Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Amesberger, über die Revision des M T, vertreten durch Dr. Gerhard Schilcher, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Stubenring 18, als bestellter Verfahrenshelfer, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2021, W222 2227241 2/3E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bangladesch, beantragte am 27. Juni 2015 internationalen Schutz, weil er in seinem Herkunftsstaat aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der oppositionellen Bangladesh National Party (BNP) verfolgt werde und politisch motivierten Strafanzeigen ausgesetzt sei.
2 Mit Bescheid vom 6. Dezember 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten, als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom 17. Juni 2020 als unbegründet ab. Begründend führte das BVwG zur Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten aus, dass der Revisionswerber nicht glaubhaft habe machen können, dass er in Bangladesch eine politische Funktion ausgeübt und politisch motivierte Anzeigen gegen ihn erstattet worden seien, weshalb ihm dort keine asylrelevante Verfolgung drohe.
4 Am 21. Dezember 2020 stellte der Revisionswerber einen Folgeantrag auf internationalen Schutz, den er im Wesentlichen damit begründete, dass ihm die politische Verfolgung in seinem Heimatland vom BVwG zu Unrecht nicht geglaubt worden sei. Aus dem Umkreis der Regierungspartei Awami League sei nun eine neue, dritte Anzeige gegen ihn und seinen Bruder eingebracht worden, die mit den Anzeigen aus dem ersten Asylverfahren verknüpft sei. Das Motiv der Anzeige sei, dass Regierungsbeamte ein Marktgrundstück, das derzeit im Besitz der Familie des Revisionswerbers stehe, gegen deren Willen erlangen wollten. Daraufhin sei es zu Auseinandersetzungen gekommen und seien Geschäfte zerstört worden. Die Polizei habe im Zuge dessen von seiner politischen Gesinnung erfahren und würde Schutzgeld von seiner Familie verlangen, welches diese nicht bezahle. Daher würde der Revisionswerber bei einer Rückkehr wahrscheinlich in Haft genommen werden.
5 Mit Bescheid vom 2. März 2021 wies das BFA den Folgeantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Bangladesch zulässig sei und dass keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe und erließ gegen den Revisionswerber ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot.
6 Die Beschwerde gegen diesen Bescheid wies das BVwG mit dem angefochtenen Erkenntnis ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Maßgabe als unbegründet ab, dass die Dauer des befristeten Einreiseverbotes auf ein Jahr herabgesetzt werde. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
7 Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, der Revisionswerber begründe seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz damit, dass seine alten Fluchtgründe aufrecht seien und „er die Beweise schon im Vorverfahren vorgelegt habe und er noch etwas hinzufügen möchte“. Das Vorbringen des Revisionswerbers sei lediglich als eine Fortführung der bereits im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe zu werten, denen damals kein Glauben geschenkt worden sei. Da bereits das gesamte erste Asylverfahren auf einem nicht glaubhaften Vorbringen beruht habe, könne aus der Fortführung dieses Vorbringens auch im zweiten Verfahren nichts gewonnen werden. In der persönlichen Sphäre des Revisionswerbers seien keine Umstände eingetreten, die geeignet wären, einen zulässigen neuerlichen Asylantrag zu begründen, seien dem Vorbringen doch keine asylrelevanten Sachverhaltsänderungen zu entnehmen, die eine andere Beurteilung zuließen.
8 Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit und in der Sache unter anderem geltend macht, das BVwG habe verkannt, dass mit dem Verweis auf eine weitere politisch motivierte Strafanzeige eine asylrelevante Sachverhaltsänderung vorgebracht worden sei, mit der sich das BVwG entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht beweiswürdigend auseinandergesetzt habe.
9 Das BFA hat zu dieser Revision keine Revisionsbeantwortung erstattet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 „Sache“ des gegenständlichen Beschwerdeverfahrens war (vorrangig) die Frage, ob das BFA den Folgeantrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zu Recht wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hatte.
13 Das BVwG hatte dementsprechend zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen ersten Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist.
14 Es entspricht im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhalts die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukommt; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrags darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen (vgl. etwa VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0234, mwN), an den eine positive Entscheidungsprognose im obigen Sinne anknüpfen kann. Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrags mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen (vgl. dazu etwa grundlegend VwGH 4.11.2004, 2002/20/0391, mwN).
15 Der Revisionswerber brachte zur Begründung seines Folgeantrags angebliche Verfolgungshandlungen vor, die sich erst nach rechtskräftigem Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen. Das BVwG hält dem nur entgegen, dass das neue Vorbringen bloß eine Fortführung der bereits im ersten Verfahren vorgebrachten Fluchtgründe sei, dem damals kein Glauben geschenkt worden sei.
16 Es trifft zwar zu, dass ein Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen wäre, wenn der Asylwerber an seinem (rechtskräftig) nicht geglaubten Fluchtvorbringen unverändert festhielte und sich auch in der notorischen Lage im Herkunftsstaat keine - für den internationalen Schutz relevante - Änderung ergeben hätte. Werden aber wie hier neue (für den internationalen Schutz relevante) Geschehnisse geltend gemacht, die sich nach dem rechtskräftigen Abschluss des ersten Asylverfahrens ereignet haben sollen, ist es nicht rechtens, die Prüfung dieses geänderten Vorbringens bloß unter Hinweis darauf abzulehnen, dass es auf dem nicht geglaubten Fluchtvorbringen des ersten Asylverfahrens fuße. Das neue Vorbringen muss nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vielmehr daraufhin geprüft werden, ob es einen „glaubhaften Kern“ im Sinne der dargestellten höchstgerichtlichen Rechtsprechung aufweist. Könnten die behaupteten neuen Tatsachen zu einem anderen Verfahrensergebnis führen, bedarf es einer die gesamten bisherigen Ermittlungsergebnisse einbeziehenden Auseinandersetzung mit ihrer Glaubhaftigkeit (vgl. etwa VwGH 31.8.2020, Ra 2020/18/0102, mwN).
17 Dies hat das BVwG, wie die Revision im Ergebnis zutreffend geltend macht, in Verkennung der Rechtslage unterlassen, weshalb das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
18 Von der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
19 Der Kostenausspruch gründet auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014. Die gesondert begehrte Umsatzsteuer ist in den Pauschalbeträgen nach den genannten Vorschriften bereits enthalten, sodass das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war (vgl. VwGH 14.2.2022, Ra 2020/10/0118, 0119). Über den Antrag auf Ersatz der Dolmetschkosten ergeht ein gesonderter Beschluss, nämlich aus dem Titel des Ersatzes der Barauslagen des Verfahrenshelfers.
Wien, am 5. Juli 2023