben die Regierung Modi und die BJP eine zunehmend diskriminierende Politik. Muslime werden verstärkt verfolgt (FH 2025a) und die Diskriminierung ethnischer Minderheiten weitergeführt (HRW 16.1.2025). Die BJP verwendet Regierungsinstitutionen zunehmend zur Verfolgung politischer Gegner. Obwohl die Verfassung die bürgerlichen Freiheiten, wie Meinungs- und Religionsfreiheit garantiert, hat die Belästigung von Journalisten, NGOs und anderen Regierungskritikern unter Modi erheblich zugenommen (FH 2025a). Außerdem wird die Tätigkeit von NGOs in Indien stark eingeschränkt und erschwert (BS 19.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024).

Die Hindutva-Ideologie ist eine rechts stehende ethno-nationalistische politische Ideologie (EB 17.3.2025a), von der sich die regierende BJP leiten lässt. Sie befürwortet die Vorherrschaft der Hindus und sieht die Errichtung eines "Hindu-Staates" (einer "Hindu Rashtra") vor. Dabei sollen Nicht-Hindus nicht alle Rechte eingeräumt werden, die Hindus zustehen (Böll 12.7.2022). Hindu-nationalistische Organisationen besetzen wichtige Führungspositionen in relevanten Institutionen mit Mitgliedern und schränken so den Widerstand gegen abweichende Meinungen ein. Die Dominanz dieser Gruppen birgt ein zunehmendes Risiko der Polarisierung entlang politischer und religiöser Linien. Die Rashtriya Swayamsevak Sangh (RSS), eine rechte paramilitärische hindu-nationalistische Organisation (BS 19.3.2024; vgl. EB 17.3.2025a), ursprünglich von den italienischen Faschisten der 1920er inspiriert (Böll 12.7.2022), übt einen großen Einfluss auf die BJP und ihre Politik aus und hat ihre Präsenz im ganzen Land ausgeweitet. Sie zählt schätzungsweise sieben Millionen Mitglieder und kontrolliert zahlreiche andere Organisationen, darunter Indiens größte Gewerkschaft, die Bharatiya Mazdoor Sangh mit über zehn Millionen Mitgliedern. Weitere von der RSS kontrollierte Institutionen sind 12.000 Schulen und fast 1.000 NGOs. Laut Bertelsmann Stiftung würden die Aktivitäten solcher Organisationen die Demokratie untergraben und zu einem zunehmenden Polarisierungsrisiko beitragen (BS 19.3.2024).

Im Rahmen des Wahlkampfs von Premierminister Modi 2024 kam es wiederholt zu Äußerungen gegen Muslime und andere Minderheiten, die zu Diskriminierung, Feindseligkeit und Gewalt gegen sie aufriefen. Zwischen Juni und August 2024 kam es zu einer Zunahme der Gewalt durch hinduistische Bürgerwehren. Laut Human Rights Watch (HRW) hätten die Behörden keine adäquaten Maßnahmen gegen die für die Angriffe verantwortlichen BJP-Anhänger unternommen. Stattdessen wurden die Opfer der Gewalt gezielt verfolgt, u. a. durch die unrechtmäßige Zerstörung muslimischer Häuser und Grundstücke. Regierungskritiker sahen sich politisch motivierten Strafverfolgungen ausgesetzt, die sich auf Steuer- und Auslandsfinanzierungsvorschriften sowie auf das drakonische Antiterrorgesetz stützten (HRW 16.1.2025).

Quellen: […]

3 Sicherheitslage

Hinduradikale Gruppen verursachen immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen mit Angehörigen religiöser Minderheiten, v. a. Muslime, gelegentlich aber auch mit nicht traditionell eingestellten Hindus (AA 5.6.2023). Der gegen Minderheiten wie Muslime und Christen gerichtete Hindu-Radikalismus wird von offizieller Seite selten in die Kategorie Terror eingestuft, vielmehr als „communal violence“ bezeichnet. Das Innenministerium gibt jedoch seit 2017 keine entsprechenden Daten mehr weiter, und Zivilgesellschaften berichten, dass die Regierung nicht auf Auskunftsbegehren (nach dem Right to Information) reagiert (ÖB New Delhi 7.2023).

Insgesamt sind die meisten Inder tagtäglich keinen nennenswerten Sicherheitsbedrohungen ausgesetzt, mit einigen Ausnahmen in bestimmten, abgelegenen Gebieten. Diejenigen, die in Städten leben, können zivilen Unruhen ausgesetzt sein, einschließlich gewalttätiger Ausschreitungen, die von Zeit zu Zeit im ganzen Land auftreten. Die Ursachen für zivile Unruhen sind komplex und vielfältig und können ethnische und religiöse Spannungen, Aufstände und Terrorismus sowie politische und ideologische Gewalt umfassen. In den meisten Fällen werden die meisten Inder solche Situationen vermeiden. Über soziale Medien verbreitete Fehlinformationen führen gelegentlich zu Gewalt. Über Social-Media-Plattformen wie Facebook, Snapchat, Twitter, WhatsApp und YouTube werden Gerüchte über angebliche Straftaten verbreitet, die zu gelegentlichem Vigilantismus führen. Diese Ereignisse sind unvorhersehbar, bleiben aber meist lokal begrenzt (DFAT 29.9.2023).

Sicherheitslage in einzelnen Bundesstaaten

Die Streitkräfte des Landes, die Sicherheitskräfte der einzelnen Bundesstaaten und paramilitärische Kräfte lieferten sich Gefechte mit aufständischen Gruppen in mehreren nordöstlichen Bundesstaaten und Jammu Kaschmir (J K) sowie mit maoistischen Rebellen im Norden, im Zentrum und im Osten des Landes (USDOS 23.4.2024). Über 40 aufständische Gruppen sind an den Angriffen in den sieben nordöstlichen Bundesstaaten beteiligt. Darüber hinaus kommt es zu Gewalthandlungen zwischen den Stämmen. Die Rebellengruppen verfolgen das Ziel, mehr Autonomie oder sogar völlige Unabhängigkeit für ihre ethnischen oder Stammesgruppen zu erlangen, und sind in eine Vielzahl von kriminellen Aktivitäten verwickelt, einschließlich Bombenanschlägen, Mord, Entführung und Vergewaltigung von Zivilisten. Zudem betreiben sie ein ausgedehntes Erpressungsnetzwerk (FH 2025a). Auch Sicherheitskräfte, die gegen regionale Aufstände kämpfen, sind in außergerichtliche Tötungen (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024), Vergewaltigungen, Folter, Entführungen und die Zerstörung von Häusern verwickelt (FH 2025a).

Das Innenministerium reduzierte im April 2024 den Geltungsbereich des AFSPA (Armed Forces Special Powers Act) in den Distrikten Assam, Manipur und Nagaland. In anderen Teilen Nagalands, in Teilen von Arunachal Pradesh, Manipur und Assam blieb die Einstufung als Unruhegebiet unter dem AFSPA bestehen, und in J K war eine Version des Gesetzes in Kraft (USDOS 23.4.2024) [Anm.: weitere Informationen zum AFSPA finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden].

Militäroperationen gegen maoistische Rebellen

Die Bundesstaaten Bihar, Jharkand, Chhattisgarh, der äußerste Südwesten von Orissa [Anm.: Odisha], der äußerste Norden von Andhra Pradesh und der äußerste Osten von Maharashtra verzeichnen, insbesondere in ländlichen Gebieten, bewaffnete Aktivitäten einer militant-sozialrevolutionären maoistischen Bewegung (AA 27.2.2025; vgl. BMEIA 18.2.2025), die in einzelnen Distrikten bis hin zur Ausübung quasistaatlicher Gewalt gehen (AA 27.2.2025). Die Aufständischen werden auch als Naxaliten bezeichnet, benannt nach dem Distrikt, in dem sie im Jahr 1967 ihren bewaffneten Feldzug begannen. Ihre Ideologie ist vom chinesischen Revolutionsführer Mao Zedong beeinflusst (BAMF 13.1.2025). Die Naxaliten führen seit Jahrzehnten vor allem in Zentral- und Ostindien einen Guerillakrieg gegen die Regierung, der zu regelmäßigen Zusammenstößen und Opfern auf beiden Seiten führt (BAMF 10.2.2025). Die Rebellen erheben unter anderem illegale Steuern, beschlagnahmen Lebensmittel und Unterkünfte, verschleppen und rekrutieren Kinder sowie Erwachsene. Lokale Zivilisten und Journalisten, die als regierungstreu gelten, sind von Angriffen betroffen. Zehntausende Zivilisten wurden durch die Gewalt vertrieben und leben in staatlich geführten Lagern (FH 2025a). Die BJP-Regierung im Bundesstaat Chhattisgarh, der Heimat vieler Stammesgemeinschaften, hat ihre Maßnahmen zur Bekämpfung der Aufstände maoistischer Rebellen verschärft (HRW 16.1.2025; vgl. FH 2025a). Seit dem 15.1.2025 gehen mindestens 3.000 indische Sicherheitskräfte gegen die Naxaliten im Bundesstaat Chhattisgarh vor (BAMF 20.1.2025). Im Zuge dieser Auseinandersetzungen kam es auch zu Übergriffen auf Dorfbewohner und Vorwürfen außergerichtlicher Hinrichtungen. Zudem gingen die Behörden weiterhin gezielt gegen Menschenrechtsaktivisten vor, unter anderem aufgrund politisch motivierter Anschuldigungen, sie seien Maoisten oder Maoisten-Anhänger (HRW 16.1.2025). Die indische Regierung will die bewaffnete Rebellion nach eigenen Angaben bis Anfang des Jahres 2026 niederschlagen und hat ihre Anstrengungen zur Beendigung des langjährigen bewaffneten Konflikts verstärkt. Offiziellen Angaben zufolge wurden im Jahr 2024 insgesamt 287 mutmaßliche Rebellen getötet und etwa 1.000 verhaftet; 837 sollen sich ergeben haben (BAMF 13.1.2025).

Zusammenstöße im Bundesstaat Manipur zwischen den Stammesgemeinschaften der Kuki und Meitei

Im September 2024 kam es in Manipur erneut zu ethnischen Auseinandersetzungen zwischen bewaffneten Gruppen der überwiegend christlichen Kuki-Zo-Gemeinde und der überwiegend hinduistischen Meitei-Gemeinde, bei denen Berichten zufolge mindestens elf Menschen ums Leben kamen (HRW 16.1.2025). Die Meitei stellen in Manipur die Mehrheit (fast 53 %), die Kuki-Zo nur 16 % der Bevölkerung (OpD 2.2024). Studenten und andere Menschen protestierten gegen die Gewalt, einige von ihnen lieferten sich Zusammenstöße mit Sicherheitskräften und griffen Regierungsgebäude an. Anstatt gefährdete Gemeinschaften zu schützen und die Rechtsstaatlichkeit aufrechtzuerhalten, vertiefte die von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführte Landesregierung durch eine polarisierende Politik die seit Langem bestehende Wut und das Misstrauen zwischen den Gemeinschaften (HRW 16.1.2025). Zuvor war es bereits zwischen Mai und November 2023 zu Zusammenstößen zwischen den beiden Stammesgemeinschaften gekommen, mit mindestens 175 Toten und mehr als 60.000 Binnenvertriebenen. Aktivisten und Journalisten berichteten von bewaffneten Konflikten, Vergewaltigungen und Übergriffen sowie von der Zerstörung von Häusern, Geschäften und Gebetsstätten. Als Reaktion auf die Gewalt setzte die Regierung Sicherheitskräfte ein, verhängte tägliche Ausgangssperren und schaltete das Internet ab. (USDOS 23.4.2024). Der Konflikt dauert aktuell an [Anm.: Stand 24.3.2025] (India Today 24.3.2025).

Ausgangspunkt war eine Anweisung des Manipur High Court [Anm.: Höchstgericht des Bundesstaates Manipur] an die Landesregierung von Manipur, in der es um den Antrag der Meitei auf Anerkennung als Scheduled Tribe (ST) ging (USDOS 23.4.2024). Hintergrund des Konflikts ist die Forderung der Meitei, in die Liste der Scheduled Tribes aufgenommen zu werden, um Berggebiete besetzen zu können, die den Nagas, Kuki-Zo und anderen Stammesgruppen vorbehalten waren (OpD 2.2024). In dem Gerichtsurteil wurde schließlich festgestellt, dass die Regierung des Bundesstaats die Vorteile, die den Kukis exklusiv gewährt worden sind, auch den Meitei gewährt werden müsse (BAMF 9.9.2024). Auslöser der Gewalt waren schließlich Proteste der Kukis gegen die Forderung der Meiteis nach Stammesstatus, und die Forderung der Kukis nach "territorialer Autonomie" (OpD 2.2024). Seit dem Ausbruch des ethnischen Konflikts im Mai 2023 ist der Bundesstaat mit über drei Mio. Einwohnerinnen und Einwohnern in zwei Enklaven geteilt, in ein von der Mehrheit der Meiteis kontrolliertes Tal und die von den Kukis bewohnten Berge. Die beiden Enklaven sind durch ein Niemandsland getrennt, das von paramilitärischen Truppen der Bundesregierung kontrolliert wird (BAMF 9.9.2024). Der Oberste Gerichtshof [Anm.: Indiens] kritisierte das Versäumnis der Zentralregierung und der Regierung des Bundesstaates Manipur, der Gewalt Einhalt zu gebieten, und ernannte Beamte, die die Gewaltvorfälle untersuchen und die Bereitstellung humanitärer Hilfe sowie den Wiederaufbau von Häusern und Kultstätten sicherstellen sollten (USDOS 23.4.2024).

Quellen: […]

3.1 Jammu Kaschmir und Ladakh

Politische Lage

Die Kontrolle über Kaschmir ist seit 1948 zwischen Indien und Pakistan geteilt, wobei das von Indien verwaltete Kaschmir lange Zeit gemäß der indischen Verfassung weitgehende Autonomie genoss. Der autonome Status der Region wurde jedoch 2019 mit dem Gesetz zur Neuorganisation Kaschmirs (Kashmir Reorganisation Act) aufgehoben und der Bundesstaat Jammu und Kaschmir (J K) als zwei Unionsterritorien (UT) (FH 2025b), J K und Ladakh (DFAT 29.9.2023), unter direkter Kontrolle der indischen Zentralregierung neu gegründet. Im Gegensatz zu J K verfügt das UT Ladakh über keine eigenständige Legislative und wird ausschließlich durch einen Vizegouverneur (Lieutenant Governor) verwaltet. Mit diesem Schritt wurden den Bewohnern viele ihrer bisherigen politischen Rechte entzogen und die bürgerlichen Freiheiten eingeschränkt, um öffentlichen Widerstand zu unterdrücken. Den indischen Sicherheitskräften werden häufig Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen, die Täter werden jedoch selten bestraft. Separatisten und Dschihadisten führen weiterhin einen langwierigen Aufstand (FH 2025b).

Der Status von J K wurde im aktuellen Freedom House Bericht von „nicht frei“ auf „teilweise frei“ hochgestuft, da nach langer Verzögerung friedliche und kompetitive Parlamentswahlen abgehalten wurden und zum ersten Mal seit der Neuordnung des Gebiets im Jahr 2019 eine teilweise gewählte Lokalregierung eingesetzt wurde (FH 2025b). Zwischen September (HRW 16.1.2025) und Oktober 2024 fanden in J K die ersten Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung seit 2014 statt. Die Jammu and Kashmir National Conference (JKNC) gewann 42 der 90 Sitze und dominierte damit im Kaschmirtal, während die Bharatiya Janata Party (BJP) 29 Sitze errang, hauptsächlich in der Region Jammu. Kurz vor den Wahlen zur gesetzgebenden Versammlung übertrug die Modi-Regierung jedoch wichtige Befugnisse der gewählten Regierung von J K an den Vizegouverneur, einen von Neu-Delhi ernannten Amtsträger. Dazu zählen Angelegenheiten in den Bereichen Polizei, öffentliche Ordnung und bürokratische Ernennungen sowie ein wesentlicher Einfluss auf finanzielle und administrative Entscheidungen. Die Zentralregierung legte keinen Zeitplan für die Wiederherstellung der vollen Staatlichkeit von J K vor, obwohl der Oberste Gerichtshof eine Frist bis 2023 gesetzt hatte. Premierminister Modi hat die Forderungen der neu gewählten Gesetzgeber nach Wiederherstellung der Autonomie zurückgewiesen (FH 2025b). Im März 2024 forderten auch in Ladakh Demonstranten eine stärkere Beteiligung an der Regierungsführung. Im Oktober 2024 verhafteten die indischen Behörden den bekannten Klimaaktivisten Sonam Wangchuk und 120 weitere Menschen aus Ladakh, die 30 Tage lang fast 1.000 Kilometer zu Fuß von der Provinzhauptstadt Leh nach Delhi gingen. Nach 36 Stunden wurden die Aktivisten, die mehr Mitsprache in der lokalen Regierung und stärkere Umweltschutzmaßnahmen forderten, wieder freigelassen (HRW 16.1.2025).

Die Verwaltung arbeitet im Allgemeinen intransparent, und die Änderungen des Verwaltungsstatus der Region im Jahr 2019 sowie die starken Einschränkungen der Pressefreiheit haben die Transparenz weiter erschwert. Mehrere offizielle Stellen zur Förderung von Transparenz und guter Regierungsführung, darunter die Staatliche Informationskommission, wurden 2019 und 2020 geschlossen. Korruption in J K ist weit verbreitet und nur wenige Fälle führen zu Verurteilungen. Im Jahr 2020 wurde die bundesstaatliche Antikorruptionskommission (State Vigilance Commission), die 2011 mit weitreichenden Ermittlungsbefugnissen eingerichtet worden war, aufgelöst, nach dem die Regierung von J K das zugrundeliegende Gesetz aufgehoben hatte (FH 2025b).

Sicherheitslage, Folter und unmenschliche Behandlung

In der Region Jammu, die als relativ friedlich gilt, kam es zwischen Mai und Juli 2024 zu einem Anstieg der Gewalt, bei dem 15 Soldaten und 9 Zivilisten ums Leben kamen. Bis September 2024 wurden in J K 40 Angriffe gemeldet, bei denen 18 Zivilisten, 20 Sicherheitskräfte und 39 mutmaßliche Militante getötet wurden. Religiöse Minderheiten und Arbeitsmigranten sind gezielten Angriffen ausgesetzt, während Hunderte von Kaschmiris, darunter Journalisten und Menschenrechtsaktivisten, inhaftiert blieben. Journalisten in Kaschmir sind nach wie vor polizeilichen Verhören, Razzien, Drohungen, tätlichen Angriffen, Bewegungseinschränkungen und fingierten Strafverfahren ausgesetzt. Im Juni 2024 führten die Behörden ein Gesetz ein, das öffentliche Amtsträger in der Region vor angeblichen Falschinformationen schützen soll. Darüber hinaus empfahlen sie, Medien zu bestrafen, die an der Verbreitung angeblicher Falschinformationen beteiligt sind. Dies löste Besorgnis über die Rechenschaftspflicht der Regierung und die Bedrohung der Pressefreiheit aus (HRW 16.1.2025).

Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen verschwanden in der Region J K zwischen 1989 und 2006 zwischen 8.000 und 10.000 Menschen. Daten über das Verschwinden von Personen seit 2006 sind nur begrenzt verfügbar. Es kommt zu Tötungen durch staatliche und nicht-staatliche Stellen (USDOS 23.4.2024). Laut UN-Arbeitsgruppe für erzwungenes oder unfreiwilliges Verschwinden (Working Group on Enforced or Involuntary Disappearances, WGEID) sind in Indien noch 444 offene Fälle vorhanden. Seit dem Jahr 2006 wurden durch die WGEID 14 Fälle für ganz Indien neu registriert [Anm.: es gibt keine gesonderten Zahlen zu J K] (UNHRC/WGEID 26.7.2024). Indische Sicherheitskräfte sind nach wie vor für Folterungen, Zwangsverschleppungen und die Tötung mutmaßlicher Aufständischer und ihrer mutmaßlichen zivilen Sympathisanten in Gewahrsam verantwortlich und genießen für derartige Übergriffe im Allgemeinen Straffreiheit (FH 2025b). Aufständische begehen schwere Übergriffe, darunter Tötungen und Entführungen von Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, von Regierungsbeamten und Zivilisten (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2025b).

Dem österreichischen Außenministerium (BMEIA) zufolge besteht in den westlichen Teilen von Ladakh und entlang der pakistanischen und chinesischen Grenze ein hohes Sicherheitsrisiko (BMEIA 18.2.2025). Laut [deutschem] Auswärtigem Amt ist im Unionsterritorium Ladakh die Sicherheitslage grundsätzlich stabil. Allerdings kann es in den direkten Grenzregionen zu Zusammenstößen zwischen indischen und pakistanischen und indischen und chinesischen Sicherheitskräften kommen (AA 27.2.2025).

Justizwesen

Die Gerichte in der Region sind politisiert und fungieren in der Regel als verlängerter Arm der indischen Exekutive und des Militärs. Regierung und Sicherheitskräfte missachten häufig Gerichtsurteile, die ihrem Handeln Grenzen setzen. Obwohl das Obergericht (High Court) von J K und Ladakh Schritte unternommen hat, um freie Richterstellen bis 2024 zu besetzen, bestehen weiterhin Bedenken hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz. Das Recht auf ein faires Verfahren, einschließlich der Möglichkeit einer zügigen Gerichtsverhandlung, wird teilweise durch einen großen Rückstau anhängiger Fälle und zeitweilige Streiks der Anwälte beeinträchtigt. Die Gerichte in J K schließen nur sehr wenige Fälle pro Jahr ab (FH 2025b).

Befugnisse der Sicherheitskräfte

Das Gesetz über besondere Befugnisse der Streitkräfte (Armed Forces Special Powers Act, AFSPA) und das Gesetz über unruhige Gebiete (Disturbed Areas Act) erlauben es den Sicherheitskräften (FH 2025b), Häuser zu durchsuchen, Verdächtige ohne Haftbefehl festzunehmen (FH 2025b; vgl. USDOS 23.4.2024), Verdächtige auf Sicht zu erschießen und Gebäude zu zerstören, in denen Militante oder Waffen vermutet werden. Das AFSPA sieht vor, dass Sicherheitskräfte nur mit Zustimmung der Zentralregierung strafrechtlich verfolgt werden dürfen, die jedoch selten erteilt wird (FH 2025b). Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit (Public Safety Act, PSA) gilt nur in J K und ermöglicht es den Behörden, Personen ohne Anklage oder gerichtliche Überprüfung bis zu zwei Jahre lang festzuhalten (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023, FH 2025b), ohne dass Familienangehörige sie besuchen dürfen. Sowohl das UAPA (Unlawful Activities Prevention Act) als auch das PSA erlauben es der Regierung, Eigentum zu beschlagnahmen, ohne dass ein ordnungsgemäßes Verfahren oder Schutzmaßnahmen vorgesehen sind. Im Februar 2024 berichtete die Presse, dass von 2019 bis Februar 2024 mehr als 800 Personen auf Grundlage des PSA inhaftiert worden waren. Es gibt Berichte, wonach die Regierung unmittelbar nach Ablauf einer zweijährigen Haftstrafe neue Haftbefehle ausstellt, wodurch de facto eine unbegrenzte Inhaftierung ohne Gerichtsverfahren ermöglicht wird (USDOS 23.4.2024). In mehreren Fällen behält die Polizei Personen weiterhin in Gewahrsam, indem sie neue Anschuldigungen erhob, obwohl die Gerichte ihnen bereits Kaution gewährt oder Haftbefehle aufgehoben hatten (HRW 16.1.2025). Aufgrund von Verzögerungen bei der Durchführung von Rückführungsverfahren bleiben Ausländer häufig über den Ablauf ihrer Haftstrafe hinaus in Haft, darunter auch Personen, die nach dem Einwanderungsgesetz der illegalen Einreise oder des illegalen Aufenthalts beschuldigt werden (USDOS 23.4.2024).

Allgemeine Menschenrechtslage

In Jammu und Kaschmir (J K) ist die Versammlungsfreiheit in Zeiten von Unruhen häufig eingeschränkt (FH 2025b). Vereinzelt werden Anträge für Versammlungen in J K abgelehnt, wo die Angst vor gewalttätigen Ausschreitungen groß ist (ÖB New Delhi 7.2023). Dies betrifft vor allem öffentliche Versammlungen von politischen Parteien, die für Separatismus eintreten (USDOS 23.4.2024), wie der separatistischen Allparteienkonferenz Hurriyat (APHC). Separatistenführer werden oftmals vor geplanten Demonstrationen festgenommen, und häufig kommt es zu Gewalthandlungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften (FH 2025b). Zudem kann es in J K zur Verhängung von Ausgangssperren kommen (USDOS 23.4.2024).

Eine Reihe von Gewalttaten gegen Pandits oder Kaschmir-Hindus hat im Laufe der Jahre mehrere Hunderttausend Hindus gezwungen, aus ihren Häusern in der Region zu fliehen, und viele von ihnen leben nach wie vor in Flüchtlings- ("Transit-")lagern. Auch Angehörige anderer religiöser und ethnischer Minderheiten wurden zum Ziel von Angriffen, darunter Sikhs und Gujjars. Frauen werden gesellschaftlich diskriminiert und sind Schikanen, Einschüchterungen und Gewalt, einschließlich Vergewaltigung und Mord, sowohl durch die Sicherheitskräfte als auch durch militante Gruppen ausgesetzt. LGBT+-Personen werden in der kaschmirischen Gesellschaft generell ausgegrenzt (FH 2025b).

Die Religionsfreiheit wird von den Behörden im Allgemeinen respektiert. Dennoch kommt es immer wieder zu Gewaltausbrüchen zwischen Muslimen und Hindus, bei denen Menschen verletzt oder getötet werden. Die Behörden haben die Hauptmoschee in Srinagar wiederholt für Gläubige geschlossen, meist mit der Begründung von Sicherheitsbedenken. Ein jahrzehntelanges Verbot der Muharram-Prozessionen der schiitischen Muslime während der Trauerzeit zum islamischen Neujahrsfest wurde 2023 aufgehoben, sodass die Prozessionen wieder stattfinden können (FH 2025b). Im Juli 2024 erlaubte die Regierung die Muharram-Prozession in Srinagar (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2025b), allerdings verhängte die Regierung einige Einschränkungen hinsichtlich der Verwendung von Slogans oder der Darstellung von Logos verbotener Organisationen (USDOS 23.4.2024).

Quellen: […]

4 Rechtsschutz / Justizwesen

Die Justiz ist in Indien von der Legislative und der Exekutive getrennt (DFAT 29.9.2023) und agiert formell unabhängig von der Politik (FH 2025a). Es gibt eine verfassungsmäßig garantierte unabhängige Gerichtsbarkeit (AA 5.6.2023; vgl. USDOS 23.4.2024) mit dreistufigem Instanzenzug (AA 5.6.2023). Die Regierung respektiert im Allgemeinen die Unabhängigkeit der Justiz, doch kommt es im Justizsystem zu Verzögerungen, Kapazitätsproblemen (USDOS 23.4.2024) und Korruptionsvorwürfen auf den unteren Ebenen (USDOS 23.4.2024; vgl. FH 2025a). Richter, insbesondere am Obersten Gerichtshof, sind traditionell autonom, allerdings zeigen die Gerichte Anzeichen einer zunehmenden Politisierung. Die Regierung hat zudem Richterernennungen vorgenommen, die Beobachter als politisch motiviert einstufen (FH 2025a). Die Zentralregierung und die Regierungen der Bundesstaaten halten sich im Allgemeinen an die Urteile des Obersten Gerichtshofs und der bundesstaatlichen Obergerichte, selbst wenn die Gerichte gegen die Positionen der Regierung entscheiden (USDOS 23.4.2024).

Das Justizsystem gliedert sich in den (a) Supreme Court, der als Oberster Gerichtshof der Union mit Sitz in Delhi, als Verfassungsgericht Streitigkeiten zwischen dem Zentralstaat und den Unionsstaaten regelt. Er fungiert auch als Berufungsinstanz für bestimmte Kategorien von Urteilen untergeordneter Gerichte, insbesondere für Urteile, welche eine Interpretation der Verfassung beinhalten oder bei Todesurteilen; den (b) High Court, ein Obergericht in jedem Unionsstaat, das als Kollegialgericht als Berufungsinstanz sowohl in Zivil- wie auch in Strafsachen fungiert. Es übt auch die Dienst- und Personalaufsicht über die untergeordneten Gerichte des Bundesstaates aus, um so die Justiz vor Einflüssen der Exekutive abzuschirmen; sowie (c) Subordinate Civil and Criminal Courts, die als untergeordnete Gerichtsinstanzen in den Distrikten der jeweiligen Unionsstaaten in Zivil- und Strafrecht aufgeteilt sind. In diesen werden die Fälle von Einzelrichtern entschieden. Richter am District and Sessions Court entscheiden in Personalunion sowohl Zivil- als auch Strafsachen (als District Judge in Zivilsachen, als Sessions Judge in Strafsachen). Unterhalb des District Judge gibt es noch den Subordinate Judge, unter diesem den Munsif für Zivilsachen. Unter dem Sessions Judge steht der 1st Class Judicial Magistrate, unter diesem der 2nd Class Judicial Magistrate, jeweils für leichtere Strafsachen. (ÖB New Delhi 7.2023).

Eine systematisch diskriminierende Strafverfolgungs- oder Strafzumessungspraxis ist nicht festzustellen, unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden nicht verhängt. Die Strafzumessung bewegt sich regelmäßig im unteren Bereich des gesetzlichen Strafrahmens. Allerdings sind insbesondere die unteren Instanzen nicht frei von Korruption (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Zudem sind sie oft politisch besetzt bzw. agieren in vorauseilendem Gehorsam gegenüber lokalen Amtsträgern, wie beispielsweise Abgeordneten (ÖB New Delhi 7.2023). Die Kapazität der Gerichte behinderte das Recht auf ein rechtzeitiges Verfahren. Das Justizsystem weißt eine beträchtliche Anzahl unbesetzter Richterstellen auf, ist nach wie vor stark überlastet und verfügte über keine modernen Fallbearbeitungssysteme, was häufig zu Verzögerungen oder Verweigerung von Gerichtsverfahren führt (USDOS 23.4.2024). Die Überlastung und Unterbesetzung führt wiederum zu einer langen Untersuchungshaft für Verdächtige, von denen viele länger in Haft bleiben als die Dauer der Strafe, die sie im Falle einer Verurteilung erhalten könnten (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024). Die Regeldauer (von der Anklage bis zum Urteil) beträgt mehrere Jahre; in einigen Fällen dauern Verfahren bis zu zehn Jahre (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Ca. 77 % aller Gefangenen sind Untersuchungshäftlinge. Fast 71 % der Untersuchungshäftlinge sind zwischen drei Monaten und mehr als fünf Jahren in Haft (AA 5.6.2023). Von der Untersuchungshaft sind unverhältnismäßig viele arme und marginalisierte Gruppen betroffen, die oft am wenigsten in der Lage sind, eine Kaution zu hinterlegen. Im April 2023 erklärte die Zentralregierung, sie werde Personen finanziell unterstützen, die sich keinen Rechtsbeistand, keine Strafe und keine Kaution leisten können (USDOS 23.4.2024). Auch der Zeugenschutz ist mangelhaft (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023), was dazu führt, dass Zeugen aufgrund von Bestechung und/oder Bedrohung vor Gericht häufig nicht frei aussagen. Auch Zeugen können für ihre Vernehmung gemäß Strafprozessordnung über mehrere Tage inhaftiert werden, sofern Fluchtgefahr besteht. Fälle von Sippenhaft sollen nicht vorkommen (AA 5.6.2023).

Rechtsschutz

Zahlreiche Sicherheitsgesetze erlauben die Inhaftierung ohne Anklageerhebung oder auf der Grundlage vage definierter Straftaten (FH 2025a). Präventivhaft ist bei Fällen von Gefährdung der öffentlichen Ordnung gesetzlich vorgesehen (ÖB New Delhi 7.2023). Das Gesetz zur Verhinderung rechtswidriger Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act, UAPA) gibt den Behörden die Möglichkeit, Personen in Fällen von Aufständen und Terrorismus bis zu 180 Tage lang ohne Anklage in Haft zu nehmen. Das UAPA enthält strenge Kautionsbestimmungen, insbesondere für Personen, die des Terrorismus verdächtigt werden (USDOS 23.4.2024). Das Nationale Sicherheitsgesetz (National Security Act, NSA) von 1980 erlaubt Vorbeugehaft ohne Anklage oder Gerichtsverfahren bis zu einem Jahr, wenn eine Person als Sicherheitsrisiko eingestuft wird (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. USDOS 23.4.2024), ohne dass das Gesetz die Sicherheitsgründe näher definiert (ÖB New Delhi 7.2023). Das NSA erlaubt es Familienangehörigen und Anwälten, aus Gründen der nationalen Sicherheit inhaftierte Personen zu besuchen (USDOS 23.4.2024). Verhaftete Personen müssen innerhalb von 15 Tagen über die Haftgründe informiert werden. Spätestens nach sieben Wochen muss ein Beratungsausschuss über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung befinden (ÖB New Delhi 7.2023).

Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung, mit Ausnahme derer, gegen die ein UAPA-Strafverfahren läuft. Angeklagte können ihren Rechtsbeistand frei wählen. Die Verfassung sieht vor, dass der Staat Angeklagten, die sich keinen Anwalt leisten können, einen kostenlosen Rechtsbeistand zur Verfügung stellt, aber Kapazitätsengpässe führen manchmal dazu, dass der Zugang zu einem kompetenten Rechtsbeistand eingeschränkt ist. Angeklagte haben das Recht, ihre Ankläger zu konfrontieren und ihre eigenen Zeugen und Beweise zu präsentieren, aber Angeklagte nehmen dieses Recht manchmal nicht wahr, weil sie keine angemessene rechtliche Vertretung haben (USDOS 23.4.2024). Generell ist festzuhalten, dass das indische Rechtssystem in vielen Bereichen rechtsstaatlich bedenkliche Verfahrensvorschriften zur Beweislastumkehr kennt (ÖB New Delhi 7.2023). Das Recht auf ein faires und öffentliches Verfahren ist gesetzlich verankert, außer in Verfahren, in denen es um Staatsgeheimnisse oder die Sicherheit des Staates geht (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 5.6.2023). Das Gesetz verbietet willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen und sieht vor, dass jede Person das Recht hat, die Rechtmäßigkeit ihrer Festnahme oder Inhaftierung vor Gericht anzufechten. Die Regierung hält sich im Allgemeinen an diese Bestimmungen, aber es gibt zahlreiche Berichte über willkürliche Verhaftungen und mehrere Fälle, in denen die Polizei Sondergesetze anwendet, um die gerichtliche Überprüfung von Verhaftungen aufzuschieben (USDOS 23.4.2024). Laut Freedom House werden die Rechte auf ein ordnungsgemäßes Verfahren nicht konsequent eingehalten. Die Bürger stoßen bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit auf erhebliche Hindernisse. Dazu gehören Bestechungsgelder und die Schwierigkeit, die Polizei dazu zu bewegen, einen ersten Bericht aufzunehmen, der erforderlich ist, um eine Untersuchung eines mutmaßlichen Verbrechens einzuleiten (FH 2025a).

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass unerlaubte Ermittlungsmethoden angewendet werden, insbesondere um ein Geständnis zu erlangen. Das gilt insbesondere bei Fällen mit terroristischem oder politischem Hintergrund oder solchen mit besonderem öffentlichem Interesse (AA 5.6.2023). Das Heranziehen von erzwungenen Geständnissen (z. B.: durch Gewalt oder Folter) in die Beweislage ist rechtswidrig, kommt aber dennoch vor (ÖB New Delhi 7.2023). In Fällen des Terrorismusverdachts erlaubt das UAPA auch die Verwendung von Beweisen, die aus abgehörter Kommunikation gewonnen wurden (USDOS 23.4.2024).

Informelle und alternative Systeme der Rechtsprechung

In einigen ländlichen Gemeinden gibt es Dorfgerichte (Nyaya Panchayat genannt), die manche Inder dem formellen Rechtssystem vorziehen. Die Entscheidungen fallen schneller, sind gemeinschaftsbezogen und oft weniger anfällig für Korruption (DFAT 29.9.2023). Ein Panchayat ("Zusammenkunft von fünf Personen") ist eine Versammlung, ein Rat oder ein Gericht von fünf oder mehr Mitgliedern einer Kaste oder eines Dorfes, die zusammenkommen, um Konflikte zu lösen oder Gruppenrichtlinien festzulegen. Obwohl es in mehreren Bundesstaaten Gesetze gibt, in denen Nyaya Panchayats erwähnt werden, scheint es in der Praxis nur in Himachal Pradesh kontinuierliche und funktionierende Nyaya Panchayats zu geben. Das Panchayat wurde von der lokalen Bevölkerung selbst gegründet, um den Bewohnern ländlicher Gebiete eine dezentralisierte, zugängliche und bis zu einem gewissen Grad individualisierte Möglichkeit der Streitbeilegung zu bieten. Obwohl die Nyaya Panchayats seit den 1970er Jahren zunehmend an Bedeutung verloren haben (GAP-G 1.2024), versucht der indische Staat mit dem Gram Nyayalayas Act von 2008, Streitparteien auf dem Land den Zugang zu dörflichen Rechtsinstitutionen zu ermöglichen (GAP-G 1.2024; vgl. DoJ-IND 2021). Allerdings unterscheiden sich die neuen Gram Nyayalayas, die mehr mit dem formellen Gerichtssystem gemeinsam haben, stark von den Nyaya Panchayats und deren Vorstellung einer indigenen Streitbeilegung, weshalb einige Menschen eine Rückkehr zu den "traditionellen" Praktiken unterstützen (GAP-G 1.2024).

Darüber hinaus gibt es in Teilen des Landes, vor allem in ländlichen Gebieten, informelle Gemeinderäte, die Verordnungen zu sozialen Bräuchen erlassen. Ihre Beschlüsse führen manchmal zu Gewalt oder Verfolgung von Personen, die gegen die sozialen Normen verstoßen, insbesondere Frauen und Angehörige der unteren Kasten (FH 2025a). In Indien gibt es zudem die Möglichkeit der Alternative Dispute Resolution (ADR / Alternative Streitbeilegung). ADR bietet die Möglichkeit, alle Arten von Angelegenheiten zu lösen, einschließlich zivilrechtlicher, kommerzieller, industrieller und familiärer Angelegenheiten usw., bei denen die Menschen nicht in der Lage sind, eine Verhandlung zu beginnen und eine Einigung zu erzielen. Im Allgemeinen wird bei ADR eine neutrale dritte Partei eingesetzt, die den Parteien hilft, miteinander zu kommunizieren, die Differenzen zu erörtern und den Streit zu lösen. Das Verfahren verläuft ohne Einschaltung gerichtlicher Institutionen (LSI o.D.).

Schnellgerichte bei Vergewaltigungen und Sexualstraftaten gegen Kinder

Das Programm zur Einrichtung von Schnellgerichten (Fast Track Special Courts, FTSCs) zur schnellen Verhandlung von Vergewaltigungsfällen und Fällen, die unter das Gesetz zum Schutz von Kindern vor Sexualstraftaten (POCSO) fallen, wurde bis 31.3.2026 verlängert. Da es sich um eine befristete Maßnahme handelt, ist die Schaffung einer dauerhaften Infrastruktur nicht vorgesehen. Nach Ablauf der Programmlaufzeit werden die verbleibenden Fälle, sofern vorhanden, von den ordentlichen Gerichten oder anderen Sondergerichten nach Entscheidung der Regierungen und Obergerichte der Bundesstaaten/Unionsterritorien behandelt. Zum 30.11.2023 waren insgesamt 201.805 Fälle von Vergewaltigung und dem POCSO-Gesetz vor 758 Schnellgerichten, davon 411 ausschließlich POCSO-Gerichten, anhängig (DoJ-IND 2023).

Neue Strafgesetze

Am 1.7.2024 traten drei neue Strafgesetze in Kraft: das Bharatiya Nyaya Sanhita (BNS) [Anm.: Indian Judicial Code / Indisches Gerichtsgesetzbuch], das Bharatiya Nagrik Suraksha Sanhita (BNSS) [Anm.: Indian Civil Defence Code / Indisches Zivilschutzgesetzbuch], das Bharatiya Sakshya Adhiniyam (BSA) [Anm.: Indian Evidence Act / Indisches Beweisgesetz], welche im Dezember 2023 im Parlament verabschiedet wurden. Diese Gesetze ersetzen das Indische Strafgesetzbuch (Indian Penal Code, IPC) von 1860, die Strafprozessordnung (Criminal Procedure Code, CrPC) von 1973 und das Indische Beweisgesetz (India Evidence Act) von 1872 (BAMF 1.7.2024).

Quellen: […]

5 Sicherheitsbehörden

Das Militär und die Sicherheitsbehörden teilen sich auf drei Ministerien auf: dem Verteidigungsministerium unterstehen die indischen Streitkräfte, bestehend aus Armee, Marine, Luftwaffe und Küstenwache, das Defense Security Corps, das für die Sicherheit der Einrichtungen des Verteidigungsministeriums verantwortlich ist, und die Territorialarmee (TA), eine militärische Reservetruppe, die sich aus freiwilligen Teilzeitkräften zusammensetzt, die die indische Armee unterstützen. Sie ist Teil der regulären Armee und hat die Aufgabe, die reguläre Armee von statischen Aufgaben zu entlasten, die zivilen Behörden bei Naturkatastrophen zu unterstützen und die wesentlichen Dienste in Notfällen aufrechtzuerhalten, sowie bei Bedarf Einheiten für die reguläre Armee bereitzustellen. Dem Innenministerium (Ministry of Home Affairs) unterstehen die Border Security Force (BSF), zuständig für die indisch-pakistanische und indisch-bangladeschische Grenze; die Sashastra Seema Bal (SSB) bewacht die indisch-nepalesische und indisch-bhutanische Grenze; die Central Industrial Security Force; die Indo-Tibetan Border Police; die National Security Guards; die National Disaster Response Force (NDRF); die Central Reserve Police Force (CRPF) umfasst eine Rapid Reaction Force (RAF) zur Bekämpfung von Unruhen und das Commando Battalion for Resolute Action (COBRA) zur Aufstandsbekämpfung. Die Assam Rifles unterstehen der administrativen Kontrolle des Ministeriums für innere Angelegenheiten, während die operative Kontrolle dem Verteidigungsministerium (insbesondere der indischen Armee) untersteht. Als letztes Ministerium verfügt das Eisenbahnministerium mit der Railway Protection Force ebenfalls über eigene Sicherheitskräfte (CIA 16.1.2025).

Das Central Intelligence Bureau (IB) ist Indiens zentraler Geheimdienst. Offiziell ist das IB dem Innenministerium unterstellt, der Direktor des Geheimdienstes ist jedoch Teil eines gemeinsamen Geheimdienstkomitees und berichtet in bestimmten Situationen direkt dem Premierminister. Hauptaufgaben des Geheimdienstes sind die Spionageabwehr und die Terrorismusbekämpfung/-abwehr. Ebenso gehören Aufklärung und Informationsgewinnung in den Grenzregionen zu den Aufgaben (BICC 7.2024). Die Nachrichtendienste Indiens, im Inland (Intelligence Bureau) sowie im Ausland (Research and Analysis Wing), handeln auf gesetzlicher Grundlage (AA 5.6.2023).

Die Indische Polizei (Indian Police Service - IPS) ist keine direkte Strafverfolgungs- oder Vollzugsbehörde. Sie fungiert vielmehr als Ausbildungs- und Rekrutierungsstelle für Führungsoffiziere der Polizei in den Bundesstaaten. Im Hinblick auf die föderalen Strukturen ist die Polizei dezentral in den einzelnen Bundesstaaten organisiert (BICC 7.2024; vgl. OSAC 4.10.2024). Die einzelnen Einheiten haben jedoch angesichts eines nationalen Polizeigesetzes, zahlreichen nationalen Strafrechten und der oben beschrieben zentralen Rekrutierungsstelle für Führungskräfte eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Allgemein ist die Polizei mit der Strafverfolgung, Verbrechensprävention und -bekämpfung sowie Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung betraut und übt gleichzeitig eine teilweise Kontrolle über die verschiedenen Geheimdienste aus. Innerhalb der Polizei gibt es eine Kriminalpolizei (Criminal Investigation Department: CID), in die wiederum eine Sondereinheit (Special Branch) integriert ist. Während erstere mit nationalen und bundesstaatenübergreifenden Verbrechen betraut ist, hat die Sondereinheit Informationsbeschaffung und Überwachung jeglicher subversiven Elemente und Personen zur Aufgabe. In fast allen Bundesstaaten sind spezielle Polizeieinheiten aufgestellt worden, die sich mit Frauen und Kindern beschäftigen. Kontrolliert wird ein Großteil der Strafverfolgungsbehörden vom Innenministerium (BICC 7.2024).

Die rechtsstaatliche Kontrolle der Polizei ist defizitär. Es zeigt sich vor allem ein den Anforderungen an einen modernen Rechtsstaat nicht adäquater Ausbildungs- und Ausrüstungsstand der Polizei (AA 5.6.2023; vgl. DFAT 29.9.2023). Übergriffe (AA 5.6.2023) und Korruption innerhalb der Polizei sind nach wie vor ein Problem (FH 2025a; vgl. AA 5.6.2023). Darüber hinaus wird von Folter, Misshandlung und Vergewaltigung durch Strafverfolgungs- und Sicherheitsbeamte berichtet (FH 2025a). Dies schlägt sich in einem mangelhaften Vertrauen der Bevölkerung nieder und hat damit auch mittelbar Auswirkungen auf andere Menschenrechtsbereiche, z. B. die Bereitschaft zu Strafanzeigen bei Menschenrechtsverstößen. Besonders in sogenannten Unruhegebieten haben die Sicherheitskräfte zur Bekämpfung sezessionistischer und terroristischer Gruppen weitreichende Befugnisse, die oft exzessiv genutzt werden (AA 5.6.2023).

Die Polizeikräfte können bei Bedarf durch Einheiten des Militärs oder paramilitärische Kräfte verstärkt werden. Paramilitärische Kräfte sind Kräfte, die auf Grund sondergesetzlicher Ermächtigungen handeln, welche zum Teil Grundrechte einschränken oder außer Kraft setzen und die dem indischen Innenministerium unterstehen (ÖB New Delhi 7.2023), so auch die in den von linksextremistischen Gruppen (sog. Naxaliten) betroffenen Bundesstaaten Zentralindiens eingesetzten paramilitärischen Einheiten (AA 5.6.2023). Das Militär kommt auch bei Naturkatastrophen zum Einsatz (BICC 7.2024).

Das indische Militär ist der zivilen Verwaltung unterstellt und hat in der Vergangenheit wenig Interesse an einer politischen Rolle gezeigt. Der Oberbefehl obliegt der Präsidentin. Gemessen an der Zahl der Soldaten hat Indien die zweitgrößten Streitkräfte der Welt (BICC 7.2024). Gemäß dem Gesetz über Sondervollmachten der Streitkräfte (Armed Forces Special Powers Act - AFSPA) ist die Zentralregierung dazu ermächtigt, bestimmte Regionen oder Teile davon als Unruhegebiete einzustufen (USDOS 23.4.2024). In diesen Gebieten dürfen Sicherheitskräfte zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung tödliche Gewalt einsetzen und Verdächtige ohne vorherige Benachrichtigung der Betroffenen festnehmen (USDOS 23.4.2024; vgl. DFAT 29.9.2023, BS 19.3.2024), sowie Häuser, Personen und Räumlichkeiten ohne Durchsuchungsbefehl durchsuchen (DFAT 29.9.2023; vgl. BS 19.3.2024). Das Gesetz gewährt den Sicherheitskräften außerdem Immunität vor ziviler Strafverfolgung für Handlungen, die in Regionen unter dem AFSPA begangen werden (USDOS 23.4.2024; vgl. HRW 16.1.2025). In Jammu und Kaschmir (J K) sowie mehreren nordöstlichen Bundesstaaten (HRW 16.1.2025), wie in Teilen von Nagaland, Arunachal Pradesh, Manipur und Assam, ist der AFSPA weiterhin in Kraft (USDOS 23.4.2024).

Polizeibeamte waren in Vergewaltigungsvorwürfe verwickelt, auch bei Opfern in Polizeigewahrsam. Die Regierung ermächtigte die Nationale Menschrechtskommission (National Human Rights Commission, NHRC), Vergewaltigungsfälle zu untersuchen, an denen Polizeibeamte beteiligt waren (USDOS 23.4.2024). Zudem waren Sicherheitskräfte, die regionale Aufstände bekämpfen, in außergerichtliche Tötungen, Vergewaltigungen, Folter, Entführungen und die Zerstörung von Häusern verwickelt (FH 2025a). Übergriffe der Militärs und der paramilitärischen Gruppen bei ihren Einsätzen im Inneren (v. a. in J K sowie in Indiens Nordosten) werden vereinzelt (militär-) gerichtlich geahndet, der Prozess und Prozessausgang bleiben allerdings geheim. Trotz der Trainings für Sicherheitskräfte bleiben willkürliche Verhaftungen, Folter und erzwungene Geständnisse verbreitet. Die Sicherheitsbehörden sind überarbeitet, unterbezahlt und oft politischem Druck ausgesetzt, was in weiterer Folge zu Korruption führt (ÖB New Delhi 7.2023). Die Strafprozessordnung schreibt vor, dass die Regierung die Strafverfolgung von Sicherheitskräften genehmigen muss, allerdings wird diese Genehmigung nur selten erteilt, was zu Straffreiheit führt (FH 2025a).

Es gab Berichte über das erzwungene Verschwinden von Personen durch oder im Namen von Regierungsbehörden. Nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen verschwanden in der Region J K zwischen 1989 und 2006 etwa 8.000 bis 10.000 Personen, die angeblich den Regierungstruppen, paramilitärischen Kräften und Terroristen zugeschrieben werden. Die Daten, die das Verschwinden von Personen in J K seit 2006 dokumentieren, sind begrenzt (USDOS 23.4.2024).

Quellen: […]

6 Folter und unmenschliche Behandlung

Indien hat im Jahr 1997 das UN-Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe unterzeichnet, jedoch bisher nicht ratifiziert (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023, BICC 7.2024). Bislang gibt es kein zentrales Gesetz zur Verhinderung von Gewalt im Gewahrsam (Charan/SCC 23.3.2024) und somit auch keine für die Ratifizierung notwendigen Änderungen der nationalen Gesetzgebung (BICC 7.2024).

In Indien kommt es immer wieder zu Tötungen in Gewahrsam, Polizeigewalt, einschließlich Folter und Vergewaltigung (BS 19.3.2024; vgl. USDOS 23.4.2024, ÖB New Delhi 7.2023). Benachteiligte Gruppen sind in besonderem Maße von der unzureichenden Durchsetzung von Schutzgesetzen und dem langsamen, ineffizienten Justizsystem betroffen. Obwohl das indische Rechtssystem den benachteiligten sozialen Gruppen theoretisch den Zugang zu einer gleichberechtigten Justiz gewährleistet, ist die Realität eine andere (BS 19.3.2024). Die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) registrierte in den ersten neun Monaten des Jahres 2024 121 Todesfälle in Polizeigewahrsam, 1.558 Todesfälle in Justizgewahrsam und 93 mutmaßliche außergerichtliche Tötungen (NHRC India 2024; vgl. HRW 16.1.2025). Bei bekannt gewordenen Fällen von extralegalen Tötungen handelt es sich überwiegend um Todesfälle in Polizei- oder Justizgewahrsam, bei denen die Opfer entweder an den Folgen der Folter gestorben sind oder getötet wurden, um die Folter zu vertuschen bzw. unangenehme Aussagen und Beweise gegen hochrangige Persönlichkeiten zu unterdrücken. Nur in wenigen Fällen kommt es zu Konsequenzen (ÖB New Delhi 7.2023). Denn obwohl die Strafprozessordnung eine staatliche Genehmigung für die Strafverfolgung von Sicherheitskräften vorsieht, wird diese nur selten erteilt, was zu Straflosigkeit führt (FH 2025a).

Das Gesetz verbietet es den Behörden, erzwungene Geständnisse als Beweismittel zuzulassen, aber einige NGO berichten, dass Behörden Folter anwenden, um Geständnisse zu erzwingen (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Die meisten Fälle von Folter werden aus den Krisenregionen (Jammu Kaschmir sowie Gebiete im Nordosten) gemeldet, sie wird jedoch auch in den übrigen Landesteilen, vor allem in städtischen Ballungsgebieten oder in sozial benachteiligten, bevölkerungsreichen Staaten wie Uttar Pradesh und Bihar angewandt (ÖB New Delhi 7.2023). Der indische Staat verfolgt Anwender von Folter grundsätzlich und veranstaltet Kampagnen zur Bewusstseinsbildung bei den Sicherheitskräften (ÖB New Delhi 7.2023). Allerdings bleiben Menschenrechtsverletzungen, begangen von Polizeibeamten, Armee und paramilitärischen Einheiten, häufig ungeahndet (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023) und führen nicht einmal zu Ermittlungsverfahren (ÖB New Delhi 7.2023), weil Opfer ihre Rechte nicht kennen oder eingeschüchtert werden (AA 5.6.2023). Als besonders gefährdet gelten Angehörige unterer Kasten (ÖB New Delhi 7.2023) und andere sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. FH 2025a). Folter wird systematisch als Befragungsmittel durch die Polizei und sogar als Form der Bestrafung vermeintlicher Täter eingesetzt (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. USDOS 23.4.2024), oder auch um Geld zu erpressen (USDOS 23.4.2024). In einigen Fällen wird von willkürlichen und nicht registrierten Verhaftungen berichtet, bei denen den Verhafteten mitunter ausreichend Wasser und Nahrung vorenthalten werden (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. USDOS 23.4.2024). Die angerufenen Gerichte haben in den letzten Jahren teilweise verstärkt Verantwortung gezeigt, zumal NGOs und die Presse kritisch über die ihnen bekannt gewordenen Fälle berichten (ÖB New Delhi 7.2023).

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7 Korruption

Der Kampf gegen Korruption und bürokratische Ineffizienz steht schon lange auf Premierminister Modis Agenda, doch der Korruptionswahrnehmungsindex [Anm.: Corruption Perceptions Index, CPI] von Transparency International (TI) stagniert seit 2016, nachdem er sich in den Jahren davor stetig verbessert hatte (BS 19.3.2024). 2024 lag Indien im CPI auf Platz 96 von 180 bewerteten Staaten (TI 2025), was einer Verschlechterung um drei Plätze gegenüber dem Vorjahr entspricht (TI 2024). Amtsträger, die sich korrupter Machenschaften schuldig machen, schlüpfen oft durch politische, rechtliche oder verfahrenstechnische Schlupflöcher und werden nicht wirksam verfolgt. Korruption ist auf allen Ebenen weit verbreitet und beeinträchtigt die Bürger weiterhin bei vielen ihrer Interaktionen mit Institutionen wie der Polizei, dem öffentlichen Dienst, der öffentlichen Auftragsvergabe (BS 19.3.2024). Aber auch im Justizwesen (CCPR 2.9.2024; vgl. AA 5.6.2023) und auf den Ebenen von Regierungsministerien sowie politischer Beamter kommt es zu Korruption (CCPR 2.9.2024). Das Gesetz sieht strafrechtliche Sanktionen für Korruption durch Beamte vor. USDOS berichtet einerseits von einer allgemein wirksamen Umsetzung der Gesetze durch die Regierung, aber auch über zahlreiche Berichte über Korruption in der Regierung. NGOs berichteten über die Zahlung von Bestechungsgeldern, um Dienste wie Polizeischutz, Schuleinschreibung, Zugang zu Wasserversorgung oder staatliche Unterstützung zu beschleunigen (USDOS 23.4.2024).

Das Gesetz zur Korruptionsprävention von 1988 (Prevention of Corruption Act, PCA) ist heute das wichtigste Gesetz zur Korruptionsbekämpfung in Indien (CaP-GPG 22.11.2024). Allerdings wird über Hindernisse für die Einleitung von Ermittlungen oder Strafverfolgung berichtet, die durch Änderungen des Gesetzes zur Korruptionsprävention im Jahr 2018 geschaffen wurden (CCPR 2.9.2024; vgl. SAHRDC 14.7.2024).

Groß angelegte politische Korruptionsskandale haben wiederholt Bestechung und andere Vergehen aufgedeckt, aber es wird angenommen, dass ein großer Teil der Korruption nicht gemeldet und nicht geahndet wird, und die Behörden wurden beschuldigt, selektiv und parteiisch vorzugehen. 2013 wurden mit dem Lokpal- und Lokayuktas-Gesetz unabhängige nationale [Anm.: Lokpal] und bundesstaatliche [Anm.: Lokayukta] Stellen geschaffen, die Beschwerden über Korruption gegen Beamte oder Politiker entgegennehmen, den Vorwürfen nachgehen und Verurteilungen gerichtlich durchsetzen sollen. Allerdings sind sowohl die bundesstaatlichen Lokayuktas (FH 2025a) als auch der nationale Lokpal unterbesetzt. Die Antikorruptionsbehörde Lokpal wurde erst 2019 eingerichtet, sechs Jahre nach Verabschiedung der entsprechenden Gesetze. Kritikern zufolge erwies sich die Organisation jedoch als machtlos. Die Zahl der dem Gremium vorgelegten Fälle ist gering, was auf ein geringes Vertrauen in die Institution schließen lässt, und es wurden keine prominenten Fälle aufgegriffen. Indien verfügt außerdem über eine zentrale Überwachungskommission (Central Vigilance Commission), die zur Bekämpfung von Korruption in der Regierung eingerichtet wurde, sowie ein zentrales Ermittlungsbüro (Central Bureau of Investigation), das sich allgemeiner mit Korruption befasst. Letzteres hat seine Aktivitäten in den letzten Jahren jedoch ausgeweitet und wurde dabei stark kritisiert, da es als Instrument zur Verfolgung von Regierungskritikern eingesetzt wird (BS 19.3.2024).

Das Informationsfreiheitsgesetz 2005 (Right of Information Act 2005, RTI) soll die Transparenz und Rechenschaftspflicht der Regierung gewährleisten und gilt für staatliche Behörden entweder ganz oder teilweise (wie etwa im Fall von Sicherheits- und Geheimdiensten) sowie für Einrichtungen im nicht-staatlichen Sektor, die direkt oder indirekt Finanzmittel von der Regierung erhalten. Jährlich stellen vier bis sechs Millionen Bürger Informationsanfragen (SAHRDC 14.7.2024). Allerdings wird das RTI systematisch untergraben (BS 19.3.2024). Es gibt Berichte, dass die meisten Personen, die Informationen anfragen, nicht die gewünschten Informationen erhalten (CCPR 2.9.2024; vgl. FH 2025a). Nach Angaben verschiedener Quellen wurden seit 2018 zwischen 60 (CCPR 2.9.2024) und 65 Aktivisten (SAHRDC 14.7.2024), Whistleblower, Journalisten oder Menschenrechtsverteidiger, die über den Kampf gegen Korruption berichten oder sich für dessen Bekämpfung einsetzen, getötet (CCPR 2.9.2024) und über 380 weitere körperlich angegriffen, bedroht oder schikaniert, weil sie das Informationsfreiheitsgesetz (RTI) nutzten, um Korruption im kleinen und großen Stil aufzudecken (SAHRDC 14.7.2024). Obwohl das Parlament 2014 mit dem Whistleblower Protection Act ein Hinweisgeberschutzgesetz verabschiedet hat, fehlt es jedoch bislang an der Umsetzung durch die Unionsregierung. Auch auf bundesstaatlicher Ebene gibt es bislang keinen gesetzlich geregelten Hinweisgeberschutz, da die Bundesstaaten auf die Umsetzung durch die Union warten (SAHRDC 14.7.2024).

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8 NGOs und Menschenrechtsaktivisten

Eine Vielzahl von NGOs ist in Indien tätig, aber einige, insbesondere diejenigen, die an der Untersuchung von Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind, sind weiterhin Drohungen, rechtlichen Schikanen, übermäßiger Polizeigewalt und gelegentlich tödlicher Gewalt ausgesetzt (FH 2025a). Nationale Finanz- und Ermittlungsbehörden nahmen zivilgesellschaftlich engagierte Personen, Menschenrechtsverteidiger, Aktivisten, Journalisten und Kritiker ins Visier und schränkten den zivilgesellschaftlichen Handlungsspielraum weiter ein (AI 24.4.2024). Immer wieder werden Aktivisten, oftmals unter dem Vorwurf, mit terroristischen Organisationen in Verbindung zu stehen, verhaftet (ÖB New Delhi 7.2023).

Zivilgesellschaftliche Organisationen, Mitglieder der Diaspora und Journalisten, die im Ausland tätig sind und sich für die Menschenrechte einsetzen, berichten von Drohungen, Schikanen, willkürlicher Überwachung und Nötigung, auch im Internet, die sie der Regierung oder Personen, die angeblich mit der Regierung in Verbindung stehen, zuschreiben. Sie berichten, dass auch einige ihrer Familienangehörigen, Freunde oder Bekannten in Indien wegen ihrer Menschenrechtsaktivitäten von den lokalen Behörden schikaniert und unter Druck gesetzt werden. Sie stellen fest, dass diese Aktivitäten eine „abschreckende Wirkung“ auf ihre Menschenrechtsarbeit haben und zu Selbstzensur führen, da sie Repressalien gegen sich und ihre Familien in Indien befürchten. Es gibt auch zahlreiche Berichte über Drohungen und Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger, die Frauen, religiöse Minderheiten und marginalisierte Gemeinschaften vertreten (USDOS 23.4.2024).

Einige inländische und internationale Menschenrechtsgruppen, die sich für die Menschenrechte einsetzen oder Menschenrechtsentwicklungen beobachten, arbeiten ohne staatliche Einschränkungen, um Menschenrechtsbedingungen oder -fälle zu überwachen, zu untersuchen und ihre Ergebnisse zu veröffentlichen (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023), zumindest außerhalb von Jammu und Kaschmir (J K) (ÖB New Delhi 7.2023). Allerdings gelang es auch einigen Menschenrechtsbeobachtern in J K, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, aber Berichten zufolge wurden sie von den Sicherheitskräften, der Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden gelegentlich zurückgehalten oder schikaniert (USDOS 23.4.2024). Zahlreiche Menschenrechtsgruppen sehen sich mit Einschränkungen konfrontiert und stellen fest, dass Regierungsvertreter nur selten mit Menschenrechts-NGOs zusammenarbeiten. Dagegen arbeitet die Nationale Menschrechtskommission [Anm.: National Human Rights Commission; siehe Allgemeine Menschenrechtslage] (NHRC) mit zahlreichen NGOs zusammen, von denen einige auch in mehreren Ausschüssen der NHRC vertreten sind (USDOS 23.4.2024).

Ausländische NGOs

Das Gesetz zur Regulierung ausländischer Zuwendungen (Foreign Contribution (Regulation) Act, FCRA) von 2010 erlaubt es der Bundesregierung, NGOs unter bestimmten Umständen den Zugang zu ausländischen Geldern zu verweigern, und die Behörden wurden beschuldigt, diese Befugnisse selektiv gegen vermeintliche politische Gegner einzusetzen (FH 2025a). Kritische ausländische NGOs werden in der Praxis an der Arbeit im Land gehindert (BS 19.3.2024) bzw. unterliegen nicht unwesentlichen Restriktionen, wie Verweigerung eines Einreisevisums. Mitunter sehen sich Mitarbeiter von Menschenrechtsorganisationen auch Drohungen und tätlichen Übergriffen oder polizeilicher Willkür ausgesetzt. Von Polizeiaktionen sind nicht nur indische Menschenrechtsaktivisten betroffen, sondern auch ausländische NGOs (ÖB New Delhi 7.2023). Vertreter einiger internationaler Menschenrechts-NGOs haben mitunter Schwierigkeiten, Visa zu erhalten, und berichten, dass ihre öffentliche Verbreitung von Materialien gelegentlich durch behördliche Schikanen und Einschränkungen behindert wird. Die Regierung kooperiert im Allgemeinen bei Besuchen von UN-Vertretern oder von den Vereinten Nationen anerkannten regionalen Organisationen, aber die Vereinten Nationen haben nur begrenzten oder gar keinen Zugang zu J K sowie den nordöstlichen Bundesstaaten, einschließlich Manipur (USDOS 23.4.2024).

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9 Wehrdienst und Rekrutierungen

Indien unterhält eine Berufsarmee (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Es besteht keine Wehrpflicht (BICC 7.2024; vgl. CIA 16.1.2025). Das Mindesteintrittsalter für den Eintritt in die Armee ist das 16. Lebensjahr (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. CIA 16.1.2025, AA 5.6.2023). Nach Section 38 des „Army Act“ von 1950 und den entsprechenden Regelungen im „Navy Act“ und „Air Force Act“ können Deserteure je nach Schwere des Falles mit einer geringeren Strafe bis hin zur (theoretischen) Todesstrafe belegt werden. (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023). Eine höchstrichterliche Rechtsprechung aus dem Jahr 2020 stellt die Chancengleichheit von Frauen in den indischen Streitkräften sicher (AA 5.6.2023). Im Jahr 2023 stellten Frauen weniger als 1 % des Heeres, ca. 1 % der Luftwaffe und ca. 6 % der Marine (CIA 16.1.2025). Über Zwangsrekrutierungen durch die Armee ist nichts bekannt (AA 5.6.2023).

Quellen: […]

10 Allgemeine Menschenrechtslage, nationale Menschenrechtskommissionen

Indien hat 1948 die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte unterzeichnet (AA 5.6.2023). Alle wichtigen Menschenrechte sind verfassungsrechtlich garantiert (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023). Die Verfassung garantiert den Bürgern das Recht, ihre eigene Sprache, Schrift und Kultur zu bewahren (DFAT 29.9.2023). Darüber hinaus garantiert sie bürgerliche Freiheiten (FH 2025a; vgl. AA 5.6.2023), einschließlich der Meinungs- und Religionsfreiheit, aber die Schikanen gegen Journalisten, Nichtregierungsorganisationen (NGO) und andere Regierungskritiker haben unter Modi erheblich zugenommen (FH 2025a). Zudem gibt die Verfassung den Bürgern die Möglichkeit, ihre Regierung in freien und fairen, regelmäßig stattfindenden und geheimen Wahlen zu wählen, die auf dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht für alle Bürger ab 18 Jahren basieren (USDOS 23.4.2024). Die Umsetzung dieser Garantien ist allerdings häufig nicht in vollem Umfang gewährleistet. Indien bleibt ein Land extremer Kontraste (AA 5.6.2023). Die Menschenrechtslage hat sich insgesamt verschlechtert und die Gefahr konfessionell motivierter Gewalt gegen Minderheiten und die Schikanierung bekannter Menschenrechtsverteidiger nimmt zu (ICNL 13.2.2025). Die Menschenrechtssituation spiegelt die komplexe Lebenswirklichkeit eines multiethnischen und multireligiösen Landes wider, die sich aus jahrtausendealten kulturellen Traditionen speist, die in Teilen die Durchsetzung universeller Menschenrechte behindern. Der Alltag vieler Bevölkerungsgruppen ist von systematischer gesellschaftlicher Benachteiligung geprägt. Ursache hierfür sind häufig tief verwurzelte soziale Praktiken wie das Kastenwesen und der niedrige Bildungsstand von Teilen der Bevölkerung und weniger systematische Menschenrechtsverletzungen durch den Staat (AA 5.6.2023).

In Jammu und Kaschmir (J K) begehen sowohl indische Sicherheitskräfte (FH 2025b) als auch Aufständische Menschenrechtsverletzungen; ebenso in den nordöstlichen Bundesstaaten und in den vom maoistischen Terrorismus betroffenen Gebieten, auch hier kommt es zu Tötungen und Folter von Angehörigen der Streitkräfte, der Polizei, von Regierungsbeamten und Zivilisten, Entführungen sowie die Rekrutierung und den Einsatz von Kindersoldaten. Einige Menschenrechtsbeobachter in J K sind in der Lage, Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren, aber Berichten zufolge werden sie von den Sicherheitskräften, der Polizei und anderen Strafverfolgungsbehörden gelegentlich bei ihrer Arbeit gestört oder schikaniert (USDOS 23.4.2024). [für mehr Informationen wird auf das Kapitel J K verwiesen]

Die Gesetze gestatten der Regierung das Abhören von Gesprächen zum Schutz der Souveränität und Integrität des Landes, der Sicherheit des Staates, der freundschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Staaten, der öffentlichen Ordnung oder zur Verhinderung der Anstiftung zur Begehung einer Straftat. Es gab Berichte, wonach Regierungsbehörden willkürlich oder unrechtmäßig oder ohne entsprechende rechtliche Befugnisse auf private Kommunikation zugriffen, diese sammelten oder nutzten und Praktiken entwickelten, die einen willkürlichen oder unrechtmäßigen Eingriff in die Privatsphäre ermöglichen, einschließlich des Einsatzes von Technologien zur willkürlichen oder unrechtmäßigen Überwachung oder Beeinträchtigung der Privatsphäre von Personen (USDOS 20.3.2023). Ein landesweites zentrales Überwachungssystem soll es den Behörden ermöglichen, die digitale Kommunikation ohne richterliche Aufsicht in Echtzeit abzuhören (FH 2025a).

Die indische Regierung erfüllt die Mindeststandards für die Beseitigung des Menschenhandels nicht vollständig, unternimmt jedoch erhebliche Anstrengungen, um dies zu erreichen. Die Hauptverantwortung für die Bemühungen zur Bekämpfung des Menschenhandels liegt bei den indischen Bundesstaaten und Unionsterritorien, die von der Zentralregierung politisch beaufsichtigt werden (USDOS 15.6.2023). Die Regierung unternimmt kaum glaubwürdige Schritte oder Maßnahmen, um Beamte zu ermitteln und zu bestrafen, die Menschenrechtsverletzungen begangen haben (USDOS 23.4.2024).

Nationale Menschenrechtskommissionen

Seit 1993 gibt es eine Nationale Menschenrechtskommission [Anm.: National Human Rights Commission (NHRC)] als unabhängiges Organ, die auf Antrag oder von Amts wegen Menschenrechtsverletzungen untersuchen und Empfehlungen an die Regierung richten oder beim Obersten Gerichtshof die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen beantragen kann (ÖB New Delhi 7.2023). Die NHRC hat ein breit gefächertes Mandat, das ein breites Spektrum von Menschenrechtsfragen abdeckt, darunter auch die Themen Geschlecht, Gender und Behinderung, und ist in den Bereichen Forschung, Bildung und Ausbildung sowie Sensibilisierung tätig. Neben dem NHRC gibt es eine Reihe weiterer nationaler Menschenrechtsinstitutionen, darunter die Nationale Kommission für Frauen, die Nationale Kommission für den Schutz der Rechte des Kindes, die Nationale Kommission für Minderheiten, die Nationale Kommission für zurückgebliebene Klassen, die Nationale Kommission für festgelegte Kasten und die Nationale Kommission für festgelegte Stämme (DFAT 29.9.2023).

Die NHRC ist dem Parlament gegenüber direkt rechenschaftspflichtig, arbeitet aber in enger Abstimmung mit dem Innenministerium und dem Ministerium für Recht und Justiz zusammen. Das Gesetz ermächtigt die NHRC, Vorladungen zu erlassen und Zeugenaussagen zu erzwingen, Unterlagen vorzulegen und öffentliche Dokumente anzufordern. Die NHRC empfiehlt auch angemessene Abhilfemaßnahmen für Missstände in Form von Entschädigungen für die Opfer von Tötungen durch die Regierung oder deren Familien (USDOS 23.4.2024).

Allerdings hat die NHRC weder die Befugnis, die Umsetzung ihrer Empfehlungen durchzusetzen, noch die Kompetenz, sich mit Vorwürfen von Menschenrechtsverletzungen gegen Militär- und Paramilitärpersonal auseinanderzusetzen (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Ohne die Weisungsbefugnis zur Einleitung von Strafverfahren und mangelnder Ermittlungsbefugnissen ist die Menschenrechtskommission auf die Zusammenarbeit mit Ermittlungsbehörden und Polizei angewiesen. Die NHRC arbeitet mit verschiedenen Akteuren zusammen, um Menschenrechtsverletzungen zu ahnden und zu verhindern und kooperiert mit NGOs (ÖB New Delhi 7.2023), von denen einige wiederum in NHRC-Ausschüssen vertreten sind (USDOS 23.4.2024). Im Mai 2024 verweigerte die mit den Vereinten Nationen verbundene Globale Allianz nationaler Menschenrechtsinstitutionen der indischen Nationalen Menschenrechtskommission für das zweite Jahr in Folge die Akkreditierung (HRW 16.1.2025), wodurch die NHRC nicht mehr berechtigt ist, das Land im UN-Menschenrechtsrat zu vertreten. Als Gründe für das Ausbleiben der Akkreditierung gelten, Bedenken hinsichtlich der Beteiligung der Polizei an den NHRC-Untersuchungen, die politische Einflussnahme bei Ernennungen und unzureichende Maßnahmen zum Schutz marginalisierter Gruppen (USDOS 23.4.2024).

Der Protection of Human Rights Act, 1993, empfiehlt, dass jeder Bundesstaat eine Menschenrechtskommission einrichtet (ÖB New Delhi 7.2023). Seit September 2023 gibt es bereits in 26 Bundesstaaten Menschenrechtskommissionen, die unter der Schirmherrschaft des NHRC unabhängig arbeiten (USDOS 23.4.2024). In manchen Fällen kann es vorkommen, dass Beschwerden, die an die NHRC gerichtet werden, an eine staatliche Kommission weitergeleitet werden (DFAT 29.9.2023). Menschenrechtsgruppen äußerten jedoch Bedenken, dass staatliche Ausschüsse von der Lokalpolitik beeinflusst werden können und dass diese weniger zu fairen Urteilen fähig sind als die NHRC (USDOS 23.4.2024). Kritiker behaupten, die NHRC und andere offizielle Menschenrechtsgremien auf nationaler und bundesstaatlicher Ebene sind politisch voreingenommen und ineffektiv. Die staatlichen Menschenrechtskommissionen sind von unterschiedlicher Qualität (DFAT 29.9.2023).

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11 Meinungs- und Pressefreiheit, Freiheit im Internet

Die Verfassung sieht zwar die Meinungs- (BAMF 9.2024; vgl. FH 16.10.2024) und Redefreiheit vor (FH 16.10.2024), erwähnt aber nicht ausdrücklich die Pressefreiheit; welche allerdings durch das Recht der freien Meinungsäußerung geschützt ist (BAMF 9.2024). In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit 2024 der NGO Reporter ohne Grenzen (RSF) belegt Indien Platz 159 von 180 bewerteten Ländern, was eine Verbesserung um 2 Plätze im Vergleich zum Vorjahr darstellt (RSF 2024; vgl. BAMF 9.2024). Laut USDOS gibt es schwerwiegende Einschränkungen der Meinungs- und Medienfreiheit, darunter Gewalt oder die Androhung von Gewalt gegen Journalisten, ungerechtfertigte Verhaftungen oder strafrechtliche Verfolgung von Journalisten, Zensur und die Anwendung oder Androhung der Anwendung von Verleumdungsgesetzen zur Einschränkung der Meinungsäußerung sowie schwerwiegende Einschränkungen der Freiheit im Internet (USDOS 23.4.2024). Das indische Gesetz kriminalisiert bestimmte Ausdrucksformen, die häufig als Grund für die Verhaftung oder Inhaftierung von Personen dienen, die sich online zu politischen und sozialen Themen äußern (FH 16.10.2024). Beleidigung und Verleumdung sind strafbar. Die Regierung nutzt Gesetze, um öffentliche Debatten einzuschränken und Vergeltungsmaßnahmen gegen Journalisten, Mitglieder marginalisierter Gruppen und politische Gegner zu ergreifen. Im Juli 2023 berichteten die Medien, dass die Polizei in Maharashtra in den zwei Jahren davor mehr als 600 Fälle von Beleidigung und Verleumdung gegen Nutzer sozialer Medien wegen anstößiger religiöser Inhalte eingeleitet hatte. Es gibt Berichte über grenzüberschreitende Repressionen der Regierung gegen Journalisten, Angehörige der Diaspora-Bevölkerung, Aktivisten der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsverteidiger (USDOS 23.4.2024).

Die Verfassung enthält zwar kein ausdrückliches Recht auf Privatsphäre, aber der Oberste Gerichtshof entschied 2017, dass die Privatsphäre ein „Grundrecht“ ist. Es wird berichtet, dass die Behörden willkürlich oder unrechtmäßig auf private Kommunikation zugriffen, diese sammeln oder nutzen, um die Privatsphäre von Personen zu überwachen oder zu stören. Die Gesetze gestatten es der Regierung, Anrufe abzuhören, um die Souveränität und Integrität des Landes, die Sicherheit des Staates und die freundschaftlichen Beziehungen zu ausländischen Staaten zu schützen, die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten und die Anstiftung zur Begehung einer Straftat zu verhindern (USDOS 23.4.2024).

Das Strafgesetzbuch sieht eine Haftstrafe von zwei bis sieben Jahren für aufrührerische, obszöne oder verleumderische Äußerungen vor; für Personen, die „Feindschaft zwischen verschiedenen Gruppen aufgrund von Religion, Volkszugehörigkeit, Geburtsort, Wohnort oder Sprache“ schüren; für Äußerungen, die als „der Aufrechterhaltung der Harmonie abträglich“ angesehen werden oder aus Äußerungen, Gerüchten oder Berichten bestehen, die Angst oder Besorgnis hervorrufen, die öffentliche Ruhe stören oder Feindseligkeit oder Böswilligkeit schüren können. Das Gesetz über Amtsgeheimnisse (Official Secrets Act) kriminalisiert die Weitergabe von Informationen, die der Souveränität und Integrität Indiens schaden könnten. Das Gesetz über die nationale Sicherheit erlaubt es der Polizei, eine Person bis zu einem Jahr ohne Anklage festzuhalten, und wird im Zusammenhang mit Äußerungen im Internet herangezogen (FH 16.10.2024). Die Behörden beriefen sich auf Gesetze gegen Terrorismus oder zum Schutz der nationalen Sicherheit, um Kritiker der Regierung zu verhaften oder zu bestrafen. Medienbeobachtergruppen äußerten sich besorgt über die „exzessive“ Anwendung des Gesetzes zur Verhinderung ungesetzlicher Aktivitäten (Unlawful Activities Prevention Act, UAPA) gegen Journalisten (USDOS 23.4.2024).

Einzelpersonen üben ihr Recht auf freie Meinungsäußerung aus, indem sie regelmäßig öffentlich und privat über Online-Plattformen, Fernsehen, Radio oder Printmedien Kritik an der Regierung üben (USDOS 23.4.2024; vgl. BAMF 9.2024). Unabhängige Medien sind aktiv und bringen im Allgemeinen ein breites Spektrum von Meinungen zum Ausdruck, darunter auch regierungskritische. Einige Medien sehen sich jedoch zunehmenden Einschränkungen ausgesetzt und es gibt zahlreiche Fälle, in denen die Regierung oder regierungsnahe Akteure Druck auf regierungskritische Medien ausüben oder diese schikanieren. Medienunternehmen und einzelne Journalisten, die regierungskritische Ansichten äußern, werden gelegentlich verhaftet, bedroht oder eingeschüchtert. Berichten zufolge durchsucht die Polizei Arbeitsplätze und Wohnungen von Journalisten und beschlagnahmt Telefone, Laptops und andere Ausrüstung. Es gibt auch Berichte über Aufständische und Extremisten, die Morde, Gewalt und Einschüchterungen gegen regierungskritische Journalisten verübten. Das Gesetz verbietet Inhalte, die religiöse Gefühle verletzen oder Feindseligkeiten zwischen Gruppen schüren könnten (USDOS 23.4.2024). Menschen laufen Gefahr, wegen politischer, gesellschaftlicher oder religiöser Äußerungen oder anderer Online-Inhalte, die die Behörden als anstößig oder abwertend erachten, festgenommen und inhaftiert zu werden, insbesondere bei großen politischen Ereignissen (FH 16.10.2024). Die Behörden berufen sich auf diese Bestimmungen, um Print- und Rundfunkmedien, digitale Medienplattformen einschließlich Streaming-Dienste sowie die Veröffentlichung oder Verbreitung von Büchern einzuschränken. Organisationen der Zivilgesellschaft äußerten die Befürchtung, dass regierungsnahe Geschäftsinteressen, die Anteile an Medienorganisationen erwerben, die Unabhängigkeit der Medien gefährden können. Die Presse und andere Medien berichten, dass sie aus Angst vor Repressalien der Regierung Selbstzensur üben. Die Verstümmelung oder Beschädigung der Nationalflagge wird mit bis zu drei Jahren Haft bestraft (USDOS 23.4.2024).

Freiheit im Internet

Die Regierung schränkte den Internetzugang ein, unterbrach ihn in einigen Fällen und zensierte Online-Inhalte (USDOS 23.4.2024; vgl. AI 24.4.2024). Die indischen Behörden verhängen nach wie vor die weltweit meisten Internetsperren (HRW 16.1.2025; vgl. BAMF 9.2024) und verstoßen damit gegen indische Gesetze und internationale Menschenrechtsstandards. Die Abschaltungen treffen sozial und wirtschaftlich marginalisierte Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig stark, da ihnen der Zugang zu kostenlosen oder subventionierten Lebensmittelrationen und Lebensgrundlagen verwehrt wird (HRW 16.1.2025). Aufgrund der Digitalisierung öffentlicher Dienstleistungen ist das Internet unverzichtbar für den Zugang zu staatlichen Sozialprogrammen, wie der Arbeitsgarantie durch den Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act (NREGA), dem öffentlichen Verteilungssystem im Rahmen des Food Security Act und für E-Government im ländlichen Raum. Seit Januar 2023 verlangt die Regierung von allen NREGA-Beschäftigten eine digitale Anwesenheitskontrolle. Zu diesem Zweck werden die Beschäftigten mit einem Geo-Tag versehen und zweimal täglich fotografiert. Dies erfolgt über eine Online-Anwesenheits-App, die die Transparenz erhöhen und die Kontrolle der Bürger über die NREGA-Arbeiten verbessern soll. Auch für die Lohnzahlung im Zuge des NREGA sind die Menschen auf Internetzugang angewiesen. Zudem gibt es Berichte, dass für die Beschaffung von Lebensmittelrationen eine biometrische Authentifizierung notwendig ist (HRW 14.6.2023).

Laut Anweisungen des Obersten Gerichtshofs darf der Internetzugang nur in unvermeidbaren Situationen gesperrt und Sperranordnungen müssen veröffentlicht werden (USDOS 23.4.2024). Die Behörden begründen Internetsperren in der Regel damit, dass es sich um Vorsichtsmaßnahmen zur Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung, zur Eindämmung potenzieller Gewalt oder sozialer Spannungen, zur Eindämmung von Protesten, zur Verhinderung der Verbreitung falscher Informationen oder von Betrug bei Schulprüfungen handelt (FH 16.10.2024). Es wird auch berichtet, dass die Regierung häufig Nutzer digitaler Medien wie Chatrooms und persönliche Kommunikation überwacht (USDOS 23.4.2024). Berichten zufolge betreibt die indische Regierung mehrere verschiedene technische Überwachungssysteme im Interesse der nationalen Sicherheit und der Strafverfolgung. Das Central Monitoring System (CMS) ermöglicht es den Regierungsbehörden, sämtliche Online-Aktivitäten, einschließlich Telefongespräche, Textnachrichten und VoIP-Kommunikation (Voice over Internet Protocol), abzufangen (FH 16.10.2024). Das Gesetz erlaubt es der Regierung, Internetseiten und -inhalte zu sperren, und stellt das Versenden von Nachrichten, die die Regierung als aufrührerisch oder beleidigend erachtet, unter Strafe. Sowohl die Zentralregierung als auch die Regierungen der Provinzen sind befugt, Anordnungen zum Blockieren, Abfangen, Überwachen oder Entschlüsseln von Computerinformationen zu erlassen. Gerichtsurteile und Gesetze legen die Bedingungen und Verfahren für die Sperrung des Internetzugangs fest. Zivilgesellschaftliche Organisationen behaupten, dass die Behörden diese Anforderungen nicht konsequent erfüllen (USDOS 23.4.2024).

Quellen: […]

12 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Opposition

Das Gesetz sieht die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit vor. Während die Regierung das Recht auf Versammlungsfreiheit oft respektiert (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. USDOS 23.4.2024), kommt es dennoch zu gelegentlichen Einschränkungen der Vereinigungsfreiheit, insbesondere für Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen, Minderheitengruppen, Menschenrechtsverteidiger und regierungskritische Personen (USDOS 23.4.2024) sowie in Konfliktregionen (AA 5.6.2023). Die politische Partizipation ist grundsätzlich frei, wird aber in einigen Regionen durch die Gewalt der Aufständischen behindert. Unabhängig davon versuchen einige politische Akteure, lokale Spannungen zu schüren, um ihre eigenen Anhänger zu mobilisieren, und gleichzeitig ihre Gegner einzuschüchtern (FH 2025a).

Das Versammlungsrecht ist gesetzlich eingeschränkt. Eine Bestimmung der Strafprozessordnung erlaubt es den Behörden, öffentliche Versammlungen einzuschränken und Ausgangssperren zu verhängen, wenn dies zur „unmittelbaren Verhinderung oder schnellen Unterbindung“ erforderlich ist (FH 2025a). Die Behörden verlangten häufig eine Genehmigung und Anmeldung für Paraden oder Demonstrationen, und die lokalen Regierungen respektierten im Allgemeinen das Recht, sich friedlich zu versammeln und seine Meinung zu äußern (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Obwohl es regelmäßig zu friedlichen Demonstrationen kommt, sind die Regierungen des Landes und einiger Bundesstaaten dafür bekannt, Versammlungsverbote zu verhängen, das Internet zu stören, Gewalt anzuwenden, um Proteste zu unterdrücken oder den Zugang zu Rechtsbeistand zu verwehren (FH 2025a). NGOs berichteten, dass diejenigen, die gegen die Regierungspolitik oder Gesetze protestieren, mit Einschränkungen, Repressalien oder Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden konfrontiert sind (USDOS 23.4.2024). Im Februar 2024 beriefen sich die Behörden in mehreren Regionen auf Artikel 144 des Strafgesetzbuchs, der unter bestimmten Umständen Versammlungen von mehr als vier Personen verbietet (FH 2025a).

Die indischen Behörden nutzten Gesetze gegen ausländische Finanzierung wie das Gesetz zur Regulierung ausländischer Beiträge (Foreign Contribution Regulation Act - FCRA) (HRW 16.1.2025; vgl. FH 2025a, USDOS 23.4.2024), Antiterrorgesetze, fingierte Finanzermittlungen und andere Mittel, um gegen zivilgesellschaftliche Gruppen und Aktivisten vorzugehen (HRW 16.1.2025). Den Behörden wird vorgeworfen, diese Macht gezielt gegen vermeintliche politische Gegner einzusetzen (FH 2025a). Im Januar 2024 entzogen die Behörden dem Forschungsinstitut Centre for Policy Research und der christlichen Wohltätigkeitsorganisation World Vision India, die humanitäre Hilfe für Kinder in einkommensschwachen Gemeinden leistet, die FCRA-Lizenzen. Die neuen Strafgesetze, die im Juli 2024 in Kraft traten, erweitern die Befugnisse der Polizei und geben Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Rechte auf freie Meinungsäußerung, Vereinigungsfreiheit, friedliche Versammlung und faires Gerichtsverfahren (HRW 16.1.2025) [siehe NGOs und Menschenrechtsaktivisten].

Gewerkschaften

Obwohl Arbeitnehmer in der formellen Wirtschaft regelmäßig ihr Recht auf Tarifverhandlungen und Streiks wahrnehmen, ermöglichten Gesetze wie das Gesetz zur Aufrechterhaltung der Grundversorgung (Essential Services Maintenance Act) der Regierung, bestimmte Streiks zu verbieten (FH 2025a). Das Gesetz sieht das Recht auf die Gründung von und den Beitritt zu Gewerkschaften sowie das Recht auf Tarifverhandlungen vor (USDOS 23.4.2024). Allerdings haben öffentliche Angestellte eingeschränktere Organisationsrechte (FH 2025a) und private Arbeitgeber sind gesetzlich nicht verpflichtet, Gewerkschaften anzuerkennen oder Verhandlungen zu führen (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024). Gewerkschaftsführer können im Allgemeinen frei von Drohungen und Gewalt seitens der Regierung und der Arbeitgeber agieren. Die Arbeitgeber weigern sich nur selten, mit den Gewerkschaften zu verhandeln (USDOS 23.4.2024). Gewerkschaften spielen in Indien jedoch eine relativ geringe Rolle, da nur etwa 10 % der arbeitenden Bevölkerung im formellen Sektor beschäftigt sind und nur ca. 8 % der indischen Arbeitnehmer gewerkschaftlich organisiert sind (ÖB New Delhi 7.2023). In J K werden die Gewerkschaftsrechte in der Praxis nicht konsequent gewahrt. Im Februar 2024 verhaftete die Polizei von J K 50 Gewerkschaftsmitglieder, die sich auf eine Protestkundgebung zur Unterstützung der laufenden Bauerndemonstrationen vorbereiteten (FH 2025b).

Opposition

Die Parteienlandschaft ist vielfältig und die politische Opposition kann sich frei betätigen (AA 5.6.2023). Politische Parteien können sich in der Regel ungehindert bilden (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024), und in der Praxis konkurrieren zahlreiche Parteien mit unterschiedlichen Ansichten und Interessen (FH 2025a). Neben den großen nationalen Parteien, wie die hindu-konservative Partei Bharatiya Janata Party (BJP), die seit 2014 an der Macht ist, und die säkulare Kongresspartei Indian National Congress (INC) (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023), einstige Regierungspartei und nun führende Oppositionspartei (ÖB New Delhi 7.2023), gibt es auch überregional wirkende kommunistische Parteien sowie eine Vielzahl von Regionalparteien, die in einzelnen Bundesstaaten allein oder in Koalitionen die Landesregierungen bilden, aber auch auf nationaler Ebene zunehmend nach politischer Bedeutung streben (AA 5.6.2023).

Die Wahlen zu Gemeindeversammlungen, Stadträten und Parlamenten auf bundesstaatlicher wie nationaler Ebene sind frei, gleich und geheim. Sie werden - ungeachtet von Problemen, die aus der Größe des Landes, verbreiteter Armut bzw. hoher Analphabetenrate und örtlich vorkommender Manipulationen resultieren - nach Einschätzung internationaler Beobachter korrekt durchgeführt (AA 5.6.2023). Wahlberechtigt ist jeder indische Staatsbürger ab 18, sofern er nicht aus bestimmten Gründen (Unzurechnungsfähigkeit, Verbrechen, etc.) ausgeschlossen ist. Die Wahlbeteiligung ist generell hoch und zeugt vom ausgeprägten politischen Bewusstsein der indischen Bürger (ÖB New Delhi 7.2023). Es gibt keine Beschränkungen für die Teilnahme von Einzelpersonen jeglicher Gemeinschaft an den Wahlen, doch berichteten Mitglieder der politischen Oppositionsparteien von Hindernissen, darunter Repressalien für Kritik an Regierungsbeamten oder der Politik, Desinformationsangriffe und die Unmöglichkeit, soziale Medien frei für Wahlkampfzwecke zu nutzen (USDOS 23.4.2024). Die regierende BJP hat verschiedene Instrumente eingesetzt, um den Wahlkampf der Oppositionsparteien einzuschränken. Die Regierung hat durch das Central Bureau of Investigation (CBI) und das Enforcement Directorate (ED), das für die Untersuchung von Finanzkriminalität zuständig ist, gezielte Korruptionsermittlungen gegen Oppositionspolitiker durchgeführt, während Vorwürfe gegen politische Verbündete ignoriert werden (FH 2025a).

Gegen militante Gruppierungen, die meist für die Unabhängigkeit bestimmter Regionen eintreten und/oder radikale (z. B. maoistisch-umstürzlerische) Auffassungen anhängen, geht die Regierung mit großer Härte und Konsequenz vor. Sofern solche Gruppen der Gewalt abschwören, sind in der Regel Verhandlungen über ihre Forderungen möglich. Gewaltlose Unabhängigkeitsgruppen können sich politisch frei betätigen (AA 5.6.2023). Es gibt keine Berichte der Regierung über politische Gefangene oder Inhaftierte. Allerdings berichten Organisationen der Zivilgesellschaft, Angehörige von Randgruppen und politische Minderheitenparteien mehrfach über politische Gefangene. Sie machen geltend, dass es sich bei denjenigen, die wegen Terrorismus, Verleumdung oder Aufwiegelung inhaftiert oder angeklagt sind, um politische Gefangene handelt, die häufig wegen ihrer Rede, ihres Eintretens oder ihrer gewaltlosen Kritik an der Regierung festgehalten werden (USDOS 23.4.2024). Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (radikale Sikhs, Kashmiris) werden von der Regierung durch den Geheimdienst beobachtet. Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt (AA 5.6.2023). Menschenrechtsaktivisten berichten, dass die Regierung Spionageprogramme gegen Oppositionspolitiker, Journalisten und andere Personen von Interesse einsetzt (USDOS 23.4.2024).

Die in Indien weitverbreitete Praxis der „Resortpolitik“ [Anm.: "Luxus Hotel Politik"], bei der politische Führer Abgeordnete unter Druck setzen oder isolieren, um gesetzgeberische oder andere politische Entscheidungen zu beeinflussen, hat zu ernsthaften Bedenken hinsichtlich der demokratischen Integrität geführt. In früheren Berichten wurden Fälle geschildert, in denen Dutzende von Abgeordneten in Luxushotels gebracht wurden, wo sie blieben, während an einem anderen Ort wichtige Gesetzgebungs- oder andere Sitzungen stattfanden (FH 2025a; vgl. NYT 23.11.2024).

Quellen: […]

13 Haftbedingungen

Die Haftbedingungen sind häufig lebensbedrohlich (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023) und entsprechen nicht den westlichen Standards (ÖB New Delhi 7.2023), vor allem wegen der extremen Überbelegung, der unzureichenden sanitären Bedingungen und der mangelnden medizinischen Versorgung (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 5.6.2023). Nach Regierungsangaben ist ein großer Teil der Todesfälle in den Gefängnissen auf Krankheiten wie Tuberkulose und HIV/Aids zurückzuführen, deren Verlauf durch die Haftbedingungen und mangelhafte Versorgung verschlimmert bzw. beschleunigt wird (AA 5.6.2023). Darüber hinaus wurden Vorwürfe über die Tötung von Häftlingen durch Polizisten oder Gefängniswärter erhoben, wobei diese Tötungen in einigen Fällen fälschlicherweise als Selbstmorde oder Todesfälle natürlichen Ursprungs eingestuft wurden (USDOS 23.4.2024). Misshandlungen von Inhaftierten (FH 2025a; vgl. USDOS 23.4.2024) durch das Gefängnispersonal, insbesondere von Angehörigen marginalisierter Gruppen, sind weit verbreitet (FH 2025a). Das Gesetz verlangt eine gerichtliche Untersuchung jedes Todesfalls in der Haft. Laut Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch hält sich die Polizei bei Festnahmen, Todesfällen in Gewahrsam oder Folter nicht an die vorgeschriebenen Verfahren. Dies führt dazu, dass die tatsächliche Todesursache bei Untersuchungen zu verdächtigen Todesfällen nicht eindeutig ermittelt werden kann und die Statistiken somit unzuverlässig sind (DFAT 29.9.2023).

Die internationale Datenbank World Prison Brief beziffert die Zahl der Inhaftierten im Dezember 2022 auf 573.220, davon 75,8 % in Untersuchungshaft und 4,1 % Frauen, bei einer offiziellen Kapazität des Gefängnissystems von 436.266 Haftplätzen in 1.330 Haftanstalten (WPB 31.12.2022). Medienberichten zufolge trägt die hohe Zahl der Untersuchungshäftlinge zur Überfüllung der Gefängnisse bei (USDOS 23.4.2024). Auf Geschlechtertrennung wird geachtet (ÖB New Delhi 7.2023). Das Gesetz schreibt die Inhaftierung von Jugendlichen in Rehabilitationseinrichtungen vor, doch manchmal hielten die Behörden Jugendliche in Erwachsenengefängnissen fest, insbesondere in ländlichen Gebieten (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023).

Die Gefängnisse und Haftanstalten gelten als unterfinanziert und personell unterbesetzt, und es fehlt an ausreichender Infrastruktur. Trinkwasser ist nicht flächendeckend verfügbar (USDOS 23.4.2024). Die Bedingungen variieren von Gefängnis zu Gefängnis, obwohl die Einrichtungen in den zentralen Gefängnissen im Allgemeinen besser sind als die der Bezirksgefängnisse (DFAT 29.9.2023). Es gibt drei Klassen der Unterbringung, wobei die Kategorie A gewisse Privilegien (Einzelzelle, Transistorradio, Verpflegung durch Angehörige) bietet. Der Großteil der Gefangenen (Kategorie C) muss sich allerdings mit spärlichen Verhältnissen zufriedengeben. Hier ist es die Regel, dass sich bis zu 50 Inhaftierte eine Großraumzelle teilen müssen, keine Betten zur Verfügung stehen und im Winter Decken fehlen (ÖB New Delhi 7.2023). Die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln ist gewährleistet, für die Hygiene sind die Häftlinge selbst verantwortlich und rudimentäre ärztliche Versorgung ist ebenfalls regelmäßig gewährleistet (AA 5.6.2023). Doch kann jeder Häftling die Haftbedingungen hinsichtlich Unterbringung, Hygiene, Verpflegung und medizinischer Behandlung durch Geldzahlungen verbessern. Auch ist es üblich, dass Häftlinge von Verwandten zusätzlich versorgt werden (AA 5.6.2023).

Berichten zufolge halten sich Polizei und Gefängnispersonal häufig nicht an die Anordnung des Obersten Gerichtshofs zur Durchführung regelmäßiger Kontrollen zur Überwachung der Gewalt in den Gefängnissen. Die Behörden gestatten Häftlingen Beschwerden bei nationalen und [bundes-]staatlichen Menschenrechtskommissionen, deren Befugnisse sich jedoch darauf beschränken, Empfehlungen auszusprechen. Die Nationale Menschenrechtskommission (NHRC) erhält laufend Beschwerden von Gefangenen über Menschenrechtsverletzungen und führt Untersuchungen durch. Laut Vertretern der Zivilgesellschaft reichen nur wenige Häftlinge Beschwerde ein, weil sie Vergeltungsmaßnahmen von Gefängniswärtern oder Beamten befürchten (USDOS 23.4.2024).

Jeder indische Bundesstaat hat seine eigene Gefängnisordnung. Demnach müssen alle Gefängnisse sowohl offizielle als auch inoffizielle Besucher empfangen. Offizielle Besucher sind Bezirksbeamte, Richter, Mitglieder der gesetzgebenden Versammlungen und oft auch staatliche Menschenrechtskommissionen. Inoffizielle Besucher sind angesehene Einwohner. Zusammen bilden sie einen Besucherausschuss (Board of Visitors), der die Gefängnisse inspiziert, sich trifft und Lösungen für Probleme im Zusammenhang mit der Gefängnisverwaltung und dem Wohlergehen der Gefangenen diskutiert (CwHRI o.D.). Die NHRC führte in mehreren Bundesstaaten unangekündigte Besuche zur Überwachung staatlicher Gefängnisse durch. Weder die NHRC noch die Boards of Visitors, beides staatliche Institutionen, die unabhängig arbeiten sollen, waren verpflichtet, Berichte über ihre Ergebnisse zu veröffentlichen. Die Zuständigkeit des NHRC erstreckte sich nicht auf militärische Haftanstalten (USDOS 23.4.2024).

Das Nationale Sicherheitsgesetz erlaubt es Familienangehörigen und Anwälten, Personen zu besuchen, die aus Gründen der nationalen Sicherheit inhaftiert sind. Außerdem verpflichtet es die Behörden, die Inhaftierten innerhalb von fünf Tagen, in Ausnahmefällen bis zu 15 Tagen, über die Haftgründe zu informieren. Menschenrechtsaktivisten berichten von Fällen, in denen diese Bestimmungen nicht eingehalten werden. Es wird berichtet, dass Gefängniswärter manchmal Schmiergelder von Familien verlangen, um die Inhaftierung ihrer Angehörigen zu bestätigen. Eine Ausnahme gibt es in Jammu und Kaschmir, hier ist es den Behörden erlaubt, Personen ohne Anklage oder gerichtliche Überprüfung bis zu zwei Jahre lang festzuhalten, ohne dass Familienangehörige sie besuchen dürfen (USDOS 23.4.2024).

Quellen: […]

14 Todesstrafe

Am 1.7.2024 traten drei neue Strafgesetze in Kraft: das Bharatiya Nyaya Sanhita (BNS) [Anm.: Indian Judicial Code / Indisches Gerichtsgesetzbuch], das Bharatiya Nagrik Suraksha Sanhita (BNSS) [Anm.: Indian Civil Defence Code / Indisches Zivilschutzgesetzbuch], das Bharatiya Sakshya Adhiniyam (BSA) [Anm.: Indian Evidence Act / Indisches Beweisgesetz]. Diese Gesetze ersetzen das Indische Strafgesetzbuch (Indian Penal Code, IPC) von 1860, die Strafprozessordnung (Criminal Procedure Code, CrPC) von 1973 und das Indische Beweisgesetz (India Evidence Act) von 1872 (BAMF 1.7.2024; vgl. P39A 1.2025).

Die neuen Strafgesetzbücher führen neue Straftatbestände ein, die mit der Todesstrafe geahndet werden können, und schaffen einen Verfahrensrahmen für die Einreichung und Bearbeitung von Gnadengesuchen für zum Tode Verurteilte. Durch das BNS erhöhen sich die mit der Todesstrafe bedrohten Straftaten auf 18 (von zuvor 11 im IPC) (P39A 1.2025), darunter z. B. Vergewaltigung und Gruppenvergewaltigung von Minderjährigen, Mord (einschließlich Lynchmord mit Todesfolge), Entführung, terroristische Handlungen mit Todesfolge, organisierte Kriminalität mit Todesfolge, Raubüberfälle, Anstiftung zu Straftaten, die mit dem Tode bestraft werden, und falsche Beweise, die zur Verurteilung/Hinrichtung einer unschuldigen Person führen (P39A 12.2024). Im Jahr 2024 verabschiedete die Staatsversammlung des Bundesstaates Westbengalen ein Gesetz zur Änderung des Strafrechts in Westbengalen (West Bengal Criminal Laws Amendment Bill, 2024), das die Todesstrafe für die Vergewaltigung erwachsener Frauen und eine obligatorische Todesstrafe für Vergewaltigung mit Todesfolge oder einem anhaltenden vegetativen Zustand vorsieht. Das Gesetz wartet derzeit [Anm.: Stand Februar 2025] auf die Genehmigung durch die Präsidentin (P39A 1.2025).

Ende 2024 gab es 564 zum Tode verurteilte Personen in Haft in Indien. Todesurteile werden von Strafgerichten (Sessions Court) verhängt und müssen vom High Court des betreffenden Bundesstaates bestätigt werden. Der High Court kann das Urteil entweder bestätigen, die Strafe umwandeln, das Urteil aufheben oder den Fall an das erstinstanzliche Gericht zurückschicken. Bei einer Bestätigung des Urteils durch den High Court kann beim Supreme Court [Anm.: Obersten Gerichtshof Indiens] Berufung eingelegt werden (P39A 1.2025). Während Gerichte der ersten Instanz regelmäßig die Todesstrafe verhängen, insbesondere bei sexueller Gewalt und Mord, wandeln höhere Gerichte die meisten Urteile in lebenslange Haftstrafen um (DFAT 29.9.2023). Bei der Umwandlung der Urteile stützen sich sowohl der High Court als auch der Supreme Court auf die lebenslange Haftstrafe ohne Möglichkeit einer vorzeitigen Entlassung aus der Haft. Im Gegensatz dazu können bei einer lebenslangen Haftstrafe verurteilte Personen nach Verbüßung einer mindestens vierzehnjährigen Haftstrafe als Anerkennung für ihr Verhalten und ihre Fähigkeit zur Wiedereingliederung in die Gesellschaft aus der Haft entlassen werden. Im zweiten Kalenderjahr in Folge wurde vom Obersten Gerichtshof kein einziges Todesurteil bestätigt. (P39A 1.2025). Der Oberste Gerichtshof hat den Grundsatz aufgestellt, dass die Todesstrafe nur in „den seltensten aller seltenen Fälle“ verhängt werden darf (ÖB New Delhi 7.2023). Für den Fall der Bestätigung eines Todesurteils legt das BNSS einen Verfahrensrahmen für die Anhörung von Gnadengesuchen zum Tode Verurteilter fest, die vom Häftling selbst oder von Familienmitgliedern oder Verwandten beim Gouverneur oder dem Präsidenten eingereicht werden können (P39A 1.2025).

Quellen: […]

15 Religionsfreiheit

[zu religiösen Mischehen siehe Kapitel "Ehen"]

Die Verfassung garantiert Religionsfreiheit (USCIRF 5.2024; vgl. USDOS 30.6.2024, AA 5.6.2023). Artikel 25 gewährt allen Menschen Gewissensfreiheit, einschließlich des Rechts, eine Religion auszuüben, sich zu einer Religion zu bekennen und zu verbreiten (USCIRF 5.2024; vgl. USDOS 30.6.2024). Nach der Volkszählung von 2011, dem letzten Jahr, für das aufgeschlüsselte Zahlen vorliegen, gibt es 79,8 % Hindus, 14,2 % Muslime, 2,3 % Christen und 1,7 % Sikhs. Nach der Volkszählung von 2011 gehören zu den Gruppen, die zusammen weniger als 2 % der Bevölkerung ausmachen, Buddhisten, Jain, Zoroastrier (Parsen), Juden und Bahais (USCIRF 5.2024; vgl. USDOS 30.6.2024, CIA 16.1.2025). Sie entsenden auch jeweils Vertreter in eine staatliche Nationale Minderheiten-Kommission (ÖB New Delhi 7.2023). Die jüdische Gemeinde umfasst schätzungsweise 4.650 Personen (USDOS 23.4.2024). Das Bundesgesetz verleiht sechs religiösen Gruppen einen offiziellen Minderheitenstatus: Muslime, Sikhs, Christen, Parsen, Jain und Buddhisten. Die Regierungen der Bundesstaaten können religiösen Gruppen, die in einer bestimmten Region eine Minderheit darstellen, den Status einer Minderheit gemäß den Gesetzen der Bundesstaaten zuerkennen. Angehörige anerkannter Minderheitengruppen haben Anspruch auf staatliche Unterstützungsprogramme. In der Verfassung heißt es, dass die Regierung für den Schutz der Minderheiten verantwortlich ist und ihnen die Möglichkeit gibt, ihre Kultur zu bewahren (USDOS 30.6.2024).

Die Nationale Minderheitenkommission, der laut Gesetz Vertreter der sechs benannten religiösen Minderheiten angehören sollen, und die Nationale Menschenrechtskommission untersuchen Vorwürfe der religiösen Diskriminierung. Zwei der für religiöse Minderheiten reservierten Sitze in der Kommission sind unbesetzt. Die Kommission untersteht dem Ministerium für Minderheitenangelegenheiten, das für die Formulierung der Gesamtpolitik und die Planung, Koordinierung, Bewertung und Überprüfung von Vorschriften und Programmen zugunsten aller Minderheitengemeinschaften, einschließlich religiöser Minderheiten, zuständig ist. Achtzehn der 28 Bundesstaaten des Landes und das National Capital Territory Delhi haben staatliche Minderheitenkommissionen. Diese Kommissionen haben keine Durchsetzungsbefugnisse, können aber der Regierung Empfehlungen zur Einhaltung von Verträgen und anderen internationalen Instrumenten geben, Untersuchungen auf der Grundlage schriftlicher Beschwerden über straf- oder zivilrechtliche Verstöße (einschließlich religiöser Diskriminierung) durchführen, den Strafverfolgungsbehörden Ergebnisse vorlegen und Empfehlungen für die Entschädigung von Opfern aussprechen (USDOS 30.6.2024).

Das Zusammenleben der Religionen wird als weitgehend friedlich beschrieben (AA 5.6.2023). Trotzdem hat sich die Lage der Religionsfreiheit im Jahr 2023 weiter verschlechtert (USCIRF 5.2024). Spannungen zwischen Hindus und Muslimen führen regelmäßig zu Ausschreitungen (ÖB New Delhi 7.2023) und Fällen von kommunaler Gewalt (USDOS 30.6.2024). Die von der Bharatiya Janata Party (BJP) geführte Regierung verstärkt eine diskriminierende nationalistische Politik, setzt eine diskriminierende Rhetorik fort und versäumt es, gegen kommunale Gewalt vorzugehen, von der Muslime, Christen, Sikhs, Dalits, Juden und Adivasi (indigene Völker) unverhältnismäßig stark betroffen sind. Die fortgesetzte Durchsetzung des Unlawful Activities Prevention Act (UAPA), des Foreign Contribution Regulation Act (FCRA), des Citizenship Amendment Act (CAA) und der Anti-Konversions- und Kuhschlachtgesetze führt zu willkürlichen Verhaftungen, Überwachungen und Angriffen auf religiöse Minderheiten und diejenigen, die sich für sie einsetzen (USCIRF 5.2024; vgl. HRW 16.1.2025).

Die indischen Behörden verüben zunehmend auch grenzüberschreitende (transnationale) Repressionen gegen religiöse Minderheiten im Ausland (USCIRF 5.2024; vgl. FH 20.2.2024), z. B. gegen Mitglieder der Sikh Khalistan Bewegung (FP 20.6.2024; vgl. FH 20.2.2024). Grenzüberschreitende Repression (Transnational Repression) ist, wenn ausländische Regierungen in fremde Staaten hineinwirken, um Mitglieder ihrer Diaspora- und Exilgemeinschaften einzuschüchtern, zum Schweigen zu bringen, zu nötigen, zu schikanieren oder ihnen Schaden zuzufügen (FBI 16.12.2024; vgl. NSICOP 2.8.2024). Angriffe auf das Recht auf Religionsfreiheit betreffen vor allem Frauen und Mädchen und führen dazu, dass sie noch stärker ausgegrenzt werden; z. B. in Folge des Kopftuchverbotes in Schulen und Hochschulen des Bundesstaates Karnataka, wodurch eine wirksame Teilhabe von Frauen und Mädchen an der Gesellschaft und den Zugang zu Bildung eingeschränkt wird (AI 24.4.2024).

In der Verfassung ist festgelegt, dass der Staat sich um ein einheitliches Zivilgesetzbuch bemüht, das für Angehörige aller Religionen im ganzen Land gilt. Anstelle eines einheitlichen Zivilgesetzbuches gelten jedoch für Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften in Fragen der Eheschließung, Scheidung, Adoption und Erbschaft je nach Religion, Glauben und Kultur unterschiedliche Personenstandsgesetze (USDOS 30.6.2024). Langfristig plant die regierende Bharatiya Janata Party (BJP) die Einführung eines einheitlichen Zivilrechts (AA 5.6.2023).

Im Hinduismus gilt die Kuh als heilig (DFAT 29.9.2023). In 25 der 28 Staaten gelten teilweise oder vollständige Beschränkungen für die Schlachtung von Rindern. Die Strafen variieren von Staat zu Staat und können je nachdem, ob es sich um eine Kuh, ein Kalb, einen Stier oder einen Ochsen handelt, unterschiedlich sein. Das Verbot betrifft vor allem Muslime und Angehörige der gelisteten Kasten (Scheduled Castes, SC) und der registrierten Stammesgemeinschaften (Scheduled Tribes, ST), die traditionell Rindfleisch konsumieren. Angriffe auf Angehörige religiöser Minderheiten, darunter Tötungen, Übergriffe und Einschüchterungen, ereigneten sich in verschiedenen Bundesstaaten, darunter auch Fälle von "Kuh-Vigilantismus" aufgrund von Anschuldigungen, dass muslimische Männer an Kuhschlachtungen oder dem Handel mit Rindfleisch beteiligt sind (USDOS 30.6.2024; vgl. HRW 16.1.2025).

Konversion und Anti-Konversions-Gesetze

12 von 28 Staaten haben Gesetze, die den Religionswechsel für alle Glaubensrichtungen einschränken (USCIRF 10.2024). Der UN-Menschenrechtsausschuss (CCPR [Anm.: Human Rights Commitee oder auch Committee on Civil and Political Rights]) des UN-Zivilpakts [Anm.: Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, ICCPR] berichtet über die missbräuchliche Anwendung von Gesetzen in mehreren indischen Bundesstaaten, die angeblich erzwungene religiöse Konversionen verhindern sollen, jedoch in einer Weise angewandt werden, die das Recht auf Religionsfreiheit einschränkt und verletzt. Die Gesetze enthalten Bestimmungen, die Einzelpersonen verpflichten, die Behörden über ihre Konversionsabsichten zu informieren, enthalten vage Formulierungen, die Beamten weitreichende Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf religiöse Konversionen einräumen, sehen härtere Strafen für Konversionen von Minderheitengruppen vor, betrachten interreligiöse Ehen als mutmaßlich illegal oder legen die Beweislast auf den Angeklagten, um zu zeigen, dass eine Konversion nicht erzwungen wurde. (CCPR 2.9.2024).

Die Kriminalisierung religiöser Konversionen ist weiterhin ein großes Problem (BS 19.3.2024). Konversionsgesetze verbieten "erzwungene" Konversionen, wobei (je nach staatlichem Gesetz) Gewalt "Verlockung", Betrug oder Nötigung bedeuten kann. Die Gesetze schreiben vor, dass für die Umwandlung ein bürokratisches Verfahren (Formulare, Gebühren, Genehmigungen) durchgeführt werden muss (DFAT 29.9.2023). Auf Grundlage dieser, in mehreren Bundesstaaten bestehenden Gesetze, kann außerdem nahezu jede Aktivität religiöser Minderheiten als unlauterer Versuch einer Zwangsbekehrung interpretiert werden. Dies kann bereits für ein öffentliches Gebet oder karitative Hilfsangebote gelten (BAMF 16.1.2023). Solche Gesetze erschweren es Menschen, vom Hinduismus zu einer anderen Religion zu konvertieren, und verwenden eine weit gefasste Formulierung, die dazu führt, dass religiöse Minderheiten ins Visier genommen werden (USCIRF 5.2024). Die Gesetzgebung zu religiösen Konversionen wird von religiösen Minderheitengruppen heftig kritisiert, die zunehmend von hindu-nationalistischen Organisationen schikaniert werden (BS 19.3.2024).

Die Strafen und die Durchsetzung der Gesetze sind von Staat zu Staat unterschiedlich, können aber Gefängnisstrafen beinhalten (DFAT 29.9.2023). Viele dieser Gesetze wurden als Reaktion auf den sogenannten "Liebesdschihad" erlassen, eine angebliche Praxis (DFAT 29.9.2023; vgl. FH 2025a) bzw. Verschwörungstheorie (FH 2025a, USCIRF 10.2024), bei der muslimische Männer hinduistische Frauen (oder Mädchen) heiraten, um sie zum Islam zu bekehren (DFAT 29.9.2023; vgl. FH 2025a, USCIRF 10.2024). Der CCPR berichtet darüber hinaus über sogenannte „Ghar Wapsi“-Zeremonien, bei denen religiöse Minderheiten angeblich gezwungen werden, zum Hinduismus zu konvertieren. Berichten zufolge sind in den letzten zehn Jahren Tausende von Christen und Muslimen bei solchen Zeremonien zum Hinduismus übergetreten (CCPR 2.9.2024).

Mehrere Urteile des Supreme Courts [Anm.: Oberster Bundesgerichtshof Indiens] und einiger High Courts [Anm.: bundesstaatliche Höchstgerichte] haben die Präsidialverordnung von 1950 bestätigt, die im Wesentlichen besagt, dass diejenigen, die zu einer anderen Religion konvertieren - insbesondere Islam oder Christentum - und den Hinduismus, Buddhismus oder Sikhismus aufgeben, ihren rechtlichen Status als Mitglied einer SC und damit den Anspruch auf Leistungen und Vorteile, die sich daraus ergeben, verlieren (OpIndia 23.9.2022; vgl. CCPR 2.9.2024).

Quellen: […]

15.1 Christen

Schätzungen der Regierung zufolge liegt die christliche Bevölkerung bei 2,3 % und ist über das ganze Land verteilt, wobei sie im Nordosten sowie in den Bundesstaaten Kerala, Tamil Nadu und Goa stärker vertreten ist. Drei nordöstliche Staaten haben eine mehrheitlich christliche Bevölkerung: Nagaland (90 %), Mizoram (87 %) und Meghalaya (70 %) (USDOS 30.6.2024).

Die Akzeptanz und Achtung des Christentums durch Nicht-Christen ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Oft sind Christen in den Gemeinden, in denen sie Gesundheitsfürsorge und Bildung anbieten, gut angesehen. Die Christen in Indien sind aktiv in der Bereitstellung sozialer Dienste wie Lebensmittel, Bildung und medizinische Versorgung. Einige Hindu-Nationalisten behaupten, dass Christen diese Dienste nutzen, um Konvertiten zu gewinnen (DFAT 29.9.2023).

Es liegen wiederholt Berichte über physische Angriffe auf Priester und christliche Dörfer vor. Dabei werden Einwohner vertrieben und Häuser verbrannt. Zurückzuführen sind derartige Akte auf extreme Hindu-Organisationen (ÖB New Delhi 7.2023), die sich häufig über Social Media vernetzen (OpD 2.2024). In Chhattisgarh werden aufgrund eines dort geltenden Anti-Konversions-Gesetzes zum christlichen Glauben konvertierte Personen regelmäßig zur Rückbekehrung zum Hinduismus gezwungen (BAMF 16.1.2023).

Es gibt zahlreiche Berichte darüber, dass die Polizei Angriffen gegen Christen nicht nachgeht, und einige Berichte darüber, dass Polizeianzeigen von antichristlichen Aktivisten als Waffe eingesetzt werden (DFAT 29.9.2023). Auch kann es zu Polizei-Brutalität und Misshandlung inhaftierter Christen kommen (OpD 2.2024). Abgesehen von diesen Berichten ist dem australischen Department of Foreign Affairs and Trade (DFAT) keine offizielle Diskriminierung von Christen bekannt, die im Allgemeinen freien Zugang zu staatlichen Dienstleistungen haben. Dies könnte zum Teil darauf zurückzuführen sein, dass einige christliche Gemeinschaften insgesamt ein höheres Bildungsniveau haben, in Städten wohnen und wohlhabender sind. Die meisten Christen gehen in ihrem Alltag mit einem geringen Risiko gesellschaftlicher Diskriminierung um, aber das Risiko ist für Dalit-Konvertiten und Christen, die als Angehörige einer niedrigen Kaste gelten, aufgrund ihrer sich überschneidenden Identitäten höher (DFAT 29.9.2023).

Quellen: […]

15.2 Muslime

Schätzungen der Regierung zufolge gibt es in den Bundesstaaten Uttar Pradesh, Bihar, Maharashtra, Westbengalen, Telangana, Karnataka, Kerala und Assam sowie in den Unionsgebieten Lakshadweep und Jammu und Kaschmir eine bedeutende muslimische Bevölkerungsgruppe. Basierend auf den letzten Zensus von 2011 bekannten sich 14,2 % der Bevölkerung zum Islam. (USDOS 30.6.2024). In Lakshadweep und Jammu und Kaschmir machen die Muslime 95 % bzw. 68,3 % der Bevölkerung aus. Etwas mehr als 85 % der Muslime sind Sunniten, der Rest ist überwiegend schiitisch (USDOS 30.6.2024; vgl. DFAT 29.9.2023). Es gibt Muslime mit unterschiedlichem sozioökonomischem Status, Bildungsniveau, Beruf und religiösen und politischen Ansichten. Politische Parteien, einschließlich der regierenden Bharatiya Janata Party (BJP), haben muslimische Mitglieder und werben aktiv um ihre Stimmen (DFAT 29.9.2023).

Kommunale Gewalt ist in Indien nichts Neues und kommt weiterhin vor, wenn auch seltener. Muslime sind unverhältnismäßig stark davon betroffen und werden manchmal auch zu Tätern. Die große Mehrheit der fast 200 Millionen Muslime in Indien ist weder Opfer noch Täter von Gewalt. Das DFAT geht davon aus, dass das Risiko gesellschaftlicher Gewalt für Muslime gering ist. Ärmere Muslime und Angehörige niedrigerer Kasten sind stärker von Gewalt bedroht (DFAT 29.9.2023). Der UN CCPR verweist auf Berichte über Diskriminierung und Gewalt gegen Minderheitengruppen sowie Gewalt und abwertende Rhetorik gegenüber religiösen Minderheiten, einschließlich Muslime und Rohingyas aus Myanmar, die öffentlich als eine Bedrohung der nationalen Sicherheit dargestellt werden (CCPR 2.9.2024). Zwischen Juni und August 2024 kam es zu einer Welle der Gewalt durch hinduistische Bürgerwehren, die muslimische Männer angriffen, weil sie verdächtigt wurden, Rindfleisch zu essen oder Rinder zum Schlachten zu transportieren (HRW 16.1.2025).

Bei lokalen religiösen Ausschreitungen kam es regelmäßig zur Zerstörung von überwiegend muslimischem Privateigentum. Viele der als Bestrafung gedachten Angriffe u. a. auf Häuser, Geschäfte und Gebetsstätten wurden nicht geahndet (AI 24.4.2024; vgl. HRW 16.1.2025). Darüber hinaus wurden in mehreren von der BJP regierten Bundesstaaten auch von offizieller Stelle Häuser, Geschäfte und Gebetsstätten von Muslimen ohne ordnungsgemäßes Verfahren abgerissen und andere rechtswidrige Maßnahmen durchgeführt. BJP-Führer bezeichneten diese Abrisse, die oft als offensichtliche Kollektivbestrafung der muslimischen Gemeinschaft wegen kommunaler Zusammenstöße oder Meinungsverschiedenheiten durchgeführt wurden, als „Bulldozer-Gerechtigkeit“. Im November 2024 entschied der Oberste Gerichtshof, dass solche Abrisse illegal sind, und legte Richtlinien fest, um sicherzustellen, dass vor dem Abriss von Häusern ein angemessenes Verfahren durchgeführt wird (HRW 16.1.2025).

Der CCPR weist darauf hin, dass der Zusatz zum Staatsbürgerschaftsgesetz (Citizenship Amendment Act, CAA) 2019 und die Citizenship Amendment Rules 2024 den Zugang zur Staatsbürgerschaft für Asylsuchende und Flüchtlinge nach religiösen Kriterien regeln und insbesondere Muslime diskriminieren [für weitere Informationen zum CAA siehe Kapitel Staatsbürgerschaft]. Aufgrund der übermäßig komplizierten Verfahren, denen sich Muslime gegenübersehen, und der erforderlichen Nachweise für die Eintragung in das nationale Bevölkerungsregister und das nationale Bürgerregister (CCPR 2.9.2024) ist der Staatsbürgerschaftsstatus von 1,9 (FH 2025a) bis mehr als 2 Millionen Menschen in Assam ungewiss. Muslime, die bereits die Staatsbürgerschaft besitzen, sind laut CCPR der Gefahr ausgesetzt, staatenlos zu werden und auf unbestimmte Zeit in Haftanstalten festgehalten zu werden, bevor sie aus dem Hoheitsgebiet Indiens ausgewiesen werden (CCPR 2.9.2024). Während das Gesetz angeblich verfolgten religiösen Minderheiten helfen soll, schließt es gefährdete Gemeinschaften wie Rohingya-Muslime, Ahmadiyya-Muslime, Hazara-Schiiten oder Baha'is nicht ein (USCIRF 5.2023; vgl. DGS 10.2024).

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15.3 Sikhs

In Indien sind 1,7 % und im Bundesstaat Punjab 54 % der Bevölkerung Sikhs (USDOS 30.6.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Der Sikhismus ist die vorherrschende Religion im Punjab. Auch in den benachbarten Bundesstaaten Haryana, Delhi, Rajasthan, Uttar Pradesh und Uttarakhand gibt es eine große Zahl von Sikhs (DFAT 29.9.2023).

Die Verfassung legt fest, dass jeder gesetzliche Verweis auf Hindus so zu verstehen ist, dass er auch Anhänger des Sikhismus, Jainismus und Buddhismus einschließt. Das bedeutet, dass sie den für Hindus geltenden Gesetzen unterliegen, wie z. B. dem Hindu Marriage Act. Spätere Gesetze verwenden das Wort Hindu weiterhin als Kategorie, die Sikhs, Buddhisten, Bahai und Jains umfasst, identifizieren diese Gruppen jedoch als separate Religionen, deren Anhänger unter das Gesetz fallen (USDOS 30.6.2024). Im Dezember 2019 verabschiedete das Parlament das Citizenship (Amendment) Act (CAA), das einen beschleunigten Weg zur Staatsbürgerschaft für Sikhs vorsieht, wenn sie aus Afghanistan, Pakistan oder Bangladesch nach Indien gekommen sind (AA 5.6.2023; vgl. USDOS 30.6.2024).

Punjabis haben wie alle Staatsbürger im ganzen Unionsgebiet Niederlassungsfreiheit (ÖB New Delhi 7.2023). Es wird angenommen, dass Sikhs in Indien im Allgemeinen einem geringen Maß an offizieller und gesellschaftlicher Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind. Sie können aber Ziele örtlich begrenzter Diskriminierung werden (DFAT 29.9.2023). Die Sikhs, 60 % der Bevölkerung des Punjabs, stellen im Punjab einen erheblichen Teil der Beamten, Richter, Soldaten und Sicherheitskräfte. Auch hochrangige Positionen stehen ihnen (auch bundesweit – praktisch alle indischen Generalstabschefs der Bundesarmee waren bisher Sikhs) offen. Es gibt derzeit keine Hinweise darauf, dass Sikhs alleine aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit von der Polizei willkürlich verhaftet oder misshandelt würden. Verhaftungen erfolgen allerdings, sobald jemand offen eine verbotene Organisation (z. B. das Khalistan Movement) unterstützt (ÖB New Delhi 7.2023).

Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (Sikhs, insbes. Khalistan-Separatisten, Kaschmiris) werden von indischer Seite beobachtet und registriert. Personen, die im Ausland eine in Indien verbotene Vereinigung unterstützen, werden nach ihrer Rückkehr in Indien strafrechtlich verfolgt. Sikh-Exilgruppierungen im westlichen Ausland unterstützen radikale Sikh-Organisationen auch finanziell. Die in Indien verbotenen militanten Sikh-Organisationen sind: Babbar Khalsa International, Khalistan Commando Force, Khalistan Zindabad Force, International Sikh Youth Federation (ÖB New Delhi 7.2023). Die Khalistan-Bewegung ist eine politische Ideologie, die von Sikhs vertreten wird. Sie fordert die Schaffung eines autonomen Heimatlandes für die Sikhs (EB 17.3.2025b). Die Forderung nach einem unabhängigen Sikh-Staat war in den zurückliegenden Jahren im Zusammenhang mit den Bauernprotesten 2021 erstmals wieder prominent in Erscheinung getreten. In den Jahren davor war es um die in den 1980er Jahren entstandene Khalistan-Bewegung ruhig geblieben. Im März 2023 kam es zu einem mehrtägigen Polizeieinsatz und zahlreichen Verhaftungen nachdem bewaffnete Anhänger des Sikh-Predigers Amritpal Singh ein Polizeirevier in Amritsar überfallen hatten (BAMF 20.3.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023).

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16 Ethnische Minderheiten

Die Verfassung verbietet die Diskriminierung von Bürgern aufgrund ihrer Religion, Ethnie, Kaste, Geschlechts oder ihres Geburtsortes (USDOS 23.4.2024; vgl. DFAT 29.9.2023). Minderheiten haben laut Gesetz das Recht auf eigene Bildungseinrichtungen sowie auf Pflege ihrer eigenen Sprache, Schrift und Kultur (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. DFAT 29.9.2023). In der Verfassung sind die sozialen, wirtschaftlichen und politischen Rechte benachteiligter Gruppen indigener Menschen verankert, doch in der Praxis verweigern die Behörden häufig ihre Rechte, und es gab Berichte, dass die Regierung oder ihre Vertreter indigenen Personen Gewalt androhten oder zufügten. In vielen nordöstlichen Bundesstaaten, in denen indigene Gruppen den Großteil der Bevölkerung ausmachten, sah das Gesetz Stammesrechte vor, doch einige lokale Behörden missachteten diese Bestimmungen (USDOS 23.4.2024).

Die Verfassung verbietet Diskriminierung aufgrund der Kastenzugehörigkeit (FH 2025a). Auch die „Unberührbarkeit“ ist verfassungsrechtlich abgeschafft sowie ihre Ausübung verboten. Trotz dieser Regelungen prägt die Zugehörigkeit (bzw. Nicht-Zugehörigkeit) zu einer Kaste das indische Sozialgefüge und geht mit zahlreichen Diskriminierungen einher (ÖB New Delhi 7.2023). Gesetze schreiben Quoten im Bildungs- und Regierungsbereich für historisch benachteiligte Gruppen vor (FH 2025a; vgl. ÖB New Delhi 7.2023; vgl. USDOS 30.6.2024), die in Scheduled Castes (SC, „Dalits“), Stammesgemeinschaften oder Scheduled Tribes (ST, „Adivasi“) sowie Other Backward Classes (OBC, "andere rückständige Klassen") (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. USDOS 30.6.2024, FH 2025a) und "wirtschaftlich schwächere Schichten" eingeteilt werden (FH 2025a). Die Verfassung legt fest, dass nur Hindus, Sikhs und Buddhisten als Angehörige einer Scheduled Caste gelten können. Folglich haben Christen und Muslime nur dann Anspruch auf Vergünstigungen, wenn sie aufgrund ihres sozialen und wirtschaftlichen Status als Mitglieder der OBC gelten (USDOS 30.6.2024).

Allerdings trübt sich die Menschenrechtslage speziell für Minderheiten vor dem Hintergrund einer von der regierenden BJP (Bharatiya Janata Party) markant vorgetragenen Hindu-Mehrheitspolitik weiter ein (AA 5.6.2023). Behörden diskriminieren Minderheiten und gehen nicht angemessen gegen BJP-Anhänger vor, die für Übergriffe verantwortlich sind. Gesetze zum Verbot der Zwangskonversion in mindestens 12 Bundesstaaten werden missbraucht, um Christen, insbesondere aus Dalit- und Adivasi-Gemeinschaften, zu schikanieren und ermutigen Selbstjustizgruppen zu Gewalttaten (HRW 16.1.2025). Schutz durch Polizei und Justiz ist nicht ausreichend gegeben, auf Anzeigen folgen nur selten Verurteilungen (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. FH 2025a).

Indien bleibt Ursprungs-, Transit- sowie auch Zielland des internationalen Menschenhandels. Angehörige marginalisierter Gruppen wie Dalits und Adivasi sind besonders gefährdet. Aufgrund des in vielen Regionen niedrigen Frauenanteils kommt es zu Menschenhandel mit Bräuten. Die indische Regierung unternimmt erhebliche Anstrengungen zur Eindämmung von Menschenhandel. Dennoch sind nach wie vor Verurteilungen im Vergleich zum Ausmaß unverhältnismäßig niedrig (AA 5.6.2023).

Einkommen und Bildungsgrad korrelieren sehr stark mit der Kastenzugehörigkeit (AA 5.6.2023). Obwohl der rechtliche Rahmen im Allgemeinen das Recht auf Eigentum und private Geschäftstätigkeit unterstützt, sind die Eigentumsrechte für Stammesgruppen und andere marginalisierte Gemeinschaften eher schwach ausgeprägt. Mitgliedern dieser Gruppen werden oft angemessene Umsiedlungsmöglichkeiten und Entschädigungen verweigert, wenn ihr Land für Entwicklungsprojekte beschlagnahmt wird (FH 2025a).

Um historisch marginalisierte Gruppen zu schützen und ihre demokratische Partizipation und Repräsentation zu gewährleisten, sieht die Verfassung vor, dass in jedem Panchayat [Anm.: Dorf], jeder Gemeinde sowie in den Legislativen der einzelnen Bundesstaaten und der Union eine bestimmte Anzahl von Sitzen für SC und ST sowie für Frauen (mindestens ein Drittel) reserviert werden muss, gemessen am Anteil dieser Gruppen an der Gesamtbevölkerung der jeweiligen Verwaltungsebene (CoI 1.5.2024; vgl. FH 2025a). Die bestehenden Quoten gewährleisten, dass 84 bzw. 47 Sitze in der Lok Sabha [Anm.: Unterhaus des indischen Parlaments] für Angehörige der SC bzw. ST reserviert sind (FH 2025a).

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16.1 Dalits (Scheduled Castes)

[Anm.: zu Gewalt an Frauen aus marginalisierten, gefährdeten und Stammesgemeinschaften, einschließlich Dalit-Frauen siehe Kapitel Geschlechtsspezifische Gewalt]

Der Begriff Dalit, auch bekannt als Unterdrückte Klasse, Harijan, Scheduled Caste (SC) oder Unberührbare, bezieht sich auf alle Angehörigen eines breiten Spektrums sozialer Gruppen, die in der hinduistischen Kastengesellschaft historisch marginalisiert wurden. Die offizielle Bezeichnung Scheduled Caste ist heute in Indien die gebräuchlichste Bezeichnung für die Angehörigen dieser Gruppen, obwohl die Angehörigen der SC oft den Begriff Dalit bevorzugen (EB 10.2.2025). Die Zahl der Dalits wird auf ein Fünftel der Bevölkerung (oder 260 Mio. Menschen) geschätzt (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023). Die Dalits, oder auch Kastenlosen sind aus dem Kastensystem ausgeschlossen (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023, DFAT 29.9.2023) und wurden historisch mit Arbeiten in Verbindung gebracht, die als weniger erstrebenswert galten, wie z. B. Reinigungsarbeiten oder Müllabfuhr, und es gab traditionelle Tabus für Angehörige der vier Hauptkasten, sie zu berühren. Viele Dalits arbeiten nach wie vor als Reinigungskräfte, manuelle Müllabfuhr, Kanalreiniger, Müllsammler und Straßenkehrer, und viele von ihnen sind Binnenmigranten, die auf der Suche nach Arbeit aus ländlichen Gebieten in die Slums der Städte gezogen sind (DFAT 29.9.2023). Trotz eines offiziellen Verbots der "manuellen Fäkalienentsorgung", einer entwürdigenden und gefährlichen Praxis, wird diese Arbeit im ganzen Land fortgesetzt und führt zu Todesfällen und Verletzungen (HRW 6.2024). Zwischen 2018 und 2023 starben insgesamt 339 Menschen bei der Reinigung von Abwasserkanälen und Klärgruben (AI 24.4.2024). Vor allem Dalits und Kastengruppen, die in der Regel am unteren Ende der Kastenhierarchie stehen, werden zu dieser Arbeit gezwungen (HRW 6.2024).

Obwohl laut Verfassung die Kastendiskriminierung verboten ist (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 5.6.2023, FH 2025a), bleibt die Registrierung zum Zwecke positiver Förderprogramme bestehen, und die Bundes- und Bundesstaatsregierungen betreiben weiterhin verschiedene Programme, um Mitglieder niederer Kasten zu stärken - wie Bereitstellung von qualitativ besseren Unterkünften, Zugang zu subventionierten Nahrungsmitteln (USDOS 23.4.2024) sowie Quoten in Bildungseinrichtungen, im öffentlichen Dienst (USDOS 23.4.2024; vgl. DFAT 29.9.2023, ÖB New Delhi 7.2023) und reservierte Sitze in der Legislative (DFAT 29.9.2023). Kritiker behaupten, dass viele dieser Programme an den Folgen einer mangelhaften Umsetzung und Korruption leiden (USDOS 23.4.2024).

Einige Dalits haben, zum Teil mithilfe dieser Programme, hohe Positionen erreicht (DFAT 29.9.2023). Premier Modi hat 2014 und 2019 jeweils auch Dalits in das Minister-Kabinett berufen. Der ehemalige Staatspräsident Ram Nath Kovind, dessen Amtszeit im Juli 2022 endete, weist Dalit-Abstammung auf (ÖB New Delhi 7.2023). Die langjährigen Beispiele für positive Maßnahmen (Affirmative Action) haben jedoch nicht die tiefen sozialen Ungerechtigkeiten beseitigt, denen die meisten Dalits nach wie vorausgesetzt sind (DFAT 29.9.2023). Vor allem in ländlichen Gebieten kommt es häufiger zu Diskriminierung (ÖB New Delhi 7.2023). Das Kastensystem kann komplex sein, und die Eliten innerhalb einer Kaste (es gibt unzählige Unterkasten innerhalb jeder Kaste) sind eher in der Lage, von den Reservierungen und Zugeständnissen zu profitieren, die Menschen aus niedrigen Kasten angeboten werden. Frauen und Arme innerhalb dieser Kasten können „verdrängt“ werden. Die Verfügbarkeit von Vorzugsbehandlungen sollte nicht nur aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste angenommen werden. Es gibt einige Beispiele für Betrug - Menschen, die fälschlicherweise behaupten, zu einer Gruppe zu gehören, die Anspruch auf Reservierungen hat (DFAT 29.9.2023).

Die Diskriminierung von Dalits umfasst den Zugang zu Dienstleistungen, wie medizinischer Versorgung und Bildung oder der Zugang zu Brunnen, Hygieneeinrichtungen und zu Tempeln (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. DFAT 29.9.2023). NGOs berichten, dass Dalit-Schülern manchmal der Zugang zu bestimmten Schulen aufgrund ihrer Kastenzugehörigkeit verweigert wird. Sie müssen vor der Aufnahme einen Kastennachweis vorlegen, werden vom Morgengebet ausgeschlossen, müssen in der letzten Reihe der Klasse sitzen oder werden gezwungen, die Schultoiletten zu reinigen, während ihnen der Zugang zu diesen Einrichtungen verwehrt wird. Darüber hinaus gibt es Berichte über Lehrer, die sich weigern, die Hausaufgaben von Dalit-Kindern zu korrigieren oder ihnen eine Mittagsmahlzeit zu geben, und die Dalit-Kinder auffordern, getrennt von Kindern aus Familien der höheren Kasten zu sitzen (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Die Diskriminierung zieht sich durch die gesamte Bildungslaufbahn bis zur Universität (ÖB New Delhi 7.2023).

Das Gesetz zur Verhütung von Grausamkeiten (Prevention of Atrocities Act, PAA) von 1989 sieht scharfe Strafen für Straftaten gegen Dalits und die Einrichtung von Sondergerichten vor, die in jedem Distrikt diese Vorfälle untersuchen sollen. Jedoch verfügen bislang nur 170 von 773 Distrikten über solche Gerichte, wodurch es zu Überlastungen kommt. Im Allgemeinen ist Schutz durch Polizei und Justiz nicht ausreichend gegeben, auf Anzeigen folgen nur selten Verurteilungen (ÖB New Delhi 7.2023). Im Oktober 2024 wies der Oberste Gerichtshof die Regierung an, die Kastenzugehörigkeit von Häftlingen aus den Akten zu streichen und die Gefängnisvorschriften zu überarbeiten, um kastenspezifische Aufgaben abzuschaffen. Damit wurde die tief verwurzelte Diskriminierung im Strafvollzug deutlich (FH 2025a).

Quellen: […]

16.2 Adivasi (Scheduled Tribes)

Anm.: zu Gewalt an Frauen aus marginalisierten, gefährdeten und Stammesgemeinschaften, einschließlich Dalit-Frauen siehe Relevante Bevölkerungsgruppen / Frauen / Geschlechtsspezifische Gewalt

Die Verfassung garantiert zwar die sozialen, ökonomischen und politischen Rechte von benachteiligten Gruppen von indigenen Stämmen und das Gesetz spricht ihnen einen speziellen Status zu, doch werden diese Rechte oftmals von den Behörden auch verweigert (USDOS 12.4.2022). Viele leben unterhalb der Armutsgrenze (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Die Adivasi sind staatlichem und privatem Zugriff auf ihr Land ausgesetzt. Im Nordosten, wo Adivasi einen Großteil der Bevölkerung ausmachen, gibt es verfassungsrechtlichen Schutz für die Lebensräume der Indigenen, z. B. was den Abbau von Rohstoffen und den Erwerb von Land durch Nicht-Adivasi betrifft. Dieser Schutz wird aber oft missachtet, dies führt teils zu gewalttätigen Gegenreaktionen (ÖB New Delhi 7.2023). Trotz deutlicher Fortschritte innerhalb der letzten Jahre haben Adivasi mit Bezug auf fast alle sozio-ökonomischen Indikatoren die schlechtesten Lebensbedingungen aller Inder. Sie erfahren gesellschaftliche Diskriminierung, mitunter auch Gewalt (AA 5.6.2023). Menschenrechtsorganisationen wie das Asian Center for Human Rights sprechen von einer Zunahme von Straftaten gegen Angehörige indigener Bevölkerungsgruppen. Es wird von Straftaten, wie Diskriminierung, Belästigung, Folter, willkürlichen Verhaftungen, sowie Lynchjustiz durch Straßenmobs berichtet. Die Verantwortlichen bleiben rechtlich oft unbelangt. Allerdings nimmt die Kritik an diesen menschenverachtenden Praktiken innerhalb der indischen Gesellschaft zu (ÖB New Delhi 7.2023).

In vielen nordöstlichen Bundesstaaten, in denen indigene Gruppen die Mehrheit der Bevölkerung stellen, sind die Rechte der Stämme gesetzlich verankert. Einige lokale Behörden ignorieren diese Bestimmungen jedoch. Das Gesetz verbietet Nicht-Stammesangehörigen, einschließlich Bürgern anderer Bundesstaaten, das Überschreiten einer von der Regierung festgelegten inneren Grenze ohne gültige Genehmigung. Niemand darf ohne Genehmigung Gummi, Wachs, Elfenbein oder andere Waldprodukte aus Schutzgebieten entnehmen. Auch der Verkauf von Land an Nichtstammesangehörige muss von den Stammesbehörden genehmigt werden (USDOS 23.4.2024) oder ist in manchen Bundesstaaten, wie Meghalaya, für Nichtstammesangehörige explizit verboten (AA 5.6.2023).

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18 Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Die Verfassung gewährt den Bürgern das Recht, sich in jedem Teil des indischen Staatsgebiets aufzuhalten und niederzulassen (FH 2025a; vgl. ÖB New Delhi 7.2023) sowie landesweite Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Auswanderung und Repatriierung werden gesetzlich gewährt, und die Regierung respektiert diese Rechte im Allgemeinen (USDOS 23.4.2024; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Allerdings verlangen das Innenministerium und die Regierungen der Bundesstaaten von ihren Bürgern Sondergenehmigungen, wenn sie in bestimmte Bundesstaaten reisen wollen. In den Bundesstaaten Arunachal Pradesh, Nagaland, Mizoram und Manipur sind sogenannte Inner Line Permits erforderlich (USDOS 23.4.2024). Die Bewegungsfreiheit wird in einigen Teilen des Landes durch aufständische Gewalt oder kommunale Spannungen behindert. Mehrere Bundesstaaten verlangen von Unternehmen zudem, Arbeitsplätze für Einheimische freizuhalten, was die Möglichkeiten der zwischenstaatlichen Migration einschränkt. Die Durchsetzung der Quoten ist jedoch nach Berichten nur bedingt gewährleistet (FH 2025a).

Es gibt weder ein zentralisiertes Melde- oder Registrierungssystem, noch ein Personenstands- oder auch kein Strafregister, sodass ein Großteil der Bevölkerung keinen Ausweis besitzt. Die Einführung der Aadhaar-Karte im Jahre 2009, ein digitales Identitätssystem für die fast 1,4 Milliarden Menschen des Landes (UCLA 13.4.2022), hat hieran nichts geändert, da die Registrierung nach wie vor auf freiwilliger Basis erfolgt. Dies begünstigt die Niederlassung in einem anderen Landesteil im Falle von Verfolgung (AA 5.6.2023). Auch bei laufender strafrechtlicher Verfolgung ist nicht selten ein unbehelligtes Leben in ländlichen Bezirken eines anderen Landesteils möglich (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023), ohne dass die Person ihre Identität verbergen muss (ÖB New Delhi 7.2023).

Das Aadhaar-Programm weist jedem Einwohner (auch ausländische Staatsbürger ÖB New Delhi 7.2023) freiwillig eine eindeutige 12-stellige Nummer zu, die mit den biometrischen Daten der Person, alle 10 Fingerabdrücke und ein Iris-Scan sowie einem digitalen Foto, verknüpft ist (DFAT 29.9.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023, UCLA 13.4.2022). Mit der Speicherung der biometrischen Daten soll eine Doppelvergabe an ein und dieselbe Person reduziert bzw. verhindert werden. Obwohl die Beantragung einer Aadhaar-Karte kostenlos und das System freiwillig ist, ist die Registrierung für alltägliche Aktivitäten in der Praxis durchaus erforderlich. Für den Erhalt einer Aadhaar-Karte sind keine umfangreichen Unterlagen notwendig, und es stehen mehrere Optionen zur Verfügung, sodass sie auch für ärmere Bürger ohne Papiere oder Analphabeten zugänglich ist. In der Praxis wird die Aadhaar-Karte oft als Personalausweis verwendet (DFAT 29.9.2023). Mittlerweile wurden über 1,3 Milliarden Aadhaar-Registrierungen vorgenommen, womit ein Großteil der indischen Bevölkerung erfasst ist. Durch die Verknüpfung vieler Dienstleistungen mit der biometrischen Aadhaar-Karte wird die Auffindbarkeit einzelner Personen für Behörden erleichtert (ÖB New Delhi 7.2023).

Darüber hinaus gibt es mehrere Initiativen der Regierung zum Aufbau nationaler Register. Das Nationale Bevölkerungsregister (National Population Register, NPR) ist seit 2010 eine Datenbank, die Angaben zu allen Einwohnern Indiens enthält, unabhängig von der Staatsbürgerschaft. Ein "gewöhnlicher Einwohner" ist definiert als eine Person, die seit mindestens sechs Monaten in einem Gebiet wohnt oder die beabsichtigt, in den nächsten sechs Monaten in diesem Gebiet zu wohnen. Alle gewöhnlichen Einwohner müssen sich im NPR registrieren. Das NPR ist ein vorbereitender Schritt zur Entwicklung des Nationalen Registers indischer Staatsbürger (National Register of Indian Citizens, NRIC), wie es im Staatsbürgerschaftsgesetz vorgesehen ist. Das NRIC ist eine detaillierte Aufzeichnung indischer Staatsbürger, die sowohl innerhalb als auch außerhalb Indiens leben (VaRa 14.12.2024).

Derzeit hat nur Assam ein solches Nationales Staatsbürgerschaftsregister (National Register of Citizens, NRC), das 2014 vom Obersten Gerichtshof [Anm. Supreme Court of India] angeordnet und überwacht wurde. Das NRC ist ein Versuch der indischen Regierung, illegale Einwanderer zu identifizieren und abzuschieben. Im Falle von Assam bedeutet dies, echte Staatsbürger zu identifizieren, die bis zum 24.3.1971 in Assam wohnhaft waren. Das endgültige NRC für Assam wurde am 31. August 2019 veröffentlicht, wobei mehr als 1,9 Millionen Antragsteller, ein großer Anteil davon Muslime, nicht auf die Liste aufgenommen wurden. Einwohner, die nicht auf der Liste stehen, können bei den Ausländergerichten (Foreigners Tribunals) sowie dem Obergericht [Anm. High Court, Höchstgericht eines Bundesstaates] und dem Obersten Gerichtshof Berufung einlegen. Im Jahr 2021 wurde beim Obersten Gerichtshof eine Petition eingereicht, in der eine erneute Überprüfung der Liste von 2019 gefordert wurde; der Antrag ist noch immer anhängig. Die Anforderung spezifischer Dokumente stellte für viele Menschen eine Herausforderung dar, was zu einer möglichen Ausgrenzung während der Erstellung des Assam-NRC führte. Viele Menschen aus marginalisierten und armen Bevölkerungsgruppen haben noch keine legalen und gültigen Dokumente, was sie staatenlos machen kann. Darüber hinaus haben weder der Staat noch die Zentralregierung festgelegt, was mit denjenigen geschieht, die ihre Fälle vor den Ausländertribunalen verlieren. Auch wurde nicht festgelegt, ob sie festgenommen oder abgeschoben werden oder ob ihnen gestattet wird, ohne die Rechte und Privilegien der Staatsbürgerschaft im Land zu bleiben. Zudem verfügt Indien über kein formelles Rückführungsabkommen mit Bangladesch, was den Abschiebeprozess erschwert (VaRa 5.9.2024; vgl. DFAT 29.9.2023).

Die Regierung kann jedem Antragsteller einen Reisepass verweigern, wenn er sich außerhalb des Landes an Aktivitäten beteiligt, die "der Souveränität und Integrität der Nation schaden" (USDOS 23.4.2024). Eine Ausreiseverweigerung ist aus Gründen der nationalen Sicherheit möglich (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023).

Quellen: […]

19 Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge

Indien hat die UN-Konvention über die Anerkennung von Flüchtlingen von 1951 und das Protokoll von 1967 nicht unterzeichnet (AA 5.6.2023). Obwohl das Land über kein spezielles Gesetz zur Regelung der Flüchtlingspolitik verfügt (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 5.6.2023), arbeitet das Amt des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) nach eigenen Angaben eng mit der Regierung und anderen humanitären Organisationen zusammen, um Flüchtlingen, zurückkehrenden Flüchtlingen und Asylbewerbern sowie anderen Personen ein Mindestmaß an Schutz und Unterstützung zu bieten. In Ermangelung eines Rechtsrahmens gewährt die Regierung manchmal situationsbedingt Asyl aus humanitären Gründen im Einklang mit dem Völkerrecht. Dieser Ansatz führt zu unterschiedlichen Schutzstandards für verschiedene Gruppen von Flüchtlingen und Asylbewerbern. Der Begriff "Flüchtling" ist im Gesetz nicht enthalten. Flüchtlinge werden wie alle anderen Ausländer behandelt. Wer sich ohne gültige Papiere im Land aufhält, macht sich strafbar. Personen ohne Papiere müssen mit Inhaftierung, Zwangsrückführung und Misshandlung rechnen (USDOS 23.4.2024). Der UN-Menschenrechtsausschuss des UN-Zivilpakts (CCPR) äußert Bedenken hinsichtlich der Haftbedingungen und der nicht absehbaren Haftdauer von Migranten (CCPR 2.9.2024).

Im Jahr 2024 gab es laut UNHCR in Indien 292.440 Flüchtlinge, Asylwerber und Staatenlose (UNHCR 2024), davon sind 47.630 bei UNHCR Indien registriert (UNHCR 12.2024). Die meisten Personen stammen aus Sri Lanka, Myanmar, China, Afghanistan und Sudan (UNHCR 2024). Dazu kamen im Jahr 2023 circa 703.000 Binnenflüchtlinge (Internally displaced people, IDPs) aufgrund von Konflikten, Gewalt und Katastrophen (IDMC o.D.).

USDOS berichtet, dass Flüchtlinge und Asylbewerber Zugang zu Wohnraum, Grund- und Sekundarschulbildung sowie Gesundheitsversorgung haben (USDOS 23.4.2024). Der CCPR zeigt sich jedoch über den mangelnden Zugang von Migranten zu Gesundheitsdiensten, Arbeitsplätzen, Bildung und Wohnraum sowie über die prekäre Lage von Migrantenkindern, einschließlich unbegleiteter Minderjähriger, besorgt (CCPR 2.9.2024). Die Mehrheit der Flüchtlinge, die beim UNHCR registriert sind, findet eine Anstellung im informellen Sektor. Laut UNHCR ist es für Flüchtlinge schwierig, eine formelle Beschäftigung zu finden, da sie keine von der Regierung ausgestellten Dokumente wie Langzeitvisa besitzen, die die Regierung seit 2017 nicht mehr an Flüchtlinge ausstellt (USDOS 23.4.2024).

Gemäß der am 10.1.2020 in Kraft getretenen Änderung des Staatsbürgerschaftsgesetzes (Citizenship Amendment Act, 2019), erhalten Migranten, die vor dem 31.12.2014 als Flüchtlinge aus den Nachbarländern Afghanistan, Bangladesch und Pakistan kamen, vereinfacht die indische Staatsbürgerschaft. Ausgenommen sind Muslime. Grundsätzlich kann jeder Flüchtling nach zwölfjährigem Aufenthalt in Indien indischer Staatsangehöriger werden [Anm.: weitere Informationen im Kapitel Staatsbürgerschaft] (AA 5.6.2023).

Der Großteil der Tibeter lehnen die indische Staatsbürgerschaft jedoch ab, getragen von der Hoffnung, eines Tages in die Heimat zurückzukehren. Gerade tibetische Flüchtlinge haben mithilfe von NGOs (teils mit ausländischer Unterstützung) sowie Bemühungen der tibetischen Exilregierung und Institutionen Möglichkeiten zur Schul-/Berufsausbildung sowie Zugang zu Startkapital und sind dementsprechend wirtschaftlich aktiv (AA 5.6.2023).

Indien teilt Flüchtlingen Siedlungsgebiete zu, Flüchtlinge aus Afghanistan erhielten etwa Land in Lajpat Nagar in Delhi (AA 5.6.2023). Im ganzen Land gibt es Siedlungen von Binnenvertriebenen. Für das Wohlergehen der Binnenvertriebenen sind in der Regel die Regierungen der Bundesstaaten und die lokalen Behörden zuständig, und es gab Berichte über Lücken bei den Dienstleistungen und mangelnde Rechenschaftspflicht. Die Zentralregierung gewährte den Binnenvertriebenen nur begrenzte Unterstützung, gestattete aber NGOs und Menschenrechtsorganisationen den Zugang zu einigen Binnenvertriebenen; weder der Zugang noch die Unterstützung waren für alle Binnenvertriebenen oder alle Situationen einheitlich. Genaue Zahlen über die durch Gewalt vertriebenen Menschen waren schwer zu ermitteln. Während die Behörden die Bewohner der Lager registrierten, lebte eine unbekannte Zahl von Vertriebenen außerhalb der Lager (USDOS 23.4.2024).

Quellen: […]

20 Grundversorgung und Wirtschaft

Indien ist im Wirtschaftsjahr 2023/24, welches im März 2024 zu Ende gegangen ist, um beachtliche 8,2 % des BIP gewachsen - damit wurde der COVID-19-Pandemie bedingte Wirtschaftseinbruch überwunden und die indische Wirtschaft befindet sich wieder auf einem positiven Wachstumspfad. Indien ist damit die am stärksten wachsende Volkswirtschaft aller G20 Staaten. Diese Dynamik wird von einem wieder erstarkten Privatkonsum und einem enormen Investitionsprogramm der Regierung getragen. Externe Faktoren wie der Ukraine-Krieg, Lieferkettenprobleme, ein hohes Ölpreisniveau sowie auch die weltweite Zinswende führten zu einer höheren Inflation v. a. bei Lebensmitteln und Energie. Die Inflation hat sich mittlerweile von 6,7 % (2022/23) auf 5,7 % (2023/24) reduziert (WKO 9.2024). Die österreichische Botschaft in New Delhi hatte die indische Wirtschaft in ihrem Bericht von 2023 als resilient eingestuft (ÖB New Delhi 7.2023).

Im Wirtschaftsjahr 2023/24 stieg im Vergleich zum Vorjahr die Landwirtschaft um 1,4 % (14 % BIP-Anteil), der wiedererstarkende Industriesektor um 9,5 % (31 % BIP-Anteil) sowie der Dienstleistungsbereich um 7,6 % (55 % BIP-Anteil), wobei hier die IT-Services dominieren. Die indische Mittelschicht ist von 19 % im Jahr 2015 auf 32 % im Jahr 2024 gewachsen. Damit verändert sich nicht nur das Konsumverhalten der Menschen, sondern es steigen auch die Anforderungen an Infrastruktur sowie Gesundheitssysteme. Über 40 Mio. Studenten beginnen jährlich eine höhere Ausbildung, damit wächst der Talent- und Fachkräfte-Pool. Die wirtschaftliche Entwicklung führt zu einem Gesellschaftswandel mit einer Änderung der traditionellen Werte (WKO 9.2024).

Quellen: […]

20.1 Arbeitsmarkt

Im Jahr 2024 hatte Indien eine Erwerbsquote von 55,8 % (IOM 7.2024) und 2023 eine Arbeitslosenrate von 4,2 % (WB 7.1.2025) bis 4,7 % (IOM 7.2024). Die indische Regierung berichtet im Zeitraum 2022-23 eine Arbeitslosenrate von 3,2 % (GovI-MOSPI 9.10.2024), während der Thinktank Centre for Monitoring Indian Economy (CMIE) für August 2024 eine Rate von 8,51 % meldete. Es besteht Uneinigkeit darüber, wie die Arbeitslosigkeit in Indien gemessen werden soll. Nach Ansicht der Analysten ist die Diskrepanz auf die Definition von Arbeit zurückzuführen, die auch Teilzeitarbeit in der Landwirtschaft einschließt (FT 2.10.2024). In der arbeitenden Bevölkerung liegt der Anteil der Frauen bei 22 % und jener der Männer bei 74,6 % (IOM 7.2024). Es besteht im Wesentlichen eine umfassende und internationalen Standards entsprechende Arbeits- und Sozialgesetzgebung, allerdings nur für Beschäftigte in formellen Arbeitsverhältnissen (AA 5.6.2023). 2023 betrug der informelle Sektor 90 % (ÖB New Delhi 7.2023; vgl. AA 5.6.2023). Von den 10 % Beschäftigten im formellen Sektor, die über eine formelle soziale Absicherung und Arbeitsschutz verfügen, arbeiten 70 % im staatlichen Bereich. Nur 5 % der Gesamtarbeitskräfte sind ausgebildete Fachkräfte. Nicht mehr ganz die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung ist in der Landwirtschaft tätig (ÖB New Delhi 7.2023). Der Großteil der im informellen Sektor beschäftigten Arbeitskräfte ist in der Privatwirtschaft tätig (IOM 7.2024). Im informellen Sektor sind geregelte Arbeitsverhältnisse mit angemessenen und regelmäßigen Einkünften die Ausnahme und die soziale Absicherung ist praktisch unbekannt. Gewerkschaften konzentrieren sich immer noch ganz überwiegend auf den (kleinen) formellen Sektor und sind zumeist parteipolitisch gebunden (AA 5.6.2023).

Die nationale Arbeitsvermittlungsagentur, welche beim Ministerium für Arbeit und dem Direktorat für Arbeit und Training angesiedelt ist, bietet Arbeitssuchenden Stellen. Dort müssen sich Arbeitssuchende selbst registrieren und werden sofort informiert, sobald eine passende Stelle verfügbar ist. Einige Staaten in Indien bieten Arbeitssuchenden eine finanzielle Unterstützung für die Dauer von 3 Jahren. Für weitere Informationen sollte die jeweilige lokale Vermittlungsagentur kontaktiert werden. Diese bieten auch Beratungen an, bei denen Informationen über die Verfügbarkeit von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der Fähigkeiten entsprechend der Marktnachfrage zur Verfügung gestellt werden. (IOM 7.2024).

Durch das Gesetz zur nationalen Beschäftigungsgarantie im ländlichen Raum (Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act - MGNREGA) existiert ein Arbeitsplatzgarantiesystem, mit einer gesetzlichen Jobgarantie für 100 Tage im Jahr. Dies betrifft Erwachsene jedes ländlichen Haushalts, die bereit sind, ungelernte Handarbeit im öffentlichen Dienst zum gesetzlichen Mindestlohn pro Tag zu verrichten. Das Kommissariat oder Direktorat der Industrie bietet Unterstützung zur Geschäftsgründung in den verschiedenen Staaten an (IOM 7.2024).

Das Gesetz verbietet Diskriminierung aufgrund von Ethnie, Geschlecht, Behinderung, Sprache, sexueller Ausrichtung, Geschlechtsidentität oder sozialem Status in Bezug auf Beschäftigung und Beruf (USDOS 23.4.2024). Das Gesetz verbietet alle Formen von Zwangs- oder Pflichtarbeit, aber Zwangsarbeit, einschließlich Schuldknechtschaft für Erwachsene und Kinder, ist weiterhin weit verbreitet (USDOS 24.6.2024; vgl. FH 2024).

Die Gesetze der Bundesstaaten legen Mindestlöhne und Arbeitszeiten fest. Der tägliche Mindestlohn variierte, lag aber über dem offiziell geschätzten Armutseinkommen. Die Regierungen der Bundesstaaten legten einen gesonderten Mindestlohn für Landarbeiter fest (USDOS 23.4.2024).

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20.2 Armut und Nahrungsmittelsicherheit

Nach den letzten verfügbaren Zahlen lebten 2021 12,9 % der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze (WB 10.2024a; vgl. UNDP 2024). Dies ist eine signifikante Verbesserung, 2004 waren es noch ca. 40 % und 2011 noch 22,5 % (ÖB New Delhi 7.2023). Erweitert man den Armutsbegriff um weitere Dimensionen, so zeigt sich, dass rund 34 % aller Inder von multidimensionaler Armut gefährdet (18,7 %) (AA 5.6.2023; vgl. UNDP 2024) oder betroffen (16,4 %) sind (AA 5.6.2023; vgl. UNDP 2024, WB 10.2024a). Der Begriff der multidimensionalen Armut bezieht sich hierbei auf Armut, die nicht nur das Einkommen, sondern auch weitere Dimensionen, wie Bildung, Gesundheit und Lebensbedingungen umfasst, während die internationale Armutsgrenze (USD 2,15 pro Tag Kaufkraft) lediglich eine Einkommensgrenze festlegt, ab der Menschen als arm gelten. Aufgrund dieser breiteren Definition von Armut ist der Anteil der multidimensionalen Armut höher als bei ausschließlicher Betrachtung der täglichen Armutsgrenze (WB 10.2024b). In einigen Bundesstaaten, insbesondere im Norden und Osten Indiens (Bihar, Jharkhand, Uttar Pradesh), ist ein höheres Maß an multidimensionaler Armut festzustellen, während die südlichen Bundesstaaten (Kerala, Tamil Nadu) niedrigere Armutsraten aufweisen (WB 10.2024a).

Es gibt in Indien einen politischen Konsens zum Recht auf Nahrung. Zwei Drittel der indischen Bevölkerung haben einen entsprechenden gesetzlichen Anspruch auf fünf Kilogramm Getreide und Hülsenfrüchte pro Monat (AA 5.6.2023; vgl. NFSP o.D.). Zusätzlich werden Preise für gewisse Nahrungsmittel staatlich gestützt (ÖB New Delhi 7.2023). Vorübergehende Notlagen können durch Armenspeisungen im Tempel, insbesondere der Sikh-Tempel, die auch gegen kleinere Dienstleistungen Unterkunft gewähren, ausgeglichen werden (AA 5.6.2023). Nach offiziellen Angaben sind 36 % der unter 5-Jährigen untergewichtig (AA 5.6.2023). Schwangere und stillende Mütter sowie Kinder im Alter von 6 Monaten bis 14 Jahren haben Anspruch auf kostenlose Mahlzeiten, die über Kinderentwicklungszentren (Integrated Child Development Services - ICDS-Zentren), den sogenannten Anganwadi-Zentren sowie über Schulen, im Rahmen des Mid-Day Meal-Programms (MDM), verteilt werden. Können berechtigte Personen nicht mit den zustehenden Nahrungsmitteln oder Mahlzeiten beliefert werden, haben diese Personen einen Anspruch auf eine Nahrungsmittelbeihilfe durch jeweilige Landesregierung in den Bundesstaaten (NFSP o.D.).

Quellen: […]

20.3 Wohnraum und Sozialwesen

In den Großstädten sind Preise für Eigentumswohnungen vergleichbar mit denen anderer Großstädte der Welt. Die Mietpreise sind in Städten relativ höher als in Dörfern. Die meisten Häuser werden durch Immobilienagenturen vermietet, die im Allgemeinen unorganisiert sind und einen kleinen Ort abdecken. Eine Kaution in Höhe einer Monatsmiete ist üblich. Für den Aufenthalt in einem Haus sind der Personalausweis und eine polizeiliche Überprüfung erforderlich, die jedoch in kleinen Städten und Dörfern kaum praktiziert wird (IOM 7.2024).

Zahlreiche Sozialprogramme sollen die Lebensbedingungen der Bevölkerung verbessern (AA 5.6.2023). Die Kriterien für die Inanspruchnahme von Sozialleistungen sind jedoch komplex und variieren je nach Ort und der Zugang zu solchen Leistungen sollte nicht als selbstverständlich betrachtet werden. Selbst wenn ein Anspruch besteht, ist es nicht möglich, allein von Sozialleistungen zu leben (DFAT 29.9.2023). Die Regierung bietet eine Vielzahl von Programmen zur Finanzierung von Wohnungen an. Diese richten sich meist an benachteiligte Personenkreise, wie beispielsweise Personen, die unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Programme werden grundsätzlich durch die lokalen Verwaltungen umgesetzt (Panchayat) (IOM 7.2024).

De facto ist der Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen in vielen Teilen Indiens noch wegen gravierender qualitativer und quantitativer Mängel, Korruption und Missmanagement beschwerlich bzw. oft verwehrt. Mit der Einführung der Identifikationsnummer Aadhaar und der davon unabhängigen Eröffnung von Bankkonten für jeden Haushalt in Indien konnten erste Erfolge bei der Eindämmung von Korruption und beim "verlustfreien" Transfer staatlicher Sozialleistungen verbucht werden (AA 5.6.2023). Die Aadhaar-Karte bietet eine Plattform für Sozialleistungen, Vergünstigungen und Subventionen (DFAT 29.9.2023) [für weitere Informationen zu Aadhaar siehe Bewegungsfreiheit und Meldewesen]. Mit dem Haushaltsgesetz 2018 wurde die Einführung einer Krankenversicherung für rund 100 Mio. Familien bzw. etwa 500 Mio. Menschen beschlossen (AA 5.6.2023).

Die Einzahlung in die Rentenkasse ist für Arbeitnehmer verpflichtend und mit der Arbeitsstelle verknüpft. Das staatliche Rentensystem National Pension System (NPS) ist ein freiwilliges, beitragsbasiertes System, welches den Teilnehmern ermöglicht, systematisch Ersparnisse während ihres Arbeitslebens anzulegen. Seit 2009 wird NPS allen Bürgern auf freiwilliger Basis zur Verfügung gestellt (IOM 7.2024).

Quellen: […]

21 Medizinische Versorgung

Das indische Gesundheitssystem bietet ein komplexes (Kumar/Cureus 16.5.2023) und vielfältiges Netzwerk von (Kumar/Cureus 16.5.2023; vgl. IOM 7.2024) öffentlichen und privaten Anbietern an. Es hat sich im Laufe der Jahre erheblich verändert, steht aber immer noch vor zahlreichen Herausforderungen (Kumar/Cureus 16.5.2023). Nach der indischen Verfassung sind die einzelnen Bundesstaaten für die meisten Aspekte des Gesundheitswesens, einschließlich des öffentlichen Gesundheitswesens und der Krankenhäuser, zuständig. Ein besonderes Merkmal des öffentlichen Gesundheitswesens ist, dass es Massengesundheitsprogramme gibt, von denen die meisten präventiver und fördernder Natur sind, wie z. B. ausgewählte Programme zur Krankheitsbekämpfung, zur Familienplanung und zur Gesundheit von Mutter und Kind (Empfängnisverhütung, Impfungen, Schwangerenvorsorge usw.) (IOM 7.2024). Nichtübertragbare Krankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs nehmen in Indien zu und belasten das Gesundheitssystem zusätzlich. Trotz der in den letzten Jahren erzielten Fortschritte steht Indien nach wie vor vor der Herausforderung, übertragbare Krankheiten wie Tuberkulose, Malaria und HIV/AIDS unter Kontrolle zu bringen (Kumar/Cureus 16.5.2023).

Der öffentliche Sektor umfasst primäre, sekundäre und tertiäre Gesundheitseinrichtungen, die von der Zentralregierung und den Regierungen der Bundesstaaten verwaltet werden. Die primäre Gesundheitsversorgung ist die erste Anlaufstelle für den Einzelnen (Kumar/Cureus 16.5.2023) und wird von primären Gesundheitszentren, kommunalen Gesundheitszentren und Subzentren bereitgestellt (Kumar/Cureus 16.5.2023; vgl. IOM 7.2024). Die Kliniken der primären Gesundheitsversorgung sind Teil des staatlich finanzierten öffentlichen Gesundheitssystems des Landes (IOM 7.2024). Obwohl diese Kliniken weitgehend in der Nähe aller Dörfer vorhanden sind (IOM 7.2024), kommt es dennoch noch immer zu einem Mangel an Gesundheitseinrichtungen, insbesondere in ländlichen Gebieten (Kumar/Cureus 16.5.2023). Die sekundäre Gesundheitsversorgung konzentriert sich auf Akut- und Spezialleistungen, die von Bezirkskrankenhäusern erbracht werden. Die Tertiärversorgung bezieht sich auf weiterführende medizinische Leistungen, einschließlich Spezialleistungen, die von medizinischen Hochschulen erbracht werden. Der private Sektor umfasst einzelne Ärzte, Pflegeheime, Kliniken und Betriebskrankenhäuser (Kumar/Cureus 16.5.2023).

Darüber hinaus wird über einen Mangel an medizinischer Ausrüstung, Ressourcen und grundlegender Infrastruktur (Kumar/Cureus 16.5.2023), wie z. B. sauberem Wasser, berichtet. Die Qualität und Verfügbarkeit von Gesundheitsdiensten ist sehr unterschiedlich (DFAT 29.9.2023), und das Angebot an Fachkräften (wie Ärzten, Krankenschwestern und Sanitätern) reicht nicht aus, um die Nachfrage zu decken (DFAT 29.9.2023; vgl. Kumar/Cureus 16.5.2023). Einerseits bestehen zwischen städtischen und ländlichen Gebieten erhebliche Unterschiede in der Qualität und Zugänglichkeit von Gesundheitsdiensten (Kumar/Cureus 16.5.2023), aber auch zwischen reicheren Bundesstaaten (z. B. Kerala) und Großstädten (z. B. Delhi, Kolkata und Mumbai) im Vergleich zu weniger wohlhabenden (DFAT 29.9.2023). Im wirtschaftlich starken Punjab und in New Delhi ist die Gesundheitsversorgung im Verhältnis zu anderen Landesteilen gut (AA 5.6.2023). Im Gegensatz zu ländlichen Gebieten verfügen städtische Gebiete in der Regel über eine bessere Infrastruktur, Zugang zu qualifiziertem Personal und Verfügbarkeit von spezialisierter Versorgung (Kumar/Cureus 16.5.2023).

Die gesundheitliche Grundversorgung wird vom Staat kostenfrei gewährt (AA 5.6.2023). In der Regel wird für die Inanspruchnahme der Gesundheitseinrichtungen ein gültiger Identitätsnachweis (Adhaar-Karte, Wählerausweis, PAN, Führerschein) verlangt. In den öffentlichen Krankenhäusern Indiens haben die Patienten Zugang zu subventionierter Gesundheitsversorgung (IOM 7.2024). Da allerdings der Andrang auf Leistungen des staatlichen Sektors sehr stark ist, weichen viele für eine bessere oder schnellere Behandlung auf private Anbieter aus. Die privaten Gesundheitsträger genießen wegen der fortschrittlicheren Infrastruktur und des qualifizierteren Personals einen besseren Ruf. In allen größeren Städten gibt es medizinische Einrichtungen, in denen überlebensnotwendige Behandlungen durchgeführt werden können. Dies gilt mit den genannten Einschränkungen auch für den öffentlichen Bereich. Private Krankenhäuser in den größten Städten gewährleisten einen Standard, der mit westlichen Industriestaaten vergleichbar ist (AA 5.6.2023). Dadurch wurde Indien ein beliebtes Reiseziel für den Medizintourismus (Kumar/Cureus 16.5.2023). Eine private Gesundheitsversorgung ist allerdings vergleichbar teuer (IOM 7.2024; vgl. DFAT 29.9.2023) und die meisten Kosten für die Gesundheitsversorgung müssen von den Patienten und ihren Familien getragen werden und nicht von der Versicherung (IOM 7.2024). Für viele Inder können die hohen Eigenbeteiligungen im Gesundheitswesen eine große Belastung darstellen. Krankenversicherungen sind in Indien nicht so weit verbreitet wie in anderen Ländern. Dies kann dazu führen, dass Behandlungen verzögert oder vermieden werden, was zu weiteren Komplikationen und Gesundheitsproblemen führen kann (Kumar/Cureus 16.5.2023). Krankenversicherungen für die Allgemeinbevölkerung werden von verschiedenen privaten und öffentlichen Unternehmen mit unterschiedlichen Prämienzahlungen angeboten. Die staatliche, sozial ausgerichtete Universelle Krankenversicherung deckt nur indische Bürger ab, die unterhalb der Armutsgrenze leben (IOM 7.2024). Die Pradhan Mantri Jan Arogya Yojana (PMJAY) ist eine Krankenversicherung für die ärmsten Bevölkerungsschichten Indiens, rund 500 Millionen Menschen. Im Dezember 2022 gab es rund 117.000 Ayushman Bharath Health and Welfare Centres (AB-HWCs) in ganz Indien. Die AB-HWCs bieten kostenlose unentbehrliche Medikamente, diagnostische Dienstleistungen und Telekonsultationen an (Kumar/Cureus 16.5.2023).

Apotheken sind in Indien selbst in abgelegenen Städten zu finden. Indien ist der größte Hersteller von Generika und die Kosten für wichtige Medikamente werden von der Regierung kontrolliert. Generische Medikamente können auch bei den Pradhan Mantri Bhartiya Janaushadhi Kendras gekauft werden (IOM 7.2024). Janaushadhi Kendras sind von der Regierung betriebene Verkaufsstellen, die Medikamente zu niedrigen Preisen zur Verfügung stellen (GoI-J 2025; vgl. IOM 7.2024). In Indien sind fast alle gängigen Medikamente auf dem Markt erhältlich. Die Einfuhr von Medikamenten aus dem Ausland ist möglich (AA 5.6.2023).

Quellen: […]

22 Rückkehr

Jeder indische Staatsangehörige hat das Recht auf Ausreise und Rückkehr in das eigene Land (USDOS 23.4.2024; vgl. AA 5.6.2023). Die Einreise ist ohne ein gültiges Reisedokument grundsätzlich nicht möglich. Ein von einem EU-Land ausgestelltes Heimreisepapier wird von der indischen Regierung nicht anerkannt. Die Ausstellung der nötigen Heimreisedokumente durch die indische Botschaft im jeweiligen EU-Land ist in der Regel mit einem zeitaufwendigen Verfahren verbunden, da es in Indien u. a. kein Meldewesen gibt (ÖB New Delhi 7.2023). Am 1.9.2023 trat ein Migrations- und Mobilitätsabkommen zwischen Österreich und Indien in Kraft, mit gegenseitigen Verpflichtungen zur Vereinfachung von Verfahren (APMM 1.9.2023).

Es bestehen keine Hinweise darauf, dass eine Asylantragstellung im Ausland zu nachteiligen Konsequenzen nach der Rückkehr führt (AA 5.6.2023; vgl. DFAT 29.9.2023, ÖB New Delhi 7.2023). Zur Festnahme ausgeschriebene Personen müssen allerdings bei Einreise mit Verhaftung und Übergabe an die Strafverfolgungsbehörden rechnen (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023). Auslandsaktivitäten bestimmter Gruppen (radikale Sikhs, Kaschmiris) werden von der Regierung durch den Geheimdienst beobachtet. Aktivisten, die im Ausland eine in Indien verbotene terroristische Vereinigung unterstützen, werden hierfür nach ihrer Rückkehr strafrechtlich verfolgt (AA 5.6.2023; vgl. ÖB New Delhi 7.2023), sofern ihre Aktivitäten den indischen Behörden bekannt geworden sind. Es ist strafbar, zu Terrorgruppen Kontakte zu unterhalten oder an Handlungen beteiligt zu sein, die die Souveränität, Integrität oder Sicherheit Indiens gefährden (ÖB New Delhi 7.2023).

Für Rückkehrer gibt es weder staatliche Aufnahmeeinrichtungen - auch nicht für unbegleitete Minderjährige - noch Sozialhilfe oder ein anderes soziales Netz. Rückkehrer sind auf die Unterstützung der Familie oder Freunde angewiesen (AA 5.6.2023).

Quellen: […]

22.1 Rückkehrunterstützung des österreichischen Staates

[Dieses Kapitel basiert auf Informationen, die von der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) mit Stand Dezember 2024 zur Verfügung gestellt worden sind (BMI 6.12.2024). Im Bereich der Rückkehrunterstützung kann es zu kurzfristigen Änderungen kommen. Für weitere Informationen sei auf die entsprechende Seite der BBU verwiesen].

Die Mitarbeiter der Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU GmbH) informieren individuell über die Möglichkeiten der freiwilligen Rückkehr bzw. die verfügbaren Unterstützungsleistungen.

Die Rückkehrunterstützung umfasst folgende Leistungen:

Kostenlose individuelle Beratung zur freiwilligen Rückkehr einschließlich Antragsstellung auf finanzielle Unterstützung durch die BBU

Organisatorische Unterstützung bei der Reisevorbereitung

Übernahme der Heimreisekosten

Finanzielle Starthilfe in Höhe von bis zu € 900

Reintegrationsprogrammteilnahme nach der Rückkehr im Zielland

Ein Rechtsanspruch auf diese Unterstützungsleistungen besteht nicht. Die Bewilligung erfolgt durch das österreichische Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA). Weitere Informationen zu den aktuellen Unterstützungsangeboten (Rückkehrunterstützung inkl. Reintegrationsunterstützung) sind auf der Webseite www.returnfromaustria.at verfügbar.

Die BBU unterstützt sowohl bei der Reiseplanung und der Flugbuchung als auch bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten, einer ggf. notwendigen medizinischen Versorgung sowie mit der Übernahme der Rückreisekosten. Organisatorische Unterstützung kann grundsätzlich in jeder Verfahrenskonstellation gewährt werden. Voraussetzung für die Gewährung der Übernahme der Heimreisekosten ist die Mittellosigkeit der rückkehrenden Person.

Finanzielle Starthilfe

Die Höhe der finanziellen Starthilfe ist in einem degressiven Modell geregelt und staffelt sich nach dem Zeitpunkt der Antragstellung auf unterstützte freiwillige Rückkehr:

Während des laufenden asyl- oder fremdenrechtlichen Verfahrens bis ein Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung: € 900,00 pro Person; ab einem Monat nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung: € 250,00 pro Person

Kernfamilien: Maximalbetrag von € 3.000 pro Familie

Sonderkonstellation: Für vulnerable Rückkehrende, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein einmaliger Betrag von € 250,00 pro Person gewährt werden.

Kriterien für den Erhalt der finanziellen Starthilfe und der Reintegrationsunterstützung (Ausnahmen im Einzelfall möglich):

Freiwillige Ausreise

Finanzielle Bedürftigkeit bzw. Mittellosigkeit

Erstmaliger Bezug der Unterstützungsleistung

Nachhaltigkeit der Ausreise

Keinerlei Evidenz eines Sicherheitsrisikos durch die freiwillige Rückkehr

Keine schwere Straffälligkeit

Ausgeschlossen vom Bezug der finanziellen Starthilfe sind EWR-Bürger, Personen aus den Westbalkan-Staaten sowie Staatsangehörige von Ländern mit visumsfreier Einreise nach Österreich (z. B. Georgien, Moldawien). Sonderkonstellation: Für vulnerable Rückkehrende aus diesen Regionen, die grundsätzlich von der finanziellen Starthilfe ausgeschlossen wären, kann nach individueller Einzelfallprüfung durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) ein einmaliger Betrag von € 250,00 pro Person gewährt werden.

Reintragrationsunterstützung

Für 42 Herkunftsländer können freiwillige Rückkehrer im Sinne des Leitgedankens "Rückkehr mit Perspektiven" Reintegrationsunterstützung im Wert von bis zu € 3.500 beantragen.

Die Abwicklung des Reintegrationsangebots erfolgt mit den Kooperationspartnern:

Frontex (EU Reintegrationsprogramm EURP)

IOM Österreich (Reintegrationsprogramm RESTART IV)

Caritas Österreich (Reintegratonsprogramm IRMA plus III)

OFII (französische Migrationsbehörde „French Office for Immigration and Integration“)

ETTC (im Irak tätige NGO „European Technology and Training Centre“)

Im Rahmen der Reintegrationsprogramme erhalten Rückkehrende umfassende Unterstützung bei der Wiedereingliederung in ihrem Herkunftsland. Dazu gehören individuelle, persönliche Beratung und vorwiegend Sachleistungen z. B. wirtschaftliche, soziale und psychosoziale Hilfen. Die Programme bieten ein breites Spektrum an Leistungen, um einen optimalen Einsatz der Mittel zu gewährleisten.

Weitere Informationen zu den jeweiligen Programmen bzw. für welche Herkunftsländer diese angeboten werden, sind den oben angeführten Seiten zu entnehmen (BMI 6.12.2024).

Quellen: […]

2. Beweiswürdigung:

2.1. Den Feststellungen liegen der Behördenakt und der verwaltungsgerichtliche Akt dieses Verfahrens zugrunde. Einsicht wurde genommen in die Unterlagen aus dem ersten und dem zweiten Asylverfahren. Weiters wurden Auszüge aus dem zentralen Melderegister, dem Strafregister, dem zentralen Fremdenregister, der Grundversorgungdatenbank und der Datenbank des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger (OZ 2) eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers und seinen Lebensumständen in Österreich:

Die persönlichen Angaben des Beschwerdeführers wie Name, Geburtsdatum, Herkunftsort, Sprache, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie Schulbildung, Familienstand und Familienangehörige ergeben sich aus seinen im Wesentlichen übereinstimmenden Angaben im Erst- und im Folgeantragsverfahren.

Die Informationen zu den vorangegangenen Asylverfahren sind dem jeweiligen Behörden- und Gerichtsakt entnommen. Dass dem Beschwerdeführer bis auf den rechtmäßigen Aufenthalt während seines Asylverfahrens kein weiteres Aufenthaltsrecht in Österreich zukommt, ergibt sich u.a. aus dem zentralen Fremdenregister, wo keine weiteren Aufenthaltstitel verzeichnet sind. Die Feststellungen zur aufrechten Meldung und den Zeiten ohne Wohnsitz- und Zustelladresse basieren auf dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister vom 21.07.2025.

Hinsichtlich der von ihm behaupteten Erwerbstätigkeit als Zeitungskolporteur war festzustellen, dass er für diese Tätigkeit keine Sozialversicherungsabgaben leistete, da im Sozialversicherungsdatenauszug, keine diesbezügliche Versicherungsmeldung aufscheint, sondern der Beschwerdeführer bisher ausschließlich über die Grundversorgung Krankenversicherung in Anspruch nahm und nimmt (Auszug vom 25.07.2025). Über seine Deutschkenntnisse berichtete er bei der Einvernahme am 14.05.2025, und meinte, er könne bereits vieles verstehen, aber noch nicht so gut sprechen, legte aber auch kein Deutschzertifikat vor, sodass lediglich rudimentäre Deutschkenntnisse festzustellen waren. Dass er keine Familienangehörigen in Österreich hat, gab er bei allen Befragungen in seinen Asylverfahren gleichbleibend an.

2.3. Zu den Feststellungen zum Gesundheitszustand des Beschwerdeführers

Im Verwaltungsakt der Behörde liegen Sammelbefunde vom 04.03.2025 (AS 131 -159), vom 14.04.2025 (AS 113 – 129) und vom 13.05.2025 (AS 35-69) der Klinik Ottakring, Standort XXXX , KPE Abteilung für Atemwegs- und Lungenkrankheiten ein. Der Beschwerdeführer wurde erstmalig am 13.01.2025 im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder vorstellig und wegen des hochgradigen Verdachts auf pulmonale TBC in die Klinik Ottakring transferiert, wo er von 15.01.2025 bis 04.03.2025, von 24.03.2025 bis 15.04.2025 und vom 18.04.2025 bis 13.05.2025 stationär aufhältig war. Die festgestellten Diagnosen sind diesen Sammelbefunden zu entnehmen, ebenso die festgestellte Multiresistenz gegen gängige Tuberkulosemedikamente und die Resistenz gegen Fluorchinolone (AS 131).

Im Patientenbrief vom 13.05.2025 (S 2) wird unter weitere empfohlene Maßnahmen folgendes festgehalten:

„Herr XXXX hat eine hochresistente prä-XDR Lungen-Tuberkulose, die eine komplizierte und nebenwirkungsreiche Behandlung benötigt. Diesbezüglich ist die medizinische Versorgung im Tuberkulose Schwerpunktzentrum XXXX ) notwendig. Eine Abschiebung wird einen Abbruch der Behandlung zur Folge haben und kann sowohl für den Patienten als auch für die öffentliche Gesundheit schwerwiegende Konsequenzen nach sich ziehen. Zudem musste der Patient rezent einer Lungenoperation unterzogen werden und ist dadurch lungenfunktionell schwer beeinträchtigt. Wir empfehlen ein[en] Follow-Up Zeitraum von mindestens 12 Monaten nach Therapieende bei uns sowie eine stationäre Lungenrehabilitation im Anschluss an die Behandlung.“

Im Patientenbrief vom 04.03.2025 (S 2) wird bei der Zusammenfassung des Aufenthaltes folgender Hinweis gegeben: „Der Patient hat eine prä XDR Lungen-TBC, die ein[e] komplizierte[s] Behandlungsschema benötigt. Die Therapie ist in sein[em] Heimatland schwierig zu bekommen. Ein Abbruch der Behandlung kann für den Patienten [eine] nicht mit dem Leben vereinbare Konsequenzen haben.“

Die Tuberkulose ist in Österreich eine meldepflichtige Erkrankung, bei deren Auftreten eine Behandlungspflicht und eine Pflicht zur Überwachung des Behandlungsverlaufs durch den öffentlichen Gesundheitsdienst besteht. Maßgebliche Rechtsgrundlage hierfür ist das Tuberkulosegesetz, das seit 1968 in Geltung steht. Es besteht ein hohes Risiko, durch nicht abgeschlossene Therapien hochresistente Erreger zu schaffen, ebenso ist die Gefahr, dass durch das Ausscheiden von Erregern von infektiösen Patienten weitere Personen infiziert werden, hoch.

Indien verzeichnet eine hohe Zahl an Tuberkulosefällen und unternimmt große Anstrengungen im Kampf gegen die Tuberkulose. Wie bereits aus der vom Bundesamt in das Verfahren eingebrachten Anfragebeantwortung vom 04.02.2008 hervorgeht, ist das nationale Tuberkuloseprogramm das größte und sich am schnellsten ausdehnende Programm der Welt. Mittels der seit 2002 erfolgten Unterstützung durch die Global Drug Facility (GDF) hatte Indien damals die Kapazität, über 900 Millionen Personen einen Zugang zu Behandlung von TBC im Sinne der von der WHO empfohlenen „DOTS“ (Directly Observed Treatment) Strategie zu ermöglichen; die Kosten für die Medikamente einer TBC-Behandlung (Dauer sechs bis acht Monate) betrugen dabei maximal US -$ 10 pro Person. In den eigens eingerichteten „DOTS“-Zentren wurde rund 50.000 Personen der Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglicht. Insgesamt gab es zum Zeitpunkt der Anfragebeantwortung in Indien 129 Partner der „Stop TB Partnership“ (AB der Staatendokumentation, Indien, Rückkehrfragen / Medizinische Versorgung / Psychische Krankheiten / TBC vom 04.02.2008).

Die vom Bundesamt in das Verfahren eingebrachte Anfragebeantwortung stammt aus dem Jahr 2008 und ist somit 17 Jahre alt. Den aktuellen Länderinformationen ist beispielsweise zu entnehmen, dass ein großer Teil der Todesfälle in Gefängnissen in Indien auf Krankheiten wie Tuberkulose und HIV/AIDS zurückzuführen sind, deren Verlauf durch die Haftbedingungen und mangelhafte Versorgung verschlimmert bzw. beschleunigt wird (LI, Haftbedingungen, 33). Trotz der in der Anfragebeantwortung aus dem Jahr 2008 überwiegend positiven Aussichten und der genannten Maßnahmen im Kampf gegen die Tuberkulose steht Indien, den aktuellen Länderinformationen zufolge, nach wie vor vor der Herausforderung, übertragbare Krankheiten, wie eben die Tuberkulose, unter Kontrolle zu bringen (LI, Medizinische Versorgung, 74). Ob diese Herausforderungen auch Patienten betreffen, die sich bereits in Therapie befinden und allenfalls auch kompliant sind, wird nicht eigens ausgeführt. Es kann aufgrund der vorliegenden Informationen daher nicht beurteilt werden, ob dem Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Indien ein Behandlungsabbruch oder eine Behandlungsunterbrechung droht. Die im Patientenbrief vom 13.05.2025 geäußerte Befürchtung eines Behandlungsabbruchs im Fall der Rückkehr des Beschwerdeführers nach Indien erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Länderinformationen möglich. Die damit verbundenen Konsequenzen einer Lebensgefahr und der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit ergeben sich ebenfalls aus den genannten Befunden.

2.4. Zu den Gründen für den Folgeantrag auf internationalen Schutz

Im ersten Asylverfahren gab der Beschwerdeführer an, Indien wegen der Arbeitslosigkeit und der Armut verlassen zu haben, weitere Gründe nannte er nicht. Mangels Asylrelevanz der vorgebrachten Ausreisegründe wurde festgestellt, dass dem Beschwerdeführer in Indien keine Verfolgung aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen droht.

Im gegenständlichen Verfahren gab der Beschwerdeführer an, dass seine alten Fluchtgründe noch aufrecht seien (EB, AS 29), vermochte sich aber nicht an die, im Erstverfahren genannten Gründe, nämlich die Arbeitslosigkeit und die Armut, zu erinnern. Vielmehr behauptete er, sein Bruder sei drogenabhängig und habe den Beschwerdeführer und seine Eltern aufgefordert, Drogen zu liefern und seien diese wegen ihrer Weigerung verfolgt worden (EV, AS 169). Soweit das Bundesamt in seiner Beweiswürdigung zum Schluss gelangt, dass im entscheidungsrelevanten Sachverhalt keine Änderung eingetreten ist, ist ihm hinsichtlich der Asylrelevanz des Vorbringens nicht entgegenzutreten, zumal die nunmehr, angeblich bereits im Erstverfahren dargelegten Gründe, damals gar nicht vorgebracht wurden und diesen Behauptungen bereits aus diesem Grund der glaubhafte Kern abzusprechen war.

Als das erste Asylverfahren rechtskräftig abgeschlossen wurde, war der Beschwerdeführer gesund (Bescheid 1. AV, S 4), Das Bundesamt war hinsichtlich der nun aufgetretenen Tuberkuloseerkrankung des Beschwerdeführers der Ansicht, dass es sich dabei um keine schwere körperliche Krankheit handle, die in Indien nicht behandelt werden könne und die gesundheitlichen Beeinträchtigungen einer Rückführung nicht entgegenstehen würden. Dieser Einschätzung kann angesichts der im Akt einliegenden medizinischen Unterlagen, die dem Beschwerdeführer eine hochriskante und multiresistente Form der Tuberkulose und eine schwere Beeinträchtigung der Lungenfunktion bescheinigen, nicht gefolgt werden, da den medizinischen Unterlagen gerade nicht zu entnehmen ist, dass die Erkrankung nicht schwer ist. Abgesehen davon wird in den medizinischen Unterlagen vor einer Lebensbedrohung des Beschwerdeführers im Fall seiner Überstellung, bei der ein Behandlungsabbruch oder eine Behandlungsunterbrechung nicht auszuschließen sei, gewarnt. Die medizinischen Unterlagen sind von den behandelnden Ärzten ausgestellt worden und sind keine Zweifel an der fachlichen Richtigkeit und Schlüssigkeit dieser Unterlagen hervorgekommen.

2.5. Zur Lage im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation in Indien ergeben sich aus den, dem angefochtenen Bescheid zugrunde gelegten Länderinformationen, die auch dieser Entscheidung zugrunde gelegt wurden. Die Zusammenstellung erfolgt anhand von Berichten verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender staatlicher und nichtstaatlicher Organisationen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Indien ergeben.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zur Zulässigkeit der Beschwerde

Die Beteiligten und ihre gesetzlichen Vertreter können sich, sofern nicht ihr persönliches Erscheinen ausdrücklich gefordert wird, durch natürliche Personen, die volljährig und handlungsfähig sind und für die in keinem Bereich ein gerichtlicher Erwachsenenvertreter bestellt oder eine gewählte oder gesetzliche Erwachsenenvertretung oder Vorsorgevollmacht wirksam ist, durch juristische Personen oder durch eingetragene Personengesellschaften vertreten lassen. Bevollmächtigte haben sich durch eine schriftliche, auf Namen oder Firma lautende Vollmacht auszuweisen. Vor der Behörde kann eine Vollmacht auch mündlich erteilt werden; zu ihrer Beurkundung genügt ein Aktenvermerk. Schreitet eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person ein, so ersetzt die Berufung auf die ihr erteilte Vollmacht deren urkundlichen Nachweis. (§ 10 Abs. 1 AVG)

Der Beschwerdeführer erteilte als Mitglied des MigrantInnenvereins St. Marx diesem Verein und zugleich auch dessen Obmann ad personam, dem ehemaligen Rechtsanwalt XXXX ., eine umfassende Vertretungsvollmacht. Im Zweifel beinhaltet eine allgemeine Vollmacht zur Vertretung auch eine Zustellvollmacht (VwGH 15.12.2020, Ra 2019/02/0137). Eine Partei kann sich im Verfahren auch mehrerer Vertreter bedienen (VwGH 21.08.2001, 2001/01/0057). Die Vollmacht wurde schriftlich erteilt.

Der Bescheid vom 30.06.2025 wurde dem Beschwerdeführer im Wege des Vereinsobmanns, und damit an einen gewillkürten rechtlichen Vertreter des Beschwerdeführers, am 04.07.2025, zugestellt. Die Beschwerdefrist beträgt, abweichend von § 7 Abs. 4 VwGVG, gemäß § 16 Abs. 1 und 2 Z 1 BFA-VG nur 14 Tage. Die Beschwerde vom 16.07.2025 langte per Fax am 16.07.2025 bei der Behörde ein und erweist sich daher als rechtzeitig.

Der Bescheid wurde rechtmäßig an den rechtlichen Vertreter des Beschwerdeführers zugestellt und die Beschwerde innerhalb der 14tägigen Beschwerdefrist erhoben. Damit erweist sich die Beschwerde als zulässig.

Zu A)

3.2. Zur Abweisung der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags hinsichtlich des Status des Asylberechtigten

Ein Anbringen ist, außer in den Fällen der §§ 69 und 71 AVG, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn es die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehrt (§ 68 Abs. 1 AVG). Diesem ausdrücklichen Begehren auf Abänderung steht ein Ansuchen gleich, das bezweckt, eine Sache erneut inhaltlich zu behandeln, die bereits rechtskräftig entschieden ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei Prüfung des Vorliegens einer entschiedenen Sache von der rechtskräftigen Vorentscheidung auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt (jüngst VwGH 03.10.2023, Ra 2023/14/0178).

Als Vergleichsbescheid ist der Bescheid bzw. das Erkenntnis heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde (VwGH 26.07.2005, 2005/20/0226 mwN).

Im vorliegenden Fall stellt der Bescheid des Bundesamtes vom 24.02.2023 die maßgebliche Vorentscheidung dar. Den wesentlichen Feststellungen ist zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer Indien aus wirtschaftlichen Gründen verlassen hat.

Weist das Bundesamt den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurück, ist insoweit „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist oder anders formuliert, ob die inhaltliche Behandlung des Antrags zu Recht verwehrt wurde. Eine meritorische Erledigung würde die „Sache des Beschwerdeverfahrens“ überschreiten und ist daher nicht zulässig (VwGH 03.10.2023, Ra 2023/14/0178).

Diese Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen (vgl. VwGH 02.08.2018, Ra 2018/19/0294). Neues Sachverhaltsvorbringen in der Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Bescheid nach § 68 AVG ist von der "Sache" des Beschwerdeverfahrens vor dem BVwG nicht umfasst und daher unbeachtlich (VwGH vom 24.6.2014, Ra 2014/19/0018, mwN).

Für behauptete Sachverhaltsänderungen, die nach einer rechtskräftigen Vorentscheidung eintreten, ist ein neuer (Folge-)Antrag zu stellen, weil in diesem Fall einem auf der Basis des geänderten Sachverhaltes gestellten Antrags die Rechtskraft bereits erlassener Bescheide nicht entgegensteht (VwGH 08.09.2015, Ra 2014/18/0089 mwN). Im Folgeantragsverfahren sind daher zunächst - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - nur neu entstandene Tatsachen und Beweismittel zu berücksichtigen, die einen im Vergleich zum rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren geänderten Sachverhalt begründen und zu einer neuen Sachentscheidung führen können, nicht aber solche, die bereits vor Abschluss des vorangegangenen Asylverfahrens bestanden haben (VwGH 03.04.2019, Ra 2019/20/0104).

Ein Asylfolgeantrag ist wegen entschiedener Sache auch dann zurückzuweisen, wenn der Asylwerber an seinem rechtskräftig nicht geglaubten Fluchtvorbringen unverändert festhält und sich an der Lage im Herkunftsstaat keine – für den internationalen Schutz relevanten - Änderungen ergeben. Werden aber beispielsweise neue Geschehnisse geltend gemacht, die sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, ist es nicht rechtens, die Prüfung dieses geänderten Vorbringens bloß unter Hinweis darauf abzulehnen, dass es auf dem nicht geglaubten Fluchtvorbringen des ersten Asylverfahrens fuße. Das neue Vorbringen muss vielmehr daraufhin geprüft werden, ob es einen "glaubhaften Kern" aufweist. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubhaftigkeit (zuletzt VwGH 5.7.2023, Ra 2021/18/0270).

Wie den Feststellungen zu Pkt. I.1.3. zu entnehmen ist, kamen nach Abschluss des ersten Asylverfahrens keine neuen Tatsachen oder Beweismittel hervor, aus denen sich eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers in Indien ergeben würde. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. war daher abzuweisen.

3.2. Zur Behebung der Spruchpunkte II. – VI.

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise – für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status – auch auf die Gewährung von subsidiären Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus: Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH 29.06.2011, U 1533/10; VwGH 19.02.2009, 2008/01/0344 mwN).

Die materielle Rechtskraft (die Unabänderlichkeit/Unwiderrufbarkeit sowie die Unwiederholbarkeit) des Bescheides steht einer weiteren Entscheidung in derselben Sache entgegen. Gegenstand der materiellen Rechtskraft ist der konkrete Norminhalt des infrage stehenden Bescheides, dh der im Bescheid getroffene Abspruch über die verwaltungsrechtliche Angelegenheit, die durch den Bescheid ihre Erledigung gefunden hat, und zwar aufgrund der Sachlage, wie sie in dem von der Behörde angenommenen Sachverhalt zum Ausdruck kommt. Durch eine Änderung der entscheidungsrelevanten Fakten verliert die Sache ihre ursprüngliche Identität, es liegt eine andere Sache vor, über die bescheidförmig abgesprochen werden kann bzw muss. Bei der Beurteilung der „Identität der Sache“ ist in primär rechtlicher Betrachtungsweise festzustellen, ob in den entscheidungsrelevanten Fakten eine wesentliche Änderung eingetreten ist (Hengstschläger/Leeb, AVG § 68 Rz 23 und 24 [Stand 1.3.2018, rdb.at]).

Eine wesentliche Änderung der Sachlage liegt vor, wenn sie für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss zulässt, dass nunmehr bei Bedachtnahme auf die damals als maßgeblich erachteten Erwägungen eine andere Beurteilung jener Umstände, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde lagen, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann und daher die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides zumindest möglich ist (vgl. VwGH 25.10.2018, Ra 2018/07/0353). Zu ermitteln ist die Wesentlichkeit einer Sachverhaltsänderung dabei nach der Wertung, die das geänderte Sachverhaltselement in der seinerzeitigen rechtskräftigen Entscheidung erfahren hat (VwGH 21.06.2007, 2006/10/0093).

Die Abweisung des subsidiären Schutzes im ersten Asylverfahren stützte sich unter anderem darauf, dass der Beschwerdeführer gesund und arbeitsfähig sei und damit eine grundsätzliche Teilnahme am Erwerbsleben in seinem Herkunftsstaat vorausgesetzt werden könne. Er war nicht gefährdet, im Fall seiner Rückkehr in eine ausweglose Situation zu kommen, wo ihm aufgrund exzeptioneller Umstände eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte drohen würde. Mit der nunmehrigen Veränderung im Gesundheitszustand des Beschwerdeführers erscheint eine Änderung in der grundsätzlichen Erwerbsfähigkeit des Beschwerdeführers, zumindest im Entscheidungszeitpunkt, möglich.

Die Entscheidung, einen Ausländer, der an einer schweren physischen oder psychischen Krankheit leidet, in ein Land abzuschieben, in dem die Möglichkeiten einer Behandlung dieser Krankheit geringer sind als in dem entsprechenden Staat, kann in absoluten Ausnahmefällen Fragen unter dem Blickwinkel von Art. 3 EMRK aufwerfen, wenn die humanitären Erwägungen, die gegen die Abschiebung sprechen, zwingend sind. Dies bedeutet aber nicht, dass es dem Drittstaatsangehörigen erlaubt werden muss, sich auf der Grundlage von subsidiärem Schutz nach der Richtlinie 2004/83 in einem Mitgliedstaat aufzuhalten (EuGH 18.12.2014, C-542/13, M’Bodj, Rz 39-40). Ungeachtet dessen sieht § 8 Abs. 1 AsylG die Gewährung von subsidiärem Schutz auch dann vor, wenn der Abschiebung eines Asylwerbers eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende Gefahr („real risk“) einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK entgegensteht. Dieser Widerspruch kann weder durch eine unmittelbare Anwendung der Richtlinie noch durch richtlinienkonforme Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG beseitigt werden, sodass die Zuerkennung von subsidiärem Schutz auch durch eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat, auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird, begründet werden kann (VwGH 21.05.2019, Ro 2019/19/0006).

Die Veränderung des Gesundheitszustandes macht eine Neubewertung des Bedarfs an subsidiärem Schutz erforderlich, da die Erlassung eines inhaltlich anderslautenden Bescheides durch den veränderten Gesundheitszustand zumindest möglich ist. Der Beschwerdeführer leidet an einer prä-XDR Lungentuberkulose und an einer aktiven tuberkulösen Pleuritis, die bei einer Behandlungsunterbrechung oder einem Behandlungsabbruch lebensbedrohend sein kann. Indien unternimmt zwar große Anstrengungen im Kampf gegen die Tuberkulose, es ist aber auf Basis der vorliegenden Länderinformationen nicht ausgeschlossen, dass die Fortsetzung der Behandlung des Beschwerdeführers mit der Abschiebung zumindest unterbrochen wird. Das geänderte Faktum des Gesundheitszustandes stellt daher eine Änderung des Sachverhaltes dar, der Wesentlichkeit in Hinblick auf die Zuerkennung des subsidiären Schutzes zukommt.

Aufgrund der geänderten Sachlage, die auf Basis der rechtskräftigen Vorentscheidung festzustellen war, lagen hinsichtlich der Gewährung von subsidiärem Schutz die Voraussetzungen für eine entschiedene Sache nicht vor und war Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides zu beheben.

Mit der Behebung von Spruchpunkt II. fallen die Rechtsgrundlagen für die übrigen Spruchpunkte weg, weshalb auch diese zu beheben waren.

3.3. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Nach Abs. 2 kann die Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist;

Nach Abs. 4 leg. cit., soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, kann das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der EMRK noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, entgegenstehen.

Zu Spruchpunkt I. liegt kein konkretes Beschwerdevorbringen vor, das mit dem Beschwerdeführer mündlich erörtert hätte werden müssen. Die Ausführungen in der Beschwerde sind nicht geeignet, eine Verhandlungspflicht auszulösen, zumal sie sich nicht substantiiert gegen die zurückweisende Entscheidung zu Spruchpunkt I. wenden. Der Sachverhalt erscheint aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt.

Die Entscheidung zu Spruchpunkt II. bis VII. konnte ohne mündliche Verhandlung ergehen, da bereits aus der Aktenlage erkennbar war, dass die entsprechenden Spruchpunkte zu beheben waren.

Zu B)

3.4. Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung.